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Full text of "Geschichte des medicinischen Unterrichts von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart"

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GESCHICHTE 


DES 


MEDICINISCHEN  UNTERRICHTS 


VON  DEN  ÄLTESTEN  ZEITEN  BIS  ZUR  GEGENWART. 


Vos 

Dr.  med.  THEODOR  f  USCHMANN, 

O.  Ö.   PBOFEESOR  AN  DER   UNITEBSITÄT  ZU   WIEN. 


LEIPZIG, 

VERLAG   VON   VEIT  &  COMP. 

1880. 


Druck  Ton  Metzger  d  Wittig  in  Leipzig. 


lS^]^'rf:»rx!f['y^Ma^ 


Vorwort. 


Die  vorliegende  Arheit  ist  der  er^te  Versuch  einer  zusammen- 
hängenden  Darstellung  der  Gescliicbte  des  medicioischen  Unterrichts» 
In  der  Literatur  wurden  bisher  nur  Bnichstücke  derselben  niedergelegt, 
welche  die  Entstehung  und  Eiitwickelung  einzelner  medicinisoher  Schulen 
und  Anstalten,  die  Lehr  •Meinungen  und  Unterrichts- Methoden,  die 
dabei  wirkenden  Personen  und  ihre  Leistungen  behandeln.  Die.4e  Nach- 
richten mussten  gesammelt»  geprüft  und  mit  einander  verglichen  werden, 
wenn  sie  als  haltbare  Stützen  des  "Werkes  verwendet  werden  sollten. 
An  einzelnen  Stellen  fehlten  verlässliche  und  austührliche  Älittheilungen; 
die  Documente,  welche  darüber  Anfschluss  geben,  liegen  vielleicht  noch 
unerschlossen  in  den  Archiven  und  Bibliidheken.  Ich  muss  mich  be- 
schränken, darauf  hinzuweisen,  wo  die  Quellen  spärlich  fliessen  oder 
gänzlich  versiegen,  und  es  späteren  Forschungen  überlassen,  hier  den 
Boden  aufzugraben  und  das  Material  für  die  Losung  der  Fragen  zu- 
sammenzutrageUj  welche  nicht  beantwortet  werden  konnten. 

Die  Geschichte  des  medicinischen  Unterrichts  hat  nicht  blos  für 
die  Geschichte  der  Heilkunde  und  des  Erziehungswe.sens,  sondern  für 
die  Culturgeschichte  überhaupt  eine  grosse  Bedeutung;  denn  sie  ergänzt 
ßie  und  bildet  eigentlich  einen  zugehörigen  Theil  derselben.  Aus  diesem 
Grunde  habe  ich  mich  für  verpÜichtet  und  berechtigt  gehalten,  die 
Beziehungen,  welche  mein  Thema  zur  allgemeinen  Cultur-Entwickelung 
hat.  sorgßltig  zu  verfolgen  und  darzulegen ;  manche  Thatsache,  welche 
losgelöst  von  den  Bestrebungen  ihrer  Zeit  rathselhaft  und  wunderbar 
erscheint,  erhält  dadurch  eine  klarende  Beleochtung. 

Wenn  ich  diese  Gelegenheit  benutzt  habe,  um  mehrere  Irrthumer, 
welche  sich  in  den  Lehrbüchern  der  Geschichte  der  Medicin  eingebürgert 


'56iia 


VI  Vorwori, 

haben,  zu  berichtigen,  und  einige  Thatsachen  hervorzuheben,  die  bisher 
unbeachtet  geblieben  sind,  so  wird  der  wissenschaftliche  Werth  meines 
Buches  dadurch  sicherlich  nicht  beeinträchtigt. 

Eine  angenehme  Pflicht  erfülle  ich,  indem  ich  den  Herren  Mini- 
sterial-Rath  Dr.  B.  von  David  und  Sektionsrath  Dr.  von  Kleemann 
in  Wien,  Geh.  Ober-Med.-Rath  Dr.  Kersandt  und  Geh.  Ober-Regierungs- 
Rath  Dr.  Althoff  in  Berlin,  Medicinal-Rath  Dr.  Geissleb  in  Dresden, 
Regierungs-Rath  Dr.  Bumm  in  München,  Dr.  von  Riedel,  Leibarzt 
I.  M.  der  Königin  von  Spanieu  in  Madrid,  Prof.  Dr.  Serra  de  Mibabeau 
in  Lissabon,  Prof.  Dr.  A.  Corradi  in  Pavia,  Prof.  Dr.  Albini  in  Neapel, 
Prof.  Dr.  Anagnostakis  in  Athen,  Prof.  Dr.  Felix  in  Bukarest,  Prof.  Dr. 
von  Wini WÄRTER  in  Lüttich,  Dr.  Daniels  in  Amsterdam,  Prof.  Dr. 
Petersen  in  Kopenhagen,  Prof.  Dr.  H.  Heiberg  in  Christiania,  Prof.  Dr. 
Hedeniüs  in  Upsala,  Prof.  Dr.  Rauber  in  Dorpat,  Prof.  Dr.  Kollmann 
in  Basel,  Geh.  Rath  Prof.  Dr.  Hegar  in  Freiburg  i/Br.,  Geh.  Rath 
Prof.  Dr.  ScHüLTZE  in  Jena,  Prof.  Dr.  Eckhard  in  Giessen,  Prof.  Dr- 
Oesterlen  in  Tübingen,  Prof.  Dr.  W.  Krause  in  Göttingen,  Prof. 
Dr.  Uffelmann  in  Rostock,  Prof.  Dr.  G.  Ebers  in  Leipzig,  Prof.  Dr. 
Bt^HLER  und  Heinzel  in  Wien,  sowie  den  Vorstanden  und  Beamten 
der  Bibliotheken  zu  Paris,  London,  München  und  Wien  meinen  er- 
gebensten Dank  ausspreche  für  die  wohlwollende  Förderung  meines 
Unternehmens. 

Wien,  im  April  1889.  Der  Verfasser. 


Inhalts-Übersicht. 


Seite 

Einleitung 1 

I.   Der  mediciuische  Unterricht  im  Alterthum 6 

Indien   .     .     .     .  ' 6 

Ägypten 15 

Bei  den  Israeliten 22 

Bei  den  Parsen 27 

Bei  den  Griechen  vor  Uippokrates 29 

Zar  Zeit  des  Hippokrates 40 

In  Alexandria 61 

Die  Medicin  in  Rom 70 

Der  medicinische  Unterricht  in  Rom 82 

Der  ärztliche  Stand  in  Rom 102 

II.  Der  medicinische  Unterricht  im  Mittelalter 113 

Der  Einfluss  des  Christenthums 113 

Die  arabische  Cultur 130 

Medicinische  Wissenschaft  und  medicinischer  Unterricht  bei  den  Arabern  137 

Die  Medicin  der  Germanen  und  der  Unterricht  in  den  Klosterschulen  156 

Die  Schule  von  Salerno 166 

Die  medicinische  Schule  zu  Montpellier 176 

Die  ältesten  Hochschulen  Italiens 185 

Die  ältesten  Hochschulen  in  Frankreich 190 

Die  übrigen  Universitäten  Europas  im  Mittelalter 194 

Die  Bildung  der  Ärzte  im  Allgemeinen 199 

Der  Unterricht  in  der  Anatomie 203 

Der  Unterricht  in  der  Arzneibereitung  und  der  ärztlichen  Praxis      .  211 

Die  ärztlichen  Prüfungen 219 

Die  Chirurgie  und  Geburtshilfe 223 

Der  ärztliche  Stand  und  die  medicinische  Literatur  jener  2feit .     .     .  232 

III.  Der  medicinische  Unterricht  in  der  Neuzeit 239 

Der  Charakter  des  16.  Jahrhunderts 239 

Die  Emancipation  vom  Autoritätsglauben  auf  dem  Gebiet  der  Medicin 

und  die  Fortschritte  der  Wissenschaft 247 

Die  Universitäten  im  16.  Jahrhundert 261 

Der  mediciuische  Unterricht 268 

Der   ärztliche   Stand   und   seine  Stellung   zu   den    Bewegungen   des 

16.  Jahrhunderts 280 


VIII  Inhalts  -  Übersicht 


Seite 
Die  experimentelle  Richtung  der  Naturwissenschaften,  der  Physik  und 

Chemie  während  des  17.  Jahrhunderts 285 

Die  mikroskopische  Forschung  in  der  Anatomie  und  das  EIxperiment 

in  der  Physiologie 294 

Die  Fortschritte  in  den  übrigen  Theilen  der  Heilkunde  während  des 

17.  und  18.  Jahrhunderts 806 

Der  Charakter  jener  Zeit  in  der  Kunst  und  Philosophie 317 

Die  gelehrten  Gesellschaften  und  Universitäten  im  17.  und  18.  Jahr- 
hundert    32Ö 

Der  medicinische  Unterricht  in  den  theoretischen  Fächern,  sowie  in 

der  Anatomie,  Botanik,  Chemie  und  Arzneimittellehre   ....  329 

Der  klinische  Unterricht  im  17-  und  18.  Jahrhundert 341 

Der  Unterricht  in  der  Chirurgie,  Augenheilkunde  und  Geburtshilfe  .  347 
Der  medicinische  Unterricht  am  Schluss  des  18.  Jahrhunderts  und  der 

ärztliche  Stand 359 

IV.  Der  medicinische  Unterricht  in  der  neuesten  Zeit     ....  365 

Die  naturwissenschaftliche  Weltanschauung  des  19.  Jahrhunderts  .    .  365 

Physik  und  Chemie  in  den  letzten  hundert  Jahren 374 

Die  medicinischen  Systeme  und  die  Fortschritte  in  der  Anatomie  und 

Physiologie 382 

Diagnostik,  pathologische  Anatomie   und   experimentelle  Pathologie, 

Nosologie  und  Heilmittellehre 391 

Chirurgie,  Augenheilkunde,  Geburtshilfe  und  Staatsarzneikunde     .    .  899 

Der  medicinische  Unterricht  in  der  Gegenwart 409 

England.  —  Nord- Amerika 412 

Frankreich ; 433 

Österreich-Ungarn 448 

Die   deutschen   Mittel-   und   Kleinstaaten   vor   der  Gründung  des 

Deutschen  Reiches 463 

Preussen  und  das  jetzige  Deutsche  Reich 471 

Italien 482 

Spanien  und  Portugal 484 

Holland  und  Belgien 486 

Schweiz , 488 

Dänemark.  —  Norwegen.  —  Schweden 490 

Russland 492 

Griechenland  und  die  christlichen  Länder  der  Balkan-Halbinsel     .  493 

Schlussbetrachtungen 495 


Einleitung. 


^IM*  ii4i«ilt  prim^m  «if«  hMtiriae  teg9m,  ne  quiti 
fmUi  dicer*  audtot,  deindt  im  quid  mri  wem  audtat^ 
nt  qua  MUJffttcio  ^atiae  tit  in  «cri&eiwZo»  ne  q*ui 
»imuftatiM, 

Cicsso,  dt!  oralore  II,  15. 


Die  historische  EDtwickelnni?  »Ifs  m»*dirini8chen  tTnterrichts  zeigt 
iUn  rfpichen  Charakter  wie  die  Geschichte  der  Heilkunde  überhaupt 

Die  Noth,  die  erßnderiscie  Lehrerin  der  Menscherij  gab,  wie  schon 
flfffOKRATES*  sagt,  die  YeranUissun^,  dn^R  die  ersten  Heilversuche  an- 
gfstellt  wurden.  Di^  kampfeslustige  Lebensweise  der  rohen  Naturvölker, 
d^ren  Lieblingsbeschäfti^runi:  die  Ja^^d  und  der  Krieg  waren,  führle 
Verletzungen  herbei,  gegen  welche  Hilfe  gesucht  wurde.  Mitleidige 
Freande  und  Kampfe^sgenosseu  brachten  Linderung  der  Schmerzen,  indem 
AP  die  Wunden  auswuschen  und  mit  kühlenden  Krautern  bedeckten. 

Bald  begannen  Einzelne,  die  Heilkräfte  der  Pflanzen  zu  erforschen 
Qid  ihre  Erfahrungen  auf  diesem  Gebiet  zum  Besten  der  Angehörigen 
ihres  Volkes  zu  verwerthen.  Waren  sie  mit  der  Gabe  ausgestattet,  die 
Xatur  zu  beobachten,  und  bot  sich  ihnen  die  Gelegenheit  dazu,  so 
rerden  sie  vielleicht  den  Versuch  gemacht  halien,  das  Wesen  der  Ver- 
Jelzimgen,  die  sie  zu  behandeln  wagten,  zu  ergrimden.  Auf  diese  Weise 
liildete  sich  allmalig  eine  Art  vrm  Ärzten,  welche  sich  auf  rnipirisehem 
Wege  eine  bemerkenswerthe  Gewandtheit  in  der  Heilung  äusserer  Schäden 
aneigneten. 

Bei  inneren  Leiden,  namentlich  abt^r  bei  Epidemien,  deren  Ursachen 
nicht  so  deutlich  zu  erkennen  sind,  wie  die  der  äusseren  Verletzungen, 
wandte  man  sich  an  Diejenigen  um  Rath,  die  in  jener  frühen  Cultur- 
periode  als  die  Vertreter  alles  Wissens'  galten,  an  die  Priester.     Von 


»  HiPPOKRATE»,  Ed.  Littre.    Pari»  1639.    T.  I,  p.  574. 

*  ,JHb  SüAskritiache  vai^a  von  wid,  wiflaen,  and  dus  Lateinische  mMom 
VOD  mtdh^  weise  aeui,  ^igen  an,  daae  der  Arzt  seine  Benetimiug  von  neiner 
Einsicht  erhalten  bat/'  Ck.  Lasssn:  IndiacHe  Alterthtimakunde^  London  und 
Ldpsig  1874,  Bd.  II,  S.  517.  —  Verg!.  Ai>.  PicrrETi  Etymologische  Forschungen 
ober  Äe  älteste  Arroeikunst  bei  den  Indogermanen  in  der  Zeitsclirift  für  ver- 
gleichetide  Sprachforscljung,  Bd.  V,  8.  24  u.  ff.,  Berlin  1856. 

FotCVXAJnr,   Unterricht.  X 


2  Einieäunff. 

ihnen  erwartete  man  um  so  eher  Hilfe,  als  [die  Entstehung  dieser 
Krankheit-en,  weil  sie  dunkel  und  räthselhaft  war,  den  überirdischen 
Gewalten  zugeschrieben  wnrde. 

Die  Priester  l>emühten  sich,  durch  Gebete  und  Opferungen  den 
Zorn  der  G Otter  zu  versöhnen  nnd  ihr  Wohlgefallen  zu  erringen.  Sie 
flössten  dadurch  den  Kranken  Hoffnung  und  Vertrauen  ein  und  wen- 
deten ini  Übrigen  eine  exspectative  Behandlungsmethode  an.  Dabei 
konnte  ihnen  nieht  entgehen,  dass  die  Edblge  nicht  immer  den  Er- 
wartungen entsprachen  und  häufig  gemd^  dann  ausblieben,  wenn,  wie 
bei  verheerenden  Seuchen,  die  öffentliche  Aufmerksamkeit  darauf  ge- 
richtet war.  Wollten  sie  die  Schwiichung  ihres  Ansehens,  die  dadurch 
herbeigeführt  wurde,  vermeiden ,  so  mnssten  sie  trachten,  (kirch  diäte- 
tische und  merlicamenti>se  Yerordnungen  einen  grösseren  Eintluss  aul 
den  Verlauf  der  Krankheiten  zu  gewinnen.  Dazu  bedurften  sie  medi- 
cinischer  Kenntnisse,  die  sie  sich  durch  die  si^rgfaltige  Beobachtung  der 
Krankheitserscheinungen  und  durch  die  I^rtorscbung  ihrer  Ursachen  und 
Heilmittel  zu  ei-werben  suchten.  Im  Verlauf  der  Zeit  sammelten  sie 
eine  Summe  von  Erfahrungen,  die  in  mundhclier  oder  schriftlicher  Über- 
lieferung auf  die  späteren  Geschlechter  gelangten  und  von  ihnen  mehr 
und  mehr  vervollständigt  wurden. 

Die  Au.<ül>uug  der  Heilkunst  geschah  nun  nach  bestimmten  Regeln^ 
und  ihre  Erlernung  ertbigte  in  systematischer  Weis«.  Die  Medicin 
wurde  eingereiht  in  die  Zahl  der  Unterrichtsgegenstände,  welche  in  den 
Tempelschulen  gelehrt  wurden^  und  tiie  Priester  sorgten  dafür,  tla^s  das 
errungene  arzthche  Wissen  mit  den  religiösen  Vorstellungen,  welche 
den  Volksglauben  beherrschten,  derartig  verbunden  wurde,  dass  die  letz- 
teren abs  massgebend  für  die  Behandlung  der  Krankheiten  erschienen. 
Dieselben  wurden  aber  zurückgedrängt,  als  die  fortschreitende  Erkenntniss 
dazu  aufforderte,  sie  ohne  jede  Voreingenommenh<4t  kritisch  zu  prüfen* 
Älit  ihrer  Beseitigung  vollzog  sich  »lie  Emancipation  vüni  religiösen 
Eintlnss  und  die  Entstehung  eines  selbstständigen  ärztlichen  Standes* 

Die  Vertreter  desselben  vereinigten  die  aus  den  Tempelschulen 
übernommenen  medicinischen  Kenntnisse  mit  den  ärztlichen  Erfahrungen 
der  Empiriker.  Sie  beschränkten  sich  nicht,  wie  die  Priester,  vorzugs- 
weise auf  die  Behandlung  der  inneren  Leiden,  sondern  befassten  sich 
auch  mit  der  Chirurgie  und  Geburtshilfe. 

Diese  Verschmelzung  der  inneren  und  äusseren  iledicin,  wie  sie 
von  den  Hippiikratikern  und  überhaupt  von  den  Ärzten  der  griechisch- 
römischen Culturperiode  zum  Ausdruck  gebracht  wurde,  wirkte  auf  beide 
Richtungen  der  Heilkunde  anregend  und  fordernd  und  führte  zu  hervor- 
^L    ragenden  Leistungen.     Die  bewunderungswürdigen  Fortschritte,  welche 


jjdie  Heilkunde^  namentlich  die  Chirurgie,  in  Alexandria  und  Rom  maohte*^ 

ren  einen  Ausblick  auf  Dajs,  was  noch  erreicht  worden  wäre,  wenn 
die  politischen  Umwälzungen,  die  mit  dem  Zerflill  des  römisrheu  Reiches 
zusammenhingen,  fiie  weit^ere  Ent Wickelung  der  Medidn  wie  aller  üljrigen 
Wissenschaften  und  Künste  nicht  gehemmt  hätten. 

Die  auf  einer  niedrigen  CuUurstufe  stehenden  Völker ,  welche  da- 
ilie  Weltbühne  betraten,  mussten  das  in  den  vorangegan«?enen 
emmgene  Wissen  erst  in  sich  aufnehmen»  bevor  sie  danin  denken 
durften,  dasselbe  durch  eigene  Entdeckungen  und  Ertindungen  z«  ver- 
mehren. Während  des  nächsien  Jahrtau?^ends  erfolgte  die  geistige  Ent-^ 
Wickelung  nicht  in  der  Höhi^ndimension,  sondern  in  der  Breit^ndimen- 
gjan;  die  Summe  des  Wissens  wurde  nicht  wesentlich  vermehrt »  aber 
1^  verbreitete  sich  über  eine  grössere  Fläche  der  bewohnten  Erde, 

Selbst  im  Orient,  wo  sich  die  Traditionen  verschiedener  Cultnr- 
perioden  mit  dem  Thatendrang  eines  die  höchsten  Ziele  anstrebenden 
jugendfrisc-hen  Volkes  verbanden,  hat  man  wenigstens  in  der  Heilkunde 
keine  Schöpfungen  hinterhissen,  welche  dauernd  waren  und  auf  die 
weitere  Gestaltung  dieser  Wissenschaft  einen  tiefgreifenden  Einfluss  aus- 
übten. Die  araliische  Mediein  ist  daher  nichts  weiter  als  eine  freilich 
l^ossartige  Episode  in  der  Geschichte  der  Heilkunde, 

Im  Abendlande  übernahmen  die  Priester  wiederum  das  Lehramt 
iier  Mediein.     Die  romanischen   und   germanischen   Völker  wurden  zu 
fdean  Glauben  bekehrt,  dass  die  christliche  Kirche  nicht  blos  die  Wahr- 
h^ten  des  himmlischen  Lebens,  sondern  auch  das  Wissen  dieser  Welt 
^besitze  und  bewahre.    Der  Klerus  vereinigte  in  sich  alle  Gelehrsamkeit^ 
damaligen  Zeit,  und  die  Klöst-er  wurden  die  Schulen  d^r  Mensch- 
heit    Die  Ausübung   <ler  Heilkunst    hatte    für   die  Geistlichen  jedoch 
.manche    ünzuträghchkeiten    im   Gefolge;    die   Rücksichten    auf    ihren 
r Stand  verboten  ihnen  die  Ausführung  chirurgischer  Operationen,   weil 
durch  deren  Misslingen  der  Tod  der  Patienten  herbeigeführt   werden 
.konnt-e,    und    hielten    sie   zurück    von    der   Behandlung   der   Fimien- 
rkmnkheiten. 

Es  war  daher  begreiflich^  dass  sich  neben  ihnen  eine  Kategorie 
Ton  irzten  erhielt  und  weiter  entwickelte,  welche  nicht  dem  geistlichen 
Stande  angehörten.  Hierzu  zählte  man  auch  di^  zahlreichen  jüdischen 
Ärzt>e^  welche  sich  in  den  christlichen  Ländern  niederliessen  und  wegen 
ihrer  mit  gnindlichem  Wis.sen  verbundenen  praktischen  Tüchtigkeit 
sehr  geschätzt  waren,  ebenso  wie  jene  Elemente,  welche  im  europäischen 
Süden  mit  der  arabischen  Heilkunde  bekannt  geworden  waren.  Die 
letzteren  spielten  bei  der  ersten  Gründung  selbstständiger  Jirztlicher 
Schulen,  zu  Salemo  und  Montpellier,  eine  hervorragende  Rolle,  wahrend 

1* 


der  chrktliche  Klerus  auf  die  Entstebufi^  der  iiltesten  Uiiivemtät-en 
uod  ihre  Einrichtuagen  einen  massgehendeii  J^nfluss  aasübte. 

Die  Universitäten,  welche  fortan  als  Sammelpunkte  der  gelehrten 
Bildung  dienten,  rechneten  auch  die  ärztliche  Erziehung  zu  ihren  Auf- 
gal>(*n;  ulier  sie  berücksiehügttfn  däl>ei  nur  die  theoretisch-wii^eusehatt- 
liehe  Seite  dersicdben  und  vernachlässigten  ihre  praktischen  Ziele,  Diese 
Lücke  der  ärütlichen  Bildung  musi?te  durch  den  Besuch  der  Spitäler 
oder  durch  die  persönliche  Unterwt^isung  eines  erfahrt'nen  Praktikern 
ergänzt  werden,  wenn  die  Jungen  Doktoren  das  Yertraunn  ihrer  Kranken 
erlangen  wollten. 

Ausser  die!>em  Umstände  hatte  der  geistliche  Ursprung  der  Uni- 
versitäten die  Folge,  dass  der  doii  ertheilte  mediciniscbe  Unterricht 
vorzugsweise  die  inneren  Krankheiten  in  den  Kreis  der  Betrachtung 
aog.  Daraus  ergalt  sich  die  Nothwendigkeit,  dass  neben  den  gelehrten 
Ärzten  ein  Heilpersonal  bestand,  welches  sich  der  Chirurgie  und  der 
Behaniilung  *ler  äusseren  Schäden  widmete.  Die  Ausbildung  dimsf 
Wundärzte  wai'  eine  handwerksmässige  imd  nabra  in  der  Barbierstuhe 
ihren  Anfiing;  aber  sie  schuf  Ärzte,  welche  mit  den  BtHiüxfnissen  der 
Praxis  vertraut  waren  und  den  Kranken  zu  helfen  verstanden. 

Die  Chirurgen  und  Ärzte  trennte  Anfangs  eine  tiefe  sociale  Kluft, 
welche  jedoch  ihre  Berechtigung  verlor,  je  melrr  die  ersteren  Ijestreht 
waren,  ihre  Allgemeinbildung  zu  erhrdieo,  unddiu-ch  originelle  Leistungen 
zur  wissenschaftlichen  Entwickidiing  der  Heilkundt^  Ijeitrugen*  Einige 
derselben  haben  bahnbrechende  Arbeiten  gehefert^  welche  ihren  Namen 
in  der  Geschichte  der  Chirurgie  verewigt  haben.  Vorurtheilsfreie,  klar 
denkende  Arzte  erkannten  die  Vorzüge,  welche  die  chirurgische  Bildung 
bot,  und  suchten  dieselbe  mit  ihrer  eigenen  zu  vereinigen.  Aber  sie 
waren  in  fnlheren  Jahrhunderten  nur  vereinzelte  Ausnahmen;  denn  die 
Scheidung  der  Ärzte  in  Chirurgen  und  Mediciner  erhielt  sich  bis  in 
tlie  neueste  Zeit,  wenn  auch  die  socialen  Unterschiede  ü'üher  ausgeglichen 
wurden. 

Dagegen  entwickelte  sich  allmalig  eine  höhere  und  eine  niedere 
Kategorie  des  HeilpcrsonalSj  von  denen  die  erstere  die  graduirten  Ärzte 
und  Chirurgen,  die  letztere  die  sogenannten  Landärzte  und  niederen 
Wundärzte  umtasste.  Dieselben  lR\stehen  in  manchen  Ländern  noch 
jetzt,  während  in  anderen,  z.  B,  in  Deutseliland  und  Österreich,  nur 
noch  eine  einzige,  die  verschiedeneu  Zweige  gleichmässig  berücksich- 
tigende, ilie  höchste  medicinische  Bildung  besitzende  Klasse  von  Ärzten 
eiistirt 

Die  Schicksale  des  ärztlichen  Standes  haben  eine  grosse  Bedeutung 
für  den  Inhalt   und  die  Formen  dm  me^licinischen   Unterrichts.     Die 


4 


I 


^iale  Stellung  der  Ärzte  bestimmt  das  Maass  von  Allgemeinbilduns', 
reiche  ron  ihnen  verlangt  wird. 

Die  Ansprüche,  welche  an  ihr  fachmännisches  Wissen  und  Können 

eilt   werden,  sind   alihangfig   von   der  Summe  der  That^aehen  imd 

ehren,  di«   den  Inhalt  der  Heilkunde  darstellen.     Sie  legen  ein  un- 

reideiitiges  Zeugniss  ab  filr  die  letzteren  nnd  berichtigen,  bestätigen 

[und  ergänzen  dadurch  die  Geschichte  diei^er  WissenschiiJt. 

Di*s  Form  und  Methode  des  medicinischen  ünterrirhts^  richtet  sich 

pben  so  sehr  nach  den  allgemeinen  Cultnrverhnltnissen,  als  nach  dem 

Eustande  der  Hpilkonda     Das  Zeitalter  d<T  Schrdat^tik   verhmgle,  daa«* 

[die  me<ljcinischf*n  Thwricn,  welche  in  den  Hiirsalt'u  vorgetragen  wurden, 

rdorch  die  Aussprüche  der  herrschenden  Autoritäten  gerechtfertigt  wfir- 

jilen:  auch  die  darauf  folgende  Periode  begnügte  sich  mit  histori>;eh('n 

jlind  theoretischen  Auseinandersetzungen,  und  erst  im  17,  Jahrhundert 

[trat  die  Beobachtung  der  Natur  nnd  die  eigene  Untersuchung  in  den 

Vonlergrund.    Mit  dem  Aufschwünge  der  Naturwissenschaften,  }»es(>nders 

der  Chemie  nnd  Physik,  mit  der  Griuidung  anatomischpr  Lebranstalten, 

[in  denen  die  Schüler  Gelegenheit  zait  Zergliederung  menschlicher  Leich- 

name  erhielten,  mit  der  Einführung  des  klinischen  Untf^rrichts  in  den 

dazu  bestimmten  Krankenhäusern  und  der  Anleitung  der  Studierenden 

m  eigenem  selbstständigen  Arheiten  erfuhr  die  arxtJiche  Erziehung  eine 

voUstilndige  Umgestaltung.    Die  pndiischen  DemonsiTationcn  und  Ver- 

«QOlie,    welche   früher  gänzlich   gf^fchlt  oder  doch   nur   ausnahmsweise 

[itattgefußden  hatten,  bildeten  nun  einen  wesentlichen  Theil  des  medi- 

ßhen  Unterrichts.    Dadurch  erhielt  er  jene  lu'eite  Grundlage,  welche 

^mner  harmonischen   Ausbildung   der  Arxte  nothwendig  ist^   damit 

dieselben  sowohl  zur  Ausübung  der  Heilkimst,  als  zur  wissen«cbaftlich<m 

for»ehung  derwllten  l>e(ahigt  werden. 


Die  WuiiGeln  uiiöerer  Ctiltur  lit^is^en  iui  Ostea.  An  den  Ufeiii  des 
(jaiijcresy  in  der  Nil-Ebene  und  im  met^nimÜDssenen  Griechenland  blühten 
sc^h(in  vor  Jjihrtausenden  Könstp  und  Wissenscliuften  und  erreii^hten 
eine  bemerkenswertlie  Eotwickelung,  Auch  die  Heilkun»!  feierf/e  dorr 
ihre  frühesten  lYiumphe. 

Sie  wurde  in  Indien  ilnfanprs  von  den  Priestern  ausgeübt^  welch« 
hier  wie  überall  nh  die  Hrbatzhüter  alles  menschlichen  und  göttlichen 
Winsens  galten. 

In  den  ältesten  Rchritten  der  Jndier,  den  \'eden,  deren  Entstuhun*r 
in  die  Zeit  vor  600  v,  Chr.  tBlll,  erscheinen  die  Krankheiten  als  Strafen 
erzürnter  Gottheiten  und  Geister  oder  als  Folgen  der  Zauberkünste 
böser  Menschen,  Zu  ihrer  Beseitigung  wurden  Gebete,  Opfer  und  Be- 
schwörungen angewendet  Aber  schon  im  Rigveda^  wird  auf  die  Heil- 
kraft einiger  diätetischer  und  medicamentöser  Mittel  hingewiesen. 

Je  raelif  die  Summe  der  mediciniKchen  Kenntnisse  und  Erfahrnugen 
wuchs,  desto  mehr  stellte  sich  das  Bedürfniss  heraus,  die  ärztliche 
Thätigkeit  nicht  blos  den  Priestern^  sondern  auch  den  Mitgliedern  an- 
derer Kasten  zu  gestritten,  wenn  sie  durch  ihr  Wissen  und  Können 
dazu  hetübigt  erschienen.  So  entwickelte  sich  allmalig  ein  liesonderer 
är/tlicher  Stand,  welcher  sich  aas  den  drei  höheren  Klassen  der  Ge- 
sellschaft ergänzte;  nur  flie  verachteten  Sudra,  die  sich  dnrch  ihre 
Rasse-Eigenthümlichkeiten  von  den  eingewanderten  Ariern  untei-bchieden, 
blieben  davon  aasgeschlossen.  Später  bewirkte  der  nivellirende  Eintluss 
des  Buddhismus,  dass  auch  diese  Schranke  einigermassen  gelockert  wurde. 

Aüöfiihrliche  Angaben  über  die  Erziehung  der  Ärzte  finden  sich 
in  den  beiden  Erklar ungsschritten  xum  Avui-Veda,  welche  von  Chabaka 


*  Rotn    hl   fiüT  Zeirsclirift    der    doutsclten    morgenl&Ddiwhen    Gcsellechnft, 
.Bd.  24,  Ä.  Htll   u.  ff.  und  Bd.  25,  S.  84Ö  U.  fH. 


m 


Indien, 


I      tun 


muTA  verfosst  sind  und  die  ältesten  medicinischen  Werke  der 
Samkrit-Literatur  bilden* 

Chabaka'  giebt  den  Jüniyrlingen,  welch«  die  Heilkunde  erlernen 
wollen,  den  Rath,  sich  einen  Lehrer  zu  suchen,  „dessen  I^ehre  lauter 
nnd  dessen  praktisches  Geschick  erprobt  ist,  der  gescheidt^  gewandt^ 
leohtlich  and  nnbescholten  ist,  seine  Hand  zu  regieren  weiss,  die  no- 
tlügen  Hilfeniittel  und  iille  Sinne  hat,  vertraut  mit  den  normalen  Zu- 
den  und  dem  Ver&liren  hei  abnormen  Verhältnissen,  von  achtem 
Wiasen,  nngeziert,  nicht  unfreundlich  und  aufbrausend,  geduldig  und 
liebreieh  gegen  die  Schüler  ist** 

Für  sehr  tauglich  zum  Studium  der  Heilkunde  werden  diejenigen 
Schüler  erklärt.  ,,welche  aus  einer  Familie  von  Ärztin  stummen  oder 
mit  Ärzten  verkehren  und  kein  Glied  und  keinen  Sinn  zu*  wenig  haben/* 

Bei  der  Aufnahme  ermahnte  der  Lehrer  den  Schüler.  *,keusch  und 
enthaltsam  zu  sein,  die  Wahrheit  zu  reden,  ihm  in  allen  Dingen  zu 
gehorchen  und  einen  Bart  zu  tragen," 

Als  die  drei  wichtigsten  Mittel,  um  medicinische  Kenntnisse  zu 
erwerben,  werden  jxectannt:  die  Lektüre  ärztlicher  Schriften^  die  persön- 
liche Unterweisung  des  Schülers  durch  den  Lehrer  und  der  Verkehr 
mit  anderen  Arzt^en. 

„Wenn  der  Arzt**,  sagt  Cuaraka,  „von  einem  bekannten  und  zum 
Eintritt  berechtigten  Mann  begleitet,  die  Wohnung  des  Kranken  betritt^ 

er  wohl  gekleidet^  gesenkten  Hauptes,  nachdenklich,  in  fester  Hal- 
tung und  mit  Beobachtung  aller  möglichen  Rücksichten  auftreten.  Ist 
•r  drinnen ;  so  darf  Wort,  Gedanke  und  Sinn  auf  nicht*  anderes  ge- 
nchtel  sein,  als  auf  die  Behandlung  des  Patienten  und  was  mit  dessen 
Lage  zusammenhangt**  „Niemals  darf  selbst  der  Kenntuissreichste*^ 
fahrt  er  fort,  .«mit  seinem  Wissen  gross  thun.  Viele  ziehen  sich  auch 
Ton  einem  Fähigen  zurück,  wenn  er  zu  prahlen  liebt,  lud  die  Me- 
dicin  ist  wahrlieh  nicht  so  leicht  zu  erlernen.  Darum  übe  sich  Jeder 
darin  sorgfältig  und  unaufhörlich!  Über  das  Verfahren  und  die  Voll- 
kummenheiten  de^  Praktikers  kann  man  auch  bei  Andern  zu  lernen 
guohen;  denn  die  ganze  Welt  kann  eine  Lehrerin  des  Verständigen 
keissen^  und  nur  dem  Thoren  ist  sie  feind.  Mit  Rücksicht  darauf  darf 
er  sogar  vom  Rath  des  Feindes  Wohlstand,  Ehre  und  Leben  erwarten 
wad  darnach  handeln.*' 

Dringend  empliehlt  er  den  Umgang  mit  anderen  Ärzten.  „Denn 
die  ünterreduug   mit   einem  Fachgenossen    vermehrt    die  Kenntnisse, 


'  Samhitii  IIl,  ö,  nach  R.  Roths  Übers,  in  der  Zeitechr.  der  deutscheo  morgen* 
^liDd.  Ges.    1872,  Bd.  26,  S.   445  u.  E 


^ 


Der  medkmiadhB  Ünimrickt  m  AUerUiium. 


macht  YeTf^mügeo,  fördert  die  Erfahrung,  giebt  Hode|j»'wandth*^it  und 
vtTschatrt  Aiis^'heiL  Wer  ülH*r  Erlerntes  unsich^^r  ist,  dessen  Zweifel 
werdnn  durch  di«  wiederholte  Belehrung  gehoben,  wer  jene  Unsicher- 
heit un<l  Zweifel  uieht  hat,  dt^sen  Urtheil  wird  befestigt.  Auch  he- 
konniit  man  oft  etwas  zu  hören,  wa«  man  bisher  nicht  wusste.  Mandier 
Li*hr<^r  kann  sich  hinreissen  lai^sen^  ein  Äurüekp^ehaltenes  Wissen,  dtis 
tsr  sonöt  dem  Zö^^hng  nur  allmälig  mittheilt,  bei  Oelegenhejt  einee 
solchen  Redeuustausehes  mit  einem  Male  preiszugeben«** 

Bei  Susru'TA^  (Op,  2)  heisi^t  (»s^  dass  «b*r  Arzt  als  Schiiler  den 
Sohn  i^ines  Brahmanen,  sowie  eines  Ksatrya  oder  Vaisya  (Adeligen 
oder  Bürgers)  von  guter  Familie  annehmen  dürfe,  wenn  derselbe  Its  Jahr 
alt  sei,  ein  ansUindiges  Betragen  zeige,  Reinlichkeitsliehey  körperliche 
KraJt't  und  Süirke,  Verstand,  ein  tüchtiges  Gedachtuiss  und  den  Wunsch, 
zu  lernen  un<l  sein  Ziel  zu  erreichen,  besitze.  ,,Er  muss  eine  leine 
Zunge^  schmale  Lippen^  regelmässige  Zahne,  ein  edles  Aothtz,  w^hlge- 
Ihiiate  Nase  und  Augen,  ein  heiteres  Gemuth  und  feinen  Anst4ind  hallen 
und  Hihig  sein,  Mühen  und  Schmerzen  zu  ertragen.  Wer  andere  Eigen- 
sehaften  besitzt,  soll  nicht  zum  ärztUehen  Beruf  zugebk^sen  w«TderT/*  — 

Die  Aufnahme  des  Schülers  erfolgte  an  einem  GlüokHtage.  und 
die  dannt  verbundt^ne  Feierlichkeit  wurde  am  Abend ,  wenn  der 
Mond  und  die  Sterne  am  Hftnmc]  standen,  voUzogetu  Si»^  begann 
damit,  dass  die  Götter  auf  einem  Altar,  der  aus  einem  4  Eüen  nat^h 
jeder  Seite  messenden,  nach  Osten  odt^r  Norden  gelegenen  Erdwall  be- 
stand und  mit  Kiihdünger^  und  Kusa-Gras  (Foa  cynosuroides)  bedeckt 
wurde,  durch  Opfer  von  Reis,  Blumen  und  Pldelsteinen  verehrt  wurden, 
während  die  Brahmanen  und  Ärzk*  (ieKchenke  empüngen.  Hierauf 
zeichnete  der  die  l^remonie  leitt^nde  Brahmane  eine  Linie  auf  der 
Erde,  besprengte  die  Stelle  mit  Wasser  und  lieftis  den  Adepten  der 
Heilkunde  an  seiner  rts:^hten  Seite  sitzen.  A'or  ihn^n  wurde  ein  F*-uer 
anvrt'Uiai^ht,  in  ^velchem  nach  den  religiöi^en  Vorschriften  da«  Holz  von 
Khadira  (Acacia  catechu),  Falasa  (Butea  fromlosa)^  Devadaru  (Cedrus 
deud&ra)  und  V'ilva  (A<^gle  marmolos),  oder  von  Vata  (Ficus  Beaga- 
Jaina  duniiiam  (Ficus  glomerata),  Asvattha  (Ficus  religiosa)  und 
Hfldhuka  (Basaia  latifulia)  verbrannt  wurde,  nachdem  es  in  geronnene 
Milch,  Honig  und  abgeklärte  Butter  gi*taneht  wortlen  war 

Nach  der  Beendigung  des  Dpfei-s  führte  der  Lehrer  seinen  Schiiler 
dreimal  um  da^ä  Feuer  herum  und  sprach  zu  ihm,  indem  er  die  Gott- 


* 


*  The  Snsnitn  Sauihita  cd.  bv  Uimjv  Chand  Dutt,  Calciifta  IBSfl  (BibUo* 
iKioea  luiUctt,  fme.  490.  600). 
'  Die  Kuh  galt  rIb  heilig. 


In^HetL 


heit  des  Feuers  smm  Zeugen  anrief:  y.Lege  nun  ab  alle  Begierden,  den 
Zam,  die  Habsucht,  Thorheit,  Eitelkeit,  den  »Stolz  und  Neid,  die  Roh« 
hdt,  Betrügerei,  Falschheit,  Trägheit  und  alles  tadelnswerthe  Verhalten. 
Deine  Haiire  und  Deine  NägeJ  wirst  Du  jederzeit  kurz  geschnitten 
tragen,  ein  rothes  Kleid  anlegen,  ein  reines  Leben  fuhren,  wollüstigen 
Tarfcehr  vermeiden  und  Deinem  Yorgesetzten  gehorchen.  Du  sollst. 
daUfiiben,  umhergehen,  Dich  niederlegen  oder  niedersetzen,  e^ssen  und 
^^dieren,  wenn  ich  es  befehle,  und  immer  bereit  sein,  mein  Wohl- 
L^IBp^n  zu  (cirdern.  Wenn  Du  dies  versäumst»  wirst  Du  eine  Sünde 
P  VpoeD,  und  HÜes  Wissen  ist  Dir  unnütz  und  werthlüs.  Wenn  aber 
ich  schlecht  gegen  Dich  handele,  wahrend  Du  Deine  Pflicht  erfüllst^ 
9a  begehe  ich  eine  Sünde,  und  meine  Kenntnisse  werden  keine  Früchte 
tragen.''  —  Femer  ermahnte  er  ihn^  als  Arzt  später  die  Brahmanen, 
die  Lehrer,  die  j\jTnen,  seine  Freunde  und  Nachbarn,  die  Frommeru 
die  Waisen  und  die  fremd»>n  Leute,  welche  fern  von  ihrer  Heimatb 
sind,  unentgeltlich  zu  behandeln  und  ihnen  Arzneien  zu  reichen.  Da- 
gegen soll  er  Denen,  welche  auf  der  Jagd  Thiere  tödten  und  Vögel 
bogen,  sowie  den  Verbannten  und  Verbrechern  seinen  ar7tlichen  Rath 
Terweigem,  „Wer  so  handelt^  macht  sich  bekannt  ali^  gelehrt  und  erwirbt 
Freunde,  Buf,  Tugend»  Reichthum  uod  andere  wünsehenswerthe  Dinge," 
An  bejstimmten  Tagen  durfte  der  Schüler  nicht  studieren,  z.  B*  am 
&^  14.  und  15.  Tage  dos  Neu-  und  Vollmondes:  desgleichen  war  es 
ihm  verboten,  den  Studien  obzuliegen  „in  der  Drimmenmg  des  Morgens 
oder  im  Zwielicht  des  Abends,  l>ei  Donner  und  Blitz,  wenn  dies  zu 
einer  ungewr>hnlichen  Jahreszeit  geschah,  zu  der  Zeit,  während  der 
König  des  liande^s  krank  darnieder  lag»  nach  dem  Besuch  einer  Brand- 
ätatle^  nach  der  Theilnahme  an  einem  Begrabniss,  während  des  Krieges, 
bei  grossen  Festen,  l:»ei  unglücklichen  Naturereignissen,  z,  B.  l>ei  Erd- 
beben, l*eim  Fall  von  Meteoren,  sowie  an  solchen  Tagen,  an  denen  die 
Brahmanen  sich  des  Studiums  enthielt^m,  oder  er  ans  irgend  welciiem 
Grunde  für  befleckt  gelten  konnte/-  — 

te  Diesen  bisweilen  seltsamen  Verordnungen  lag  offenbar  der  ver- 
ftige  Gedanke  zu  Grunde,  den  Studierenden  die  bei  ihrer  Beschäf- 
ng  noth wendige  Erholung  und  Müsse  zu  verschaffen  und  sie  davor 
zu  bewahren,  dass  sie  die  ünterrichtsgegenstände,  wenn  ihre  Aufmerk- 
siiinkeit  durch  andere  Dinge  in  Anspruch  genommen  wurde,  in  ober- 
flächlicher oder  unvollständiger  Weise  in  sich  aufnahmen, 

SubKiTTA  verlangt  ferner  (Cap.  3),  dass  die  Studierenden  der  Heil- 
kunde sowohl  eine  theoa^tische  als  praktische  Bildung  erlialten;  zuerst 
stillen  sie  die  medicinischen  Schriften  lesen  und  dann  <lie  Ausübung 
der  Heilkunst  erlernen. 


10 


Der  meüomisöhe  T" 


im  Atimihtim. 


„Wer  nur  theoretiscJi  gebildet  ist,"   sagt  er>  „aber  UDcrfahren  in 

den  Einzelheiten  der  pmktisnhen  Behiandlimg,  weiss  nicht,  was  er  thon 
sull^  wenn  er  einen  Patienten  bf'kümmty  und  l»enirarat  sich  so  thöricht, 
wie  ein  Feigling  auf  dem  Schluchtt'elde,  Andererseits  wird  ein  Arzt, 
der  nur  praktisch,  nieht  aber  theoretisch  ausgebildet  ist,  nicht  die 
Achtung  der  besseren  Männer  erringen,"  „Diese  hnden  Klaxsiai  ung*^- 
nügend  vorl>ereiteter  Ärzte  sind  nicht  geeignet  zitr  Praxin,  ebenso weniu- 
wi<^  inn  Brahmane,  der  die  Veden  nur  zur  Hälfte  yelesen  hat.  di*- 
kircbliebeii  Ceremonien  verrichten,  udiT  ein  Yi»gel,  der  nur  «^inen 
Flügel  hat,  in  der  Luft  fliegen  kann.  IJ^^nn  wenn  die  Arzneien  von 
unwissenden  Ärzten  gereicht  werden,  su  wirken  sit*  —  mögen  sie 
auch  dem  Nektar  sfleichen  —  wir  Gifte  ndi^r  ander«^  Mittel  der  Zer- 
störung.'^ 

Derurti^^c  Arzte  erlangen,  wie  Stskuta  benierki,  nur  «hrnn  di<^ 
Erlaubniss  zur  Praxis,  wenn  die  Kegierung  sorglos  und  nachläüsig  ist. 

Der  Unterricht  bestand  darin,  dass  der  Lehrer  dem  8chüh»r  die 
einzelnen  AlKschnitte  aus  den  medicinischen  Schrift^^n  so  oft  vorlas  und 
Von  ihm  wiederholen  liesö,  bis  derselbe  sie  auswendig  wusstt\  Der 
Vortnig  sollte  „mit  hinter  und  khirer  Stimme  und  deutlicher  Betonung 
der  gesprochenen  Worte,  die  nicht  verschluckt  oder  durch  einen  nasalen 
Ton  entstellt  werden  durften,  geschehen," 

Der  Schüler  musste  tnicbten,  Das,  was  ihm  gelehrt  wurde^  nicht 
blüs   mit   dem  Gehör,    sondern   uuch    mit  dem  Verstiuide  zu  erfassenjd 
denn  sonst  ,,gleicht  er   dem  Esel,   der   eine  Ladung  Sandelholz  tragt ' 
und  nur  deren  Gewicht,  nicht  aber  deren  Werth   kennt**  ((-ap.  4).  — 

\}vm  Lehrer  wurde  aulgretragen  (('ap.  9),  den  S^'hüler  aucli  in  <W\ 
Ausführung  obirargisch<T  Operationen,  in  der  Anwendung  von  Salben^ 
sowie  überhaupt  in  praktischen  Dingen  zu  unterrichten,  fia  „ohne  prak- 
tische Ausbildung  durch  das  Anhören  der  Vorlesungen   und  die  WiedeN| 
holung  der  Vorträge    allein   Niemand    zur   ärztlichen    Praxis    iietabigl 
werde.*' 

Einzelne  chirurgische  Operationen  wurden  an  Frücbtt*n,  z.  B.  anj 
Melonen,  die  Punktion  an  Blasen  oder  ledernen  Beuteln,  die  mit  Wasser, 
Schlamm  oder  Lehm  gefüllt  waren,  die  SkariÜkation  an  behaarten 
liedertheilen,  welche  aufgespannt  wurden,  der  Aderlass  an  den  Blut- 
gefässen f^jdter  Thiere  oder  am  Stengel  <ier  Wasserlilie,  die  Unter- 
suchung mit  der  Sonde  an  wurmstichigem  Holz,  Bambus,  Rohr  und 
getrockneten  Kürbissen,  daa  Ausziehen  der  Zahne  an  todten  Thieren, 
das  t'ltfnen  von  Abscessen  an  eioem  Wachsklumpen,  welcher  auf  ein 
Stück  Salmali  (Holz  von  Bonil>ax  maiabaricuni)  aufgestrichen  wurd<', 
das  Nähen  der  Wunden  an  dicken  Kleidern  »»dor  an  dem  Bande  zweier 


weicher  Lederstüekchen,  das  Anlegen  von  Verbänden  an  menschlichen 
Figuren,  die  aus  Holz  oder  Thon  angefertigt  wurden,  die  Anwendung 

der  A^  1  und  des  Glöheisens  an  weichen  Fleisehtheilen,   und  die 

Heni"  irung   des  Urins    aus  der  Harnblase  oder  die  Entfernung: 

TOE  Elter  ans  dem  Becken  mittelst  Rohren  an  einem  irdenen  Topf, 
der  mit  einer  Rinne  versehen  und  mit  Wa^sser  gefüllt  war,  oder  an 
^fineiii  Kürbiss  gelehrt  nnd  geübt. 

Der  Chirurgie  wurde  in  Indien  eine  hervorragende  Beachtung  ge- 
'whenlrt^  Als  Dhan\"antari  (Cap,  1)  seine  Rchüler  fnigtc,  welche  Theile 
der  Heilkunde  er  ihnen  vortragen  solle,  antworteten  m:  Lehre  uns 
flUe,  aber  nimm  die  Chirurgie  zur  Grundlage  Deiner  Erörterungen!  — 
Die  indische  Medicin  hat  auf  diesem  Gebiet  bewundemswerthe 
Erfolge  errungen.  Die  indischen  Ärzte  kannten  die  Amputation,  die 
Paracentese  des  Unterleibs,  die  Laparatomle  und  Darmnaht,  entfernten 
den  Blasenstein  auf  operativem  Wege,  beseitigten  den  Staar  des  Auges 
durch  Niederdrucken  der  Linse,  unternahmen  plastische  Operationen 
und  führten  die  Wendung  und  Extraktion  bei  anomaler  Kindslage, 
sowie  den  Kaiserschnitt  an  schwangeren  Todten  aus,* 

Die  grosse  Anzahl  verschiedenartiger  Instrumente^  zeigt,  wie  er- 
fahren sie  in  der  chirurgischen  Technik  waren;  man  lindet  darunter 
Messer  von  verschiedener  Form,  Lanzetten,  SchrMpf köpfe,  Trocarts, 
ien,    röhrenförmige    Katheter,   8cheeren,    Knochensägen.   Pulypen- 

a,  Specula  u-  a.  m. 

Die  Untersuchung  des  kranken  Körpers  gt^schah  mit  grussi^r  8org- 

ilL     SüSRUTA  (Cap.  10)  ermahnte  die  jungen  Ärzte,   daljei    alle  fünf 

le  zu  Rath  zu  ziehen.     „Durch   das   Gehör   kann   man   z.  B.  fest- 

rileo,**  schreibt  er,  „ob  der  Inhalt  eines  Absoesses  schäumt  und  Lufl 

üthnltt,   da    die  Entleerung   desselben    in  diesem  Falle   mit   Geräusch 

rbunden  ist,  durch  d:is  Gefühl  erkennen,  üb  dir  Haut  heiss  oder  kalt, 

oder  ghitt,    dick  oder  dünn  ist^    mit   dem  Gesicht  die  Carpulenz 

Jer  Magerkeit,  *lie  Lebenskraft,  Energie  und  den  Wechsel  der  Farbe 

rahrnchmen,   durch    den  Geschmack   sich  fjbrr  die  Eigenschaften  des 

Urins  teim  Diabetes  und  anderen  Leiden  der  Harnorgaue  vergewissern, 

l«Dnd  durch  den  Geruch  die  manchen  Krankheiten  eigenthümliche  Aus- 

laustuug,    welche   eine    vi^rhani^nissvolle  Bedeutung   hat,    l>estimmen/* 

^u   gleicher  Zeit   niuss   man   den  Kranken    über   den  Charakter   der 

Gegend^  in  welcher  er  lebte,  über  die  Jahreszeit,   seinen  Stand,  seine 


•  VinxEi»  im  Janus,  Bd.  I,  8.  242  u.  E,  Breslau  1846. 

*  S<?lir  gut  zasammengeatellt  in  T.  Ä,  Wise:  Review  of  tlie  Histoiy  of  me- 
dicine  amoug  the  Asiatics,  LondoQ  1867,  VoL  1,  p.  354  u,  ff. 


BeförchtunjEren,  di**  Art  i*einer  8cliinorzf*ii,  sinne  Kraft-e^  mn^u  Appetit 
und  die  Dauer  seiner  Krankheit  liefragen,  hierauf  zur  Untersuchung 
de^  UrÜLs,  der  Blähungen  und  Abgänge,  sowie  des  Menstrualflusees 
(Übergehen  und  sieb  auch  bei  d«*r  Umgebung  des  Patienten  nach  dor 
Art.  seines  Leidens  erkundigen*" 

Die  indischen  Ar/te  waren  feine  Beobachter  der  Natur*  Sa  wussU^n 
sif»,  dass  die  Crepitation  bei  Knochen -Frakturen  die  Diagnu^ie  erleieJitere, 
und  der  Urin  in  manchen  KrankheitsriUleu  (IHabetes  nMitus)  sCi>>i 
^chmeoke,*  langst  bevor  diese  Thatsachen  in  Europa   »»eknnnt  wiirdeiK 

Die   hohe  Entwickelung   der   indischen  Heilkunde,    beöonden^   dvr 
rhinirgie,  erregt  umsomehr  Erstaunen,  ixh  das  Studium  der  Anatomie ^J 
und  Physiologie*   gänzlich    fehlte    oder   wenigstens  auf  taLschen  W'egen^H 
war.     Aus  den  geringen  anatomischrn  Kenntnissen  der  indischen  Ärzte 
geht  hervor,  das.«  sie  sicherlich   niemals  Sektionen  m</nschlicher  Ijeich- 
name  vorgenommen  haben;    übrigens    wurden    ihnen    derartige  Unter* 
guohungen  durch  die  Vorschriften  der  Religion  verboten  oder  mindesttnisj 
erschwert.     Gleichwohl  würdigkm  sie  die  Bt*deutung  der  Anatomie  lur 
die  praktische  Heilkunde  und  erklärten,   daas  sich  der  Arzt  eine  volU 
ständige  Kenntniss  des  menschlichen  Kor|M*rs  verschaffen    müsse,    ein 
er  die  Behandlung  der  Krankbeiton  unternehme. 

Zur  Ausübung   der  ärztlichen  Praxis    l)edarft^.^   es    der  Krlaubnint^ 
der  Obrigkeit,     Bei  Susrüta  (Cap.  10)  heisst  es,  dass  der  Schüler  der 
Heilkunde  nach  der  Bennditrong  seiner  Studien  den  Konig  bitten  müsst», 
dass  er  ihm  gestatt^t^  als  selbststiindigej'  Arzt  autzutreten.     Daljei  er- 
theilt  ihm  SrsBUTA  noch  einige  Lebensregeln,    welche   auf  die  sociale 
Stellung   der    indischen  Ante   ein   merkwürdiges  Licht  Worten.     ^Lass 
Dir  die  ILtart*  und  Nägel  kurz  sdineiden/*  schreibt  er,    ,Jiah**  Deinrn 
Körper  rein,   trage  weisse  Kleider,   xi^^he  Schuhe  an  und  nimm  einen] 
Stock  od*^r  Sidiirm  in  die  Hand*    Dein  Äussei^es  S(i  demütbig  und  Dem 
'Gemüth  r*'in  und  ohnt*  Arglist.     Z^nge  Dich  höflich   in   der  Uvdr  und 
freundlich  zu  allen  lebenden  Winsen  und  achte  daniuf,  «lass  Dein  Dient^ 
einen  gut-en  r'harakter  besitzt.** 

Beeondetv  Vorsicht  empti«:blt  er  ilmi»    wenn   srinr  Pritienten  „gM 
lehrt«  Brahmanen^  Fürst^m,  Weiber,  Kinder,  alte  Männer,   furchtsame] 
Personen,    Diener  des  Königs,   schlau**  und   st-hwachr  Personen,    Ver- 
liuimder  von  xirzten,    arme,    elende  oiler  reizban*  Menschen,    W;iisen- 
kinder  oder  Personen  sind,  welche  ihre  Krankheiten  verheimlichen  oder 
bei    ihren    Handlungen    nicht   beaufsichtiirt    werden.**      Sehr    ernstlich 


I 

»II* 
liaj 


*  Vielleicht  führte  me  die  Beobachrang,  daae  dio  AmeisfMi  du^eu  Harn  auf- 
0uchteti  und  genossen^  zu  di»>si?r  Ejitdpcknn^  i' 


wiinit  er  ihn  aber  dayor,  „mit  Weibem  zu  klatsebeii  oder  m  sebenen 
und  von  ihnen  Gt^chenke  anzunehmen  ausser  etwa  Esswaaren." 

fomec  giebt  er  ihm  den  klugen,  wenn  auch  keineswegs  menfiohen- 
teiUidliebeik  Hath,  „nur  solche  Personen  in  Behandlang  zu  nehmen, 
deren  Krankheit  heilbar  jst^  alle  unheilbaren  Krankheitiifälle  dagegen 
eben  und  üb^Thaiipt  jhIhti  Patienten,  der  nach  Jahresfrist  nicht 
geworden  sei^  zu  v  er  hissen,  weil  auch  heilbare  Lei<ien  nach  einem 
Jahre  gewöhnlich  imheill>ar  würden/'  — 

Cfi^VRAt/V^  trieb  die  Vursieht  noch   weiter^    wenn  er  den  Ärzten 

It,  „Leuten,  welche  beim  König  oder  beim  Volk  mlsüliebig  und 
ihrerseits  gegen  jene  verbittert  sind,  keine  Arxnei  zu  verordnen,  ebenso- 
wenig auKserordentUch  miÄSgestalteten,  verdorlM?nen,  schwierigi»n,  wilden 
und  intractiibeln  Personen^  denen  nicht  zu  rathen  und  zu  helfen  ist, 
und  Sterbenden,  desgleichen  nicht  Frauen,  ohne  da^^  ihr  Herr  oder 
lub^her  anwesend  ist" 

Mit  Verachtung  erfüllt  Chahaka^  seine  Schüler  vor  jenen  Leuten, 
„welche,  im  Aufzug  eines  gelehrten  Arztes  prunkend,  begierig  den  Oe- 
lagenheiten  zur  Praxis  nachstreichen.  Htihen  sie  von  einem  Kmnken 
<f*4!ort  so  eilen  sie  herbei,  eniptehlen  vor  seinen  Ohren  ihre  ärztüchen 
Fälligkeiten  und  sind  unermüdlich  in  der  ÄuMhlung  der  Fehler  des 
behandelnden  Arztes.  Die  Freunde  des  Patienten  suchen  sie  dnreki 
kkine  Aufmerksamkeiten,  Schmeicheleien  und  Einllüstenmgen  zu  ge- 
winnen und  rühmen  ihre  eigene  Anspruchslosigkeit  Haben  sie  sich 
an  eine  Kur  gemacht,  so  kommen  sie  alle  Augenblicke  zum  Besuch. 
Um  ihre  Unwissenheit  zu  verstecken  und  weil  sie  die  Krankheit  nicht 
2ü  heben  vermögen,  so  schieben  sie  den  Misserfolg  darauf^  dass  der 
Kranke  nicht  die  nothigen  Mittel  und  Pflege  habe  und  sich  nicht  ge- 
höiig  halte.  Merken  sie,  dass  es  mit  ihm  zu  Ende  geht,  so  machen 
at  sich  davon.     Treffen  sie  mit  Leuten  vom  Volk  zusammen,   so  ver- 

len   sie   sich   und   wissen   als  ünbetheiligte  ihre  Geschicküchkeit  ^ 
luszustreichen,  als  Laien  die  Wissenschaft  der  wirklich  Unterrichteten 
nbzQsetzen.    Das  Zusammenkommen  mit  Gehildet-en  aber  meiden  sie, 
wie   der  Wanderer   die  Gefahren   des   dichten  Waldes.**     Ein   lebens- 
i^fiisches   Bild,   dessen   dra^stische  Züge  viele  Ähnlichkeit  mit  manchen 
irschemungen  der  Gegenwart  zeigen!  — 

Die  Ärzte  nahmen  in  Indien  eine  angesehene  Stellung  ein.     Nie- 
ist   der   erhabene  Beruf  des  Arztes   schöner  und   treffender  ge- 
mildert worden,  als  in  flem  indischen  Sprach:  „Ist  man  krank,  so  ist 
der  Arzt  ein  Vater;   ist  man  genesen,   so  ist  er  ein  Freund;   ist  die 


>  «.  tt.  O.  6.  448. 


«  I,  29  bei  Roth  a.  a.  O.  Sw  452. 


14 

Kmnklieit  vorüber  und  ilie  Gesundheit  wiederhei^estellt,  m  ist  er  ein 
Küter.- 1 

Die  indischen  Arzte  waren  gleich  den  übrigen  Gelehrten  vofi 
"flliaern  und  anderer»  jja^t^n  befreit  und  wurden  für  die  Dienste,  welche 
ili  den  Kranken  leifsteten,  durch  Geschenke  belt>hnt.  Es  scheint,  dass 
ihre  Änspniche  in  sulchen  Fällen  nicht  gering  waren,  wie  sich  aus  den 
Mitthfilungen  über  die  seltsami*ii  Kuren  des  Arztas  Givakji  Komarab- 
hakku^  der  zu  Buddha's  Zeit  lebte,  ergiebt^  ^— 

Er  war  das  Kind  einer  Hetäre,  wurde  auf  Kost4?u  eines  Fürsteol^ 
der  sich  seiner  annahm^  er/ogeu  und  bildete  sich  dann  bei  einem  Lehrer, 
de^en  Unterricht  er  siebtm  Jahre  genoss,  zum  berülmiten  Arzt  aus. 
Hat  diese  Erzählung  vielleicht  eine  allei^orische  Bedeutung,  indem  sie 
die  niedere  kilufliche  Thäti^keit  des  Arztes,  welche  durch  die  höheren 
idealen  Zwecke  gead«'lt  wird,  veranschaulichen  wollte?  — 

In  den  Schulen  der  Bikkhus,  der  buddhistischen  Mönche,  welche 
nach  dem  Muster  der  Brabmanenschulen  entst^mden,  wurden  die  Wissen- 
schaften vernachlässigt  und  haiipl-sächiieh  die  Bildung  des  Charakters 
durch  ilie  Entsagung  der  W»dt  und  ihrer  Genüsse  angestrebte  Da  die 
Bikkhus  das  Leben  als  wertbbis  betrachteten,  so  achteten  sie  auch  nicht 
auf  die  Mittal,  es  zu  erhalten.  Ihre  Vorschrift,  nur  zu  essen,  was  An- 
dere übrig  gelassen  haben,  und  den  Urin  der  Kühe  als  Ueilmittel  zu 
geljrauchen,*  zeigt,  wie  geringen  Werth  sie  auf  die  Pflege  und  Gesund 
heit  des  Körpers  legten. 

Und  di»ch   war  es  gerade  ein   buddhistischer  König,    Asoka  od« 
Pryadarsio  genannt,    welcher  zur  Errichtung  von  Hospitälern  anregt 
und  zwar  nicht  blos  für  Menschen,   sondern  auch   für   die  Thiere; 
diesen  Anstalten  wurden  rur/ihche  Consultatiünen  ertheilt  und  Arzneieifl 
verabreicht j   ahnlich   wie  in  unseren  poliklinischen  Instituten.*     Aller- 
dings war  es  nicht  die  Ijiebe  zur  Wissenschaft,   sondern  das  Mitleid, 
welohes  Asoka  dabei  beseelte;   aber  die  nieiliciniHche  Wissenschaft  hat 
daraus  jedenfalls  Vortheile  gezogen. 

Auch  auf  re>b)n  gab  es  Kmnkenbrmser.    Der  Könit^  Pandukabhayi 
soll  schon  im  5.  Jahrhundert  v.  Chr.  ein  Hospital  in  seiner  Besidena" 
Annnidhapuni  gegründet  hal>en»  und  einer  seiner  Nachfijlger,  Duttha- 


at 


*  BöttTUWOK:  Indifichc  Sprüche,  Petersburg  1S70. 

*  The  »acred  books  of  the  east  transL  hy  Max  Mülleb,  Oxford  1881.  T.  XlII, 

p.  191,  xvii,  p.  iTs  tt.  a:,  XX,  p.  102  u.  ü\ 

»  Köpfen:  Religion  de»  Buddha,  S,  388, 

*  G,  BeitLEB:  Beihrfigt»  lur  Erklflnitig  der  Asoka- Inschriften  in  d.  Zeitschr. 
d.  deutschen  morgenl.  Gg^^  188H,  Bd.  37,  S.  98  11.  fi'.  {2.  Edikt  des  Konig»  Adoka, 
der  von  268—226  v.  Chr  regierte)» 


Ägtfptm. 


U 


gramini,  der  im  2,  Jalirhiiiidert  v.  Chr,  regierte,  durfte  sich  hei  sdnein 
Tode  rühmen,  dass  er  an  achtzehn  Orten  Krankenhäuser  errichtet,  mit 
Ausreichenden  Mitteln  versehen  und  dafür  ^esor^'t  habe,  dass  die  Lei- 
denden ärztlich  behandelt  wurden  und  Arzneien  erhielten. 

Vom  König  Budhadaso^  dessen  Lebenszeit  ins  4.  Jahrhundert  n.  Chr. 
fällt,  wird  erzähl^  dass  er  selbst  die  Heilkimst  auspreubt  und  ein  viel- 
benutztes Werk  über  die  Medicin  verfasst  habe.  Er  schuf  eine  das 
gamze  Land  amtassende  Sanitatsorganisation ,  stellte  für  je  10  Dörfer 
einen  Arzt,  an,  errichtete  überall  Hospitäler  und  nberwies  für  deren 
Unterhalt  die  Erträgnisse  von  2Ü  Ünrleni.  Ferner  gründete  er  An- 
stalten zur  Aufnahme  von  Krüppeln,  Verwachsenen  und  armen  Ver- 
lassenen und  sorgte  dafür,  dass  auch  das  Heer,  und  zwar  sowohl  die 
Soldaten,  als  auch  die  Elephanten  und  Pferde,  Arzte  hatten.^ 

In  Kaschmir  exisfcirien  schon  unter  dem  König  Meghavana  (im 
!•  Jahrhundert  n.  Chr.)  Spitaler.* 

Die  Beziehungen,  welche  die  Jndier  seit  dem  Feldzoge  Alexanders 
von  Maoedonien  zu  den  Griechen  unterhielten»  ihr  reger  Verkehr  mit 
den  benachbarten  Persem,  der  sich  später  auch  auf  das  wissenschaft- 
liche Gebiet  erstreckte,  and  ihre  Unterwerfung  durch  die  Araber  übten 
auf  die  Entwickelung  der  indischen  Heilkunde  einen  grossen  Einfluss 
aus,  während  in  neuester  Zeit  die  europäische  Medicin,  namentlich  die 
ärztlichen  Theorien  und  Einrichtungen  der  Engländer,  dort  massgebend 
geworden  sind. 


Ägypten. 

Bei  weitem  älter  als  die  medicinischen  Urkunden  der  Indier  sind 
diejenigen,  welche  über  die  Heilkunde  der  Ägypter  Autschluss  geben. 
Sie  stammen  aus  jener  ft-ühen  Culturperiode,  von  welcher  uns  die  Pyra- 
miden wie  gewaltige  Zeugr-n  einfjr  sagenhaften  Vorzeit  erzählen  und 
bestehen  in  bildlichen  Darstellungen  auf  den  Wänden  der  Tempel  und 
Graber,  in  Gebrauchsgegenständen,  z.  B.  chirurgischen  Instrumenten, 
ilie  sich  zufällig  erhalten  haben,  und  in  den  Papjros-Rollen,  von  denen 
die  wichtigeren  erst  in  den  letztee  Jahrzehnten  aufgefunden  und  ent- 
räthselt  worden* 


^  The?  MtiluiWfttiso  edit  hv  G.  Tukkoub^  Ceylon  1837,  p.  67.  196,  243.  245. 
*  Hbc9[|)ioeb  hat  daiiiber  im  Jautt^  (U,  393)  nach  den  Annales  de  Caschmir  | 
ILiiatASA  ciinige  Mittheüungen  gemacht. 


ner    | 


In  Ägypten  herrschte,  wie  in  Babvlon.  die  Sirtp,  »lie  Kranken  vor 
dm  Häusern  auf  die  Ötnissen  und  Wege  zn  lo^uii,  damit  ihnen  »lie 
Vorübergehenden  ihre  Rathschläge  zur  B^^eitinfunij  ihrer  1/eiden  er- 
theileo  konnten.  Das  Interesse  für  medicioische  Ding«'  erftilUe  daa 
ganze  Volk,  und  ,» Jeder  war  in  <1iesem  binde,  dessen  fruchtbarer  Buden 
eine  Menge  von  lieilmilteln  hervorbrachte,  gleielisam  ein  Arzt,  ein  Ab- 
komnüiDg  Paeous^  und  wusste  mit  dem  Men^ehen  Rtischeid/*^ 

Doch  gab  es  auch  Personen,  weiche  die  iirztliehe  Thätigkeit  l>enife- 
mässig  ausübten  und  dazu  durch  systematiseben  Unterricht  vorgebildet 
wurden.  Die  ägyptischen  Ärzte  ^^elangtt^n  wei^n^n  ihrer  glücklich 
Heilerfolge  zu  grossem  Ansehen  und  wurden  sogar  an  die  H<de  fremdi 
Fürsten  berufen.  Der  Peniw.^r-Konig  Cyrus  liess  zur  Behandlung  seiner 
kranken  Mutter  einen  Augenarzt  aus  Ägypten  kommt-n,  und  auch  Dariiis 
hatte  Leibärzte,  welche  von  dort  stamjiiten.- 

Der  ärztliche  Stand  gi'hörte  in  Ägypten  gleich  den  Vertretern  der 
übrigen  gelehrten  Beschäftigungen  zu  der  mit  manchen  Vorrechten 
ausgestatteten  Klasse  der  Priester.  In  den  mit  den  Tempeln  verbun- 
denen Schulen  wurden  nicht  blos  Priester,  sondern  auch  Richter,  Än?t^. 
Astronomen,  Matliematiker  tind  andere  Gelehrte  erzogen.  Diese  Ijehr- 
anst-alten  vereinigten,  wie  unsere  rniversitäten,  alle  höhere  Bildung  in 
sich  und  dienten  nicht  blos  dem  l  nterricht  sondern  auch  der  F*>rKcbung. 
Die  berühmtesten  die-ser  Schulen  befanden  sieh  zu  Heliopolis,  Memphis, 
Theben,  SaYs  und  Chcnnu. 

Die  Schüler  erwarben  hier  neben  einer  entsprechenden  Allgemein- 
bildung die  für  ihren  künftigen  Beruf  erforderlichen  fachmännischen 
Kenntnisse.  Sie  wohnten  in  den  zur  Schule  gehörigen  Häusern  und 
standen  unter  der  Aufsicht  und  Zncht  ihrer  Lehrer,  „Cl>erlass  Dich 
nicht  der  Trägheit/*  ermahnt  der  TiChrer  in  einer  von  Chabas  über- 
setzten Stelle  seinen  Schüler,  „denn  sonst  wirst  Du  streng  l^estraft. 
Hänge  Dein  Herz  nicht  an  Vergnügungen  und  sorge  dafür,  dass  die 
Bücher  nicht  Deiner  Hand  entsinken.  Übe  Dich  in  der  Bede  und 
sprich  mit  Denen,  die  Dir  an  Wissen  überlegen  sind.  Wenn  Du  älter 
sein  wirst,  wirst  Du  erkennen,  wie  nützlieb  dies  ist;  denn  wer  in  seinem 
Fach  tüchtig  ist,  erlangt  Macht  und  .Vnsehen.*^^  ^M 

Das    ägyptische  Studentenleben  scheint  in    numcheTi   Beziehungen^ 
demjenigen  der  heutigm  Zeit  geglichen  zu  haben.    So  rügt  der  Lehrer 
das  VerhaltiMi  seines  leichtsinnigen  Schülers  Ennana  mit  den  Worten: 
^¥m  ist  mir  berichtet  worden,  dass  Du  die  Studien  veraaehlässigst.  Dich 


'  Home»:  Od^isat»  IV,  229--232.  »  Hjlrodot  Ul  L   I2ö. 

*  CuABAs:  Mnlauge«  t^g)'ptologic|iiee,  P&m  1862,  p.  Ml. 


nach  Lastb&rkeiten  sehnst  und  yoe  Kneipe  zu  Kneipe  wanderst  Wolun 
fahrt  aber  der  Biergeruch?  Meide  ihn;  denn  er  treibt  die  Leute  Yon 
Dir  we^,  bringt  Deinen  Gei^^t  zurück  und  macht  Dich  zu  einem  Rader, 
da.^  zerbrochen  auf  dem  Schifi'  liegt"* 

Die  Studien  waren  nicht  den  Söhnen  der  bevorzugten  Klassen 
v«>rbehalt(^n,  sondern  uilen  Ständen  zuganglich.  FleiBs  und  Begabung 
galten  als  die  einzigen  Bedingungen,  welche  an  die  Zulassung  zum 
Statdinm  geknüpft  wurden. 

Der  Unterricht  stützte  sieh  üuf  die  ,,heiligen  Bücher^  in  welchen 
altes  Wissen  der  Ägypter  enthalten  war.  Als  ihr  Verfasser  wurde 
Toth  betrachtet,  der  Gott>  der  Weisheit,  ,,der  auch  den  Ärzten  giebt 
die  Erleuchtung'". 

Die  heiligen  oder  hermetischen  ^  Bücher  bildeten  eine  Art  von 
Bnoyklopädie  und  bestanden  aus  42  Abtheilungen.  Sie  behandelten  die 
Vorschrift4*n  der  Religion,  die  kirchlichen  Ceremonien,  Recht-^pflege, 
Philof^ophie,  Schreibekunst,  Geographie  und  Kosmogenie,  Astronomie, 
•lie  Lehre  von  den  Massen  und  Gewichten,  die  Medicin  u.  a.  m.  Mit 
der  letzteren  beschäftigten  sich  die  sechs  letzten  Bücher,  die  ^tAmbres", 
und  zwar  entlüelt  das  erste  die  Beschreibung  der  eiozelnen  Theile  des 
Kuq^ers,  das  zweite  die  Lehre  von  den  Krankheiten,  das  dritte  Erorte- 
nmgeti  über  die  chirurgischen  Werkzeuge,  wahrscheinlich  auch  über 
die  Operationen,  das  vierte  die  Arzneimittellehre,  das  tunfte  die  Schil- 
derung der  Augenleiden,  die  in  Ägypten  bekanntlich  sehr  verbreitet 
smd,  und  das  sechste  die  Lehre  von  den  Frauenkrankheiten.^  Der 
Verfasser  beginnt  mit  der  Anatomie,  als  der  Grundlage  der  Heilkunde, 
geht  dann  zur  Pathologie  über  und  bespricht  am  Schluss  die  Speciali- 
talen,  welche  die  Kenntniss  der  übrigen  Disciplinen  der  Medicin  zur 

Koianssetzong  haben;  er  ordnet  den  Stoß*  also  in  derselben  Weise,  wie 
k  der  rationellen  Systematik  unserer  heutigen  Wissenschaft  entsSpricht. 
Leider  ist  dieses  Lehrbuch  der  gesammten  Heilkunde  verloren  ge- 
Ingen ;  nur  einzelne  Bmchstücke  desselben  sollen  sich  erhalten  haben^ 
wdche  vielleicht  in  dem  von  Lepsius  herausgegebenen  Todtenbuche 
und  im  Papyros  El>er8  zu  finden  sind,  G.  Ebers  glaubt,  dass  der 
nach  ihm  genannte  Papyros  das  vierte  der  medicinischen  hermetischen 
Bücher,  also  die  Arzneimittellehre  enthalt,'*    Da  derselbe  im  17.  Jahr- 

*  LlAütu:  Die  iUt-{igyptit4che  HochKcbale  zu  Chenou  in  d.  Bitzungsber.  d. 
L  bayr.  Akad.  d.  Wis»,,  Histor.  Rl.  1S72,  S.  67, 

*  Toth  iüt  ilcr  Hermes  der  Griechen,  S.  Guioäiaüt:  de  'E^f*ofi  neu  Mer- 
eurii  m>-thologia^  Pari**  1835. 

*  Vergl  Cs.KMSiC8  AtBXANDRiNtJs:  Stromata,  Üb.  VI^  cap.  4,  Edit  Dindorf. 

*  G.  £bk^;  Papyros  Ebcra,  Leipzig  1875,  T,  I,  S,  9. 
PuscuiiAiCK,  üoterricbL  2 


Dtr  mäKmmmi»  Dnierrkhi  im  AUerthum, 


hund**rt  v.  (Uir.  ^geschrieben  wurde,  so  dürfte  er  eine  spätere  Bearbei- 
tun^^^  des  urNprunsriichcn  Tcxk's  darbiellen.    Auch  Galen  führt  mehrero 

Htellf^n  daraus  an,  obwohl  er  bektinntlich   von   dem  wissenschaftlichen 
Werfch  dieser  Schriften  keine  hohe  Meinung  hatte,  ^ 

Ob  die  H  niedicinischen  Bücher  gleich  den  übrigen  36  hermetischen. 
Büchern  allen  Studierenden  der  ägvptischen  Tempelschulen  vorp^etrapren 
wurden  oder  nur  eignen,  welche  die  Heilkuust  auszuüben  l)eabsichtigtea^ 
ist    niv.ht    bekannt.     Die  letzteren  mussien  jedenfaUi?   den   Inhalt   dec^ 
medicinischen  iSchriften  in  nich  aufnehmen  und  auswendig  lernen;  deniL 
^ie  waren  verpilichtet,  sich  in  ihrer  späteren  ärztlichen  HerufsthätisLjkeit 
genau  nach  den  dort  niedei^elegten  Vorschriften  zu  richten,  und  setzten 
sich  einer  .Strafe  aus,  wenn  sie  anders  handelt4?n,* 

Es  ist  nicht  wahrs;cheinlich,  dass  sich  der  ärztliche  Unterricht  auf 
dag  theoretische  Studium  der  zu  den  hermetischen  Schriften  gehörigen 
medicinischen  Bücher  und  der  dieselben  erklärenden  Werke,  an  denen  H 
die  mit  den  Tempelschulen  verbundenen  Bibliotheken  ohne  Zweifel  sehrl 
reich  waren,  beöchriinkt  hat.  Man  darf  annehmen^  dass  die  Schüler 
ausserdem  eine  praktische  Anleitung  zur  Untersuchung  und  Behandlung 
der  Kranken  erhalten  haben. 

Es  bestand  in  Ägypten  die  Einrichtung,  dass  die  Patienten  in  ditfl 
Tempel  gebracht  wurden,  w««  sie  von  ilen  Priesteni  Hilfe  und  Rettung 
von  ihren  Leiden  erwarteten.  Auch  wurden  die  letzteren  in  die  Woh- 
nungen der  Kranken  gerufen,  wenn  dieselben  nicht  in  den  Tempel 
gebracht  werden  kannten.  Wie  nahe  liegt  da  der  Gedanke^  da!*s  die 
Lehrer  der  Heilkunde  diese  Gelegenheiten  dazu  benutzten,  um  ihren 
Schülern  die  praktische  Ausfuhnaig  der  Theorien,  die  sie  ihnen  gelehrt 
hatten,  zu  zeigen?  - —  Auch  ist  es  sehr  wahrscheinlich,  dass  die  letzteren 
als  Zöglinge  der  Priester  der  Kranktnbehandlung  in  den  Tempeln, 
welche  als  eine  Art  von  Gottesdienst^  als  ein  religiöser  Akt^  betrachtet 
werden  kann,  beigewohnt  haben. 

Übrigens  berechtigt  auch  der  Zustand  der  ägyptischen  (leilkunst 
zu  der  Vermuthung,  dass  ihre  Erlernung  durch  praktischen  Unterricht 
erleichtert  wurde.  Aus  bibllichcn  Darstellungen,  welche  >^ich  auf  Tempel- 
wanden erhalten  haben,  geht  hervor,  dass  man  mit  der  Beschueidung 
und    Oa^^tration    Bescheid    wusste,^     Im   Papyros   Ebers    ist    von   der 


*  GALRirr  Ed.  Kfliui,  T.  Xf,  \\  798,  '  Üiopor.  1,  cap.  S2. 

*  In  Rohen BA.üMä  Ausgabe  von  K.  Sprenqelb  Gesch.  d<  ArzneikuDde  i  Leipzig 
1840)  Ud.  I,  S.  73  Aßin.,  wie  in  H.  HjksscRä  Lehrbuch  der  Gi*B«hichte  der  Mo- 
»lidri  iJi'na  1ST5)  Bd.  I,  S.  57,  findet  akh  die  Notias,  da«»  ilie  alten  Ägypter 
imch  die  Amputntion  gekannt  haben.  Diese  Angabe  stüljEt  »ich  auf  Larkev, 
welcher  in  »einer  RelaÖon  historiqne   et  chirurgicale  de  l'expedition  de  Tanuee 


Ägypten. 


IR 


/WuuDg  dm  Gesichts  in  den  Pupillen  hinter  den  Augen**  die  Bede: 
eine  Stelle,  welche  sein  Herausgeber  auf  die  Staaroperation  bezogen  hat» 
Der  Kaiserschnitt  wurde  an  Verstorbenen  in  Ägypten  vielbvicht  ziier4 
iDSgefohrt^  Lassen  sich  diese  Dinge  aus  dem  Buch  erb^raen?  —  Die 
lur  Ausführung  solcher  Operationen  erforderliche  Geschicklichkeit  kann 
our  erworben  werden,  wenn  man  die  dazu  gehörigen  Handgrifff-  <tfter 
^ehl  QQd  selbst  übt 

Auch  wurden  an  Mumien  geheilte  Kuochenbrüche  und  in  ihren 
Kielern  künstlich^'  Zühne  beobachtet  und  in  Gräbern  verschiedene  chi- 
rurgische Instrument'ej  wie  Messer,  Scheeren,  Lanzetten,  Pinzetten, 
S»}D(ien,  Schropfköpfe  aus  Rindshorn  u.  a.  hl  gefunden. 

DrT  anatomische  Unterricht  war  keinesfalls  mit  praktischen    De- 
monstrationen  menschlicher   Leicheutheile    verbunden.     Da  nach   den 
fieligiüöeo  Vorstellungen  der  Ägypter  die  Wohlfahrt  der  Seele  von  der 
mtigfhchst  gut^n  Erhaltung  des  Körpers  abhängig  erschien,  so  war  an 
■     lue  Zergliederung  menschlicher  Leichname  nicht  zu  denken.    Die  Ver- 
1      It^Uung  derselben  wurde  so  sehr  verabscheut,  diiss  selbst  die  Operationen, 
kigpiüßlche  vor  der  Einlralsamirung  an   der  Leiche  vorgenommen  wurden, 
f  dp»m  Paraschisten,  der  sie    vollzog,   Hass  und  Verachtung  eintrugen. 
fierjelbe  mussti»  sich  sofort,  nachdem  er  den  Einschnitt  in  die  linke 
Seite  des  Unterleibs,  durch  welohen   die  Eingeweide  entft*mt  wurdfm, 


doftent  (F«ris  1805)  p.  45  Anmcrk.  achreibt:  y,Le  (femrat  Demix  pourguMi 
V €tmemi  j$4squ  nu^tklti  des  cataracies  et  doftfui  ainst  n  la  commissiofi  des  arta 
I  iA  fatitit*^  de  et'siter  les  monufnents  de  la  fameuse  Th^s  ntix  ceni  pories,  leA 
L^Mjipt  rftn&mmeJf  de  Tentyra^  de  Carnak  et  de  Luxor,  dmit  lee  reetaa  atieetent 
t^mmtb  fantiqu€  ma*jnifi^ence.  C'e!*f  dans  kg  plafonds  ei  les  parois  de  eee  temptee^ 
qu'm^  foit  dee  bas-rdirfs  repreatntant  des  tncmbree  eoupes  avee  dee  instruments 
trlM-<inah^Hes  ä  ceux  doni  i*i  Chirurgie  se  seri  aujonrdkui  p<mr  ke  amputaüons* 
Qu  rftraute  ees  memes  instrwments  dans  les  hürofji^phes  et  Von  reeonnaU  ks 
traeea  d'autres  opiraHons  chirurglcQles,  qui  prourent  que  la  (Chirurgie  d^ins  ces 
i09^im  retuUs  wmrehaü  de  front  nrec  ks  atttres  arfs,  dont  la  perfection  paraU 
aroir  ^H  p&rUe  «  uft  (rks-kaut  degre'*.  Aber  weder  LKPsicß  (DenkmJCler  au» 
Ägypten  und  Äthioj>ien,  Berlin,  24  Bftnde),  noch  J,  Rosellixi  (I  moniim*mti  delV 
Ef^tlo  e  dellrt  Xul)J!it  PiJ^a  1 832 ,  4  Voll.)  bringen  ein  Bild,  das  sich  mit  Sicher- 
beit  Äuf  die  Amputation  beziehen  lässt  Vielleicht  deutet  der  fehlende  linke  Arm 
ilee  Gotteg  Chem  oder  Mtn  \ß,  Cüampollion:  Panth^'on  ^gyptien,  Paris  1824, 
pl.  4)  diLratiT  hin;  doch  lasseD  eich  ati£  den  seltsamen  Formen  der  ägjptiBuhen 
Oötterfiguren  keine  derartigen  SchlÜAse  ziehen.  Der  Beweis,  dass  die  Ägypter 
die  Ajuputation  gekannt  haben,  ist  somit  noch  nicht  geliefert  worden.  Die 
flfichCigeT  vielleicht  auf  einem  Missvcrständniss  bernhende  Angabe  LAaEEvs  mtiss 
erst  TOD  den  Ägjptologen  gepnift  und  anerkannt  »werden,  bevor  sie  als  hi»to- 
riBche  Thataache  gelten  darf, 

'  S.  BoesNBiiuM;    Anatect^   quaedam    ad    sectionis  eaesareae   andquitates, 
Halle  inu, 

2* 


20  Der  medicinisdie   Unterricht  im  Altetihuvi. 


gemacht  hatte,  flüchten,  weil  er  von  den  Verwandten  und  Freunden 
des  Todten  mit  Steinen  beworfen  wurde:  eine  Sitte,  welche  offenbar 
die  Vertheidigung  des  letzteren  veranschaulichen  sollte. 

Die  Paraschisten,  denen  jene  Verrichtungen  oblagen,  nahmen  in 
der  socialen  Rangordnung  eine  Stellung  ein  ähnlich  derjenigen  unserer 
Leichendiener.  Sie  besassen  weder  anatomische  Kenntnisse,  noch  irgend- 
welche wissenschaftliche  Interessen  und  wurden  durch  die  herrschenden 
Vorurtheile  von  Untersuchungen  abgehalten,  zu  denen  sie  nicht  ihre 
Berufsthätigkeit  nöthigte. 

Auf  die  Entwickelung  der  anatomischen  Wissenschaft  hat  daher 
das  Einbalsamiren  der  Leichen  keinen  fördernden  Einfluss  ausgeübt. 
Dies  geht  auch  aus  den  seltsamen  und  rohen  Vorstellungen  über  den 
Bau  und  die  Zusammensetzung  des  menschlichen  Körpers  hervor,  welche 
sich  in  den  Papyros-RoUen  finden.^  Damach  war  das  anatomische 
Wissen  der  ägyptischen  Ärzte  allerdings  sehr  gering;  doch  wussten  sie 
schon,  dass  das  Herz  der  Ausgangspunkt  der  Blutgefässe  sei,  welche 
sich  von  dort  aus  in  allen  Gliedern  des  Körpers  verbreiten:  eine  That- 
sache,  welche  selbst  einige  tausend  Jahre  später  noch  nicht  allgemein 
verstanden  und  anerkannt  wurde. 

Bei  der  Untersuchung  des  kranken  Körpers  waren  die  ägyptischen 
Ärzte  bemüht,  „den  Schlag  des  Herzens  zu  erforschen"*  und  die  Eigen- 
schaften des  Harns  zu  prüfen.  So  bemerkten  sie  bereits,  dass  der  Urin 
der  Schwangeren  trüb  und  reich  an  Niederschlägen  sei,*  und  führten 
diese  Erscheinung  unter  den  diagnostischen  Mitteln  an,  um  die  Schwan- 
gerschaft zu  erkennen. 

Grossen  Werth  legten  sie  auf  die  Diätetik  und  eine  vernünftige 
Lebensweise;*  sie  empfahlen  Reinlichkeit  und  Massigkeit,  Bäder,  Ab- 
reibungen und  Körperübungen,  um  die  Gesundheit  zu  erhalten.  Auch 
die  Heilkraft  der  Seebäder  soll  ihnen  bereits  bekannt,  gewesen  und  von 
ihnen  bei  der  Behandlung  des  Dichters  Euripides  benutzt  worden  sein.*^ 

Von  Brechmitteln,  Abführmitteln  und  Klystieren  wurde  sehr  häufig 
Gebrauch  gemacht.    Im  Pap.  Berol.  med.  I  finden  sich  28  Recepte  zur 


*  S.  z.  B.  Pap.  Berol.  med.  I,  welcher  von  Chabas:  M^langes  ^gypt.  p.  55—79 
und  von  Bruosch:  Recueil  des  monuments  ^gyptiens,  Leipzig  1868,  Partie  II, 
p.  101  u.  ff.  beschrieben  wurde. 

•  Pap.  Ebers  a.  a.  0.  I,  p.  27,  T.  45. 

•  Pap.  Berol.  med.  I  bei  Chabas  a.  a.  0.  p.  69. 

*  Hbbodot  ix,  87.  88. 

^  Diogenes  Laebt.  III,  6.  Man  glaubte  deshalb,  dass  der  Vers  des  Eubipidbs 
(Iphig.  auf  Tauris  v.  1198):  &dlXa(r(ra  xAt$Ce«  ndvta  «*  di/¥&(fimw^  »axe»  (Das  Meer 
spült  alle  Menscbenleiden  fort)  dadurch  hervorgerufen  worden  sei. 


i,ßeMtiing  Ton  Klystieren^  die  von  den  Alten  äberhaupt  fnr  eine  ägyp- 
che  Ertindung  gehalti»n  wurden.^ 

Mit  der  ärztlichen  Behandlung'  der  Kranben   wurden  die  itphet^e 

^rbnnden,    welche   für   den   betrettenden   Fall    \t»rgeschriel>en    waren. 

)em  geistlichen  Charakter  der  Ärzte  entsprach  es,  da^s  sie  diese  Öehet^e 

vernchteten   und  ihnen  mindestens  die  gluiche   Bedeutung   bei- 

»  wie  ihren  medicamentösen  Verordnunpjen.     Nur  selten  dürften 

ffl  jener  Zeit  solche  aufgeklärte  Anschauungen  gewesen  sein,  wie  ßie 

,|er  Arzt  Nebsecht  in  dem  von  G.  Ebers,  dem  gründlichen  Kenner  des 

.diafrvi»ii^hen  Lehens,  verftissten  Roman  Uarda  bekundet,  wenn  er  das 

j      Ateingen  der  Uebete  dem  alten  blinden  Pastophoren  Teta  überlasst 

^h      Die  Pastophoren   bildeten  eine  lüa^sse  der  Priester,  die  übrigens, 

^Bj^jnir  <n  Ebers  zu  erklären    die  Güte  hatte,    keineswegs   einen  so 

^^IpBgeu  Rang  einnahm,  wie  es  in  den  historischen  Werken  angegeben 

winl    Die  JLrzte  waren  verpflichtet,  einen  geistlichen  Charakter  zu  be- 

^Hgm  und  liessen  sich  deshalb  zu  den  Pastophoren  rechnen,  wenn  ihnen 

aiMdl  die    hühuren    Prie,sterwürden    wahrscheinlich    nicht    verschlossen 

(iliebeo*'     Dagegen  waren  die  Pastophoren   keineswegs   auch   zugleich 

inte,  wie  Manche  glauben,  sondern   hatten   In  ihrer  Mehrzahl  ganz 

udvre  Funktionen,  wie  schon  ihr  Name  besagt     Das  Verbfiltniss  der 

ophoren  m  den  Ärzten  war  ungefähr  das  nämliche,  wie  dasjenige 

Klerus  zu  den  Gelehrten  im  christlichen  Mittelalter;  auch  damals 

hrm^n  alle  Gelehrten  zum  Klerus ,  ohne  dass  alle  Geistliche  zu  den 

feiehrten  gezählt  werden  konnten. 

^¥iele  Ärzte  waren   Mitglieder  der  grossen    Priester-Collegien   und 

Jö  den  zu  den  Tempeln  gehörigen  Lehranst^ilten.   Sie  eriheilten 

dnischen  Unterricht  und   übten  die  ärztliche  Thätigkeit  aus. 

mh  für  diese  Stellungen   die  tüchtigsten  und  hervorragendsten 

Iter  ihrer  Kunst  wählte,  lag  im  Interesse  der  Priestor-Collegieu, 

Iren  Macht  durch  die  Anzahl  der  Schüler,  deren  Euhm  durch  die 

iJückliohen   Heilerfolge,  die  sie  in   ihren  Tempeln  t^rzielten,  vermehrt 

de. 

Die  Arztt»  nahmen  Theil  an  den  Vorrechten  und  Yortheilen,  welche 
Her  Priesterstand  in  Ägypten  genoss.     Sie  waren   von  Abgaben  befreit 
^^d  wurden  auf  öffentliche  Kosten  erhalten. 

^B     Von   den  Kranken  erhielten  sie  für  ihre  ärztlichen  Bemühungen 
^tir&r  keine  Bezahlung,  w*ihl  aber  Geschenke;  jedenfalls  erwarteti^n  sie, 


»  8.  Plixiü*»:   hiat.  öftt.  VI II,  c.   41,    wo    sie    ilem  %yplisdien  Ibis   ssug«- 

beu  wird. 

■  Der  Obcrpriester  von  Sais  führte  den  Titel  , , «oberster  der  Ärxtc**, 


22  Der  medicinische  Unterricht  im  AUerthum. 


dass  dem  Tempel,  an  welchem  sie  angestellt  waren,  nach  der  Beendigung 
der  Kur  Opfer  dargebracht  wurden.  Auch  wurden  nach  der  Heilung 
zuweilen  Modelle  der  geheilten  Körpertheile  im  Tempel  aufgehängt, 
wie  deren  das  British  Museum  in  London  mehrere  besitzt.  Während 
des  Krieges  oder  wenn  Jemand  unterwegs  auf  einer  Reise  erkrankte, 
waren  die  Ärzte  jedoch  verpflichtet,  unentgeltlich  Hilfe  zu  leisten.^ 

Ob  es  neben  den  Ärzten,  welche  den  priesterlichen  Character  be- 
sassen,  noch  andere  Heilkünstler  gab,  die  ihre  Thätigkeit  auf  empirischem 
Wege  erlernten  und  ausübten,  ist  nicht  bekannt,  wohl  aber  wahrschein- 
lich. Man  gebrauchte  für  „Arzt"  auch  die  Bezeichnung  „Sunnu", 
„Wissender".  Übrigens  dürfte  die  Zahl  der  priesterlichen  Ärzte  kaum 
allen  Bedürfaissen  genügt  haben. 

Wenn  erzählt  wird,*  dass  die  ägyptischen  Ärzte  sich  auf  die  Aus- 
übung einzelner  Theile  der  Heilkunde,  auf  die  Behandlung  bestimmter 
Krankheiten  beschränkt  haben,  so  dass  „der  eine  nur  die  Leiden  des 
Auges,  der  andere  diejenigen  des  Kopfes,  der  Zähne,  des  Unterleibs 
oder  der  inneren  Organe  behandelt  habe",  so  war  ein  so  ausgeprägtes 
Specialistenwesen  doch  nur  an  grösseren  Orten  möglich,  wo  der  Kranke 
unter  einer  Menge  von  Ärzten  die  Wahl  treffen  konnte.  An  den 
grossen  Tempeln,  deren  Priester-Collegien  mehrere  Ärzte  zu  ihren  Mit- 
gliedern zählten,  wird  allerdings  der  eine  sich  vorzugsweise  dieser,  der 
andere  jener  Specialität  gewidmet  haben;  aber  im  Allgemeinen  war 
eine  derartige  strenge  Trennung  der  einzelnen  Theile  der  Heilkunst 
undurchführbar. 

Die  ägyptische  Medicin  hat  einen  grossen  Einfluss  auf  die  griechische 
Heilkunde  ausgeübt  Ihr  fiuhm  überdauerte  die  politischen  Umwälzungen 
der  späteren  Zeit  und  bildete  einen  historischen  Hintergrund  für  die 
medicinischen  Schulen,  welche  Alexandria  zu  einer  hervorragenden  Pftege- 
stätte  des  wissenschaftlichen  Lebens  im  Alterthum  machten. 


Bei  den  Israeliten. 

Die  israelitische  Cultur  ist  eine  Tochter  der  ägyptischen.  Moses, 
der  grosse  Gesetzgeber  und  Lehrer  des  jüdischen  Volkes,  war  ein  Zög- 
ling der  ägyptischen  Priesterschulen  und  hatte  dort  ausser  anderen 
Künsten  und  Wissenschaften  auch  die  Heilkunde  studiert.^ 

^  DioDOR  I,  "3.  82.  —  Hebodot  II,  37.  »  Herodot  II.  84. 

'  Olembns  AlbxAndbinus:  Stromat.  IIb.  I,  cap.  153. 


Nach  igypüBöhem  Torbüd  begründete  er  bei  den  Ismeliten  einen 
Priesterstaad,  welcher  die  Vertreter  der  Intelligenz  und  Gelehrsamteit 
in  sich  vereinigte.  Seine  Mitglieder  erhielten  vom  Volk  ihren  Unter- 
halt un<l  di*^nten  demselben  als  Geistliche,  Lehrer,  lüchter  und  Ärzte, 
tDie  mosaische  Gesetzgebung  regelte  das  bürgerliche  Leben  durch 
VüTschriften,  welche  die  Sittlichkeit,  die  Gesundheit  und  das  Wohl- 
kefinden  zu  iordero  geeignet  waren.  Als  die  wesentlichen  Vurl>ediugungen 
ii0i  wurden  die  Vermeidung  von  Krankheiten  und  eine  Vernunft- 
geißisse  Diätetik  betrachtet.  Dazu  dienten  die  Gesetze,  welche  die 
Pflege  des  Neugeborenen,  die  Ernährung  de^  Kindes,  das  Verhalten  der 
jlatter  oder  der  Amme,  die  Beziehungen  der  beiden  Geschlechter,  z.  B. 
dan  Beisohlaf  mit  raenstruirenden  Fniuen,  und  die  Ehe  zwischen  Bluts- 
renrandten^  die  Keinüchkeit,  Kleidung,  Nahrung,  Wohnung  und  den 
Begriibmssplatz  betreflfen,  ebenso  wie  die  Anleitung,  um  Krankheiten, 
wie  den  Aüsyatz  oder  gewisse  Geschlechtsleiden,  zu  erkennen  und  deren 
Weiterverbreitung  zu  verhüten.^ 

Die   Heilung   von    ICrankheiten   erhoMte   man    von    Gebeten    und 

lern*  wie  es  dem  theurgischen  Chitrakter  der  jüdischen  Medicin  ent- 

ich,  nach  welchem  alle  Leiden  als  Strafen  Gottes  angesehen  wurden. 

rdera   wurden   auch    diätetische    und    medieamentüse   Mittel   an- 

endet.  - 

(legen  Hautausschläge^  empfabien  die  Priester-Ärzte  vor  Allem 
Absonderung  der  Kranken  von  den  Gesunden,  sorgfältigste  Rein- 
ihkeil  und  ött^re  Baden  Auch  von  Heilquellen  wusste.  man  Gebrauch 
machen.  Ebenso  erkannte  man  die  günstige  Wirkung,  welche  die 
Muüik  auf  manche  Geisteskranke  ausübt.,* 
^^  Bei  Knochen-Frakturen  legte  man  einen -Verband  an,'*  und  den 
^■DDQchismus  erzeugte  man  auf  zwei  Arten,  nämlich  durch  Zerquetschen 
^■der  durch  Ausschneiden  der  Hoden.  Auch  die  Ausführung  der  Be^ 
^■Bhiieidmng  zeugt,  davon,  düss  <lie  israelitischen  Priester-Ärzte  eine  ge- 
^fi$se  Geschicklichkeit  in  chirurgischen  Operationen  besassen. 
I  Von  Heluimmen  ist  schon  die  Kede,  als  sich  die  Juden  noch  in 


1  MusB8  II,  15,  26,  19,  6.  22,  31.    lU,  7,  2S.  IL  12.   13.  H.  15.  le.  18.  19. 

1».   IV,  12,  lö.  16,  41.    V.  14,  21.  28,  27,  58—61.  —  Ezbch.  18,  4  a.  a.  m. 

'  Vgl.  TRrsot:  Daretelkmg  der  hihlbehea  Kmnklieiten ,  Posen  1843,  B,  K 

J.  B,   Friedebich:    Zur  Bibel   Nüniberg    184S,   I,  S.   41   iL  tf.,   193  ü.  ff.    — 

,  J.  VVrKDKitBAB:   Hiblisc'.h-talunidisclit'  Medidti,  Eiga  und  Leipzig  18.'>0,  H.  1, 

Mtt.ff.,  S.  73u.  ff. 

'  Durch  die^n  aUgenieiaeu  Ausdruck  wird  SSaraat  richtiger  überaetzt,  ak 
Aussatz,  wie  es  gewohulich  gascbieht. 
*  84JACFBL  finch  I,  c.  16,  23.  ^  Ezech.  c.  aO,  2L 


24  Der  medicinische  Unterricht  im  Alierthum. 


der  ägyptischen  Grefangenschaft  befanden.  Ihre  Thätigkeit  wird  an 
einigen  Stellen  mit  naturalistischer  Ausführlichkeit  beschrieben.^ 

Grosses  Interesse  für  die  Naturwissenschaften,  besonders  für  die 
Heilkunde,  bekundete  König  Salomon,  welcher  selbst  darüber  ein  Buch 
verfesst  haben  soll.*  Unter  seiner  Regierung  machte  sich  bereit« 
der  Einfluss  der  Fremden,  namentlich  der  benachbarten  Phönizier, 
geltend. 

Noch  mehr  trat  dies  hervor,  als  das  israelitische  Volk  seine  staat- 
liche Selbstständigkeit  verlor.  Seine  politischen  Schicksale  brachten  es 
in  eine  enge  Verbindung  mit  den  Assyriern,  Babyloniem,  Chaldäem  und 
Persem  und  bot^n  seinen  Gelehrten  die  Gelegenheit,  die  Culturerrungen- 
schaften  dieser  Völker  kennen  zu  lernen  und  in  sich  aufeunehmen. 
Dadurch  gewannen  dieselben  eine  weite  Anschauung  über  die  geistige 
Entwickelung  des  Menschen  und  wurden  von  den  engherzigen  Vor- 
urtheilen  befreit,  welche  eine  Folge  der  kleinlichen  Verhältnisse  ihrer 
politischen  Zustände  waren. 

Die  Heilkunde  zog  daraus  den  Vortheil,  dass  die  ärztliche  PraxivS 
aufhörte,  ein  Privilegium  der  Priester  zu  sein.'  Neben  ihnen  übten 
fortan  nicht  nur  Laien  die  Heilkunst  aus,  sondern  man  wandte  sich 
sogar  an  Ärzte,  welche  nicht  dem  jüdischen  Glauben  angehörten.  In 
späteren  Zeiten  ging  man  in  dieser  Beziehung  so  weit,  dass  man  sogar 
die  Beschneidung  von  einem  nichtjüdischen  Arzt  vollziehen  liess,  wenn 
kein  israelitischer  Operateur  anwesend  war.* 

Ebenso  war  es  auch  den  israelitischen  Ärzten  gestattet,  den  Anders- 
gläubigen Hilfe  zu  leisten.  Sie  durften  für  ihre  Dienste  Bezahlung* 
fordern  und  wurden  von  ihren  Mitbürgern  geachtet  und  verehrt* 

Von  den  Behörden  wurden  sie  in  Fragen  der  Sanitätspolizei  und 
gerichtlichen  Medicin  zu  Rathe  gezogen.  Später  musste  jede  Stadt 
ihren  Arzt  haben  und  ausserdem  bisweilen  noch  einen  Chirurgen.  Sie 
hatten  ausser  anderen  Obliegenheiten  die  Pflicht,  die  Beschneidung 
auszuführen. 

Für  die  Priester,  welche  bei  ihren  Ceremonien  im  Tempel  durch 
die  kalten  Bäder,  die  leichte  Kleidung,  das  Barfussgehen  auf  den  kühlen 
Steinen  und  das  Fasten  häufigen  Unterleibserkrankungen  ausgesetzt 
waren,  wurden  besondere  Ärzte  angestellt.^ 

»  Moses  I,  25,  24—26.  88,  27—30.    H,  1,  15—21. 
'  SuiDAs:  Ezechias. 

■  Stbbakd:  Diss.  bist.  med.  de  necessitate  quae  fiiit  apud  veteres  inter  re- 
ligionem  et  medicinam,  Anistel.  1841,  p.  28  u.  ff. 

*  Talmud  Tr.  Menachoth  42*.  »  Mose»  II,  21,  19. 

«  Jesus  Sirach  38,  3.  ^  Talmud  Tr.  Schekalim  V,  1,  2. 


Wenn  der  ärztUebe  Beruf  Jedem  offen  stand,  so  scheinen  sich  ihm 
doch  vorzugsweise  die  Angehörigen  des  Priesterstandes  gewidmet  zu 
hÄben,  wie  aus  den  Mittheilungen  htrvoTgeht  In  Jen  Priester-Schulen 
ebenso  wie  in  den  Propheten-Schulen,  wt4che  von  erwachsenen  Jüng- 
liBgen  besucht  wurden,  wurde  die  Heilkunde  wegen  ihrer  innigen  Be- 
oebüngen  xur  religiösen  und  bürgerlichen  Gesetzgebung  der  Juden 
stcherlich  in  den  Bereich  des  Unterrichts  gezogen.  Einige  Propheten, 
fie  i,  B.  Elisa,  waren  wegen  ihrer  glücklichen  Heilerfolge  berühmt. 

Wer  als  gelehrter  Mann  gelten  wollte,  musste  einige  medicinische 
Kenntnisse  besitzen.  Sie  gehörten  zur  Allgemeinbildung  und  wurden 
ion  Denen  verlaugt,  welche  im  öffentlichen  Leben  eine  hervorragende 
Stdlang  einnehmen  wollten. 

Die  eigentliche  fachmännische  Am^bildung  der  Ärzte  geschah  wohl 
imh  die  persönliche  Unterweisuns:  des  Schülers  durch  einen  Lehrer, 
der  in  der  Heilkunst  geübt  und  erfahren  war.  Über  die  Art  d<^s 
fnterrichts  und  die  dabei  gebrauchten  Hilfsmittel  besitzen  wir  leider 
li^Dt'  Nachrichten  aus  der  älteren  Zeit,   sondern  nur  aus  der  sjiäteren, 

talmndischen  Periode. 

Der  Talmud,  dessen  Entstehung  in  die  ersten  Jahrhunderte  n,  Chr. 
ßllt,  enthalt  eine  Menge  von  Ausdrücken,  welche  dem  Wortschatz  der 
grieohischen  Sprache,  besonders  ihrer  medickiischen  Terminologie,  ent- 
It'hnt  sind,  und  sogar  direkte  Hinweise  auf  die  Beziehungen  zur  Heil- 
konde  der  Griechen.  Die  talmudische  Medicin  entl>ehrt  der  Originahtät 
md  rtütet  sich  hauptsächlich  auf  die  Lehren  der  griechischen  Ärzte.  * 

Die  anatomischen  Kenntnisse  der  Talmudisten,  von  denen  Einige 

dk  Ärzte  auszeichneten,  erheben  sich  nicht  über  Das,  was  Galen 
en  hatte,    Beachtung  verdienen  ihre  Beobachtungi^n  über  die 

vickelung   des  Fötus,    besonders    die  Bildung   der    Knochen.      Sie 

aen  zu  diesem  Zweck  bereits  Zergliederungen  menschlicher  Leichen 
So  wird  im  Talmud  erzahlt,   dass  die  Schüler  des  Rabbi  Ismael 

Elisa  an  dem   Leichnam   eines   liederlichen  Weibes,    welches   die 

desstrafe  erlitten  hatte,  flie  einzelnen  Knochen  studierten,  und  das8 

fcbi  Ismael  die  Fniohte  schwangerer  Sklavinnen,  die  zu  diesem  Zweck 

^hn^nd  ihrer  Schwangerschaft  getödtet  wurden,   untersuchte,    um  die 

Enfcwickelung    des    menschlichen    Körpers    kennen    zu    lernen.^      Zu 

iWcher   Zeit   suchten   die    talmudischen    Gelehrten    durch    Sektionen 


'  J.  B£R0EL(T)ie  Metiicin  der  Talmudisten,  Berlin  vi.  LeipJtig  1885)  bestreitet 
(iiew  Abhfingigkeit,  vermag  aber  für  seine  AnBieht  keine  Thateacben  aiizufübren. 

'  J.  M,  RjLBBniOWicz:  La  medecine  du  Thalmud,  Paris  1880»  p.  75.  — 
KiBUurowicz:  Einleitung  in  die  Gesetzgebung  und  Medicin  dee  Talmuds,  deutsche 
l-^berK  1883,  S.  250.  —  Talmiiil  Tr.  Beühoroth  45*. 


26  Der  medidnische.   Unterricht  im  Altertkum. 

von  Thieren  ihr  anatomisches  Wissen  zu  erweitern  und  zu  vervoll- 
ständigen. 

Sie  erkannten,  welche  Bedeutung  die  Beobachtungen  und  Versuche 
an  Thieron  für  die  medicinische  Wissenschaft  haben,  und  bauten  darauf 
Schlüsse  und  Folgerungen.  Auf  diese  Weise  fanden  sie,  dass  Ver- 
letzungen der  Niere  nicht  immer  todtlich  sind,  und  die  Milz  entfernt, 
sogar  der  Uterus  herausgeschnitten  werden  kann,  ohne  dass  dadurch 
der  Tod  des  Thieres  herbeigeführt  wird.^ 

Die  Ärzte  führten  Amputationen  aus  und  kannten  den  Gebrauch 
künstlicher  Füsse  und  Beine,*  wussten  mit  Frakturen  und  Luxationen 
Bescheid,  sollen  den  Nabelbruch  der  Neugeborenen  durch  einen  Druck- 
verband geheilt  und  bei  Verschluss  des  Afters  eine  künstliche  Öflfnung 
gemacht  haben,  operirten  Hamfisteln,  beobachteten  den  Hermaphro- 
ditismus, wiesen  auf  die  Thatsache  hin,  dass  der  Descensus  testiculorum 
zuweilen  unterbleibt,  und  veröffentlichten  einige  werth volle  Erfahrungen 
über  die  Verletzungen  innerer  Organe.^  So  machten  sie  z.  B.  darauf 
aufmerksam,  dass  nach  der  Verletzung  des  Rückenmarks  bei  Thieren 
die  hinteren  Extremitäten  gelähmt  werden. 

Sie  besassen  eine  grosse  Anzahl  chirurgischer  Instrumente  und 
Apparate*  und  zeigten  sich  auch  in  der  operativen  Geburtshilfe  ge- 
wandt und  erfahren;  denn  sie  kannten  mehrere  Ursachen  des  Abortus, 
unternahmen  die  Embryotomie^  und  führten  den  Kaiserschnitt  an 
Todten,  wie  auch  an  Lebenden  aus.® 

Die  talmudischen  Gelehrten  widmeten  den  medicinischen  Schriften 
der  Griechen  ein  eifriges  Studium  und  machten  deren  wissenschaftliche 
Errungenschaften  den  Ärzten  des  jüdischen  Volkes  zugänglich.  Die 
griechische  Heilkunde  war  damals  bereits  Gemeingut  der  ganzen  ge- 
bildeten Welt  geworden. 

Die  Juden  besassen  in  jener  Zeit  berühmte  Hochschulen  in  Ti- 
berias,  Sura  und  Pumbeditha,  an  denen,  wie  einst  in  den  Propheten- 
Schulen,   wahrscheinlich  auch  die  Medicin  wenigstens  in   ihren  allge- 

*  Rabbinowkjz  a.  a.  0.  —  Talmud  IV.  Sanbedrin  21,  33»  u.  93',  BeohoroÜi  28**. 
»  Wunderbar  a.  a.  0.  IV,  S.  66—68. 

'  Rabbinowicz  a.  a.  0.  S.  258  u.  ff. 

*  Wunderbar  (a.  a.  0. 1,  S.  50 — 56)  zählt ^56  verschiedene  Arten  auf,  darunter 
Messer,  Scheeren,  Sonden,  Lanzetten,  Schröpfliömer,  Bohrer,  Tripperbeutel, 
Löffel,  Siebe  u.  a.  m. 

*  Talmud  Tr.  Bechoroth  46%  Nidah  19. 

*  Über  die  Bedeutung  von  Joxe  dophan  s.  auch  Vibchow's  Archiv  Bd.  80, 
H.  3,  S.  494.  Bd.  84,  H.  1,  8.  164.  Bd.  86,  H.  2,  S.  240.  Bd.  89,  H.  3,  S.  377. 
Bd.  95,  H.  3,  S.  485.  —  A.  H.  IsbaSls  in  d.  Ned.  Tijdschr.  v.  Gekbesk  1882, 
p.  121  u.  ff. 


Bei  dm  Fartm. 


27 


mrinen  GrundzAgeii  gelehrt  wurde»  Der  TJBterricht  währte  nur  t'inrn 
Tkil  ^e8  Jahres;  in  der  üUrigi-»n  Zeit  giDgen  die  StudiurHiidi^n  ihren 
n  nachy  um  sich  deD  noth wendigen  Lel>ensunterhalt  zu  er- 
Es  hefanden  sich  duninUT  HandwtTker,  Kaiifletite,  vieUeicht 
iflch  Ante,  welche  ^on  den  Lehrern  der  Hochschule  flie  wissenschatV 
liijk  Begründung  ihrer  Beobachtungen  zu  erfahren  bemüht  waren, 
mnekehrt  erbaten  sich  auch  die  Gelehrten,  welche  nur  in  der  Theorie 

iigch  waren,  in  zwciMhaften  schwierigen  Fällf^n  d*^r  Praxis  von 
«rfahrenen  Ärzten  Auskunft J 

Manche  Ärzte  scheinen  sowohl  die  Behandlung  der  inneren  als 
der  äusseren  lieiden  unternommen  zu  halKUj  wahrend  sie  sich  in 
anderen  Fällen  nur  der  einen  oder  der  anderen  Richtung^  der  Heilkunde 
nnriodten. 

Wer  die  ärztliche  Praxis  aui5Ül>en  wollte,  b-e<lurfte  dazu  der  Er- 
iMUboiss  der  Obrigkeit  des  Ortes,  an  welchem  er  sich  niederzulassen 
föBSchie.  ..Niemand  »larf  die  Heilkunsl  ausüben,  er  ^ei  denn  dieser 
Kansit  auch  Tollig  kundig,  und  wer  sieh  ohne  Erhiubniss  des  Beth-Din 
(im  Käthes  der  Stailt)  mit  der  Ausul>ung  derselben  beschäftigt,  ist 
i\  selbst  wenn  er  deren  auch  völlig  kundig  ist,**^  Ob  diese 
..5.j:\bation  auf  Grund  von  Prüfungen  enheilt  wurde,  und  welcher 
Art  dieselben  waren,  ist  mir  nicht  bekannt. 

In  den  folgenden  Jahrhunderten  verschmolz  die  jüdische  Medicin 
u}llstandig  mit  derjenigen  der  übrigen  Völker.  Die  jüdischen  Ärzte 
riD'l  Gelehrten  übten  einen  fördernden  Einfluss  auf  die  wissenschatV 
b^he  Entwickelung  der  Heilkunde  aus,  namentlich  im  Mifctelalt^T, 
und  hÄben  zu  jeder  Zeit  eine  hervorragende  Stelle  auf  <lirsem  Gebiet 
'behauptet. 


Bei  dea  Färsen, 

Über  die  Medicin  der  alten  Perser  sind  uns  nur  spärliche  Nach- 
nchlen  überliefert  worden.  Auch  hier  stand  die  Heilkunst  Anfangs  in 
omigen  Beziehungt^n  zum  Cultus^  und  die  Priester ^  die  Magier,  übten 
dieselbe  aus.  Sie  bestand  im  Allgemeinen  darin,  dass  ^lie  Krankheiten, 
welche  von  hosen  Geistern  hervorgerufen  wurden,  durch  Beschwöningen 


'  P.  Bser:  Skizze  einer  Geschichte  der  Erziehung  untl  de^  Unterrichts  bei 
te  lineUten,  Prag  1S32.  S.  55. 

■  Tfilmad  Tr,  Nidah  2»'.  *  Wi  ndebbar  a,  a.  0.  1,  S.  a«. 


weggebetet  wurden.  Dumit  verbanden  sioh  manche  abergläubische  Cere- 
monien;  die  Mag^ie  feierte  liier  ihre  Vermahlim^^  mit  (l**r  Mi'dicin.  ^ 

Thrita,  t^n  von  der  Süge  yfefeierter  Heid,  welcher  üpilter  unter  <li«» 
Geister  des  Himmels  versetzt  wurde,  galt  als  der  ernte  Arzt,  dem  es 
elang,  die  Krjuikheit-eii  zu  beseitigten  und  die  Dämunen.  welehe  sie 
'^sandten,  zu  besiegen.  Er  wurde  daher  als  <ler  Kohutüiütron  der  Ärzte 
und  gleichsam  als  Gott  der  Heilkunst  verehrt. 

Die  religiösen  Ges**tzijücher  der  alten  Perser  emplahlen  die  Rein- 
heit der  Seeli^  und  tle.s  Körpers  als  das  beste  Mittel,  uru  Ivrankheiten 
zu  verhüten.  Mit  strengen  Strafen  wurden  geschlechtliche  Auü^ 
Schweifungen  bedmht.  Ebenso  war  auch  ilas  Abtreiben  der  mensch- 
lichen Frucht  verlioten. 

Über  die  Bi^handlung  tb*r  Krankheiten  erfahren  wir,  dass  ausst^r 
dem  Gebet  auch  Medicamente,  deren  sie  eine  grosse  Anzahl  aus  dm 
Ptlanzenreiche  kannt/en,  sowie  das  Messer  zur  Anwendung  kamen.  Als 
die  vorzüglichsti'n  Ärzte  wurd<»n  diejenigen  betrachtet^  welche  die  Leiden 
durch  das  Gebet  allein  heilten;  sie  waren  gleichsam  „die  Ärzte  dej 
Ärzte**.  Ihnen  folgten  Diejenigen,  welche  Arzueiiränter  verordnete« 
und  die  letztt^  Stolle  nahmen  Jene  ein,  welche  zum  Messer  griffen.* 

Wer  als  Arzt  auftreten  wollte,  musste  sich  zuerst  an  den  nieden» 
verachteten  Kasten  üben.  Erst  wenn  er  an  Mitgliedern  dieser  Stand 
drei  erfolgreiche  Kuren  ausgeführt  hatte,  durfte  er  auch  in  den  höhere 
Klassen  der  Gesellschaft  praktioiren.  Starben  jedoch  die  drei  Prob« 
Patienten,  so  konnte  er  niemals  Arzt  werden. 

Wie  im  alten  Ägypten,  so  übten  auch  hier  die  Ärzte  zugleich  d' 
Thierheilkunde  aus. 

Man  hatte  eine  Art  Mi^licinal-Taxe,  deren  Höhe  >ich  nach  dei 
Stande  und  dem  Reich tluim  iles  Kranken  richlete.  Von  einem  Priest^ 
durfte  der  Arzt  für  seine  Dienste  nichtxs  weiter  fordern,  als  seim 
Segen;  dagegen  erhielt  er  von  dem  Olterhaupt  einer  Lanilschaft  vU 
Ochsen,  von  dessen  Frau  ein  weibliches  Kameel,  vom  Überhaupt  ein« 
Stadt  ein  grosses  Zngthier,  von  dessen  Frau  eine  Stute,  vom  Oberhauj 
eines  Dorfes  ein  mittleres  Zngthier,  von  dessen  Frau  eine  Kuh,  voi 
Besitzer  eines  Hauses  ein  kleines  Zugthier  und  von  dessen  Frau  ein 
Eselin.  Desgleichen  war  auch  vorgeschrieben,  wie  viel  er  für  dj 
Heilung  der  verschiedenen  Hausthiere  verlangen  durfte.* 

Diese  wenigen  Bruckstücke  geben  keine  Aufschlüsse  über  die  med. 
cinischen   Kenntnisse    und    den   ärztlichen    Unterrieht    bei   den   alt^ 


*   PuNiu»:  liist.  uat  XXX,   1. 
»  Vcudidud  VU,  US- 121. 


»  Ebenda  VII,  105.  117, 


fwseni  and  gestatli?ii  kein  Urtheil  über  den  Znstand  ihrer  Heilkunde. 
Jedenfalls  wurden  ihre  Ärzte  später  von  den  ägyptischen  und  jc^echischen 
Fachgenossen  an  Wissen  nliertroffen,  da  sich  die  persisi^ln'o  Könige 
\nU^  ans  diesen  Ländern  an  ihren  Hot"  kommen  liessen. 


Bei  den  Griechen  vor  Hippokrates. 

Die  ältesten  Nachrichten  über  die  griechische  Heilkunde  hüllen 
«ich  in  das  Gewand  der  Mythe.  In  ihnen  erscheint  Apoüon  als  der 
Gott*  welcher  Krankheiten  und  Seuchen  sendet,  aber  auch  die  Mittel 
gewahr^  um  sin  ?m  heilen  und  *üe  tTliel  abzuwehren. 

hh  spät-er  die  einzelnen  Thriiigkeitsäusserungen  die^ses  Lichtgotte% 
i^  in  dem  Cultus  des  Naturvolkes  offenbar  an  die  8telle  des  Helios 
getreten  war,  personificirt  wurden  und  besondere  Vertreter  i^hielten, 
Übernahm  Asklepios  die  Rolle  des  Gottes  der  Heilknnst  Die  Sage 
BSDöte  ihn  den  Sohn  Apollons,  um  dem  innigen  YerhilUniss  der  Beiden 
Ausdruck  zu  geben.  Aufgeklärt-e  Griechen  der  späteren  Zeit  erklärten 
diffidbe  in  allegorischer  Weise,  wenn  sie  sagten:  „Asklepios  sei  <üe 
im  Menschengeschlecht  und  allen  Thieren  zur  Gesundheit  unentbehr- 
liche Luft,  Apoüon  aber  die  Sonne,  und  mit  Recht  nenne  man  ihn 
df»n  Vater  des  Asklepios,  weil  die  Sonne  dureli  ihren  Jahre^lauf  die 
\  gesund  mache."' 

HöMEB  und  PiNDAR  rühmen  die  Heilerfolge  des  Asklepios;  aber 
i«der  sie  noch  Hesiod  nennen  ihn  einen  Gott  Wie  der  Ruhm  seiner 
Kuren»  von  der  Legende  aufljewahrt  und  von  der  Nachwelt  vergrüssert^ 
»Umalig  zu  seiner  Apotheose  führte,  darüber  ist  uns  leider  keine  Kunde 
ilterhefert  worden.  Später  wurden  ihm  Tempel  errichtet  und  von 
eri';  ■  'hen  Verehrern  eine  Machtfalle  zugeschrieben,   gleich   tler- 

jt'i:  _  ^  Zeus,  des  Schöpfers  und  Erhalters  aller  Dinge. 

Die  Dichter,  welche,  wie  schon  Hebodot*  schreibt,  in  der  Mytho- 
logie einen  dankbaren  Stoff  fimden,  schmückten  die  Erzrihhingen  von 
i^  Geburt  und  dem  Leben  des  Asklepios  mit  ihrer  reichen  Phantasie. 
PumiLB  berichtet^  dass  er  von  dem  Centanren  Cheiron  in  der  Heilkunde 
unterrichtet  worden  sei, 

„uni  «H  lehren  des  krankheit»  vollen  Web>  Hei  Hinderung 
Jedem«  wem  eiDwohnenil  die  Wund'  aii  dem  Lt^ib 


PAcaufUs  VII,  23. 


*  Heropot  II,  53. 


L 


3U 


Der  mtdieimmi^  (Mterriekt  im 


I 


mUmI  enrticli§^  watk  weldi«,  ^  GIMer  TerSelxt  darcb  dniaklia«  Efx  amifthtea  tinii 

dttreh  femgedidileiulerteii  Btdn; 

Deoeii  von  Olntlieii  des  Sommerm  roo  Killte  der  L«ib  tuoseliHAn«! 

erlM  KUencnt  er  aiis  rielfiüti^er  QqaI 

lilitrend^  hier  eindchlftfemd  d^s  Weh  mit  der  KmÜ  mmniithigtfr 

Spruch*  uDtl  enjuicklicheni  Trank  oder  sanft  Heilsalben  auf  ihre  t^dtm  hin 

f&gend  nnd  Andere  dorch  Aiifi»chnitt  vtellt  er  anfwärta.^' 

Dem  Asklepi<)s  standen  seine  Gemahlin  Kpione,  „<Me  SchmerziinileriD  \ 
und  cseine  T5chter  Hv^ieia,  Jaso  und  Panakeia,  deren  allegoii^iche  Be- 
deutung man  schon  aus  ihren  Namen  erkennt»  helfend  snir  Seite. 
Mehr  historische  Wahrheit  besitzt  vielleicht  die  Angal>e,  dass  er  zwei 
Sohne,  Ma^hauQ  and  Podalirios.  hatte,  auf  welche  er  seine  Kenntnisse 
in  der  Ueilkunst  vererbte. 

Dieselben  werden  untor  ^len  Freiem  der  Helena  aufgeführt  und 
zogen  als  Führer  der  theüsalischen  Krieger  von  Trikka.  Ithome  und 
Oichalia  mit  dem  grieehiäi^hen  Heere  nach  Troja.  Sie  galten  ak 
ebenso  erfahren  in  der  Kriegskunst  als  in  der  Heilkunde  und  wurden 
von  üiren  liampfesgenossen  bei  verschiedenen  Gelegenheiten  um  ärzt- 
lichen Rath  und  Hilfe  gebeten.* 

Mäcbatjn  that  sich  vorzugsweise  als  Chiruriu^  hervor,  während  Po- 
daliriot}  sieh  durch  die  Behandlung  der  inneren  Krankheiten  auszeichnete. 
Wie  in  der  Ilias,  so  wurde  auch  in  der  AethiopLs  des  Dichters  Arktinos^ 
welche  bald  nach  jener  verfasst  wurde,  aber  nur  noch  zum  Theil  vor- 
handen ist,  auf  dieitC  Trennung  der  beiden  Hauptrichtungen  der  Heil- 
kunde hingewiesen,  wenn  es  heisst: 

^fDenn  (Asklepioe)  selber  verlieh  Heilmittel  den  Söhnen 
Beiden,  jcdof'h  riihiiiwiirdiger  luiK'ht'  er  den  einen  von  Beiden; 
Jeneui  pewlihrf  vr  dir  leicht^^n*  Hund,  uns  dem  Fleisch  die  Geechofl«» 
AnszuEieh^ii  nnd  zu  iichntn<len  und  jo^Hchi-  Wunde  zu  heil<'n, 
Dicaetn  dufür  leg^t  alle  Geuauigkeit  er  in  die  Seele, 
ünejehtbarea  ^n  kenneu  und  Uuhellbared  zu  heilen/'* 

Es  ist  bemerkenswerth,  dass  hier  der  inneren  Medicin  der  Vorzug 
vor  der  Chirurgie  eingeräumt  wurde.  Diese  Meinung  erhielt  sieh  bis 
in  unsere  Tage  und  dürfte  darin  ihren  Oruuil  halicn,  dass  das  Erkennen 
und  Heilen  der  inneren  Krankhoiien  dem  Laien  öchwieriger  und  wun- 
derbarer erscheint,  als  ilie  Behandlung  der  äusseren  Leiden*  deren  Ur- 
sachen und  Beseitigung  in  den  meisten  Fjillen  Jedem  wahroehmlnir  sind. 

Die  Heilkunst  jener  frühen    Periode  der   griechischen  üeschiehte 


'  PiNnARß  Werke  übers,  von   FitiEua.  Thieim«ch,  I^ipzig  1820,  I.  S,   !99. 

«  Dkidor  IV,  ü.  71. 

»  F.  G.  Wetvckkr:  Kleine  Schriften,  Bonn  18Ö0,  Bd.  111,  ö.  47. 


I 


Iiesdninkte  sich  im  Wesentlichen  darauf^  Pfeile  und  Lanzeiii^piUen 
^oj^uziehen,  das  Blut  zu  stillen,  die  Sclimerzon  zu  lindern  und  Ver- 
binde anzulegen.  In  der  lÜas  werden  eine  grosse  x\nzahl  von  Ver- 
leUiingen  verschiedeuer  Ait  besehrieben  und  das  Heilverfahren  gebchil- 
jeit  irelehes  dabei  angewendet  wurde.  ^ 

Machaun  un^l  Fodalirius  sind  nicht  die  einzi.i,'en  Arzte,  welehe  in 
ilfD  Homeris»;.hen  Heldengedichten  genannt  werden.-  Auch  Achilleus, 
PÄtroklos  und  andere  Heerführer  und  Krieger  werden  als  heilkundig 
^emhmU  Viele  derselben  verdankten  ihre  Kenntnisse  auf  diesem  Ge- 
biet dem  Cheiron,^  j?dem  Manne  der  Hand/*  Sie  verwert heten  die- 
#lben  zum  Wohl  und  Nutzen  der  Menschen,  gleich  wie  andere  Helden 
durch  ihren  Gelang  die  Gemüther  erfreuten;  aber  sie  übten  die  Heil- 
tunst  nicht  berufsmässig  gegen  Entlohnang  aus. 

Der  Unterricht  in  der  Heilkunde  geschah  durch  die  persunliGhe 
Doterweisung  eines  Lehrers,  welcher  darin  Kenntnisse  und  Erfohrungen. 
gesammelt  hatte.  Der  Vater  theilte  sein  medicinisches  Wissen  den 
NihDen  mit,  und  diese  vererbten  ihre  Kunst  wiederum  auf  ihre  Nach- 
bmmenschafl.  *  Diese  Thataache  scheint  den  Legenden  zu  U runde  zu 
üe^n,  welche  erzählen,  dass  sich  die  medicinischen  Kenntnisse  in  den 
Geäohlechtern  des  Cheiron  und  des  Asklepios  erhalten  halten  und  van 
ihnen  als  theures  Familien- Vermächtniss  bewahrt  wurden. 

Als  der  ärztliche  fiuhm  der  Nachkommen  des  Asklepios  immer 
heller  erglänzte,  und  die  dankbare  Menschheit  anting,  ihrem  Ahn 
gvittliche  Ehren  z\x  erweisen,  da  mügen  wohl  auch  andere  Heilkünstler 
hegoDiien  haben,  sich  für  Mitglieder  dieser  Familie  auszugeben,  deren 
Gdieimnisse  ihnen  überliefert  wnirden  seien*  So  entwickelte  sich  all- 
ittafc  ein  är/thcher  Stande  der  seine  Herkunft  van  Asklepios  ableitet«. 

Die  Asklepiaden,  die  vermeintlichen  Nachkommen  dieses  mythischen 
Stunmvaters  der  griechischen  Ärzte,  vereinigten  sich  später  zu  G*- 
ooflseoschaHen,  w^elche  bei  gemeinsamen  Opfern  und  religiösen  Festen 
ihr«  Zasanmiengehörigkeit  zeigten,  P^ine  in  den  Ruinen  des  Asklepios- 
Tempftlf*  zu  Athen  gefundene  und  von  Gihakd^  verdtfentlichte  Inschrift, 


»  Iliaa  IV,  löO.  V,  73—75.  112.  694.  XI,  349—60.  397.  846.  XIH,  438—445. 
XIVi  409—439.  XV,  394,  —  VergL  a.  Dabembebo:  La  medecioe  dans  Hom^Te, 
Pkr»  1865.  —  H,  Duitbae:  The  medioine  and  surgery  of  Homer.  Brit.  mwl, 
Joomiü^  London  lbt80,  10.  Jan. 

•  Diae  XIII,  213.    XVI,  28. 

•  TiisLB  IV,  219.  XI,  831.  —  Panofka  m  deu  Sitscungsber.  d.  Akad.  d*  Wiss, 
n  Berlin,  Philos.-hi^L  KL  1843,  8.  269  u.  C 

*  Platok:  de  repabl.  X,  c*  3. 

*  P.  GiBABn:  L'A^d^picion  d Athtinea  d'aprcs  de  n^oeatee  d^couvertes  in  dw 
Bibliadi^i[ue  des  ecoles  frauv^ises  d  Athünes  et  de  Home,  T.  23,  p.  85,  Paris  1881. 


32  Der  medicinische  Unterricht  im  Alterthum, 


welche  Köhler  der  ersten  Hälfte  des  3.  Jahrhunderts  zuschreibt,  er- 
klärt dies  für  eine  alte  Sitte. 

Die  Asklepiaden  waren  also  die  zu  einer  Zunft  verbundenen  Ärzto 
und  keineswe|?s  mit  den  Priestern,  die  an  den  Asklepios-Tempeln  an- 
gestellt waren,  identisch,  wie  K.  Sprengel  und  andere  medicinische 
Geschichtsforscher  irriger  Weise  geglaubt  haben. 

Die  ältesten  Heiligthümer  des  Asklepios  befanden  sich  zu  Trikka 
in  Thessalien,  in  Titane,  Tithorea,  Epidauros,  auf  der  Insel  Kos,  zu 
Megalopolis,  in  Knidos,  Pergamon,  Athen ^  und  anderen  Orten.  Hier 
wurde  der  Gott  der  Heilkunst  verehrt  und  von  Kranken  aufgesucht 
welche  von  ihm  die  Erlösung  von  ihren  Leiden  erflehten.  Mit  den 
Tempeln,  in  denen  der  religiöse  Cultus  stattfand,  waren  Wohnungen 
für  die  Priester  und  Diener  des  Tempels,  sowie  weite  gedeckt«  Säulen- 
hallen verbunden,  welche  den  frommen  Pilgern  und  hilfebedürftigen 
•Kranken  als  Aufenthaltsort  dienten. '  Die  meisten  Asklepieien  zeichneten 
sich  durch  ihre  gesunde  Lage  und  anmuthige  Umgebung  aus.  Sie 
wurden  in  einer  fruchtbaren  Gegend  auf  Bergen  und  Hügeln,  in  der 
Nähe  von  Wäldern  und  Hainen,  welche  vor  schädlichen  Winden  und 
bösartigen  epidemischen  Einflüssen  schützten,  und  an  Flüssen  und 
Quellen,  die  ein  erfrischendes  wohlschmeckendes  Trinkwasser  boten, 
errichtet;^  einige  hatten  heilbringende  Thermen  und  Mineralquellen, 
welche  gegen  Krankheiten  einen  grossen  Ruf  genossen.  Diese  Gesund- 
heitstempel waren  mit  lieblichen,  wohlgepflegten  Gärten  umgeben,  in 
denen  stets  frisches  Wasser  floss,  und  enthielten  in  ihrem  Innern  Statuen, 
Wandgemälde  und  Weihgeschenke  aller  Art.  Neben  den  Bildsäulen 
des  Asklepios  und  anderer  Gottheiten  gab  es  Gedenksteine,  welche  an 
berühmte  Ärzte  als  Lieblinge  der  Götter  erinnerten.* 

Strenge  Yorschriften  wachten  darüber,  dass  diese  Heiligthümer 
rein  gehalten  und  vor  Schädlichkeiten,  die  ihre  günstigen  hygienischen 
Zustände  gefährden  konnten,  bewahrt  wurden.  An  der  Pforte  des 
Tempels  zu  Epidauros  standen  die  Worte:  „Wer  hier  eintreten  will,, 
muss  ein  keusches  Gemüth  besitzen!"* 

Dort  durfte  ebensowenig  wie  in  Delos  eine  Frau  gebären  oder  ein 
Todter  begraben  oder  verbrannt  werden;  selbst  wenn  ein  Kranker  starb, 

^  JoH.  Heinb.  Schulze  zählt  in  seiner  Historia  medicinae  (Lips.  1728) 
S.  118—125  eine  grosse  Anzahl  von  Asklepieien  auf  und  nennt  dabei  die  Au- 
toren, von  denen  sie  erwähnt  werden. 

*  Paüsanias  n,  c.  11.  27  u.  ff.   X,  32  und  Girabd  a.  a.  0.  p.  5. 

'  Paüsanias  III,  24.   Vm,  32.  —  Vitruv  de  archit  I,  c  2. 

^  Akaqkostakis  im  Bull,  de  corr.  hellen.  I,  p.  21 2,  pl.  IX. 

^  Clemens  Alexand.:  Stromat.  V,  c.  1,  13. 


j4)  galt  das  Heiligthum  als  entweiht.  Die  Personen,  welche  hier  Hilfe 
iiicshten,  wurden  sorgfältigen  Reinigrung^en  unterworfen,  mussten  Bäder 
jjD  Flusst,  im  Meere  oder  in  der  Quelle  nehmeo  und  einige  Tage 
hrten  und  sich  des  Weines  enthalten,  bevor  yie  den  Tempel  betreten 
und  «1er  Gottheit  Gebete  und  Opfer  darbringen  durften. 

Wohlriechende  Düfte,  die  aus  den  Riiuoherungen  aufstiejLren ♦  er- 
fällten  die  Luft,  und  der  Gesang  der  Priester,  welche  die  Macht  und 
(Hüe  des  Heiigottes  priesen,  ergriff  die  Seele*  Die  Gespräche  mit  den 
Leidensgenossen*  welche  die  Kranken  in  den  Hallen  des  Tempels  trafen, 
»md  der  Anblick  der  zahlreichen  Weihetafoln  und  Inschrilit^n,  dir  van 
ijlQcküchen  HeUungen  berichteten,  welche  hier  stattgefunden  hatten, 
pyn  ihnen  Vertrauen  und  Hoffiiung.  Willig  iiberliessen  sie  sich  dahi'r 
den  Inordnungen  der  PriesttT,  und  mit  peinlicher  Sorgftilt  befolgten 
*ie  deren  Vorschriften. 

Wie  in  dem  berühmten  Amphiaraion  und  anderen  alten  Orakel- 
rnnm^  wurden  auch  in  den  Tempeln  de^  Asklepios  die  Heilmittel  aus 
den  Träumen  gelei?en.  Die  Kranken  schliefen  während  der  Nacht  in 
iIpd  Hallen  des  Tempels  und  erwarteten  die  Träume,  in  denen  sich  ihnen 
ilie  Gottheit  offenbaren  sollte.  Wenn  darin  die  Behandlung  des  Ticidens 
nicht  klar  und  deutlich  angegeben  wurde,  so  erzählten  sie  den  Inhalt 
<k  Traumes  den  Priestern  und  deren  Gehilfen,  welche  ihn  deuteten 
und  die  Heilmittel  nannten,  welche  angewendet  werden  sollten.  Hatte 
itt*r  Kranke  in  der  ersten  Nacht  keinen  Traum,  so  brachte  er  zu  diesem 
Zweck  eine  zweite  und  dritte  Nacht  im  Asklepieion  zu.  Blieben  die 
Träume  überhaupt  aus,  so  hat  er  einen  der  Priester  des  Tempels  oder 
^mea  anderen  frommgläubigen  Mann,  für  ihn  dort  zu  schlafen  und  zu 
iraomeD. 

Diese  Stellvertretung  war  schon  bei  den  Orakeln  üblich^  und 
foiirte  später  zu  Betrügereien,  indem  schlaue  Spekulanten,  ähnlich 
raaüchen  spiritistischen  Medien  der  heutigen  Tage,  den  Verkehr  mit 
i\m  ölierirdischen  Wesen  zu  einem  einträgliehen  Geschäft,  machten.* 
>üch  plumper  war  der  Schwindel,  wenn  die  Priester  in  der  Maske 
des  Gottes  Nachts  den  Besuchern  des  Tempels  erschienen,  um  dadurch 
Wi  ihnen  die  Vorstellung  hervorzurufen^  als  ob  sie  träumen;  Aristh* 
PH,\XES  hat  dies  in  seinem  Lustspiel  Plutos  in  einer  derbkomischen 
Weise  ge^ichildertv^ 

Die  Heilmittel,  welche  verkündet  wurden,  waren  —  wenigstens  in 


«  Hkbodot  VUl,  c.  134. 

*  VergL  die  Biographie  des  Apollonioe  von  Ty« 
8.  iV,  l, 

•  V.  620  u,  fif: 

PDKinf Aint ,  Unterricht 


von  Philostratos  I»  8, 


34  Der  medicinisohe  Unterricht  im  Älierthum. 


der  älteren  Zeit  —  mehr  diätetischer  und  psychischer  Natur  als  medi- 
camentös.  Manche  der  empfohlenen  Kurmethoden  waren  durchaus 
rationell/  und  ganz  geeignet,  einen  Heilerfolg  herbeizuführen.  Dies 
erklärt  sich  dadurch,  dass  die  Traumbilder,  den  vorherrschenden,  zu- 
weilen einzigen  Interessen  der  Schlafenden  entsprechend,  halb  oder  ganz 
vergessene  Erinnerungen  an  glückliche  Kuren  aus  der  Tiefe  der  Seele 
hervorholten.  Wo  dieselben  fehlten,  da  halfen  die  Priester,  welche 
durch  die  Tradition  und  die  eigene  Erfahrung  einige  ärztliche  Kennt- 
nisse erworben  hatten,  mit  ihren  Erklärungen  und  Rathschlägen.  Wenn 
sie  damit  keinen  oder  einen  ungünstigen  Erfolg  hatten,  so  zogen  sie 
sich  durch  sophistische  Kunststücke  aus  der  peinlichen  Lage  heraus.* 

Die  Priester  der  Asklepios-Tempel  waren  nicht  Ärzte,  wie  Viele 
annehmen.  Allerdings  gab  es  unter  ihnen  sowohl  wie  unter  ihren 
Gehilfen,  den  Zakoren,  Manche,  welche  in  der  Heilkunde  erfahren 
waren  ^  und  dieselbe  vielleicht  sogar  systematisch  erlernt  hatten.  Aber 
zwischen  der  Heilkunst,  welche  in  den  Asklepios-Tempeln  geübt  wurde, 
und  derjenigen  der  Berufsärzte  bestand  der  grosse  Unterschied,  dass 
die  erstere  nicht  als  eine  Frucht  der  menschlichen  Erkenntniss,  sondern 
als  göttliche  Offenbarung  erscheinen  wollte.  Das  Eingreifen  von  Ärzten 
musste  daher  hier  mindestens  überflüssig  erscheinen.  Aus  diesem 
(jrunde  ist  es  auch  nicht  wahrscheinlich,  dass  zwischen  den  Asklepios- 
Priestem  und  den  Ärzten  ein  gegensätzliches  oder  feindschaftliches 
Verhältniss  bestanden  hat*  Es  liegt  vielmehr  näher,  das  Gegentheil 
anzunehmen,  wenn  man  erfahrt,  welche  demuthvolle  Verehrung  die 
Ärzte,  die  Asklepiaden,  den  Heiligthümem  des  Asklepios  zollten,  welches 
hingebende  Vertrauen  sie  seinen  vermeintlichen  Aussprüchen  in  ver- 
zweifelten Fällen  ihrer  Praxis  entgegen  brachten. 

Die  Asklepiaden  Hessen  sich  mit  Vorliebe  in  der  Nähe  der  Asklepios- 
Tempel  nieder  und  gründeten  dort  ärztliche  Schulen.  Unter  diesen 
erlangten  diejenigen,  welche  zu  Bhodos,  Kroton,  Kyrene,  Kos  und 
Knidos  entstanden,  den  bedeutendsten  Buf.  Zwischen  ihnen  entwickelte 
sich  ein  edler  Wettstreit,  welcher  die  Entwickelung  der  medioinischen 
Wissenschaft  begünstigte.*    Auch  musste  der  Verkehr  der  Asklepiaden 


^  Vergl.  Vercoutre:  La  m^decine  sacerdotale  dans  Fantiquite  grecque  in 
der  Revue  arch^olog.,  Paria  1885,  ser.  IH,  T.  6,  p.  285  u.  ff.  —  v.  Willamowitz- 
Mosllendorff:  Die  Kur  des  M.  J.  Apellaa  in  dessen  Philol.  Untersuchungen, 
Berlin  1886,  H.  9,  S.  116  u.  ff. 

■  Abtemidob:  Oneirocrit  V,  94.  •  Gisard  a.  a.  0.  p.  34. 

*•  Malqaiqne  im  Journal  de  Chirurgie,  Paris  1846,  IV,  p.  840.  ^  Ch.  Dabex- 
BERQ  in  der  Rövue  arch^oL,  Paris  1869,  T.  19,  p.  261  u.  ff. 

^  Galen:  Ed.  Kühn,  T.  X,  p.  5. 


den  Tempeltif  wo  sie  Leiden  aller  Art  sahen ,  Ton  erfoljjfreichen 
Kuifn  und  den  Mitteln,  die  dabei  ang^ewendet  wurden,  hörten  und  die 
Danksagfungen  der  Geheilten  lasen,  auf  sie  anregend  wirken  und  ihre 
iiitüchen  Kenntnisse  und  Erfahrangen  vermehren. 

Die  Asklepiaden-Schulen  waren  Vereinigungen  yon  Ärzten,  welche 
ifn  gleichen  wissenschaftlichen  Theorien  huldigten,  und  entsprachen 
ler  unsern  Akademien  als  unsern  Facultäten.  Die  Erziehung  der 
iuW  geschah  nach  derselben  Methode,  wie  in  der  ältesten  Zeit,  indem 
dt»T  Lehrer  einen  oder  mehrere  Schüler  in  den  Kenntnissen  und  Fertig- 
keiteu  unterrichtete,  welche  die  Ausübung  der  Praxis  verlangt. 

Bei  der  Aufnahme  der  Schüler  beschränkte  man  sich  nicht  mehr 
fie  ehemals  auf  die  Sprösslinge  der  Familien,  welche  ihre  Abstammung 
y.iu  Asklepios  ableiteten  ;^  und  wenn  die  Ai^klepiaden  durch  die  Führung 
ihrer  Geschlechtsregister  diesen  Glauben  zu  erhalten  suchten,  so  wollten 
>ie  damit  wohl  nur  darthun.  dass  die  Heilkimst  ihres  Stammvaters 
AskJ*»pio8  Ton  ihnen  rein  und  unverfälscht  übermittelt  werde.  ^  Aus 
dem  gleichen  Grunde  befahlen  sie  auch  ihren  Schülern  strenge  Ge- 
beimhaltung  ihrer  Lehren  und  verboten  ihnen,  dieselben  Andern,  die 
nicht  der  xisklepiaden-Zunft  angehörten,  mitzutheilen.^  Derartige  Mass- 
rfgeln  wurden  auch  von  anderen  gelehrten  CfenosseuschafteUy  nament- 
lich wenn  dieselben,  wie  hier  die  gemeinsame  Verehrung  des  Asklepios, 

1:  -:   ;,.g  Band  umschlang,  angewendet,  um  die  Profanation  ihrer 

-i'  zu  verhüten. 

Der  medicinische  Unterricht  begann  schon  in  früher  Jugend.  War 
der  Vater  Arzt,  so  war  er  auch  der  erste  Lehrer  seines  Sohnes,  der 
sich  der  Heilkunde  widmete  un<l  dann  seine  spätere  fachmännische 
Ausbildung  bei  anderen  tüchtigen  Ärzten  suchte  und  fand. 

kÜer  Lehrer  theilt^  den  Schülern  seine  Ansichten  üljer  den  Bau 
d  die  Funktionen  des  Körpers  mit^  erklärte  ihnen  die  Ursachen  der 
ankheiten  und  führte  sie  an  das  Krankenbett.,  um  ihnen  dort  die  Er- 
r^^deiiiungen  der  verschiedenen  Leiden  und  ihre  Behandlung  zu  zeigen. 
Die  Schüler  mussteu  für  den  Unterricht  ein  Honorar  zahlen*  und 
n  verpflichtet,   den  Söhnen   ihres  Lehrers  unentgeltlich  die  Heil- 
zu  lehren. 


»  Galek  a.  &.  0*  T.  H,  p-  281. 

'  Übii^enA  atammen  die  Doch  vorhandeQen  Bnichatiicke  der  genealogischen 
der  Asklepiaden  aus  später  Zeit  und  könneu  daher  nicht  Anspruch  auf 
intlieDcitit  erheben.     Tzetsi»  (12.  Jahrhundert  n.  Chr.):  Hi«tor.  var.  chil.  ed. 
KseaaliDg,  Lips.  1826,  p.  276,  v.  944—989. 
•  HnTOXxATBs:  Ed.  LÄttre,  T,  IV,  p.  642. 
^  PAAfOK:  MenoQ  c.  27.     Pbotaooius  c.  3. 


Die 


Wenn  die  Ausbildung  des  Schülers  beendet  war,   so  wurde  er  m 

die  Genossenschaft  der  Äsklepiaden  aufgfenommen,    wobei  er  fol^endea 
Eid  ablet^te:^ 

»ylcli  snhwore  \m  Apollon,  dem  Arzte,  bei  Asklepios,  bei  der  H 
gieia  iintl  Panafceia  und  bei  allen  (TÖttern  und  Göttinnen,  und  nehme 
sio  zu  Zeugen,  dass  ich  <liesen  meinen  Eid  nach  mt/inen  Kmften  u 
Fähigkiitt^n  halten  vvilL  Ich  werdf  Denjenii^t'n^  wekher  mir  die  He 
kunst  gelehrt  hat,  wie  meine  Eltern  richten,  mit  ihm  den  Lebens 
iiuUTkilt  theihm  und  für  seine  Bedürfnisse  Surge  trügen.  »Seine  Kinder 
sullen  von  mir  wie  Geschwister  betrachti't  werden,  und  seinen  SuhneÄ 
werde  ich,  falls  sie  die  Heillmnst  zu  erlernen  wünschen,  diestdbe  ohne 
l^f'/nhkuig  und  ohne  VerpHiehtung  lehren,  Dir'  ärztlicln^n  Vorschriften 
und  Alles^  was  ich  von  der  HuiJkunsl  geliürt  und  gfdernt  habe»  wii 
ich  meinen  eigenen  Sühnen  sowohl  wie  denen  meines  Lehrern  u 
meinen  Sidnilern,  die  auf  das  nr2tlich<^  Gesetz  verpflichtet  und  vereidi 
worden  sind^  mittheileo,  sonst  aber  Niemandem,  Die  Lebensweise  di 
Kranken  werde  ich,  soweit  ich  es  vermag  und  verstehe,  zu  ihrem  V 
theil  regeln  und  sie  vor  Rchiullichkeiten  und  Kränkungen  schützen." 
Niemals  will  ich  ein  töiltliches  Mittel  verabreichen,  auch  nicht,  wenn 
man  mich  darum  bittet,  noch  einen  darauf  hiozielenden  Kathschlag 
erthcilen.  Klieusowenig  werde  ich  jemals  einem  Weibe  ein  die  Frucht 
abtreibendes  Mutterzäpfchcri  geben.  Keusch  und  heilig  wiU  ich  md; 
Leben  verbringen  und  meine  Knnst  halten.  Die  <  Kastration  werde 
nicht  einmal  l»ei  Denen,  welche  an  der  Bteinlcrankheit  leiden,  ausführe 


*  HiPi*o&RATl<>*  a.  a.  O.  'i\  IV,  p.  628—632. 

^  Die  Worte:  «il  rt^iit^t  M  oM  f$i}¥  ^t^tihrrat;  hab(*li  tle»i  ErklJirf?Tn  imd  Über- 
BeUern  vou  jeht*r  grosBc  8cliwierigkeiti»fi  biiroitet.  Die  Meiaicü  glaubten,  dasn 
sich  der  Schwörende  darin  verpUichtet,  den  BJa«enäteiii&rhnitt  iiielit  auäzufÜhreti. 
Bei  dieser  Den tong  iM  aber  das  mtU  /<i^i'  des  Textes  libertlü»»!;;  wad  ernustdreodt 
dft  die  Operatioo  dc'e  BlafieTisteiiiachtiLttj»  donh  nnr  riii  Solelieii,  welche  am  Bliiseii- 
ateiii  leideij,  vorgeiiommeu  werden  kannte,  Littii6  conjicirte  deshulb  ititdovraii 
für  Ätfhirit^n^\  so  dftflä  die  Übersetssung  laueen  wörde:  ,Je!i  werde  den  Blasenstoin 
Hiebt  oporiren,  selbst  dann  nicht,  wenn  naich  die  Kranken  darum  bitten."  Aber 
vielleicht  bezieht  ^ich  die  Stelle  überhaupt  nicht  auf  den  BlasensUiLnacbnitt;  denn 
die  Arxtt?  jener  Zeit  sclieuten  »ich  keineswegs,  andere  Operationen  aiiSÄuftihren» 
und  be^schÄftigten  sich  auch  mit  der  Untersuchung  und  Behandlung  der  Blasen- 
leiden (HippoirRATE.H  a.  a,  0.  T,  VI,  p.  löO).  —  Grossere  Berechtigung  hat  die 
Ansieht  R,  MoREAt^s,  CirAR»'joNOK*a  u.  A.,  daüs  es  sich  in  der  obigen  Stelle 
rnn  da«  Vf^bot  der  Ca«tratic*n  handelt,  da  dasielbe  im  Zusammenhang  mit  an- 
deren sehhnpfUchen  Dingen,  z,  h.  der  Verabreichung  von  Giften,  der  Kindes- 
abtreibung  u.  a.  ni.  erscheint.  Zudem  kommt  das  Wort,  riftvitv  in  diesem  «Sinne 
in  der  grieehiBclif'u  Literattir  vor;  freilich  werden  dafür  häufiger  die  Composita 
hr^utttv  und  dnütifittiv  gebraucht.    Das  darauffolgende  oöiW  /*<7v  At&t&rra<i  be- 


Bei  den  CMechan  vor  HippokrcUes. 


ndera  «lies  den  Leuten  überlassen,  welche  daraus  ein  Geschäft  machen, 
fem»  kh  ein  Haus  betrete,  so  soll  dies  zum  Heil  der  Kranken  ge- 
Ich  will  Niemandem  absichtlich  Unrecht  thun  und  irg^ml 
Schaden  zufügen  und  weder  Frauen  noch  Mäiüier,  weder  Freie 
noch  Sklaven  zur  Unzucht  verffihreri.  Was  ich  in  meiner  ärztlichen 
und  au-^erhalb  derselben  in  Bezug  auf  das  Leiien  der  Menschen 
^«heo  oder  hören  werde,  darüber  will  ich,  wenn  es  niemals  öffentlich 
bekannt  werden  soll,  Schweigen  beol^achten  und  es  als  ein  Geheimnis« 
hnrahren«  Möge  es  mir,  wenn  ich  diesen  Eid  erfülle  und  nicht  breche. 
tiaidiieden  sein,  da^  Leben  und  die  Kun.st  zu  geniessen  und  immer- 
fahrenden Ruhm  zu  ernten  bei  allen  Menschen!  Wenn  ich  aber  den 
Kid  übertrete  und  meineidig  werde,  so  soll  mich  das  Gegentheil 
l!-  — 

Aus  dem  Wortlaut  dieses  Eides,  welcher  ohne  Zweifel  der  Vor- 
'Hippokratischen  Zeit  angehfirt,  gebt  hervor,  das.s  die  Castration^  die  zum 
Jteck  der  Lieferung  vun  Eunuchen  vorgenommen  wurde,  Leuten  über- 
Imen  blieb,  welche  die  Ausführung  dieser  Operation  geschäftamassig 
betrieben.  Vielleicht  wurden  auch  andere  Theile  der  Chirurgie,  z.  B. 
Blasenschnitt,  und  <lie  Behandlung  der  Knuchenbrüche  und  Ver- 
i,  von  Empirikern  ausgeübt,  die  sich  darin  eine  grosse  6e- 
Ddtheit  und  Sicherheit  erworljen  hatten?^ 
Jedenfalls  lasst  sich  annehmen,  dass  es  ausser  den  Asklepiaden 
andere  Ärzte  gab,  welche  nicht  der  Genossenschaft  derselben  an- 
gehörten**    Erst  später  \\Tirden  alle  Ärzte  ,jAsklepiaden^*  genannt. 

Grossen  Einfluss  auf  die  Entwickeln  ug  iler  Heilkunde  und  besonders 
auf  die  Bildung  der  Ärzte  übten  die  Philosophen  aus.  Die  griechischen 
Weisen,  welche  die  Ursachen  und  das  Wesen  der  Dinge  zu  ergründen 


deutet  datm,  dam  die  Castration  nicht  einiDäl  bei  Denen,  welche  am  Blaseodteiu 

ütten,   gestattet   war,    obwohl   bei   ihnen   die   Bedenken  dagegen    geringer   sein 

iDusteD,  da  der  Steinachnitt  bei  der  damals  Üblichen  OperatioDsmethode  wegen 

d«r  dunit    verbundeneu    Zerstörung    der    SamenansftihrciDgdgäQge    gewöhnlich 

ZengimgstiiiHLbjgkcit  im  Gefolge  hatte.    Übrigens  hat  h&täv  auch  die  Bedeutung 

^  ein«?r  steinartigen  verhärteten  AnÄchwellung  kiden'*  und  wird  nach  Tu,  Gum- 

ffiax  in  diesem  Sinne  von  Verhfirtungen  an  den  Augenlidern,  den  Gelenken,  der 

Grtbftnnutter  u.  a.  m.  gebraucht     Vielleicht  bezieht  e«  sich  hier  auf  die  Hoden 

ttiid  die  obige  Stelle  muss  nbcraetzt  werden;    ,,Ich   werde  die  Caetration  nicht* 

eiamal  bei  denen,  deren  Hoden  verhärtet  sind,  ausführen**?  —  Vergl.  CHARpioNOif: 

Etüde  siir  le  serment  d'Hippoerate  ♦   Orleans  und  Paria  188L  ^  Tu.  Püf*CHMAiaf 

in  BuB£itAK3  Jahresber.   f,  Alterthiuns Wissenschaft  1884^   HI,   p*  55   und   in  den 

Jahreeber,   über  d.  Fort^elir.   d.  ^es.  Mediein,   herausgeg.   v.  Vtacnow  u,  Hibiu^b 

jm.  J,  S.  3  26, 

*  VergL  H.  H^EJiKE:  Ge*«*hichte  der  Medicin,  3»  Aufl.^  Jena  1875,  I,  S,  88* 

•  WßLCKEtt  a.  a.  0.  S,  108  u,  € 


38  Der  medicinische  Unterricht  im  Alterthum, 


suchten,  zogen  vor  Allem  den  Menschen  und  die  ihn  umgebende  Natur 
in  Betracht  Pythagoras,  welcher  das  Grundprincip  alles  Seins  in 
der  Zahl,  in  den  Massverhältnissen,  in  der  Gesetzmässigkeit  sah,  war 
Arzt  und  beschäftigte  sich  mit  dem  Bau  des  Körpers,  der  Thätigkeit 
der  Sinne  und  der  Seele,  sowie  mit  der  Zeugung  und  Entwiokelung 
des  Menschen. 

Nach  längerem  Aufenthalt  in  fremden  Ländern,  namentlich  in 
Ägypten,  wo  er  in  das  Wissen  der  gelehrten  Priester  eingeweiht  wor- 
den sein  solV  li^ss  er  sich  in  der  griechischen  Pflanzstadt  Eroton  in 
Unter-Italien  nieder,  wo  sich  die  berühmte  Asklepiaden-Schule  befand. 
Dort  gründete  er  einen  Bund,  welcher  weniger  philosophische,  als 
ethische  und  politische  Ziele  anstrebte.  Seine  Mitglieder  waren  haupt- 
sächlich Ärzte  und  fanden  hier  bald  einen  Mittelpunkt  für  ihre  gemein- 
samen wissenschaftlichen  Interessen.  Sie  widmeten  ihre  Aufmerksam- 
keit vorzugsweise  der  Diätetik  und  suchten  durch  einfache  Mittel,  durch 
Umschläge,  Einreibungen  und  Salben  die  Heilung  herbeizuführen;  die 
Chirurgie  wurde  von  ihnen  vernachlässigt* 

UÄter  den  Anhängern  des  Pythagokas  werden  die  Ärzte  Philo- 
LAOs,  Elolathes,  welcher  die  Gesundheit  von  dem  Gleichmass  der 
Flüssigkeiten  im  Körper  ableitete  und  sie  mit  der  musikalischen  Har- 
monie verglich,^  Epimarch,  Metbodoros  u.  A.  genannt.  Wahrschein- 
lich gehörten  auch  Alkmaeon  und  Demokedes,  welche  ihre  ärztliche 
Ausbildung  in  Kroton  erhalten  hatten,  zu  seinen  Schülern.  Der  letztere 
verbreitete  durch  seine  glücklichen  Kuren  den  Buhm  der  Heilkunst 
seiner  Heimath  in  fernen  Ländern  und  erlangte  eine  hervorragende 
Stellung  am  Hofe  des  Königs  Darius,*  dessen  verrenkten  Fuss  er  nach 
den  vergeblichen  Versuchen  seiner  ägyptischen  Leibärzte  wieder  einzu- 
richten vermochte. 

Alkmaeon  soll  der  Erste  gewesen  sein,  der  anatomische  Zerglie- 
derungen unternahm  und  dabei  den  Ursprung  der  Sehnerven  aus  dem 
(jehim  entdeckt  haben.  ^  Er  erklärte,  dass  die  menschliche  Seele  un- 
sterblich und  gleich  den  Gestirnen  in  ewiger  Bewegung  begriffen  sei 
Er  versuchte,  die  Entstehung  der  Sinnesempfindungen  zu  erklären,  und 
stellte  die  erste  Theorie  des  Schlafes  auf.  „Wenn  das  Blut,*'  sagte  er, 
„in  die  grossen  Blutgefässe  zurücktritt^  so  entsteht  der  Schlaf;  wird  es 


*  DioDOB.  I,  69.  98.  '  Jamblich:  de  vita  Pythag,  cap.  29,  §  163  iL  fE 
^  Kühn:  Opusc.  acad.,  Lips.  1827,  I,  p.  47—86. 

*  Hebodot  in,  c.  129—134. 

*  Chalcidius  in  Piaton.  Timaeum  ed  Meursius,  Lugd-Bat,  1617,  p.  340.  — 
M.  A.  Unna:  De  Alcmaeone  Crotoniata  ejusque  fragmentis  quae  supersnnt  in 
Ch.  Petebsen:  Philologisch-hifltorische  Studien,  1.  H.,  Hamboig  1832,  S.  41—87. 


Bei  den  Griechen  vor  Hippokraies,  89 

aber  wieder  in  die  kleineren  zerstreut,  so  erfolgt  das  Erwachen."^ 
Weniger  Beachtung  verdienen  seine  Ansichten  über  die  Ernährung  des 
Kindes  im  Mutterleibe  und  über  die  Ursachen,  welche  der  Unfrucht- 
barkeit der  Bastarde  zu  Grunde  liegen. 

Einer  der  henrorragendsten  Naturphilosophen  jener  Zeit  war  Em- 
PEDOKLES,  der,  an  die  Ewigkeit  der  Welt  glaubend,  das  Entstehen  und 
Vergehen  der  Dinge  bestritt,*  und  überall  nur  Veränderungen  sah, 
welche  sich  in  Vereinigung  und  Trennung  äussern  und  durch  die  Liebe 
und  den  Hass  hervorgerufen  werden.  Er  stellte,  wie  Aristoteles  be- 
richtet,' die  Lehre  von  den  vier  Elementen  auf,  welche  auf  die  Physio- 
logie und  Pathologie  der  Späteren  den  weittragendsten  Einfluss  aus- 
übte, und  ahnte  bereits  den  grossen  Schöpfungsgedanken,  dass  die  Ent- 
wickelung  der  Organismen  von  den  niederen  Formen  zu  den  höheren 
fortschreitet,  und  dass  nur  das  Zweckmässige  erhalten  bleibt.  Er 
glaubte,  dass  nicht  blos  der  Mensch  und  die  Thiere,  sondern  auch  die 
Pflanzen  beseelt  seien,  beschäftigte  sich  mit  den  Sinnesempfindungen 
und  der  Athmungsthätigkeit,  die  er  auf  mechanische  Weise  zu  erklären 
versuchte,  und  betrachtete  das  Labyrinth  im  Ohr  als  den  Sitz  des 
GehOrs. 

Seine  Zeitgenossen  Anaxagoeas  aus  Klazomene  und  Diogenes 
aus  ApoUonia  widmeten  vorzugsweise  der  Anatomie  ihre  Aufmerksamkeit. 
Der  Erstere  nahm  Zergliederungen  von  Thieren  vor*  und  bemerkte 
die  Seitenventrikel  des  Gehirns;  auch  war  er  der  Erste,  der  die  von 
den  späteren  Ärzten  zum  Dogma ^  erhobene  Meinung  aussprach,  dass 
die  Galle  die  Ursache  der  akuten  Krankheiten  sei.  Diogenes  hinter- 
liess  eine  Beschreibung  des  Gefässsystems,  die  freilich  sehr  viele  Iir- 
thümer  enthält.^ 

Hebaklit  sah  in  der  beständigen  Umwandlung  der  Form,  in  dem 
ewigen  Wechsel  der  Dinge,  das  eigentliche  Wesen  derselben.  A\'ie 
Empedokles,  so  schrieb  auch  er  dem  Feuer,  der  inneren  Wärme,  einen 
wichtigen  Einfluss  auf  die  Vorgänge  im  Organismus  zu.  Seine  An- 
!^ichten  erhielten  im  Lehrgebäude  der  Hippokratiker  einen  Platz  und 
spielten  in  der  Physiologie  und  Pathologie  lange  Zeit  eine  hervor- 
ragende Rolle. 

In  noch  höherem  Grade  war  dies  der  Fall  mit  den  Theorien  des 


*  Plütarch:  de  placit  philos.  V,  c.  24. 
«  II1PPOKRATE8  a.  a.  0.  T.  VI,  p.  474. 

*  Aristoteles:  Metaph.  I,  3.  4.  *  Plütarcu:  Perikles,  c.  6. 

*  S.  die  Nach-Galen'sche  Schrift  über  die  kritischen  Tage  in  Hippokrates 
a.  a,  O.  T.  IX,  p.  300  u.  ff. 

^  Aristoteles:  Hist.  anim.  III,  2. 


40  Der  medicinische  Unterricht  im  Alterthum, 


Leükippos  und  Demokkit.  Der  Materialismus,  welcher  ihre  Atomen- 
lehre beherrschte,  führte  zur  Erforschung  der  Natur,  also  auf  den  Weg, 
der  allein  Erfolge  verspricht.  Demokeit^  widmete  sich  selbst  mit 
grossem  Eifer  anatomischen  Untersuchungen  und  scheint  darin  sehr 
geschickt  gewesen  zu  sein,  da  er  über  den  Bau  des  Chamäleons  eine 
besondere  Abhandlung  zu  verfassen  vermochte.*  Auch  soll  er  über 
verschiedene  Krankheiten,  über  die  Hundswuth,  über  die  Heilwirkungen 
der  Musik  ^  u.  a.  hl  geschrieben  haben. 

Eine  aus  dem  Alterthum*  stammende  Sage  erzählt,  dass  Hippo- 
KBATEs  von  den  Landsleuten  des  wunderlichen  Forschers,  die  ihn  für 
geistesgestört  hielten,  nach  Abdera  berufen  wurde,  um  ihn  zu  unter- 
suchen. Als  er  die  Fülle  von  Wissen  und  Geist,  die  in  Demokbit 
wohnte,  erkannte,  mag  er  sich  wohl  zu  dem  Ausspruch  gedrängt  ge- 
fühlt haben,  dass  er  der  Weiseste  aller  Menschen  sei.  Er  verdankte 
dem  Verkehr  mit  ihm  manche  Anregung  und  wahrscheinlich  auch 
manche  Kenntnisse.* 

Die  Philosophen  rechneten  das  Studium  des  Menschen  und  der 
Krankheiten  zu  ihren  wichtigsten  Aufgaben.®  Viele  unter  ihnen  ge- 
hörten dem  ärztlichen  Stande  an  und  übten  die  Heilkunst  aus. 

Dieses  fruchtbare  Wechselverhältniss  zwischen  der  Philosophie  und 
der  Medicin  erhielt  sich  auch  später  und  hatte  für  beide  Wissenschaften 
Vortheile;  jene  zog  es  von  der  leeren  Spekulation  ab  und  stellte  sie 
auf  den  Boden  der  Thatsachen,  dieser  gab  es  eine  tiefere  Auffassung 
der  Dinge  und  eine  allgemeine  wissenschaftliche  Grundlage  für  ihre 
Bestrebungen  und  Ziele. 


Zur  Zeit  des  Hippokrates. 

Die  medicinische  Schule  zu  Rhodos  scheint  nur  kurze  Zeit  be- 
standen zu  haben;  denn  die  späteren  Autoren  gedenken  derselben 
nicht  mehr.^ 


^  Aristoteles:  de  generat.  I,  2.  —  Cicero:  Tusc.  quacst.  V,  39. 

>  Plinius:  Hist.  nat.  XXVIII,  c.  29.  •  Gellics:  Noct  Attic.  IV,  c.  13. 

*  Hippokrates  a.  a.  0.  T.  IX,  p.  320—386.  —  Sobanus:  Leben  des  Hippo- 
krates in  Idrler:  Physici  et  medici  Graeci  minores  (Berlin  1841)  T.  I,  p.  253. 
—  Aelianüs:  var.  hist.  IV,  c.  20. 

*  Celsus:  Praef.  —  Soranüs  a.  a.  O.  j).  252.  —  Bobthius:  de  musica  I,  1. 

*  Aristoteles:  de  respir.  c.  8.  —  Celsüs:  Praef. 
'  Galen  a.  a.  0.  T.  X,  p.  6. 


Im  5.  Jahrbimdert  t,  Chr.  genoss  die  medicinische  Schule  zu  Kioton 
dm  größten  Ruf,  was  sie  vidleicht  zum  Theil  ihren  Beziehungen  zu 
lieu  Pythttgoreern  Terdaoktt?,  Die  zweite  Stelle  behauptete  die  Schule 
sm  Kyrene^^  wo  auch  andere  Wissenschaften,  besonders  die  Mathematik 
und  die  Philosophie,  eifrig  gepflegt  wurden,* 

Nicht  viel  später  blühten  die  Asklepiaden-Schülen  zu  Knidos  und 
Koß.  Leider  ist  die  diesen  Gegenstand  behandelnde  Schritt^  des  Theo- 
wMPOs  verloren  gegangen:  doch  besitzen  wir  in  der  Hippokratischen 
Sammlung  eine  Quelle,  die  uns  üVier  die  Leistungen  und  einzelne  Ein- 
richtungen derselben  werthvoUe  Aufschlüsse  giebt. 

Damach   bestanden   zwischen   diesen   beiden   Schulen   wesentliche 

'nndenheiten  in  Bezug  auf  die  medicinischen  Theorien  und  die 
...vo.lien  Untersuchungs-  uud  Behandlungsmethoden.  Die  Knidischen 
irrte  waren  gute  Beobachter  und  geschickte  Chirurgen^  zeigten  Interesse 
ftr  wissenschaftliche  Fragen  und  liebten  eine  möglichst  einfache  Be- 
bA&dlong. 

Da  uns  aber  das  Werk,  in  welchem  ihre  Grundsätze  niedergelegt 
vMi%  nämlich  die  Knidischen  Sentenzen,  nicht  überliefert  worden  ist^ 
»I  sind  wir,  wenn  wir  uns  eine  Ansicht  über  ihre  wissenschaftliche 
Bedeutung  bilden  w^oUen,  auf  die  wenigen  darauf  liezüglichen  Bemer- 
kungen angewiesen,  die  sich  in  anderen  Schriften  des  Alterthiims  er- 
liülten  haben.  Sie  röhren  zum  Theil  von  Gegnern  der  Knidischen 
Schule  her  und  sind  in  Folge  dessen  weder  wohlwollend  noch  gerecht. 
ivi  wird  ihr  der  Vorwurf  gemacht,  dass  sie  sich  damit  begnüge,  die 

t'  tiven  Klagen  der  Kranken  zu  erforschen,  und  darüber  die  genaue 
.ve  Untersuchung  des  Körpers  vernachlässige.* 
[  Ifemer  wurden  die  Knidischen  Ärzte  getadelt,  weil  sie  die  Krank- 
hitm  nach  den  einzelnen  KOrpertheilen  und  Organen  eintheilten  und 
lu  riele  Formen  derselben  uiitersebieden,  Sie  stellten  z.  B,  sieben  Arten 
|ei  Erkrankung  der  Galle^  zwüK  der  Harnblase,  vier  der  Nieren,  eben- 
iöTiel  der  Strangurie.  drei  Formen  des  Tetanus^  vier  der  GeU>sucht, 
drei  der  Schwindsucht  und  mehr*'re  Formen  der  Bräune  auf,  indem 
?ie  hauptsächlich  die  Entstehungsuraache  als  Unt^rscheidungsmerknuil 
Annahmen/*     Ihre  Schilderung  der  Krankheitserscheinungen  war  kurz 


»  HBItC»l><>T   III,   C.  131. 

■  Vef)^K  IIoüi»abt:  Histoire  de  la  mMecuie  grectiue  dejmis  Esciüape  jusqua 
l^pücrate,  l'am  18ä6,  [).  128  u.  ff. 

'  Photii  Bibl  p.  120*'  ed.  Beilkeu. 

*  Hipros^a&TE8  a,  a.  0.  T.  II,  p-  224, 

'  HiPPwKBATEs  a.  a.  O.  T.  VII,  p.  188  u.  ft.  —  C^alex  a.  a.  iX  T.  XV, 
363—1*4. 


42  Der  nisdudnische  UnterricfU  im  Alterthum. 

und  treffend,  wie  man  aus  dem  die  Nephritis  betrefifenden  Fragment 
bei  RüFus  erkennt.* 

In  chronischen  Krankheiten  verordneten  sie  hauptsächlich  Milch, 
Molken  und  Abführmittel,  bei  der  Schwindsucht  empfahlen  sie  ausge- 
dehnte Spaziergänge.  Euryphon,  einer  der  bekanntesten  Ärzte  dieser 
Schule,  der  zur  Zeit  des  Hippokbates  lebte  und  sich  als  medicinischer 
Schriftsteller  auszeichnete,*  rieth  den  Schwindsüchtigen,  die  Milch  von 
Eselinnen  zu  trinken  oder  an  den  Brüsten  der  Frauen  zu  saugen;.' 
auch  soll  er  bei  diesem  Leiden  Moxen  angewendet  haben,  wie  aus  einer 
Scene  des  Komikers  Platon  hervorgeht*  Ein  anderer  Vertreter  der 
Knidischen  Schule,  Ktesias,  lebte  lange  Zeit  als  Leibarzt  am  persischen 
Hofe  und  verfasste  historische  Arbeiten  über  Persien  und  Indien  und 
einige  medicinische  Schriften.*  Von  den  übrigen  Knidischen  Ärzten 
jener  Zeit  wissen  wir  wenig  mehr  als  ihre  Namen.® 

Die  Nachrichten  über  die  Schule  von  Knidos  sind  fast  noch  spär- 
licher als  die  Überreste,  welche  von  der  blühenden  Cultur  dieses  Ortes 
zurückgeblieben  sind. 

Mehr  begünstigt  vom  Schicksal  war  die  medicinische  Schule  zu 
Kos.^  Ihre  Verdienste  um  die  Heilkunde  wurden  von  Hippokbates, 
ihrem  berühmtesten  Vertreter,  dem  Andenken  der  Nachwelt  überliefert 
Ihm  verdankten  es  die  Ärzte  von  Kos,  dass  ihre  Schriften  von  den 
Späteren  zur  Grundlage  des  medicinischen  Lehrgebäudes  gemacht  wur- 
den, und  dass  ihre  Schule  noch  heute  mit  Bewunderung  und  Ehrfurcht 
genannt  wird. 

,3in  Strahl  des  Bahmes  fiel  auf  sie, 

Ein  Strahl,  der  ihr  Unsterblichkeit  verlieh.** 

Hippokbates,  dessen  Lebenszeit  ungefähr  in  d.  J.  460 — 377  v.  Chr. 
fallt,  war  ein  Sprössling  einer  alten  Asklepiaden-Familie,  die  auf  der 
Insel  Kos  ihren  Sitz  hatte  und  ihren  Ursprung  bis  auf  Asklepios  und 
Herakles  zurück  verfolgte.  Sein  Grossvater  und  Vater  zeichneten  sich 
durcli  ihre  ärztliche  Tüchtigkeit  aus.  Von  dem  letzteren  erhielt  Hippo- 
kbates den  ersten  Unterricht  in  der  Heilkunde.     Zu  seiner  weiteren 


^  Oeuvres  de  Rufus  d'Eph^se,  ed.  p.  Darembkrq  et  Rüelle,  Paris  1879,  p.  159. 

«  Galen  a.  a.  0.  T.  VI,  p.  473.  XI,  795.  XV.  136.  XVU,  A.  886.  XIX,  721. 

'  Galkn  a.  a.  0.  T.  VII,  701.  *  Galen  a.  a.  0.  T.  XVIII,  A.  149, 

^  DioDoR  II,  c.  32.  —  Oeuvres  d^Oribase  ed.  p.  Bussemakeb  et  Darembbro, 
Paris  1851—76,  T.  II,  p.  182.  —  Galen  a.  a.  O.  T.  XVIII,  A.  731. 

*  HouDART  a.  a.  0.  p.  255  u.  fF. 

^  Über  die  im  Auftrage  der  französischen  Regierung  auf  der  Insel  Kos 
unternommenen  Ausgrabungen  und  ihre  Ergebnisse  berichtet  M.  Dubois:  De  Co 
insula,  Paris  1884. 


Indichen  Axtsbüdong  begab  er  sieb  nacfa  Athen ,  wo  er  mannigfache 
Anlegung  und  Belehrung  empting. 

Dort  strömte  damals  Alles  zusammen ,  was  Grieehenland  Grosses, 
Schönes  und  Edles  lK*sass.  Es  war  ins  Zeitalter  des  Pehikj.ks,  jene 
fVnode  äOiföeren  Glanzes,  bürgerlichen  Wohlstandes  und  künstleriH<?ben 
Schaffens,  in  welcher  der  Geist  des  Hellenismus  unvergängliche  Tiiumphe 
iHrtU*.  Xeben  den  Philosophen  Sokratek  und  Flaton  erschient^n  die 
^wssen  tragischen  Dichter  Eukipides  und  SoPHOiOJsa,  der  GesehichtvS- 
<liKiber  TfirfirDiDEs,  der  Bildhauer  PuniiAs  und  der  Architekt  Mke- 
%na^  und  erfüllten  die  Welt  mit  ihrem  Ruhm,  während  der  Lustspiel- 
dichter  Aristciphakes  und  die  Ljriker  Jon  von  Chics  und  Dioxysios 
»ti«  Oemüther  zur  Freude  und  Heiterkeit  stimmten.  Athen  wurde 
ilnrch  grt^ssartigü  Bauwerke  verschönert;  es  entstanden  die  Propyläen, 
Jer  Tempel  der  Athene  mit  seinem  reichen  Schmuck  an  Statuen  und 
'  iren,  die  prachtTolle  breite  Treppe,  die  zur  Akropolis  ffihrte,  und 
_  .  iion;  damals  schuf  Phiüub  den  olympischen  Zeus  und  die  beiden 
Statuen  der  Pallas  Athene. 

Derartig»^  Eindrücke  mussten  auf  die  geistige  EniwickeUing  des 
HiPK^BATE?^  Einlluss  ausüben^  seinen  Ehrgeiz  anregen  und  seine  That- 
l[Tsß  stähleiL  Im  Verkehr  mit  hervorragenden  Ärzten  und  Philosophen 
föchte  er  die  Gelegenheit,  sich  in  seinem  Fach  zu  vervollkommnen; 
\aiA  bald  gelang  es  ihm,  in  diesen  Kreisen  eine  angesehene  Stellung 
jü  erringen. 

Seine  glücklichen  Heilerfolge  machten  ihn  zu  einem  gesuchten 
int,  de^en  Ruf  die  Grenzen  seines  Vaterlandes  überschritt.  Er  wurde 
yd  m  diese,  bald  in  jene  Stadt  berufen,  um  in  schwierigen  Krank- 
heit^fallen  seinen  ärztlichen  Rath  zu  ertheilen. 

Sein  Kuhm  führte  ihm  eine  Menge  von  Schülern  zu,  welche  sich 
aaler  seiner  Leitung  zu  tüchtigen  Ärzten  auszubilden  hoflten.^  Unter 
iimeii  befanden  sich  seine  Söhne  Thessau^s  und  Drakon,  sowie  sein 
Schrägersohn  Poltbos,  Thessalos  nahm,  wenn  sich  die  in  den  pseud- 
hippotratischen  Schriften  enthaltene,  aus  dem  Alterthum  stammende 
Rede  demselben  au  die  Athener^  auf  Thatsachen  stützt,  in  seiner  Jutrend 
ilfi  Militärarzt  an  der  Expedition  des  Alkibiades  nach  Sicilien  Theil, 
lebt^  später  als  Leibarzt  am  Hofe  des  Königs  Archelaos  von  Macedo- 
mtTi'  und  galt  als  der  Verfasser  mehrerer  Schriften  der  Hippokratischen 
SÄmmlung.  *     Dass  einige  Theile  derselben  von  Polybus  herrühren,  ist 


•  HiproKRATfis  a.  a.  O.  T.  IX,  p.  420.  —  Sohaxüs  a,  a.  O.  p.  254. 

•  HirfHjKÄATE»  a.  a  <  K  T,  IX,  404, 

•  Galex  a.  a.  0.  T.  XV,  p.  12. 

•  Gaj^  a.  a.  0*  T.  VII,  855.  890.  IX,  859,  XVII,  A.  im,  888. 


44  Der  medieinische  Unterricht  im  Altert/ium. 


historisch  nachgewiesen;  denn  Aeistoteles  citirt  ein  Fragment  über 
die  Vertheilung  der  Blutgefässe  aus  einem  Buch  des  Polybos,  welches 
sich  wörtlich  in  der  Hippokratischen  Sclirift  über  die  menschliche 
Natur  findet.^  Polybos  übte  in  Kos  die  ärztliche  Praxis  aus  und  er- 
theilte  später  an  der  Stelle  seines  Schwiegervaters  den  medicinischen 
Unterricht.  * 

Über  das  Leben  des  Hippokrates  •  haben  sich  eine  Menge  von 
Sagen  und  Legenden  gebildet,  von  denen  jedoch  nur  wenige  wahr  sein 
dürften.  So  ist  die  Erzählung,  dass  er  die  Bibliothek  von  Knidos' 
oder  den  Asklepios-Tempel  seiner  Vaterstadt*  verbrannt  habe,  damit  er 
als  Erfinder  der  in  den  Inschriften  desselben  niedergelegten  medicini- 
schen Weisheit,  die  er  sich  angeeignet  habe,  angesehen  werde,  ganz 
sicherlich  erdichtet;  denn  sie  widerspricht  Allem,  was  über  den  Cha- 
rakter des  Hippokrates  bekannt  ist.  Auch  würde  er,  wenn  er  eine 
solche  Herostratos-That  begangen  hätte,  anstatt  der  allgemeinen  Ver- 
ehrung, die  ihm  im  Alterthum  gezollt  wurde,  nur  Verachtung  geftmden 
haben,  mochte  er  auch  noch  so  bedeutend  in  seinem  Fach  sein. 

Aus  den  Schriften,  welche  ihm  zugeschrieben  werden,  spricht  echte 
Menschenliebe ,  aufrichtige  Religiosität  und  glühender  Patriotismus. 
Den  aufregenden  kleinlichen  Agitationen  der  politischen  oder  socialen 
Parteien  hielt  er  sich  fern  und  lebte  nur  seiner  Wissenschaft  und 
seinem  Beruf.  Von  ihm  konnten  die  W^orte  gelten,  di(»  Euripides  dem 
Naturforscher  zuruft: 

,,0  selig  der  Mann, 

Der  prüfend  des  Wissens  Grebietc  durchmass, 
Den  nicht  zu  der  Bürger  verderblichen  Streit, 
Zu  des  Unrechts  That  nicht  ziehet  der  Sinn; 
Er  durchforschet  der  ewigen  Mutter  Natur 
Nie  alterndes  Weltall,  wie  es  entstand; 
Nie  haftet  im  Herzen  des  trefflichen  Mannes 
Ein  Gedanke  an  schändliche  Thaten." 

Die  letzten  Lebensjahre  verbrachte  Hippokrates  in  Thessalien;  er 
soll  auch  dort  gestorben  sein.  Noch  zur  Zeit  des  Soranus^  wurde  in 
der  Gegend  zwischen  Gyrton  und  Larissa  sein  Grabmal  gezeigt,  in 
dem  sich  ein  Bienenschwarm  niedergelassen  hatte,  dessen  Honig  als 
heilsam  gegen, die  Mundgeschwüre  der  Kinder  galt. 


*  Vergl.  Aristoteles:  Hist.  animal.  lU,  c.  3.  —  Hippokrates  a.  a.  0.  T.  VI, 
p.  58,  sowie  Galen  a.  a.  0.  T.  IV,  653.  XV,  108.  175.  XVHI,  A.  8. 

*  Galen  a.  a.  0.  T.  XV,  11.  '  Soranus  a.  a.  0.  p.  253. 

*  Plinius:  Hist  nat.  XXIX,  c.  1.  »  a.  a.  0.  p.  254. 


Zur  Zeit  des  Hippokraies, 


45 


Die  hohe  Bedeutung  des  Heppokäates  wnrde  schon  von  soinen 
erkannt;    PiiATON^    verglich    ihn    mit   Polyklettüs   und 
lAS,  und  AristoteiiEs^  nannte  ihn  den  ».grossen**  Hippokrates» 
Seine  Schriften  wurden  mit  den  Werken  anderer  iMitgUeder  seiner 
ie  von  seinen  Nachkommen  aufbewahrt  und  dienten  ihnen  zum 
medicinischen  Unterricht  und  zur  Belehrnng,    wenn   sie  in  ihrer  ärzt- 
lichen Tbätigkeit  des  Käthes  iiedurften.     Als  die  Ptulemäer  antingen^ 
Bibliotheken   zu  gründen,   und  zu  diesem  Zweck  die  Werke  der  he- 
'      '-ten  Schriftsteller  ankaufen  Messen,  gelangten  auch  Abschriften 
*.,.  iüppokratischen  Sammlung  nach  Alexandria. 

Durch  die  Gewissenlosigkeit  gewinnsüchtiger  Spekulanten,   weiche 
die  Bucherliebe  der  ägj^ptischen  Könige  zu  Nutze   machten,   ge- 
ll e^  dass  hei  die-ser  Gelegenbeil  manche  Schriften  berühmten  Autoren 
'Mich  zuge.-ichrieben  wurden,  um  ihren  Kaufpreis  zu  erhöhen.^    Die 
lüothekare,  welche  mit  der  Durchsicht  und  Prüfung  der  erworbenen 
her  beauftragt  waren,    besassen  nicht  immer  die  Kenntnisse  und 
Mittel,   um  das  Richte  von  dem  Falschen  zu   unterscheiden    und  die 
Aathonticitüt  der  Schriften  festzustellen.     Daher  kam  es,   dass  einige 
Werke  für  die  Produkte  von  AutX)ren  erklärt  wurden,  welche  denselben 
pinilich  tern  standen. 

Auch  die  Hippokratiscben  Schriften  hatten  dieses  Schicksal;  schon 
la  jener  Zeit  gab  es  Bearbeitungen  derselben,  die  im  Text  wesentliche 
Verschiedenheiten  darboten.*  Darf  man  sich  da  wundern,  diiss  in  die 
SÄDunlang,  welche  ursprünglich  nur  die  Werke  dos  Hö'Pf»KKATEs  und 
seiner  nächsten  Verwandten  umfasste,  auch  Schriften  aufgenommen 
vardeo,  die  nicht  von  ihnen  herrührten?^ 

Die   Abschreiber,    welche   die   in    den   Bibliotheken   vorhandenen 

JSiemplare  zur  Vorlage  nahmen,  trugen  da^u  bei,  die  irrige  Annahme 

^ng  Hippokratischen  Ursprungs    einzelner  Schriften  zti   bestätigen   und 

^Ba  verallgemeinern,  und  kühne  Redakteure  vergrosserten   den  Irrthum 

ihirch  eigenmächtige   Zusätze^   Ergänzungen   und   Veränderungen   des 

Tcit€s>*     Als  Galen  seine  Commentare  zu  den  Werken  des  Hu'i'O- 

EaiTEs  schrieb,  hatte  er  verschiedf»nartige  Recensioneu  des  Wortlauts 

ftailben  vor  sich;  er  befolgte  dabei,  wie  er  sagt/  die  Methode,  st^ts 

diqeDige  Lesart  als  die  richtige  anzuerkennen,  welche  die  älteste  war. 


»  Photaqoraä  c.  3.  '  Polit,  VII,  4. 

»  Galrn  ä,  a.  O.  T.  XVI,  5.  *  Galen  a.  a.  0.  T.  XVII,  A.  ü06. 

*  VergL  den  Brief  des  W.  Augiistin  au  Faustus,  den  Maiiichäer,  L.  33,  ß. 
tT  VI,  p.  493.  Edit  Frohen  1556.) 

•  Gales  a.  a,  O.  T.  XV.  21.  XVII,  A.  7ö5, 
^  Gale^  «    I  O    T.  XVn,  A.  1005. 


46  Der  medicinische  Unterricht  im  Älterthum. 


Unter  diesen  Umständen  ist  es  begreiflich,  dass  schon  im  Alter- 
thum  Meinungsverschiedenheiten  darüber  herrschten,  welche  Schriften 
von  HiPPOKBATES  verfasst  seien  oder  nicht.  Diese  Frage  hat  den 
Scharfsinn  der  Gelehrten  und  Kritiker  bis  in  die  neueste  Zeit  be- 
schäftigt, und  noch  in  den  letzten  Jahren  haben  Littb£,  Ebmebins, 
Kühlewein  u.  A.  den  Versuch  gemacht,  dieselbe  der  Lösung  näher 
zu  bringen. 

In  ihrer  heutigen  Gestalt  enthält  die  unter  dem  Namen  des 
HiPPOKBATES  bekannte  Sammlung  medicinischer  Schriften  neben  einer 
grossen  Anzahl  von  Abhandlungen,  die  unzweifelhaft  von  ihm  und 
seinen  nächsten  Verwandten  verfasst  sind,  eine  nicht  geringe  Menge 
von  Arbeiten,  die  von  anderen  Autoren  herrühren.  Der  Zeit  des  Hippo- 
KBATES  gehören  sie  fast  sämmtlich  an;  nur  wenige  Aufsätze  stammen 
aus  einer  früheren  oder  späteren  Periode. 

Sie  liefern  eine  vollständige  Übersicht  über  die  medicinisohen 
Kenntnisse,  welche  man  im  Zeitalter  des  Heppokbates  besass,  und 
bringen  einige  wichtige  Mittheilungen  über  die  Einrichtungen  des  medi- 
cinisohen Unterrichts  und  die  ärztlichen  Standesverhältnisse,  die  wir 
mit  Hilfe  anderer  literarischer  Notizen  zu  einem  abgerundeten  Bilde 
verarbeiten  wollen. 

Man  wusste  sehr  gut,  dass  die  Heilkunst  nicht  auf  mystischem 
Wege  überliefert,  sondern  erlernt  wird,  wie  jede  andere  Kunst,  und 
dass  man  sich  zu  diesem  Zweck  an  Lehrer  wenden  muss,  welche  die- 
selbe verstehen  und  auszuüben  wissen.^ 

Der  ärztliche  Beruf  stand  Jedem  offen.  Das  medicinische  Studium 
begann  schon  in  früher  Jugend.*  Der  Unterricht  war  wahrscheinlich 
ähnlich  organisirt  wie  in  der  Platonischen  Akademie  und  anderen 
Schulen  der  Philosophen;  ein  Lehrer  übernahm  die  gesammte  ärztliche 
Erziehung  des  Schülers  und  machte  ihn  mit  allem  Wissenswerthen 
aus  den  verschiedenen  Zweigen  der  Heilkunst  bekannt. 

Als  Lehrer  durfte  Jeder  auftreten,  der  die  ärztliche  Praxis  aus- 
übte und  Kenntnisse  und  Erfahrungen  in  der  Heilkunde  gesammelt  zu 
haben  glaubte.  Er  forderte  von  dem  Schüler,  dessen  medicinische  Aus- 
bildung er  übernahm,  für  den  Unterricht  ein  Honorar,  welches  durch 
einen  Vertrag  festgestellt  wurde  und  manchmal  ziemlich  betracht- 
lich war. 

Bei  der  Aufnahme  des  Schülers  wurde  darauf  geachtet,  dass  der- 
selbe gesund  war;  denn  der  Arzt  muss  gesund  aussehen,  weil  die  Leute 


^  Platon:  Jon.  c.  8.  Gorgias  c.  14.  Über  die  bürgarliche  Tüchtigkeit  (Anfang). 
>  Platon:  Der  Staat,  L.  III,  c.  16.  —  Hippokbatbs  a.  a.  O.  T.  IV,  p.  688. 


Zur  Zmii 


47 


glauben  I  ^dass  er  auch  für  die  Gesundheit  Anderer  211  sorgen 
,i  Der  Verfasser  der  Hippokratischen  Schrift  über  „den  Arzt** 
"^fht  l>ei  dieser  Gelegenheit  die  humoristische  Bemerkung*  dass  es 
fir  den  Arzt  auch  vortheilhaft  ist,  „wohlbeleibt'*  zu  sein;  leider  Unter- 
last er  eine  Erkläning,  ob  sich  das  Vertrauen  der  Kranken  in  diesem 
Pdle  daranf  stützte,  dass  man  lüe  Dicken  für  gutmüthiger  hielt  als 
die  Mageren  oder  ihnen  grössere  Einnahmen ,  also  eine  ausgedehntere 
^intliehe  PraxLs  zuschrieb. 

Ferner  wurde  den  Ärzten  empfohlen,  „sich  reinlich  zu  halten,  an- 
gekleidet zu  sein  und  Pomaden  zu  gebrauchen,  die  einen  an- 
loiehmeii,  keinen  verdächtigen  Geruch  verV>reit*^n".  ^  Manche  scheinen 
dieiem  Rath  eine  zu  grosse  Wichtigkeit  beigelegt  zu  haben,  sodass 
jsm  sich  über  die  mit  ,,Stimlocken  geschmückten,  pomadisirten ,  mit 
JtJDgen  überladenen**  Heilkünstler  lustig  machte»^ 

„Als  kluger  Mann  wird  der  Arzt  sich  bemühen ,  schweigsam  zu 
und  im  Verkehr  den  foinen  Anstand  zu  bewahren.  Am  meisten 
wirken  gute  Sitten  auf  die  öffentliche  Meinung/*  „Wenn  er  unüber- 
legt und  voreilig  handelt,  wird  er  getadelt/*  ,Jn  seinen  Gesichtszügen 
liege  Nachdenken  ohne  Verdriesslichkeit ;  er  darf  nicht  anmassend  und 
inenschenfeindlich  erscheinen.  Wer  ins  Lachen  ausbricht  und  sehr 
ist,  wird  für  ungebildet  gehalten.  Davor  muss  man  sich 
nehmen.  Wenn  sich  der  Arzt  richtig  zu  benehmen  weiss,  so 
jdies  viel  werth;  denn  seine  Beziehungen  zu  den  Kranken  sind  sehr 
Nicht  blos  diese  werden  den  Händen  des  Arztes  übergeben, 
er  triflft.  bei  ihnen  auch  ihre  Frauen  und  Töchter  und  Werth- 
tode  an.  Da  gilt  es,  sich  zu  beherrschen!"*  — 
Ib  einer  anderen  Hippokratischen  Schrift  heisst  es,  dass  sich  „der 
gewisse  Höflichkeit  aneignen  soll;  denn  ein  rauhes  We^en 
It  deo  Gesunden  wie  den  Krankend  Ferner  ,,sn)l  er  mit  den 
[nicht  zu  viel  schwätzen,  sondern  nur  das  Kothwendige,  was 
ehandlung  gehört**.  Gleich  dem  echten  Philosophen  muss  er 
ichten,  „frei  von  Geldgier,  zurückhaltend,  schamhaft  und  würdevoll 
[sein^  sich  Meinungen  und  Urtheile  zu  bilden ^  ruhig,  umgänglich 
Sitten  rein  zu  erscheinen,  verständig  zu  reden,  Lebensweisheit  zu 
»erben,  sich  vor  Lastern  und  Aberglauben  zu  hüten  und  duroh 
Frömmigkeit  auszuzeichnen."'* 

Dem  Glauben  an  die  Macht  und  Güte  Gottes  giebt  der  Verfasser 


»  HippoKÄATEB  a.  a.  O.  T.  IX,  204. 
'  AiuBTor*HA3N'Ea:  Wolken,  v,  330. 


HiPPOKÄATBs  a.  a.  O.  T,  IX,  232—234. 


*  HiPPOCBATES  a.  a.  0.  T.  IX,  p.  266. 

*  HippotßATM  1.  Ä.  0.  T.  IX,  206. 


48  f>t^r  medwini^ehe  VniemM  im  AÜerUmm. 


r  TOQ  ■ 


des  \im\vm  ,,ai*er  die  heilife  KnnUtelt^  an  äser  Stelle,  wo  er 
fl^r  Meinung  *^prich^  dasa  die  Kninkheit^n  von  Gott  gesendet  würden^ 
mit  'h*n  .*4chnnpn  Worten  Aufdruck:  ,Jch  glaal)«  nicht,  dass  dt-r  Korper 
A\^  MonMchen  von  Uott,  da*  Niodrigst**  von  dem  Erliaben^ttJii  besudelt 
werden  kann.  Sollte  ihm  ton  Jemandem  ein  Schmutz  oder  ein  Leid 
zugefügt  werden,  so  wird  ihn  di»*  Gottheit  gewiss  lieber  reinigen  und 
erheben,  aln  erniedrigen;  denn  (intt  i.st  eg^  der  uns  von  den  iichwer>rri*n 
Frereln  reinigt  und  den  Schmutz  ton  uns  fortnimmt^'^ 

Kelien  der  ethischen  Erziehung  des  Arites  wurde  seine  wjssen- 
Hrhaftljehe  AtiJibiUlnnsT  nicht  vernachlässigt*  Man  ging  dabei  von  der 
richtigen  An^chuuung  aus,  das?*  er  zunächst  die  normalen  Verhältnisse 
des  K^rper^  studieren  miiJ^s,^  da  die  Kenntnias  derselben  die  Gnind- 
läge  dtT  gunzen  niedicinischen  Wissenschaft  bilde.  ^ 

Die  Anatomie  wurde  hauptsächlich  an  tJiterischen  Körpern  erforscht, 
Di«'  Zergliederung  uienj^chlichcr  Leichname  wurde  durch  religiöse  uüd 
.'iocjale  Vururtfjeile  vt^rhindert;  nur  wenn  es  gjch  um  Feinde  und  Ver- 
räther  \\m  Vaterlandes  oder  um  schwere  Verbrecher  handelte«  war  (Ue 
l'nt4irHUchung  men^chlinhrr  Korper  mrtglich. 

Denirti^e  (ielegenheitiMi  wurden  sicherlich  von  wissbegierigen 
■  Ärzten  in  einzelnen  Fällen  benutzt,  um  ihre  anatomischen  Kenntnisse 
ZU  fi'stigcn  und  zu  erweitern.  Auch  die  Leichen  aus<?eÄetzter  Kinder 
durften  ihrer  Aufmerksamkeit  nicht  entgangen  sein.  Desgleichen  mag 
der  Einblick  in  den  Bau  des  Körpers,  welcher  bei  äusseren  Verletxungen 
gewährt  wird,  nicht  ohne  Ergt^bnis«  geblieben  sein. 

Verscbiedene  Kr/ahlungen  deuten  darauf  hin,  daas  man  vor  der 
Eröffnung  und  Unt-ersuchung  des  menschliehen  Körpers  nicht  zurück* 
schreckte.*  Wenn  dabei  auch  keine  wisaenBChaftÜchen  Zwecke  verfolgt 
wurden,  so  wird  dadurch  doch  bewiesen,  dass  die  Möglichkeit^  anato^ 
mische  Untersuchungen  vorzunehmen,  gegeben  war. 

Dass  dies  wirkli^'h  giNcheh»*n  ist,  ist  f^inr-  Annahme,  die  durch 
einige  Bt-UMTkun gen  dcb  Abistotelks  und  der  Hippokratiker,  vor  Allem 
durch  il*'n  Umfang  des  anatomischen  Wissens  jener  Zeit  grosse  Wahr- 

Ischeinlichki'it  erhält.  Der  Verfasser  der  Hippokratischi*n  Schrift  ,,ül)er 
die  üelcnke"  .sagt  bei  (telegenheit  der  Wirbel-Luxatioii,  dass  es  nur 
WBEk  todten,  nicht  aber  am  lebenden  Älenschen  g:estattct  sei,  den  Leib 
wfiEUHchneiden,  um  mit  der  Hand  die  Verrenkung  zu  beseitigen,   und 


I 


■  '  UirroKRATE«  a,  w,  ih  T.  VI,  362. 

^^m       *  Vergl.  Platon;  Gesetze,  L.  XIT,  c  10, 

^^H     »  HippoKKATES  a.  a.  O.  T.  VI,  S78.  —  ABiBT^rrELJcai  Eth.  Nic*jm.  I,  13, 

^^^       *  pLLHJir»:  Hiflt,  nat.  XI,  TO.  —  Valkil  Maxik»  I,  8»  15,  —  PAuaiünAB  IV, 

^  9.  >-   UEHfjiraT  IX,  HS. 


Zmr  Z&U  des  HippokrcUes. 


49 


itt  der  Abhandlimg  „über  das  Herz"  ist  davon  die  Bede,  dass  dieses 
Org&n  in  der  seit  alter  Zeit  üblichen  Weise  aus  dem  Kürper  eines 
rhenen  beraasgenommen  wird,  am  es  zu  untersuchen,^  Eine 
im  5*  Buche  der  Epidemien  spricht  sogar  von  einer  Sektion, 
«reiche  vorgenommen  wurde,  am  die  Jrsaohe  und  Ausdehnung  einer 
Krankheit  festzustellen,* 

Man  scheint  sich  im  Allgemeinen  auf  die  Eröffnung  der  Brust- 

und  Baachh5hle  hesehränkt  zu  haben,  deren  Organe  in  ihrer  Lagerung 

mi  Form  ziemlich  richtig  lie.schrieben  werden.    ABi8ToTELEf>,  welcher 

verschiedenen  Gelegenheiten  Yergleiche   zieht   zwischen  dem   Bau 

Körpers  des  Menschen  und  der  Thiere»   erklärt^   dass  die  inneren 

des  Menschen  noch  wenig  bekannt  seien.'* 

ierdings   waren  die  Kenntnisse,    welche   die  Ärzte   der  Hippo- 

tischen  Zeit  vom  trehini,  den  Nerven,  (Tetussen  und  selbst  von  den 

skelu  hesassen,  tlürflrg  und  mangelhaft.  Dagegen  wurden  die  Knochen 

^enau  beschrieben   und  dabei  sogar  jene   feinen  Details    hirvor- 

wölche  nur  bei  einer  sorgfältigen  Betrachtung  auflallen.    Dass 

i  vorzugsweise  menschliche  Knochen  zur  Vorlage  dienten,  geht  aus 

«Schilderung  mit  Sicherheit  hervor. 

Wenn  die  Untersuchung  menschlicher  Leichen  oder  Leichentheile 
einzelnen  hervorragenden  Forschern  überlassen  blieb ^  so  war  die 
'gliedening  von  Thieren,  welche,  wie  Aristoteles  mehrmals  betont, 
hauptsächlichste  Quelle  der  anatomischen  Wissenschaft  darstellte, 
Mem  zuganglich.  Sie  bildete  wahrscheinlich  ein  wessen tliches  Hilfs- 
mittel des  anatomischen  Unterrichts.  Vielleicht  wurden  dazu  auch 
,  könntUche  Nachahmungen  von  Skeletten  benutzt  nach  Art  desjenigen, 
^Bplehes  in  Delphi  als  Weihegeschenk  aufbewahrt  wurde  und  angeblich 
^Kn  HiPPOKRATEs  herrfihrte?*  — 

^B  Im  Allgemeinen  bestand  der  anatomische  Unterricht  darin,  dass 
iler Lehrer  seinen  Schülern  Das  mittheilte,  was  er  selbst  von  dem  Bau  und 
L^  Zu>ammensetzung  des  menschlichen  Körpers  wusste  oder  glaubte, 
^Bmlich  stand  es  mit  der  Unterweisung  in  der  Physiologie,  welche  sich 
lüs  ein  lockeren  Gewebe  von  unbegründeten  Hypothesen  und  haltlosen 
i     Sp^kulationeu  darstellte, 

'  Bei   weitem   gn^ssere   Erfolge   versprach    die   Ausbildung   in   der 

Intersuchung  und  Behandlung  der  Kranken.     In  der  Kunst,   die  Er- 
scheinungen   der   Krankheiten   zu   beobachten    und   auf    naturgema*s.'^e 


^HippocjuTi»  a,  tt.  O.  T.  IV,  19S.  VI,  16.  IX,  88.  —  Galek  II,  280, 

DKEAT£s  a.  a.  O,  T,  V,  224,  —  Aristotelbb;  de  pari.  imim.  IV.  2, 


Hifit  iiuiin.  I.  16. 
"huMUHAW,  t7Dtrrriclif. 


♦   pAnsUHU«  X,  2,  4. 


iWcfae  m   hMm/lkmf  wid  dte  Jbite  d^r  alten  Griechen  Meii 
jm  der  Kranken,  eheiüo  wit  den  IMomfln  derBelben,  sei 
iptmm  Antmetkmmh'ii;  mb#T  da«  Havptftwielil  legten  nie  \ 

Unt(?rHUchung  (i**^  leidenden  Ki'jqiers.  Dabei  irtirde  die  Farli 
und  KeHchaiTenbdit  der  kummm  HaofttodeekiuigeD  «od  SebleiiiLliiiit 
der  ZuHtand  de«  Vntfiflmhik  nnd  die  Form  dea  Bmatkaiitena  beachki 
die  Tein|)eraiiir  mit  der  aafffelefrten  Hand  geprüft  and  die  AnKschei 
dnngfin  HnrT  H(»rtrfiiUi*r*'Ti    '  m^  nnterzoj^n. 

Durch  dif  if^üiHtun^'    .  ..      man  die  ürvi«i«e  df*r    Leber  lu» 

Mik^  ja  H(i$(ar  dii?  Farniveriiiid^'rijn^^en  der  letzteren,  welche  im  Verlan 
gowiÄser  Kninklii'it^n  vorkommen,  m  erkennen.'    Die  Succussion  diente 
gleicbzeitig  aU  dmcrnoHtiHcbeH  und  aU  therapeutisches  Mittel,   um  de^ 
fDurchbruch  dtn  K\Wm  in  die  Bronchien  zu  veranlassen. 

Man  kannt^e  thm  pleuriti.<tcbe  HoibongBgeftusch  und  die  klein« 
blaaigen  Ragüelgeräuscbef  die  mit  dem  Knarren  des  Leders  und  deq 
KochL>n  des  Easigs  ferglichen  werden.*  Bei  dieser  Gelegenheit  wirt 
luadrücklirh  trenagt,  da«s  das  Ohr  längere  Zeit  an  die  Brustwand  ga 
wurde^  dumtt  man  die^  GeraUHChe   boren  konnte  (noXl6v  XQ^^^ 

Die  Schilderungen  der  einzelnen  Krankheiten  und  ihres  Verlaufe^ 

"die  «ich  meisten»  an  Beobachtungen  aus  der  eigenen  Praxis  ani^chliesgefl 

sind  vorziiglich.     Einzelne  Krankbeit^bilder,  wie  diejenigen  der  Pneil 

moniet   d^r  Pleuntiu  und  der  Phthisi«,   die  man  für  ansteckend  bieMj 

rmaä  flO  vollstiindig,  dri><.s  ihnen  nur  wenig  hinzugefügt  werden  kann*  ' 

Unter  den  Krankheitsursachen  wurde  neben  der  Erblichkeit  un^ 
den  Diutfehlern  d^m  Klima^  der  Bodenheschaffenheit,  dem  Trinkwasser 
den  Jahreszeiten,  den  Winden  und  der  Temperatur  ein  grosser  Einflust 
zugoscbriel»en. 

Auf  einer  hohen  Stufe  der  Entwickelung  stand  die  Prognostik 
hl  den  llippokratischen  Schriften  werden  eine  Menge  von  Anzeichen 
erwidirit,  welnhe  rinen  günstigen  oder  ungünstigen  Ausgang  dt?r  Krank*« 
hoiten  verkünden.  Die  Arzte  gehätzten  die  Kunst,  „aus  dem  Vergangene^ 
und  Gegenwärtigen  da,s  Zukünftige  zu  erkennen**,  sehr  hoch.  .^Frerliel^ 
int  es  b«'sser/*  schreibt  der  Verfasser  des  Prognostikon,  „die  Krankbeik*» 
741  heilen,  nU  ihren  Verlauf  voraus  zu  sagen;  aber  dies  ist  leider  nicht 
immer  möglich.**^''  An  anderen  Stellen  werden  die  Är/te  zur  Vorsieh! 
bei  der  I^rugniiso  erraaJirit  und  gewarnt,  mehr  zu  behaupten,  als.j 
verantworten  k«mnen,* 

^  Ibri'nitiuTKii  tt,  II.  C),  T.  Vn,  Ä44.  —  Platon:  Timaeos,  c.  SS. 

»  HriTfiRuATW»  II.  a.  O.  T.  VI,  24.  VIl,  1»2.  «4. 

•  IhiroKruTwi  PI.  Ä.  O.  T.  II,  U€.         *  Hii^roKiuTE«  a.  ä  <>.  T.  IX,  $  u.  Cl 


FüTergäiiglicheii  Ruhm  haben  sich  die  HippoVratlker  darch  ihre 
ttiempeu tischen  Gnindsiltze  erworben,  welche  alle  Zeiten  überdauert 
Die  hohe  Bedeutung  der  Diätetik  wurde  Ton  ihnen  in  einer 
lise  anerkannt,  wie  es  von  den  Späteren  nur  selten  geschehen  ist 
einer  naturgemäs^en  Lebensweise,  in  Bädern,  Leibesübungen  und  einer 
gesunden  Nahrung  sahen  sie  das  beste  Mittel,  um  Kninkheitjen  zu  verhüten, 

Der  Arzt  wurde  als  der  Handlanger  der  Natur  betrachtet,  dem 
Aufgabe  zufallt,  deren  Heilbestreben  zu  befördern  oder  nachzuahmen. 
ÄChst  sollte  er  trachten,  wenn  möglich  die  Ursachen  des  Leidens 
beseitigen,  bei  der  weiteren  Behandlung  die  individuellen  Verhält- 
berücksichtigen und  überhaupt  mehr  den  Kranken,  als  die  Krank- 
heit ins  Auge  fassen:  er  sollte  sich  bemühen,  zu  nützen  oder  wenigstens 
nicht  zu  schaden,  1 

Die  Heilmittel  waren  vorzugsweise  diätetische;  aber  auch  von  den 
ntedicamentösen  werden  die  wichtigeren  Arzneistoffe  erwähnt,  welche 
b  Inet  werden.    Sie  wurden  in  der  Form  von  Obergiesstingen, 

li.  / 11^  Einspritzungen,  Klystieren  oder  Getränken  gebraucht.  Zu 
Blutentziehungen  bediente  man  sich  dea  Aderlasses,  der  Skarificationen 

der  Schropfkopfe. 

Alle  diese  Dinge  wurden  den  Schülern  der  Heilkunde  nicht  blos 
im  theoretischen  Vortrage  gelehrt,  »onden^  auch  am  Krankenbett  ge- 
leigt  und  erläutert.  Sie  begleiteten  zu  diesem  Zweck  entweder  den 
Uhret  bei  seinen  ärztiicben  Besuchen^  oder  erhielten  in  dem  zur 
Wohnung  desselben  gehörigen  latreion  den  nothwendigen  Unterricht.* 

Das  letztere  war  eine  unseren  Privat-Ambulatorieu  ähnliche  An- 
'sUlt,  in  welcher  Kranke  ärztlichen  Rath  suchten,  Medicamenle  em- 
pfinden, operirt  wurden  und  bisweilen  auch  längere  Zeit  wohnten  und 
fopflegt  wurden.*  Sie  sollte,  wie  es  in  der  Hippokratischen  Schrift 
^öber  den  Arzt**  heisst>  so  gelegen  sein,  dass  sie  gegen  den  Wind  und 
dffi  grelle  Sonnenlicht  geschützt  war;  denn,  „wenn  dasselbe  für  den 
behandelnden  Arzt  auch  nicht  unangenehm  ist,  so  ist  es  doch  für  den 
Kranken  lästig  und  seinen  Augen  schädlich."  „Die  Sessel  müssen,  so 
riel  als  möglieh,  von  gleicher  Hohe  sein.  .  Aus  Erz  sollen  nur  die  In- 
ätroinente  gearbeitet  sein;  denn  andere  Gerathe  aus  diesem  Metall 
scheinen  ein  überflüssiger  Luxus  zu  ?ein.  iJas  Trinkwasser,  welches 
dcfl  Kranken  gereicht  wird,  muss  geniivssbar  und  rein  sein." 


r 


»  HiiTOKKAti>  a.  IL  U.  W  l  624.   11,  l>3-l.  V,  314.   VI,  92.  41*0. 
■  PtATOBi;  Gorgta.%  c.  11. 

•  HrfFointATB»  a,  a,  O.  T.  IX,  20*?  u.  ff,  —  Aeschivrs  in  Timarcb.   124. 

*  Tlatok:  Gi*t!r!tKf3  I,  14,    Staat  IH,  13.  14.  —  Hnn^nKüAr^  a.  tt,  0,  T.  II. 
in.  272  u.  ff:  IX,  20B  u.  ff.  —  AmsTOPHANEs:  Acbam.  v.  1030. 

4* 


52  Der  medidnische  Unternoht  im  Alterthum, 


,.Die  Handtücher  sollen  sauber  gehalten  werden  und  sich  weich 
anfühlen,  desgleichen  die  Leinwand,  welche  für  die  Augen  benutzt 
wird,  und  die  Wundschwämme;  denn  diese  Dinge  sind  für  die  Heilung 
von  grosser  Bedeutung.  Die  Instnimente  müssen  in  Bezug  auf  Grösse, 
Schwere  und  Feinheit  für  den  Zweck,  zu  welchem  sie  gebraucht  werden, 
geeignet  sein." 

In  den  latreien  waren  ausser  den  chirurgischen  Instrumenten  stets 
Schwämme,  reine  weiche  Leinwand,  Binden,  Verbandapparate,  Schröpf- 
köpfe, Büchsen,  Klystierspritzen,  Becken,  Badewannen  u.  a.  nL  vor- 
handen. Das  Metall,  aus  welchem  diese  Gegenstände  verfertigt  waren, 
gab  dem  Ganzen  ein  sehr  glänzendes  Aussehen.^ 

Die  Zahl  der  latreien,  welche  ein  Ort  basass,  richtete  sich  nach 
dem  Bedürfniss.  „Wo  viele  Krankheiten  herrschen,"  schreibt  Platon,* 
„da  giebt  es  auch  viele  latreien." 

Die  Ärzte  bereiteten  die  Arzneien  selbst  und  kauften  die  dazu 
erforderlichen  Substanzen  entweder  von  den  Wiirzelsuchern  oder  sam- 
melten sie  wohl  auch  selbst  Apotheken  in  unserem  Sinne  gab  es 
nicht;  denn  die  Pharmakopolen  befassten  sich  nicht  blos  mit  dem 
Handel  von  Droguen  und  Specialitäten,  sondern  verkauften  auch  andere 
Dinge,  z.  B.  Amulette,  Brenngläser  und  allerlei  Curiositäten.' 

Dem  Arzt  standen  bei  der  Herstellung  der  Arzneien,  bei  der  Aus- 
führung von  Operationen,  überhaupt  bei  der  Kranken-Behandlung  seine 
Schüler  und  Gehilfen  zur  Seite.  Die  Assistenten  wurden,  wie  Platon 
sagt,  ebenfalls  Ärzte  genannt  Es  wurden  zu  diesen  Diensten  auch 
Schüler  verwendet,  besonders  solche,  welche  bereits  einige  Kenntnisse 
in  der  Heilkunst  besassen,  „damit  sie,  wenn  es  nöthig  war,  selbst  Ver- 
ordnungen treffen  und  ohne  Bedenken  Arzneien  anwenden  konnten". 
Auch  fiel  ihnen  die  Aufgabe  zu,  das  Befinden  des  Kranken  zu  über- 
wachen, wenn  der  Arzt,  ihr  Lehrer,  abwesend  war,  „damit  ihm  nichts 
verborgen  blieb,  was  in  der  Zwischenzeit  geschah".  Der  Hippokratisohe 
Autor  warnt  dringend  davor,  „derartige  Aufträge  Unerfahrenen  zu  er- 
theilen;  denn  wenn  ein  Fehler  begangen  wird,  so  trifft  den  Arzt  der 
Vorwurf". 

Die  Schüler  wurden  auch  in  dem  Gebrauch  der  chirurgischen 
Instrumente  und  Apparate  unterwiesen.*  „Bei  chirurgischen  Operationen 
müssen  die  Gehilfen,  wie  in  der  ,Werkstätte  des  Arztes*  vorgeschrieben 
wird,  theils  den  Körpertheil,  an  welchem  die  Operation  vorgenommen 


*  Antiphanes  bei  Pollux:  Onom.  X,  46.  *  Platon:  Staat  III,  13. 
^  Vergl.  W.  A.  Becker:  Charikles  IIl,  S.  52,  Leipzig  1854,  2.  Aufl. 

*  HipPOKRATEs  a.  a.  0.  T.  IX,  216. 


fird,  darreichen,  theila  den  übrigen  Korper  dea  Kranken  festhalten. 
Dibei  sollen  sie  schweigen  und  nur  hören,  was  ihr  Meister  sagt** 

„Die  Instrumente  müssen  so  geleg^t  werden,  dass  sie  bei  der  Arbeit 
nicht  hinderlich  und  doch  gleich  bei  der  Hand  sind,  wenn  sie  gebraucht 
ierden.  Wenn  einer  der  Schüler  sie  dem  Operateur  reicht,  so  soll  er 
dieselben  schon  im  Yoraus  sich  zurecht  legen  und  bereit  halten  und 
im  thun,  was  Jener  betiehlt,'* 

Dem  Operateur  werden  ausführliche  Vorschriften  über  seine  Klei- 
don^t  Stellunsf^  und  die  Haltung  seiner  Arme  und  Füsse  während  dor 
Operation  i^e^reben.  ,,Die  Nägel  dürfen  die  Fingerspitzen  nicht  über- 
ragen, aber  auch  nicht  zu  kurz  sein,  weil  man  die  Fingerspitzen  braucht. 
loss  sich  darin  üben,  indem  man  den  Zeigetinger  gegen  den 
bewegt  die  ganze  Hand  flach  neigt  und  beide  Hände  gegen- 
der drückt  Sehr  günstig  für  den  Arzt  ist  es,  wenn  die  Zwischen- 
lüame  zwischen  den  Fingern  seiner  Hände  gross  sind  und  der  Daumen 

Zeige  tili  ger  entgegensteht.^*  ,,Er  muss  sich  im  tiebrauch  beider 
Bde  üben  und  mit  beiden  Händen  dieselben  Arbeiten  gleich  gut, 
riiön,  rasch  und  ordentlich  ausführen,  ohne  dass  es  ihm  Mühen  und 
Beicbwerden  macht.**  ^ 

Die  Ärzte  der  Hip{>okratischen  Zeit  übten  sowohl  die  Chirurgie 
ib  die  innere  Medicin  aus,  Specialisten  gab  es,  wie  es  scheint,  noch 
aichti*  wenn  sich  auch  einzelne  Ärzte  vielleicht  vorzugsweise  mit  irgend 
«tailii  Theile  der  Heilkunde,  z.  B»  der  Behandlung  der  Augen  oder 
Zahse,  bejächäftigten.  * 

Die  Chirurgie  befand  sich  in  einem  sehr  unvollkommenen  Zustande, 
WM  sich  durch  die  Yernachlassigung  der  Anatumie  erklärt.  Man  kannte 
die  Unterbindung  der  Gefösse  zum  Zweck  der  Blutistillung  noch  nicht 
und  durde  sich  daher  nicht  an  Operationen  wagen,  die,  wie  z.  B.  die 
^AmpiiUtion  oder  die  Fntfemung  grosser  Geschwülste,  mit  starken  Blut- 
llasten  verbunden  sind. 

Dagegen  wurden  die  Trepanation,  die  Operation  des  p]mpjems, 
•üe  Paracentese  des  Unterleibs  und  ähnliche  Operationen,  bei  denen 
die  Blutung  unbedeutend  ist,  ausgeführt.  Anerkennung  verdient  die 
Bdidireibung  und  Behandlung  der  Wunden  und  Fisteln,  namentlich 
aber  der  Luxationen  und  Frakturen. 

Hier  mochten  die  Erfahrungen,  welche  man  in  den  Ringschulen 
miohle,  wesentlich  beitragen,  um  einer  einfachen  und  naturgemässeu 
HeOmethode  die  Wege  zu  ebnen.     Knochenbrüche  und  Verrenkungen. 


'  Pijitok:  Gesetze  IV,  10.  —  Hippoiciiatks  a,  a.  U.  II K  i7H  u,  W.  280.  IX,  242, 
'  CicsBo:  de  oratore  FIK  33.  •  Vgl.  Becker  a.  a.  U.  S.  59, 


54  Der  medioinische  Unterricht  im  AUerthum. 


welche  bei  den  gymnastischen  Übungen  vorkamen,  erforderten  sofortige 
Hilfe,  und  die  Lehrer,  welche  an  den  Ringschulen  angestellt  waren, 
mussten  sich  daher  einige  Kenntnisse  in  diesen  Dingen  erwerben,  wenn 
sie  zweckmässige  Anordnungen  treffen  wollten.  Waren  sie  mit  guter 
Beobachtungsgabe  und  praktischer  Geschicklichkeit  ausgestattet,  so 
wurden  sie  auch  auf  andere  Leiden  aufmerksam,  deren  Anblick  sich 
ihnen  darbot.  Durch  das  Studium  medicinischer  Schriften  und  den 
Verkehr  mit  Ärzten  versuchten  sie  dann,  eine  Erklärung  und  Bestäti- 
gung ihrer  eigenen  Erfahrungen  zu  erhalten. 

Einzelne  Gjmnasten,  wie  Ikkos  und  Hebodikos,  welcher,  wie 
PiiiiTON  schreibt,  die  Heilkunde  mit  der  Gymnastik  verband,  erwarben 
sich  durch  ihre  ärztliche  Tüchtigkeit  grossen  Buf.  Sie  empfahlen  haupt- 
sächlich diätetische  Mittel,  Dampfbäder,  Salbungen,  Friktionen  und 
Körperbewegungen,  wie  den  Dauerlauf.^ 

Gleichwohl  darf  man  die  Gymnasten  nicht  für  Arzte  halten. 
Philostbatos  bestimmt  in  seinem  Buch  „über  die  Gymnastik''  die 
Stellung  der  Gymnasten  und  ihr  Yerhältniss  zur  Heilkunst  kurz  und 
treffend,  wenn  er  sagt,  „dass  ihre  Thätigkeit  darin  bestand,  die  Säfte 
auszuleeren,  die  überflüssigen  Stoffe  zu  entfernen,  harte  Theile  weich, 
andere  fett  zu  machen,  umzugestalten  oder  zu  erhitzen'',  während  man 
bei  schweren  organischen  Erkrankungen,  bei  Verletzungen,  Augenleiden 
u.  dgl.  die  Hilfe  der  Ärzte  in  Anspruch  nahm.* 

Ziemlich  bedeutende  Kenntnisse  besassen  die  Hippokratischen  Ärzte 
in  der  Gynaekologie.  Sie  kannten  verschiedene  Formen  der  Lage- 
veränderung der  Gebärmutter,  den  Prolapsus  derselben  und  eine  grosse 
Anzahl  von  Krankheiten  der  weiblichen  Geschlechtstheile. 

Die  Geburtshilfe  lag  in  den  Händen  der  Hebammen,  und  nur  in 
schwierigen  Fällen  wurde  der  Arzt  zu  Bath  gezogen.  Man  vertraute 
dem  Wirken  der  Natur  und  griff  nur  dann  ein,  wenn  dem  Leben  der 
Mutter  oder  des  Kindes  Gefahr  drohte.  Bei  ungewöhnlicher  Kindeslage 
nahm  man  die  Wendung  vor;  vorgefallene  Extremitäten  wurden  reponirt 
oder,  wenn  dies  nicht  möglich  war,  vom  Körper  abgetrennt' 

Über  das  Hebammen -Wesen  hat  Sokbatbs,  der  Sohn  der  „rüstigen 
und  würdevollen  Hebamme  Phaenarete",  wie  er  sich  mit  Stolz  nennt^ 
einige  Mittheilungen  hinterlassen.  Frauen,  welche  sich  diesem  Beruf 
widmeten,  mussten  geboren  haben,  aber  bereits  in  dem  Alter  stehen, 


*  Platon:  Staat  III,  14.    Protauorah  c.  8.    I'hakdros,  c.  1.  —  Hippokbatbs 
O.  T.  V,  302.  —  Plinius:  Hist.  nat  XXIX,  2. 

*  Philostbatos:  ni(fi  yv/*¥a(Ft^qf  Edit  Daremberg,  Paris  1858. 
»  HippoKRATEs  a.  a.  O.  T.  VIII,  146  u.  ff.  480.  512. 


Zur  Zeit  des  Hippokraies, 


55 


diss  sie  niclii  mehr  schwanger  wurdea.  Sie  geben  Auskunft,  ob  die 
Oebart  nahe  bevorstand,  suchten  dieselbe  durch  Arzneiea  und  psychische 
Kittel  m  befordern  und  zu  erleichtern  und  durchschnitten,  nachdem 
m  erfolgt  war,  die  Nabelschnur. 

Wenn  sie  es  für  nöthig  hielten,  führten  sie  den  Abortus  herbei. 
Sebenbei  betrieben  sie  das  ohne  Zweifel  recht  einträ^fliehe  Geschäft 
^n  Heirathsvermittlerinnen,  wozu  sie  sich  ullerdings  aus  mehrfachen 
Qr&Dden  eigneten.^ 

Manche  Hebammen  nahmen,  wie  es  scheint,  schwangere  Frauen 
io  ihrer  Wohnung  auf,* 

tlber  die  t»erufsmii^ige  Ausbildung  der  Hebammen  sind  uns  leider 
keine  Nachrichten  übermittelt  worden.  Wahrscheinlich  wurden  sie  von 
einer  älteren  Cüllegin,  die  auf  diesem  Felde  der  Thätigkeit  bereits  reich 
an  Erfahrungen  war,  in  den  Päichten  der  Wehmutter  unterrichtet 
Vielleicht  deutet  eine  auch  poetisch  bearbeitete  Sage,  dass  die  Ausübung 
der  Geburt^^liilfe  Anfangs  den  Männern  vorbehalten  war  und  erst  später 
den  Frauen  überlassen  wurde,  nachdem  sie  von  jenen  darin  unterwiesen 
worden  waren,  darauf  hin,  dass  die  Hebammen  ihre  medicinischen 
Kenntnisse  den  Ärzten  verdankten?^ 

Die  ärztliche  Praxis  war  Jedem  gestattet,  der  das  dazu  erforder- 
liche Wissen  zu  besitzen  glaulde* 

Die  Äizt-e  behandelten  die  Kranken  entweder,  wie  gesagt,  im 
Jatreion  oder  besuchten  sie  zu  diesem  Zweck  in  ihren  Behausungen* 
In  den  Hippokratischen  Schriften,  besonders  in  den  ,,Epidemien",  wer- 
den eine  Menge  von  Krankengeschicht'en  erzählt  und  dabei  stets  die 
Wohnungen  der  Patienten  angegeben, 

Ke  Ärzte  nahmen  bei  diesen  Besuchen  einzelne  ihrer  Gehilfen 
and  Schüler  mit  sich  und  übertrugen  ihnen  manche  der  zur  Behand- 
lung gehörigen  Verrichtungen,  Deshalb  sollten  sie  „die  Arzneien  und 
ihre  Kräfte  und  Alles  was  darüber  geschrieben  worden  ist",  sowie  die 
Behandlungsmethoden  fest  im  Gedächtniss  haben,  bevor  sie  sich  zu  den 
Kranken  begaben.  „Beim  Eintritt  in  das  Krankenzimmer  setze  man 
soh  nieder,  zeige  ein  zurückhaltendes  würdiges  Benehmen,  spreche  nicht 
fiel  und  lasse  sich  nicht  in  Verwirrung  bringen.  Dann  nähert  man 
ach  dem  Kranken,  schenkt  ihm  Aufmerksamkeit,  erwidert  seine  £nt- 
Ijegnuogen,  bewahrt  den  Ärgernissen  gegenüber  seine  Ruhe,  tadelt  Un- 
ordnungen und  sei  zu  Diensten  bereit'^ 


'  PuiTOir:  Tbeaetetos,  c.  0. 

'  AturroPffA^HBi:  LvMstratoö  V,  74B  u.  tf. 

'  nfaiKirs:  fabul  274,  —  Weix;kkb  a.  a,  O.  S.  195  u,  if. 


56  Der  medioinische  UhterricfU  vni  Älterthum, 


Diese  Besuche  sollen  öfter  wiederholt  werden,  damit  etwaige  In-- 
thümer  verbessert  werden  können.  Dabei  soll  der  Arzt  darauf  achten, 
wie  das  Schlafgemach  der  Kranken  gelegen  ist,  und  ob  sie  durch  Lärm 
oder  starke  Gerüche  gestört  werden,  und  dann  in  taktvoller,  aber  ent- 
schiedener Weise  darauf  dringen,  dass  derartige  Zustande  geändert 
werden.  ^ 

In  schwierigen  Krankheitsfallen  fanden  Consultationen  mehrerer 
Ärzte  statt;  „denn  es  ist  keine  Schande",  steht  in  den  Hippokratischen 
Vorschriften,  „wenn  ein  Arzt,  der  bei  einem  Krankheitsfall  in  Verlegen- 
heit ist  und  aus  Mangel  an  Erfahrung  die  denselben  betreffenden  Ver- 
hältnisse nicht  durchschaut,  andere  Ärzte  hinzuruft,  damit  er  sich  mit 
ihnen  besprechen  und  Das,  was  zur  Erleichterung  des  Kranken  geschehen 
soll,  feststellen  kann."* 

Manche  Ärzte  übten  die  Praxis  nicht  blos  an  ihrem  Wohnort 
aus,  sondern  unternahmen  zu  diesem  Zweck  sogar  Reisen.  Sie  fährten 
in  solchen  Fällen  Instrumente  mit  sich,  welche  schlichter  gearbeitet 
und  leichter  fortzuschaffen  waren.' 

Die  Ärzte  waren  berechtigt,  für  die  Dienste,  welche  sie  den  Kranken 
leisteten,  ein  Honorar  zu  fordern.*  Aber  der  Hippokratische  Autor 
ermahnt  sie,  „sich  dabei  nur  von  dem  Beweggrunde  leiten  zu  lassen, 
dass  sie  dadurch  die  Mittel  zu  ihrer  weiteren  Ausbildung  gewinnen. 
Auch  sollten  sie  dabei  nicht  zu  unmenschlich  vorgehen,  auf  das  Ver- 
mögen und  die  Verhältnisse  des  Kranken  Rücksicht  nehmen,  zuweilen 
auch  unentgeltlich  Hilfe  leisten  und  dabei  denken,  dass  das  Andenken 
an  eine  gute  That  mehr  werth  ist,  als  ein  augenblicklicher  VortheiL 
Bietet  sich  die  Gelegenheit,  einem  Fremdling  oder  einem  Armen  zu 
helfen,  so  möge  man  dies  nicht  versäumen;  denn  wo  Liebe  zu  den 
Menschen,  dort  ist  auch  Liebe  zur  Wissenschaft."* 

Schon  in  sehr  früher  Zeit  begann  man,  Ärzte  auf  öffentliche  Kosten 
zu  besolden,  denen  die  Verpflichtung  auferlegt  wurde.  Kranke  unent- 
geltlich zu  behandeln.  Diese  Einrichtung  soll  bereits  vor  Charondas 
(7.  Jahrh.  v.  Chr.)  bestanden  haben.  •  Jedenfalls  war  sie  alt,  und  der 
im  vorigen  Kapitel  genannte  Demokedes,  der,  bevor  er  zum  Konig 
Darius  kam,  als  städtischer  Arzt  in  Aegina  mit  der  Jahresbesoldung 
von  einem  Talent,  dann  in  Athen  mit  dem  Gehalt  von  hundert  Minen 


'  HippoKRATES  a.  a.  O.  T.  IX,  238  u.  ff. 
»  HippoKKATEs  a.  a.  O.  T.  IX,  260.  262. 
»  HiPPOKRATES  a.  a.  O.  T.  IX,  236. 

*  Platon:  StaatsmaDn,  c.  37.  —  Aristotelbs:  Staat  III,  1«.  —  Xbhophuv: 
Memorab.  I,  2,  54.  —  Punius:  Bist.  nat.  XXIX,  2. 

»  HippoKRATEs  a.  a.  0.  T.  IX,  268.  *  Diodob  XII,  18. 


angeittellt  geweeen  uod  hierauf  von  Polyk&ates  nach  Samos  berufen 
Verden  war,  der  ihm  einen  Gehalt  von  zwei  Talenten  ausgesetzt  hattej 
bietet  ein  Ivekaimt-es  Beispiel  dafür  aus  «iera  H.  Jahrh,  v.  Chr.  ^ 

Die  St^fiofrtBvoin-t^,  „die  Volksärzte'*,  wurden  von  deo  Gemeinden 
It  In  Athen  mussten  sich  die  Candidaten,  welche  ein  derartiges 
Amt  zu  erlangen  wünschten,  in  der  öffentlichen  Versammlung  der 
Borger  Yorstellen,  über  ihren  Bildungsgang  Auskunft  geben,  und  den 
Hflisler  nennen,  von  welchem  sie  die  Heilkunst  erlernt  hatten.  Bei 
der  Wahl,  welche  wahrscheinlich  in  derselben  Weise  geschah  wie  die- 
jem^  der  übrigen  öfl'entlichen  Beamten^  sollte  derjenige  Bewerber  als 
Seger  herronjehen^  welcher  der  Tüchtigste  war.^  Ähnlich  wie  in 
Athen  dürfte  man  auch  in  anderen  griechischen  Städten  bei  der  An- 
Bellimg  von  Gemeindeärzten  vorgegangen  sein. 

Ihre  Besoldung  wurde  gleich  den  Ausgaben  für  Musik  und  andere 
i'iffentbche  Angelegenheiten  durch  städtische  Umlagen  aufgebracht;  in 
ler  zu  Delphi  aufgefundenen  Inschrift,  welche  freilich  aus  einer  etwas 
Iteren  Zeit  (214 — 163  v,  Chn)  stammt,  wird  erwähnt,  dass  Jemand 
TOD  dieser  Steuer  befreit  wurde.  ^ 

Neben  dem  Gehalt^  dessen  Hohe  von  den  Leistungen  des  Arztes 
der  Grösse  und  dem  Reichthum  der  Stadt  abhing,  erhielten  die 
Gemeindeärzte  wahrscheinlich  ein  latreion,  welches  auf  cifFentliche  Kosten 
ungerichtet  und  erhalten  wurde.*  Dort  empfingen  sie  die  Kranken, 
telche  bei  ihnen  ärztliche  Hilfe  suchten,  und  ertheilten  medicinischen 
l'nterricht. 

Die  Gemeindeärzte  waren  berufen,  bei  Kpidenuen  die  Anordnungen 
IQ  treffen^  welche  zur  Beseitigung  derselben  erforderlich  erschienen, 
cmd  dienten  den  Behörden  überhaupt  als  Sachverständige.  Ihre  eigent* 
Me  Aufgabe  bestand  jedoch  in  der  unentgeltlichen  Behandlung  der 
Kranken;  die  Gemeinden  wollten  sich  durch  die  Anstellung  eines  Arztes 
sicheniy  dass  ihre  Bürger  im  Falle  der  Noth  jederzeit  ärztliche  Hilfe 
am  Ort  finden.  Obwohl  aus  den  überlieferten  Nachrichten  nicht  her- 
TOTgeht,  dass  die  unentgeltliche  Behandlung  sich  nur  auf  die  Armen 
beschränkte,  so  ISsst  sich  doch  annehmen,  daas  dies  thatsächlich  der 
M  war,  und  die  Vermngenderen  sich  durch  Geschenke  für  die  Mühen 
dee  Arztes  erkenntlich  zeigten. 


'    flcitODOT    HI,    131. 

'  Xjekopbon:  Memorab.  TV^  2,  5.  —   I^laton:  Gorgias,  e.  lü.  70.  Sfiiataniaiiii, 
c  1  S7,     Vgl  auch  Böckh:  Staatshaushalt  dor  Athener  I^  e.  21. 

'  C.  Wkschkr  u.  V.  F^iücart:  Inscriptiotis  A  Delphes,  Paria  1863^  p.  ^0,  No.  IH, 
*  VeTgL  Vebcoutre:  Im  im^decine  publique  dans  rantiquitii  grecque  in  der 
R-'Vue  arch^.ologiqiic.  Pari>»  1880.  ser.  IL  1'.  39,  p.  332. 


Wie  die  Griechen  das*  Institut  der  Oemeindearzte  ins  Leben  riefe 
80  sorgten  sie  auch  dafür,  dass  ihre  Truppen  mit  Ärzten  ver^ehi 
wurden.  Schon  Lykub«  hielt  dies  für  nolhwendig  und  stellt**  bei  d6l 
Heere  der  Spartaner  Ärzte  an**  Bei  den  „Zehntausend  Mann",  weldi 
Xeuophon  befehligte,  befanden  sich  acht  Feldärzte.  ^  Des  HrppoKjaTi 
ältcirer  Sohn  The>^sal(jw  soll  einige  Zeit  als  Militürarzt  thäti^  gewes« 
sein,  und  tler  Verfasser  der  Hippokratischen  Schrift  „über  den  An) 
schreibt,  „dass  sich  der  Amt  in  der  Chirurgie  am  besten  au^ibildl 
wenn  er  in  die  Dienste  des  Heeres  tritt";  er  bemerkt  bei  dieser  Q^ 
legenheit  auch,  dass  es  bereits  eine  besondere  militänir/.tliche  LiteratQ 
gab,  in  welcher  die  im  Kriege  rorkorawienden  Verletzungen  besprocha 
wurden.''  Das  Heer  Alexander»  von  ilacedonien  wurde  Ton  den  fai 
rühmtesten  Ärzten  Jener  Zeit,  von  Philipp  von  Äkarnanien,  Kalu 
8THENES  aus  Olynth,  Glaukias  und  ALExn»P0K  begleitet 

Der  ärztliche  Stand  genoss  hohes  xVnsehen,  Das  Wort  HoMEB'sy 
„dass  ein  einziger  Arzt  so  viel  werth  ist,  als  viele  andere  Männer  zq 
sammen^*,  galt  auch  spater.  Ärzte,  welche  sich  durch  selbstlose  Opfej 
Willigkeit  und  hervorragende  Leistungen  in  ihrem  Beruf  auszeichnete! 
und  um  den  Staat  verdient  machten,  wurden  durch  Lobreden  uit 
Ehren  belohnt. 

Auf  der  Bronze-Tafel  von  Idalion,  welche  aus  dem  b,  Jahihund«| 
V,  Chr.  stammt,  wird  der  Verdienste  des  Arztes  0NAsiirfj8  gedacht,  da 
mit  seinen  Schülern  im  Kriege  unentgeltlich  Dienste  leistete  und  dafB 
eine  Dotation  und  Steuerfreiheit  erhielt.^  Die  Athener  sollen  difl 
Hu'POKRATEs  mit  Ehren  überhäuft,  auf  Staatskosten  in  die  Eleusinische| 
Mysterien  eingeweiht,  mit  einer  goldenen  Krone  gekrönt  und  noch  ai 
andere  Weise  ausgezeichnet  haben.  ^ 

Der  Arzt  Euenoh,  welcher,  wie  in  einer  Inschrift  vom  Jahre  381 
V.  Chr,  mitgetheilt  wird,^  „vom  Volk  mit  der  Überwachung  der  Bl 
reitung  <ier  Arzneien  für  das  ööentliche  latreion  betraut^  für  diesü 
Zweck  eine  grosse  Summe  aus  eigenen  Mitteln  geopfert  und  vii 
Kranke  unentgeltlich  behandelt  hatt^/*  wurde  dafür  öffentlich  belo 
und  durch  einen  Kranz  und  die  Verleihung   des  Bürgerrechts    geeh; 

i'   Xknoi'Uun:   \)cr  hiikiHläimm,   Stuat,  o.  IH. 
•  XKm>prn»N:  Cyropiied,  I,  (>,   lf>.     Aimbafti»  III,  4,  30. 
"  Hii'j'oKUAtKs  ix.AAK  T  IX,  220.  *  lÜRH  XI,  .M4, 

^  M.  S«:iiMii»i\  VJk  liimlirift  von  lihiliori.  Jenn  lh7f>.  und  Sammlung  Kyp 
riflcher  luHcbrirfci»,   IsTii,  Tiif,  L  i 

*  HirPOKHATE**  fi.  a.  O;  T.    IX,   402,  ' 

'  ßHANuAßfi:   AtttiqtiitV-8  hi^lU'u..   IH&fi,    V.  11,  Xo,  a7.^.         \L  iJi'nriL>*  in  d^ 
Gott,  gelehrt.  Ana.  IH.%6,  No,  IWI  ii.  ff. 
1 


Zur  Zeit  de»  HippokraUs. 


59 


In  der  Inschrift  von  Karpathos,  welche  Wbsghbb^  dem  Ende  das 
oder  AnCäQg  des  3.  Jahrhunderts  v*  Chr.  zuschreibt,  heisst  ess,  dass 

Anbelraeht,  dass  Menokäitos,  der  Sohn  des  Meteodoeos  aus 
SuiioSf  in  seiner  Stellung  als  Gemeindearzt  sich  durch  mehr  cils  zwanzig 
Jahre  mit  Eifer  und  Hingebung  der  Behandlung  der  Kranken  gewidmet 
und  sowohl  in  seinem  ärztlichen  Beruf  als  in  seinem  sonstij^en  Leben 
Sikellos  benommen  habe,  dass  er  l'erner  bei  einer  Seuche,  welche  in 
te  Stadt  ausbrach  und  nicht  blos  die  Einheimischen,  sondern  auch 
die  Fremden  in  grosse  Gefahr  hrachle,  durch  seine  Aufopferung  und 
gpirsamkeit  am  meisten  dazu  beigetra*?en  hat,  die  Gesundheit  wieder 
hstzQstellen^  dass  er  endlich,  anstatt  Bezahlung  zu  fordern,  lieber  in 
Dsrftigkeit  gelebt,  viele  Bürger  aus  gefährlichen  Krankheit<^n  errettet, 
(^tuie  eine  Belohnung  dafür  anzunehmen,  wie  es  recht  und  billig  ge- 
wesen wäre,  nnd  niemals  gezögert  hat,  die  Kranken,  welche  in  der 
UAgebung  der  Stadt  wohnten,  zu  besuchen,  das  Volk  von  Brvkontion 
liescklossen  habe,  ihn  zu  beloben  und  mit  einem  goldenen  Kranze  zu 
sflkmücken  und  diesen  Beschluss  bei  den  Asklepios-Spielen  Mffentlii'h 
lerkdnden  zu  lassen,  ihm  ferner  das  Recht  zu  ertheilen,  an  allen 
F«8ten  der  Brykontier  Theil  zu  nehmen  und  ihm  im  Neptun-Tempel 
siiie  Marmorsäule  zu  errichten,  auf  welcher  dieser  ihn  ehrende  Volks- 
besohltiss  niedergeschrieben  werden  soll" 

Einige  Aut-oren'  haben,  gestützt  auf  einzelne  Aussprüche  doctri- 
flifff  Philosophen,  geglaubt^  dass  die  ärztliche  Thcitigkeit,  weil  sie  für 
Geld  ausgeübt  und  zu  den  sogenannten  „bürgerlichen  Gewerben",  wie 

^Ti^iQVQyiu  übersetzen  kann,  gerechnet  wurde,  von  den  t^rieehen 
tt  in  gebührender  Weise  geschätzt  wurde.  Aber  Platon  sagt  aus- 
diüokUcb,  dass  „der  echte  Arzt  eiuen  höheren  Zweck  verfolgt,  als  Geld 
OL  erwerben",  und  dass  die  Heilkunst,  wenn  sie  auch  für  Lohn  aus- 
ge&U  wüd^  doch  keine  lohndienerische  sei.^  Obgleich  er  in  den  „Ge- 
sebeii'*  schreibt,  dass  die  Gesundheit  des  Körpers  nicht  zu  den  Gütern 
gehöre^  welche  für  den  Staat  in  erster  Linie  von  Werth  sind,  so  er- 
klärt er  es  doch  für  eine  Pflicht  desselben,  dafür  zu  sorgen,  dass  tüchtige 
inte  herangebildet  werden.* 

Das  Ifaass  der  Achtung,  welche  dem  Arzt  gezollt  wurde,  richtete 
aick,  wie  zn  allen  Zeiten,  nach  der  Individualität  desselben,  seinen 
Kenntnissen,  seiner  Geistes-  und  Herzensbildung  nnd  seiner  äusseren 


>  Rcvoe  ÄTch^log.,  Pam  1SB3,  T.  VIII.  p,  469. 

'  Verg:L  K.  F.  Hbail^kiv:  I^hrbueh  der  griech.  Privat- Altertbümer»  Heidel- 
bii^  1852,  m,  S.  192. 

*  Hlatok:  Staat  I,  c\  15.  1». 

*  PiATox:  Ge&etze  I,  6.    Staat  Hl,  Je. 


60  Der  m^diciniscfie  UnterrictU  im  AUertkum, 


IjebensstelluDg.  Ein  Sklave,  welcher  als  Gehilfe  eines  Arztes  bedeutende 
Kenntnisse  erwarb  and  eine  segensreiche  Wirksamkeit  ent&ltete,  blieb 
gleichwohl  stets  in  einer  untergeordneten  abhängigen  Stellung.  Es 
scheint  übrigens,  dass  die  aus  der  Klasse  der  Sklaven  hervorgegangenen 
Arzte  nicht  die  gleiche  fachmännische  Bildung  besassen,  wie  die  übrigen 
Arzte,  sondern  ihre  Kunst  rein  empirisch  erlernten.  „Wollte  man  mit 
einem  solchen  Manne  philosophische  Reden  über  den  Bau  und  die 
Funktionen  des  Korpers  wechseln,"  bemerkt  Platon,*  so  würde  er 
gewiss  herzlich  lachen  und  ausrufen:  Du  Thor!  Du  bist  kein  Ant, 
sondern  ein  Schulmeister  Deiner  Kranken."  — 

Bei  der  Beurtheilung  des  Arztes  diente  seine  wissenschaftliche 
Bildung  sicherlich  als  ein  wichtiger  Gesichtspunkt  Unwissende  und 
ungeschickte  Arzte  wurden  belacht  und  verspottet  und  der  öffentlichen 
Verachtung  preisgegeben.  Im  Hippokratischen  ,.Gesetz"  werden  sie 
mit  den  Figuranten  auf  dem  Theater  verglichen,  „welche  aussehen,  ge- 
kleidet sind  und  Macken  tragen,  wie  die  Schauspieler,  es  aber  nur 
dem  Namen  nach,  nicht  in  Wirklichkeit  sind."*  An  einer  anderen 
Stelle  heisst  es,  dass  es  den  unfähigen  Ärzten  wie  schlechten  Steuer- 
männern geht.  „Wenn  dieselben  bei  ruhigem  Meere  das  Steuer  lenken 
und  dabei  Fehler  begehen,  so  wird  es  von  Niemandem  bemerkt;  wenn 
aber  widriger  Wind  und  heftige  Stürme  hausen,  und  dabei  das  Schiff 
zu  Grunde  gerichtet  wird,  dann  ist  Jeder  überzeugt,  dass  ihre  Un- 
wissenheit und  ihre  Fehler  daran  Schuld  sind.  Ebenso  verhält  es  sich 
auch  mit  den  schlechten  Ärzten,  welche  unt«r  ihren  Beru&genossen 
die  Mehrzahl  bilden.  Wenn  sie  leichtere  KrankheitsfiUe  behandeln, 
bei  denen  man  die  grössten  Fehler  begehen  kann,  ohne  dass  nach- 
theilige Folgen  eintreten,  so  wird  ihre  Unfähigkeit  den  Laien  nicht 
auffallen;  wenn  sie  dagegen  zu  einer  schweren,  heftigen  und  gefahr- 
lichen Krankheit  gerufen  werden,  dann  wird  es  Jedem  klar  werd^ 
dass  sie  nichts  verstehen  und  falsche  Anordnungen  treffen."'  „Die 
Unwissenheit  ist  ein  schlechter  Schatz  und  ein  trauriges  Kleinod,  ein 
steter  Traum,  ein  Phantasiebild,  bietet  keine  Freude  und  keine  Heiter- 
keit und  ist  die  Amme  der  Feigheit  und  Verwegenheit"* 

Die  Hippokratischen  Arzte  ermahnten  ihre  Schüler  zum  Fleiss  und 
angestrengten  Studien.  „Die  Kunst  ist  lang,  das  Leben  kurz",  sagten 
sie  ihnen,*  und  „die  Heilkunst  lässt  sich  nicht  rasch  erlernen".* 
Dringend  empfahlen  sie  die  Jjektüre  der«  medicinischen  Schriften  und 


»  Platon;  Geaetze  IV,  10.  IX,  4.  *  Hippokbates  a.  a.  O.  T.  IV,  638. 

*  HippoKRATES  a.  a.  O.  T.  I,  590.  ♦  IIippokrates  a.  a.  0.  T.  IV,  640. 

*  HippoKRATEs  a.  a.  O.  T.  IV,  45«.       «  Hippokkates  a.  a.  O.  T.  VI,  SSO. 


M  Aiexandria. 


61 


chten  dabei  aach  mit  rührender  Pietät  der  redlichen,  wenn  auch 
Bicht  immer  glücklichen  Versuche,  welche  die  Ärzte  früherer  Zeiten 
UDt^rnommen  hatten ,  um  die  Heilkunde  zu  erforschen  und  zu  einer 
Wissenschaft  zu  gestalten«^ 

Die  innigen  Beziehungen  der  Mediciu  zur  Philosaphiei  welche  vor 
HrppoKBATE8  bestanden,  wurden  durch  iha  und  seiue  Schule  noch 
mehr  befestigt  und  dauerten  auch  spater  fort.  „Fhilasophie  und  Me- 
to  bedürfen    sich   gegenseitig   und    sind   auf  einander  angewiesen. 

Arzt,  welcher  zugleich  ein  Philosoph  ist,  steht  auf  der  höchsten 
ife",  schreibt  ein  Hippokratischer  Autor, ^  Sokhates  und  Platon 
bsttea  unter  ihren  Schülern  viele  Ärzte  und  Studierende  der  Metütvin» 

sich  aus  den  zahlreichen,  auf  die  Heilkunde  bezüglichen  Hinweisen 
%d  Vergleichen  folgern  liUst,  und  Aiustutkles*  der  Begründer  der 
veigl»*ichenden  Anatomie  und  bahnbrechende  Geist  auf  allen  Gebieten 
4er  naturwissenschaftlichen  Forschung,  schrieb:*  „Die  meisten  Natur- 
fDßchcT  suchen  in  der  Medicin  den  Abischluss  ihrer  Studien,  und  von 
jei  Ärzten  beginnen  Diejenigen,  welche  ihre  Kunst  etwas  wissen- 
flditftlicher  treiben,  das  Studium  der  Heilkunde  mit  den  Naturwissen- 


In  Alexandria. 

Im  raschen  Siegeslauf  hatte  der  jugendliche  Alexander  von  Mace- 
nien  einen  grossen  Theil  Kuropas,  Afrikas  und  Asiens  durchmessen. 
Die  thracischen  und  iUyrischen  Stämme  bis  zur  Donau,  Griechenland, 
■"'  ien,  Palästina,  Ägypten,  Persien,  ganz  Kleinasien  waren  seinem 
^  ^  I  unterworfen;  selbst  mehrere  indische  Staaten  erkannten  seine 
Oberhoheit  an.  und  aus  Italien  und  von  den  Kelten  kamen  Gesandt- 
Mafien,  welche  bei  ihm  Schutz  un<!  Freundschaft  suchten.  Schon 
durfte  seine  von  Ruhmbegier  geschwellte  Brust  sich  mit  dem  kühnen 
Plane  einer  Weltmonarchie  tragen,  welche  alle  Länder  der  Erde,  soweit 
sie  damals  bekannt  war,  umfassen  sollte. 

Da  machte  sein  plötzlicher  Tod  allen  diesen  Hoffnungen  ein  jiihes 
Ende.  Er  starb  im  Alter  von  33  Jahren,  voll  Jugendkraft,  im  Besitz 
einer  Macht,  wie  sie  vor  ihm  noch  kein  Sterblicher  ausjgeübt  hatte. 
Die  Tragik  dieses  Todes  ist  fast  noch  grossartiger  als  seine  beispiellosen 


»  HiriH^»K.icÄTes  a,  a.  0.  T,  1,  596.  '  Hippt>KBATic8  a.  a,  iK  T.  IX,  282. 

'  Aäiätotkleh:  Über  Simkespmpfiiidimg,  c,  1. 


62  Der  medicinische  Unterricht  im  Alierthum, 


Siege  und  Erfolge.  Sein  Reich  zerfiel  ebenso  rasch  als  es  airfgebsat 
worden  war.  Ehrgeizige  Generale  theilten  sich  in  seine  Erbschaft  und 
machten  sich  zu  Herren  der  einzelnen  Provinzen. 

Aber  nur  seine  politischen  Schöpfungen  wurden  zerstört.  Was 
durch  ihn  oder  unter  ihm  für  die  Cultur,  für  die  Wissenschaft  ge- 
schehen war,  blieb  erhalten  und  trug  reiche  Früchte. 

Die  Berührung,  in  welche  der  griechische  Geist  mit  den  Yölkem 
des  Orients  gekommen  war,  übte  nach  beiden  Seiten  eine  nachhaltige 
Wirkung  aus.  Jene  lernten  Wissenschaften  und  Künste  kennen,  die 
bei  ihnen  noch  wenig  oder  gar  nicht  entwickelt  waren,  und  erhielten 
die  Gelegenheit,  sich  griechische  Bildung  und  Feinheit  der  Sitten  an- 
zueignen, während  die  Griechen  von  den  engherzigen  Anschauungen 
befreit  wurden,  die,  als  Produkte  ihrer  kleinen  politischen  Gemeinwesen 
erklärlich,  zur  Selbstüberhebung  und  Verachtung  des  Fremden  geführt 
hatten.  Der  Hellenismus  nahm  dadurch  jene  kosmopolitische  Färbung 
an,  welche  die  Bestrebungen  der  späteren  Griechen  kennzeichnet 

Kunst  und  Wissenschaft  erfuhr  durch  die  Bekanntschaft  mit  fremden 
Völkern  manche  Anregung  und  Förderung,  namentlich  die  Naturwissen- 
schaften, die  Zoologie,  Botanik,  vergleichende  Anatomie  und  Arznei- 
mittellehre, denen  aus  den  der  Forschung  erschlossenen  Ländern  ein 
reiches  Material  zufloss,  welches  von  fachmännischer  Hand  geordnet 
und  gesichtet,  eine  systematische  Bearbeitung  dieser  Disciplinen  ermög- 
lichte und  begünstigte. 

Alexanders  politische  Zukunftstraume  wurden  bald  vergessen.  Nur 
sein  Plan,  Ägypten  zum  Centrum,  das  nach  ihm  genannte  Alexandria 
zur  Hauptstadt  des  von  ihm  erstrebten  Weltreiches  zu  machen,  trat 
ins  Leben,  wenn  auch  in  einer  ganz  anderen  Form,  als  er  es  sich  ge- 
dacht hatte.  Ägypten  wurde  zwar  nicht  der  politische,  aber  der  geistige 
Mittelpunkt  der  Völker  und  übernahm  die  Rolle  des  Vermittlers  der 
Cultur,  zu  welcher  es  durch  seine  Lage  sowohl  als  durch  seine  Jahr- 
tausende alte  Geschichte  ganz  besonders  berufen  war.  Das  Fürstea- 
geschlecht  der  Ptolemäer,  welchem  nach  Alexanders  Tode  die  Herrschaft 
über  das  Nilland  zufiel,  war  griechischer  Abstammung  und  blieb  auch 
in  seiner  neuen  Heimath  dem  griechischen  Wesen  treu.  Während 
Ägyptens  Handel  und  Industrie  blühte,  und  seine  Schiffe  bis  Madera 
gegen  Westen  und  bis  nach  Persien  und  Indien  im  Osten  fuhren, 
wurden  zu  Hause  Künste  und  Wissenschaften  gepflegt  und  griechische 
Bildung  verbreitet 

Die  Ptolemäer  zogen  Künstler  und  Gelehrte  aus  Griechenland  an 
ihren  Hof,  Hessen  prachtvolle  Bauwerke  errichten,  schmückten  ihre 
Residenz  mit  den  Sehenswürdigkeiten  der  ganzen  Welt  und  unterstützten 


In  Alexandria.  68 


die  Wissenschaften  mit  königlicher  Freigebigkeit  Sie  legten  botanische 
ond  zoologische  Gärten  an,  gründeten  Bibliotheken  und  sehnten  das 
Hnsenm  und  das  Serapcum,  ^  zwei  Anstalten,  in  denen  Gelehrte  Woh- 
nung und  Unterhalt  erhielten,  damit  sie  sich  den  wissenschaftlichen 
Stadien  widmen  konnten,  ohne  für  die  taglichen  Bedürfnisse  des  Lebens 
sorgen  zu  müssen.  Sie  enthielten  ausser  den  Wohn-  und  Schlafgemächern 
grosse  Speisesäle  und  gedeckte,  mit  Gemälden  geschmückte  Säulengänge, 
iD  welche  sich  offene  Höfe  und  schattige  Gartenanlagen  anschlössen.' 
Die  grossen  Bibliotheken,  bei  deren  Gründung  und  Vermehrung  keine 
Geldmittel  gescheut  wurden,  standen  damit  in  einem  räumlichen  und 
wahrscheinlich  auch  organischen  Zusammenhange.  Die  oberste  Aufsicht 
über  die  Anstalten  führten  hohe  Geistliche,  die  in  Gemeinschaft  mit 
d^  Vorstehern  der  einzelnen  Abtheilungen,  in  welche  sich  die  Gelehrten 
nach  ihren  Wissenschaften  schieden,  auch  die  Verwaltung  leiteten. 

Das  Museum  lag  in  unmittelbarer  Nähe  des  königlichen  Schlosses 
und  wurde  sogar  als  ein  zugehöriger  Theil  desselben  betrachtet  Das 
Serapeum  befand  sich  in  einem  entfernteren  Theile  der  Stadt  und  stand 
an  Bedeutung  jenem  nach.  Auch  die  Bibliothek  des  letzteren  war 
nidit  so  reich,  als  diejenige  des  Museums.  Die  hohen  lichten  Säle  der 
Bibliotheken,  in  denen  die  Bildsäulen  berühmter  Gelehrten  aufgestellt 
muden,  bargen  viele  Tausende  von  Papyros-RoUen,  welche  die  hervor- 
ragendsten Werke,  namentlich  der  hellenischen  Literatur  enthielten. 
Über  die  Zahl  derselben  gehen  die  Angaben  weit  auseinander;  während 
z.  B.  Ammianus  und  Gellius  die  Menge  der  Papyros-Rollen  der  Mu- 
seumsbibliothek auf  700,000  schätzten,  berichtet  Epiphaniüs,  dass  sie 
nur  54,800  betrug.'» 

Die  Gelehrten,  welche  im  Museum  und  Serapeum  wohnten,  bildeten 
Vereinigungen  nach  der  Art  unserer  Akademien.  Im  freundschaftlichen 
Verkehr  und  in  freien  Vorträgen  erörterten  sie  die  wissenschaftlichen 
Fragen,  zu  denen  sie  durch  die  Lektüre  oder  durch  die  Beobachtung 
angeregt  wurden.  Ihre  fürstlichen  Gönner  nahmen  an  diesen  Unter- 
suchungen regen  Antheil  und  ermunterten  sie  dabei  durch  hohe  Jahres- 
gehälter und  reiche  Geschenke.  Sie  beschäftigten  sich  mit  der  Gram- 
matik, der  Textkritik  der  in  den  Bibliotheken  aufgenommenen  Schriften, 
der  Dichtkunst^  Musik,  Geschichte,  Philosophie,  Mathematik,  Mechanik, 
Astronomie,   Geographie,    den   Naturwissenschaften   und   der   Medicin. 


•  G.  Pabthbv:  Das  Alexandrinischc  Museum,  Berlin  183b.  —  Fr.  Kitschj.: 
1>ie  AlexandrinischeD  Bibliotheken,  Breslau  18B8. 

»  stbabo»  xvn,  1. 

•  Ammiam  XXII,  16.  —   A.  Gkllius:  Noct.  Attic.  VI,  17.     -  Vergl.  ferner 
VkmmY  a.  a.  O.  S.  77. 


64  Der  mediciniscJie  Unterricht  im  Alterthwn. 


Aber  diese  „Priester  der  Musen",  wie  sie  Theokbit  nennt,  ^  lebten 
nicht  blos  der  Forschung;  sie  widmeten  ihre  Zeit  auch  dem  Unterricht 
Schüler  aus  allen  Gegenden,  wo  Griechen  lebten,  kamen  nach  Alexan- 
dria, um  dort  die  höchste  Ausbildung  für  ihren  künftigen  Beruf  zu 
erlangen.  Das  Museum  und  das  Serapeum  waren  somit  nicht  blos 
Akademien,  sondern  auch  Hochschulen. 

Über  das  Yerhältniss  derselben  zu  den  Anstalten,  welche  dem 
medicinischen  Unterricht  dienten,  fehlen  leider  die  Nachrichten.  Es 
entstanden  dort  zwei  medicinische  Schulen,  welche  nach  ihren  Stiftern 
unterschieden  wurden,  aber  in  ihren  wissenschaftlichen  Grundsätzen 
nur  wenig  von  einander  abwichen.  Beide  fussten  auf  den  Lehren  der 
Schulen  von  Eos  und  Enidos  und  machten  deren  wissenschaftliche 
Errungenschaften  zur  Grundlage  ihrer  eigenen  Forschungen. 

An  der  Spitze  der  einen  stand  HEROPHiLcts,'  an  derjenigen  der 
anderen  Erasistkatoh. 

Der  Erstere  wurde  um  das  Jahr  300  v.  Chr.  zu  Chalcedon  geboren. 
Seine  Lehrer  waren  Chbysippos  von  Knidos,  welcher  sich  dadurch  be- 
kannt machte,  dass  er  die  zu  häufige  Anwendung  des  Aderlasses  nnd 
der  drastischen  Arzneien  verwarf  und  durch  das  Binden  der  Glieder 
zu  ersetzen  suchte,  und  bei  der  Wassersucht  Bäder  im  Schwitzkasten 
empfahl,^  und  Fbaxaoobas  von  Kos,  einer  der  iruchtbarsten  medici- 
nischen Schriftsteller  jener  Zeit*  Hebophiijüs  erlangte  eine  solche 
Bedeutung,  dass  nicht  weniger  als  ^ier  Ärzte  des  Alterthums  sich  der 
Aufgabe  unterzogen,  sein  Leben  zu  schildern. 

Seine  hervorragendsten  Verdienste  liegen  auf  dem  Gebiet  der 
Anatomie.  Er  war  bemüht,  eine  wesentliche  Lücke  der  Hippokratisohen 
Lehren  zu  ergänzen,  indem  er  das  Nervensystem  einer  sorgfaltigen 
Untersuchung  unterzog.  Dabei  gelang  es  ihm,  einiges  Licht  auf  diesen 
bis  dahin  nur  wenig  erforschten  Theil  der  Anatomie  zu  werfen.  Er 
beschrieb  die  Hirnhäute,  die  Plexus  chorioidei,  die  venösen  SinuSi  das 
nach  ihm  genannte  Torcular  Herophili,  die  Hirnhöhlen  und  die  Schreib- 
feder, welche  ihm  diese  Bezeichnung  verdankt,  verfolgte  den  Ursprung 
der  Nerven  aus  dem  Gehirn  und  Rückenmark  und  erkannte,  dass  die 
Nerven  die  Empfindung  und  Bewegung  vermitteln.*  Femer  beschäftigte 
er  sich  mit  dem  Bau  des  Auges,  beschrieb  den  Glaskörper,  die  Chorioidea 


»  Idyll.  XVIL  V.  112. 

*  K.  F.  IL  Marx:  HerophiluH,  Karleruhc  und  Baden  1838. 
3  Galen  a.  a.  O.  T.  IV,  495.   XL   148.  230.  252. 

*  C.  G.  Kühn:  De  Fraxagora  Coo.  progr.,  Lips.  1823. 

»  Galen  a.  a.  O.  T.  II,  712.  731.    III,  708.    XIX,  330.   —  Rüfu8  a.  a.  O. 
p.  153.  —  Plütaroh:  de  plac'it.  philos.  IV,  22. 


die  netzartige  Haut^  iQa€hte  auf  die  eigenthümliche  Form  des 
denums  aufmerksam  imd  beobachtete,  dass  die  Häute  der  Arterien 
iind,  als  diejenigen  der  Venen.  *    Wie  genau  er  bei  seinen  ana- 
llen Untersuchungen  war,  zeigt  seine  Beobachtung»  dass  die  linke 
na  spennatica  in  einzelnen  Fällen  aus  der  Vena  renalis  enti^pringt,  * 
Er  unterschied  Terschiedene  Formen  des  Pulses  nach  der  Griisse, 
ke,  RiiÄchheit  und  Regelmässigkeit  desselben  und  legte  damit  den 
ad  zur  wissenschaftlichen  Behandlung  der  Pulslehre.  ^     Auch  als 
hatte  Hebopuilos  beachtenswerthe  Erfahrungen,  wie  au>i  seiner 
lg   hervorgeht,   dass   sich  die  Luxationen   des   Oberschenkels 
fiegeiL  der  damit  Terbundenen  Zerreissung  des  Ligamentum  teres  nach 
Wiederelnrichiung  wiederholen*^     Er  kannte    den   Verschluss   des 
lutt-ermundes   bei   vorhandeni'r   Schwangerscbaft^    und    verfasste    ein 
ibuch  der  Geburtshilfe,  in  welcher  er  auch  Unterricht  ertheilt  haben 
Im  Allgemeinen  huldigte  er  in  der  praktischen  Heilkunde  dem 
Ätz,  das^   man   sich  dabei  nicht    auf   theoretische  Erklärungen 
terlas^en  tliirfe,  sondern  die  Erfahrung  allein  als  massgebend  betrachten 
ftülL*  Stobaelts  erzählt,  da^s  HKKopHu^ks  auf  die  Frage,  wer  der  beste 
^i,  geantwortet  habe:  „Derjenige,  welcher  das  Mögliche  ?on  dem 
Qögüchen  zu  unterscbeiilen  weiss.**" 

Sein  Zeitgenosse  Eraisisthatos*  der  sich  mit  ihm  in  den  Ruhm 
r.  Alexandrinischen  Schule  theiite,  stammt*»  von  JuUs  auf  der  Insel 
Er  war  ebenfalls  von  Chrysippos  von  Knidos  uuterricbtet  wor- 
ausserdem  wird  Metkoimjhos,  der  Schwiegersohn  des  Abistoteles, 
Dter  seinen  Lehrern  genannt,     Erasistkait>s  lebte  eine  Zeitlaog  am 
M  des  Krtnigs  Seleuküs  Nikator,   wo   er   durch   eine   merkwürdige 
Aufsehen   erregte.     Antiochos,   der   Sohn   des   Königs,   war 
Kh  erkrankt,  und  Erasistrat<,>s  erkannte  aus  der  Aufregimg,  die 
beim  Anblick  seiner  «Stie&nutter  an  den  Tag  legte,  dass  sein  Leiden 
durch  die  hoffnungslose  Liebe  zu  derselben  hervorgerufen  worden  war.  * 
machte  zu  dieser  Erzählung  die  humoristische  Bemerkung,  dass 
nicht  erklären  könne,  worauf  sich  diese  Diagnose  stutzte;  denn 
nen  Puls  der  Verliebten  gebe  es  ja  doch  nicht**  •* 


*  RirfTs  A.  Ä,  O.  p.  1.54.  1  TU  —  Galen  a.  a.  O.    1\  ü,  572.  780.  111,  445. 
»  GAI.EX  a.  iK  O.  II,  895. 

'  QjLLEK  a.  a.  O,  T.  VHI,  5*»2.  956.  959.  —  PuKrus;  Hittt.  nat  XI,  88.  XXIX,  5* 

*  Objbasils  a.  a.  O.  IV,  233,  *  Galfjj  a.  a,  0,  1\  LI,  150. 

*  Plixtüs:  Hist.  nat.  XXVI,  6, 

'  iyroBABus:  Florileg.  Ed.  A.  Meinecke  IV^  2. 

"  Plctaäcm:  Vita  Demetrii,  c.  3H,  —  Fumm:  Hist.  nat  XXTX,  3. 

*  Gau»  a.  a.  O.  T.  XIV,  631. 

Ptncmunr,  Uoterricbt,  5 


66  Der  fnedicinische  Unterricht  im  Allerthum, 


Wie  HEROPHiiiOS,  so  beschäftigte  sich  auch  Erasistbatos  eifrig 
mit  anatomischen  Untersuchungen.  Er  beschrieb  die  Hirnwindungen 
und  leitete  von  der  grösseren  Mannigfaltigkeit  derselben  beim  Menschen 
dessen  geistige  Präponderanz  über  die  Thiere  her.^  Die  motorischen 
Nerven  unterschied  er  von  den  sensibelen;  aber  er  glaubte ,  dass  die 
ersteren  aus  den  Häuten,  die  letzteren  aus  der  Substanz  des  Gehirns 
hervorgehen.  2  Er  kannte  die  Bronchial- Arterien,  nahm  anostomotische 
Verbindungen  zwischen  Arterien  und  Venen  an  und  beschrieb  die 
Herzklappen  so  genau,  dass  Galen  dazu  nichts  weiter  hinzuzufügen 
wusste.^  Am  merkwürdigsten  ist  seine  Beobachtung  der  Chylusgefasse,* 
deren  Bedeutung  er  natürlich  nicht  zu  erkennen  oder  auch  nur  zu 
ahnen  vermochte;  dazu  gebrauchte  die  Wissenschaft  noch  nahezu  zwei 
Jahrtausende. 

Gebührende  Anerkennung  verdienen  auch  seine  Versuche,  die  Ver- 
dauung und  andere  physiologische  Vorgänge  auf  mechanische  Weise 
zu  erklären  und  die  Ursachen  der  Krankheiten  durch  pathologische 
Sektionen  zu  erforschen.^ 

Herophilos  und  Erasistäatos  wurden  bei  ihren  anatomischen 
Untersuchungen  ohne  Zweifel  durch  manche  werthvoUe  Vorarbeiten 
unterstützt,  wie  das  Werk  des  Diokles  von  Karystus,  dessen  GaiiEN* 
rühmend  gedenkt;  aber  haupt^sächlich  verdankten  sie  ihre  ausserordent- 
lichen Erfolge  dem  Umstände,  dass  ihnen  die  ägyptischen  Könige 
menschliche  Leichen  in  beliebiger  Menge  zu  anatomischen  Sektionen 
zur  Verfügung  stellten.  Sie  erhielten  sogar  die  Gelegenheit,  lebende 
Menschen  zu  öffnen,  indem  ihnen  zu  diesem  Zweck  Verbrecher  aus  den 
Gefangnissen  übergeben  wurden,  „damit  sie  die  Lage,  Farbe,  Gestalt, 
Grösse,  Anordnung,  Härte,  Weichheit,  Glätte,  äussere  Fläche,  sowie  die 
Vorsprünge  und  Einbiegungen  der  einzelnen  Organe  während  des  Lebens 
studieren  konnten,"  Sie  entschuldigten  diese  Vivisektionen  damit,  „dass 
es  erlaubt  sein  müsse,  das  Leben  einiger  weniger  Verbrecher  zu  opfern, 
wenn  daraus  ein  dauernder  Nutzen  für  das  Leben  und  die  Gesundheit 
der  vielen  ehrbaren  Menschen  entspringt".  Ihre  Gegner  erwiderten 
ihnen  darauf,  „dass  dies  nicht  blos  grausam  sei  und  die  Heilkunst, 
welche  zum  Segen  der  Menschen,  nicht  aber  zu  ihrer  Qual  dienen  solle, 


>  Galen  a.  a.  0.  T.  IH,  673.  «  Rupus  a.  a.  0.  p.  185. 

»  Galen  a.  a.  0.  UI,  465.  492.  V,  166. 

♦  Galen  a.  a.  0.  T.  11,  649.  IV,  718. 

*  Galen  a.  a.  0.  T.  XIX,  373.  —  Cblsüs:  Prooem.  u.  IH,  21,  —  Diobkorides, 
Ell.  C.  Sprengel,  Lips.  1830,  T.  II,  p.  72.  —  Caklius  Aubslianus:  de  chron.  HI, 
«.  V,  10. 

•  Galen  a.  a.  0.  T.  II,  282.  716. 


ttimrdige,  sondern  auch  überflüssig  sei,  da  die  Leate>,  nachdem  ihnen 
Bauchhöhle  aufgesohnitten,  das  Zwerchfell  durchtrennt  iind  die 
Brusthöhle  er^ffiiet  worden,  s^terbeii,  bevor  noch  vvissen,schaftlicho  Unter* 
schlingen  am  Lebenden  möglich  waren**.* 

Die  Schüler  und  Nachfolger  dieser  beiden  Koryphäen  der  Alexan- 
iiisehen  iSchuIe  verliessen  später  leider  die  exakte  Forsehungsmethode, 
Ajhe  Jene  zu  beachtcnswerthen  Erfolgen  geführt  hatte,  imd  betraten 
bequemen  mühelosen  Weg  der  Spekulation.  Nur  Wenige,  wie 
Anatom  ErPEMos,  die  knie  BACcHtos  von  Tanagra  und  Mantias, 
!?ich  um  die  Ar/neimittellehre  verdient  machte,  die  Geburtshelfer 
DEitETRios  von  Apamea  und  Andreas  von  Eaiystns,  welche  die  die 
Gehurt  erschwerenden  Zustände  und  Yerhäiltnisse  in  übersichtlicher  und 
tiemhch  vollständiger  Weise  zusammenstellten,  der  Chirurg  Pnn^hXENos 
n.  A.  nmchten  davon  eine  rühmliche  Ausnahme.  Einzelne  verpflanzten 
ilire  Lehren  na<^h  anderen  Orten  und  gründeten  zu  ihrer  Pflege  medi- 
linkhe  Schulen,  wie  Zetjxis  zu  Laodicea  und  HrKKsios  zu  8mvi*na. 
Die  geringen  Unterschiede  zwischen  den  Herophileern  und  Erasi- 
Äte«(rn  verwischten  sich  mehr  und  mehr;  die  ersteren  zeichneten  sich 
dadurch  von  den  letzteren  aus,  da^^s  sie  conserv^tiver  waren  und 
4ra  Schriften  der  Hippokratiker.  die  sie  mit  Commentaren  versahen, 
mm  grossere  Autoritsit  zugestanden.  Aber  beide  Schulen  waren  dem 
' '  *  -'jtinge  geweiht,  als  sie  autliOrten,  durch  eigene  Forschungen  den 
liritt  der  Wissenschaft  anzustreben,  und  sich  darauf  beschriinkten, 
«Q  den  überlieferten  Theorien  festzuhalten,  die  allmalig  zum  todten 
Pirmalismus  erstarrten.  „Freilich  war  es  bequemer,"  schreibt  Plinivs, 
jjin  im  Schulen  zu  sitzen  und  ruliig  zuzuhören«  als  draussen  die  Ein- 
m  durchwandern  und  jeden  Tag  andere  Pflanzen  zu  suchen.**^ 

war  unter  solchen  Umstanden  kein  Wunder,  da-ss  die  denkenden 
sich  von  diesen  Dogmatikern  abwandten  und  einem  Empirismus 
Üdigten,  der  zwar  nicht  die  Lösung  der  physiologischen  und  patho- 
chen  Probleme  versprach,  aber  den  Bedürfnissen  der  ärztlichen 
Genüge  leistete.  Unter  dem  Einfluss  des  Skepticisrnus,  welcher 
Ptkbhox  angeregt,  und  von  Kabnt:abes,  dem  Stifter  der  soge- 
Qten  «Iritten  Platonischen  Akademie,  weiter  ausgelnldet.  zur  herr- 
henden  Weltanschauung  geworden  war,  kamen  sie  zu  der  Meinung, 
ds85  es  in  dieser  Welt  der  Erscheinungen  eine  Gewissheit,  ein  Wissen 
überhaupt  nicht,  gebe  und  die  Wahrscheinlichkeit  das  höchste  Ziel  sei, 
lelches  der  menschliche  Verstand  erreichen  könne.    Damit  verzichteten 


*  CsLfliTs:  Prooem,  —  Tebtühjait;  de  Animat  c.  10. 

*  pLiKiit»;  Hifit.  nat.  XXVI,  «. 


68  Der  msdicinische  Unterricht  im  Alterthum. 

sie  auf  die  schönsten  HoflFhungen,  welche  das  wissenschaftliche  Streben 
belebt  hatten,  und  erklärten  dasselbe  für  aussichtslos. 

Die  Empiriker  vernachlässigten  die  Anatomie  und  Physiologie, 
weil  sie  deren  Studium  für  überflüssig  und  fruchtlos  ansahen;  sie  küm- 
merten sich  auch  nicht  um  das  Wesen  der  Krankheiten,  sondern  be- 
gnügten sich  damit,  ihre  Erscheinungen  zu  beobachten,  ihre  nächsten 
Ursachen  zu  erforschen  und  die  Heilmittel  aufeufinden  und  zu  prüfen, 
welche  zur  Beseitigung  der  Leiden  geeignet  erschienen.  Dabei  Hessen 
sie  sich  hauptsächlich  von  der  Erfahrung  leiten,  und  zwar  zogen  sie 
nicht  blos  die  eigenen  Beobachtungen  zu  Rath,  sondern  auch  diejenigen, 
welche  von  Anderen  gemacht  worden  waren  und  sich  im  Verlauf  der 
Zeit  zur  Geschichte  umgestaltet  hatten.  Bei  neuen  unbekannten  Er- 
scheinungen, über  welche  noch  keine  Erfahrungen  vorlagen,  wurde  ein 
Verfahren  eingeschlagen,  welches  in  ähnlichen  Fällen  erfolgreich  ge- 
wesen war.  Indem  man  somit  den  Schluss  per  analogiam  als  dritte 
Erkenntnissquelle  der  Erfahrung  und  der  Geschichte  anreiht«,  vervoll- 
ständigte man  den  sogenannten  empirischen  Dreifass. 

Die  Empiriker  schenkten  ihre  Aufmerksamkeit  vorzugsweise  der 
praktischen  Heilkunde.  Die  Arzneimittellehre,  die  Geburtshilfe  und 
Chirurgie  wurden  von  ihnen  wesentlich  gefordert.  Die  Technik  des 
St^inschnitts,  wie  sie  Celsus  schildert,  ist  ihr  Verdienst.  Auch  die 
ersten  Versuche  zur  Lithothrypsie,  welche  von  Ammonios  unternommen 
wurden,  stammen  aus  dieser  Zeit.^  Die  Arzneimittellehre  wurde  mit 
den  Werken  eines  Nikandek  und  Kbatevas  bereichert,  der  sein  mit 
colorirten  Abbildungen  ausgestattetes  Buch  über  die  medicinischen  Kräfte 
dem  Könige  Mithridates  von  Pontes  widmete.  Ausserdem  gehörten 
Philinos,  ein  Schüler  des  Herophilos,  Serapion,  Glaukias  und 
Heraklides  aus  Tarent  zu  den  bekannten  Vertretern  der  empirischen 
Sekte.  2 

Während  die  Wissenschaften  in  Alexandria  blühten  und  gediehen, 
wurden  ihnen  auch  an  anderen  Orten  W^ohnstätten  bereitet,  in  denen 
sie  sich  heimisch  machen  sollten.  Die  Fürstengeschlechter  der  Seleu- 
ciden  in  Syrien  und  der  Attaler  in  Pergamon  wetteiferten  mit  den 
Ptolemäem  in  der  Pflege  der  geistigen  Güter.  Die  Attaler  gründeten 
sowohl  Elementarschulen,^  als  Anstalten  für  Gelehrte  gleich  jenen  in 
Alexandria,  und  ihre  Bibliothek  war  nächst  denen  des  Museums  und 


>  Celsus  VII,  26. 

'  Ch.  Dabembebo  (Histoire  des  scienoes  mMicales,  Paris  1870,  T.  I,  p.  159) 
bat  die  Anhftnger  dieser,  sowie  diejenigen  der  beiden  dogmatischen  Schalen  zu 
Alexandria  in  chronologischer  Reihenfolge  neben  einander  gestellt. 

«  Th.  Mommsen:  Rom.  Geschichte,  Bd.  V,  S.  334. 


geripeiims  die  berühmteste  des  Alterthnms.  Die  O^ncurrenz,  welche 
ae  den  Ptolemäern  beim  Ankauf  von  Haodschriften  machten,  führte 
im  Verbot  der  Ausfuhr  der  Papvros-Bläter  aus  Ägypten,  welches; 
die  indirekte  Veraüla&sung  zur  Ertinduug  eines  dauerhaften  Schreib- 
Ullerials  gab,  nämlich  des  I^ergametits*  dessen  Name  von  Pergamon 
itammt  Die  dortigen  Schulen  gelangten  ebenfalls  zu  hohem  Ansehen 
onii  brachten  Gelehrte  hervor,  die  sich  in  der  Textkritik,  Mathematik, 
namentheh  al>er  in  der  Medicin  auszeichneten.  Als  Mittelpunkt  ärzt- 
licher Bildung  nahm  Pergamon  lange  Zeit  eine  hervorragende  Stellung 
b;  noch  Galen,  einer  der  grüssten  Ärzte  und  Forscher,  die  jemals 
jeleht  haben,  erhielt  hier  den  ersten  medicinischen  Unterricht. 

Einen  traurigen  Ruhm  in  der  Geschichte  der  medicinischen  Wissen- 
ihaft  erwarb  sich  der  letzte  König  von  Pergamon,  der  geisteskranke 
^Italus  OL  In  l^eständiger  Furcht,  von  seinen  Feinden  vergiftet  zu 
den,  verlangte  er,  dass  wirksame  Gegenmittel  gegen  A>rgiftungen 
öden  würden,  und  liess  zu  diesem  Zweck  Yersuche  unsteüen  an 
ehern  und  anderen  Leuten,  deren  er  sich  entledigen  wollte. 
,Jlit  eigener  Hand  baute  er  giftige  Gewächse,  Biken kraut,  Niesswurz, 
ling,  Stnrmhut  und  Duryk-nion  in  den  königlichen  Gärten  und 
ite  ihre  Säfte  und  Früchto,  um  ihre  Kräfte  zu  studieren/*  ^  Der 
(eichen  Liebhaberei  huldigte  ein  anderer  dieser  königlichen  Giftmischer, 
Ibr  mordlustige  Mifchridates  von  Pontos,  welcher  täglich  Gift  nahm, 
gieh  auf  diese  Weise  allmälig  an  d^^n  Genuss  ilesselben  zu  ge- 
nen.  Diese  Versuche,  obgleich  im  Dienste  des  Wahnsinns  und  der 
llmttivtmkeit  untornommon,  hatten  fin  die  Heilkiinde  den  Yurtheil,  dass 
m  einer  sorgtaltigcn  Prüfung  der  Eigenschaften  und  Kräfte  mari- 
^r  Arzneistoffe  führten,  und  die  Mittheikmgen  der  medicinischen 
tiren  späterer  Zeiten  tiezeugen,  dass  sie  nicht  ohne  Krgebniss  blieben. 
Die  wohlwollende  Protektion,  welche  den  Wissenschaften  von  den 
en  Ptulemäem  zu  Theil  geworden  war,  verwandelte  sich  später  in 
Pichgültigkeit  und  Misstrauen  und  machte  zuletzt  dem  Gefühl  des 
ifiss^  und  der  Verachtung  Platz,  Der  siebente  Ptolemäer  vertrieb  die 
•>lehrten  aus  Aleiandria  und  liess  die  gelehrten  Anstalten  schliessen. 
Als  sie  spater  wieder  erolfuet  wurden,  trugen  sie  diis  Zeichen  des 
%falls  an  sich.  Die  Stellen  der  Gelehrten  des  Museums  wurden  jetzt 
Mch  der  Laune  des  Fürsten  l>esetzt  und  dienten  als  Belohnung  für 
S'luneicheleien  unrl  niedri^'e  Dienste,  Für  diese  Zeit  mochte  das 
Iw^issende  Wort  des  Phliasiers  Tiuos  berechtigt  sein.  ,,dass  das  Museum 
em  grosser  Futterkorb  sei,  in  welchem  sich  ßücherschmierer  mähten, 


'  Pi.üTAÄrn:  Vita  Demethi,  c.  20. 


70  Der  jnedmniscfie   Unterricht  im  Alterthum. 

die  sich  um  Dinge  streiten,  die  sie  nicht  kennen".^  Unter  der  rö- 
mischen Herrschaft  kam  es  sogar  soweit,  dass  Athleten  zu  Mitgliedern 
des  Museums  ernannt  wurden. 

Die  berühmten  Bibliotheken  wurden  theils  durch  Feuer  zerstört 
theils  von  den  fremden  Machthabem,  welche  nach  Ägypten  kamen, 
geplündert  Ein  Theil  der  literarischen  Schätze  wanderte  nach  Italien 
und  Konstantinopel  und  diente  zur  Gründung  oder  Vermehrung  der 
Bibliotheken,  welche  dort  geschaffen  wurden. 

Die  letzten  Überreste  sollen  bei  der  Einnahme  von  Alexandria 
durch  die  Araber  zu  Grunde  gegangen  oder  durch  die  Christen  ver- 
nichtet worden  sein. 

Im  Jahre  389  wurde  der  Serapis-Tempel  in  eine  christliche  Kirche 
umgewandelt,  und  in  dem  Serapeum  nahmen  „sogenannte  Mönche  ihre 
Wohnung,  die",  wie  Eunapios  schreibt,  „in  ihrer  Gestalt  zwar  Menschen 
glichen,  in  ihrer  Lebensweise  aber  Schweine  waren".*  Er  hat  dabei 
sicherlich  nicht  Leute,  wie  unsere  hochgebildeten  Benediktiner,  sondern 
schmutzige  orientalische  Mönche  vor  Augen  gehabt 

Die  medicinischen  Schulen  in  Alexandria  behaupteten  ihre  hervor- 
ragende Stellung  auch  unter  der  Herrschaft  der  Römer  und  darüber 
hinaus  und  trugen  vielleicht  wesentlich  bei  zu  dem  Aufschwünge,  den 
die  Heilkunst  unter  den  Arabern  erlebte. 


Die  Medioin  in  Rom. 

Die  italische  Halbinsel  bildete  Jahrhunderte  lang  den  Schauplatz 
erbitterter  Kämpfe  und  Fehden,  deren  Endergebniss  die  Unterwerfung 
der  einzelnen  Völkerschaften  unter  die  römische  Herrschaft  war.  Die 
kleinen  Bauernstaaten,  welche  allmälig  zu  dem  politischen  Gemeinwesen 
der  Römer  verschmolzen,  hatten  den  Künsten  und  Wissenschaften 
geringe  Pflege  gewidmet,  und  nur  die  Etrusker  konnten  auf  Cultur- 
Errungenschaften  hinweisen,  welche  die  Keime  einer  erfolgreichen  Ent- 
Wickelung  in  sich  bargen. 

Die  Heilkunde  zeigte  den  theurgisch-empirischen  Charakter.  Ge- 
bete, Opferungen,  mystische  Zaubersprüche  und  Anrufungen  der  Gött-er 
bildeten  neben  einigen  heilkräftigen  Kräutern,  deren  Wirkung  der  Zufall 


'  Athenakos  deipnosophist  I,  p.  11,  Basil.  1535,  Ed.  Bedrotus. 
*  EüXApios  in  aedes  I,  p.  43,  nach  Parthey  a.  a.  0.  S.  102. 


Die  Medufin  in  Ihm. 


71 


lirt  and  die  Erfahrung  bestätigt  hatte,  die  gebmuchlichsteü  Heil- 
littel,  deren  man  sich  bei  Krankheiten  bediente.    Auch  be^ass  man 
I  Kenntnisse  in  der  Behandlun^r  der  Wunden,  in  dor  Stiönng  von 
ngen  und  in  der  HeUung  von  Knochenhriichen  und  Verrenkungen. 
CA*  charakterisirt  den  Zustand  der  damaligen  Heilkunst  treflend 
BU:    medteina   qiwndam   paucai*um  fuii  süienHa  herharum 
fluens  sanguis^  vtUnef'a  caircnt. 
Ein  eigentlicher  ärztlicher  Stand  fehlte,  und  gute  Freunde,  barm- 
Frauen  und  treu  ergebene  Diener  leisteten  wie  zur  Zeit  H(im£b'$ 
der  Noth  die  erfurderliche  Hilfe. 
Die  Römer  sahen  in  der  Begründung  und  Erweiterung  ihrer  po- 
litischen Macht  die  einzige  Aufgabe,  welche  die  Kräfte  der  Xation  in 
sprach  nahm.     Ihr  gegenüber  erschienen   die  Besehäftigungen  mit 
[folgen,  wie  die  HeiJknnst,  von  untergeordneter  Bedeutung.    Der  Inhalt 
^r  letzteren  erfuhr  daher  l^ei  ihnen   keine  wesentliche  Bereicherung, 
nd  ihre  Ausübung  blieb  in  den^^elben  Händen,  wie  bijiher. 

Allerdings  hätte  die  Eingeweideschau,  welche  die  Haraspice^  vor- 

ahmen,  dazu  dienen  können,  das  anatomische  Wissen  zu  vermehren; 

die^sen   Priestern  mangelte  die  ntdhwendige  Torbildung,  und  bei 

^n  Untersuchungen  standen  ihnen  nicht  wisüenschaitliche  Ziele,  son- 

lem  mystisch -religiöse  Aufgaben   vor  Augen,  welche  sie  darauf  hin- 

Absonderlichkeiten  zu  finden,  selbst  diirt,  wo  sie  nicht  viifhanden 

Gleichwohl  deuten  die  zahlreichen  Ausdrücke  der  anatomischen 

Vrminolügie,*  welche  der  lateinischen  Sprache  entlehnt  sind^  darauf 

dass    man  die  wichtigsten  Organe   des  Korpers   kannte   und   von 

üiiiiiiier  zu  unterscheiden  wusste. 

Übrigens  bestanden  nur  lose  Beziehungen  zwischen  der  Anatomie 
der  praktischen  Heilkunde.  Der  römische  Hausvater*  wie  er  uns 
}L,  PüRCiiTs  Cato  entgegentritt,  hatte  sein  Keceptenbucb.  aus  wel- 
er  sich  bei  Erkrankungen  seiner  Familie,  seiner  Sklaven  und 
dere  Rath  holte,  ^  Darin  waren  ausser  manchen  abergläubischen 
(ormeln  allerlei  Mittel  gegen  innere  Leiden  angegeben  und  die 
Behandlung  geschildert.,  welche  bei  Verletzungen,  Frakturen,  Luxationen, 
Wun<len,  treschwüren.  Fisteln.  Nasenpolypen  u.  a,  m*  eingeschlagen 
wenlen  sollte.    Grossen  Werth  legte  man  auf  die  Diätetik,  und  einzelne 

I— 
*  Epifif.  95. 
*  RExf  Btiur:    Introdaction  de  hi  medediie  dans  le  Lfltiuui  et  ä  Borne  in 
R^rue  ÄTcheol,  Paus  1885,  j^er.  III,  T.  6,  p.  107.  —  Jos.  Hvrtl:  1>Qom&tO- 
lujdft  uuttomica.  Wieti  1880. 

'  Plikiub:  Hist  nat  XXIX,  c.  8.  —  Plutabch:  Cato  majur,  c,  23* 


Dw  medkimgcAe  f'mitwrieiä  im  Aittrtkmm* 


litlel,  wie  der  Kohlt  staadai  ia  iukem  Ansahoi.^     Auch  im 
wurde  zu  dg»rtigep  iSwedicai  binfig  forweiidel^  mid  Cato,  «dessea 
[Togeod^  wie  Hoeji^^  schiviM,  ^nicht  sdlen  in  katerem  Wein  erglühti*'', 
fviplUil  Um  IÜ8  KoBiic  n  fmchirtenen  Heilmittelo. 

Die  pstrisfohalMie  Stte^  nadi  wddier  tler  Hausrater  zugleich 
der  Hauasiil  wir^  Teradiwand  natürlich  mil  der  Entwickelung  der  Heil- 
kunst  and  bildete  «sicherlich  ^hon  zu  Cato's  Zeit  nur  mtch  eine  Aus 
nähme.  Die  Termehrten  Anforderungen,  welche  an  das  Wissen  nM 
Kannen  der  HeUknndigen  gestellt  worden,  und  der  Anfschwung  d«r 
politischen  und  socialen  Verhältnisse  rechtfertigten  die  Bildunj?  eiiMa 
l»esonderen  ärztlichen  «Standes,  Leider  fehlen  die  historischen  Nach- 
richten, in  welcher  Weise  sich  dieser  Prozes«  Tollzog.  Vielleicht  Lalle 
das  Bedürfiuas  einer  Terläsalichen  ärztlichen  Hilfe,  welches  sieh  in  im 
häufigen  Kriagesögm  der  Kömer  kundgab.  Einäuss  darauf?  — 

In  den  ältesten  Zeiten  pflegten  die  Soldaten  einander  gegenseiU} 
zu  verbinden  und  fahrten  zu  dies^em  Zweck  Verbandstücke  mit  sich* 
Jeder  betheüigte  sieh  an  der  Pflege  der  Verwundeten;^  aber  die  knU 
liehe  Hilfe,  welche  ihnen  zu  Theil  wurde,  s^cheint  unzureichend  gewe««i 
zu  sein,  üo  dass  z.  B.  nach  der  Schlacht  bei  Sutrium  (S09  v.  Chr,' 
mehr  Krieger  ihren  Verletzungen  nachträ^jlich  erlagen,  ak  von  im 
Feinden  getödtet  worden  waren.*  | 

Doch  steht  es  fest,  dass  zu  jener  Zeit  in  R<»m  die  Heüktmst  \^ 

rdts  beru&mässig  ausgeübt  wurde.    Es  wird  dies  nicht  blos  durch  im 

■SSeugniss  der  Autoren  des  Alterthumi;/  welche  bei  verschiedenen  GeJ 

legenheiten  der  Arzte  gedenken,  sondern  auch  durch  mehrere  That^sichen 

in  überzeugender  Weise  bewiesen. 

Die  Lex  Af/uiha  machte  den  Arzt,  welcher  einen  Sklaven  nach  di 
Operation  vemachlässigt  hatte,  so  dass  dadurch  de^en  Tod  herbeigefüh: 
worden  war,  dafilr  verantwortlich.**     Plctabch'  erzählt,  dass  sich  1 
einer  Gesandtj<cbaft,  welche  die  Romer  nach  Bithynien  schickten,  eiü^ 
Mann  befunden  habe,  an  welchem  die  Trepanation   mit   glücklichem 
Erfolg  ausgeführt  worden  war.  und  schon  in  den  zwOlf  GesetzestatV'ln: 
des  Numa  ist  von  Zahnen  die  Rede,  welche  durch  Goldfaden  kiinstU. 
mit  einander  verbunden  waren.** 

Dagegen  behauptet  PuNTrs**  freilieb,  dass  Rom  viele  Jahrhun 


LStUj^ 


»  Od.  IIL  21,  Ad  ainphoram. 


*  Pujrnre:  Hif*t.  nat  XX,  e.  83. 

•  Tacitüs:  AnoaK  IV,  63. 
«  L1VIU8  VIll,  3*J-   L\%  32.  X,  85.   XXX  34. 

*  DioN.  Haucabs,  I,  70.  X,  53.  —  Livn  s  XXV,  26, 

•  Indtitut  IV,  tit,  3.  §  6  u,  7.      *  '  Cato  m«gor,  c.  9. 

'  Cicero:  de  l^.  II,  24.  "  PLnsirs:  Hist.  iiat  XXIX,  5. 


Die  Medicin  in  Rom, 


73 


lorch  der  Äizte,  wenn  auch  nicht  der  Heilkuast  (aim  medimä^  nm 
me  metiieina),  entliehrt  lialie.  Aber  er  wollte  damit  nur  sagen, 
es  in  Rom  l>ls  zur  Einwanderung  der  griechischen  Arzte»  von 
er  bald  nachher  spricht,  keine  Leute  gab,  welche  den  Xamen 
fou  ißt^n  verdienten^  und  l>emerkt  dabei,  das«  man  der  griechischen 
ieilkunst  mit  freudiger  Begierde  entgegengesehen  habe,  aber  nachdem 
üie  kennen  gelernt,  davon  enttäuscht  ^ei  {medioiuae  rrro  etiam 
Midm^  doneö  lacpeirlam.damfmni);  er  verbessert  sich  indessen  später, 
indem  er  mgi.  dass  damit  nicht  die  Sache  selbst,  sondern  die  Art,  wie 
5ie  betrieben  wurde^  gemeint  sei** 

Der  griechische  Einlluss  hatte  sich  iji  Rom  geltend  gemacht,  längst 
\0Of  mmi  mit  den  wissenschaftlichen  Errungenschatlten  der  griechischen 
Arte  bekannt  wurde:  und  es  ist  l*ezeiohnend  fiir  die  Denkwiise  jener 
Zät,  das6  er  sich  zuerst  auf  dem  Gebiet  der  religiösen  Mystik  kundgab. 
SehoB  in  früher  Zeit  nahmen  die  Römer  bei  schweren  Epidemien  ihre 
Zuflucht  zu  den  Orakeln  und  Heilgottheiten  der  tlriechen,  welche  neben 
den  heimischen  Göttern  verehrt  wurden.  Dem  Apollon  als  Arzt  wurde 
\m  duer  Seuche,  die  im  5,  Jahrhundert  v,  Chr,  in  R<mi  wüthete,  ein 
I«mpel  gewidmet*  L  J.  291  v.  Chr.  wurde  der  A^klepios-Dienst  von 
Epklaaros  nach  Rom  verpflanzt:  eine  Thatsache»  welche  dichterisch  ans- 
chniuekt,  von  verschiedenen  Schriftstellern  dargestellt  und  sogar  von 
bildenden  Kunst  verherrlicht  worden  ist^  L  J.  154  n*  Chr.  wurde 
Born  ein  Cdkgium  Ätsmdapii  ei  Ht^ieae  errichtet,  dessen  Stiftungs- 
Trkunde  sieh  in  einer  im  Garten  des  Palais  Palestrine  gefundenen 
jüschrift  erhalten  hat* 

Als  Ram  nach  den  punischen  Kriegen  zur  Weltmacht  emporwuchs, 
liehe  die  Hen^chaft  über  das  Jlittelmeer  und  die  dasselbe  l>egrenzenden 
oder  mit  Erfolg  anstreben  durfte,  nahm  die  Einwanderung  von 
«mden  in  bemerkenswerther  Weise  zu.  Wer  durch  Geburt,  Yer- 
mügen,  Talent  oder  Wissen  seine  iMitliürger  überragte,  ging  nach  der 
Tiberstadt,  weil  er  hier  am  ehesten  hofien  konnte,  seine  Vorzüge  zur 
»^Itung  zu  bringen.     Dazu  gesellte  sich  eine  Schaar  von  Abenteurern, 


'  Virnn»  a.  a.  O.  XXIX,  8.  *  Livtuj*  IV,  2b.  2».  VII,  20*  XJ*,  51. 

•  Yaler,  yiAxiM.  I,  6.  8.  —  Uxira  X,  47.  XXIX,  22.  -  Ovit.:  Metam.  XV, 
V,  626—744,  —  Pamüfka:  Asklepios  und  die  Asklepiaden,  BerUti  1840,  S.  52  u. 
Tifd  n,  3,  —  BöiTniKR  in  K.  Sprknokls  Beitrftgen  z.  Gesch,  d.  Med.,  Halle 
1795.  I,  2.  8,  163  II.  ff. 

*  SfoK:  Recherchea  curiouses  d'antiiiuiti'',  Lyon  1683,  p.  H26— 340,  und  wieder 
abg»>Jruckt  bei  J.  Kosenbacm:  K.  Sprengcsrs  Versuch  einer  Geac hiebt e  d.  Arznei- 
kurwle,  IjeipÄig  IH4H^  8.  20«  Anm.,  und  G,  Pinto:  Storia  dellh  medictna  in  Rom<i, 


74  Der  medidnitfche  UnterricJit  im  Alferthum. 


welche  ihr  Glück  suchten  und  dabei  weder  Mittel  noch  Wege  scheuten, 
wenn  sie  zum  Ziele  führten,  sowie  jene  namenlose  Menge  von  Sklaven, 
die  von  reichen  Römern  aus  der  Ferne  bezogen  wurden,  um  den  er- 
höhten Luxus  zu  befriedigen.  Der  vermehrte  Sinnengenuss  hatte  neue 
Laster  und  neue  Krankheiten  im  Gefolge,  gegen  welche  man  bei  fremden 
Ärztin  Hilfe  suchte. 

Das  grösste  Contingent  zu  der  Einwanderung  der  Fremden  stellten, 
wie  bisher,  die  Griechen,  deren  Sprache  und  Cultur  in  Bom  massgebend 
wurde.  Nichts  kennzeichnet  die  Bedeutung,  welche  der  Hellenismus 
dort  erlangte,  mehr,  als  dass  selbst  Cato,  der  Verächter  des  Griechen- 
thums,  sich  bewogen  fühlte,  dessen  Sprache  und  Literatur  zu  ,'studieren, 
und  dass  derselbe  Feldherr,  Lucius  Aemilius  Paulus,  welcher  die  Griechen 
auf  dem  Schlachtfelde  besiegt«,  seine  Kinder  von  griechischen  Lehrern 
erziehen  liess.  Nur  auf  politischem  Felde,  nur  im  Kampfe  der  Waffen 
erlagen  die  Griechen  den  Römern;  im  Wettstreit  der  Geister  blieben 
sie  die  Sieger. 

Graecia  capta  ferum  victorem  cepit  et  artes 
Intiilit  agresti  Latio.  * 

Die  mächtigsten  Veränderungen  erfuhren  dadurch  das  Bildungs- 
wesen und  die  Heilkunde  in  Rom. 

Die  bewunderungswürdigen  Erfolge,  welche  die  letztere  den  Griechen 
verdankte,  machen  es  begreiflich,  dass  man  bestrebt  war,  sich  ihr  Wissen 
und  ihre  Geschicklichkeit  auf  diesem  Gebiet  nutzbar  zu  machen.  Die 
griechischen  Ärzte  wurden  in  Rom  gesucht,  und  ihre  römischen  Col- 
legen  mussten  aus  der  medicinischen  Literatur  der  Griechen  Fach- 
kenntnisse sammeln,  wenn  sie  im  Kampfe  ums  Dasein  nicht  zu  Grunde 
gehen  wollten.  Die  rünusche  Heilkunst,  soweit  sie  auf  nationalem 
Boden  entstanden  war,  ging  in  der  griechischen  Heilkunde  auf  und 
liess  nur,  wie  alle  niederen  Cultur-Elemente,  wenn  sie  den  höheren 
unterliegen,  in  der  Tradition  des  Volkes  ihre  Spuren  zurück. 

Die  berufsmässige  Heilkunst  in  Rom  war  fortan  griechisch.  Ihr 
Inhalt  stützte  sich  auf  griechische  Schriften,  und  ihre  hervorragendsten 
Vertreter  gehörten  der  griechischen  Nation  au.  Dieses  Übergewicht 
erhielt  sich  bis  in  das  späte  Alterthum.  Die  Römer  haben  es  auf 
diesem  Gebiet  eigentlich  niemals  zu  einer  geistigen  Selbstständigkeit 
gebracht,  und  ihre  besten  medicinischen  Werke  besitzen  nur  den  Werth 
compilatorischer  Zusammenstellungen,  zu  denen  die  Schöpfungen  des 
griechischen  Geistes  als  Vorlage  dienten. 


*  HoRATirs:  Epist.  I,  1,  v.  150. 


Die  Mßdioin  in  Bmn. 


75 


Die  ersten  ^echisohen  Arzte,  welche  in  Rom  einwanderten^  waren, 
fie  es  scheint  nicht  gerade  die  ehrenwerthesten  Mitglieder  ihre^  Standes. 
iend  durch  ihr  fremdartis^es   Wesen   und   dnrch   jenen  Znp:  von 
itÄnerie,  wekUer  ihrer  orientalischen  Heiniath  eigunthümlich,  al»er 
gtrengen  Sitten  der  Römer  ungewohnt  war,  machten  sie  sich  bahi 
h  HaiKsncht  und  Prahk^reien  verachthi-h   und   verlujsst.     Sirherhrh 
iO  nur  Wenige  von  Begeisterung  für  die  Heilkunst   und  Liehe  zu 
Hessehen  erfüllt:  die  Meisten  trieb  die  Sucht  nach  Reichthum  und 
asf<   ans   der  Heiumih    in    die  Fremde,      Die  schweren    Ankiogen, 
Iclie  (^ATo  ge^en  sie  richtete,   waren,   wenn  auch  ül>ertrieiien.  doch 
ht  v^hne  alle  Berechtiguni?,  ^ 
Der  aus  dem  Pehjponnes  stammende  Arzt  Ai^chaoathos  (ein  gut*^r 
\\  welcher  um  d.  J.  219  v.  VA\i.  nach  Rom  kam,  lenkte  zuerst 
öffentliche  Auftnerfcsanikeit  auf  sich*  Seine  chirurgischen  Operationen 
solches  Aufsehen,  da.ss  der  Senat  ihm   da*^  römische  Bürger- 
^ht  verlieh  und  auf  Kosten  der  Gemeinde  eine  Ofücin  in  einem  he- 
jeblen  Theile  der  Stadt  kaufte.     Aber  seine  Lust  .,am  Schneiden  und 
Brenoen%  vielleicht  auch  manche  Misserftilge,  die  er  bei  seinen  Opera- 
vmm  hatte,   muhten  ihm  bald  das  Vertrauen  der  Bevölkerung,   und 
mm  sagte,  dass  er  kein  Wundarzt,  sondern  ein  Henker  {camifej}  sei.^ 
Eine  hervorragende  Stellung  erlanyt^  später  der  bithynische  Arzt 
AsTCLEPiADES,  Welcher  zur  Zeit  de**  Pompejns  nach  Rum  üliemedelta 
Im  Besitz  einer  gründhchen  AUgemeinhüdung,  ausgestattet  mit  unge- 
wöhnlichen Gaben  des  Geistes,  einem  scharfen,  durcbdringenden  Ver- 
Hgnde  und  einer  reichen  Lebensertahrung,  erhob  er  sicli  bald  über  den 
TroK  der  gewöhnlichen  Ärzte.   Seine  feinen  gasellschut'tlichen  Manieren, 
^m  sicheres    weltmännisches   Auftreten    in   Verbindung    mit    seinem 
K  '      ■  '  nt,  welchas  seinem  masslosen  Selbstbewusst>ein  die  geeignete 
ir  lg  zu  gehen  wusste,  verschaflten  ihm  den  Zutritt  in  den  vor- 

nehmsten Kreisen  Roms  und  die  auszeichnende  Freundschaft  von  Män- 
KMm  wie  Cicero,  L.  Crassus,  Marcus  Antonius  ü,  A.  Konig  Mithridates 
^■to.ite  ihn  durch  Versprechungen  an  seinen  Hof  zu  ziehen,  musste  sich 
^Hbtr.  da  Asklkpiades  diese  Einladung  ablehnte,  mit  der  Übersendung 
^■Sner  Schriften  begnügen.  AskiJ'^pjadI'^^  zog  es  v*>r,  in  Rom  zu  bleiben, 
Kru  er  gi*08se  Reichthymer  gewaim  und  verehrt  wurde  „wie  ein  Ab- 
k'e^andter  des  Himmels**. 

Kr  verstand  es  voilrefflich ,  die  hohe  Meinung,  welche  man  von 
iliRi  hatte,  zu  erhalten  und  wenn  möglich  noch  zu  crhnhen,  und  ver- 
'«^hmähte  zu  diesem  Zweck  kein  Mittel,    Sa  rief  er  einen  Menschen, 


PuNf 


i  ►    XXIX,  r>,  7.  S. 


^  \\m\m  a.a.O.  XXIX.  i. 


76  Der  medidnische  Unterricht  im  Alterihmn. 


dessen  Leichenbegangniss  man  gerade  feiern  wollte,  ins  Leben  zurück. 
Mit  marktschreierischer  Grossthuerei  erklärte  er,  man  möge  ihn  nicht 
für  einen  Arzt  halten,  wenn  er  selbst  jemals  krank  werde;  and  der 
Tod  war  so  gefallig,  ihn  nicht  zu  desavouiren,  denn  er  starb  durch  den 
Sturz  von  einer  Leiter.^ 

Wie  alle  Leute  dieser  Art,  läugnete  auch  Asklepiades  jede  AutoritÄt 
und  glaubte  nur  an  sich  selbst  Er  verwarf  die  dogmatischen  Lehren 
seiner  Vorgänger  und  schuf  selbst  ein  medicinisches  System,  das  sich  auf 
die  Atomenlehre  der  Epikuräer  gründete,  wie  sie  dieselbe  von  Demokbit 
und  in  etwas  modificirter  Form  von  Heeaklidbs,  dem  Pontiker,  über- 
nommen hatten.  Er  lehrte,  dass  der  menschliche  Körper  zusammen- 
gesetzt sei  aus  formlosen,  beständigen  Bewegungen  und  Veränderungen 
unterworfenen  Atomen  und  zwischen  ihnen  gelagerten  Hohlräumen, 
welche  die  Bewegung  der  Säfte,  sowie  die  Empfindung  vermitteln. 
Aus  der  Beschaffenheit  und  Lagerung  der  Atome  und  ihrem  Verhältniss 
zu  den  Hohlräumen  leitete  er  Gesundheit  und  Krankheit  ab.*  Die 
menschliche  Seele  erschien  ihm  als  das  Ergebniss  der  Sinnesthätigkeit 
Er  sagte,  dass  sie  wie  ein  Hauch  sei,  der  alle  Theile  des  Körpers 
durchdringe,  und  keineswegs  in  einem  bestimmten  Organ  ihren  Sitz 
habe:  eine  Äusserung,  welche  den  Kirchenschriftsteller  Tebtüllian' zu 
abgeschmackten  Witzeleien  Anlass  gegeben  hat. 

Die  materialistLschen  Ideen,  welche  zur  gleichen  Zeit  einen  beredten 
Vertheidiger  in  dem  Dichter  Lucrez  fanden,  hatten  unter  den  Männern 
des  Fortschritts  viele  Freunde  und  Anhänger.  Asklepiades  suchte  sie 
mit  der  Moralphilosophie  der  Stoa  zu  verbinden,  damit  sie  bei  den 
spiritualistisch  angelegten  Naturen  keinen  Anstoss  erregten.  Auf  diese 
Weise  sicherte  er  seinen  Lehren  den  Beifall  und  die  Bewunderung  der 
gebildeten  Laien,  während  die  Ärzte  durch  die  Vorzüge,  welche  sie  vor 
der  Humoralpathologie  hatten,  gewonnen  wurden. 

Die  einseitige  Berücksichtigung  der  Säfte-Theorie  in  der  Physio- 
logie und  Pathologie  der  Hippokratiker  konnte  die  denkenden  Ärzte 
nicht  befriedigen.  Es  leuchtete  ihnen  daher  ein,  als  Asklepiades  auf 
die  KoUe  hinwies,  welche  dabei  die  festen  Theile  des  Körpers  spielen. 
Er  hat  sich  dadurch  ebenso  wie  durch  die  Einführung  des  Materialis- 
mus in  die  Medicin  um  die  Entwickelung  dieser  Wissenschaft  grosse 
Verdienste  erworben. 


1  Plinius  a.  a.  0.  VII,  37.  XXVI,  7.  8.  9.  —  Cicebo:  de  orator.  I,  14.  — 
xVpulejus:  florid.,  c.  19.  —  Sext.  Empir.  ad  logic.  dogm.  I,  c.  91.,  ad  mathem. 
IV,  c.  113  u.  a.  m. 

*  Cael.  Aurelianus:  de  acut.  I,  14.  15. 

^  Tertüllian:  de  anima,  c.  15. 


DU  Ähdicm  in  Rom. 


11 


Seine  therapeutischen  Grundsätze  gipfelten  in  dem  Satze,  daas  der 
Irit  darnach  trachten  müs^e,  den  Kranken  raj^ch.  sicher  und  auf  eine 
tL't'iiehme  Art   ge^sund    zu    maehen.     Er   bek.^mpfte    den   ilis^sbrauch, 
eichen  die  Ärzte  seiner  Zeit  mit  drastischen  Purjij^antien,  mit  Brech- 
uttehi  und  schweisstreibenden  Verorckiungen  trieben,  und  empfahl  statt 
neben  einer  strencren  Regelung  der  Diät  vorzugsweise  aetive  und 
ve  Bewegungen  des  Körpers,  Abreibungen,  Bäder,  den  (jenuss  des 
dten  Wassers,  KI3 stire  u,  dgl.  m.     Um  Schlaf  zu  erzeugen,  liess  er 
l£ninken  in  Hangemarten  legen,  welche  in  sanfte  schaukelnde  Be- 
ug versetzi  wurden.     Bei  der  Bräune  rieth  er,  wie  schun  Andere 
ihm,  die  Tracheot^mie  vorzunehmen.^ 

Die  Lehren  des  Asklepudes  wurden  von  seinen  Schnlern  imd 
iDhängem  weiter  ausgearbeitet  und  bildeten  die  Grundlage  für  die 
(tliche  Sekte,  welche  die  methodische  genannt  wurde.  Der  eigent- 
iek  Begründer  derselben.  Th^mtsox  aus  Laodicea,  ein  Schüler  des 
ilssLEPiADEs.  unterzog  sich  <ler  Aufgabe,  die  Natur-Philosophie  seines 
dem  Ver^tanduiss  luid  den  Bedürfhissen  der  praktischen  Ärzte 
Bznpassen,  Er  Siigte,  dass  die  Krankheiten  entweder  den  f'harakter 
Spannung,  d.  h.  der  Reizung  oder  der  Erschlafl'ung  oder  einen  aus 
iriden  HjEfenschaflen  gemischten  Zustand  zeigen,  indem  die  Sekretions- 
keit  der  Organe  entweder  herabgesetzt  oder  gesteigert  oder  zu 
edenen  Zeiten  verändert  erscheine.*  Die  den  verschiedenen 
Krankheiten  gemeinsamen  Charaktere  wurden  Communitäten  genannt, 
oDd  ihre  Bekämpfung  durch  Mittel  welche  eine  entgegengesetzte  Wir- 
ktmg  besitzen,  als  der  Zweck  der  ärztlichen  Behandlung  hingestellt. 

Die  Methodiker  beschränkten  sich  auf  die  Betrachtung  der  allge- 
nimen  Erscheinungen  der  Krankheiten;  den  Sitz  derselben  und  ihre 
UfHachen  zu  erforschen,  hielten  sie  für  ül»erflüssig  und  wohl  auch  für 
Aussichtslos,  Sie  beschäftigten  sich  hauptsächlich  mit  der  Semiotik  und 
Therapie  und  schenkten  vorzugsweise  den  Fragen  der  praktischen  Heil- 
kuast  ihre  Aufinerksamkeit. 

Ihre  Lehren  waren  so  einfach  und  leicht  zu  begreifen  und  so  be- 
unein  in  der  Ausfuhning,  dass  sie  bei  der  grossen  Menge  der  Ärzte 
kreitwillig  Auftiahme  fanden.  Aber  Denjenigen,  welche  wissenschafl- 
licbe  Interessen  hegten,  konnten  ihre  Mängel  nicht  entgehen.  Die 
01>erflkhlichkeit  der  Alles  nach  einer  vorgeschriebenen  Schablone 
f«Der»lisirenden  Communitäten-Lehre,  welche  nicht  blos  die  Fragen  der 
winiBikschaftlichen  Theorie  unbeantwortet  liess,   sondern  selbst  für  die 


»  CitLBtT«  n,  U.   lll,  4.   l\,  19.  —  Cael.  AiTBEL.:  de  acut.  1,  15.    III,  4.  8. 
-  Ptnrruö:  Hist.  nat.  XXVI,  7.  H.  9. 
*  Celscts:  l^Äef, 


Pmxi^  iinmreichend  erschien,  morste  sich  mit  der  Zeit  ehens^^  unliult- 
■^nr  «rwL'isen,   iih  ihr  iinmfer  Mut^rialtsmasp   der  in  der  iSynkrisp  <1<*r 
^Hktuiiie  diö  Ltjsim^'  d<*s  Kat1isi*l<  *lr^   organischen  Lf*lirn>   ^/i^funilkn 
PBmhen  glaubte. 

"  Ük*  Eiri'^irhtigfn  wiuidton  sich  daher  einem  EkleküCLsum.-.  lu, 

.     die  Kiemen  teil  lidire  und  4.juaiitat4?ntheorie  der  griechischen  Naturp 

I   iophen  mit  dem  Htimorismos  der  Hippokratiker  nnd  der  Bolidarpi 

"     loirie  der  methodischen  Schule  zu  vereinigen  und  durch  die  Animhi 

des  Pneuma,   eines   den  Körper   erfüllenden   und  ihn   beherrscheniiea 

^eiHtigen   Elementes,   eine  wesentliche  Lücke  der  verschiedenen  medi- 

(Muischen  Systeme   zu   ergänzen    versuchte.      Die   Lehre  vom   Pnpiimi 

war  keini^üiwegs  neu;  yie  wurde  schon  in  den  Hippokratischen  Sclmft<»n 

ange<ieutet,  von  den  Peripatetikem  rtunfilhrlicher  erörtert,   von  Eha^i* 

HTRATos  zur  Erklärung  mancher  Vorgange  im  mensehtichen  t)riranisni[ijs 

verwendet  und   später  durch  die  HUm  wieder  in  den  Vordergrund  g^ 

drangt.    Einige  Ärzte,  wie  z.  B.  AxHENAErs  aus  AttAÜa,  schrieben  dem 

Pneuma  eine  so  hervorragemle  liolle  zu,  dass  man  sie  als  Pneumatiktr 

I      bezeichnet  hat, 

l  Jn  der  arztlichen  Praxis  stellten  sich  die  Eklektiker  auf  den  BuJen 

der  That8achen  und  sMhen  in  der  Erfahning  die  einsige  und  siclieMe 
Picht,^idinur  ihre«  Handelns.  Aher  sie  standen  der  wissenschaftlicben 
Forschung  ninht,  wi«^  die  iMethodiker  oder  die  Eujpiriker.  gleichgülti|f 
uder  gar  feindselig  gegenüher,  sondern  l)egünstigt^n  dieselbe  und  fe 
dert^^n  sie  seihst  auf  fi eUieten,  wie  z.  B,  die  Auiitoniie  und  Phy^ioli 
4leren  Nutzen  für  die  arzMitdie  Praxis  nicht  sofort  erknnnhar  war. 

Uer  Eklekticisinus  wurde  in  wirksamer  Weise  vorbereitet  und  ein- 
areleitot  durch  die  Schriften  der  Enevklopridisren,  welche  Alles,  waü  m 
^den   varangi*gungenon   Culturperiiideii   auf  den   einzelnen   Gebieten  i^ 
eistigen  StrebeuM  geleist^et  worden  war,   zu8animen    stellten.      Netei 
Mer  PhünHuphie  und  Gesi-hlchtc»  der  Politik»   Kriegswissenschaft.,   Geo- 
graphie,  den   Natur  Wissenschaften,    der  Ijandwirthschaft,    Malerei  Ußd 
Bildhauerkunst  u.  a.  m*  zogen  sie  auch  die  Medicin  in  den  Kreis  der 
Betrachtung.      Ihre   Schriften    über    diesen    Gegenst^ind    Imngen    eine 
ttbersicht   fies   gesammten  medicinischen  Wissens  jener  Zeit  und  sind 
^■ttu  %o  werthvidler,   als  sie  eine  Menge  von  Auszügen  aus  ärztlichen 
Werken  enthnlten.    welche  verloren  treganj^en  sind*     Die   liekanntest^n 
Hncyklopiidisten    waren   M.  TEKKNTn^s  Vakrh,    A,  CoitNELiuH   Cp.iibrs 
und  der  ältere  pLnntJH.   Der  Letztere  benutzte  zu  seiner  Naturgeschichte 
nicht  wenijjfer  wh  2tHH>  Bücher,    wie  er  seHist  er/ilhlt,*    und  CkIjSUS 


^  PuNiüs  li.  a.  «I.  If  firaef. 


^Tt  in  seinem  medicimsclien  Werk,  welches  sic^h  durch  die  Eleganz 
^Dan^t^lhing  wie  durch  die  Classicität  der  Sprache  den   besten  Er- 
lungen    der   römischen    Litemtiir   ansehlie!>j?it,    eioeti    wenn    auch 
chen   Ersatz  für  eine  jLrrosse  Anzahl   von  medicinii^chen   Werken 
;  Alexandrinischen   Periode,    die   uns    ein    neidisches   Geschick   ge- 
bt hat. 
Der  Eklekticismus  entwickelte  sicli  zmii  iebenafrischen  Organismus^ 
her  die  Vorzüge  der  übrigen  medicinischen  Systeme  in  sich  ver- 
ohne  deren  Mängel  und  Fehler  zu  besitzen.     Festhaltend  an 
TraditiuneD  der  Vergangenheit,   aber  frei   von  jener  schulmeister- 
en Pedanterie,  welche  das  Heraustreten  huü;  den  gewuhnten  Ueleisen 
[fin   frevelhaftem   Wagnifis   betrachtet,   war   er   ganz   geeignet,   die 
thatigkeit  des   Einzelnen   zu  tordem   und  den  Fürtschritt  der 
Dhatt  zu  ermöglichen.     Der  Eklekticismus  war  ein  Bedürfniss 
tmd  eine  Nothwendigkeit  für  die  Heilkunde,  wenn  sie  nicht  in  roher 
pine  oder  einseitigem  Methodismus  verflachen  wollte.    Es  war  daher 
lieh,  dass  er  die  Herrschaft  in  der  Medicin  erlangte.    Die  Ärzte 
sich  ihm  mit  Begeisterung  an,  und  die  medicinische  Literatur 
^fine  eklektLsche  Färbung. 

Aach  die  Lehre  Galen\s  welche  durch  ein  und  ein  halbes  Jahr- 
lend  der  Welt  als  höchste  und  fast  antehllnire  Autorität  in  medi- 
chen Dingen  galt,  war  ursprünglich  nichts  Anderes  als  ein  ge- 
»lier  Eklekticismus*  Freilich  errang  sich  dieselbe  durch  die 
.rhopferiÄche  Kraft  ihres  Begründers,  welcher  der  medicinischen  Wissen- 
*'haft  eine  Fülle  von  Thatsachen  erschloss  und  ihr  neue  Buhnen  er- 
Jfejete,  bald  die  Selbstständigkeit  und  gestaltete  sich  zum  abgesclilossenen 

(t.u^EN  wurde  i.  J.  131  n.  Chr.  zu  Pergamon,  dem  einstigen 
JeriKhersitz  der  Attaler,  geboren.     Sein  Vater,  der  Architekt  Nikon, 

ein  vielseitig  gebildeter  Mann,  der  sehr  gründliche  Kenntnisse  in 

Mathematik,  Physik  und  den  Natnrwissenscliaften  besass:  er  über- 
^aehte  mit  liebender  Sorgfalt  die  Eniehuog  seines  Sohnes  und  sorgte 
dass  derselbe  von  ausgezeichneten  Lehrern  unterrichtet  wurde. 

einer  vortreffliehen  Vorbildung  ausgestattet,  begann  (talek  im 
17.  Lel>ensjahrc  die  medicinischen  Studien.  Er  besuchte  zunächst  die 
medicinische  Schule  seiner  Vaterstadt,  an  welcher  der  Anatom  SATYBr«, 
ein  Schüler  des  QriNTus,  der  Hippokratiker  STRAXONicrs,  der  Empiriker 
Aeschbion  u.  A.  wirkten.  Nach  dem  Tode  seines  Vaters,  welcher  vier 
Jähre  später  erfolgte,  verliess  er  Pergamon  und  begab  sich  nach  Smvma, 
m  dort  unter  der  Leitung  des  PEiiOPft,   eines   berühmten  Anatomen, 

des  Plat^mikers  Albixits  seine  Studien  fortzusetzen,  und  drinn  uach 


80  Der  niedicinisclie   UfUenicJit  im  Alterthum, 


Korinth,  wo  er  einen  anderen  bedeutenden  Anatomen,  Numbsianüs, 
hörte.  ^  Hierauf  durchreiste  er  Kleinasien  und  Ägypten,  hauptsachlich 
zu  dem  Zweck,  um  seine  naturwissenschaftlichen  Kenntnisse  zn  ver- 
mehren und  zu  befestigen.  In  Alexandria^  dessen  medicinische  Schulen 
unter  allen  Anstalten  dieser  Art  den  ersten  Bang  einnahmen,  blieb  er 
bis  zum  28.  Lebensjahre.  Mit  grossem  Eifer  widmete  er  sich  den  ana- 
tomischen Untersuchungen,  zu  denen  ihm  hier  mehr  Gelegenheit  ge- 
boten wurde,  als  an  irgend  welchem  anderen  Ort.*  Gleichzeitig  suchte 
er  auch  in  den  übrigen  Zweigen  der  Heilkunde  sein  Wissen  zu  er- 
gänzen und  zu  läutern.  Alexandria  war  mit  Heilkünstlem  überfüllt^' 
und  es  gab  wohl  kein  medicinisches  System,  keine  Heilmethode,  die 
nicht  unter  den  dortigen  Ärzten  ihre  Anhänger  und  Vertheidiger  hatte. 
Nirgends  konnte  der  Studierende  der  Medicin  so  viel  sehen  und  lernen, 
als  in  Alexandria.  Deshalb  kamen  die  jungen  Ärzte  hierher,  wenn  sie 
sich  in  ihrem  Fach  vervollkommnen  wollten.  War  es  ja  doch  noch  in 
späterer  Zeit  die  beste  Empfehlung  eines  Arztes,  in  Alexandria  studiert 
zu  haben.* 

Reich  an  Kenntnissen  kehrte  Galen  in  seine  Heimath  zurück  und 
übernahm  die  ärztliche  Behandlung  der  Gladiatoren  und  Ringkämpfer. 
Aber  die  kleinlichen  Verhältnisse  seiner  Vaterstadt  und  ein  Aufruhr, 
der  dort  ausbrach,  veranlassten  ihn,  nach  einigen  Jahren  nach  Rom 
zu  übersiedeln.  Um  hier  bekannt  zu  werden,  hielt  er  öffentliche  Vor- 
träge über  den  Bau  und  die  Funktionen  des  menschlichen  Körpers. 
Das  Interesse  an  dem  Gegenstände  und  die  Sachkenntniss  des  Redners 
zogen  bald  ein  zahlreiches  Publikum  an,  das  sich  aus  den  vornehmsten 
Kreisen  der  Hauptstadt  zusammensetzte.  Unter  seinen  Zuhörern  be- 
fanden sich  Männer  in  einflussreichen  Stellungen,  wie  die  Philosophen 
Eudemus  und  Alexander  von  Damaskus,  der  Präfekt  Sergius,  die  Consuln 
Boethus  und  Severus,  der  später  den  Thron  bestieg,  und  Barbarus,  der 
Onkel  des  Kaisers  Lucius.  Auf  diese  Weise  gelang  es  Galen,  in  kurzer 
Zeit  eine  einträgliche  ärztliche  Praxis  zu  erwerben. 

Aber  der  Neid  und  die  Eifersucht  seiner  Collegen  und  andere 
widrige  Verhältnisse  verleideten  ihm  den  Aufenthalt  in  Rom.  Er  begab 
sich  daher  wieder  auf  Reisen  und  besuchte  verschiedene  Theile  Italiens 
und  Griechenlands,  die  Insel  Cypem,  Palästina  und  seine  Heimath 
Pergamon.  Schon  ein  Jahr  später  wurde  er  von  den  Kaisem  Lndus 
A^erus  und  A.  Marcus  Aurelius  nach  Aquileja  berufen,  um  sie  in  dem 

*  J.  Ch.  Ackekmann:  Vita  Galeni  in  Galeni  opera.  Ed.  Kühn,  T.  I  (Ein- 
leitung), führt  die  Belegstellen  dazu  an. 

*  Galen  H,  220.  '  Fülqentiüb:  Mythol.  I,  p.  16. 

*  Amxian.  Marceil.  XXH,  16. 


Die  Medicin  in  Born.  81 


Feldzuge  gegen  die  Germanen  zu  begleiten.  Der  Tod  des  Ersteren  gab 
G.UiEN  eine  andere  Bestimmung;  er  blieb  in  Rom  und  wurde  zum 
Leibarzt  des  jungen  Thronfolgers  Commodus  ernannt.^  Wie  lange  er 
dieses  Amt  bekleidete,  ob  und  wann  er  später  in  seine  Heimath  zurück- 
kehrte, ist  nicht  bekannt  Ebensowenig  weiss  man,  wann  und  wo  er 
gestorben  ist  Wie  Suedas  berichtet.,  soll  er  das  70.  Lebensjahr  erreicht 
haben;  sein  Tod  erfolgte  also  nicht  vor  dem  Jahre  201  n.  Chr. 

Wenn  das  Leben  Galen's  an  dieser  Stelle  ausfuhrlich  erzählt 
wurde,  so  rechtfertigt  sich  dies  nicht  blos  durch  die  ausserordentliche 
Bedeutung,  welche  er  für  die  Heilkunde  erlangte,  sondern  hat  zugleich 
den  Zweck,  an  einem  hervorragenden  Beispiele  zu  zeigen,  wie  sich  zu 
jener  Zeit  der  Bildungsgang  tüchtiger  Ärzte  gestaltete. 

Galen  war  ein  erfahrener  geschickter  Arzt,  gelehrter  Forscher, 
iresuchter  Lehrer  der  Medicin  und  ungemein  fleissiger  Schriftsteller. 
Seine  literarische  Fruchtbarkeit  geht  aus  der  Menge  seiner  Schriften 
hervor,  welche  in  der  KüHN'schen  Ausgabe  21  Bände  fiillen,  von  denen 
jtKier  ungefähr  1000  Druckseiten  enthält  Allerdings  befinden  sich 
darunter  manche  Werke,  welche  ihm  fälschlich  zugeschrieben  worden 
<ind;  dafür  fehlen  aber  in  der  Aasgabe  eine  grosse  Menge  von  ihm 
verfasster  Arbeiten,  welche  theils  verloren  gegangen,  theils  nur  in 
tbersetzungen  vorhanden  und  noch  niemals  dem  Druck  übergeben 
worden  sind. 

Galen's  Schriften  behandeln  die  Philosophie,  Anatomie,  Physio- 
logie, Arzneimittellehre,  praktische  Heilkunde,  Chirurgie,  Gynäkologie, 
Geschichte  der  Medicin  u.  a.  m.  Sie  führen  dem  Leser  Alles  vor,  was 
auf  diesen  Gebieten  geleistet  worden  war,  und  zeichnen,  wie  die  Hippo- 
kratische  Sammlung,  ein  Bild  des  Zustandes  der  Heilkunde  ihrer  Zeit, 
dessen  Einzelheiten  auf  die  fachmännischen  Kenntnisse  der  Ärzte  ebenso 
wie  auf  ihre  socialen  Verhältnisse  manches  Licht  werfen. 

Auch  der  medicinische  Unterricht  wird  darin  an  mehreren  Stellen 
berührte  Derselbe  entwickelte  sich  in  strenger  Abhängigkeit  von  den 
(reschicken  der  Heilkunde  überhaupt  Sein  Inhalt  und  seine  Richtung 
wurde  durch  den  Fortschritt  der  Wissenschaft  und  die  herrschenden 
Systeme,  seine  Form  durch  die  äusseren  Verhältnisse  des  ärztlichen 
Standes  bestimmt 

»  GAI.KK  XIV,  648  u.  ff. 


PUKBMAJiy,   ÜDttRiellt. 


82  Der  medicinische  Unterricht  i»i  AUerthvm, 


Der  medicinische  Unterricht  in  Rom. 

In  den  ältesten  Zeiten  der  römischen  Geschichte  gingen  die  me- 
(licinischen  Kenntnisse  vom  Vater  auf  den  Sohn  oder  einen  Verwandten 
und  Freund  über.  Die  persönliche  Unterweisung  des  Schülers  durch 
den  Heilkundigen  blieb  auch  später  die  häufigste,  wenn  nicht  einzige 
Form  des  medicinischen  Unterrichts. 

Als  die  griechische  Heilkunst  nach  Rom  verpflanzt  wurde,  erhielt 
der  medicinische  Unterricht  mit  dem  aus  der  reichen  medicinischen 
Literatur  der  Griechen  entnommenen  Inhalt  auch  die  äussere  Gestalt, 
welche  er  in  Griechenland  hatte.  Die  nach  Rom  eingewanderten 
griechischen  Ärzte  traten  dort  als  Lehrer  ihrer  Kunst  auf  und  führten 
die  Einrichtungen  ihrer  Heimath  ein. 

Wie  in  Griechenland,  so  war  auch  in  Rom  die  ärztliche  Praxis 
ein  freies  Gewerbe,  dessen  Ausübung  Jedem  gestattet  wurde,  welcher 
die  dazu  erforderliche  Befähigung  zu  besitzen  glaubte.  Es  gab  keine 
gesetzlichen  Vorschriften,  welche  das  Bildungswesen  der  Ärzte  regelten. 
Sie  erwarben  die  fachmännischen  Kenntnisse,  wie  und  wo  sie  wollten. 
Hire  Ausbildung  war  daher  sehr  ungleich. 

Der  ärztliche  Stand  vereinigte  Elemente  in  sich,  welche  in  Bezug 
auf  ihr  Wissen  sehr  verschieden  waren;  neben  Männern,  welche  ihm 
zu  jeder  Zeit  zur  Zierde  gereicht  hätten,  enthielt  er  auch  Leute,  welche 
weder  von  der  Heilkunde  noch  von  anderen  Wissenschaften  etwas  ver- 
standen. Mit  Recht  klagte  Plintus^  darüber,  „dass  man  in  Rom 
Jedem,  der  sich  für  einen  Arzt  ausgiebt,  Glauben  schenkt,  obwohl 
gerade  hier  die  Lüge  die  grössten  Gefahren  im  Gefolge  hat"  „Leider 
giebt  es  kein  Gesetz",  schreibt  er  femer,  „welches  die  Unwissenheit  der 
Ärzte  bestraft,  und  Niemand  nimmt  Rache  an  ihm,  wenn  durch  seine 
Schuld  Jemand  zu  Grunde  geht.  Es  ist  ihm  erlaubt,  auf  unsere  Gefahr 
hin  zu  lernen,  mit  unserem  Tode  Experimente  zu  machen  und,  ohne 
Strafe  befürchten  zu  müssen,  das  Leben  eines  Menschen  zu  vernichten." 

Jünger  der  Heilkunst,  welche  ihrem  Beruf  Ehre  machen  wollten, 
waren  natürlich  bestrebt,  sich  gründliche  Kenntnisse  in  ihrem  Fach  zu 
erwerben.  Sie  bereiteten  sich  dafür  durch  philosophische  Studien  vor, 
welche  zugleich  ihre  Allgemeinbildung  vervollständigten.  Galen* 
schrieb  eine  Abhandlung  über  die  Nothwendlgkeit,  dass  der  Arzt  Bil- 
dung des  Geistes  und  Herzens  besitzen  und  mit  einem  Wort  ein  Phi- 
losoph sein  müsse. 

*  PuNius:  Hist  nat.  XXIX,  8.  »  Galen  a.  a.  0.  I,  53—63. 


Zu  Cäto%  Zeit  umfassta  die  ÄllgemeinbildoDg  ausser  der  Rechts- 
Itimde*  der  Kriegswissenschiift  und  Lundwirth^tiiaft  auch  die  Medicin, 
']  also  in  einer  encjkiojiädischen  Übersieht  iw  wichtij^sten.  für 
,,,i.  inaktlselie  Leben  brauchbaren  Diii^e, 

Ab  mit  der  Verpftanzang  der  prriechischen  ( 'ultur  der  Kreis  dieser 

Wissenschaften  derarticir  erw^it^rt  wurde,  dass  ihre  Kenntniss  den  Fach- 

t  'nTn  vorbehalten  werden  ninsste,  erfuhr  der  Begriff  der  AUsremein' 

i:  eine  nothwendige  Einschränkung.    Die  Uoterrichtsgegenstände, 

welche  in    den   Schulen   gelehrt   worden,    bestimmte    da^^   Bedurfniss 

rmd  die    Gewohnheit.      Der    Elementarst ufe    entsprachen    das    Lesen, 

sshraben  and  Rechnen.     Hierzu  kam  seit  den  punischen  Kriegen  für 

(üe  Forgeschrittenen  Schüler,   welche  eine  höhere  Bildung  zu  erlangen 

-     >.  ,,    ^^^^  Studium  der  griechischen  8pniche  und  Literatur  nebst 

^  lateinischer  Werke,  womit  der  Unterricht  in  der  freschichte, 

IftHfraphie,  Astronomie^  den  Naturwissenschaften,  der  Philosophie,  Musik 

iiÄd  «nderen  Fächern  verbunden  wurde.    Einen  akademischen  Charakter 

tragen  die  Rhetorenschulen,  in  welchen  strebsame  Jünglinge  die  Dia- 

kltik  und  die  Redekunst  erlernten,^ 

Medicinische  Lehranstaltt^n  in  unserem  Sinne  kannte  das  Alterthum 
icht    Der  arztliche  Unterricht  wurde  überall  nur  von  einem  einzigen 
brer  ertheilt,  w^elcher  seine  Schüler  mit  allen  Theilen  seiner  Wissen- 
bekannt  machte.     Selbst  wenn  mehrere  Lehrer  der  Reilkunde 
einem  (Jrt  wirkten,  fehlte  doch,  wie  es  scheint  ein  organisatorisches 
n4  das  sie  zu  gemeinsamer  Thätigkeit  vereinigte, 
WiÄs>»egierige  Schüler  begnügten  sich  nicht  damit,  einen  einzigen 
zu  hören,    sondern  suchten   noch  andere  Ärzte  auf,   um  auch 
Ansichten  und  Erfiihningen  kennen  zu  lernen, 
Anfangs   war   der   medicinisehe  Unterricht   ledigli(*h    Privat^iche. 
Alexander  Severus   (225 — 235  n.  Chr)   setzte   den    Lehrern   der 
Hedkunde  Besoldungen  ans   und   überwies   ihnen    oöentliche  Hörsälej 
^gie  freilich  die  Verpfüehtung  übernehmen  mussten^  arme  Studie- 
die  vom  Staat  unterstützt  wurden,  unentgeltlich  zu  unterrichten.'* 
Constantin  forderte  die  Ärzte  auf,  recht  viele  Schüler  in  ihre  Wissen- 
^  'Mnzu weihen,  und  verlieh  ihnen  dafür  manche  Vorrechte.^    Doch 
-LL.i^en   sich   später    vorzugsweise    die   Archiatri    oder    solche   Ärzte, 


^  J.  MAmirARinr:  Das  Privatleben  der  Römer  im  Handbueh  der  römbcheu 
AltCTthamer,  Leipzig  1879,  Bd.  VII;  S.  90  u.  ffl  ^ 
*  LAMFKr&ji;s:  Alexander  SeveruSf  c.  44. 

'  Cod.  Theod<>8.,  Hb.  XHI^  tit.  8,  quo  faeilius  liberalibus  Jttudns  «/  memo- 
\fuHt  ariibus  mulUm  iristituani. 

6* 


84  Der  medidnisohe  Unlerricht  im  Alterthum. 

welche  das  Amt  eines  Archiaters  bekleidet  hatten,  der  Lehrthätigkeit 
gewidmet  zu  haben. 

Der  medicinische  Unterricht  wurde  entweder  gegen  Honorar  oder 
unentgeltlich  ertheilt.^ 

Die  Dauer  der  Studienzeit  war  verschieden  und  richtete  sich  nach 
den  Fähigkeiten,  wissenschaftlichen  Bedürfiiissen  und  Geldmitteln  des 
Studierenden.  Während  Galen,  wie  erwähnt,  den  medicinischen  Stu- 
dien 11  Jahre  widmete,  versprach  Thessalus,  ein  Anhänger  der  me- 
thodischen Sekte,  der  sich  durch  sein  charlatanähnliches  Auftreten  be- 
kannt machte,  seine  Schuler,  welche  noch  kurz  vorher  als  Köche,  Färber, 
Wollspinner,  Flickschuster,  Weber  oder  Tuchwalker  gearbeitet  hatten, 
binnen  6  Monaten  zu  Ärzten  auszubilden.  ^  Er  bekam  in  Folge  dessen, 
wie  Galen  berichtet,  eine  grosse  Aozahl  von  Schülern,  welche  in  kurzer 
Zeit  und  ohne  besondere  Mühen  die  Heilkunst  erlernen  wollten,  damit 
sie  viel  Geld  erwerben  konnten.  Denn  „nicht  der  Arzt,  welcher  in 
seinem  Fach  am  tüchtigsten  ist,  sondern  derjenige,  welcher  am  besten 
zu  schmeicheln  versteht,  geniesst  die  Achtung  der  grossen  Menge;  ihm 
wird  Alles  leicht  gemacht,  ihm  stehen  alle  Thüren  offen;  er  gewinnt 
Keichthum  und  Macht  und  die  Schüler  drängen  sich  von  allen  Seiten 
an  ihn  heran."  ^ 

Derartige  Jünger  der  Heilkunst  konnten  oft  nicht  lesen  und  kaum 
richtig  sprechen.*  Sie  sahen  mit  Verachtung  auf  Diejenigen  herab, 
welche  sich  mit  den  theoretischen  Fächern  der  Heilkunde  beschäftigten, 
und  erklärten  sie  für  Narren,  welche  die  Zeit  mit  nutzlosen  Dingen 
vergeuden.^  Natürlich  hielten  sie  das  Studium  der  Anatomie"  und 
Physiologie  für  überflüssig;  denn  ihnen  lag  nur  daran,  jene  handwerks- 
mässige  Routine  in  der  Behandlung  der  Krankheiten  zu  erlangen,  die 
ihnen  für  ihren  Beruf  nöthig  erschien. 

Die  Anatomie  hatte  durch  die  Alexandriner,  sowie  durch  Rufüs 
von  Ephesus,  Marinus,  Quintus  und  deren  Schüler  Lykus,  Satybüs, 
Pelops,  Aeschrion,  welche  die  Lehrer  Galen's  waren,  einen  hohen 
Grad  der  Entwickelung  erfahren.  Man  kannte  die  Lage  und  Gestalt 
der  einzelnen  Knochen,  ihre  gegenseitigen  Verbindungen,  die  Nähte, 
das  Periost,  die  Markhaut,  die  Gelenkknorpel,  verschiedene  Gelenke 
nebst  den  dazu  gehörigen  Bändern  und  Sehnen,  die  wichtigeren  Muskel- 
gruppen,  und   macht«   sich   ziemlich   richtige  Vorstellungen  über  die 


^  Lucian:  Der  verstossene  Sohn,  c.  24. 

*  Galen  I,  83.   X,  5.  19.  •  Galen  X,  4.  *  Galbn  XIX,  9. 

'^  Galen  I,  54.  XIV,  BOO.  —  Scribon.  Laigi  ad  CallLst,  Edit  G.  Helm- 
reich,  Lips.  1887,  p.  4. 


Der  fMeUemisohe  Unterrißhi  in  Rom, 


85 


fonn  und  Lagerung  der  Organe  in  der  Brust-  und  Banchhohle. 
Gale37^  wies  bereits  auf  die  analoge  Bildung  der  Gesi^hlei^htetheile  bei 
len  Ge9ehlechf4?rn  hin  und  erklfirt*?,  daÄ8  sie  sich  hauptsarhlicli  nur 
h  vun  einander  ant^^rsciieiden,  dass  sie  beim  Wt*ib<'  nach  innen, 
Kanne  nach  aussen  gelagert  sind. 

Das  (lefisssystem  war  noch  wenig  erforscht:  doch  \vu8,st^  man  tue 
Arterien  von  den  Venen  zu  unterscheiden,  und  bemerkte  die  verschie- 
dfot  Qualität  de,s  Bltit«»s  diaser  beiden  Ge^ßssarten.  *  Staunen  erregen 
die  Kenntnisse,  welche  mau  vom  Nervt'nsjst^m  b<^sass.  Oalen  lieferte 
emf  genaue  Beschreibung  des  Gehirns  und  Rilckenniarks  ^  und  schilderte 
den  Terbiuf  vieler  Nennen.  So  bezieht  er  sirh  auf  di*n  Opücui^,  den 
(»coloinotorius  und  TrochIeari.s  die  einzelnen  Äste  des  Trigennnus,  den 
Acösticu^  und  Facialis,  Vae'iLs  und  Glossopharyngeus,  die  Nerven  des 
Kehlkctpfs  und  Schlundes,  den  SyrapafehiciLs.  und  deutet  f>ereit8  die 
ßanehen  desselben  an:  desgleichen  weist  er  auf  die  Nn.  radiales,  ulnares, 
BKdiuu.  crurales  und  ischiadiei  hin.  Das  Chia>ima  der  Sehnerven  wurde 
fckoD  von  RuFüs,  dem  Ephesier,  erwähnt,  der  auch  die  Unterscheiduntj 
ier  Xen'en  in  motorische  und  sensibele  zuerst  hervorgehoben  hat.  * 

Die  Ergebnisse  der  anatomischen  Forschungen  stutzten  sich  haupi- 
ächlicU  auf  Sektionen  von  Thieren.  Zur  anatuniischen  Unt4?rsuchung 
menschbcher  Knrper  bot  sich  nur  ausnahmsweise  Gelegenheit,  und 
<«lb6t  in  Aleiandria,  wo  seit  den  Pt^lemaem  freiere  .^Vnschauungen 
iiruher  herrschten,  war  sie  zu  Galkn's  Zeit  schon  sehr  selten.  Nur 
Leichen  von  feindlichen  Kriegern,  welche  auf  dem  Schlachtfelde 
lifdlen  waren,  von  Verbrechern,  die  hingerichtet  worden  waren  oder 
ütoerdigt  aufgetunden  wurden,  und  von  todtgeborenen  und  ausgesetzten 
[dem  durften  zu  solchen  Zw^ecken  benutzt  werden.'* 
^nch  Verletzungen,  welche  mit  der  Blosslegung  der  Weichtheile 
len  waren,  konnten  über  die  Lage  mancher  Organe  einige  Aof- 
^toe  geben.  An  Vivisektionen  war  in  Ri»m  natürlich  nicht  zu 
und  Celsus  drückte  sicherlich  die  offenfliche  ^leinuntr  aus,  als 
eb:  ,,Das  Offnen  lebender  Körper  halt^  ich  für  gniusum  und 
lüasig,  das  der  Leichen  hingegen  für  nothwendig  für  die  Lernen- 
^«ii:  denn  sie  müssen  Lage  und  Anordnung  der  einzelnen  Theile  des 


'  QjiLRit  rV\  035.  '  Galen  III,  491, 

'  Cn.  DAttiaMiiRKo:  EipoBition  des  connaissanccs  de  tlHiieii  sur  rsmatomic  et 
li  (ihy  Biologie  du  s^ysti^me  iier\'eax,  Paris  184L  —  F.Falk:  Galen  ä  Lehre  vom 
irrsundrn  und  kranken  NervensvBk'm,  Leipzig  1871. 

*  Oeuvres  de  Rufiis«  publi/^es  par  Cit.  Dabkmbkk».  et  Ch  Km.  Riklle,  Paris 
1««,  p.  158.  170. 

*  Galeit  II,  385. 


86  Der  medioinischs  Unterricht  im  ÄUerthum. 


Körpers  kennen.  Dazu  sind  Leichen  geeigneter,  als  lebende  und  ver- 
wundete Menschen."^ 

Galen  erzahlt,  dass  die  Ärzte,  welche  mit  dem  römischen  Heere 
in  den  Erleg  gegen  Deutschland  zogen,  die  Erlaubniss  erhielten,  die 
Leichen  gefallener  Feinde  zu  zergliedern.  Leider  konnten  sie  daraus, 
setzt  er  hinzu,  keinen  Gewinn  für  ihr  Wissen  ziehen,  weil  ihnen  die 
nothwendigen  anatomischen  Vorkenntnisse  fehlten.  ^  Bei  einer  anderen 
Gelegenheit  berichtet  er,  wie  er  durch  Zufall  in  den  Besitz  zweier 
Skelette  gelangt  war,  von  denen  das  eine  von  einem  aus  seinem  Grabe 
durch  einen  ausgetretenen  Fluss  hervorgeschwemmten  Leichnam,  das 
andere  von  einem  Käuber  herrührte,  der  im  Gebirge  erschlagen  wor- 
den war.* 

Galen's  anatomische  Angaben  beruhen  grösstentheils  auf  Zerglie- 
derungen thierischer  Körper.  Er  erklart  dies  selbst;  doch  geht  es  auch 
aus  den  Beschreibungen  einzelner  Organe  hervor.  So  schildert  er  z.  B. 
nicht  die  Hand  und  den  Fuss  des  Menschen,  sondern  des  AflFen.  Er 
benutzte  zu  seinen  anatomischen  Untersuchungen  vorzugsweise  solche 
Affenarten,  welche  dem  Menschen  ähnlich  sind.*  Er  glaubte,  dass  ihr 
Körper  ebenso  gebaut  sei,  wie  der  des  Menschen,  und  hat  sich  dadurch 
zu  einigen  Irrthümem  verleiten  lassen,  deren  Berichtigung  erst  einer 
viel  späteren  Zeit  gelungen  ist.  Ausserdem  hat  er  Bären,  Schweine, 
Einhufer,  Wiederkäuer,  einmal  sogar  einen  Elephanten,  femer  verschie- 
dene kleinere  vierfüssige  Thiere,  sowie  Vögel,  Fische  und  Schlangen 
secirt,  um  seine  anatomischen  Kenntnisse  zu  vermehren. 

Der  anatomische  Unterricht  begann  damit,  dass  dem  Studierenden 
an  dem  nackten  Körper  eines  lebenden  Menschen  die  einzelnen  Theile 
desselben  gezeigt  und  erklärt  imd  die  imter  der  Haut  liegenden  Organe 
genannt  wurden.  Daran  schlössen  sich  später  Zergliederungen  von 
Thieren,  deren  Typus  sich  dem  menschlichen  näherte.  Dabei  wurd^ 
die  einzelnen  Knochen  und  Muskelpartien,  sowie  die  inneren  Theile  des 
Körpers  betrachtet  und  die  Lage  und  Anordnung  der  Organe  in  den 
Körperhöhlen  studiert.  „Wenn  sie  auch  nicht  in  jedem  einzelnen  Punkt 
den  entsprechenden  Gebilden  des  Menschen  gleichen",  schreibt  Rufi^s, 
welcher  diese  Lehrmethode  mittheilt,  „so  ist  dies  doch  in  der  Haupt- 
sache der  Fall.  Ein  richtigeres  Bild  erhielt  man  allerdings  in  früheren 
Zeiten,  als  man  noch  menschliche  Körper  zu  derartigen  Untersuchungen 
verwenden  durfte."^ 

In  ähnlicher  Weise  spricht  sich  Galen  über  den   anatomischen 


*  Celsüs:  Praefat  «  Galen  XHI,  604.  »  Galen  II,  221. 

*  Galen  II,  223.  »  Rufus  d'Eph^se  a.  a.  0.  p.  134. 


^t  aua  j^m  Bachern  allein  katm  man  die  Anatomie  nieht 
%  sagt  er^  „und  auch  nicht  durch  eine  oberfifichliche  Betrachtung 
rTheile  de^  Körpers,**  ^  Er  empfahl  deshalb  ein  rtei^siges  eingehendes 
^diiim,  welche*«  mit  der  Knochenlehre  begunn^  und  dann  zu  den 
keln^  Arterien,  Venen,  Nerven  und  den  inneren  Organen  überging. 
Dem  Unterricht  dienten  nicht  blos  Sektionen  thierischer  Cadaver» 
miem  man  benutzte  dazu  auch  menschliche  Skelette  oder  Knochen- 
Ipamte.  Vielleicht  wurden  zu  diesem  Zweck  in  manchen  Fallen 
che  Xaehl»ildungen  aiLs  Mannor  verwendet?  —  Die  Vatikanischen 
bcisitzen  noch  drei  derartige  Bildwerke.  Zwei  derselljen  stellen 
^eiettirten  Thorax  dar;  der  eine  erscheint  geöffnet,  und  15sst  da.s 
Im,  die  LunireUj  das  Zwerchfell  nebst  Andeutungen  der  Leber  und 
;  Darmes  erkennen.  Die  dritte  Nachbildung  zeigt  ebenfalls  das  Herz 
*lie  beiden  Lungen.^  Welckee  bezweifelt,  das«  sie  zum  ana- 
nkhen  rnt*.Tricht  verwendet  wurden,  und  glaubt,  dass  nur  ,/lie 
itenheit  des  Anblicks  einer  in  ihrem  Innern  blossgelegten  Brust, 
von  allem  Fleisch  reingeschälten  Rippen kastens,  wozu  die  Schläch- 
*»ien  der  (iladiatorf'n ,  die  Hinausschleifung  von  Mijisi'thäiern  in  die 
l*»flirechergrube  und  andere  Vorfallenheiten  den  Ärzten  <iclegenheit 
prU'n  koiint^»n,  bei  der  eigenthümlicben  Richtung  vieler  römischen  ßild- 
iUtT»  Alles,  was  im  Leb*>n  vorkam,  oft  ohne  allen  künstlerischen  Sinn 
li<l  (rcschmack  genremässig  abzubilden,  zu  obigen  Bildwerken  Anhiiss 
neben  habe.***' 
Die  Nachbildungen  der  mumienartig  vertrockneten  nienschlich''n 
jSurper^  welche  bei  Gastmahlern  aufgestellt  wurden,  um  zum  (Tcnnss 
iLebenü»  aufzufordern,*  können  hier  ebensowenig  in  Betracht  kommen, 
ilie  zahlreichen  Darstellungen  von  Bewohnern  des  Todtenreiches, 
lllie  auf  Grabmälern,  auf  Gemmen  und  in  Bronce  uns  überhefert  worden 
ni  weil  sie  zum  anat<»mischen  Unterricht  in  gar  keinen  Beziehmigen 
oden,^  Auch  die  von  Bllmexbach  als  Titel-Vignette  zu  seiner 
,fif>8chicht*^  uml  Beschreibung;  der  Knochen  (Göttingen  1786)**  ver- 
ndete,    einem    alten    Carneol    entlehnte  Figur   eines    bärtigen    alten 


1  Galsx  U,  220. 

*  Eh,  Bititrsi  iin   BuÜet.  dfll  iiiKtitato  areheol.    Roma  1844.    p.   16-19.  — 
"^X  M.  Chaj»dot  u.  A-  Dkchambre:    De  quelt|iie»   luarbres  aiitit|ues  conceni,  des 

i-rode?  anfttömicjues  in  der  Gaz.  hebd.  de  med.  et  de  chir,,    Pam  1857,  T,  IV, 
^ii<>.25,2T*  30  (wo  auch  der  ao^^en.  Acaop  der  Villa  Albani  in  Rom  beaprocbeii  wird). 
■  F.  G,  WKLCKEß:  Kleine  Si^hriften,  Bd.  111,  8,  22H. 

*  pFTRoifiüs:  Satyr.j  c  34. 
'  0.  E.  LfiflüHNo:    Wie  die  Alten  den  Tod  abgebildet  hüben.    —  J.  M.  F. 

t,  Oirms;  Über  ein  Grab  bei  Kitmae  in  den  Abhandlungen  <Ii?r  Akad.  d.  Wias,, 
\kfim  1830. 


Manfn%  der  ein  vor  ihm  sk^hendt*s  m<»iiHchliches  Skelett  an  «1er  linkcit 
Hand   unfasst»    ileuti*t    eher   auf  dir    Kchupfung    des  Menschen   dup 
rruDH'th<Hii>  hiri,  aU  auf  anatomische  Belehrung, 

l'ugewiss  i«t  es,  ob  man  beim  anatomischen  Unt»?rricht  Zeichnungi!t| 
gebnmdite;   dneh  ist  es  nicht  )Li:iTadr'  unwahrscheinlich,   da  man  aud 
in    andeivn    Diseipünen    vrm    sülchi^n    Lehrmitkdn   Gebmuch    machk^ 
Ob  die  in  einigen  HandHChriften  des  Mithcio  enthaltenen  Dai^tellungi^ 
det?  Uterus  und  der  Ovarien  atih  dem  Alterthum  stammen,  länsl 
naturlich  nicht  bestimnn  ii,     Das  tilejche  ist  der  Fall  mit  den  angeblid 
einer  Leydener  Handschritt  entnommenen  anaWmischen  ZeiehnungnTi  in 
der   Introducti«*    anatumicii    anonymi,    wHehe    durch    J,   St.   BERMiR 
lLugd.-Bat.   1744)  verutrerit licht  worden  sind. 

Mit    dem    anatomischen    rnterricht   wurden    die   Erklärungen  dnn 
Funktional  de^  menschlicben  Kürpers  und  s^'iner  einzelnen  Tbeih^  v^r-^ 
bunden.     Man   gini^:  dabei  von  der  aprioristiHchen  Voraussetzung  mm 
planntässigen  Bildung  der  Organe  aus,  nahm  also  an,  dass  die  let 
nur  ge^chaifen  wurden  seien,  damit  die  von  der  Natur  gewollten  Pünl 
tinnen  ausgeführt  werden  könmm. 

IHe  dieser  Anschauung  entgegengesetzte,  von  Epikuh  und  spfu^ 
Von  AskllEHabks  Tertretem^  Meinung,  dass  die  Natur  p:ar  manche  vi*| 
gehliehc*  Verseuche  macht,  bevor  sie  ein  dauerndes  Result4U  erzielt,  un 
da«s  der  (febraueh  der  Organe,  d.  h.  ihre  Funktion  erst  erlernt  wij 
nachdem  dieselben  schon  geh i biet  sind,^  fand  in  Oalkn  einen  erbiftert*'n 
Gegner.  Mit  alb^m  Schartsinn  und  alkr  Gelehrisamkeit,  die  ihm  /m 
Gebütt»  standen,  unternahm  er  es,  den  Teleologismu«  tm  begriindea. 
in  we!cln*m  er  das  best.«^  Mittel  sab*  den  Hisilismus  des  AidSTiiTi^ 
mit  dem  Platonischen  Jdeaii.smu8  zu  versöhnen.  Doch  scheint  in  ihi 
bisweilen  die  Ahnung  aufgetaucht  zu  sein*  dass  die  Spekulation  allem 
keine  befriedigende  Antwort  zu  geben  vt^rmag.  Er  wurde  dadurch 
den  Weg  gelTilirt,  der  hier  allein  zum  Zieb"  fuhrt,  auf  den  Weg  dl 
Bi?rd)achtung  und  des  Experiments. 

Auf  dies4^  Weise  trachti^^:^  er.  den  Vurgung  der  Athmun^^  und  die 
Herzthatigkeit    kennen    zu    lenien.      An    Thi^'ren    durchschnitt   er   das 
Rückenmark,    die  Intercostal-Muskeln  oder  ihre  Nerven  und  entt'enit^* 
einzelne  Rippen/  um  zu  sidien,  welche  Veränderungen  der  Respiratiod 
dtulurch  hervorgeruten  w^erden.     Dabei  fand  er,    dass  bei   der  ruhiire# 
Athmnng  hauptsächlich   das  Zw(Tchfell   thätig  ist  und   sich  die  Jnter- 


1 


'  Makui-.uidt  a,  H.  O.  Bd.  VII,  S.  10t,  nwi, 

*  Gau'.n   III,  74.  364. 

*  Gaikü  lU  475.  «81,  «1>«.   IV,  6»5.  V.  2ay.   -    n,iriiAMr3  a,  a.  0.  lÜ,  29 


Der  medimrmchf^  Unterricht  in  Rom, 


89 


-MtLskeln    nur  bt»i  angestrengter   Respiration   betheiligen.^      Die 

etrungen   des   Herzens   beobachtete   er  an   Thieren,   deren    Bnist- 

m   i'TüSnvi    worden  war;   auch   hatte  er  einmal  dazu  Gelecrenheit 

^invm   Knaben,   des?!*>n  Herz   in  Folt^e  einer  penetrin^nden  Brust- 

ffiffide  hloÄs  lag.' 

Durch    zahlmehe    Uttulo    odtT    partielle    Durchsehneidutijren    des 

^  8ütjkenmark?i    und    einzelner   Nerven    und    durch    s<^hirhtenweise    Ab- 

tiapingen  des  Gehirns,   die  er  an  Schweinen   vtjmiihm.   hoffte  er  die 

j^sioloerische   Bedeutung   dieser  Organe  zu   erforschen.^     Mngen   die 

ihm  gewonnenen  Rej^ultate,  welche  er  genau  beschreibt,  auch  nicht 

i^ioen  Erwartungen   entsprochen   haben,   so   verdienen  diese  Versuche 

volle  Anerkennung,    weil   sie  die  ersten  in  ihrer  Art  waren  und 

nclitigi'  Methode  zeigten,  nach  welcher  diese  Fragen  gelost  werden 

Galen  wurde  ilalvei  von  einer  ül>erans  glücklichen  Phantasie  unter- 
itddtr  ^1^  ihßi  die  treffenden  Worte  in  den  Mund  gab,  seilest  dort. 
f ü  er  zu  Ireinem  Verstandniss  durchdringen,  wo  er  den  Sachverhalt 
kMDn  ahnen  kennte.  Wenn  er  z.  B.  erklärt,  da.s!!>  sieh  der  Schull 
Jim  Welle  gleich*^  turtleitet,*  oder  die  Vermuthung  ausspricht,  dass 
iasAht  BeHtandtheil  der  Luft,  welclier  für  die  Athmung  massgebend 
»(^  auch  bei  der  Verbrennon^^  wirkt/'  so  sind  dies  Gedanken,  die  rtber- 
ittehen,  da  deren  volle  Bedeutung  zu  verstehen  ei-st  zwei  Jahrtausende 
«piter  möglich  war. 

Zur  Zeit  tTALKNs  batten  die  Ärzte  übrigens  nur  L'eringes  lnt^*resse 
die  Problenie  der  Physiologie.  Ihre  Aufmerksamkeit  wurde  haupt- 
lich durch  die  praktische  Heilkunde  in  Änspnich  genommen.  Die 
wt  zu  heilen,  stand  ibnen  hoher,  als  die  Wissenschaft  vom  Menschen 
und  war  auch  einträglicher. 
Diese  Richtung  führte  zu  einer  tleissipen  Bearbeitung  der  Arznei- 
mittellehre, Zahlreiche  Gummilinsen  von  gereimten  und  ungereimten 
Rn^pten  uu<l  Zusammenstellungen  von  Medicamenten  gaben  diesen 
Kestrt^bungen  in  dfT  Literatur  Ausdruck*  Zu  den  hervorragenderen 
Lrscheinungen  derselben  gehörten  die  phannakologischen  Schriften  des 
FkojOn  aus  Tarsus,  Schibonius  Lakous,  Sextuts  Niger,  Mkni]kratk% 
AxDEüiiArHUH,  Damokrates,  vor  Allem  aVier  das  W'erk  des  Pedakut« 


II    *  Oaleh 
Mieuces  ratVli( 


*  Galkk  IV,  465  u.  ff.  »  Oalbn  U,  «Hl, 
'  Galek  II,   077.  6B2.  6J»2,  697.   V.  «45,    —    Ch.  pAusscttKiio:    Hietoire  de» 

iiieuces  ratVlicales,  T,  I,  p.  224. 

*  Galkk  III,  644. 

'Galen  IH.  412.    —   Vergb   a.   Hakreii:   freadnrhtc  dor  Medicin,   Bd.  I, 
S,  m  X  Anfl. 


90  Der  medicinisohe  Unterricht  im  AUerthum, 


DiosKORiDEs  aus  Anazarba  in  Cilicien,  der  als  Militaxarzt  einen  grossen 
Theil  des  römischen  Reiches  kennen  gelernt  und  von  Jugend  auf  das 
Studium  der  Heilmittel  als  Lebensaufgabe  betrachtet  hatte.  ^ 

Er  lieferte  eine  durch  Vollständigkeit  ausgezeichnete  systematische 
Übersicht  aller  damals  bekannten  Arzneistoffe  aus  den  drei  Naturreichen. 
Es  werden  darin  die  verschiedenen  Namen,  mit  welchen  sie  in  den 
einzelnen  Ländern  bezeichnet  wurden,  aufgezahlt,  ihre  Heimath  genannt 
und  ihre  Gewinnung  oder  künstliche  Bereitung,  sowie  ihre  medicinischen 
Wirkungen  geschildert  Dadurch  ist  dieses  Buch  nicht  nur  für  die 
Heilkunde,  sondern  auch  für  die  vergleichende  Sprachwissenschaft, 
namentlich  aber  für  die  Botanik  sehr  wichtig. 

DiosKüRiDES  hat  darin  ungefähr  500  Pflanzen  beschrieben  und 
zwar  so  genau,  dass  es  möglich  war,  die  meisten  derselben  zu  bestimmen. 
E.  Meyer  hat  seine  Verdienste  auf  diesem  Gebiet  mit  den  Worten 
charakterisirt:  „Was  uns  Theophrastos  für  die  generelle,  das  ist  uns 
DiosKORiDEs  für  die  specielle  Botanik  der  Alten,  die  Hauptquelle,  die 
allein  mehr  gilt,  als  die  übrigen  mit  einander."* 

Das  Werk  des  Dioskorides  wurde  schon  von  Galen,  der  sich  bei 
verschiedenen  Gelegenheiten  darauf  beruft,  sehr  hoch  geschätzt  und 
bildete  das  ganze  Mittelalter  hindurch  bis  in  die  Neuzeit  das  werth- 
voUste  Lehrbuch  der  Arzneimittellehre. 

Sicherlich  trug  es  nicht  wenig  dazu  bei,  den  Sinn  für  botanische 
und  pharmakologische  Studien  zu  erwecken  und  zu  erhalten.  „Der 
Arzt  soll  womöglich  alle  Pflanzen,  oder  doch  wenigstens  die  meisten 
und  gebräuchlichsten  kennen,"  schreibt  GaijEN.  „Die  Gattungen  oder, 
wenn  man  will,  die  Unterschiede  derselben  sind:  Bäume,  Straucher, 
Kräuter,  Dornen,  Stauden.  Wer  sie  von  ihrer  Entstehung  an,  bis  sie 
ausgewachsen  sind,  unterscheiden  kann,  wird  sie  an  vielen  Orten  der 
Erde  finden.  So  habe  ich  selbst  in  vielen  Gegenden  Italiens  Pflanzen 
gefunden,  welche  Diejenigen,  die  sie  nur  in  getrocknetem  Zustande  ge- 
sehen hatten,  weder  während  des  Wachsthums,  noch  nachher  zu 
erkennen  vermochten.  Jeder  Salbenhändler  kennt  die  Pflanzen  und 
Früchte,  die  von  Kreta  hierher  gebracht  werden;  aber  Niemand  weiss, 
dass  viele  davon  in  der  Umgegend  Koms  wachsen.  Deshalb  denkt  man 
auch  nicht  daran,  sie  zu  suchen,  wenn  die  Zeit  ihrer  Reife  gekommen 
ist."^  Er  erklärt  dann,  dass  er  darüber  unterrichtet  sei  und  es  nicht 
versäume,  die  Pflanzen  zur  richtigen  Zeit  zu  sammeln,  bevor  sie  von 


*  Pedanii  Dioscoridis  materia  medica  ed.  Curt.  Sprengel,  Lips.  1829,  T.I,  p.4. 

*  E.  Meyer:  Greschichte  der  Botanik,  Königsberg  1855,  Bd.  II,  S.  117. 
^  Galen  XIV,  30.  —  Meyer  a.  a.  O.  S.  191. 


Der  medidm^ehe  IMUmM  im  Motm, 


M 


Hitze  «ie>  Sommers   ausgetrocknet   ond   die  FiMiie   ilMmif  g^ 

sijid.     An    einer   anderen  Stelle  l>emerkt   er/   diai  mmm  iit 

nicht  31US  Büchern^  von  denen  manciie  mit  AbliAdllflgM  aas» 

sein  mochten,^   lernen  kann,   sandera  nur,  miitm  mmn  dir 

reihst  unter  Anleitung  eines;  Lehrers  belaeklel  mid  uteohl 

rnterricht^methode/'    setzt   er   hinzu ,  „^pü  nidll  hk»  ftr  di» 

sandem  überhaupt  far  die  gesammle  ArznetinttleUehr^,^ 

Die  Ärzte  mussteu  sich  mit  diesem  Gegenstaade  stkr  cingaksfid 

^en,  weil  sie  genotbigt  waren,  die  Anaeieo  wdbt^  a  tefeAca* 

Qgs  z<i^en  es  Einzelne  aus  Bequemlichkeit  rot^  bei  den  Dxofoe«* 

welche  :iusserdem  noch  Mittel  zum  Farf»en  der  HMifr«   nr 

Qg  der  Schönheit  und  allerlei  Toiletten- Artikel  aaf  den  Lifer 

^kiflWn,  anstatt  der  Rohmaterialien  die  zusammengeseliten  MedicuMiile 

im  kaufen.*      Aber  im  Allgemeinen    pHegten   die  Ärzte   nur  die  eitt- 

fttben  AiznoisfoffH  zu  kaufen,   wil.lio   ^je  zur  Berettang  ihrer  Beoepti* 

Mnrften. 

THe  Furch  t,  dabei  durch  verdurbt'üe  oder  Tcrfibcble  Wiaren  be- 
in^geti  zu  werden,  venmlo^ste  Manche ^  die  medieanieiilö^seii  Suitk  aos 
n^ter  Hand  zu  erwerben  oder  selbst  zu  sammeln.  G^llek  unternahm 
m  dit*8em  Zweck  sogar  weite  Reisen ;  auch  lia^s  er  sich  die  Arzneistoffi? 
tm  den  Landern,  wo  sie  gewonnen  wurden,  durch  Vermittelung  tei* 
StBlicher  Freunde  senden,  um  sieher  zu  $ein,  daiss  sie  echt  wann»^ 
ISlÄ*  Besorgni.ss  war  gerechtfertigt,  da  die  Verfälschung  der  Arznei- 
mittel geschäft.^mä.'^^ig  betrieben  wurde  und  e*  nicht  einmal  möglich 
«ar.  den  BaUauLsaft,  der  auf  der  kaiserlichen  Domaine  Kngaddi  in 
pAÜsiina  gewonnen  wurde  und  Staat^imonopol  bildete,  in  Rom  unver- 
fiklit  zu  erhalten. 

Für  den  kaiserlichen  Hof  wurden  aus  diesem  Grunde  die  Arznei- 
-ufi^  unter  der  Aufeichfe  von  Beamten  gesammelt,  in  Papier  verpackt  imd 
mit  einer  Aufschrift  ven?ehen,  welche  den  Namen  und  bisweilen  am^h 
den  Fundort  *l*^r  PÜanze  angab,  und  dann  nach  Rom  gesandt,  wo  üe 
m  besonderen  Magazinen  autliewahrt  wurden,^  Die  letzteren  enthieltea 
mm  .solchen  Vorrath  an  medicamen tosen  Stoffen,  dass  er  nicht  nur 
%  den  Gebmuch  ib^s  Hofes  ausreichte,  sondern  davon  noch  an  l^rivat* 
pfr*MDen  verkauft  werden  konnte.  Doch  war  dies  keineswegs  genügend, 
um  den  Bändel  mit  A^erfalschungen  wesentlich  zu  beeinträchtigen, 
l»ii-Hl>«'n  u^niren  fi^>rigens  nieirt  so  sehr  von  den  Droguenböndlern.  aU 


'  I'ujiitJ»  a.  m.  O,  XXXIV,  2:».  *  Galek  Xli,  216,  XIV\  7  ii,  Ü. 

MJ4LP.18  XIV,  ».25,79. 


92  Der  medlcinisc^ie  Unterricht  im  Alterthum. 

von  deren  Lieferanten  und  den  Wurzelsuchern  aus,  welche  die  Arznei- 
krauter aus  dem  Gebirge  in  die  Stadt  brachten.^ 

Die  Fälschungen  wurden  so  geschickt  gemacht,  dass  die  geriebensten 
Kenner,  wie  Galen ^  bemerkt,  dadurch  getäuscht  wurden  und  die 
Waaren  für  echt  hielten.  Er  hatte  in  seiner  Jugend  selbst,  wie  er 
erzählt,^  bei  einem  Manne,  der  sich  mit  der  Herstellung  solcher  Fäl- 
schungen beschäftigte,  Unterricht  darin  genommen  und  ihm  ein  hohes 
Honorar  dafür  bezahlt,  dass  er  ihn  in  diese  Geheimnisse  einweihte. 
Da  er  dies  Alles  kannte,  so  gab  er  den  Studierenden  der  Heilkunde 
den  wohlmeinenden  Rath,  grossen  Fleiss  auf  das  Studium  der  Arznei- 
mittel zu  verwenden.  „Die  Jünglinge  müssen  dieselben  nicht  blos 
einmal  oder  zweimal,  sondern  oft  sehen.  Denn  nur,  wenn  man  diese 
Dinge  mit  den  Sinnen  in  sich  aufnimmt,"  schreibt  er,*  „und  recht 
häufig  betrachtet,  erlangt  man  eine  gründliche  Kenntniss  derselben." 

Die  Medicamente  wurden  mit  einer  Etikette  versehen,  auf  welcher 
der  Name  derselben  und  ihres  Erfinders,  die  Krankheit,  gegen  die  sie 
verordnet  wurde,  die  Art  ihres  Gebrauchs,  und  manchmal  auch  der 
Name  des  Kranken  angegeben  war. 

Die  Augensalben,  welche  einen  gangbaren  Handelsartikel  bildeten, 
wurden  in  Gefösse  verpackt,  denen  der  Stempel  des  Arztes,  der  sie 
bereitet  hatte,  aufgedrückt  wurde.  Stempel  dieser  Art  wurden  in  Frank- 
reich, England,  Deutschland  und  Siebenbürgen  aufgefunden,  namentlich 
dort,  wo  Lagerplätze  der  römischen  Legionen  gewesen  sind.  Man  hat 
bis  jetzt  mehr  als  160  verschiedene  Stempel  von  Augenärzten  beschrieben.* 

Die  Recepte  waren  lang  und  complicirt;  der  Theriak  bestand  z.  B. 
aus  mehr  als  70  verschiedenen  pflanzlichen  und  thierischen  StoflFen.* 
Manche  derselben  waren  widerlich  und  ekelhaft,  und  Galen  wunderte 
sich  über  die  Verordnungen  des  Arztes  Xenokrates,  welcher  sogar 
Menschenfleisch  empfohlen  hatte,  „da  es  ja  doch  im  römischen  Beiche 
verboten  sei,  Menschen  zu  fressen".^  Bei  einer  anderen  Gelegenheit, 
wo  von  einem  Arzt  die  Bede  ist,  welcher  den  Landleuten  Ziegenmist 
verordnete,  machte  Galen  die  witzige  Bemerkung,  dass  dergleichen 
nicht  für  die  feingebildeten  Städter  passe;  denn  der  Mist  sei  nur  den 
Bauern  zuträglich.® 

'  Galen  XIII,  571.  *  Galen  XIV,  7.  »  Ualen  XII,  216. 

*  Galen  XIII,  570. 

*  C.  L.  Grotepend:  Die  Stempel  der  römischen  Augenärzte,  Hannover  1867. 
—  J.  Klein:  Stempel  römischer  Augenärzte,  Bonn  1874  (Nachtrag  zu  Grotbfend's 
Buch).  —  MARurAKDT  a.  a.  0.  8.  758.  —  H^ron  i>r  Villefo8se  et  H.  Th^dbnat: 
Oachets  doculistes  romains,  Tours  et  Paris  1882. 

*  Galen  XIV,  88  u.  ff.  '  Galen  XIT,  24H.  s  q^,,,^.  xH,  291». 


Der  medidnische  UtUenioht  in  Born.  9$ 


Die  urtheilslose  Menge  huldigte  der  irrigen  Meinung,  dass  die 
theueisten  Arzneistoffe  auch  zugleich  die  heilkraftigsten  seien^  ^  und  ein 
reicher  Geldprotz  war  empört  darüber,  dass  Galen  ihm  dasselbe  Medi- 
cament  empfehl,  welches  er  bei  seinem  Sklaven  mit  Erfolg  angewendet 
hatte.  Als  er  hörte,  dass  es  aus  lauter  billigen  Substanzen  bestehe, 
rief  er  ihm  zu:  „Dies  magst  Du  für  Bettler  aufbewahren;  ich  will  ein 
Mittel,  welches  mehr  Geld  kostet"  ^ 

GAiiKX  befolgte  in  seiner  ärztlichen  Praxis  den  rationellen  Grund- 
satz, in  erster  Linie  das  Heilbestreben  der  Natur  wirken  zu  lassen  und 
nur  dann,  wenn  dasselbe  erfolglos  blieb,  einzugreifen. 

Die  Untersuchung  und  Behandlung  der  Kranken  war  im  Wesent- 
lichen die  gleiche,  wie  zu  den  Zeiten  der  Hippokratiker.  Ebenso  be- 
diente man  sich  derselben  diagnostischen  Hilfsmittel,  um  die  Krank- 
heiten zu  erkennen;  doch  hatte  die  Pulslehre  unter  dein  Einfiuss  der 
Aleiandrinischen  Schule  eine  sorgfältigere  Bearbeitimg  erfahren.  In 
der  Abhandlung  über  den  Puls,  welche  dem  Rufüs  zugeschrieben  wird,^ 
werden  die  Veränderungen  geschildert,  welche  er  in  den  einzelnen 
Lebensaltem  und  in  verschiedenen  Krankheiten  zeigt,  und  eine  be- 
stimmte Anzahl  verschiedener  Formen  desselben  unterschieden.  Da- 
§fegen  war  von  der  Auskultation  kaum  mehr  die  Kede,  wenn  man 
nicht  einige  Bemerkungen  des  Aretabüs  und  Caelh's  Aurelianits, 
in  denen  von  Geräuschen  des  Herzens  gesprochen  wird,  darauf  be- 
ziehen will* 

Bemerkenswerthe  Fortschritte  hatte  die  specielle  Pathologie  ge- 
macht Die  römischen  Ärzte  kannten  verschiedene  Krankheiten,  welche, 
wie  der  Aussatz^  und  die  Hunds wuth,®  in  früheren  Zeiten  der  Beob- 
achtung entgangen  waren.  Aretaeus  lieferte  die  erste  Beschreibung 
der  diphtheritischen  Halsgeschwüre  im  Munde,  die  er  als  syrische  oder 
ägyptische  Geschwüre  bezeichnete.  *  Andere  Krankheiten,  wie  die  Ruhr,® 
der  Icterus,®  die  Lithiasis,  welcher  Galen  die  gleiche  Entstehungs- 
ursache zuschrieb  wie  den  Gichtknoten,^^  und  die  Schwindsucht^^  wurden 

>  Plikius:  Hißt  nat.  XXIX,  8.  «  Galen  XIII,  636. 

\Rl'fu8  a.  a.  0.  p.  219—232. 

*  Aretaeus:  de  acut.  H,  3.  —  Caelius  Aurelianus:  de  acut.  II,  14.  — 
(iALKM  XVUI,  B.  649. 

*  LuoRBz  VI,  V.  1112—14.  —  Cel8U8  III,  25.  —  Plinius:  Hißt  nat  XXVI, 
•'>.  --  Caelius  Aurbl.:  de  chron.  IV,  1.  —  Aretaeus:  de  chron.  II,  13. 

•  Pliwcs  a.  a.  O.  VIII,  63.  XXIX,  32.  —  Cblsus  V,  27.  ~  Caelius  Aukk- 
UAif.:  de  acut  III,  9 — 16.  —  Aretaeus:  de  acut  I,  7. 

^  Aretaeus:  de  acut  I,  9.  ^  Galen  XVII  A,  351. 

•  Galeh  XVn  B,  742.  '">  Galen  XIII,  993.  XVII  A,  836. 

"  CelbusUI,  22.  —  Aretaeus:  de  chron.  I,  8.  —  Cael.  Aurel.:  de  chron.  II,  14. 


94  Der  medicinisehe  UnterricJU  im  AUerthum. 


genauer  erforscht  Gegen  die  letztere  empfahl  man  ausser  Anderem 
Seereisen  und  den  Aufenthalt  an  klimatisohen  Kurorten,  besonders  in 
Ägypten. 

Auch  die  Nervenpathologie  wurde  eifrig  und  erfolgreich  betrieben. 
Galen  berichtet,  dass  er  in  einem  Falle  die  Lähmung  der  Finger  von 
einem  Bückenmarksleiden  herzuleiten  vermochte,^  und  Aretaeüs  wusste 
bereits,  dass  sich  die  Nervenfasern  bald  nach  ihrem  Ursprung  durch- 
kreuzen, und  erklärte  dadurch  die  Thatsache,  dass  nach  Verletzungen 
einer  Gehirnhälfte  die  entgegengesetzte  Seite  des  Körpers  gelähmt  wird.* 

Der  Unterricht  in  der  praktischen  Heilkunde  wurde  theils  in  der 
Privatpraxis  des  Lehrers,  der  die  Schüler  zu  seinen  Patienten  mitnahm, 
theils  in  den  latreien  ertheilt.  Die  letzteren  wurden  nach  griechischem 
Muster  eingerichtet  und  Tabernae  medicae  oder  Medicinae  genannt* 
Es  waren  die  Läden  oder  offenen  Geschäfte  der  Ärzte,  welche  hier 
Kranke  empfingen  und  behandelten,  chirurgische  Operationen  ausführten, 
Arzneien  bereiteten  und  verkauften  und  mit  ihren  Gehilfen  und  Schülern 
wohnten.  In  einzelnen  dieser  Anstalten  fanden  Patienten,  z.  B.  Geistes- 
kranke, auch  Aufnahme.'* 

Viele  Städte  richteten  auf  ihre  Kosten  latreien  ein  und  übergaben 
sie  Ärzten,  um  sie  dadurch  zu  bestimmen,  ihren  festen  Wohnsitz  dort 
zu  nehmen.  ^  Sie  befanden  sich,  wie  Galen,  welcher  darüber  sehr  aus- 
führliche Angaben  hinterlassen  hat,®  schreibt,  meistens  in  grossen  Ge- 
bäuden, hatten  hohe  Thüren,  welche  viel  Licht  und  Luft  hereinliessen 
und  waren  mit  chirurgischen  Instrumenten  und  Medicamenten  aus- 
gestattet 

Auch  die  Valetudinarien,^  die  Krankenzimmer,  welche  die  Gross- 
grundbesitzer für  ihr  Hausgesinde  und  ihre  zahlreichen  Sklaven  ein- 
richten Hessen,  mögen  oft  Gelegenheit  zur  praktischen  Unterweisung 
in  der  Untersuchung  und  Behandlung  der  Kranken  geboten  haben. 
Jedenfalls  wurden  hier  die  Sklaven,  welche  auf  Wunsch  ihrer  Herren 
zu  Ärzten  ausgebildet  wurden,  in  der  Heilkunst  unterrichtet  —  Ahn- 
lichen Zwecken  dürften  auch  zuweilen  die  Militärlazarethe  gedient 
haben,  welche  ebenso  wie  Krankenställe  für  Pferde  überall,  wo  grössere 
Truppenmassen  zusammen  kamen,  angelegt  wurden.® 

*  Galen  VIII,  213.  *  Aretaeus:  de  chron.  I,  7. 
'  Plaütüs:  Amphytryo  IV,  4.    Epidic.  IL,  1. 

*  Plautüs:  Menaechmi  V,  947—956.  —  Spartianus:  Vita  Hadriani,  c.  12. 

*  Galen  XVIII  B,  678.  •  Galen  XVHI  B,  629—925. 

^  Coluhella:  de  re  rust.  XI,  1.  XH,  8.  —  Seneoa:  de  Ira  I,  16.  nat  qoaeet. 
I,  praef.  —  Tacitus:  de  orat.  dial.,  c.  21. 
*^  HvoiKüs:  de  munit.  castrorum,  c.  34. 


Die  urtbeilglose  Menge  huldigte  der  irri^n  Meinung;  dass  die 
lIieiiezsIeQ  Arzoeistoffe  iiucb  zugleich  die  heilkräftigster]  seieu,^  und  ein 
mch*T  Geldprotz  war  empört  darüber,  dass  (Ialkn  ihm  das8(*lbo  Medi- 
ßt  empfahl,  welchem  <.t  bei  seinem  Sklaven  mit  Erfolg'  angewendet 
Als  er  horte,  djisj^  es  aus  lauter  billigen  Substanzen  bestehe, 
er  ihm  zu:  „Dies  magst  Du  für  Bettler  aufbewahren;  ich  will  ein 
iUel,  welches  mehr  Geld  kostet/'^ 
Gal£K  l)efolgte  in  seiner  är/tliohen  Praxis  den  rationellen  Grund- 
m  erster  Linie  das  Heilbesireben  der  Natur  wirken  zu  lassen  und 
dann»  wmn  dasselbe  erMglus  blieb,  einzaj,Teifen. 
Die  Untersuchung  luid  Behaudlung  der  lvr.ink*^n  wiir  im  Wesent- 
die  gleiche,  wie  m  den  Zeiten  der  Hippdkratiker.  Elienso  be- 
man  sieh  derselben  diagnostischen  Hilfsmittel,  um  die  Krank- 
[«11  lu  erkennen;  doch  hatt^»  füe  Pulslebre  unter  dem  Einllnss  der 
andriniiichen  Schule  eine  sorgttiltigere  Bearbeitung  erfahren.  In 
ibhandlung  über  den  Puls,  welche  dem  Htfus  zugeschrieben  wird,^ 
im  die  Veränderungen  geschildert,  welche  er  in  den  einzelnen 
Leiensaltem  und  in  verschiedenen  Krankheiten  zeigt,  und  eine  be- 
üÜDimte  Amahl  verschiedener  Formen  dessellien  unterschieden.  Da- 
ppiü  war  von  der  Auskultation  kaum  mehr  die  Ked<\  wenn  man 
nicht  einige  Bemerkungen  des  Aretakds  und  Caelius  AüRELrAJJüK. 
in  d«nen  von  Geräuschen  de^  Herzens  gesprochen  wird,  darauf  be- 
liehen will* 

Bemerkenswert  he  FuH^schritte  hatte  die  specielle  Pathologie  ge- 
machU  Die  runiischen  Arzte  kannten  verschiedene  Krankheiten,  welche, 
fje  Jer  Aussatz^  und  die  Hundswulh,**  in  früheren  Zeiten  der  Beob- 
•cbkimg  entgangen  waren.  Aketaeus  lieferte  die  erste  Beschreibung 
derdii'  '  "  ^  ^hen  Halsgeschwüre  im  Munde,  die  er  als  syrische  oder 
igTpti>'  hwüre  bezeichnete,'    Andere  Krankheiten,  wie  die  Ruhr,/* 

der  Icterus,*   die  Lithiasis,   welcher  Gai.en  die  gleiche  Entstehung!^- 
le  zuschrieb  wie  den  Gichtknoten,'"  und  die  Schwindsucht^^  wurden 


*  G'AI.KM    XÜI,    BHIi. 


fhe 
*  Pumitrs:  Hist  nat  XXIX,  ö. 
VRrpif»  ».  a.  O.  p.  219—232. 
*  AurrASCi«:   de  acut,  II,  3,    —    ÜAKUtts  Auheuanüs:   de  acut.  11,  14.  — 
«*«*  XVllI,  B.  649. 

'  Lvcsau  VI,  V.  1112—14.  —  Ckwüb  UI,  25.  —  Pliitiüs:  Hist  oat  XXVI. 
•).  —  CA£LiTr8  ArBKL.:  de  chron.  IV,   1.  —  Abetaäü»;  d*?  chroo,  II,   13. 

'  PuMtt^s  a.  a.  O.  Vni,  6H,  XXJX,  32.  —  CBt«irB  V,  27,   —  Caeliüb  Avw 
«Aj^.:  de  acut-  III,  9—16.  —  Abetakits;  de  acut.  1,  7. 

'  AaCTASCö:  de  acut,  l,  9.  «  Galen  XVU  A,  851, 

*6alex  XVU  B,  742,  »^  Gaj^n  XIII,  993.  XVll  A,  835, 

^  Csxetrs  ni,  22.  —  Arktaküh:  deehron.  I,  8.  —  Cakl.  Auabl.:  de  chron.  II,  14_ 


96  Der  mediciniscke  UnterricJit  im  Alterihum. 

hohen  Katheder  herab  ihre  Schüler  mit  gelehrten  Auseinandersetzungen 
überschütten,  wenn  sie  aber  zu  einem  Kranken  gerufen  werden,  tob 
seinem  Leiden  nicht  das  Geringste  verstehen."*  Das  Publikum  wandte 
sich  natürlich  lieber  an  Ärzte,  welche  praktische  Erfahrung  besassen, 
als  an  solche,  die  nur  schöne  Reden  über  die  Heilkunst  zu  halten 
wussten.  ^ 

Die  Chirurgie  hatte  sich,  wie  Celsür  berichtet,^  bald  nach  der 
Zeit  des  Hippokrates  von  der  übrigen  Heilkunde  getrennt  Sie  bildete 
fortan  einen  besonderen  selbststandigen  Wissens-  und  Unterrichtsgegen- 
stand. In  Rom  war  es  nicht  üblich,  dass  die  Ärzte,  welche  innere 
Krankheiten  behandelten,  auch  die  Chirurgie  ausübten;  aus.  diesem 
Grunde  zog  sich  auch  Galen  von  der  letzteren  zurück,  als  er  sich 
dort  niederliess.  * 

Celsits  nennt  die  Chirurgen  Philoxenüs,  Goruias,  Sostbatüs, 
die  beiden  Hero,  die  ApoUonier  und  den  Lithotomisten  Ammonius  in 
Alexandria,  femer  den  älteren  Tryphon,  den  Eüelpistüs  und  Mbges 
in  Rom,  welche  sich  sowohl  als  Lehrer  wie  als  Schriftsteller  auf  dem 
Felde  der  Chirurgie  hervorthaten.  Leider  sind  ihre  Werke  verloren 
gegangen,  und  wir  sind  auf  die  Mittheilungen  der  späteren  Autoren 
angewiesen,  wenn  wir  uns  ein  Urtheil  über  ihre  Leistungen  bilden 
wollen.  Celsus  schreibt,  „dass  diese  Männer  in  der  Chirurgie  viele 
Verbesserungen  und  Erfindungen  gemacht  haben." 

Vergleicht  man  nun  den  Zustand  dieses  Zweiges  der  Heilkunst 
unter  den  römischen  Kaisern  mit  den  Kenntnissen  der  Hippokratischen 
Ärzte,  so  ist  man  allerdings  überrascht  von  den  mächtigen  Fortschritten, 
welche  dieses  Fach  zeigt.  Man  besass  nicht  nur  richtigere  Vorstellungen 
von  dem  Wesen  und  der  Behandlung  mancher  Krankheiten  und  Ver- 
letzungen, welche  das  chirurgische  Eingreifen  verlangen,  sondern  man 
wagte  sich  auch  an  die  Ausführung  grösserer  Operationen,  zu  denen 
gründliche  Kenntnisse  in  der  Anatomie  und  in  der  Technik  der  chi- 
rurgischen Instrumente  gehörten. 

Der  Instrumenten-Apparat  war  ziemlich  reichhaltig.  Die  Aus- 
grabungen zu  Herculanum  und  Pompeji,  bei  denen  eine  grosse  Anzahl 
solcher  Werkzeuge  aufgefunden  wurden,  haben  darüber  werthvolle  Auf- 
schlüsse gegeben.  Damach  waren  gerade  und  gekrümmte  Nadeln, 
Sonden  verschiedener  Art,  Hohlsonden,  gekrümmte  und  gezähnte  Zangen, 
Katheter  mit  leichter  S-förmiger  Krümmung,  mehrere  Formen  von 
Pincetten,  darunter  auch  solche  mit  Haken  und  Schiebern,  konische 


^  (talen  XVIII  B,  258.  *  Luciak:  Hippias,  c.  1. 

»  CEL8U8  VII,  Praef.  *  Galen  X,  455. 


litten  ^, 


,  kiigelfonnige  SchrüpIköptH  scharfe  und  stumpfe  Hakeu,  grubeltunnige 
scheiUenähülicbe  (rlüheisen,  Messer,  Spiitel,  Meissel^  Lanzetten, 
'^^stouris,  Mastdarm-  und  Scheidenspiei^e!  u,  a,  m,  im  GebraueL  ^  Die 
Sp^uKi  waren  theik  einfach,  theils  zweitheiüiL?  »»der  dreitheilijüf.  Im 
JÄhre  1882  wurde  in  Pompeji  ein  \iernieiiis,^es  itufgefunden,  welehe« 
litis  iwei  geraden  und  zwei  S-formigen  Armen  liesti-bt/^  Aucb  kannte 
|mii  verschiedene  Arten  von  Verbünden,  vuu  Exten.sions-  und  Latr^Tungs- 
Bpiraten,  welche  bei  der  Behandlung  der  Knochen-I^'mkturen  und 
Inxafiunen  in  Anwendung,'  kamen. 

Die  Aüsführnn^  der  chirurgischen  Operatinnen  wurde  dadurch  er- 
i^ifhlert  dass  man  heisere  BUitijtillungs-Metboden  kennen  b^rnie;  nuui 
j  ftf  nicht  mehr  blos  auf  die  Kälte,  die  Comjiression,  die  Stjptica  und 
di<»  GblhhiUe  beschränkt,  sondern  griff'  zur  Ligatur^  und  der  Torsion* 
d«r  Gefösse,  wenn  jene  Mittel  nicht  zum  Ziel  führten.  Es  konnten 
dib^r  bhitreiche  NeubiMungen  entfernt  und  Amputationen  und  Resek- 
tionen unternommen  werden.  AntyiJjüs  wagte  sich  sogar  an  die  C^pe- 
ntion  der  Aneurvsmen.'* 

Bei  der  Amputation  bediente  man  sich  sowohl  des  Cirkelschnittes 

M|  des  Lappenschnittes. *•     Den  grossten  Triumph  feierte  die  Geschick- 

^Hkkeit   der    rnmischen  Chirurgen    in    der  Resektion,     Antyllus  und 

Heuodor"  entfernten  erkrankte  Knochentheile  mit  sorgfaltiger  Erhal- 

der  Continuitat  des  Knochens;  sie  nahmen  den  Humerus  in  seinem 

m  Umfange,  einen  Theil  des  Acruraial- Fortsatzes,  ebenso  Partien 

|OlM»rschenkelknochens,  der  Tibia  und  der  Vorderarmknochen,  ja  sogar 

Unterkiefer,  wobei  die  Gelenke  geschont  wurden,   und  Theile  des 

rkiefers  hinweg. 

Auch  die  plastische  Chirurgie  war  ihn«'U  nicht  unbekannt.    Durch 
öberziehen  benachbarter  Partien  der  Haut  und  der  darunter  üegen- 
Gewebstheile  versuchten  sie,  Substaiizverluste  an   dt-n  Uhren,  den 
der  Nase  und  den  Lippen  zu  ersetzen.^ 


*  B.  VüLPEs:  illiidtrfudoue  dt  lutti  gli  strunienti  clnriirgiri  s<'avjiH  in  Erea* 
lePompei,   Xapoli   1847,    -    Quaranta   und   Vflfes  im   MQß<:*o   Borbimifo, 

XJV,  36,  XV,  28, 

*  A.  Jacodelli:  Specidi  chirorgici  scÄvati  dalle  rovine  delle  citta  dissepoUr 
^^■led  Ercoluno  im  Morgagni,  Niipoli  IHm,  1\  XXV,  p.  \Hh  tu  ft*. 
^^B^cs  V,  2^3.  —  Galen  X,  RH. 

^V^DxxB4«nTi4  IV.  485.  —  RtfFtt5  bei  Aetiua  XIV,  c,  5L 
"   ^OmBABir^  IV,  52-     Vergb  Eix  Aorkt  in  d,  Wiener  Med.  Blfttteni  1882, 
Ko.  1. 8.  4.  5. 

*  Celäcs  VII,  33.   —  AKCHUJfTNKJ'  und  HRMoni>K  bpi  OniRM'ii  s  IV,  244.  247. 
'  OmtAMt:.^  IIL  582.  (115  ii.  «'. 

*  Celsicb  Vn,  ».  —  Anttlics  Ijei  thüBAsu  s  \\\  f>*;  u.  i)\ 
iftxuMAxn^   roteiriehL  7 


98  Der  medicinische  Unterricht  im  AUerthum, 


Von  Yerschiedenen  Gelehrten  ist  die  Frage  erörtert  worden,  ob  von 
den  Alten  beim  Mangel  einzelner  Glieder  künstliche  Naohbildungen 
derselben  verwendet  wurden.  Auf  einer  aus  der  DuRAND'schen  Samm- 
lung stammenden  Vase  des  Louvre  ist  eine  männliche  Figur  mit  einem 
angeblichen  Stelzbein  dargestellt.^  Bei  genauer  Betrachtung  erkennt 
man  jedoch,  dass  der  Unterschenkel  nicht  fehlt,  sondern  um  einen 
langen  Stab  nach  vorn  und  oben  gelegt  ist.  Dagegen  ergiebt  sich  aus 
einer  Bemerkung  Lucian's^  mit  Bestimmtheit,  dass  künstliche  Füsse 
aus  Feigenholz  verfertigt  wurden,  deren  sich  Amputirte  bedienten. 

Die  Tracheotomie  wurde  zwar  ausgeführt,  erzielte  aber  nicht,  wie 
es  scheint,  grosse  Erfolge  und  vermochte  sich  daher  kein  Vertrauen  zu 
erringen.' 

Die  Operation  des  Blasensteins  hat  Celsus*  ausführlich  beschrieben. 
Derselbe  erwähnte  bei  dieser  Gelegenheit  auch,  dass  der  Chirurg  Am- 
MONius  den  Versuch  machte,  grössere  Steine,  die  sich  schwer  entfernen 
liessen,  in  der  Blase  zu  zertrümmern.  Leider  ist  die  Schilderung  des 
Verfahrens  nicht  deutlich  genug,  um  dasselbe  als  lithothrypsie  bezeichnen 
zu  können.  Doch  liefert  eine  Stelle  in  der  von  einem  anonymen  Autor 
verfassten  Biographie  des  heiligen  Theophanes  den  unzweifelhaften 
Beweis,  dass  dieselbe  im  Alterthum  bekannt  war  und  ausgeübt  wurde; 
es  wird  darin  nämlich  berichtet,  dass  Theophanes  an  Blasensteinen  litt^ 
welche  durch  Werkzeuge,  die  man  eingeführt  hatte,  zerbrochen  und 
dann  nach  aussen  befördert  wurden.^  Oltmpios  glaubt,  dass  dazu 
pincettenähnliche  Instrumente  mit  mäusezahnartiger  Spitze,  wie  deren 
auf  Milo  gefunden  wurden,  benutzt  worden  sind.® 

Als  Entstehungsursache  der  Hernien  betrachtete  man  die  Verlänge- 
rung und  die  Zerreissung  des  Bauchfells;  nur  GAiiEN  zog  ausserdem 
die  Betheiligung  der  Muskeln  in  Betracht^  Zur  Beseitigung  der  Her- 
nien wurden  Bruchbänder  oder  die  Eadikal-Operation  empfohlen.®  Von 
der  letzteren  hat  Heliodor  eine  Beschreibung  hinterlassen,  die  durch 
ihre  Genauigkeit  und  Klarheit  gerechte  Bewunderung  erregt.®    Auch 


^  E.  Rivi^b:  Proth^e  chirurgicale  chez  les  andens  in  Gaz.  des  höp.,  Parifl 
1883,  No.  132.  136. 

*  Luoian:  Ad  indoct,  c.  6. 

*  Aretaeub:  de  acut  I,  7.  —  CAELirs  Aurelian.:  de  acut.  IH,  4.  —  Galen 
XIV,  734.  *  Celsüs  VII,  26. 

*  Corp.  Script  bist  Byzant,  Bonn  1839,  Vol.  XXVI,  Th.  I,  p.  XXXIV.  — 
Patrolog.  ed.  Migne.  ser.  graec,  T.  108,  p.  37,  Paris  1863. 

^  R.  Briau  in  der  Gaz.  hebd.  de  m6d.  et  de  chir.,  Paris  1858,  No.  9. 
'  Galen  VII,  730.  »  Celsüs  VII,  20. 

®  Oridasivs  IV,    484.    —    Ed.  Albert:  Die  Hemiologie  der  Alten,  Wien 
1878,  S.  144. 


Incareemtionserschemungren  wurden  von  einigen  Beobaohtem   ge* 
kildert^ 

Die  Strikttiren    diT  Harnruhr*»   trennte    Helhujor   mittelr^t   eines 
neidenden  Instruments  und  lejcfte  dann  Buiijries  jius  tnn'kont'm  Papier 
metallene  Sonden   in  die  Urethni.^     Ebenso  verstund  man  auch 
Phimosis  und  Paraphimosi.s,  tue  Condylome  und  die  Hanmrrhoidal- 
Büten  auf  geschickte  Weise  zu  operiren.'^ 

Die  iVugenheilkunde  konnte  ehent^ills  bedeutende  Erfrdc^e  aufweisen. 

wrurden  nicht  nur  die  Trichiasis,  da<  Hypnpyon,  die  lii^ykt»me,  die 

liränentist-eln  und  andf^re  Leiden  der  nasseren  Tht^ile  des  Äuges',  son- 

so|g:ar  der  graue  St-aar  auf  ü|ieniiivem  Wege  geheilt.     Allerdings 

naU'  man  niclit  das  Wesen  d fester  Krankheit,  aber  man  heilte  ^ie. 

Die  Kunst  ging  hier,  wie  so  otY  in  der  Medicin,  der  Wissenschaft  voraus. 

Die  Staaropenition  jrcschah  dundi  Üepression  der  erkrankten  Linse. 

fmn  die  letztere  wieder  nach  ohen  stieäLT  oder  eine  weiche  Consislenz 

ligUf,  so  nahm  man  ausserdem  nuch  die  Zerstiirkelung  derselben  vor,* 

Vielleicht  kannte  man  aych  die  Extraktion.    Allerdin^^'s  ist  iHe  Be- 

lerkung  des  Flinius,   dass  die  Ärzte  aus  Hahsuciit  di'^  squama  im 

iu^'e  lieber  hinwegsehielien  als  herausziehen  wollen,  zu  undeutlich,  als 

sie  sich  darauf  beziehen  lässt*.    Eher  lierechtiirt  tue  Angabe  <f  ale^**s» 

im  einige  Chirurgen,  anstatt  den  Staar  zu  dislociren,   den  Versuch 

geuieht  haben,  ihn   nach  aussen   zu  entleeren,^   zn  der  Vermuthimg, 

^toman  die  Extraktionsinethode  geübt  hat/'    Eine  Beschreibuni^r  der- 

ilben  findet  sich  nirgends.   Der  arabische  Schrif't>steller  Rhaze-s  schreibt 

hn*  Kenntniss  dem  Antyllus  zu  uncl  berichtet  zugleich,  dass  derselbe 

prh  mit  der  Beseitigung  de.s8taares  durch  Suctiim  Bescheid  trcwnssthnbe." 


*  CELsra  VII»  18.  20.  —  Arbtaeus:  de  acnf.  II,  fi.  —  Atexiir*  XJV,  24.  — 
ttifs  AEunr,  III,  43.  '  ÖRiSAHtis  IV,  4T_'. 

'  OkiBJi^n  a  IV,  46«.  470.  —  I'ai  lus  äe<j.  VI,  79. 

•  CELrtt'Ä  VM,  7.  —  Galkn  X,  1019.  —  V^](-ETRT,s  Renatus:  Mulomediciiirt 
Tf,  IT*  —  pAi  LI  s  Aeoin.  VI,  21.  —  A,  Ana<jsostaki8:  Contributiona  k  rhistoire 
dm  k  Chirurgie  oculaire  che«  les  amuens»  Athimea  1872. 

*  pLOfirs:  Hbt  nat  XXIX,  s.  —  Galgh  X,  967.  —  VergL  dazu  v.  Hakkes; 
Fblolog.  Studieii,  Prag  1868. 

•  II.  MAtjNi^  (Geschichte  des  grauen  Staares*  Leipzig  1$76,  S.  226  u.  äP.i 
vertritt  mit  Gründt^n,  deren  Berecbltg^mig  nicht  zu  leugnen  hL  fUe  Ansicht,  da^s 
ersieh  dabei  nicht  nm  die  Staar-Extraktion,  sondern  urn  die  Ilypopyün'Punction 
htndett.  Jedenfalls  „ist",  wie  Alfr,  v.  (»kaepk  (Kl in,  Monatsbb  f  Aiigenheü- 
IbOode  1868,  Jannar)  sagt,  ^die  Wi*"genpcriode  iler  Extrakfion  eiitcj?  der  seh  wie» 
ngsten  Kapitel  der  medicinischen  Gescliichtsforschuiiy:**  und  eine  .fiebere  BeAut- 
irortimg  der  Frage,  ob  d^e  Alten  dieselbe  jjckannt  haben^  nicht  möglich. 

^  RaAZfi»:  Contincns  II,  c.  3,  Ab«.  7.     VA.  Venet.  150r>,  fid.  41.  -   Siciikl 
\m  Archiv  f.  Ophthsdm.  Iflfis,  XIV,  H,  S,  I. 

7* 


100  Der  mediciniscfte  Unterricht  im  AUerthum. 

Es  ist  sehr  bedauerlich,  dass  die  ophthalmologisohe  Literatur  des 
Alterthums  grösstentheils  verloren  gegangen  ist  Das  Werk  des  be- 
rühmten Augenarztes  Demosthenes,  welches  noch  zu  Ende  des  13.  Jahr- 
hunderts von  Simon  von  Genua  benutzt  wurde  und  in  einer  Abschrift 
vielleicht  heut  noch  in  irgend  einer  Bibliothek  verborgen  liegt,  würde 
über  manche  Dinge  Aufschluss  geben,  über  welche  gegenwärtig  nur 
Vermuthungen  möglich  sind. 

Die  chirurgische  Disciplin  umfasste  nach  Celsus^  zunächst  die 
gesammte  Operationskunst  und  femer  die  Behandlung  der  Wunden 
und  Geschwüre  und  aller  Knochenkrankheiten.  Vom  Wundarzt  verlangt 
er,  „dass  er  im  kräftigen  Mannesalter  stehe,  eine  sichere  und  feste 
Hand  besitze,  die  niemals  zittert,  und  die  linke  Hand  ebenso  geschickt 
zu  gebrauchen  wisse,  als  die  rechte.  Scharf  und  hell  soll  die  Kraft 
seiner  Augen,  furchtlos  sein  Gemüth  und  dem  Mitleid  nicht  soweit  zu- 
gänglich sein,  dass  er  sich  durch  das  Geschrei  der  Kranken,  deren 
Behandlung  er  übernommen  hat,  bewegen  lässt,  rascher,  als  es  die 
Sachlage  fordert,  zu  operiren  oder  weniger,  als  nothwendig  ist,  fort- 
zunehmen. Er  darf  sich  bei  seinen  chirurgischen  Eingriffen  in  keiner 
Weise  durch  die  Klagen  der  Kranken  beeinflussen  lassen." 

Die  Chirurgen  wurden  bei  den  Operationen  durch  ihre  Gehilfen 
und  Schüler  unterstützt  Die  Dienste,  welche  dieselben  dabei  leisten 
mussten,  werden  in  mehreren  der  oben  angegebenen  Stellen  ausführlich 
erörtert 

Die  Geburtshilfe  wurde  von  den  Hebammen  ausgeübt;  nur  in 
schwierigen  Fällen  nahm  man  die  Hilfe  der  Ärzte  oder  Chirurgen  in 
Anspruch.  2  Frauen,  welche  sich  zu  Hebammen  ausbilden  wollen,  sollen, 
wie  SoRANus  in  seinem  gynäkologischen  Werk  sagt,  „lesen  können. 
Verstand  und  ein  gutes  Gedachtniss  besitzen,  rührig,  anständig,  in 
ihrer  Sinnesthätigkeit  nicht  gehindert,  gesund  und  kräftig  sein  und 
lange  feine  Finger  mit  kurzen  Nägeln  haben." 

Es  wurde  nicht,  wie  in  Griechenland,  von  ihnen  gefordert,  dass 
sie  bereits  selbst  einmal  geboren  haben.  Doch  hält  es  Sobanüs  für 
gut,  wenn  sie  nicht  zu  jung  sind.  Femer  empfiehlt  er  den  Hebammen, 
stets  nüchtern,  ruhig  und  verschwiegen,  und  weder  geldgierig  noch 
abergläubisch  zu  sein,  sich  nicht  aus  Habsucht  zur  Verabreichung  von 
Abortivmitteln  verleiten  oder  durch  Träume,  Ahnungen,  Mysterien  und 
religiöse  Gebräuche  in  der  Erfüllung  ihrer  Pflichten  stören  zu  lassen. 


>  Celsus  VU,  Praef. 

*  SoRANus  Ephbsits,  Ed.  Dietz,  p.  107.   —   Vergl.  J.  Pinoff  im  Janus  I, 
S.  705— 752.  II,  IG -52.  217—245.  730—744. 


D«r  medimni» 


tn  Eoni. 


101 


giebt  er  ihnen  den  Rath,  besondere  Sorgfalt  auf  die  Pflege  ihrer 

nie  m  verwenden ,  sie  häoüg  mit   feinen  Salinen   einzureiben   nnd 

Wollearbeiten   zu   verschonen,   wdl    dadurch    dic^  Haut  hart  und 

[{»de  wird.* 

Bei  der  Ausbildung'  der  Hebammen  wiirdu  sowohl  die  Theorie  als 

i|it>  Praxis  benlcksiehti^t,  vor  Allem  aber  darauf  gesehen,  dnss  i^k  in 

0  Diätetik,  der  Arzneimittellehre  und  den  nothwendijiren  chirur]trii>cheu 

jferrichtnngen    unterrichtet    wurden.     Ihre   Kenntnisse    \iim    Bau   der 

Wichen  Genitalorgane   waren   sehr  manfrelhaft;   Svhjaxis   war   der 

eintin^,  dass  sie  davon  nicht  viel  zu  wissen  brauchten. 

Dafür  hatten  sie  ziemlich  richtige  Vorstellongen  vom  Verlauf  der 

Donrjalen  Geburt  und  vun  der  Hilfe,  die  dabei  geleistet  werden  mnsste; 

^"  unter»tatzten  den  Damm  der  Gebärenden  mit  einem  Tuch,  unter- 

haiKlen  die  NabeL^obnur  nach  der  Geburt»  .sorgten  für  die  Lnsung  der 

Nachgeburt  u.  a.  m.     Auch  wurden  sie  mit  den  verschiedenen  Lagen 

d«*ü  kindlichen  Körpers  bekannt  gemacht  und  erhielten  eine  vortreffliche 

E^-'"ilang  zur  Wahl  der  Amme  und  /mt  rilege  der  Neugeborenen, - 
intemahmen  selbst  wichtige  Operationen  wie  die  Wendung  auf  den 
oder  die  Füsse  bei  fehlerhafter  Kindeshige.^  Die  Embryotomie 
e  nur  ausgeführt,  \fenn  alle  Versuche,  die  Frucht  lebend  nach 
n  zu  beftirdem,  vergebhch  waren.* 
Ein  angeblich  von  Numa  Pumpilius  erhissenes  Gesetz  gebot,  den 
Kii^^^r^chnitt  an  schwangeren  Versturbenen  viirzunehmen,  um  wenn 
möglich  das  Leben  des  Kindes  zu  retten.^  Pliniuh*'  erzählt,  dass  er 
mich  an  lebenden  Schwangeren  an;^geführt  wurde,  und  Scipiu  Africanus 
üifser  Operation  sein  Leben  verdankte. 

Hauche  B*diammen    lieschränkten    ihre  Thätigkeit    nicht   auf  die 
e  and  die  Behandlung  der  Fniuenkrankheilen,  sondern  zogen 
gesammte  lleilkimde  in  ihren  Bereich  und  waren  somit  eigentlich 
Antin  nen* ' 

Der  Uel^anmienstand    genoss    grosses  Ansehen.     Sie    wurden   von 

^ien  Gerichten  als  Sachverstandige  vernommen-   und  erhielten   später 

Recht*  wegen  der  Fordenmgen  für  ihre  Dienste  klagbar  zu  werden/* 

iche   Inschriften   geben    der  Verehrung,   die   man   ihnen    zolltej 


*  SiJRAXCt«  p.  3—5.  *  SORAHlTg  p.  79    u,  ff.  »  BoiuNce^  p,  ilO  u.  tT. 

"^ßüJUXL»  [1.  IIB  u.  ff,  —  TEKTtLUAN;  dc  unima,  c,  25. 
^Pandect.,  lib.  XL  tit.  8,  de  mortuo  infertodo. 
'  ri.i3iiiri*:  Hist.  oat,  VH,  T. 
^  MjktiTiAL:   Epigr.   XI,   71.  —   Apuj.uti*:  Metamorph.  V,   24.  —   ruNUT»: 

niit  HAt  xxvm,  7. 18. 23. 80.  --  Ji/vKMAL  n,  ui. 

"Skücca:  EpisL  6fi.  •  Piiuc!cct,,  Hb.  50.  tit.  la. 


Aiisdnielc.  Auf  einem  Grabdonkmal,  welches  yon  Mommswt  beschripU»o 
wunle,  l>etiiidet  sich  ein  Xarbruf  an  »^die  unvor^^Ieiehlidie  Oattin,  nlebt^ 
Fmu  und  vortrt»fI'tiehe  Kebamnie'*.  Einer  der  bekanntesten  medicioi- 
schen  Sdiriftsteller  und  \nk\  Thiioimum  s  pKisriANUs,  widmete  sogar 
ein  Buch  dwv  Hfbamme,  „der  lioblieheri  iiehiUin  ^iner  Kunst«,  wie 
er  sie  nennt.* 


Der  ärztliclie  Stand  in  Rom, 

Die  Ausübung  dtT  rintlichen  Praxis  stand ♦  wie  erwähnt,  Jedem 
froi^  ohne  dass  derHidbe  in  einer  Prüfung'  seine  Hefahi^'ung  d«zu  j\m\\* 
zuweisen  j^enöthigt  war;  alier  schon  die  liex  Tonielia  (H8  \\  Chr.)  niaeht*« 
üin  dafür  hiittlnir,  wenn  durcli  seine  Schuld  der  Tod  eines  Mensctipn 
herbeij^eführt  wurde.  Auch  die  Bewerbung  um  eine  ÄnsteHnni?  im 
ittTontlicben  Siinitätsdienst  und  um  die  Aufnahme  in  die  Zabl  der  mit 
bcstimmtrm  Vurretbten  aus^est^itteten  Arzte,  ^owie  die  Sfcdlun^  der 
ärztlieben  Honorarkbi^^en,  besondei*s  die  ejimwfliitnnn  roffnith,  dürften 
Vemtilussunj^  eregeben  hahi'n,  dass  die  wissenschaftlich  gebildeten  Ante 
vun  den  Pfusehenu  wi^nn  auch  nicht  durch  das  ilmviz^  so  doeh  im 
prakfeisclien  Leben  geschieden  wurden.^ 

Da  vieb^  Arzte  nur  eine  lückenhafte  fachmiinnische  Bilduncr  l>e- 
Hassen  und  nicht  in  allen  Zweigen  der  Heilkunde  unterrichtet  waren, 
m  bofassten  sie  sich  nur  mit  einem  Theib^  derselben.  Auf  einem  eng* 
begrenzten  Gebiet  der  Heilkunst  konnten  sie  in  kurzer  Zeit  die  für  die 
PraxiH  noth wendigen  Kenntnisse  erwerben,  —  Dm  HpecialistenwescUi 
dessen  AnfTinge  in  eine  frühe  Zeit  zurückreichen,  bekam  dadurch  ein« 
fsebr  schlinjme  Furm;  denn  es  wurde  nicht  so  sehr  der  Ausdruck  her« 
v(»rragender  Leistungen  auf  einem  spcciellen  ^Jebiet,  als  der  halb* 
gehildeten  ( 'burlatimerie.  Seine  Vertreter  gaben  sich  im  Verkehr  mil 
unterrichteten  Arztf^n  bedenkliche  Blossen  und  dienten  den  Lust^pie 
dichtem  als  willkunnnene  ülijekle  des  Spottes. 

Die  Theihmg  der  ärztlichen  Arbeit  wurde  in  sinnloser  Weine  ubei 
trieben.      Man    unterschied    niclit   nur   Chirurgen,    fleburtshelfer    und 
Frauenärzte,  AugenftotCj  <Jhrenarzte  und  Zabnurzte,  sondern  es  gab  fastj 
für  jeden  Tb  eil  des  Korpers  besondere  Specialist^en.    Einige  beschriinkteiij 


•  Th.  Pujscian.  lib.  HL  Praef. 
I  *  Th.  Luwknfkld:  InaejitimabiHtÄt  und  Honorirung  der  artcs  H^ralöB  n« 

r^mimiben  Reiht,  Mimtbcii  IBöT,  8,  428, 


Ihr  ärziUcftt  Slatui  in  Ihm. 


103 


ftuf  die  Behandlung  ton  Fisteln  und  Brüchen  oder  hestiinmter 
Jrpertheile,  z,  B.  des  Afters,  Ändere  beschäftigten  sich  ausschtiesslicli 
|ii  dem  Steinschnitt,  der  Uernien-Operiition  oder  der  StaaropiTatiünJ 
anem  Epij^ramm  des  MARiiAii-  lieisst  es:  „Cascellius  zieht  Zühn^ 

"der  ergäiiTt  sie,   Htginuh  brennt  die  in  die  Augen  wachsenden 

(imperhaare  weg,  Fankiit:?  heilt  das  j^resehwoUeno  Zäpfchen,  ohne  zu 

neiden,    Eßos  beseitigt  die  Brandmale  ans  der  Haut  d^r  Sklaven, 

'  und  Hermis  ist  der   beste  Arat  für  Hernien.*'    Man  hatte  besondere 

inte  für  die  Krankheiten  der  Kinder,  wie  für  diejenigen  des  (freisen- 

Ritters.     Manche  Specialisten   hedit^uten  sich    liestimmter  Kurmethoden 

pd  wendeten  vorzugsweise  das  Wasser,  Avn  Wein,  die  Milch,  gewisse 

■zneistotfe  und  Pflanzen,  z,  B.  die  Messwurz^  an.^ 

Tüchtige  Ärzte«  wie  Galen,  verachteten  dieses  Treiben  und  wid- 
iBetcn  allen  Theilen  der  Heilkunde  ihre  Aufmerksamkeit,  wenn  sie  auch 
in  der  Praxis  diesen  oder  jenen  Zweig  tlerselben  bevorzugen  mochten. 
Jch  glaube,"  sehreibt  Celsus,^  „dass  m  wohl  möglich  ist^  alle  Gebiete 
derHeükunst  zu  beherrschen.  Werden  sie  aber  von  einander  gethfilt, 
$0  lobe  ich  mir  den  Antt,  wolc^her  die  meisten  derselben  kennt/* 

Zwischen  den  Ärzten  und  den  Chirurgen  bestanden  treundschaft- 
liehe  Beziehungen.  „Sie  untei-stützten  und  empfahlen  sich  gegenseitig," 
eriihlt  Pi-UTABCH.  ^  Es  scheint  nicht,  dass  die  Chirurgen  eine  niedrigere 
geseUsohÄfllicbe  Stellung  einnahmen,  als  die  Arzte  für  innere  Krank- 
heilen,  wie  dies  in  späteren  Zeiten  der  Fall  war.  Auch  lässt  Nichts 
darauf  schliessen,  dass  Jene  im  Allgemeinen  eine  geringere  Allgemein- 
biWuiig  besassen,  als  diese. 

In  manchen  Fällen  wurden  von  den  Kranken  oder  ihren  Angc- 
I  L'u  mehrere  Arzte  zu  Eath  gezogen,  welche  in  gemeinsamen  Be- 
nUiiLingen  die  Diagnose  und  Behandlung  besprachen.  Dabei  mag  es 
Wühl  häufig  zu  heftigen  Meinimgskämpfen  gekommen  sein,*^  in  denen 
<iie  Grenzen  <ies  Anstandes  überschritten  wurden.  Ihre  ungleiche  wissen- 
schaftliche Bildung  erklärt  es.  dass  unterrichtete  und  erfahrene  Arzte, 
wie  ijALEN,  im  Unmuth  übet  die  Unwissenheit  und  Untahigkeit  ihrer 
Tollegen  ein  scharfes  Ürtheil  über  deren  Ansichten  und  Verordnungen 
raUt^n.^ 

Theüdobijs  PjusciANUii   hat   eine    drastische  Schilderung   solcher 


*  Pseodo-GALEn:  De  part.  artis  medic.  Ed.  Chnrtier  II,  2b2.  —  Galen  V,  846. 
^  Mautiai.:  Epigr.  X,  56.  ^  Plikr:.'^:  Hist  nat  XXIX,  5. 

*  CEU*r9  VU,  Praef. 

•  Plctarco:  de  fipftterno  amore,  c.  J5.  —  Galen  XVIII  A,  346. 

•  PuNii  s  a.  a.  0.  XXLX,  5. 
J  UAi.E3f  Vin,  357.  X,  910.   XIV,  623   u.  ff. 


104  Der  medioinische  Unierricht  im  AUerihum, 


Consilien  hinterlassen.  *  „Während  der  Kranke  von  Schmerzen  gepeinigt," 
schreibt  er,  „auf  seinem  Lager  hin  und  her  geworfen  wird,  stürmt  die 
Schaar  der  Ärzte  herein,  von  denen  Jeder  nur  bedacht  ist,  die  Auf- 
merksamkeit der  Übrigen  auf  sich  zu  lenken  und  sich  um  den  Zu- 
stand des  Kranken  wenig  kümmert  Wie  im  Cirkus  oder  beim  W^ett- 
kampf  trachtet  der  Eine  durch  seine  Redekunst  oder  Dialektik,  der 
Andere  durch  den  künstlichen  Aufbau  von  Thesen,  welche  sein  Gegner 
wieder  niederreisst,  ausserordentlichen  Ruhm  zu  ernten."  Der  Volks- 
witz machte  sich  über  diese  Verhältnisse  lustig  und  erfand  die  von 
Plinius  (a.  a.  0.)  erzählte  Anekdote,  dass  auf  einer  (rrabschrift  zu  lesen 
war,  der  Verstorbene  sei  an  der  Menge  der  ihn  behandelnden  Arzte  zu 
Grunde  gegangen. 

Der  ärztliche  Stand  genoss  Anfangs  nicht  dasjenige  Ansehen, 
welches  seiner  anstrengenden  opferwilligen  Thätigkeit  gebührt.  Die 
vornehmen  Römer  hatten  für  die  Medicin  höchstens  ein  dilettanten- 
haftes  Interesse  und  betrachteten  die  Ausübung  der  Praxis  als  eine 
Beschäftigung,  die  sich  nur  für  Leute  von  niederem  Herkommen,  für 
Diener  und  Sklaven  schicke.^ 

Als  später  die  Einwanderung  der  fremden  Ärzte  erfolgte,  und 
Heilkünstler  aus  Griechenland,  Ägypten,  Kleinasien  und  Palästina  sich 
in  Rom  niederliessen,  trat  der  beschränkte  Nativismus,  das  spiessbürger- 
liche  Vorurtheil,  welches  man  gegen  alle  Fremden  hatte,  einer  Ver- 
besserung der  socialen  Stellung  der  Ärzte  hindernd  in  den  Weg. 

Freilich  trugen  die  letzteren  auch  selbst  einen  grossen  Theil  der 
Schuld.  Die  Prahlereien,  die  Habsucht  und  die  Laster,  durch  welche 
sich  Einzelne  von  ihnen  verächtlich  machten,  bot^n  ihren  Gegnern 
wirksame  Waffen,  welche  sich  gegen  den  ganzen  Stand  richteten. 
Plinius  berichtet,  dass  Ärzte  ihre  Vertrauensstellung  dazu  missbrauchten, 
um  Erbschleich(?rei  und  Ehebruch  zu  treiben  und  durch  Darreichung 
von  Gift  den  Tod  eines  Menschen  zu  bewerkstelligen.^  Galen  ver- 
gleicht die  Ärzte  in  Rom  sogar  mit  Räubern  und  sagt,  dass  zwischen 
ihnen  nur  der  einzige  Unterschied  bestehe,  dass  diese  im  Gebirge  und 
jene  in  der  Stadt  ihre  Schandthaten  begehen."* 

Dazu  kam  das  aufdringliche  und  prahlerische  Auftreten  mancher 
fremden  Heilkünstler,  welches  dem  würdigen  Ernst  der  Römer  missfiel. 
So  durchzog  Thessalus,   der   sich   den  „Besieger  der  Ärzte"   nannte, 


^  Theod.  Priscianus  I,  Praef.  *  Plinius  a.  a.  0.  XXIX,  8. 

'  Plinius  a.  a.  0.  XXIX,  8.  —  Martialis:  Epigr.  VI,  31.  —  Tacitüs:  Annal. 
IV,  3.   XII,  67. 

*  (iALEN  XIV,   622. 


einem  Schwann  von  Anhängern  die  Strassen,  ,,wie  ihn  kaum  ein 
pieler  oder  berühmter  Cirkusreiter  hatte,***     Einzelne  Ärzte  be- 
leben die  Ja^d  auf  Patienten  ^^anz  offenkundig  und  eiUhlndeten  sieh 
^hl>  Voruiiergehende  zum  Eintritt  in  ihre  Oflicinen  aufzulbnlern,  die 
Du  häutig  genus;:  zum  Aufenthaltsort  von  Müssig^rmgrem  und  (iaunern 
Dtark'Wn. 

Der  Wunsch,  bekannt  zu  werden  und  Pnms  zu  erwerben,  ver- 
ßte  Viele,  „sich  tmi  die  Gunst  der  vermögenden  und  eintlussreichen 
onen  zu  i)e werben,  mit  ihnen  auf  den  Strassen  einher  zu  stolziren, 
fchmaiisereien  zu  feiern  und  Possen  zu  rei^ssen^  während  Andere  durch 
^  Pracht  ihrer  Kleidung,  durch  w^erthvolle  Ringe  und  andere  Schmuck- 
Stande  die  urtheilslose  Menge  zu  blenden  suchten."^  Wie  zu 
ÖPD  Zeitijn,  so  liebten  aucli  damals  die  Ignoranten  und  Charlatane, 
liun^h  den  (llanz  der  äusseren  Erscheinung  die  Hohlheit  ihres  inneren 
^W®^8  zn  verbergen.^  Ärzte,  welche  mehr  Wissen  und  Verstand  be- 
wendeten sich  an  die  Utfentlichkeit,  um  für  sich  Reklame  zu 
Dschen.  Sie  hielten  populäre  Vorlesungen^  veranst^ilt-eten  Disputationen 
mit  ihren  Collegenj  welche  sich  zu  erbitterten  UedetoiirnieTen  gestalteten 
und  im  Allgemeinen  mehr  zur  Unterhaltung  als  zur  Belehrung  des 
l^ublikams  beitrugen,  und  führten  vor  den  Augen  desselben  im  Theater, 
im  Cirkus  oder  an  anderen  ütfentliclien  Orten  chirurgische  Operationen 
AUS,*  Diese  Sitte,  welche  sich  bei  herumziehenden  Meükünstlern, 
namentlich  l>ei  den  Zahnärzten,  bis  beut  in  Italien  erbaiteu  hat,  scheinl 
griechisch-orientalischen  Ursprungs  und  erst  mit  der  Einwanderung  der 
finemden  Arzte  nach  Rom  gelangt  zu  sein. 

Das  Honorar,  welches  die  Ärzte  für  ihn^  Dienste  emplingen,  war 
nutfirhch  sehr  Terschieden   und  richtete^  sich  nach  den  Vermögensver- 
ttltnis^en  des  Kranken  und  der  Stellung  und  Tüchtigkeit  des  Arztes, 
l\\£S  erhielt  vom  Consul  Boöthus,    des^^en  Frau  er   längere  Zeit  bf*- 
handelt  hatte,  400  (roldstucke.^    Der  ehemaUge  Praetor  und  Legat  von 
'  N,    Manlius  Cornutus^    zahlte  dem  Arzt,    der  ihn   von  einem 

li  11  befreite,  200,t*OÜ  Sestertien,  *'    Dio  gleiche  Summe  verlangte 

t'HiRMn*,  der  durch  seine  Kaltwasser-Behandhmg  Aufsehen  erregte,  für 
me  Küu  die  er  in  der  Provinz  unternahm/ 


^  PuÄii*:  Hier.  nat.  XXIX,  5.  «  Ualkn  XIV,  Holi. 

'  LrciAN:  Afl.  indoi'tum,  c.  21h 

*  Plctarch:  de  adulatore  et  amico,  c.  :^2, 

*  (fxloi  XIV,  Ml,    Diiü  Siiintixi;  huf  ujioh  ÄLusm  Aisrit  (a.  a.  O.  Bd.  V,  S.  70) 
doeti  Ooldwerth  von  etwa  SOOO  Mark  I).  U.-W, 

'  PuKitis:  HisL  nat.  XXVI,  3,  Über  40,000  Mark.  Marquahdt  a.  a,  0.  S,  72, 
'  Fi^niic»  a.  a.  O.  XXIX,  5,  b, 


106  Der  medwinische   UnterricfU  im  AUerthum. 


Als  Q.  Stektinius  zum  Leibarzt  des  Kaisers  Claudius  ernannt 
werden  sollte,  erklärte  er,  dass  ihm  die  Besoldung  von  250,000  Sestertien 
zu  niedrig  sei,  da  ihm,  wie  er  durch  Aufeählung  der  Familien,  wo  er 
Hausarzt  war,  nachwies,  die  Praxis  ein  jährliches  Einkommen  von 
600,000  Sestertien  sicherte.  ^  Der  Arzt  Kbinas,  welcher  die  Astrologie 
zur  Grundlage  seiner  Verordnungen  machte,  hinterliess,  wie  PLiNrns 
(a.  a,  0.)  erzählt,  ein  Vermögen  von  10  Millionen  Sestertien,  obwohl 
er  grosse  Summen  für  öffentliche  Bauten  ausgegeben  hatte.  Vom 
Chirurgen  Alkon  wird  berichtet,*  dass  derselbe,  nachdem  er  zu  einer 
Strafe  von  10  Millionen  Sestertien  und  zur  Verbannung  verurtheilt 
worden  war,  sich  nach  seiner  Rückkehr  binnen  wenigen  Jahren  die 
gleiche  Summe  wieder  erworben  habe. 

Aber  solche  glänzenden  Einnahmen  wurden  sicherlich  nur  wenigen 
(xlücklichen  zu  Theil.  Die  grosse  Mehrzahl  der  Ärzte  verdiente  kaum 
soviel,  als  der  Lebensunterhalt  erheischte.  Die  ungleiche  Vertheilung 
des  Besitzes,  welcher  sich  in  den  Händen  einzelner  Familien  anhäufte 
und  die  grosse  Masse  des  Volkes  dem  Proletariat  überliess,  eröffnete 
nur  wenigen  Ärzten  die  Aussicht,  durch  Ausübung  ihrer  Kunst  Reich- 
thümer  zu  erwerben.  Auch  trug  die  rücksichtslose  Concurrenz,  die  sie 
sich  machten,  dazu  bei,  dass  ihre  Dienstleistungen  möglichst  gering 
honorirt  wurden.  Wer  die  Armen-Praxis  ausübte,  blieb  natürlich  selbst 
ein  armer  Mann.^ 

Es  kam  sogar  vor,  dass  Ärzte  ihren  Beruf  aufgaben,  weil  er  sie 
nicht  ernährte,  und  sich  dem  —  wie  es  scheint  —  einträglicheren 
Metier  eines  Gladiators  oder  Leichenbestatters  widmeten.  Darauf  be- 
zieht sich  ein  boshaftes  Epigramm  Martial's,  in  welchem  er  sagt: 
„Diaulus  war  Arzt,  jetzt  ist  er  Leichenträger.  Er  macht  von  der  ärzt- 
lichen Kunst  den  Gebrauch,  welchen  er  am  besten  kennt."  „Übrigens 
war  er  auch  früher,  da  er  noch  Arzt  war,  doch  nur  ein  liCichen- 
bestatter."* 

Nur. langsam  und  allmälig  verbesserte  sich  die  gesellschaftliche 
Stellung  der  Ärzte.  Sie  verdankten  dies  theils  den  erfolgreichen  Be- 
strebungen jener  Mitglieder  ihres  Standes,  welche  durch  die  Tiefe  ihres 
Wissens  und  die  Reinheit  ihres  Charakters  die  Achtung  und  Bewun- 
derung ihrer  Mitbürger  errangen,  theils  der  sich  immer  mehr  Bahn 
brechenden  Erkenntniss  der  Nothwendigkeit  und  Wichtigkeit  der  ärzt- 
lichen Kunst. 

Die  Gebildeten  begannen,   ein  lebhaftes  Interesse  für  anatomisch- 


>  PuNius  a.  a.  0.  XXIX,  5.  «  Puniub  a.  a.  0.  XXIX,  8. 

•  Galen  XII,  916.  *  Martialis;  Epigr.  I,  30.  47.  VIII,  74. 


iolog:bche  Untersuchungen  und    für   die  Heilkunde  überhaupt   zu 

emptincleii.     «Ich  ghiube.**  sc.hreibt  (jELi^irs,   „das8  **s  nicht  tilos  für 

den  Ar/t,    sondern  für  jeden  selhistständitreii  Menschen,    der  eine  ^ute 

hunu  ^cnos-seu  hut,  eine  Schande  ist,  wenn  er  nicht  über  die  Din^^e, 

she  den    inens?chlichen   Kijrper  betreffen^    Bescheid   weiss   und    die 

iCnnt,  welche  uns  die  Natur  zur  Erhaltung  der  Ge^undhivit  ottV-n 

Augen  gelegt  hat.    Ich  habe  deshalb  alle  Zeit,  die  ich  erübri*:en 

te.  iiuf  das  Studium  medicinischer  Werke  verwendet,  weil  ich  darin 

liie  tote  Belehrung  zu   hnden   hoffte/*^     Ebenso  war  pLUTAHt^H   der 

loung,  dass  Jeder  seinen  Puls  kennen  und  wis^sen  müsse,  was  ihm 

ich  oder  schädlich  sei.^ 

Auch  die  ethii*che  Seite  des  ärztlichen  Jierufs  wurde    von  eini^,'en 

iiivn  hervorgehoben,     „Der  Arzt  soll  nicht  ^^^zwungen  werden,   die 

iken  zu  besuchen,**  scbreibt  LuriAN;^  „er  darf  nicht  eingescluichierr, 

ii  mit<iewalt  durthiu  geführt  wenlen,  sondern  niuss  freiwillig'  und 

zu  ihnen  kommen.*' 

Man  kann  die  iiobe  Würde,  den  idealen  Werth  der  Heilkunst  nicht 
kennzeichnen,  ak  Sknbl'a,  wenn  er  sagt:  „Mau  giebt  dem  Arz^. 
den  Lohn  für  seine  Mühe:  denjenigen  für  t^ein  Herz  Ideibt  man 
ita  sebüldig/*  „filaulksf  Du  denn,"  heisst  e^  an  einer  anderen  Stelle, 
,Jaiß  Du  dem  Arzt  uml  dem  Lebrer  nichts  weiter  schuldest,  als  sein 
Honorar?  J^i  nm-  widmet  man  Beiden  grosse  Verebrun?  und  Liebe, 
,..  Wir  empfangen  von  ibnüi  unscbützbure  iiüter,  vom  Arzt  tie- 
-suD<iheit  und  Leben,  vom  Lebrer  die  edle  Bildung  des  tieisteis.  .  .  . 
Beide  sind  uns  Ereunde  und  verdienen  sich  nicht  durcb  ibre  verkäuf- 
liche Kun.sT,  wobi  aller  diircli  ihr  aufrieb tiges  Woblwolien  unseren  in- 
mpUm  Dank,'** 

Ete  Bedüriniss  nach  ärztliclier  Hilfe  fülirte  8cbon  m  früher  Zeit 
diihm,  dass  man  Hausärzte,  Arzte  für  'lemeinden,  da-s  Heer,  und  für 
Geüi»s?enschaft.en  anstellte.  Reicbc  Leute,  welche  einen  grossen  Haus- 
stand und  vi  nie  Sklaven  be^Ja^sen,  waren  darauf  bedacht,  dass  ibnen  in 
Kraakheitslallen  zu  jetler  Zeit  ein  Arzt  zu  Oebot  stand.  Zu  diesem 
Zweck  iichlüHsen  sie  mit  einem  in  der  Nälie  wohnenden  Arzt  einen 
;riff,  der  denselben  verpHichtete.  ibnen  gegen  einen  bestimmten  Jahres- 
t  alle  arztlichen  Dienste  zu  leisten," 
Noch  t)equemer  aber  war  es  für  sie,  wenn  sich  unter  ihrer  Diener- 


^Gbluvs:  Noct.  Atric  XVHl,  10. 

'PuTABCii:  de  sanitAte  luenda  jirnec,,  c.  24,  25. 

'  LüütAK:  Abdicatus  (Der  vemtos&eii«  «Sohiii.  c.  23. 

*  Sestbca:  de  benefit*  VI,  15.  16.  17. 

*  Yauio;  de  r«  rnst.  I,  16. 


Schaft,  ein  heilkimdij?f»r  Sklavr  l»ofantl  rlem  sie  die  Sorge  fiir  ihre 
der   Ihrigen    Gesundheit   anvertrauen    koimkin.  *      Sklaven    dieser 
waren  daher  sehr  gesueht  nnd  standen  hiiher  im  I*reise  aU  die  fibrig 
Sklaven;  sie  wurden  so^fir  tlieurer  verkauft,  ük  die  Kimuchen.*    A« 
kam  es  vor,   da&s  Junge  hei^aiiio  Sklaven   anf  Kuslen   ihrer  Herren  i 
der  Heilkunwt  unterrichtet  und  zu  Ärzten  ausgebildet  wurden.  — 
abyiän^pre  Stellung,'  dieser  Ärzt^*  ent^t-huldipl  ^ie,  wenn  .sie  ihr  medi 
ni.Hchei?  Wissen  nifht  bltis  dazu  verwendeten,  um  Sehmerzen  zu  linde 
und  Krankheit+'n  zu  heilen,  sondern  aueh  zu  scheussliehen  Handlungpri 
und  jtehweren  Verbrechen,*  welcbe  sie  auf  Hefehl  ihres  Herrn  ausfßhrtm 

War  der  letztere  selbst  Aat,  so  dienten  sie  ibm  als  Assistenten 
und  Gehilfen  in  der  Praxis;  wenn  sie  .selbststiindi^^  Kranke  behandelu^n, 
HO  musst^n  sie  ihm  diis  Honorar,  welches  sie  dahir  erhieltr^n,  abljefem 
und  bildeten  somit  i*ine  bisweilen  reeht  erpriebige  Erwerljs^jueile  für 
ihn.  Aus  diesen  limstiinden  wird  es  l^e^reiflieb,  «his«^  er  Sklaven  dimit 
Art  nur  ungern  die  Freiheit  gab;  denn  er  verminderte  dadurcb  nicht 
nur  seine  Einnahnienj  sondeni  schuf  sieh  auch  zuweilen  einen  Toncur- 
renten,  der  ihm,  weil  er  seine  Patienten  kanntr,  dopjtelt  ^^efahrM 
werden  konnte. 

Ebensowenig'  waren  Niebtrirzte^  welche  Sklaven  mit  medi<*infi 
Kenntnissen  besessen,  geneigt,  sicli  dieses  Besitzes  zu  entledigen,  weil 
sie  damit  den  immer  bereiten,  griinzlicb  erpel^enen  Hausarzt  verloreo/ 
Das  Gesetz  war  daher  iienothiirt,  die  einander  entjLref^cnn^esetzten  Int*^re;*sen 
der  Herren  und  ihrer  Sklaven  zu  versilhnen^  indem  es  einerseits  dip 
Bedingungen,  unter  denen  die  letzteren  ihre  Freiheit  soi  fordern  k»- 
n»ehtip^t  waren,  und  die  Xonnen  feststellte,  nach  weh*hen  die  Holi»^  dei< 
Lösevreldes  bere^lmet  wrrden  sollte,  ün<l  andererseits  den  Fmgelassenen 
bestimmte  Verpflichtungen  gegen  ihre  ehemaligen  Herren  uuferlegli?, 
welche  die  letzteren  vor  übermässigen  Narbtbeilen  s^diützen  snlHen.* 

Die  im  Besitz  des  St^iates  belindlielien  Sklaven  des  ärztlichen 
Standes,  welche  wahrscheinlich  die  Behandlung  der  erkrankten  Sem 
pubiiei  besorgten,  sf'beinen  *^ieh  im  Allgemeinen  in  einer  gönstigeren 
Lage  und  freieren  Stellung  befunden  zu  haben,  als  ihre  fierufsgenosseßf 
welche  Privatpersonen  gehörten. 

Den  freien  Ärzten  wurden  verschiedene  materielle  Vortheile  und 
Vorrechte  gewährt,   weil  man  erkannte,   wie  nützlich   und  wichtig  die 


•  SüSToif:  Nero,  c.  2.    CaXig,  c.  8,  —  Sxirfici!  de  benef.  Ill,  24, 
»  Cod.  Jtwt.  VT,  tit,  43,  3.   VU,  tit  7,  1.5, 

•  Cicero:  nd  Häoii.,  c  34.  pro  Cla«iitio,  c  14  «.  C  —  Tacfit»  Atinal  XV,  ( 

•  Digest  XL,  tit  5,  c.  41,  6. 

•  '^'    «t  XXXVIU,  tit  1,  c.  25-27. 


Der  ärxUicke  Siand  tn  Rom. 


109 


Helllmiii^  für  da«  allgemeine  Wohl  ist.  Als  Cäsar  bei  einer  Hungern- 
notli,  dii»  im  Jabre  46  v.  Chr.  in  Rom  ausbrach,  die  Ausweisung  der 
tVtnden  anordnete,  nahju  er  ausdrucklicli  die  Arzte  und  din  J^ehrer 
luö  die**jr  Ma&sregel  aus,  „damit  sie  um  .so  litd>er  in  der  Starlt  wohnen 
Ideiben  und  noch  Andere  dorthin  nai^bziehen^  ^  Der  Kaiser  Augustus 
filirte  den  Ärzten  i.  J,  10  n.  llir.  die  Immunitat,  d,  i,  die  Befreiung 

Steuern  und  anderen  Lasten,  angebliidi  aus  Dank  für  die  erlolg- 
reiclie  Kur,  durch  welche  ihn  sein  Leiiiarzt  Musa,  ein  begeisterter 
Anhänger  der  Hydrotherapie,  von  liartnik^kigen  rheuniuti.se!ien  Bt^- 
gj,|M^,.*^.l..ri  erlost  hatte. ^  Vespasiau  erneuert^'  oder  bestätigte  diese^n 
t,  tu  und  Hadrian   erliess  erlaiitiTnde  Bestimmungen    über  die 

Ärzten  verliehen(*n  Vorrechte.^ 

Aus  dieser  Verordnung,  welehe  unter  Antouinus  Plus  erneuert 
wurd^f  ergiebt  sieh,  dass  sie  von  der  Cliernahme  verschiedener  zeit- 
imbenden  und  mit  manchen  Unbequemlichkeiten  und  Unkosten  ver- 
bundenen Amter,  z.  B,  der  Cberwachurig  der  ofi'entlichen  Spiele,  der 
Adilität,  und  den  priesteriicheu  Verrichtungen,  eltenso  wie  von  der  l^n- 
fpiariieningshist  befreit  und  der  P Hiebt  entlioben  waren,  zu  dem  Ein- 
if  iTüti  Getreide  und  Ol,  wenn  er  von  Seiten  des  Staates  geschah, 
^utragenj  auch  nicht  genothigt  wurden,  als  Richter  oder  Legaten  'm 
Kuipreiif  und  weder  zum  Militär  noch  zu  anderen  öft'entlichen  Dienste 
Iwtongen  herangezogen  werden  konnten.^ 

Ant4jninus  Pius  bestimmt*?  aber  gleicbzeitigy  dass  diese  weitgehen- 
den Privilegien  nicht  allen  Ärzten  ohne  Unterschied,  sondern  nur  einer 
besüminten  Anzahl  derselben  zu  Theil  würden.  P]s  wurde  angeordnet, 
4am  in  kleineren  Städten  nur  ffinf,  in  mittleren  sieben  und  in  gi-<jsseren 
mkn  Arzte  die  Immunität  erhalten  sollten,  und  die  let2tere  ihnen, 
veno  sie  sich  in  ihrem  Beruf  Naeblässigkeiten  zu  Schulden  kommen 
lie^sen,  jeder  Zeit  von  der  Stadtbehörde  wieder  entzogen  werden  konnte. 
F«nM>r  wurde  bei  der  Verleihung  dieser  Vorrechte  den  einbeimischen 
Anten,  welche  in  ihrem  Heimathsort  prakticirten,  der  Vorzug  einge- 
riiiint  vor  den  Fremden,   die  dort  eingewandert  waren.     Die  letzteren 

ii  nur,  wenn  sie  sich  durch  herviprragende  Leistungen  auszeichneten, 
fc«ückiüchtigt  werden.  In  solchen  aussergewöhnlichen  Fällen  durfte 
Mgar  die  vorgeschriebene  Zahl  der  mit  Immunität  ausgestatteten  Arzte 
mmAhntsweise  überschritten  werden. 


»  ScvTOii:  J.  C&aar,  c.  42. 

•  Dio  ÜAsisiüfl  LllL  30.  —  Siteton:  Augtistu«,  c.  59.  —  Hobaz:  EpisL  l,  15. 

*  Digest.  L,  tit.  4,  de  muner.  et  honor.  lex  IS,  30. 

'  J>igi^t  XXVn,  tit.  l.  de  ejccusat,  c.  6,  8.  —  E.  Kühk:  Die  stüdtischo 
otiii  bCIfgerL  Veifanoiig  dm  röm.  Keii^hcs,  I^ipsig  18ß4,  I«  8.  ^9  u.  W, 


110  Der  medicinische  Unterrichi  im   AUerthu/m. 


Alexander  Severus  erliess  das  Gesetz,  dass  in  den  Provinzen  die 
Immunitat  nicht  mehr  von  den  staatlichen  Behörden,  sondern  von  den 
Bürgern  und  Grundbesitzern  verliehen  würde,  weil  diese  den  Charakter 
und  die  Tüchtigkeit  der  Ärzte,  denen  sie  sich  in  Krankheiten  anver- 
trauen, am  besten  kennen.  ^  Später  wurden  den  Ärzten  noch  die  extra- 
ordinaria  cognitio  gewährt,  nämlich  das  Recht,  ihre  Klagen  wegen  ruck- 
ständiger Honorarforderungen  unmittelbar  bei  der  höchsten  Instanz  der 
Provinz  vorzubringen.* 

Es  scheint,  dass  man  durch  solche  Begünstigungen  zunächst  nur 
beabsichtigte,  tüchtige  unterriclitete  Ärzte  an  einen  Ort  zu  fesseln,  wie 
das  Beispiel  des  Archagathus  lehrt.  Bald  aber  wird  man  ihnen  dafür 
auch  bestimmte  Verpflichtungen  auferlegt  haben,  welche  im  öffentlichen 
Interesse  lagen.  Ak  sich  das  Institut  der  Gemeindeärzte,  wie  es  in 
Griechenland  bestand,  im  römischen  Reiche  einbürgerte,  wurden  ihnen 
die  mit  den  Pflichten  des  öffentlichen  Dienstes  verbundenen  Vorrechte 
vorbehalten.  Die  erwähnten  Privilegien  wurden  somit  später  vorzugs- 
weise, wenn  nicht  ausschliesslich,  den  Gemeindeärzten  zu  Theil.  Ihre 
Zahl  richtete  sich  nach  der  Grösse  der  Stadt  und  war,  wie  es  scheint, 
die  gleiche,  wie  diejenige,  welche  das  Gesetz  für  die  Verleihung  der 
Immunität  bestimmte. 

In  Gallien  hatte  man  schon  vor  Strabo's  Zeit  (Jemeindeärzte,'  in 
Kleinasien  vielleicht  schon  früher*  und  in  Latium  jedenfalls  unter 
Trajan,  wie  aus  einer  (irabschrift  hervorgeht,  welche  dem  besoldeten 
Arzt  der  Stadt  Ferentinum  gewidmet  ist.*^  In  Rom  wurde  für  jeden 
Bezirk  der  Stadt  ein  Arzt  angestellt. 

Die  Gemeindeärzte  waren  vorzugsweise  dazu  verpflichtet,  Arme 
unentgeltlich  zu  behandeln;  doch  war  ihnen  die  übrige  Praxis  keines- 
wegs verwehrt.  Femer  wurden  sie  bei  Epidemien  und  anderen  Ereig- 
nissen, welche  mit  einer  Zunahme  der  Krankheiten  und  Sterbefälle 
verbunden  waren,  zu  Rath  gezogen;  ausserdem  gehörte  der  medicinische 
Unterricht  zu  ihren  besonderen  Obliegenheiten. 

Von  der  Gemeinde  erhielten  sie  eine  Besoldung,  welche  haupt- 
sächlich in  Naturallieferungen  bestand.  In  grösseren  Städten,  wie  in 
Rom,  bildeten  sie  Collegien,  welche  sich,  wenn  eine  Stelle  erledigt 
wurde,  durch  Cooptation  ergänzten.  Doch  unterlag  ihre  Wahl  der 
kaiserlichen  Bestätigung.  Manchmal  scheint  das  Amt  auch  von  dem 
Vater  aaf  den  Sohn  übergegangen  zu  sein.® 

*  Digest.  L,  tit  IX.  de  decretis  ab  ord.  fac.,  c.  J. 

*  Digest.  1,  tit.  13,  c.  1.  »  Strabo  IV,  1. 

*  Vercoutbe  a.  a.  0.  p.  351.  —  Orelli:  Inscript  lat.,  No.  3507. 

•'•  Marqt'Audt  a.  a.  O.  ^'II.  75.').  ♦*  VERrormE  a.  a.  0.  ß.  821. 


Der  ärztliche  Stund  in  Born,  111 


Unter  der  Regierung  der  Kaiser  Valentinian  I.  und  Valens  (368  n.  Chr.) 
wurden  die  amtlichen  Competenzen  und  Beziehungen  der  Gemeindeärzte 
in  ihren  Einzelheiten  festgestellt.^  Seit  dieser  Zeit  führten  sie  auch 
officiell  den  Titel  Archiatri  populäres,  dessen  Entstehung  jedenfalls  in 
eine  frühere  Zeit  fällt  Das  Wort  Archiater  kommt  schon  bei  Are- 
TAEüs  vor*  und  ist  ofifenbar  nach  der  Analogie  anderer  Ausdrücke 
mit  der  Wurzel  äox  gebildet,  um  die  Würde,  die  höhere  Stellung  zu 
»bezeichnen, ' 

Am  firühesten  scheint  es  zur  Bezeichnung  der  Ärzte  des  kaiser- 
lichen Hofes  gebraucht  worden  zu  sein.  Schon  Stebtinius  Xenophon, 
über  dessen  Lebensschicksale  durch  die  Auffindung  seines  mit  Inschriften 
bedeckten  Leichensteins  vor  Kurzem  interessante  Aufschlüsse  gegeben 
wurden,*  führte  den  Titel  eines  Archiaters,  und  vor  ihm  vielleicht  schon 
iL  Lrviüs  EuTYCHus.*  Ebenso  wurde  der  Leibarzt  Xero's,  Andbo- 
MACHU3,  zum  Archiater  ernannt,  weil  der  Kaiser  damit,  wie  Galen 
bemerkt,  ß  andeuten  wollte,  dass  er  die  übrigen  Ärzte  durch  Erfahrung 
und  Wissen  überrage.  An  einer  anderen  Stelle  gedenkt  Galen  der 
Ärzte  Magnus  und  Demetrius,  welche  zu  seiner  Zeit  die  Würde  des 
Archiaters  bekleideten.^ 

Später  führten  die  Hofarzte  den  Titel  Archiatri  palatini  im  Gegen- 
satz zu  den  Archiatri  populäres,  den  Gemeindeärzten.  Am  Hofe  des 
Kaisers  Alexander  Severus  gab  es  sieben  Ärzte,  von  denen  aber  nur 
der  erste,  der  eigentliche  Leibarzt,  einen  Gehalt  in  baarem  Gelde  bezog, 
während  den  übrige^  Lebensmittel  geliefert  wurden.  Ausserdem 
nahmen  sie  an  allen  Privilegien  und  Begünstigungen  Theil,  welche 
den  Archiatem  und  Ärzten  überhaupt  verliehen  worden  waren.  •* 

Wie  der  Hof  und  die  Gemeinden,  so  hatten  auch  manche  (Je- 
nossenschaften  ihre  eigenen  Ärzte.  Ebenso  wurden  für  einzelne  Be- 
amten-Kategorien, das  Theaterpersonal,  den  Cirkus  und  die  Gladiatoren 
besondere  Ärzte  angestellt® 

Auch  die  verschiedenen  Truppentheile  erhielten  ihre  Ärzte,  die  sie 
ins  Feld   begleiteten   und   die   erkrankten   und  verwundeten  Soldaten 

'  Cod.  Theodos.  XIII,  T.  3.  de  med.  et  profess.,  c.  8— 10.  —  Cod.  Justin. 
X,  T.  .^>2,  c  10. 

•  Aretaeuh:  de  acut.  cur.  II,  5. 

^  G.  CuRTirs:  Gnindzüge  der  griechischen  Etymologie,  Leipzig  1879,  S.  189. 

*  M.  DuBois:  Un  m^ecin  de  Tempereur  Claude.  Bull.  d.  corresp.  helli''n. 
I^si,  No.  7.  8. 

^  R.  Briau:  Archiatrie  romaine,  Paris  1877,  c.  2. 

•  Galbk  XIV,  211.  ^  Galen  XIV,  261. 

*  Lampbidiüb:  Alexander  Severus,  c.  42. 

®  R.  Briai;:  Uaasistance  mMicale  chez  les  Romains,  Paris  18H9. 


112  Der  medicinisehe  Unterricht  im  Alterthum, 

entweder  in  ihren  Zelten  oder  in  den  Lazaretten  behandelten.  Sie 
trugen  WaflFen,  wie  die  übrigen  Soldaten  ^  und  genossen  die  den  übrigen 
Ärzten  gewährte  Immunitat  Über  die  Rangverhältnisse  der  Militär- 
arzt« und  ihre  Beziehungen  zu  ihren  Vorgesetzten  bestanden  genaue 
Bestimmungen.'  An  der  Spitze  des  ganzen  Militär-Sanitatswesens  stand 
vielleicht  ein  General-Sta])sarzt.^  Desgleichen  war  die  Marine  mit 
Ärzten  versehen;  es  gab  darunter  sogar  Specialisten,  wie  aus  einer  Be- 
merkung Galen's  hervorgeht.* 

Ärzte,  welche  sich  durch  ihre  Thätigkeit  hervorragende  Verdienste 
erwarben,  wurden  mit  Titeln  und  Würden,  mit  Bangerhöhungen  und 
anderen  Ehren  ausgezeichnet.  Wie  überall,  so  waren  es  auch  in  Rom 
vorzugsweise  die  Hoförzte,  denen  diese  üunstbezeugungen  zu  Theil 
wurden.*  Müsa  wurde  vom  Kaiser  Augustus  in  den  Ritterstand  er- 
hoben und  seine  Statue  im  Aeskulaptempel  aufgestellt.  Stebtinius 
Xenophon  erhielt  für  seine  Leistungen  als  Militärarzt  von  Claudius 
die  Corona  aurea  und  hastn  pura;  als  kaiserlicher  Leibarzt  erlangte  er 
einen  derartigen  Einfluss,  dass  er  zum  Staats-Sekretär  für  die  griechi- 
schen Angelegenheiten  ernannt  wurde.  Seine  Heimath,  die  Insel  Kos, 
verdankte  es  ihm  hauptsächlich,  dass  sie  von  Steuern  befreit  wurde.* 
In  späteren  Zeiten  geschah  es  nicht  selten,  dass  Ärzte  hohe  Stellungen 
am  Hofe  oder  in  der  Verwaltung  des  Staates  annahmen  und  damit 
wahrscheinlich  ihrer  bisherigen  Berufsthätigkeit  entsagten. 

Der  Verfall  des  römischen  Reiches  erstickte  das  wissenschaftliche 
Streben  und  vernichtete  manche  vortreffliche  Einrichtung,  welche  auf 
dem  Gebiet  des  Unterrichts  und  der  Heilkunde  geschaffen  worden  war; 
aber  die  wesentlichen  Grundzüge  dieser  Organisation  blieben  erhalten, 
wenn  sie  auch  durch  Unverstand  und  Erbärmlichkeit  missbraucht  und 
bisweilen  sogar  in  ihr  Gegentheil  verkehrt,  wurden.  Die  reiche  medi- 
cinische  Literatur,  welche  gerettet  wurde,  überlieferte  der  neuen  Zeit 
die  Errungenschaften  der  alt<»n  und  wies  der  ärztlichen  Forschung  die 
Wege,  welche  sie  wandeln  muss,  wenn  sie  Erfolge  erringen  will. 

^  Aaf  der  Trajans-Säule  in  Rom  sind  zwei  Militärärzte  dargestellt,  welche 
Wunden  verbinden  und  Pfeile  ausziehen  und  dabei  bewafifhet  sind. 

^  K.  Bhiau:  Du  scrvice  de  sante  niilitaire  chez  les  Romains,  Paris  1866. 
^  Achilles  Tatiüs:  de  Clitop.  et  Leucipp.  amor.  IV,  10. 
♦  Galen  Xu,  786.  *  Cod.  Just.  XII,  tit.  18. 

«  Tacitus:  Annal.  XII,  61. 


II.  Der  medicinisclie  Unterriclit  im  Mittelalter. 


Der  Einfluss  des  Christenthums. 

I)iT  rnmischc  SUiatsor^rHiHsniiLs  wurd<*  Uiirrh  schl<'iclii'iMji:  Knink- 
if\[m,  weiche  sein  Lebensmark  ziTstorten^    einem    langen   Sierhihnin 
iführt,  (lem  die   siegreichen  Angriffe  äusserer  Feind**  ein  unnlhm- 

Enrle  Ijereitt^ten. 
Die  Untahiffkeit  luni  Verwurfenlirit  auf  dvm  Tlirom^,  dw  Tfit^Iun^^ 
kr  Rei^ierung  unter  mehreren  einander  luii^sgünstiiren  und  l.»efelidenden 
Machthalw^m,  die  O»rruption   der  Beamten   und   die  Kauf  liehkiit  einer 
ükTmüthi^ren  und  ülH^nnäclitig^'u  Snldateska  untergruben  sein**  politiscfn' 
ühtenz,  wahrend  die  Loekeroni^:  der  Famiiienf>andej  die  Genusssucht, 
Hochmut h  und  die  Verschwendung  der  Peiehen  nel)en  dem  Elend 
tlpr  Miissen,  nnd  die  freche  Schamlosigkeit,  mit  wf^lcher  das  Laster  sieb 
jor  Aller  Augen  zeigte,   das  social^   L(dien   in    Rom   vergifteten.      Die 
hm  Naturvölker  des  Nordens,  welehe  zuerst  als  g(Mlüngene  »Söldner- 
aren,  ilann   als  umworbene  Hp2?'ehtltzer  niul   zuletÄt  als  gebietendi^ 
lem'n    dorthin    kamen,    beschleu?Hgteri    den    Ziist'tzungsprozess    und 
ph'M  dem   durch   innere  Leiden  zerrütteten,   aus  unzahligen  Wunden 
"l»lnt*Miden   tind  verstümmelten   rnmisehen   Keiche    aus  Mitleid    endlicli 
jjon  Tode^sstoss, 

IkT  Maunesmuth  und  Heldensinn,  welcln^r  den  Namen  d<T  Ronier 
Ulf  Uiibm  iiedeckt  und  ihren  Staat  gross  gennicht  batte,  war  erloschen. 
\\*nn  eine  vereinzelte  kühne  That  an  die  Zeilen  der  Vergangenbei! 
irinnerte,  «o  erhellte  sie  nur  für  ^nnen  Augenblick  wie  ein  leuchtender 
iitz  di*»  <limkele  Nacht  der  Gegenwart. 

Der  nach  idealen  Zielen   ringende  Ehrgeiz  suchte  seine  Aufgaben 
ORUgsweiso  auf  dem  (iebiet  der  Theob^gie  und  der  entsagiingsvuUen 
Vümmigkeit^     Diese   Denkweise,    welche    von    den    sittenstrcngeu   An- 
ngern  der  8toa  vorbereitet,  aber  erst  durch  das  Christenthum  allge- 
meiner verbreitet  wurde,  sah  iii  dem  geduldigen  Ertragen  der  Leiden, 


114  Der  medicinische   Unterricht  im  Mittelalter, 


in  der  Enthaltsamkeit  von  den  Genüssen  des  Lebens  die  vornehmste 
und  höchste  Tugend,  die  der  Mensch  anstreben  soll.  Einen  wirksamen 
Ansporn  dazu  gab  die  christliche  Glaubenslehre,  indem  sie  die  Aussicht 
eröfl&iete  auf  ein  Leben  nach  dem  Tode,  in  welchem  alle  Ungerechtig- 
keiten gesühnt  werden,  die  Tugend  ihren  Lohn  und  das  Laster  seine 
Strafe  erhalttm  sollten.  Den  Armen  und  Elenden  dieser  Welt  wurde 
damit  die  Hoffnung  auf  eine  bessere  schönere  Zukunft  gewährt,  welche 
sie  über  den  Jammer  der  Gegc^nwart  trösten  konnte,  den  Reichen  das 
Mitleid  in  die  Seele  geträufelt  und  di(»  Sünder  mit  Furcht  und  Schrecken 
erfüllt  und  dadurch  zur  Besserung  geführt.  Diese  Lösung  der  socialen 
Fraj^e  entsprach  den  Bedürfnissen  und  dem  Culturzustande  jener  Zeit 
und  niusste  sich  daher  allgemeine  Anerkennung  erringen. 

Die  ersten  Anhänger  dvs  Christenthums  gehörten  den  Kreisen  der 
Unterdrückten,  der  Enterbten  an;  später  fand  es  auch  in  den  mit 
Glücksgütt^rn  gesegneten,  sogenannten  höheren  Klassen  der  mensch- 
lichen Gesellschaft  Gläubige,  welche,  angewidert  von  der  moralischen 
Verkommenheit  ihrer  Zeit,  in  den  L(»hren  des  neuen  Evangeliums  Trost 
und  Erhebung  suchten. 

So  lange  die  christliche  Kirche  aus  solchen  Elementen  bestand, 
bewahrte  sie  ihre  Reinheit  und  blieb  die  Religion  des  Friedens  und 
der  Liebe,  welche  ihr  erhabener  Stifter  geträumt  hatte.  Als  ihr  aber 
mit  <ler  zunehmenden  Verbreitung  auch  die  Macht  und  der  Reichthum 
zulloss  und  dadurch  eine  Masse  ehrsüchtiger  und  charakterloser  Streber 
angezogen  wurde,  wurde  sie  zum  Tummelplatz  menschlicher  Leiden- 
schaften gemacht  und  stiftt^te  manchmal  mehr  Unheil  als  Segen. 

Das  Christenthum  beschäftigte  sich  nur  mit  der  ethischen  Erziehung 
des  Menschengeschlechts;  der  wissenschaftlichen  Ausbildung  stand  es 
gleichgültig,  zuweilen  sogar  feindlich  gegenüber.  Es  war  dies  auch 
natürlich;  denn  in  einer  Weltanschauung,  welche,  wie  die  christliche, 
ihre  Ziele  in  einer  übersinnlichen  Welt  der  Ideale  suchte  und  die  sitt- 
liche Vervollkommnung  der  Menschen  für  deren  wichtigste  oder  einzige 
Aufgabe  erklärte,  konnte  der  wissenschaftlichen  Forschung  keine  grosse 
Bedeutung  zugestanden  werden. 

In  direkten  Widerspruch  zum  christlichen  Dogma  aber  trat  die 
letztere,  wenn  sie  die  Erscheinungen  der  Natur,  z.  B.  den  Körper  des 
Menschen,  welchen  der  christliche  Glaube  für  unrein  und  werthlos, 
wenn  nicht  verächtlich  erklärte,  zum  Gegenstande  ihrer  Studien  machte. 
Die  Naturwissenschaften  und  die  theoretische  Medicin  haben  daher 
unter  d(»r  Herrschaft  der  christlichen  Kirche  keine  wesentlichen  Fort- 
schritte gi^macht.  Dagegen  verdankt  die  praktische  Heilkunde  ihrer 
Anregung  die  Gründung  zahlreicher  Krankenhäuser  und  anderer  Wohl- 


Der  Einflu88  des  Christetühuvis.  115 


thätigkeitsanstalten,  welche  die  Humanität  wie  die  arztliche  Heilkunst 
in  gleichem  Maasse  forderten. 

Die  Entwickelung  der  Wissenschatten  wurde  in  jener  Zeit  auch 
noch  durch  andere  Verhältnisse  und  Thatsachen  gehemmt,  üie  be- 
standigen Kriege  und  Raubzüge  feindiichtr  Volksstämme,  die  religiösen 
Verfolgungen  und  dogmatischen  Streitigkeiten,  die  durch  die  Unsicher- 
heit des  Besitzes  und  des  Lebens  hervorgerufenen  socialen  Verände- 
rungen und  die  schweren  Seuchen,  welche  die  Länder  entvölkerten  und 
in  Wüsteneien  verwandelten,  lenkten  die  Aufmerksamkeit  von  den 
wis5k»nschaft liehen  Studien  ab  und  nahmen  den  Gemüthern  die  dazu 
«erforderliche  Ruhe. 

Al)er  die  wichtigste  Ursache  des  wissenschaftlichen  Stillstandes  lag 
darin,  djuss  die  Völker,  welche  das  Reich  der  Römer  unter  sich  theilten, 
ihnen  an  Bildung  bei  weitem  nachstanden  und  daher  zunächst  die 
Aufgal>e  hatten,  deren  Cultur  in  sich  aufzunehmen.  Dieser  Prozess 
dauerte  Jahrhunderte  und  fand  eigentlich  erst  am  Knde  des  ilittelaltc^rs 
seinen  Abschluss. 

Die  Theilung  der  römischen  Monarchie  in  eine  östliche  und  eine 
westliche  Hälfte  gab  dem  alten  Gegensatz  zwischen  dem  Orient  und 
dem  Occident,  der  niemals  gänzlich  verschwunden  war,  wieder  einen 
deutlichen  politischen  Ausdruck.  Damit  begann  aber  zugleich  die  Auf- 
irisung  des  grossen  Staatsorganismus,  von  dem  nun  ein  Glied  nach  dem 
anderen  getrennt  wurde.  Die  losen  Beziehungen  der  Provinzen  zur 
<Vntralgewalt  in  Rom  oder  Konstantinopel  erleichterten  deren  Loslösung. 
Die  germanischen  Stämme,  welche  die  Völkerfluth  aus  dem  Norden  und 
Osten  gegen  Süden  und  Westen  trieb,  machten  sich  in  ihren  neuen 
Wohnsitzen  bald  heimisch  und  gründeten  neue  Staaten.  Als  das  5.  Jahr- 
hundert zu  Ende  ging,  geboten  die  Ostgothen,  denen  später  die  Longo- 
l>arden  folgten,  in  Italien,  die  Westgothen  in  Spanien  und  dem  süd- 
westlichen Frankreich,  Burgunder  und  Franken  im  Osten  und  Norden 
dieses  Landes,  während  angelsächsische  Stämme  nach  Britannien  über- 
setzten, und  die  römische  Provinz  Afrika  eine  Beute  der  Vandalen 
wurde.  In  Germanien  blieben  sächsische,  bayerische,  allemannische  und 
fränkische  Stämme  zurück,  und  die  Herrschaft  der  Byzantiner  wurde 
in  Asien  von  den  Persern,  in  Europa  von  den  (lothen,  Hunnen  und 
Slaven  mehr  und  mehr  zurückgedrängt. 

Die  Eroberer  behielten  einen  grossen  Theil  der  politischen  und 
socialen  Einrichtungen  bei,  welche  sie  in  den  von  ihnen  unterworfenen 
lindem  vorfanden.  Es  war  dies  ein  Triumph,  den  die  höhere  Cultur 
der  im  physischen  Kampfe  UntiTlegenen  über  die  geringere  Bildung 
ihrer  Sieger   feierti».     Die   letzteren    erkannten    die   grossen    Vortheile, 


116  Der  fnedicinisohe  UnterrieM  im  Mittelalter, 


welche  ihnen  aus  der  Bereicherung  ihrer  Kenntnisse  erwachsen  würden, 
und  sorgten  daher  dafür,  dass  die  Scliulen  und  Unterrichtsanstalten 
soviel  als  möglich  erhalten  wurden. 

Der  civilisatorische  Einfluss  der  Könier  hatte  sich  in  allen  Theilen 
des  Reiches,  namentlich  aber  in  der  we^stlichen  Hälfte  desselben,  geltend 
gemacht.  Zahlreiche  Bildungsstätten  in  Gallien,  Spanien,  Britannien 
und  Nordafrika  gaben  davon  Zeugniss.  Die  literarischen  Leistungen  der 
römischen  Schriftsteller,  die  aus  diesen  Ländern  stammten,  zeigen,  wie 
erfolgreich  jene  gewirkt  haben.  ^ 

Nach  dem  Muster  der  höheren  Unterrichtsanstalten  zu  Athen, 
Alexandria  und  Rom  entstanden  Hochschulen  sowohl  in  den  Ijändem 
des  Orients  als  in  verschiedenen  grösseren  Städten  Italiens,  Galliens 
und  Spaniens,  2  an  denen  neben  der  griechischen  und  römischen  Lite- 
ratur, Grammatik,  Geschichte,  Philosophie,  Rhetorik,  Jurisprudenz, 
Mathematik,  Physik  und  Astronomie  zuweilen  auch  Medicin  gelehrt 
wurde.  Ihre  Organisation  war  in  vielen  Beziehungen  ähnlich  derjenigen 
der  englischen  Universitäten.  Sie  wolltim  nicht  so  sehr  für  einen  be- 
stimmten Beruf  vorbereiten,  als  eine  alles  Wissen  ihrer  Zeit  umfassende 
Allgemeinbildung  bieten. 

Die  Professoren  dieser  Hochschulen  wurden  auf  öffentliche  Kosten 
besoldet  und  genossen  Immunität,  Steuerfreiheit  und  andere  Privilegien. 
Ihre  Zahl  war  beschränkt  und  richtete  sich,  wie  diejenige  der  Archiatri, 
nach  der  Grösse  der  Stadt.  An  der  Hochschule  zu  Konstantinopel, 
welche  im  5.  Jahrhundert  n.  Chr.  gegründet  wurde,  waren  31  Profes- 
soren angestellt.^  Ausser  den  von  den  Stadtbehörden  oder  der  Regie- 
rung (»mannten  Professoren  scheint  es  noch  Lehrer  gegeben  zu  haben, 
welche  gleich  unseren  Privatdocenten,  ohne  bestimmten  Gehalt  zu  em- 
pfangen, die  Lehrthätigkeit  ausübten.  Söhne  wohlhabender  Eltern 
wurden  häufig  von  Pädagogen  zur  Hochschule  begleitet,  die,  halb  Hof- 
meister und  halb  Bediente,  in  den  meisten  Fällen  dem  Stande  der 
Sklaven  oder  Freigelassenen  angehörten. 

Die  Lehrer  bezogen  von  ihren  Schüleni  ein  auf  Vereinbarung  be- 
ruhendes Honorar.  Da  dasselbe  eine  wesentliche  Quelle  ihres  Einkommens 


»  MoMMSEN  a.  a.  0.  Bd.  V,  S.  69  u.  ff.,  100  u.  ff.,  176  u.  ff.,  643,  655  u.  ff. 
—  Gibbon:  Geschichte  des  Unterganges  dos  römischen  Weltreiches,  übers,  von 
J.  Si'OiisciuL,  Bd.  I,  S.  59. 

^  F.  C&aher:  Geschichte  der  Erziehung  und  des  Unterrichts  im  Altcrthum, 
Elberfeld  1832,  Bd.  I,  S.  477  u.  ff. 

"  J.  C.  F.  Bahr:  De  literarum  universitate  Constantinopoli,  Heidelberg 
1835.  —  Saviqny:  Geschichte  des  römischen  Rechts,  Bd.  I,  S.  396. 


Der  EHnfluss  des  Ckristenthmm.  117 

bildete,  so  musste  ihnen  viel  daran  gelegen  sein,  recht  viele  Schüler 
zu  unterrichten. 

I)jis  Studentenleben,  welches  sich  in  Kom  und  Athen  entwickelte, 
glich  in  manchen  Beziehungen  dem  unserigen.  Die  Studierenden  ver- 
einigt-en  sich  nach  ihrer  Heimath  zu  landsmannschaftlichen  Verbindungen, 
suchten  dafür  die  neuen  Ankömmlinge,  die  „Füchse",  mit  allen  Mitteln 
der  Überredung,  der  LLst  und  manchmal  sogar  der  Gewalt  zu  gewinnen, 
feierten  Trinkgelage  und  Schmausereien  und  Hessen  gelegentlich  der 
ül>erschaumenden  Jugendlust  die  Zügel  schiessen.  Auch  an  tollen  und 
übermüthigen  Streichen  und  beklagenswerthen  Ausschreitungen  fehlte 
•*s  nicht. 

In  Antiochia  kam  es  vor,  dass  die  Studenten  einen  Pädagogen, 
der  sich  ihr  Missfallen  zugezogen  hatte,  in  eine  Decke  hüllten  und 
dann  so  lange  in  die  Luft  schleuderten  und  wieder  auflingen,  bis  er 
ohnmächtig  wurde.  Der  Philosoph  Libanius,  der  damals  dort  eine 
Lehrkanzel  hatte,  hielt  deshalb  seinen  Schülern,  welche  sich  wahrschein- 
üch  an  diesem  rohen  Spass  betheiligt  hatten,  eine  Strafrede,  in  welcher 
er  sagte,  „es  sei  schon  schlimm  genug,  wenn  sich  Studierende  an  ge- 
wöhnlichen Bürgersleuten  vergreifen,  einen  Goldschmied  beschimpfen, 
einen  Schuster  necken,  einen  Zimmermann  stossen,  einem  Weber  einen 
Tritt  versetzen,  einen  Krämer  herumzerren,  oder  einen  Ölverkäufer  be- 
drohen; wenn  sie  al)er  sogar  einen  Pädagogen  misshandeln,  so  sei  dies 
eine  Beleidigung  eines  der  ehrenwerthesten  und  nützlichsten  Stände 
und  verdiene,  dass  sie  dafür  mit  dem  Stock  und  der  Peitsche  gezüchtigt 
würden".  1 

Übrigens  waren  die  Studierenden  strengen  Gesetzen  imterworfen. 
Nach  einer  Verordnung  Valentinians  (370  n.  Chr.)  mussten  sie  beim 
Beginn  ihrer  Studien  Zeugnisse  der  Obrigkeit  ihrer  Heimath  vorlegen, 
worauf  dann  ihr  Name  und  ihre  Wohnung  und  der  Stand  der  Eltern 
in  ein  öflentliches  Verzeichniss  eingetragen  wurde.  Es  war  ihnen 
unUTsagt,  ihre  Zeit  in  Vergnügungen  zu  vergeude».  Wenn  sie  diese 
Gebote  übertraten,  so  setzten  sie  sich  körperlichen  Strafen  aus  und 
konnten  von  der  Schule  entfernt  werden.  Der  l^räfekt  der  Stadt  er- 
stattete alljährlich  einen  Bericht  über  die  Fähigkeiten  und  das  Jk'tragen 
der  Studierenden  an  die  voi gesetzte  kaiscTliche  Behörde.^ 

Mit  dem  20.  Lebensjahre  sollten  die  Studien  beendet  sein.  Es 
scheint  also,  dass  man  ziemlich  früh  damit  anfing.     In  der  ITdschlich 


*  LiBANiüs:   Orat.  et  decluinat.  ed.  J.  ,J.  Ueiske,  Altenburg  1795,  T.  II  f, 
p.  254.  259  (/rc^  roü  tdnrfTOf;). 

»  Cod.  Theodos.  L.  XIV,  T.  1,  1. 


118  Der  niedicinisehe  UnterricJU  im  Mittelalter, 


dem  SoRANUs  zugeschriebenen,  aber  jedenfalls  auf  alten  Quellen  be- 
ruhenden Isagoge  in  artem  medicani^  wird  das  15.  Jahr  als  die  ge- 
eignetste &it  für  den  Beginn  der  niodicinischen  Studien  erklärte  Der 
Verfasser  sagt  bei  dieser  (i(^l(^genheit,  „dass  der  Studierende  fleissig, 
talentvoll  und  scharfsinnig  sein  müsse,  damit  er  schnell  begreife  und 
lerne,  und  dass  er  (^inen  kräftigen  Körper  brauche,  damit  er  die  ihm 
bevorstehenden  Anstrengungen  ertragen  kann".  Ferner  wird  von  ihm 
verlangt,  dass  er  eine  wissenschaftliche  Vorbildung  besitze  und  in  der 
(rrammatik,  literaturgeschichte,  Rhetorik,  Mathematik  und  Astronomie 
unterrichtet  worden  sei.  „Der  Arzt",  heisst  es  weiter,  „muss  Milde  und 
Bescheidenheit  mit  der  geziemenden  f]hrenhaftigkeit  verbinden,  einen 
unantastbaren  Charakter  besitzen,  darf  nicht  hochmüthig  auftreten  und 
soll  die  Armen  wie  die  Reichen,  die  Sklaven  wi(^  die  Freien  in  gleicher 
Weise  behandeln."  — 

Die  medicinischen  Vorträge,  welchi»  von  gelehrten  Theoretikern, 
den  latrosophisten,  wie  sie  genannt  wurden,  an  den  Hochschulen  ge- 
halten wurden,  besUmden  in  philosophischen  Betrachtungen  und  tief- 
durchdachten ErörtiTungen  verschiedener  Fragen  der  Physiologie  und 
Pathologie;  aber  sie  genügten  nicht,  um  d<»n  Zuhörer  zur  Ausübung 
der  ärztlichen  Berufsthätigkeit  zu  befähigen. 

Diesem  Theile  der  ärztlichen  Erziehung  wurde  von  den  Archiatern 
und  überhaupt  von  den  praktischen  Ärzten,  welche  Unterricht  in  der 
Heilkunst  ertheilten,  in  einer  zweckmä«sigeren  und  wirksameren  Weise 
entsprochen. 

Die  Sophisten-Schulen  und  höheren  Lehranstalten  verlangten  kein 
bestimmtes  religiöses  (ilaubensbekenntniss  von  den  Lehrern  und  Schülern. 
An  ihnen  unterrichteten  Heiden  und  Christen,  und  in  ihren  Hörsälen 
drängten  sich  Anhänger  verschiedener  Kirchen  und  Sekten.  Xur  unter 
der  kurzen  Regierung  Julians  wurden  die  Christen  vom  Lehramt  an 
den  heidnischen  Schulen  ausgeschlossen. 

Schon  damals  wurden  schwache  Versuche  unternommen,  um  das 
Christenthum  von  der  Bildung  der  Heiden  zu  emancipiren;  aber  erst 
ein  Jahrhundert  später  gelang  es  den  Bestrebungen  eines  Salvianüs, 
Pritdentius,  Orosius  u.  A.,  eine  Lit<»ratur  mit  christlichem  Inhalt  zu 
schaflFen,  welche  sich  auf  die  Schriften  des  alten  und  neuen  Testaments 
stützte.  Die  Gleichgültigkeit  und  Verachtung,  welche  die  Leuchten  der 
christlichen  Kirche  gegen  die  geistigen  Schöpfimgen  der  Griechen  und 
Römer  kundgaben, ^  die  Einseitigkeit,  mit  der  man  sich  bei  der  Aus- 

^  Val.  Ro8e:  AnecdoU  graeca  et  graecolatina,  Berlin  1864,  H,  p.  169. 244  u.  ff. 
*  Archiv  f.  Geschichte  ii.  Literatur;  herausg.  v.  F.  C.  ScnLOfSEB  u.  Behobt, 
1,  S.  253  u.  ft. 


nl  di?8  Stoffes  auf  die  jüdisch-cbrisHichf  Überlieferung  be^ohmnkte 
und  die  tendenziüso  Entstelloni,^  d^r  CiJilturerruTisT^enschafteri  des  AlkT- 
bums  gdh*'i\  ilios«*n  literarisrlu'n  PifMliiktni  vm  sölir  imvorthrilliaftes 
liebt  und  iTkläron  es,  wenn  aat'y^eklärt«'  Zeitg<»nos8en^  die  nicht  in 
«ligiüson  Voriirtlieilen  liefangen  Wiiren,  darin  leinen  Fortschritt  in  der 
^IBtelHtuelien  EntwiekeUiniLf  des  meiiHhliclM-n  Uisrhlrclits  rrblirkten» 
AVenn  der  Kampf  zwischen  dt^r  cliristliehen  und  der  iintiki'n  Bildung 
Alt  ikn  Waffen  des  GeisU*s  entiiJchiiHlen  worden  wän\  so  musste  er  die 
fVrk'^p'nheit  der  letzteren  dartliun;  aljer  er  wurde  bald  auf  das  Ge- 
ht^t  ivr  pulitischen  Macht  vi'ri<»i^t,  wo  d**r  Siej?  Pcttij^ni^n'n  zutallt, 
^tt*l<:ber  der  Stärkere  kt 

Ab  die  Christen,    nachdem  sie  Julirliunderte    Inndureh   von   den 

Ifiridm  rerfolgt  worden  waren^  die  HiTrsnfmffc  im  Staat  erlangt^»«,  be- 

'ipinneii  sie    ihrerseits,    üire   einstigen  Bedrücker  zu  verfidgen.     Eifrig 

beffiöhtY  die  Wurzeln,  mit  welchen  die  Menschheit  an  der  heidoiselien 

Jirfifangenhelt  hing^  auszugn*ben,  Ix'kämpften  8ie  das  auf  dem  Studium 

liliT  Alten  )>enih<*nde  ünti*rnchtssyst<'tii   und  sucfit^'u  es  in  ihrem  Sinne 

Urozuge^jtalten,  damit  es  eine  mit  dem  christlichen  Dogina   \ei'einhare 

llnrni  erhielt.     Wenn  man  damit  nicht  zum  Ziel   kam,    su    f^nill    man 

Ijur  <iewalt  und  hob  die  LrhransLaltvn  auf.    Durch  liu  Edikt  Jnslinians 

m  Jahre  529    wurden    die    [diilositpbijscln'n   Schulen   xu   Athen   und 

lAleiandria    ges<'blosscn.      Die    letzten    griecliiseheii    Philosfiidu^i     ver- 

en  ihre  Ueiniath  und  sinditm   in  der  Fn^mde  Schutz  und  geistige 

wiiieit 

In  Konstanünupel  und  anderen  Orten,  uumenthch  in  (hm  Ländern 

ib  W**stensi  wurden  die  Musentempel  in  rhristhchc  l'ntenitbtsanstalten 

n^ewandeit.    in  denen   das  Studium    d^^r  Religinn    die   massgebende 

lle  erhielt.    Die  tieistlichen  füjernahmen  rlie  Leitung  th^r  Erziehung 

I  wurden  die  Vertreter  der  WksenschutL     Da  ihnen  aber  der  reli- 

i(i$e  Glaube  das  huchste  Gesetz  war,  so  wurden  der  Forschung  Grenzen 

"gtstcHrkt,  welche  sie  nicht  üliei'scbn'iteu  durfte. 

In  den  Schulen,  welcln^  an  den  Bisse hi*tksirzen  und  bei  dt»n  KlösÜM'n 

vnUtanden,  wurden  nicht  blos  Tbeuhigie  und  Kirchen gescbiclit^',  sondern 

ile  Wissenschaften  gehdirt,  weh-b**  theils  zur  Allgemeintdldung  ixehnrten. 

nU  für  <las  tägliche  Leben  brauchbar  und  nützlich  erschiein^n.    Auch 

die  Heilkunde   w*urde   hfluüg  in  den  Kreis  der  UuterriehtsSgegenstande 

ogen;  namentlich  beschäftigte  man  sich  in  dt*n  Schulen  des  Orients 

hmit 

Dt  hl.  Bkkedikt  fülirtr  diese  Einrichtung  dann  auch  im  Abi^nd- 

ttde  ein   und   regte  die  Mitglieder  des  Ordens,    den    er   stiftete,    zu 

diciniHchen  Studien  an.     Auch  ('Assinrnuj  empfahl  d^^n  Miuichen,  in 


deren  Kloster  er  sieh  mruckfifezogen  batte^   nachdem  er  als  Hinü 
des  Ostg^tthenkOnig^  Theodorich  viele  Jahn*  hindurch  eine  herrorragend 
Rolli»  im  politischen  Lel>en  g^e'^pit^U  hatt^s    di**  Bes^häfliirung   mit  d^» 
Heilkunde    und   gub   ihnen    ausfuhrliehi*   Rathsi^hhige,    wrkhe    medicij 
nischen  Schriftsteller  des  Alterthum»«  sie  ihren  Studien  zu  Grunde  leg 
sollten«  ^ 

Sehr  eifrig  wurde  die  Medicin,  wie  es  scheint,  in  den  Schulen 
der  Nestorianer  ^pfle^.  Hohe  (leistliehe  dicker  Sekte  worden  w»^gi*n 
ihrer  ftrrtliehen  Tüehtierkeit  gerahmt   und  von  den   Fürsten  zu  RatlJ 

Die  Unterrichtsanstalten  der  Xestorianer   waren  eingerichtet  wi»j 
die  Schulen   des  hl.   Oriuines  zu   Alciandria.*     Als   Lehrer   an   den- 
selben wirkten   auch  Andersgläubige,   s^gar  H»*id**n,    naturlich    nur  tal 
den  profiinen  Wissensichaflen.    Die  Schüler  mussten  für  den  Unterricht) 
ein  Honorar  zahlen,  das  manchmal  nicht  unbedeutend  war.    Das  I^chr- 
geld  für  arme  Schüler  »ihlte  die  Kirche,  welche  ihnen  aiisserdem  noch 
I  rnter^tütximfen  gewährte. 

Die  bekanntesten  Lehransl^Uttin  bestanden  zu  Edessa,  Nisibis.  S*^- 

leucia  und  Dorkena;   später  wurden  auch  in  Bagdad«  Mesena,  Hir 

^Hati^tha,  Jemama  und  anderen  Städten  Syriens  derartige  Schulen 

gründet.*  Manche  warten  sehr  besucht;  Sisibis  cählte  einmal 804) Schuld 

tirun  denen  einzelne  bis  ^m  Italien  und  Afrika  kamen. 

Als  die  NestorianiJii^hen  (ielehrt^^n  durch  den  religiösen  Fanatismu 
der  bjiantintschen  Kaiser  aus  Edessa  vertrieben  wurden,  flüchteten  m 
Vtmm.   wa  m  w^eenüich  zu  dem  Auf^^chwunge  beitrugi^n,  den 
WisBens^afteiif  besonderK  die  Heilkunde,  an  der  Schule  von  <io»> 
(ilisapur  erfuhren.     Die  ersten  Anfönge  den^lben  reichen  riel  leicht  bis 
a.  Jahrhundert   zunick;^   ihre  Hiüthezeit   erlebte   sie   unter   Kesira 
f QSi'hirran  «im  sechsten  Jahrhundert. 

Dieser  Monarch  war  ein  gründlicher  Kenner  der  griechi^^chen  Lite- 
'mlur  und   wvihlwollender  Beschdlier  aller  wiarienfrtiimieiwn   Bentri^ 
iMD^m.     Bei  ihm   fanden  di#  Tertriebdnen  K^loflttlir  dmdbe   herz- 
liebe Aufnahme  wie  die  Philot^ophen  ron  Athen:  in  der  glehAen  Wet^ 
Mid  (Brderte   er   die  |üdi$chen  und  syrischen  Gelehrten, 
den  P^TSeni  di**  rnltur  d»*r  Uneehen  ü^»ennift*lt»n.     1t  <rhirUe 


^  CAVKiMa:  Institut,  divizu  iecL  I,  c.  Sl. 

*  XmmLkMt:  Biblk>tbl^c«  Orientalin  Rom  llt^  Ell,  pmn  t,  pu  laa. 

*  Anciuxi  «. «.  O*  m,  pftn  S,  p.  919  II.  C 

*  Ammiuxi  a.  m.  O.  Ill,  ^mn  %  p.  92C 

^  X  IL  Scsrtjs:  De  Goodisapom  Pen«r«Bi  4|«oadia 
icmL  PHn^fkolÜ.  I7SL  XIU^  p.  4ST  «.  £ 


Der 


Ohristenlkutns. 


12! 


mixi^n  LaibaTTt  Bitrzweih  nach  Indien,  damit  d0f8en>e  die  dnrtige 
Hrilkun»it  können  lerne  und  Arzneien  und  inrdiciniHche  Schriften  mit- 
hnngfs  und  stellte,  als  er  mit  d^^iii  bvzantiniseln^n  Kaiser  Frieden 
schloi^,  die  Bedingung:,  das«  ibm  der  Arzt  TMiiin^rs .  mis  Palftstinu, 
eiiii»r  df^r  berühmtesteu  Pniktiker  seiner  Zeit,  auf  ein  Jahr  üherlassen 
würdf. 

In  OoudisÄpur  beifihrti^n  sich  das  ahendlärnüsi^lie  Wissen  und  die 
Wewheit  den  Morien  binde?*,  liier  trat  die  t,'riechisL"he  Mediein  in  Ver- 
btnduns^  mit  der  Heilkunst  dw  PerstT  mi<l  Jndier  und  diese  Vermäli- 
liiii^  barg  in  sieh  die  Keimi^  zu  di^ni  Aufseh wuiic:^,  dtn  diese  Wissen- 
schaft unter  den  Arabeni  erfuhr» 

Der  mediciniiiche  Unterricht  an  den  Schulen  zu  Uendisapur  wurde 
hauptsächlich,  wenn  auch  nieht  auss(diliesslieh  von  den  Xesturianisehen 
Gelehrten  ertheiltv  Kr  war  nieht  ldc>s  thei^retii^eli,  sondern  vorzut^sweise 
prafeiib^cher  Xatur  und  fan<i  im  Kriinkenlniuse  statte  ^  Das  letztere  Idiel» 
auch  unter  der  ambischen  Herrsehüft  erluiUen  und  wurde  nueh  zu  Kndr 
de«  lehnten  Jahrhunderts  erwäiint. 

Die  medicinisehe  Wi^ssensehaft  miu^hte  in  der  Periode  des  Verfalls 
de«  romi8C5hen  Eeiches  und  der  darauf  folirenden  Zeit  keinr  hemerken.s- 
werthen  Furtschritte,  Die  Erziihun*:  der  Ärzte  war  im  A 11  f^'^ni einen 
wenijft^r  zweck uiilssig  als  früher.  Es  fehlte  an  manchen  yortretiliehi'n 
Ki'  *  'Jen,  welche  den  medicinischi^n  l^ntrrricht  bri  d+n  llomeni 
ers  J  hatten. 

Sie  anatomischen  Studien  wurd<m  hauptsächlich  nach  Hik'hern 
l»etrielien.  An  die  Zer^diedt^ninp:  mi*nsclilichpr  Leiclu^n  war  bei  den 
rpligifiüen  und  socialen  Vonirtheilen,  weicht'  darin  eine  8chandunj,^  der 
Meßüchen würde  «ahen,  nicht  mehr  zu  denken.  Sogar  die  Sektionen 
thierbicher  ('adaver  waren  nicht  immer  mofj^lich;  denn  sie  brachien 
deii  Forscher  mindestens  in  rlie  Uefahr,  für  einen  Zauberer  gehalleu 
m  werden,' 

Das  anatomische  Wissen  erfuhr  daher  nur  wenige  Bereicherungen, 
fcra  denen  die  Entdeckung  des  Ollactoriu.s  als  eines  seUjslsständigen 
Nerven  und  die  liChre,  dass  die  Kntwiek<dung  der  Schädelknoch^'n  und 
der  WirhelHauie  von  der  Bildung  de^s  Gehirne  und  Kückenmarks  al>- 
hange^  vielleicht  allein  Erwähnung  verdienen.^ 

Die  anatomischen  und  physiologischen  Schriften  Galen's  bildeten 


' üAin  a.  a.  O.  HL  pat»  2,  p.  940  o.  C 
Ä)M  i.RjijM  MADAUReKBi^:  Apolo^a,  C^  81». 
*  TiiBcintiLL's  PtioT<j(irATiJJLUKBt   De  forp.  hiinittti,  CtibrictL  «d,  A.  Greeuldllf 
Eford  IMt,  p.  139.  151. 


122 


Der  medkmUclie  Untmriehi  im  MilMalkr, 


<He  Gnmdla^'e.  dos  Unt-errichts  in  fliesen  Uc^^rnständi'U,  Das  aimto 
Wissen^  welches  derselbe  dort  tiiedergelept  hatt^,  erfiiUte  nach 
MeiTiiiiiLr  der  Arzte  j^^ner  Zeit  die  hofh^tiTi  AnlnrdiTün^^'n,  welt-li 
ihre  Kenritiiissi/  auf  dii*setn  Urftid,  ^rslrllt  werden  ihirftni.  Die 
siiltute,  zu  weleheu  t*r  l>ei  seinen  aiijitoini8ehen  llntersuchaniyen  gel 
war,  s(*hieneji  ihnnu  wi^An  einer  Uerichti^mn^^  n<jeh  einer  Kruäm 
lieili'nrii!^^  zu  sein, 

Den  Ldeiehen  Uhurakfer  drr  Vollrndung  schrieben  sie  iWn  pljv 
l(j^i?>ehen  'rhenricn  (iA1;kn's  im,    iJrr  leleoluLrisnuis.  wivhiheni  rr  huidi 
nnct  die  aulrichüg(^  Bewunderung^  der  ^^ütt liehen  Allmaelil  und  Web: 
der  er  bei  jeder  (ieh^^enheit  Ansdruek  gjib,    bewegten    sieh    anf  < 
\\n\\v\\  \\vY  thristlichfii  Autltasstini,'   und    landen    daher  bei   d<'n   eh 
licln^n  Uelt^hrU'n  willkunimene  Anlnahmi'.    Diesen»  Urastand**  verdanll 
es  Ualkn  zum  irrossen  Theib-,    dass    sein**  Werke   vun   den    nnt   I 
tiücdii-r   llnitalitiit    j^ep'n    die    Uterarischrn   Denknirib*r   d<*s   AltfU'th 
wnthenden    Theusiiphen   der  ehri.stljehen    und    islamitischen   Am   iii 
vrrniehb'K    sondern   sur!;:liilt!^  erhalten  und  eitriuf  studiert  und    \v» 
verbreitt*t  wunl^n. 

Waliriiul  di<"  Ihenn'tijJeheM  l)is<M|dinen  tb*r  Medirin  /.um  Stillst 
verurtheilt  win*den,  rrotlmi^*  sieh  dru"  finiktisehen  Jleilkund«*  durch 
tiriindun;,'  vun  Krankenhäoseru  die  Aussieht  auf  eine  erfulj^reiehe  wi 
schal tiiofit'  Ht*arbeifcun!L(.  Die  WuhlthalijLrkeitsanstaltt'n.  weicht'  die  eh 
heb<'  Niirbstt'nliebr  ins  Lebern  rirf,  lM*t"n  (icle^ftiihHit  zur  Heobm'hUing  ., 
vun  Krankheiten  und  Deidrn  aller  Art  und  erleiehterten  es  den  ArzlJ|H 
sieh  in  ihrer  Kunsl  aus/ubild-n  und  Krl;diruntrf^*n  /n  siunundn, 

Wrnn  niiin  brli;Mi|ih'l  hitt,  dass  di<'  Irnindnii^'  »db'ntlicIjMr  \W 
spiUiler  einzitr  ^md  jdlein  \nm  rbrislenthum  au^^n^gangen  H4*i,  m 
dies  frei  lieh  nitdit  riehtii;.  Sehnn  die  Buddhisten  kannten  ih*ra; 
Anstahf^nJ  und  dir  lalrri^/r»  d<'r  ^^ritrhisrhin  \i%h\  bcstuidrrs  diejeni^i% 
wrlrdio  auf  otlrnflirbe  Kosten  unterhalten  wurden,  waren  ^ewis»  im 
Wt'stiitliefM'U  nidits  Antl^^res  als  öifentlirhc  KrankeniiäuNcr.  I>i<*  VaK 
tuilinarit^n  drr  Hnmrr,  wi'lelie  ITir  tli»*  Skbivrr»  und  i\W  Snidaten  eingp- 
ri(^htet  wurden,  unterseh ied**ri  sirb  d;iv<ni  vielleicdlt  nur  dadureh,  da»? 
sie  für  liestimnitt*  Klassen  der  H(^vnlk/uiin*:  bi'sttnnnt  wan*n»  Die 
Spanier  fanrh'n.  als  si(>  nach  der  Kntdeckun^'  Amerikas  nach  Meiikii 
n«ii,  auch  ftnrt  Spitäler,  ih'rien  m  sogar  grossem»  Lob  »pnndet*^«,* 
hat  daher  Herlir,  wenn  er  saj^t»  ,^chiss  je«le  (*ultur,  welche 
fijH    /w    MJni'ni    y'Hwis^iMi    M;»ji^s«'    nnbb'H    und    »'in»»  nndir 


arffl^ 


Hl 


LH. 


l%v  iH}\\i\mnX  uf  Mcxlro,   f. Uu   lsi;a,  2,  Auli,  1,  p.  20. 


Form  der  Gt\^ollschjtrt  hcrstHllt,  i-nUlich  auch  7MT  Orfmdimg 
ninkerianstalteij  filhnm  winl*'* 
Das  unbe,str«'itl>aro  Venlitnist  des  rhrisrrnthiuns  über  ist  i\s,  rlir 
|dt»r  Verborgenht'it  j^lrihindpn  Funken  vvhtt^r  M^^nsrhenliphp  zur  hellen 
imtne  der  Beer^isterung  an2:i'tm'ht  7M  Irnhvu.  Kebn^  an<Ji're  Relit^inn. 
pm*  pi»liti>*rho  oder  Süeiale  Matiit  Imt  soviel  fnr  dif*  Hnmiinitiit  ^n-. 
isH  und  treschaffV»!!,  wie  das  rhristenthuni.  Wo  sieh  dassMllH*  ver- 
^»itete  und  Anhan^tT  gewann,  wurden  Werke  der  Harmhrrziijkeit  ^'efi!>t 
der  WohUhfiri^'kHt  Tem|)el  errichtet. 

Di«'  aus.<erord«'ntlleln*n  Krfolffe,  wt'lrhi*  die  ehrisilidie  Keli^'ion  in 
engten    Jahrhunil*Ttrn    nach    ilirer    Ent^tehunix    errani^,    h(/ruht<^n 
berlich  xum  grossen  Theile  auf  den  huinanitaren  Ideen,  die  es  ver- 
date,   AUiTdinirs  hat  auth  dä<  Alt«  rtlunn  Thaten  dfT  MensehcnlielM^ 
fiirgidinicht,  welche  die  Bewuntl^rnni,^  herausiurdi'rn;  aber  sie  waren 
vi»rt*iim*lt  und  erzielten  keine  nachhaltig«*  Wirkung'.    Das  diristen- 
1     tr  die  humanitären  Bestrelningen  drr  Einzrln^^n  und  irah 
iLikeit  einvn  eollrftiven  Austlrut-k. 
IlHiS   Alterthum    sah    in    dem   Sklaven    ein    mit   riw  mensehüehen 
prache   hecrabtes  Thier,    ein   zur  Ausb«'utuiiir   bestimmtes   Besitzthnm: 
iliristi-nthum  konnte  die  Sklaverei  zwar  ni<Oit  absrhaffen,  aber  es 
dwh  anf  die  arich  im  Sklaven  vorhandene  Mens<;henwärde  hin. 
<*Ai'«>  jLrab  den   Landwirthen  den  Kalh,  sie  mm'hten  die  alten  und 
anken  ^Sklaven   v<*rkaufen.    wie    das  Kindvieh,    das    nieht   nifhr   zur 
it  tauglich  ist,   und   das   alte  Eisen,*    Viele  Herren  jagten  ihre 
Haren,  wenn  hie  durch  Krankheit  oder  Alter  erw**rbsuntahi^'  ^Hw^ird^Mi 
irf'ii.  aus  dem  Hause,  sodass  der  Kaiser  Claudius,  um  diesem   rnfuti^ 
!^t<'qern,  die  letzteren  in  die^^em  Fall  für  frei  f^rklären  Uess,^ 
Das  ('^hristenthum  predifrte  Mitleid  mit  den  Unterdrückten.  Unter- 
öteiti)^   der  Armen    und  Hiltlosen    und    Htle^e    iler   Kranken.     Viel»» 
iKBfr  (iläubii^'cn   gaben    ihn*  Besitzthümer  den   Be^lurtYigen  ndcr  der 
ßn'ie,    damit    sie    davon  Almosen   s|)ende.     Die   Kirche   zu  Hom   £(e- 
brtf  im  3.  Jahrhundert  loOtJ  Armen  den  täglichen  Unterhalt/  und 
ii'ji'iiige  zu  AntiöChia  ernährte  deren  zur  Zeit  de.^  hl.  (^HRVsosTtiMi  s 
icr  8000.  * 

Die  Errichtung  der  christlichen  Armen-  und  Krankenhäuser  und 
Jerer  Woblthatigkeitsanstallen  scheint  im  Orient  begonnen  zu  haben. 


*  VtftLitow:  über  Ilüspitäli^r  um!  Tjazarettie  in  seiiwii  geai*mmelteii  Abhaiüb 
llmigen,  BerÜn  1679,  It,  8.  8. 

'  Cato:  de  re  rudt,^  i\  *J.  ^  Suetom:  Ülnudius^  c.  25. 

*  KrtiEBtt^»:  Hbl,  eceles.   \^1,  4a*  ^  CimvttrwT. :  bom.  *a;  in  Miittiu 


124 


Der  imdmnisehe  Onierrwht  im  MiäekUier. 


In  (iriechtjulüod  wurden  die  Sklaven  hej<»er  und  menKchlicher  lH»hand 
als  in  jedem  anderen  kinde  der  antikin  Welt;^  hier  fanden  Arme 
l'Venidr   sclitHi    XU    dfn   Zeiten    d«^s   HritinithuiTis   in   drn    X^mumIhH 
trriHidliche  Autnahnu'  niid  ürzllicht»  Pllci,^  wenn  hu*  erkrankten. 
Chri^t^ntbum   organisirte  dann  die  Ausübung  der  WohUhätitrkeit 
rief  Aüstaltf^n   ins  Leb«*n,    wf'lrh»'   in   solcher  Grr«<»e   und   Ausdehnu 
vurhtü  iiiumals  existirt  hatten. 

Die  vom  hl.  Basilu«  (370—79)  js'egründete  Anntalt  zu  Ca 
glich  einer  Stadt;  sie  enthielt  zahlreiche  \Vrthniin<ren  für  Arme  ud3 
Kranke,  wurde  vnrtreffljth  !or**h*iti^t  und  hatt<5  besondere  Arzt«'  und 
Krankenwärter  in  ihrem  Dienst^  (irkgob  vok  Nazuxz  nennt  Aim 
Anstalt  5,den  Schatz  der  Frunimigkeit^  wo  die  Krankheit  eine  Schul»* 
der  Weisheit  wird,  wu  das  Elend  sich  in  <jlück  um^'c?italtet^**^  EAq^si^ 
erhielt  L  J,  375  ein  Htj!<pita),  welche-s  mit  MH\  Lagers tätt4?n  versehen 
wurde.* 

Nach  di(»sen  Vorbildern  entstanden  auch  an  anderen  Orten  Klein- 
anien^  sowie  in  Alexandna  und  Konijtantiuopel.  ähnliehe  Anstalten  für 
lieidende  und  fiebre<hliche.  In  Rom  wttrd»%  wie  der  hl.  HiF.K<»?fYMC:j 
erzählt,  das  erste  christliche  Krankenhaus  von  der  NVittwe  Fahioto, 
welche  vmu  tiem  alten  iieschlecht  der  Fabier  abstammt4:%  zu  Ende  des 
4.  Jahrhunderts  gegröndet^  Ihrem  frommen  Beispiel  foljorten  m^im 
reiche  Privatleute,  und  die  Errichtung  von  WohlthäticrkeitÄanfttalten 
_wurde  bei  «len  vornehmen  römischen  Oamen  Mode.  J*>denfaü«  brachte 
der  Men^^^bheit  mehr  Segen,  wenn  die  hl.  Paula  ein  H*iJsjiital  er- 
[itu,  als  wenn  sie  ihre  Tochter  zur  beständigen  Jmir  ':  tfl  v«r- 
ttitheilte,  obgleich  »ie  dafür  vom  hL  Hixleoüymv»  mit  >i  l  eiaer 

Schwiegermutter  Gott<^  l^lohnt  wurde^  wie  Gibbok  erzahlt* 

Auch  an  aaderen  Orten  Italieiifi,  sowie  in  Gallien  un<l  Spanien 
wurden  Kranken-  und  Armeahäiisef  errichtet,  Dit  Bischof  HM»na 
¥on  Herida  (573—606),  ein  Clolhe,  gründete  ein  Hospital,  in  welchem 
Ghrklen  wie  Juden,  Sklaven  und  Freie  Aufnahme  (iinden,  und  b«-^timmte, 
dlBi  die  Uäifte  aller  Geschenk'*,  wiche  die  Kirche  *  rlu*lf    <lte^rr   Vn- 


ntn€^H 


«  KoftOKo  a.  a.  O.  V,  290.  _ 

'  Gma»m  tom  Kaisaki:  OnU.  Anelw.  in  ISasIL  u.  Orat  de  {laiiperinil 
—  BAaur«:  ^p«t  94, 

*  C,  Saamm:  Dm  l>ftigetlicfce  GcaeJbtiialt  ia  ^cr  allrtaii«dicu  W<  It  tiiid 
Um^t^taMma^  dmtA  da»  ChtwieBikmm,  Impng  1057,  &  246. 

*  E.  CmjkMtmLz  Die  diriülklir  Bmiailmiijgtfit  in  4r9  cnCen  JahrhundtTtcri 
fibtfi.  r.  Wtcwnpi,  ll*raliari:  IBM,  &  '^ 

HtBmmwmm:  E|iw  77,  Ed,  VmllanL 
a.  a.  O.  TU,  eifL  37. 


Der  Einfhtss  des  ChrUtmihmns, 


125 


Mt  glsgl^beIl  wurde.  Den  Ärzten,  welche  dort,  angestellt  wurden,  l>e- 
bU  er*  in  der  Stadt  umher  zu  g:eheti  und  die  Kranken  einzuhiden, 
ßh  diesem  Hause  hrin^^en  zu  hissen.  Das  Hntpl-Ditr'u  zu  Lyun 
i.  J.  542  von  Childeliert  J.  gestiftet  und  stand  unter  der  Auf- 
loht Ton  Ijiien.^ 

Die  Kirche  erklärte  die  Krank<'npllepre  für  ein  fjottgeJTilliges  \\  i/rk. 
Die  Gläubigen  wetteiferten  daher  miteinander,  den  Leidenden  zu  helfen, 
ond  scheuten  dabei  selbst  vor  den  nie*irigsten  und  unanij^enehiusten 
Verriehlungen  nicht  zurüek.  Fabiola  trug  die  Kranken  auf  ihren 
imeQ  zum  Lager  und  wusch  ihnen  die  Wunden  aus,  welche  Andere 
kiitm  aiuuschauen  vennochten.-  Die  Kaiserin  Placilhi  Auj^rnsta  ver- 
OeIiMc-  in  den  Spiti^ilern  die  Dienste  einer  Magd.^ 

ine  aufnpferun|^v*dl*^  Thätigkeit  entfalteten  die  Christen  hei  den 
Kpidemien,  welche  in  jener  Zeit  die  Menschheit  heimsuchten, 
Ab  Im  2).  und  4.  Jahrhundert  ansteckende  Seuchen  in  Alexandria 
Carthagü  wiltheten,  nahmen  sie  sieh  der  Kranken  uhne  Tuter- 
ied  <les  reli^noseri  (jlauhi'ns  an,  plle^^ten  sie  untl  bestatteten  die 
TWten.  *     Viele  wurden  dabei  seihst  von  der  Seuche  ergritten  und  er- 

Mft  Heldenmuth  der  Liehe,   welchen   <lie  Chrif?t«^n    bei  derartigen 
Ad^enhiäten  zeigten,  erfüllte  auch  die  Andersgläubigen  mit  staunen- 
der Bewundenmg.     Selbst  Julian,    iler   eifrigste  (iegner   des  Christen- 
Umitig,    lit^ss  ihrem  wühkhätigen   Wirken  diese  Anerkennung  zu  Theil 
wia^den.     „Wir  sehen »^  schrieb  er,   „was  die  JVinde  der  Giitter  stark 
nucbt,    ihre  Menschenliebe  ^e^^n   die   Fremdlinge    und   Annen,    ihn? 
"^^TL'fiill  für  die  Tüdten  und  ihre  wenn  auch  gemachte  Heiligkeit  des 
s***     Er  fühlte  sich  dadurch  bewogen,  das  Beispiel  der  Christen 
neu,  unii   l»e.sehloss  in  aUen  Städten  Huspi taler  zu  errichten. 
.    -.  den  Krankheiten  erregte  namentlich  der  Aussatz,  unter  dessen 
Kanen  eine  Menge  von  Hautleiden  verschiedener  Art  zusammengefasst 
wnnlmi,  damals  die  üflentliche  Aufmerksamkeit.    Die  Aussätzigen  wurib^n 
mgmv  ihres  abschreckenden  AusM^hens  von  ilen  Leuten,  sogar  van  ihj'eii 
€ig«iieD  Verwandten   und   Freunden  gemieden  und   wegen  der  (Jefahr 
dfT  An?steckujig,  der  man  sich  aussetzte,  gefürchtet. 

Die  Christen  erbarmten  sich  auch  iliet^er  üngläckhchcn  und  gaben 
ham  m  den   Ho>ipitälern   Unterkunft   und  PHege.     Der  hl.  Basjliu« 


<.\  F.  JIi:u8i»i;t:it  im  J^uim  [,  S*  772   n.  ft'. 

*  Tiieoih/uft:  Hi»t.  eccleß-  V,  19. 

•  Ei*^E»jres.-  Hist.  ecdci.  VU,  22.  IX,  8.  —  Soäombjicis:  Hkt  oocle«,  V»  16, 


126  Der  msdieinisdie   Unterricht  im  Mittelalter, 


,,umarmte  sie  wie  Bruder,  nicht  weil  er  mit  seinem  Mathe  prahlen 
wollte,  sondern  um  Denjenigen  ein  Beispiel  zu  geben,  welchen  er  ihre 
Pflege  anvertraute."^  Er  räumte  ihnen  eine  besondere  Abtheilung  in 
seiner  Anstalt  zu  Caesarea  ein. 

In  Konstantinopel  wurde  ein  Spital  nur  für  Aussatzige  bestimmt,* 
und  in  Italien  entstanden  an  vielen  Orten  die  Leprosen-Häuser  früher, 
als  die  Anstalten  für  die  übrigen  Kranken.^  In  fYankreich  gab  es 
schon  zur  Zeit  des  hl.  (tregor  von  T<jür8  (560)  Aussatz-Häuser,  und 
in  einer  Testaments-Urkunde  v.  J.  636  werden  Anstalten  dieser  Art 
in  Verdun,  Metz  und  Mastricht  erwähnt.*  Hundert  Jahre  später  sam- 
melte der  hl.  Othmar  die  Aussätzigen  von  den  Feldern  bei  St.  Gallen 
und  richtete  ihnen  ein  Spital  ein. 

Ausser  den  Armen-  und  Krankenhäusern  schuf  die  christliche  Liebe 
auch  Anstalten,  in  welchen  altersschwache  Greise,  Krüppel,  Blinde,  arme 
Wöchnerinnen,  Waisen  und  verlassene  und  ausgesetzte  Kinder  aufge- 
nommen und  verpflegt  wurden.  Das  Aussetzen  der  Neugeborenen 
wurde  allerdings  schon  unter  Valentinian  verboten;  aber  die  socialen 
Misastände  hielten  diesen  verl)recherischen  Gebrauch  aufrecht.*  Im 
5.  Jahrhundert  kam  in  einigen  Städten  (jralliens,  z.  B.  in  Arles,  l'rier, 
Macon  und  Ronen,  die  Sitte  auf,  die  Kinder,  deren  man  sich  entledigen 
wollte,  vor  den  Thüren  der  Kirchen  niederzulegen.  Die  Geistlichkeit 
nahm  sich  der  armen  Verlassenen  an  und  liess  sie  erziehen.  Die  ersten 
Findi^lhäuser  sollen  zu  Trier,  Angers  und  Mailand  entstanden  sein.® 

Leider  äusserte  sich  die  Fürsorge,  welche  die  Christian  den  Kranken 
und  Hilfsbedürftigen  widmeten,  nicht  immer  in  diesöl:  edlen  und  ver- 
nünftigen Weise.  Unverstand  und  Aberglaube  deuteU^n  die  Worte  des 
hl.  Jacobus:^  „Ist  J(»mand  krank,  der  rufe  zu  sich  die  Ältesten  der 
Gemeinde  und  lasse  sie  über  sich  beten  und  salben  mit  Öl  im  Namen 
des  Herrn.  Und  das  Gebet  des  Glaubens  wird  dem  Kranken  helfen, 
und  der  Herr  wird  ihn  aufrichten",  dahin,  dass  die  Hilfe  des  Arztes 
überflüssig  sei,  und  die  Kraft  des  Gebetes  allein  genüge,  um  den  Kranken 
gesund  zu  machen.    Damit  kehrte  man  wieder  zurück  auf  jenen  theur- 


^  (tbboou  V.  Naz.:  orat  VII  l  a.  a.  (). 

'  Ditanoe:  Conatantinop.  Christ,  Paris  1680,  IV,  165. 

*  McRATORi:  Antiq.  ital.  med.  aevi,  T.  I,  Dissert.  16. 

*  R.  ViBCHOw:  Zur  Geschichte  des  Aussatzes  in  Vircuow's  Archiv,  Bd.  20, 
Berlin  1861,  S.  169. 

'  Leckt:  Sittengeschichte  Europas  von  Augustus  bis  zu  Karl  dem  Grossen, 
Leipzig  1870,  II,  20  u.  flf. 

*  Chastel  a.  a.  0.  8.  53.  138. 

'  Neues  Testament,  Epist.  Jacobi,  c.  5,  v.  14.  15. 


Der  Einflu88  des  Chriatmihums^ 


127 


en  Standpunkt,  von  dem  aus  die  Krankheiten  als  Strafen  Gottes 
erscheiDen.  die  nur  durch  Bussübun^en  und  Gebet«^  beseitigt  werden 
eo. 

Wie  einst  zu  den  Aeskulnp-lVuifutln,  so  kanum  jetzt  die  Lridtiiden 
die  christliehen  Kirehen,  um  vuii  den  Priestern  Rath  und  HiliV  zu 
Glückliche  Erfolge,    deren  Ursaeh**  man    der  Fürbitte  eine» 
n  zuschrieb,   hattyeu   einen  vennehrten  Znhujf  vroi  Kranken  zur 
So  entwickelte  sich  namentlich  in  Kircheu,   in  denen  rlju  (je- 
der Heiligen  ruhten,  ein  Cultiis,  welcher  sieh  vi»n  dem  Aeskulaj»- 
ist  fiist  gjir  nicht  unterschied.^ 

Die  Kranken  brachti^n  durt  ilie  Näclite  mit  FEtsieo  und  Beten  /Ji 
iler  Hoffnung^  dass  ihnen  der  Heilige  im  Traume  uder  wahrend  des 
\s  erscheinen   und   die  Heilmittel   ungcbeu    werde,    welche    ihre 
mg  herl>eizufuhren  sreei^niet  wsiren,  und  <lie  i^riester  erklfirten  die 
acinationen  und  TraumbildtT  der  Patienten,  schrieben  die  Kr/iih- 
n  der  i^dücklieheu  Kur^n,  welche  stattfambii,  nierler  und  sorgten 
r,  diüis  »Üc  Krinnerun^^  daran  ilureh  bildlicbe  Durstellungen  der  ge- 
lten Kürpert heile,  welche  in  dt^ii  Kirchen  niedergelegt  wurden,   bei 
Im  Gläubigen  fortdauerte. 

D\v  Verehrung,  welche  d<^n  ^Iilrtyrern,  die  für  ihren  (ilaubeu  den 

W  erhtten  hath^n,  gez(»ll(  wurd*\  führte  schon  sehr  fnib  dazu,    djLs,s 

'    '     neu  eine  grosse  Heilkraft  zu ge-sehr leben  wurdo,    Üie  Kranken 

„:  :.       /iHung  von  ihren  Lriden  zu  iinden,  wenn  sif  tlen   Leichnam 

dinalben  oder  Ciegenstäiide,  welche  von  ihnen  herrührten,  ansrhauen 
vfcr  berühren,  ihr  Grab  besucben,  oder  den  Staub,  der  da^^seltie  be- 
^fckte.  geniessen  durften,  Amulette  und  Wunder  spielten  in  der  Heil- 
kumle  der  ChriFten  A)rtan  eine  hervurragimde  Rolle. 

Die  ni)'8tisclirn  S<diwärmereien  der  Neuplntoniker  und  Neup^tbat'-o- 
llfT,  welche  ein^t  abä  Watten  im  Kamide  ^j^egi^n  die  ehristlicho  Kirche 
wnrendet  worden  waren,  fanden  nun  Eingang  in  deren  Hallen.  Unter 
ikn»iii  Schutz  konnten  sich  Betrug  und  Aberglaube  auf  einem  Krbiet 
pkrnd  machi'U,  wo  von  dir  W'ahrheit  nicht  idus  der  Fortschritt  der 
Wissenschaft,  sondern  auch  di**  tJesundheit,  oft  sogar  das  Leben  der 
XeQSi'hen  atdiängt^ 

Die  niedicinische  Literatur  j^ner  Periode  trug  den  (Jharukter  der 
üuselbststandigkeit.  Arm  an  originellen  Ideen,  untahig  zn  eigenen 
Pöiwhungen,  begnügti'  man  sich  damit.  Das,  wiis  die  vorangegangenen 
Zeiten  geschaflen  batten,  zu  sammeln  und  zu  gedrängten  Auszügen  zu 
lerari^iten. 

'  Aiif.  Marionan:  La  m^deciDc  dans  IVf^lise  au  dmume  aiMo,    Pnris  lö8T. 


128 


Der  fmämnüuAe   VfUerrkht  im  MiUMU&t. 


Die  praktischtm  Ärzte  vt^rtan^teii  Hrcejitbüeher,  welche  d<»m 
liehen  BtHiürfniss  t-ntsprachon.  Diesi^r  Art  waren  die  8c*hrift4^n 
Qi^rNTrn  Skiuints  SAMiixrtTs,   Sexttts  PLAcrrrH  Papyrknsls^   VikiI 

CIAKUS,     MaüCKLIAts     EMflHlCLS,      Lt^CIlTS     ApITLI-UOS.     CaH81ÜS     Fe 

Theodorus  PßisciANüs  IL  A..  die  lateinischen  Übersetzungen  eirixel 
Worke  der  Hippüknitiker,  des  Dk^skorioks,  (Ialen  und  Sokancs 
die  Compilatioiien  aus  Pijnius,  ('aelii:s  ArRELTAM«  n»  A.    Sie  zeigf 
in  ihrer  Sprache,  wie  in  ihrem  Inhalt  den  nisehen  Verfall  des  ^m 
schaftlichen  (iiistes,  welelier  rliPse  Peri<")ii  ki*nnzeic'hn«*t. 

W^^rthvoller   und  gidmltreiclier  waren  liie  literarisrh«"n  Leistung 
der  Griechen  auf  diesem  Gebiet;  doch  konnte  man  auch  hier  erkenn« 
dass  diH  seho[)feriscb<*  Kraft  des  AltiTthiims   j^esehwiinden  war     Anoi 
für  die  Gi'iocben  galt  das  Urtln-il,  welchl^s  «Irr  l'hilosnpli  Lox(UNi> 
3.  Jahrhundert    über  «eine  Zeit|2fenos8en    fallt«':    „Gleich   wie  Kindl 
deren  zarte  Glieder  zu  sehr  eint^^ecn^^^t  woi'd*^n  sind»  Zvvitl'^'  hleiln^n, 
ist   uui^er    zärtlicher,    durch  Vorurtheile    und   die  Ge\V(»hnheiten  eiuil 
verdienten  Sklaverei  gefesselter  (teist  unffihi^,   sich   ait^^zudehnen  uq 
jene  Grösst*  zu  erreichen,  die  wir  an  dm  Alten  bewnnderu.*'* 

Im  4.  Jahrhundert  legte  Ouiuasii  s  auf  Wunsch  und  Befehl  At 
Kaisers  Julian,  de^ssen  Leil>aRt  und  Fn?und  er  war,  eine  Sammlufl 
von  Kxcerpten  aus  den  wichtic^sten  Schriften  der  bedeutendsten  \\\A 
cinischen  Autoren  des  Alterthnms  an,^  welche  er  mit  manchen  inU^ra 
santcn  Zusätzen  bereicherte.  Nach  dem  gleichen  Plane  stellte  Akt 
im  6.  Jahrbunflert  eine  Meng«'  von  Abhaudlun*::en  über  die  einzelne 
'Fheile  der  Heilkunde  zusammen.  Da  viele  derselben  v(m  Är/ten  hu 
rühren,  deren  W^^rke  verloren  ^e^angen  sind,  und  darin  manch»'  Thi 
Sache  bericlitel  wird,  welche  man  sonst  nirgenils  erwähnt  tindet, 
bildet  diese  Sammlnnpr  eine  unschätzbare  Quelle  nicht  blos  für 
Geschichie  der  itcdicin,  sondern  auch  für  diejenige  der  Phib»*5opli 
und  anderer  Wissenschanpu.  Leider  wird  die  Benntzunpr  dersellM 
sehr  erschwert,  wenn  nicht  unmiitdich  gemacht  durch  den  l^mstan 
dass  der  griechische  Text  des  Werkes  bisher  noch  nienuils  VftllstrnnH 
gedruckt  worden  ist. 

Um  dieselbe  Zeit  wie  AftTirs^  leide  auch  ALhx.woKu  i  kamjam^ 
weichen  Fheini»  dem  HiceoKitATEs  und  AiunwKrs  an  die  Seite  stellt! 
Seit  langer  Zeit  der  erste  Arzt,  der  originell  im  Deuken  und  Hände 
war,  rief  er  die  Erinnerung  an  die  grosse  Vergangenheit  «1er  griechische^ 


'   LoNuiKüs:  Dp  .'«ubliin.,  c.  A4   niicU  Gibbon, 
'  Sie  wunle  von  Cir.  Daksmiikiig  mit  UnlerBtiitxung  der  hwsaUSi^  \ 
berausgegebun.     i  Paris  1851—76.) 


wieder  wach.     Sein  Lehrbuch  der  speciellen  Pathologie  und 
ipie   der   inneren    Krankheiten,    welches   von    mir   herausgegeben 
den  istj  enthält  eine  Fülle  von  ärztlichen  Beobcichtnogen  und  Er- 
krangen,  die  er  in  seiner  lansyährigen  Praxis  gemacht  hut,  und  lässt 
dem  Autor   einen  Mann  erkennen,    der   ein  richtiges  Urtheil   mit 
lichein  Wissf-n  verkinfl 

Dem    7.  Jahrhundert    gehört    das    von  Fauli-s   aus   Aegina    mit 

Selbstständigkeit  ver&tsste  Compendiiim   der  gesammten   Heil- 

de  an,  welches  namentlich  in  seinen  chirurgischen  Abschnitten  von 

Wt^rth  ist,  weil  darin  die  operativen  Leistungen  der  Chirurgen 

Zeit  austuhrlieh  geschildert  werden.^ 

Die  medicinischen  Schriften  der  Byzantiner  trugen  fast  ohne  Aus- 

den  Stempel  der  Obertlächlichkeit  und  bestanden,  wie  die  Werke 

HKLKTtr»,  Theophanes  Nonnus,   Simun  Seth,  N1KETA8,   Deme- 

rs  pEPAGOMEKUS,   NiooLAiTs  MyiiEPsis  u.  A,  zum  grossen  Theile 

kritiklosen    rompilationen    und    Reueptsammlungen.     Daneben   ent- 

kelte  sich  eine  encyklopädische  Riclitung,  welche  in  PHf^Tius,  Micuaeij 

tiUB  u.  A.  ihre  Vertreter  fand  und  auch  in  den  Origines  des  Bi- 

hof8  Isnmft  von  Sevilla  und  den  Elementa  philosophiae  des  Mönchs 

:da  zum  Ausdruck  kam. 

Die   Encjklopädisten   durcheilten    im    Fluge   alle   Wissenschaften, 

Sprachen  von  Gott  und  der  Welt,   von   Himmel  und  Erde,    begannen 

nüt  der  Theologie  und  schlössen  mit  der  Kochkunst    Auch  die  Medicin 

wgm  sie  in  den  Kreis  ihrer  Betrachtung;   doch   lieferten   sie   selUm 

inekr  als  ein  Verzeichnis»  von  Namen   für  Dinge,   die  sie  selbst  nur 

wenig  kannten. 

Einen  würdigen  Abschluss  erhielt  die  Medicin  der  Byzantiner  durch 
FfANKEs  AcTüAHirs,  dcssen  Schriften   über  den  Kam   und  über  die 
kysiologrie  und  Pathologie  der  Seele  sich  nach  Inhalt  und  Form  den 
en  Utenirischen  Leistungen  der  Griechen  anschlössen,^    ,,Dem  letzten 
ckern  einer  ersterbenden  Lichtflamme  gleich*^  wie  Haeskk  sagt^ 
chien  er,  kurz  bevor  die  Türken  den  ruhmreichen  Namen  der  Griechen 
Jahrhunderte  auslöschten  aus  der  Geschichte  der  VCdker, 
Wenn  man  die  geistige  Thätigkeit  jener  Periode  überblickt,  so  darf 


'  Tn.  PrwTHMAKK:  Alexander  von  Tralles,  Originaltext  und  Übersetzung, 
Wit>ri  1978'7Ö,  2  Bde.  Auf  S,  108— 286  der  Einleitung  dazu  findet  man  eine 
Dirstpllnng  der  wissenscbaftlicben  Leistungen  und  Verdienste  des  Alexander 
TnlJiatius. 

'  F.  Adams:  The  seven  books  of  Paulus  Aegineta,  London  lö44— 47. 

•  J,  L,   Idbleb:    Phyaici    et    raedici    Graeci    minores,    Berlin    1841/42,    I^ 
J812-386.  n,  1  —  193.  353—403. 
TvfcwMjkMift   Untvrrlclii.  '  9 


Die  arabi^e  Oultur, 


131 


Die»*»r  rnu^tand  »*iwohl  als  die  Pflege  iinii  Ausbildung,  welche  «ie 
in  Folge  dw^en  erfuhr,  erklären  es,  dass  sie  die  Sprache  der  (gebildeten, 
Gelehrten    wurde.     Sie    ^wann    für   die   mohammedanische  Welt 
Bedeutung,  welche  die  kteinisehe  Sprache  für  da.^  christliche 
r  hatte. 
AÜmälig  wuchs  au^  ihr  eine  reiche  Literatur,  eine  blühende  Tultur 
or,  deren  Gebiet  wie  ein  breiter  Gürtel  fast  die  Hfüftc  d*T  damrils 
nnten  f>fle  iimfasöte.     Indier  im  Osten,  Gothen  in  Spanien,   Ar- 
ier und  Tartaren  am   kaspischen   und  Äthiopier  am  Ausgange  des 
irn  Meeres,  nahmen  mit  der  Religion  auch  die  Sprache  der  Aral>er 
\llerdings  behielten  diese  verschiedenen  Nationen  für  den  volkn- 
imlichen  Verkehr  ihre  eigene  Sprai^he  hei,  und  aui^nahmsweise  lie- 
auch  diese  einmal  ein  literarisch^^  Produkt,  das  sich  indessen  nur 
\  die  F«»rni  der  Buchstaben  von  der  arabischen  Literatur  uiit^'r- 
in  seinem  Inhalt  aber  den  gleichen  Geist-,  die  gleiche  Denkweise 
te, 

Dat^  arabische  Volk  hat  zu  Dem*  was  wir  die  arabische  Kultur 
n,  vielleicht  nur  wenig  l>eigetTagHn.  Die  Wurzeln  dersePinn  sind 
1  den  Persem,  den  Griechen  Kleinasiens  und  Alexandnas  und  in 
fndi»"D  zu  suchen;  an  ihrer  Entwickelung  betheiligten  sich  fast  alle  den 
.Vrabem  unterworfenen  Völker  von  den  Saiilen  de«  Herkules  im  West*^n 
hl«  lu  dem  M<»ere  der  Finstemiss  im  fernen  Osten,  wie  die  Araber  den 
indischen  Ocean  nannten. 

Während  der  ersten  Decennien  ihres  weltgeschichtlichen  Auftretens 

KU  sie  mit  Thronstreitigkeiten  und  EroVienmgskriegen  so  sehr  U^- 
[ligt,  dass  sie  für  die  Künste  des  Friedens  nur  wenig  ilusse  fanden, 
fo  waren  „die  Tage  der  Unwissenheit*',  Bekannt  ist  die  von  Abulfarait' 
tMfrichtet^  Anekdote,  dass  Omar,  als  er  nach  der  Einnahnn*  Ab'xandrias 
aefragt  wurde,  was  mit  den  vielen  Büchern  geschehen  solle,  die  sich 
durt  Iwfanden,  geantwortet  habe:  „Entw«Hier  enthalten  diese  Schriften 
Ihis  was  im  Koran  steht,  und  dann  sind  sie  übertlüssig;  oder  sie  ent- 
halten andere  Dinge,  dann  sind  sie  schädlich.  In  beiden  Fällen  müssen 
üie  vertilgt  werden-^*  Mögen  dieser  Erzählung  auch  keine  Thatsacheu 
IQ  ftrunde  liegen,  mögen  die  Irerühniten  Bibliotheken  der  Pt^b'mäer 
^hon  früher,  wie  es  historisch  feststeht,  grosstentheils  dem  Feuer  und 
der  Zerstftningswnth  eines  fanatisirt.en  Christenpöbels  zum  Opfer  ge- 
k|JdleQ  '^in,  immerhin  kennzeichnet  sich  darin  der  Geist,  welcher  die 
~«rsl«n  arahii^chen  Er^^yorer  beseelte. 


•  ABITLFULAGIX78:  Higt  djnast.  ed,  Pococke,  Oxon.  1672,  p.  114.  —  v.  Uajimer- 
PrwjsTALL:  LiteraturgeBchidite  der  Araber,  Wien  1850,  Bd.  I,  Einl  S.  XXXVIIL 

9* 


132  Der  medioinüche   Unterricht  im  Mittelalter, 


Erst  als  die  politische  Herrschaft  der  Araber  gesichert  war,  erst 
unter  der  Dynastie  der  Ommajaden,  zeigten  sich  höhere  geistige  Be- 
strebungen. Der  Khalif  Muawija,  welcher  seine  Residenz  in  Damaskus 
aufschlug,  gründete  dort  Schulen,  Bibliotheken  und  Sternwarten.  Er 
liess  ausländische  Gelehrte,  namentlich  Griechen,  an  seinen  Hof  kommen 
und  übertrug  ihnen  die  Ausführung  wichtiger  Arbeiten;  sogar  die 
Moscheen  wurden  unter  der  Leitung  griechischer  Architekten  und 
Künstler  erbaut. 

Die  griechische  Geistesbildung  gelangte  theils  von  Aleiandria  aus, 
theils  durch  die  Vermittelung  der  Syrer  und  über  Persien  zu  den 
Arabern.    Auch  die  Medicin  wählte  diese  Wege. 

In  Alexandria  bestanden  im  7.  Jahrhundert  mehrere  ärztliche 
Schulen,  in  welchen  der  Unterricht  nach  Galen's  Werken  ertheilt 
wurde.  ^  Unter  den  dortigen  Lehrern  der  Heilkunde  befand  sich  Al- 
KiNANi,  ein  christlicher  Arzt  arabischer  Abstammung,  welcher  sich 
später  zum  Islam  bekehrte.  Er  scheint  wesentlich  dazu  beigetragen  zu 
haben,  dass  die  medicinischen  Studien  und  der  ärztliche  Unterricht 
von  Alexandria  nach  Antiochien  und  Harran  verpflanzt  wurden.*  Um 
dieselbe  Zeit  lebte  der  Grieche  Theodocus,  der  als  Leibarzt  des  Hed- 
schadsch,  des  blutgierigen  Statthalters  von  Irak,  eine  einflussreiche  Stel- 
lung einnahm,  als  medicinischer  Schriftsteller  durch  seine  vortreflFlichen 
diätetischen  Vorschriften  Beifall  erntete  und  als  Lehrer  der  Heilkunde 
mehrere  Schüler,  wie  z.  B.  den  Fobat  Ben  Schannatha,  einen  Israe- 
liten, zu  berühmten  Ärzten  heranbildete.'  Der  Prinz  Chalid  Ben  Jazid, 
welcher  von  Makianus,  einem  christlichen  Mönch,  der  vorher  wahr- 
scheinlich als  Lehrer  an  der  medicinischen  Schule  zu  Alexandria  ge- 
wirkt hatte,  in  der  Heilkunde  unterrichtet  wurde,  liess  sich  vom  älteren 
Stephanus,  einem  Griechen  aus  Alexandria,  medicinische,  alchymistische 
und  astronomische  Werke  aus  dem  Griechischen  ins  Arabische  über- 
setzen. Dies  waren,  wie  der  Verfasser  des  Fihrist  sagt,  die  ersten 
Übersetzungen  aus  einer  fremden  Sprache,  welche  unter  der  Herrschaft 
des  Islams  angefertigt  wurden. 

In  Kleinasien,  wo  der  Hellenismus  schon  seit  der  Zeit  des  grossen 
Alexander  von  Macedonien  einen  massgebenden  Einfluss  besass,  den  er 
auch  unter  den  politischen  Wechselfallen  der  römischen  Periode  zu 
behaupten  wusste,  hatte  die  griechische  Literatur  viele  Freunde  und 
Verehrer  gefunden.     Gelehrte  Nestorianer,   welche  an  der  Schule  zu 

*  L.  Lbclebc:  Histoire  de  la  mödecine  Arabe,  Paris  1876,  I,  p.  SB  u.  ff. 
'  V.  Hammeb-Pübostall  a.  a.  0.  Bd.  H,  S.  194.  —  Fbeikd:  Hist  medicinae. 
Venet  1735,  p.  89. 

'  Leglkbc  a.  a.  0.  I,  p.  82. 


lebe 


Lehrthstigkeit  ausübten,  übersetzten  die  Schriften  des  Art- 
dem  Griechischen  ins  Syrische*  *    Schon  früher  hatte  man 
e  'Tbersf'tzungen  des  neuen  Testamente  und  anderer  theologischer 
toke  angefertigt    Die  Nestorianer  setzten  diese  verdienstvolle  Thätig- 
auch  fort,  als  sie  in  Persien  Unterrichtsanst^lten  gründeten  und 
der  Schale  zu  Gondisapur  eine  erfolgreiche  Wirksamkeit  entfalteten, 
irigens  waren  sie  nicht  die  Einzigen,  welche  derartige  .^Ixheiten  iint^r- 
len* 

Auch  die  Mitglieder  anderer  Religionsgenossensehaften  und  Sekten 
ben  sich  auf  diesem  Gebiet  Verdienste.  Mehrere  Jakobiteii  machten 
ebenfalls  als  Übersetzer  bekannt,*  anter  ihnen  namentlich  Sergiüh, 
am  Hofe  Ke^ra  Nuschirwans  lebt-e.  Er  war  der  Frt-und  des 
ischen  Geschichtsschreibers  Agathias,  mit  der  griechischen  Sprache 
vertraut  als  mit  der  syrischen,  durch  Gelehrsamkeit  ausgezeichnet 
und  der  beste  Übersetzer  seiner  Zeit®  Von  ihm  wurden  mehrere  me- 
-Ijcimsche  Werke,  denen  er,  da  er  Arzt  war,  sein  besonderes  lnter*^se 
widmete,  aus  dem  Griechischen  ins  Syrische  übertragen,  z.  B.  einzelne 
Schriften  des  Hipihjkrate«;  femer  schrieb  er  Erklärungen  zu  Art- 
5.TDnELBö  und  ergänzte  das  medicinisehe  Compendium  des  Alexandrini- 
<hen  Arztes  Ahkün.* 

Die  zahlreichen  jüdischen  Gelehrtt-n,  welche  sich   in   Syrien   und 

n  niedergelassen  hatten,  vermittelten  nicht  blos  die  Bekanntschaft 

it  der  hebräischen  Cultur,  sondern  düri'ten  auch  zur  Verbreitung  der 

lechischen  Literatur,  besonders  auf  dem  Gebiet  der  Medicin,  beige- 

in  haben.     Das  Unterrichtswesen  der  Juden  war  vortrefflich  orga- 

und  ihre  Hochschulen  zu  Tiberias  in  Palästina,  zu  Sepphoris  und 

in  Syrien  und  zu  Sura  und  Pumbeditha  in  Persirn  erlangten 

Ruf.* 

rch  die  Übertragung  griechischer  Werke  in  die  syrische,  he- 
Msobe  oder  persische  Sprache  wurde  den  Arabern  das  Studium  der- 
üHien  näher  gerückt  Die  verwandtschaftlichen  Beziehungen  dieser 
en  zur  eigenen  erleichterten  ihnen  die  Übersetzung  der  Schrift-en 
Arabische. 

Unt«r   den  ,\bba8iden    wurde   die^e  Thätigkeit   in    systematischer 
eise  betrieben  und  geleitet    Stehen  AI  Mansur,  der  zweite  Klialif  aus 


*  J.  G.  Wenw*^«:    De   auctorum  Graecorum    vemonibus    et    commentjiriiB 
SjTiidfi  Arabicts  Armeniacis  Persicisque  commentatto,  Lip«,   1842,  p.  Ö. 

■  WiiJfBJi'H  a.  a*  *>.  p,  11. 

*  AoATBtAf?:   Histor,  IVj  c,  30.   —   AssBitAia  a.  a,  O.  T,  II,   p.  315.  323.  — 
ÄtCLFAiLk«  a.  a.  (>.  p,  94,  172. 

*  Wasf&KH  a.  a.  Ü.  Index  XXXV.  *  Cramkr  a,  a.  U  I,  8.  109  u.  ff. 


134  Der  medunmst^  Unkrricht  im  Mittdalter. 

diesem  Herrschergeschlecht^  der  O^ründer  der  neuen  Hauptstadt  Bagdad, 
beauftragte,  wie  Ibk  Abu  Osetbia  berichtet,  seinen  Leibarzt  Gbobg 
Bachtischua  damit,  medicinische  Werke  der  Griechen  ins  Arabische 
zu  übersetzen.  ^  Nach  Hadji  Khalfa's  Angabe  soll  er  Gresandte  nach 
Konstantinopel  geschickt  haben,  um  von  dort  die  Schriften  Euklids  und 
naturwissenschaftliche  Werke  zu  holen. 

Einer  seiner  Nachfolger,  der  von  der  Sage  gefeierte  Harun  al 
Kaschid,  der  Zeitgenosse  des  fränkischen  Kaisers  Karl  des  Grossen,  mit 
dem  er  auch  im  Verkehr  stand,  stellte  nach  der  Niederl^^  des  byzan- 
tinischen Kaisers  Nicephorus  die  Friedensbedingung,  dass  ihm  Hand- 
schriften griechischer  Meisterwerke  ausgeliefert  würden.  Auch  die 
Schätze  dieser  Art,  welche  ihm  in  Ankjrra  und  anderen  griechischen 
Städten,  sowie  auf  der  Insel  Cypem  in  die  Hände  fielen,  waren  ihm 
eine  willkommene  Kriegsbeute.  Er  befahl,  dass  dieselben  in  die  arabische 
Sprache  übertragen  würden.  Dabei  stand  ihm  einer  seiner  Ärzt^, 
Johannes  Mesue  (Maseweih),  ein  syrischer  Christ,  welcher  unter  AI 
Mamun  eine  hervorragende  Stellung  erlangte,  mit  Rath  und  That 
zur  Seite. 

Dieser  Fürst  errichtete  ein  Übersetzungs-Institut,  in  welchem  Werke 
aus  fremden  Sprachen  ins  Arabische  übertragen  wurden.  „Zu  diesem 
Zweck  versammelte  er",  wie  IjEO  Apbicanus  schreibt,*  „eine  grosse 
Menge  Gelehrter,  welche  verschiedene  Sprachen  kannten,  und  erkundigte 
.sich  nach  den  Schriftstellern  und  Schriften  in  griechischer,  persischer, 
chaldäischer  und  ägyptischer  Sprache,  deren  ihm  viele  genannt  wurden. 
Darauf  sandte  er  viele  seiner  Diener  nach  Syrien,  Armenien  und 
Ägypten,  um  die  bezeichneten  Bücher  zu  kaufen,  und  sie  brachten  un- 
endliche Lasten  derselben  zusammen.  Nun  liess  AI  Mamun  die  nütz- 
lichen Bücher,  welche  die  Medicin,  Physik,  Astronomie,  Musik,  Kosmo- 
graphie  und  ( -hronologie  betrafen,  aussondern,  und  machte  zum  Vorsteher 
der  Übersetzer  aus  dem  Griechischen  Johannes,  Sohn  des  Mesuj^  weil 
damals  die  griechischen  Studien  unter  den  (Christen  blühten.  Viele 
Andere  wurden  demselben  untergeordnet.  Für  die  persische  Literatur 
bestellte  or  den  Mahan  und  den  so  eben  genannten  Mesu£:.  Diese 
und  viele  andere  Gelehrte  übersetzten  die  Medicin  des  Galen  und 
darauf  sammtliche  Werke  des  Abistoteles.*^ 

Von  den  byzantinischen  Kaisem  erbat  sich  AI  Mamun  eine  Anzahl 
griechischer  Handschriften,  woljei  ihm  der  gelehrte  Photius,  welcher 


^  Wenrich  a.  a.  0.  p.  13.  —  Lbolskc  a.  a.  0.  I,  p.  124  u.  ft. 
'  Leo  Afbioanüs  in  Fabricius  Bibl.  Graeca,  Hamburg  1T26,  XIII,  p.  261. 
—  Mbvbr  a.  a.  0.  Uly  115. 


Zeiilanp  an  Hofe  zu  Bagdad  lebte^  als  Vermittler  cüeitte.    Auch 

lisehe  Werke,  wie  die  Schrift  Chanaks  über  die  Gifte  und  der  Ajar- 

des  SusRUTA  und  des  Chabaka,  wurden  übersetzt  und  zwar,  wie 

Mheint,    sninächst  ins  Persische  und  dann    ins  Arabisi^he.     Die  in- 

heu  Ärzte  Maickah,  Saleh  Bkn  BatjEk  u.  A,,  welche  sich  in  Bagda«) 

hatten,   leisteten   dabei    wesentliche   Dienste J      Ebenso 

wach  einzelne  Pnxlukte  der  chaldaischen  Literatur  den  Weg  zu 

Arabern, 

Diese  übeisetzungs-Anstalt  blieb  auch  unter  den  Nachfolgern  AI 

Kiims   bestehen;   unter   den  Gelehrten,   welche  an  derselben  ange^ 

llt  waren,  hat  sich  namentlich  HojTEtH  (Johankttius),  welcher  die 

ittgsten   medicinisohen   Autoren   der  ririecben   übersetzte,   bekannt 

cht 

Auf  diesen  Grundlagen  entwickelte  sieb  allmälig  eine  selbststän^Ügp 
cini^he    Literatur      Die    Anfönge    (lersetben    reichen    bis   in    das 
.Jahrhundert  zurück;  ihre  Blüthe  erlebte  sie  aber  erst  im  IK  Jahr- 
dert 

Der  Aufechwung   der   arabischen    Cultur   wurde    ausserordentlich 
)»e^nsügt   durch   den    Zerfall   des   Reiches    in   mehrere    unaljhängige 
gtttlen.    Die  Fürstensitze  der  Samaniden  in  Bochara,  und  der  Gha«- 
nawiden  in  Ghasna,  der  Buiden  in  Persien»  der  Hamadaniden  in  Meso- 
potamien und  Sjrrien,  der  Edrisiden  in  Magreb,  der  Aglabiten  in  Quai- 
nttD  und  der  Fathimiden  in  Ägypten  bildeten  oft  KrjataUisationspunkte 
^ftr  blnstlerische  und  wissenschaftliche  Bestrebungen.    Den  wirksamsten 
hutz  al>er  fanden  dieselben  bei  den  Ommajaden  in  Spanien,  welche 
lört  nach  ihrer  Vertreibung  aus  der  Heimath  um  die  Mitte  des  8.  Jahr- 
zur  Herrschaft  gelangten. 
Abderrahmau,   der  erste  Ffirst  dieses  Hauses,    vergrösserte   seine 
Besidenz  Cordova  und  verschönte  sie  durch  Bauwerke,  deren  Reste  owh 
die  Bewunderung  hervorrufen.     Er  pHanzte  dort  die  erste  Palme: 
liin  Ereignis»,  welches  er  durch  eine  Klegie  verherrlicht  hat,  in  der  er 
'ier  Sehnsucht  nach  dem  fernen  Bagdad  ergreifenden  Ausdnick  gab.* 
Die  glanzende  Periode  der  arabischen  Herrschaft  in  Spanien  be- 
giQii  mit  Abderrahman  IlL     Er   liess   gnissartige   Bauten    aufführen, 
Wttserleitimgen  und  Landstrassen  anlegen  und  Gelehrte  aus  dem  Morgen- 
nach Spanien  kommen.     Die  Gelehrten  standen  an  seinam  Hofe 


^  Zu   Mohiimtneds  Zeit  bestand   in  Bauiia  im    .'^ötOicheTi  Arahieti   eine   be- 
rühmte medicLnisehe  Schafe,  deren  Voretand,   HArft  Bkh  Kaldah,  in  Indien  »eine 
Kenntiiia»e  gesammelt  hatte,  wie  Lasskk  (IndiBche  Alterth.  H.  b\9)  erzählt 
V,  HAMMSK-PtntoOTAix  a,  tt.  0,  HI,  31,  —  Mete»  a.  a,  O.  III,  126, 


136  Der  medimnische  ünterrickt  im  MütelaUer. 


in  grosser  Achtang  und  hielten,  nach  Fachwissenschaften  gesondert^ 
Berathungen. 

Noch  grössere  Aufmerksamkeit  widmete  sein  Nachfolger  Hakim  IL 
den  wissenschaftlichen  Bestrebungen.  Er  war  selbst  ein  Gelehrter  und 
nahm  persönlich  Antheil  an  den  schwebenden  Streitfragen.  Überall 
liess  er  seltene  Bücher  aufkaufen,  die  er  durchstudierte  und  mit  An- 
merkungen versah.  Seine  Bibliothek  soll  600,000  Bande  enthalten,  der 
Katalog  derselben  allein  44  Bände  gefüllt  haben.  Er  gründete  in 
Cordova  eine  Art  von  Akademie,  deren  Mitglieder  mit  Specialforschungen 
über  die  Geschichte  des  Landes,  über  Literaturgeschichte  und  Natur- 
wissenschaften beauftragt  wurden.^ 

Wenn  die  Wissenschaften  unter  solchen  Verhältnissen  gediehen, 
so  verdankten  sie  dies  zum  grossen  Theile  allerdings  der  wohlwollenden 
Förderung,  die  ihnen  von  den  regierenden  Herren  zu  Theil  wurde; 
aber  die  Erinnerungen,  welche  die  römische  Cultur  in  Spanien  zurück- 
gelassen hatte,  die  Pflege  der  letzteren  durch  die  westgothischen  Er- 
oberer, die  Niederlassung  strebsamer  und  unternehmungslustiger  Juden, 
welche  überall  Schulen  errichteten  und  Bildung  verbreiteten,  und  die 
glückliche  Verschmelzung  des  semitischen  Charakters  mit  den  roma- 
nischen und  germanischen  Elementen  übten  ebenfalls  beachtenswerthen 
Einfluss  darauf  aus. 

So  kam  es,  dass  sich  zu  einer  Zeit,  in  welcher  das  übrige  Europa 
in  Unwissenheit,  Aberglauben  und  Sittenrohheit  versunken  war,  axd 
der  spanischen  Halbinsel  ein  reiches,  auf  allen  Gebieten  intellektueller 
Thätigkeit  fruchtbares  Geistesleben  entfaltete.  Im  12.  Jahrhundert 
besass  Spanien  70  öffentliche  Bibliotheken  und  17  höhere  Lehranstalten. 
150  Schriftsteller  nannten  Cordova,  52  Almeria,  61  Murcia  und  53  Ma- 
laga ihre  Heimath.  ^ 

Die  Leistungen  der  Araber  in  der  Mathematik,'  Physik,*  besonders 
in  der  Mechanik  und  Optik,  femer  in  der  Chemie,*  Astronomie^  und 
Geographie^  sind  bekannt  Sie  waren  es,  welche  die  Messungen  und 
das  Experiment  in  die  Naturforschung  einführten.    Alhazens  vortreflF- 


*  Vergl.  R.  Dozy:   Geschichte  der  Mauren   in  Spanien ,   deutsche  Obers., 
Leipzig  1874,  II,  S.  68  u.  ff. 

»  Mich.  Casibi:  Bibl.  Arab.  Hisp.  Eecur.,  Madrid  1760,  T.  U,  p.  71. 
'  M.  Cantob:  Greschichte  der  Mathematik,  Leipzig  1880,  I,  S.  593  u.  ff. 

*  J.  C.  Poijoendorpf:  Geschichte  der  Physik,  Leipzig  1879,  S.  56  u.  ff. 
^  H.  Kopp:  Geschichte  der  Chemie,  Braunschweig  1843,  I,  S.  51  u.  ff. 

*  W.  Whewell:  Geschichte  der  inductiven  Wiasenscbaften,  übersetat  von 
LiTTRow,  Stuttgart  1840,  Bd.  I,  S.  184  u.  iL 

7  0.  Peschbl:  Geschichte  der  Erdkunde,  München  1877,  S.  104  u.  ff. 


Arbeiteii  über  die  Strahlenbrechung  bereiteten  das  Verstandniss 
Physiologie  des  Sehens  vor,  und  Gebkh  wurde  der  Begründer  der 
chaftlichen  Chemie.^ 


Medicinische  Wissenschaft  und  medicinischer 
Unterricht  bei  den  Arabern* 

Di*f  ilalicin  erfreute  sich  schon  in  der  frühesten  Perinde  des  Is- 

wie  ABur*FAHAG  sagt,^  einer  eifrigen  Pflege,     (jkichwohl  haben 

Araber  auf  diesem  <iebiet  nur  geringe  Fortech ritte  und  keine  Eot- 

kimgen  von  bahnbrechender  Bedeutung  gemacht,    Ks  lag  dies  buupt- 

licbheh  an  der  unselbstötiindigen  Kntwickeluug,  welche  die  Heilkunde 

h  anderen  Wissenschaften  bei  ihnen  nahm. 

Daraus  entsprang  auch   jener  unbegrenzte  Auturitütsglaubey    der 

m  abhielt,    die   Richtigkeit   der   übernommetien    Wissensresultate   zu 

prüfen,    und   ihnen  den  Muth  raubte  zu  selbststiindigen  Forschungen, 

I)hzu  kamen  sociale  und  religiuse  Vorurtheilet  die  jeden  Veniuch,  der 

m  «lieser  Richtung  unternommen  wurde,  im  Keime  erstickten. 

Die  Anatomie  und  Physiologie  blieb  daher  im  W'esentlichen  auf 
ifALEN'schen  Standpunkte  Da  die  Sektionen  menschlicher  Leichen 
ih  den  religiösen  iilauben  der  Mohammedaner  verboten  wurden,  so 
or  ;in  eine  Vermehrung  der  anatomischen  Kenntnisse  nicht  zu  denken* 
Zu&liige  Beotmchtungen,  wie  sie  Aui*el-Letif  bei  <jelegenheit  einer 
Kpidemie  in  Ägypten  machte,  wo  es  ihm  gelang,  durch  die  Unter- 
^nt'hiiDg  der  Schädel  der  Gestorbeneu  mehrere  Irrthümer  üalejj'h  in 
^kt  0^tenli>gie  zu  Uerichtigen»'  lnM»4(»ii  eine  Ausnahme,  Im  Allge- 
mmen  beschränkte  >ivh  die  auatomische  Literatur  auf  Auszüge  und 
lum*  Compendien,  die  sich  auf  die  SchritUvu  Galkn's  stötstten. 

El»enso  sklavis<'b  folgte  man  den  physiologischen  Tlieorien  desselben. 
Sdhfit  die  vielversprechend«ii  Ergebnisse,  welche  die  Physik  und  Chemie 
^kf  dem  W^ege  des  Experiments  erzielten,  änderten  danin  nur  wenig* 
^■m  war  nicht  im  Stande,  dieselben  vollständig  für  die  Physiologie 
Htes  Menschen  zu  verwerthen,  und  gelangte  nicbt  dahin,  auch  hier  diese 
I    Methode  der  Forschung  anzuwenden* 

^y    ^  H.  Korr:  Beitrüge  zur  Geechicbte  der  Chemie,  Braurischweig  1875,  111, 
■Tl?  0.  ff. 

'  AmvLWAUAu  a.  a.  U.  p,  160.  —  Yergl.  auch  A.  SpuEKüEit:  De  origin.  med. 
ib.,  Liig4L-Eata\r.  1840,  p.  6. 

*  Aai>oi.LATti*iuj  Hbt  Aegjpt.  ed.  White,  Oxon.   löOO,  p.  277. 


138  Der  medieiniacke  Unterrieh^  im  Mittelalter. 


Grossere  Selbstständigkeit  bekundeten  die  Araber  in  der  praktischen 
Heilkunde.  Ihre  zahlreichen  Schriften  über  diesen  Gregenstand  sind 
allerdings  ebenfalls  abhängig  von  den  Werken  der  Alten  und  bestehen 
^össtentheils  aus  Auszügen,  Umarbeitungen  oder  Übersetzungen  der- 
selben; aber  hier  und  dort  findet  sich  doch  auch  eine  eigene  Beob- 
achtung, eine  selbstständige  Erfahrung,  welche  zeigt,  dass  der  Verfiasser 
das  wissenschaftliche  Material  beherrschte  und  zu  vermehren  im  Stande 
war.  Die  wissenschaftlichen  Leistungen  eines  Bhazes,  Ali  Abbas, 
Abülkasem,  Avicenna,  Avenzoah,  Avbrboes,  Maimokides,  Ibn  El- 
Beithar,  Oseibia  u.  A.^  nehmen  einen  ehrenvollen  Platz  ein  in  der 
Geschichte  der  medicinischen  Wissenschaft  und  verdienen  umsomehr 
Aneritennung,  als  sie  in  eine  Zeit  fielen,  in  welcher  die  Entwickelung 
derselben  nirgends  Fortschritte  machte?. 

Die  arabischen  Ärzt^  widmeten  der  Untersuchung  des  kranken 
Körpers  grosse  Sorgfalt.  Sie  zogen  dabei  zwar  sämmtliche  Krankheits- 
erscheinungen in  Betracht;  aber  den  meisten  Werth  legten  sie  auf  die 
Form  des  Pulses  und  die  Eigenschaften  des  Harns.  In  der  Prognostik 
erlangten  sie  eine  bemerkenswerthe  Geschicklichkeit.  Der  Diätetik  zollten 
sie  gebührende  Anerkennung*  und  den  Arzneischatz  vermehrten  sie 
durch  eine  grosse  Anzahl  von  Heilmitteln. 

Sie  waren  eifrig  bemüht,  die  Ursachen  der  Erkrankungen  zu  er- 
forschen, und  erzielten  auch  darin  einige  Erfolge.  Avenzoab  deutete 
bereits  auf  die  Krätzmilbe  hin  und  hob  deren  Beziehungen  zur  Ent- 
stehung der  Scabies  hervor.^  Abulkasem  hint-erliess  eine  vortreffliche 
Beschreibung  des  Medina -Wurms  und  der  dadurch  hervorgerufenen 
Krankheitszustände.  ^ 

Die  specielle  Pathologie  verdankte  den  arabischen  Ärzten  manche 
Förderung;  sie  gaben  über  die  Ursachen  und  den  Charakter  einzelner 
Krankheiten,  z.  B.  der  schweren  Pestepidemien,  der  Pocken,  Morbillen 
und  anderer  exanthematischer  Leiden,*  der  Schwindsucht,®  des  Gesichts- 
schmerzes ^  u.  a.  m.  werthvoUe  Aufschlüsse. 


*  F.  Wüstenfeld:  Gesch.  der  Arab.  Ärzte  u.  Naturforscher,  Göttingen  1840. 

•  Vergl.  £l-Akteri*8  treflEliche  Verse  bei  v.  Hammer-Pük(}STAll  a.  a.  0. 
Bd.  VIT,  S.  499. 

'  Raspail:  Memoire  sur  Thistoire  naturelle  de  Tinsecte  de  la  gale  im  Bull, 
gen.  de  therap.,  Paris  1834,  T.  VII,  p.  169.  —  F.  Hebra  (Acute  Exantheme  u. 
Hautkrankheiten  in  Vibohow's  Handbuch,  Bd.  III,  S;  413,  Erlangen  1860)  glaubte 
nicht,  dass  Aveitzoab  die  Krätzmilbe  kannte. 

*  Abulkasem:  Chirurgie  II,  98,  Edit.  Leclerc,  Paris  1861,  p.  230. 
'  Rhazeb:  De  variolis  et  morbillis,  Edit  Channing,  I^ondon  1766. 

•  Waldenbirq:  Die  Tuberkulose,  Berlin  1869.  S.  25. 
'  Avicenna:  Canon  HI,  fen.  1,  tract.  1,  c.  12. 


Dagegen  machte  die  operative  Ghimrgie  bei  den  Arabern  offenbare 
Die  Vernachlässigung  der  Anatomie  und  die  den  Orien- 
eigenthümliche  Scheu  vor  blutigfen  Ein^'rilfen  in  den  menschlichen 
ins  trugen  die  Scheid  daran,    x\n  die  St*^lle  des  Messers  tmt<*n 
Atzmittel  und  das  (Uüheisen.    Wo  die  Chirurgen  früher  t^chnitben, 
sie  jetxt  genöthigt  zu  ätzen  und  zu  brennen.    Schon  AurLKA^EM 
flägte  den  Verfall  der  rhinirofir.    „üif  0(w^mtionHkunst"  schrrilit  er* 
^  \nn  un8  verschwunden»  fast  ohne  irgend  welche  Spuren  xu  liinter- 
m*     Nur  in  den  Schnften   der  Alten  findf't  man  liorh  einige  Hin- 
darauf; aber  auch  sie  jtind  durch  sehlwht»'  Übersetzungen,  durrfi 
fiümer  und  YerwwhNelunir^'n  nahezn  unvt'rstjlnrllich  und  unbniucli- 
Uffwiinlen."^ 

Bei    dieser  iMdegenh^it    hencht<4    t*r    nirhn're  Krlr-tmissc    aus   (irr 

welche  ein  grelles  Licht  auf  die  Unwissenheit  seiner  chirurgisehrii 

en  werfen»     IMe  Cauterien  bildrtf^n  das  gebniuchlirhste  und  wich- 

Handwerkszeug  de^s   Wundarztes,     Das  (rlüln-isen    wurde    neben 

lompression,  der  Kälte  und  der  Licntur  zur  Stillnrig  der  Blutung(*n 

ilohl«»n;*  CS  wurde  bei  einer  Menge  von  Leiden  angew^^ndet,  z,  B. 

iliähmungi*n,'  bei  Wundt»n  und  Fisteln/  bei  (rangraen,*  beim  Krebs 

jiihI  anderen  Keubildungt-n/  bei  der  Lepra/  zur  Eröffnung  der  Leber- 

?t®  hei  der  cariosen  Hüftg^elenkentzündnng  und   der  Spondylar- 

ce  der  Kinder**  u.  ;i.  m> 

ehinirgisehe  Pjn»tr»chnik  wurde  vrui  ihm  arabischen  Ärzten  zu 

oben   Stufe  der  Kntwicketung  geführt     Ein    grosser  Thei!    der 

cblr  ^.-fi  Instrampntr,   dtn^n  Alibilrhmgen  den   Handschriften 

Abt  m   })eigeg^^hen  sind,  diente  diesem  Zweck. 

[)ie  chirurgische  Openiticnsk-unst   trat  der  Pyrut^^chnik  gegenüber 

■^den  Hint+*rgrand  und  vennocbre  nielii  jenen  Urad  der  Vidlendung, 

PHb  sie  unter  di^n  Wundär/teii  der  nlmiselien  Kaiserzeit  (^reicht  hatte, 

;    XU  behaupten.     Die  Amputatitm  wagte  man   nur  am  Vurderarm  oder 

m  Unterschenkel    und    höchstens    in   dem   zumlchst   gel(-Lri>n»-n  Ellen- 

liijgim-   oder  Knie-Uelenk^    niemals    aber   am  01>erarm   und   am  (*ber- 

:    st^bmkel  auszuführen.  ***    Die  Haut  wurde  dabei  oberhalb  und  unterhall) 

der  Stelle,  an  welcher  eingeschnitten  werden  sullte,  durch  Binden  tixirt 


^ 


'  Abulkabkm:  Introd.  a.  a,  «).  p.  1.  •  Arülkaäkm  I,  hü  a.  h.  (K  p.  56. 

•  ASTUCAr^EM  A.  ft.  O.    L    6,    9,    p,  IT.   l^. 

•  Am  LK^Miai  a.  ä.  O.  h  17,  19,  3ß,  p.  25.  27.  38. 
'  AMUULkSWM  ft.  &.  ü.  L  52,  p.  54, 
'  XBühKA»tM  fl.  a.  O.  I,  50,  53,  p.  53.  54. 
'  ABtrt.KA0Bii  a.  ft.  O.  I.  47.  p.  50.  *  Abülkabem  h.  a.  0.  h  28.  p.  33. 

•  ABrhKAuRM  a.  a.  O    I,  43.  p.  46,  ^*  AutaicAsKiH  a,  a.  O.  IT,  89,  p,  21», 


140  Der  medUnnische  Unterricht  im  MiUelaUer. 


und  vor  dem  Beginn  der  Operation  nach  oben  gezogen,  um  einen  mög- 
lichst grossen  Hautlappen  zur  Bedeckung  des  Stumpfes  zu  gewinnen. 
Die  bei  der  Amputation  auftretenden  Blutungen  stillte  Abulkasem 
durch  styptißche  Mittel  und  durch  Cauterien;  von  der  Unterbindung 
der  Gefasse  sagt  er  in  seiner  Beschreibung  dieser  Operation  kein  Wort 

An  einer  anderen  Stelle  erzahlt  derselbe,  dass  er  bei  einem  Kranken 
einen  Theil  der  nekrotischen  Tibia  resecirt  habe.^ 

Die  Tracheotomie  wurde  zu  seiner  Zeit  nicht  mehr  ausgeführt 
Er  kannte  dieselbe  nur  aus  den  Berichten  der  Alten,  hielt  sie  aber 
für  angezeigt  in  Fällen,  in  denen  durch  Neubildungen  die  Gefahr  einer 
Erstickung  drohte.^  Ayenzoar  unternahm  die  Operation,  wie  er  an- 
giebt,  an  einer  Ziege,  um  die  Folgen  derselben  kennen  zu  lernen.' 

Der  Steinschnitt  wurde  von  Abulkasem  beschrieben,  welcher  dabei 
auch  der  Lithothrypsie  gedachte.^  Moses  Maimonides  verbesserte  die 
Methode  der  Beschneidung,  welche  auch  von  den  Arabern  ausgeübt 
wurde,  und  führte  verschiedene  Vorsichtsmassregeln  ein,  welche  bei 
dieser  Operation  zu  beachten  sind.^ 

In  der  Behandlung  der  Knochen-Frakturen  und  Verrenkungen, 
welche  Abulkasem  in  seinem  dritten  Buche  besprach,  folgte  man  den 
bewährten  Grundsätzen  der  Ärzte  des  Alterthums.®  Erwähnung  ver- 
dient nur,  dass  Avicenna  die  Einrichtung  des  luxirten  Humerus  durch 
direkten  Druck,  d.  i.  die  direkte  Reposition,  empfohlen  hat^ 

Der  graue  Staar  wurde  durch  Depression  der  Linse  beseitigt^ 
Die  Extraktion  hielt  man,  wenn  nicht  für  unmöglich,  so  doch  für  sehr 
gefahrlich.®  Abulkasem  gedenkt,  wie  schon  Bhazes  vor  ihm,  auch 
der  Heilung  des  Staares  durch  Suction  und  bemerkt  dabei,  dass  dieses 
Verfahren  in  Persien  geübt  wurde,  ^^  Ebenso  erwähnt  auch  der  Augen- 
arzt IsA  Ben  Ali  diese  Operations-Methode;  ein  Manuscript  seines 
Werkes  giebt  am  Rande  eine  Zeichnung  der  Hohlnadel,   welche  dabei 

*  Abulkabem  a.  a.  O.  11,  88,  p.  216. 
^  Abulkabem  a.  a.  0.  II,  43,  p.  120. 

=»  Avenzoar:  Altheiflir.,  Lib.  I,  IV.  X,  c  14,  Venet.  1542. 

*  Abulkasem  II,  60  a.  a.  0.  p.  151  u.  ff. 

*  J.  B.  Friedbeich:  Zur  Bibel,  Nürnberg  1848,  II,  S.  46  u.  ff.  —  H.  Plom: 
Geschichtliches  und  Ethnologisches  über  Knabenbeschneidung  im  Deutschen  Arch. 
f.  (Jesch.  d.  Med.,  I^ipzig  1885,  VIII,  S.  324  u.  ff. 

*  Abulkasem  III  a.  a.  O.  p.  270—342. 

'  Avicenwa:  Canon  IV,  fen.  5,  tract  1,  c.  11.  14. 
^  Abulkasem  II,  23  a.  a.  0.  p.  91  u.  ff. 

^  Avenzoar:  Altheisir.,  Lib.  I,  tract.  8,  c.  19.  —  Avicenna  a.  m.  0.  III,  3, 
tract.  4,  c.  20. 

^^  Abulkabem  II,  23  a.  a.  0.  p.  93. 


Rucht    rurde.*     Cawamüsali,   welcher   diese  Operation  mehrmals 
e,  schickte  derselben  eine  Incisian  in  die  Cornea  voraus,  damit 
Hohlnadel  leichter  eingeführt  werden  k*jnnte,* 
Die  (leburtshilft^  war  Sache  der  Hebammen,  welche  nicht  blos  die 
|B  Drtimalen  Entbindungen  erforderliche  Hilfe  leisteten,  sondern  sogar 
bart.shilflichen  Operationen  unternahmen.    Die  dureli  die  socialen 
Je  bedingt<e  strenge  Absperrung  der  Frauen  hind^-rte  die  Ärzt^, 
mit  diesem  Gegenstande   praktisch  zu  beschäftigen.     Sie  hatten 
wohl  nur  ausnahmsweise  Gelegenheit;^  in  ihren  ^Schritten  befassten 
gich  hauptsächlich    damit,   den    Hel>aramen   Medicammte    zu    em- 
pfehlen^   welche  sie  bei  den   hilfesuchenden  Frauen  anwenden  sollten, 
pd  Rath^sehläge  für  die  Ausführung  i^inzelner  Operationen  zu  »^rtheili^n.  * 
Untier  df»n  von  Abulkasem  angegebenen  Instiiimentt^i,  welche  zur 
sbeforderung  abgestorbener  Früchte  dienten,  findet  sich  ein  Dila- 
irium,  welches  einige  Ähnhchkeit  mit  der  (Teburtszange   hat;'^  doch 
es  klar,    dass  es   niemals,    wie   schon  Muldeä   bemerkte,    zur  Ex- 
üon  lebender  Kinder  verwendet  worden  ist,  ^     Eine  andere  Zeicli- 
tmg  zeigt  die  Form  des  Kranioklast^n  und  wurde  auch  zum  gleichen 
Zweck  gebraucht.' 

Eine  erfreuliche  Erscheinung  ist  das  rege  Interesse,    welches  die 
indktsebeD  Arzte   der   Geschichte   ihrer   Wissenschaft    widmeten.      Die 
Serie  des  Ibx  Dscholdschol  und  Ibn  AbuOseibia^  bilden  eine  un- 
zbare, leider  noch  wenig  benutzte  tjuelle  für  die  medizinische  Ge- 
üchtsfi.trschang  wie  für  die  Culturgeschichte  überhaupt.     Der  histo- 
«;he  8inn,   welcher  den   Arabern  anerzogen    wurde,    veranlasste   sie, 
ihre  Schriften  mit  einer  Menge  von  ( 'itaten  zu  schmücken,  durch  welche 
manche    wichtige   That^ache    vor   der   Vergessenheit   geschützt    wurde. 
[.Welche  überraschenden  Autschlüsse  über  die  Culturzustiinde,  besonders 
Medicin,  des  Alterthums  dürfen  wir  erwarten,  wenn  einst  die  lite- 
en  Schätze  der  mohammedanischen  Musensitze   des  Orienti^  und 
afrikasy  wie  in  Quairuan,  der  Wissenschaft  erschlossen  werden!  — 
Schon   in  den  ersten  Zeiten  des  Islams  wurden   überall  bei  den 


'  SiCBKt  im  Arch.  f.  Ophthalmol  1868.  Bd,  XIV,  3,  [j,  9, 

■  Lgclbbc  a.  a.  0.  I,  p.  535, 

'  a  J.  V.  Sisbold:  Geschichte  der  nebiirtahilfe,  Berlio  1S39.  L  S.  272,  Anm. 

*  ßiBBöLD  a.  a.  O.  I,  S.  298  u.  E 

*  ÄBüLEA^EM  II,  76,  7t  a-a.  O.  p.  180  u.  ff.  u.  Aubaug  Fi,^  103. 

•  J.  Mfli»er:  GeBchichte  de?  Zangen  u.  Hebel  in  der  tieburtshilfe,  Leipsög 
im,  S.  9,  —  Sjebold  a.  a.  O.  I,  S.  295,  Anm.  1. 

'  AsüutAswK  a.  a.  O.  Fig.  106. 

•  WavTwnwKLD  a.  a.  0.  S,  132  u.  ff.  —  LfiCLEftc  a,  a.  O.  II,  löT  u.  W, 


142 


Der  msdmnische  üntmriöht  nn  Miüehlter, 


Moscheen  JUementÄrschulen  eirichtt^t,  m  d**nt'n  dU*  Kinder  den 
lesen  lenit4:'u.    Daran  schloss  sicli  spatt'c  die  Lektüro  aiideror  S<*hri 
sowie  die  Granimtittk  und  der  UnU^Tieht  im  SchrcilM^tK     I)f-r  B«»»*] 
J<^r  ÖohuU'  bei^mnn  mit  dem  t>.  Lebensjahre, ' 

Die  Kelit^non  kg  nicht  h\m  dem  nuHleren,  dundeni  aach  d 
hülieren  Unt^*nicht  zu  Urunde,  Auch  die  höheren  Lehranstalr^en  sUin 
Anfangs  mit  den  Moscheen  in  Verlundun^*  In  den  Nischen  und  iihxi\ 
derselben  oder  in  ansUhssenden  Sälen  ver^jammelten  iJelehrte  ei 
Kreis  wissbegieriger  Schüler  um  »ich  und  hielten  Vorträge  iiher  l 
lügische,  philologische,  idnlusophische»  juristis*t*.fae  und  medicinii 
Fragen. 

Wahrend    der   ersten  Jahrhunderte    durfte  Jeder   als   Lehrer  aotf 
trett^ü,   ohne    das»   er  seine   li<.*tiihigung  dazu   nachzuweisen   brau»'lil4";^ 
nur  von  den  Lehrern  der  Theologie  und  der  Jurispmdenx   v^v 
man,  diiss  sie  über  ihre  Aunhildung  durch  einen   von  der  offen 
Meinung  unerkannten  Li^hrer  dieser  Wissenschaften  Kechenschaft 

Manche  Lehrer  iibt4?n  neben  ihrer  Lehrt hätigkeit   noch   einen  an 
deren  Beruf  aus;  sie  wirkten  als  Vurle^ser  und  Pnnlij^T  an  den  Mosclii* 
als  Beunite,  Bichtfi",  S(*krdare,  Marktaufseher,  ja  selVint  at«  Kaitfln 
und  Handwerker.^     Die  Lehrer  der  Heilkunde  waren  sieherlich  in  A 
meisten   Fällen  *tls  praktisehe  Ärzte  thätig. 

Da  tut*  Vorträge  uni*ntgeltlich  slattfandfu,  so  war  m  ganz  nal 
lieh,  das8  tli(»  1/ehrer,  wenn  m  nicht  eigenes  Vernnigen  bttsa^aen,  di 
öine   andf^re   Beschäftigung  für   ihren   Lehensunterhalt   stjrgt4^n.     Tw 
gaben  den  Studierenden  Kost  und  Wohnung,  um  durch  die  (iewchi^ 
und  Gelder,    welche  ^ie  dafür  von  ihnen  erhielten,    einen  Beitrag 
Bestreitung  ihrer  Ausgaben   zu   u'ewinnen.     Zuweilen    wählten  sie  mS 
aus  ihnen  auch  einen  Schwiegersohn  aus.^ 

Die  Vorlesungt'u  bestanden  entweder  in  fraien  Vurträgen  oder 
wiu-den  aus  Heften  vorgeh^en.  Reidit  witzig  bemerkt  SAMAf'riscHA 
„Der  liuhni  des  (ielehrten  liegt  in  seinen  Heft-en^  wie  der  Ruhm 
Kaufmanns  in  seiner  Kasst*,**  Die  Wi^rU^  des  Ijehrer-s  wurden  von  den 
Studierenden  nachg<*schriel>en,  und  die  letzteren  setzten  sich  sogar  einer 
lingi^  aus,  wenn  sie  <lies  unterliessen.  Der  Lehrer  überzeugte  sich 
durch  Fragen,  üb  die  Sc^hnler  den  Inhalt  seines  Vortragtss  ver«landen 
hatten.    ^lanchmal  folgten  darauf  Disputatorien,  bei  denen 


j 


gelegen 


^  D.  Hancbkbo:  Ober  das  Schul-  and  Lehrweaea  der  MuhaniedMier 
Büttelalter,  München  IHÖO,  S.  4  ir  ft'. 

'  F.  WfVxENFELn:  Hir-  v\kademi*>n  der  Amber  und  ihr©  J^hrer,  (löttio 
1837,  S,  6, 

*  Hankbkro  a.  a.  O.  S.  3L 


amsh  einmal  Torkam,   ilass  ein  tüchtiger  Gelehrter,   der   sich  zu- 
anu»r  den  Zuhürem  hefcind,  dem  LeJirer  selbst  eine   Xieilerla^e 

tete. » 

B^  Zutritt  zu  den  Vorlegungen  war  Jedem  ohne  Unterschied  dtT 

tat.  gestattet     Man  ^ab  in  den  Hörsälen  neben  Jünglingen, 

fauini  dem  Knabenalter  entwachsen    war^-n,    gereifte  Miinner  und 

rtige  Greise,    Manehe  kamen  aus  weiter  Ferne»  um  die  Ansicht^-n 

berühmten  Lehrers  kennen  zu  lernen-     Da  in   allen  dem  Islam 

rfenen  Ländern  die  arabische  Sprache  beim  Unterricht,  gebraucht 

gü  war  e*»  den  ( lelehrten  der  verschiedenen  Nationen  leicht,  sich 

«inander  zu  rerständigen  und  ihr  Wüssen  zu  vermehren  oder  An- 

mJtzutheilen. 

Die  durch  die  religiösen  WalltahrU^n  erweckte  Reiselusit  tjer  Aral>er 
It?  dadurch  auch  bei  den  Grelehrten  und  Studenten  gefördert.  Auf 
0  Wanderungen  von  einer  Hochschule  xur  anderen  vermitteiten  sie 
instausch  der  geistigen  PIrrungens<^haften  und  trugen  auf  diese 
ki^  dazu  bei,  dat^s  sich  die  Cultur  in  allen  arabischen  Lfnulern  gleich- 
ig entwickelte. 

Die  Studenten  liessen  sieh  oft  von   ihren  Lehrern  Zeugnisse  über 

Besuch  ihrer  Vorlesungen  ausstellen  und  schriftlich  di*^  Erlaubniss 

den,  die  Kenntnisse,  welche  sie  dort  gewonnen  hatten,  durch  Wort 

Schrift   weiter   zu   verbreiten.     Einzelne  Lelirer   waren    in   dieser 

t  sehr  entgegenkommend.      Y*m   einem  derselben  heisst  es  in 

etwas  überschwänglichen  Weise:  „Er  l>edeckte  die  Erde  mit  Zeug- 

über  Gehörtes  und  mit  Licenzen  zum  lA^hren/*^ 

Manche    Schulen    und    Moscheen    besassen    grosse    Bibliotheken. 

hat  deren  40  besebrieben^  und  v,  Hahmeä-Püegstaxi. 

rt<?  dazu  werthvolle  Zusätze.^     Die  Bücherlieijhaberei  war  übrigens 

bei  Privatleuti'n  sehr  verbreitet.  Der  Ai7i  Aiäuzäu  (Ihn  Dschezzar) 

rUess,  als  er  i  J.  1009  zu  Qmiiruan  st^irb,  rqjie  Bildiothek,  welche 

Centuer  wog.* 

Seit  dem  1 L  Jahrhun*lert  entstanden  die  MadarLs,  die  man  weder 
UDserPO  Akademien,  wie  es  W'üstenfkld  thut,  noch  unseren  Gymnasien, 
wk'MfTiKii  vorschhlgt.,  gleichstellen  darf.  Die  meiste  Ähnlichkeit  haben 
mu   den  englischen  Colleges,     Es  waren   dem   höheren  Unterricht 


1  Hahebou»  II,  H,  ä  8,  12.  '  Hanebeho  a.  a.  O.  B,  22. 

*  QuATKBMiiLE:   SiiT  le  goüt  de*  hvres  chese  les  Orieutaux  im  Joiiro.  asiat., 
r.  in,  t  VI,  p.  35,  Paris  1838,  u.  »er.  IV,  t.  XI,  p,  187  u.  ff.,  Paris  1848.   - 

JL  a.  O.  l,  583  IL  ff.  —  Ä,  v.  Kbemeh;  Culturgeschiclitc  des  Orients  unter 
dfn  Khalifen.  Wien  1877,  IL  S.  434. 

*  Lecleec  ft.  h.  0,  If  584. 


144  Der  medidnische  Unterricht  im  MütdaJUer, 

gewidmete  Pensionate,  in  welchen  Lehrer  und  Schüler  zusammen 
wohnten.  Einzelnen  standen  prachtvolle  Gebäude  zur  Verfügung;  alle 
waren  mit  Bibliotheken  ausgestattet 

Die  berühmtesten  Madaris  befanden  sich  zu  Bagdad,  Basra,  Bochara, 
Nisabur,  Damaskus,  Samarkand  imd  Cahira;^  Spanien  besass  in  seiner 
Blüthe  17  derartige  Anstalten.  Wüstenfeld  hat  deren  37  beschrieben 
und  dabei  über  die  Lebensumstande  der  Lehrer,  welche  an  denselben 
thätig  waren,  und  ihre  literarischen  Leistungen  ausführliche  Mitthei- 
lungen gemacht. 

Wenn  man  das  reichhaltige  Verzeichniss  ihrer  Schriften  durchsieht, 
so  findet  man,  dass  sie  hauptsächlich  die  Theologie,  Rechtskunde,  Phi- 
losophie und  Philologie  betreflFen ;  nur  wenige  handeln  über  Mathematik, 
Astronomie,  Chemie,  Naturwissenschaften  und  andere  Gegenstände,  kein 
einziges  aber  über  Medicin.  Es  scheint  darnach,  dass  diese  Anstalten 
vorzugsweise  der  Erlangung  einer  humanistischen,  theologischen  und 
juridischen  Ausbildung  dienten,  während  für  den  Unterricht  in  den 
Naturwissenschaften  und  in  der  Heilkunde  andere  Institute  vorhanden 
waren. 

Die  Gesellschaft  der  „Brüder  der  Reinheit",  welche  im  10.  Jahr- 
hundert, zu  Basra  entstand,  rechnete  den  Unterricht  nicht  zu  ihren 
eigentlichen  Aufgaben.  Allerdings  suchte  sie  durch  Herausgabe  theo- 
logischer, philosophischer,  mathematischer  und  naturwissenschaftlicher 
Abhandlungen  Bildung  zu  verbreiten;  aber  das  Ziel,  welches  sie  dabei 
verfolgte,  war  die  Verbindung  der  Vernunft  mit  dem  Glauben  und  die 
Begründung  oder  Läuterung  des  letzteren  durch  die  Wissenschaft. 
F.  DiETEBici  hat  ihre  Bestrebungen  und  Leistungen  durch  eine  Reihe 
werthvoUer  Schriften  erläutert 

Den  Charakter  einer  Universität  zeigte  in  manchen  Beziehungen 
das  vom  Khalifen  Hakim  Biimrillah  i.  J.  1105  zu  Cahira  gegründete 
„Haus  der  Weisheit".  Dort  wurde  neben  anderen  Wissenschaften  auch 
die  Medicin  gelehrt,  und  unter  den  reich  besoldeten  Lehrern,  welche 
an  demselben  angestellt  waren,  befanden  sich  nicht  blos  Theologen, 
Grammatiker,  Philosophen  und  Rechtskundige,  sondern  auch  Mathema- 
tiker, Astronomen  und  Arzte.  Es  war  auch  Nicht- Mohammedanern, 
z.  B.  Juden  und  Christen,  erlaubt,  den  Vorträgen,  welche  hier  gehalten 
wurden,  beizuwohnen  und  die  der  Anstalt  gehörige  Bibliothek,  welche 
18  Säle  füllte,  zu  benutzen.* 

Das  Studium  der  Heilkunde  geschah  auf  verschiedene  Arten.   Wer 


*  Wüstenfeld  a.  a.  0.  S.  6. 

'  V.  Hammbb-Pdbostall  a.  a.  0.  Bd.  I,  Einleit,  S.  LXIV. 


dem  äratlichen  Beruf  widmen  wollte,  konntp  <iie  dazu  erforderlichen 
bmännischen  Kenntnisse  entweder  unter  der  persönlichen  Anleitung 
'  fiiH>s  älteren  erfahrenen  Arzt(?s,  zu  welchem  er  sieh  in  die  Lehre  begab, 
in  mediciniseheu  Lehmnstjüten  oder  in  den  mit  manchen  Huspi- 
verbundenen  änjtliehen  Schulen  erwerben.  Viele  mögen  alle 
fopi  Methoden  verbunden  haben»  um  eine  gründliche  Ausbildung  in 
lex  Heükujist  zu  erlangen. 

Die  medjcinischen  Vorleöungen,  welche  in  den  mit  den  Moscheen 
tienhüngenden  höben*n  Unterrichts-Instituten  und  ahnlichen  An- 
z.  B,  in  dem  Hause  der  Weisheit,  stattfanden,  betrafen^  wie  m 
letelBt,  vorzugsweise  theoretische  Cfegenständo  und  machten  die  Schüler 
gut  der  Literatur  bekannt»  während  da.s  pruklische  ärztliche  Wiaaeu 
Ittipteachlich  in  d*'n  Krankenhäusern  erworben  wurde. 

Nach  ALlcrizi^  gab  es  in  Ägypten  schon  in  der  Vor-Islamitischen 

at  Hospitaler.  welche  mit  Ärzten  und  Medicamenten  versehen  waren. 

^Bei  den  Mohammedanern  dienten  die  Moschee  und  die  dazu  gehörigen 

gMude  häufig  als  Herberge  für  arme  Fremde  oder  als  Lazareth  für 

unke. 

X'^nter  der  Herrschaft   des  Islams   wurde   das   erste  Hospital   für 

ke  i.  J.  707   vom  Khalifen  El  Welid  Ben  Abd-el-Malik  errichtet, 

felcher  auch  dafür  sorgte,   dass  unbemittelte  Reisende*   wenn  sie  er- 

eiu  ärztliche  Hilfe  erhielten.     „Er  stellte  in  dem  Hospital  Ärzte 

nd  bestritt  ihre  Ausgaben;  er  befahl^  die  Aussätzigen  einzusperren, 

üt  sie  nicht  auf  die  Strassen  gingen,  und  sorgte  für  ihre  und  der 

^Blinden  Bedürfnisse.^* 

Später  wurden  in  allen  grösseren  Städten  Hospitäler  mid  Kranken- 
iaser  errichtet,  welche  ihre  Entstehung  frommen  Stiftungen  verdankten. 
%e  meisten  derselben  dienten  zugleich   df»m  medicinischen  Fnt  er  rieht. 
m  nahm  dabei  die  Einrichtungen,  w»khc  an  der  medicinischen  Schule 
(rOödisapur  und  den  mit  Spitälern    verbundenen    ärztlichen   Lehr- 
dten    der    Nestorianer   bestamlen,    zum    Muster.      Die   Spitalärzte 
hier  zugleich  als  Lehrer  der  Minlicin   und  unt^.*rrichtt^ten  ihre 
köler  in  den  Terscbiedenen  Theilen  der  Heilkunde. 

Die  Nachrichten',    welche   uns  über  die  arabischen  Krankenhäuser 
erliefert  worden  sin<i^  gewähren  einen  Einblick  in  deren  \  t-rhältnisse 
Dttd  Zustinde.     Das  Hospital  zu  Gondisapur,    welches  durch  mehrere 
iii      ■     '  mm  unter  der  ärztlichen  Leitung  von  Mitgliedern  der  Familie 
JU'A  (BucHTJEsr)  stand,  bewahrt^  auch  unter  der  arabischen 


MjLCKoas  Bescbretbung  der  Hospitäler  in  el-Cahira  oach  Wüstemtelps 
im  Janus,  Breslau  1846^  I,  S.  28  u.  ff. 
PMCKXAJm,  l7ot«n1cht.  10 


146  Der  medicinisohe  Unterricht  im  Mittelaiter. 


Herrschaft  seinen  guten  Buf.  Es  war  mit  einer  wohleingerichteten 
Apotheke  verbunden,  welcher  der  Stammvater  einer  anderen  berühmten 
ärztlichen  Familie,  der  ältere  Mssufi,  durch  40  Jahre  vorstand.  I.  J.  869 
war  der  um  die  Arzneimittellehre  verdiente  Sabur  Ben  Sahl  Direktor 
dieser  Anstalt  Sie  bestand  wahrscheinlich  noch  in  späteren  Zeiten; 
doch  trat  sie  in  den  Schatten,  als  die  glänzend  ausgestatteten  Hospitäler 
der  Araber  in  Bagdad  und  anderen  Orten  zu  Ansehen  gelangten. 

In  Bagdad  existirti^  schon  im  9.  Jahrhundert  ein  Krankenhaus  und 
eine  medicinisohe  Schule.^  Ein  zweites  gründete  i.  J.  914  der  Vezir 
Ali  Ben  Issa.  Derselbe  lernte  bei  einer  Epidemie  den  Mangel  an  Ärzten 
und  Medicamenten  kennen,  welcher  bei  den  Truppen  und  auf  dem 
Ijande  herrschte,  und  beschloss  deshalb,  etwas  zur  Besserung  dieser 
Zustände  zu  thun.  Er  ordnete  an,  dass  die  Kranken  täglich  von  den 
Ärzten  besucht  würden  und  Arzneien  und  Nahrungsmittel  empfingen, 
und  Hess  ein  neues  Hospital  eröffnen.  Als  man  ihm  mittheilte,  dass 
einige  Dörfer,  welche  grösstentheils  von  Juden  bewohnt  waren,  der  ärzt- 
lichen HiKe  gänzlich  entbehrten,  antwortete  er,  dass  man  auch  für  die 
Ungläubigen  sorgen  müsse. 

Auf  Sinan  Ben  Tsabet  Ben  Corra's  Veranlassung*  wurden  in  Bagdad 
noch  andere  Krankenhäuser  erricht^^t.  Die  Mittel  dazu  boten  die  zu 
Wohlthätigkeitszwecken  bestimmten  reichen  Vermächtnisse  der  Sedjah, 
der  Mutter  des  Khalifen  Mottawakl.  Das  grösste  und  berühmteste 
dieser  Spitäler  wurde  L  J.  977  vom  Buiden-Emir  Adhad  Ed  Daula  ge- 
stift43t,  oder  vielleicht  nur,  nachdem  es  schon  früher  existirte  und  in 
Verfall  gerathen  war,  mit  grösseren  Mitteln  wieder  hergestellt'  Bei 
der  ursprünglichen  Gründung,  die  wahrscheinlich  um  ein  Jahrhundert 
zurückreicht,  soll  nach  Ibn  Abu  Oseibia's  Angabe  Rhazes  mitgewirkt 
haben,  indem  er  einen  in  hygienischer  Hinsicht  geeigneten  Platz  dafür 
aussuchte. 

An  diesem  Hospital  waren  24  Ärzte  angestellt,  welche  nach  ihrer 
Tüchtigkeit  im  Bange  auf  einander  folgten.  Es  gab  unter  ihnen  Spe- 
cialisten,  indem  sich  Einzelne  nur  mit  der  Behandlung  fieberhafter 
Krankheiten,  Andere  mit  der  Heilung  von  Wunden,  mit  dem  Einrichten 
von  Luxationen  oder  mit  Augenleiden  befassten.  Die  Kranken  waren 
nach  der  Art  ihrer  Erkrankung  in  verschiedene  Abtheilungen  gesondert- 
Merkwürdige  Beobachtungen,  welche  die  Ärzte  an  einzelnen  Krankheits- 


*  M.  8tein8chneideb  in  Vibchow's  Archiv,  Bd.  52,  S.  S72. 
^  Aus  dcüsen  Lebensbeschreibung  nach  Leclebo  a.  a.  0.  I,  865.  559  u.  ff. 
'^  V.  HAMHsa-PuBGSTALL  a.  a.  O.  ly,  858.  —  Wüstbmvuj)  :  Geaoh.  d.  arab. 
Arzte,  S.  42,  Anm.  —  Leclebc  a.  a.  0.  I,  561. 


^maehlen,  wurden  uiedergesichrieben  und  aufbewahrt.     Die  Ver- 
deö  Hospitals  leitete  ein  hoher  Beamter,  z.  B.  ein  Kadi;  unti^r 
Irland  ein   Okonum,     Lbx  El  üaristania,    der  eine  Zeithing  als 
it  an  die^ser  Anstalt  wirkte,   hat  eine  Gescliichte   derselben  verfasst, 
iDJder  vexloren  gegangen  ist    Dieses  Krankenhaus  existirte  noch  im 
'l3*  Jahrhundert,  vielleicht  auch  in  späterer  Zeit. 

Ferner  bestanden  zu  Merw,  zu  Kay,  dem  Geburtsort  des  Rhazks, 
Ltpahan,  Schiras.  Jerusiüem,  Antiochia,  Mekka  und  Meilina  Kranken- 

In  Uain^iäkus  gab  es  mehrere;   das   grösste   verdankte   ani^ehUeh 

Nureddin  seine  Enti^tehung.    Es  diente  zugleich  ah  nietlicinische 

Dötalt     In  (k*ni  mit  Teppichen  bedixrkten  Hofe  wurden  nach  der 

jigung  der  Krankenvisiten  medicinisehe  Vorträi^e  ^^ehädten,  welche 

Lft  mehrere  Stunden  dauerten.     Eine  me<iiciniscbe  Bibliothek,   welche 

\mh  iu  der  Anstalt  befand,  sorgte  für  die  literarischen  Bedürfnisse  der 

i>lm*nden  und  Lernenden.     Die  Zahl  der  8chQier  war  sehr  grus^.    In 

[im  Verzeichnis»  der  Lehrer  finden  sich  Namen,    welche  zu  den  lie- 

pfihmtesten  der  arabischen  HeilkTinde  gehören.*     Die  Kranken  wurden 

Itaeh  ihn*n  Leiden  eingetheilt;  es  gab  z,  B,  eine  besondere  Abtheilung 

|för  Attgeukranke.^    Die  Verf»flegung  war  so  vortrctflich,  dass  Mancher, 

rieAnn-EL  Letif  erzählt,^  sich  krank  stellte,  um  in  der  Anstalt  bleiben 

IsD  «iürfien;  denn  er  wurde  dort  „mit  zarten  Hühnernj  Backwerk,  Sorbet 

lltod  fruchten  aller  Art"  bewirthet 

In  DamiLskus  bestanden  neben  dieser  Ani>talt  noch  andere  medici- 

Schulen;  zuweilen  d(jcirte  derselbe  Lehrer  an  zwei  solchen  In- 

Die  medicinischfui  Schulen  von  Damaskus  nahmen  im  Ki.  Jabr- 

udürt  den  er:iten  Rang  ein  unter  allen  ihren  Schwester-Anstiilten  und 

Ibrrstrahhen  durch  ihren  Ruhm  sogar  diejenigen  zu  Bagdad  und  Cairo. 

Cber  die  Spitäler  Ägyptens  und  ihre  Ürganisation  hat  Maübizi 

iführliche    Nachrichten    hinterlai4sen.     Er    berichtet,    da^s   da«   erste 

Crankenhaus  von  Lbn  Titlün  um  d.  J.  875  gestiftet  und  mit  reichen 

Mitteln  zu  seiner  Erhaltung  ausgestattet  wurde.    ^^Er  trat  für  tla.s  Ho- 

die  Bestimmung,   dn^  darin  weder  ein  Soldat  noch  ein  Sklave 

M:»mmen  werde:  auch  richtete  er  für  da.^  Hospital  zwei  Bäder  ein, 

Qe  für  die  Männer  und  diks  andere  für  die  Frauen,  und  v<'rjnachte 

PNtle  dem  HospiUl    und    anderen  xVnstalten.     Er  betahi  ferner,  das!4, 


^  Wetio  dieses  Hospital  erst  von  Nureddm,  welcher  1173  starb,  ijeötiftet 
|l»ezogea  sich  ©inzelße  der  hier  erwähaten  Thatsachen  wahrscheinlich 
rKrankenhftuser  Bagdada. 

^  LecLSBc  a.  a.  O.  I,  565  u,  ff.  —  Abulfarao  a»  a.  0.  p,  343. 

^  AMShAujkTtri  Elution  de  fEg^pte  ed*  Süv.  de  Sa4sy,  Parid  1810,  p.  44L 

10' 


I 


148  Ikr  midiöini9öh§  f'nierridu  im  Mitielaiier. 

wenn  ein  Kranker  gebmcht  würde,  ihm  mm^  Klmdffr  tind  nein  Gdil 
»bgt»nommi'n  unri  bt?i  rli*m  Hospital-ViTwaltiT  in  Venrahrunj?  ^i.^^v\m\. 
4mn  ihm  iumIiti»  Kloider  ?in^*?,ogi'n,  n  im  Bftt  $riile|ürt,  ihm  Mss^'/i 
igegf'ben,  und  **r  durch  Arznei  un*!  Nahrungsmitttd  und  durch  Arzi« 
lH*dient  wi'rdt»n  solltt^  bis  er  hiTgi'stA'llt  sei:  dann  u*u*hdem  er  ein  jun^^ 
Huhn  und  Kin"h»^u  zu  pssi»n  l»eknnim**n,  soll  «t  entlassen  werdiMi  um 
«ein  Geld  und  seine  Kleider  zurückerhalten/** 

In  dem  Hus]>it4il  liefand  Kich  auch  eine  Ablheilun^  für  tieiä^v 
kranke.  Diese  Aast^lt  scheint  nicht  lange  existirt  xu  haben;  zu  Mackizi^ 
Zeit  war  sie  nahezu  vollständig  vergessen.  Dersidln*  erwähnt  diinn 
das  Hospital  Kafub'«,  welch«^  i.  J.  95T  in  der  »Stadt  Mi^r  ernchtt't 
wunbs  uud  dasjenige,  welches  nach  der  Ktra.s.««e  Kl  Ma^mtir  genannt 
wurde  und.  wie  i>s  seheint,  nur  kurze  Zeit  bestanden  hat.*  In  Fofttath 
extstirte  »ehon  Im  10.  Jahrhundert  ein  Hospital;  ein  anderes«  an  wel- 
chem IiiN  Anr  OffKiBiA  kurze  Z(*it  ärztliche  Dienwt«  verrichtete,  ver- 
dankte dem  Nasr  Haladin  seine  Knt**tehun<j:, 

Die  bedeutendste  aller  dieser  Stiftunj^en  war  das  grotae  Mansuri- 
sehe  Hospital  zu  Oainn     Der  Sult.in  El  Mansur  Uilavun  lie-  "\h^. 

i,  J.   1283  aus  einem  lurstlicben  Scbloss,  welches  bis  dahin  ♦!  in- 

zciBisin  zum  Wohnsitz  gtHÜent  hatte»  mit  jk'rosjjcm  Aufwand  herrichien. 
Die  UrundnuiUi  rn.  die  Steine  und  Mannorsaulen  jenes  Theile?*  de* 
8ch lossei?,  welches  niederj?erissen  wurde,  verwendete  man  zum  Bau  dw 
Hospitals.  Alle  Handwerker  von  Stisr  und  (Jairo  mussteii  dabei  thäti^^ 
.sein  und  durften  wiihnnid  dieser  Zeit  keine  Arbeit  tür  jindere  Leute 
übernehmen.  Der  Sultan  ritt  tätlich  zum  Bauplatz,  beaulsichtij,ne  die 
Arbeiter,  half  so|?ar  sidbst  mit  und  nr»thi|rte  die  Vurübergehenden,  Steine 
zu  tnigeu  Oller  andere  Dienste  zu  verrichten.  Er  hatte  übrijErens  bei 
dem  Bati  ein  merkwürdiges  Gluck;  beim  Ausi^i^niben  der  Erde  fand  ein 
Arbeiter  ein  mil  ttobl  und  Edelsteinen  gefülltes  Kastchen,  dessen  Wertli 
die  sannntlicben  Baukosten  deckte. 

Vier  grosse  Krankensale  umschlossen  den  Hof;  in  Jt^lem  derselben 
war  em  SprintTbruTmen,  welcher  aus  einem  in  der  Mitte  des  Hofus  be- 
tindlichen  Wav-^tTbehalter  gespeist  wurde.  Als  der  Bau  der  Anstalt 
vollendet  war*  sprach  der  Sultan:  ..Dies  habe  ich  gei^tiftet  für  nietncj& 
<iileiohen  und  für  Geringere;  ich  haln»  *^  liestimmt  zu  einer  Stiftung 
für  den  K«'mig  und  den  Diener,  den  Soldaten  und  den  Emir,  den 
Cirosst'n  und  den  Kleinen*  den  Freien  und  den  Sklaven,  für  Manner 
nnd  Frauen.  Er  bestimmte  dafür  die  Medicament4s  die  Arzte,  und 
alles  Cbrige,  was  Jemand  darin  in  irgend  einer  Krankheit  nuthig  haben 

MAeMii  m&Bk  WC0V»fsi.d*6  Obcnetsimg  a.  a.  O.  S,  SO. 


Ute*    Der  Sultan   i^tellte  männliche  und  weibliche  Bpttmacher  an 

Bedienung   der    Kranken   und    bestimmte    ihnen    die  Oehalte;    er 

icbtde  die  Betten  für  di*^  Kranken  ein  und  versa ti  sie  mit  allen  Arten 

^ToD  Decken,  die  in  ir^rend  einer  Krankheit  notbig  wiin  n.    Jede  Klasse 

\i>o  Kranken  bekam  einen  besi»nderen  Kaum.     Die  vier  Säle  de^  Hn- 

pitals  bestimmte  er  füi*  die  an   Fiebern    und   dergleichen   Leidenden, 

nen  Hof  sunderte  er  für  die  Auj^en kranken,  einen  für  die  Verwundeten^ 

\men  für  Diejenigen,  welche  an  Dorehfallen  litten,  und  einen  für  die 

nuen;  ein  Zimmer  für  die  Reconvalescenten  theilte  er  in  zwei  Theile, 

|jjei)  einen  für  die  Männer,  den  andenm  für  die  Frauen.    An  alle  diese 

rte  wurde  das  Wa^sser  geleitet.     Ein  besimderes  Zimmer  war  für  das 

EDcten  der  Speisen,    Medicaraente  und  Sjnipe,   ein  anderes  für  da.s 

eben  der  Confekte,   Balsame,  AiigensallKMi  ii.  dgl.    bestimmt     An 

PTfTSchiedenen  Orten  wurden  die  YorhUh«^  anfhewahrt.;  in  einem  Zimmer 

nmi  die  Sjrupe  und  Medieamente  allein.     In  einem  Zimmer  hatte 

tfrr  Oberarzt  seinen  Sitz,  nm  medicinische  Vorlesungen  7ai  halten.    Die 

/IM  der  Kranken   war  nieht  begrenzt,  sondi^m  jeder  Bedürftige  und 

welcher  dahin  kam,  fand  dort  Aufnahme;  ebensowenig  war  die 

IfMt  des   Aufenthalts   eines   Krankten    darin    liesHmmt,    nnd    es    wurde 

BUS  sogar  Denjenigen,  welehn  ym  Hause  krank  lag^en.  Alles,  was  sie 

KitJiij^  hatten,  verabreicht.**^ 

Dieses  Huspital  erfuhr  im  Verlauf  der  Zeit  manche  liauliehe  Ver- 
tk^ssernngen  und  Erweiterungen.  Im  Garten  wurde  ein  grosses  Zelt 
ichtet^  damit  die  Kranken  di>rt  im  Schatten  spazieren  ^'ehen  konnten, 
[ine  im  Thoro  des  Haspitols  ^'elegene  Cisteme»  aus  welcher  die  Tbien» 
trinken  ptlegten,  wurde  verlegt,  „weil  die  Leute  durch  den  stinken- 
If'Q  Genich  des  Schmutzes  belästigt  wurden",  und  eine  Wasserleitung 
ngek^gt. 

Der  Stifter  der  An^stalt  vermaehte  derselben  su  vielen  Gmndbesitz, 
der  jährliche  Ertrag  desselben   nahezu  eine  Million  Dirhem  euis- 
lebte.     Zwei  Beamte  waren   damit  beanftragt,    die  aus  den  tlriinii- 
Itöeken  der  Anstalt  zuöiessenden   (relder  «nnzutreiben;   andere    hatten 
Controlle  der  Ausgaben  oder  die  Aufsicht  über  die  Gebäude   und 
Küche. 

Wie  LecLlEBC  angiebt,^  wurden  in  diesem  Huspital  Anfangs  nur 

Äoke  und  erst  später  Leidende  aller  Art  aufgenommen.     Sie 

iirden  dort  gut  verpflegt  und  genossen  ein  behaghehe^s  Leben.    Wenn 

an  Schlaflosigkeit    litten,    so    wurde    ihnen    durch    Musik,    (Uirch 


'  Maorjxi  öach  WüerEMFELD  ä, 

'  Leclerc  ä.  a.  0.  L  570. 


.  0.  S.  34, 


150  Der  medieimacke  Unterricht  im  Mitteiaitm'. 

Märchen-Erzähler  und  andere  Zerstreuungen  die  Zeit  vertrieben.  Beim 
Verlassen  der  Anstalt  erhielt  jeder  Pflegling  5  Goldstücke,  damit  er 
nicht  genöthigt  war,  sofort  schwere  Arbeiten  zu  übernehmen. 

Mit  dem  Hospital  war  eine  Moschee  yerbunden,  in  welcher  zu 
jeder  Zeit  der  Koran  vorgelesen  und  erklärt  wurde.  Femer  befand 
sich  dort  eine  Bibliothek,  in  welcher  6  Eunuchen  als  Diener  angestellt 
waren,  ein  Waisenhaus  nebst  der  dazu  gehörigen  Schule  und  eine 
höhere  Lehranstalt.  Es  dürfte  zu  jener  Zeit  keine  Wohlthatigkeits- 
Stiftung  in  der  Welt  gegeben  haben,  welche  sich  an  Grossartigkeit 
Pracht  und  Ausdehnung  mit  dieser  Schöpfung  messen  konnte. 

Maobizi  beschreibt  dann  noch  das  Muajjidische  Hospital  in  Gairo, 
welches  um  d.  J.  1420  eröffnet  wurde,  aber  nur  kurze  Zeit  als  Heil- 
anstalt diente.  Auch  in  Fez  gab  es,  wie  Leo  Afbicanus  berichtet, 
Krankenhäuser;  einzelne  hatten  besondere  Abtheilungen  für  Geisteskranke. 

Spanien  soll  reich  an  Hospitälern  gewesen  sein;  doch  sind  die 
darüber  vorhandenen  Nachrichten  sehr  spärlich.  Zu  Algesiras  bestand 
im  12.  Jahrhundert  ein  Krankenhaus  und  Cordova  soll  nach  einer 
wahrscheinlich  an  orientalischer  Übertreibung  leidenden  Mittheilung 
sogar  50  derartige  Anstalten  besessen  haben. 

Die  liebende  Fürsorge,  welche  die  Mohammedaner  den  Irren  wid- 
meten, hatte  ihren  Grund  in  der  Religion.  Sie  sahen  in  den  Hal- 
lucinatiunen  und  wirren  Reden  dieser  Kranken  häufig  Äusserungen 
einer  überirdischen  Welt  und  zollten  Denen,  welche  damit  begnadet 
wurden,  gebührende  Verehrung.  Die  Christen  huldigten  der  gleichen 
Anschauung;  aber  sie  erblickten  darin  Strafen  Gottes  und  Wirkungen 
des  Teufels  und  der  bösen  Geister.  Die  Geisteskranken  fenden  daher 
in  den  Ländern  des  Islams  ^eundliche  Worte  und  sorgsame  Pflege  in 
den  Hospitälern,  während  sie  von  den  Christen  wie  Verbrecher  behan- 
delt, in  die  Gefangnisse  geworfen  und  geschlagen  oder  als  Zauberer 
und  Hexen  mit  Feuer  und  Schwert  vertilgt  wurden.^ 

In  Bagdad  und  Cairo  bestanden  Irrenanstalten  längst,  bevor  man 
in  den  Ländern  der  Christenheit  an  die  Errichtung  derselben  dachte, 
und  hier  entstanden  die  ersten  in  Spanien,  auf  dessen  geistige  Ent- 
Wickelung  die  arabische  Cultur  den  grössten  Eintiuss  ausgeübt  hat. 

Auf  dem  Gebiet  der  Irrenpflege  neigt  sich  die  Waage  der  Huma- 
nität entschieden  zu  Gunsten  der  Mohammedaner;  das  Christenthum 
zeigt  hier  einen  hässlichen  Flecken,  welcher  dem  Religionseifer  seiner 
Anhänger  zur  Last  fallt. 


^  Le<  KY  a.  a.  0.  II,  68  u.  fF.  —  Dbsmaisona:  Deerasilee  dali^n^  en  Espagne, 
Paris  1859. 


IXe  Araber  hatten  m  ihren  Spitälern  besonder«  Abtbeilungen  ffir 
fieiiduedf'neii  Arten  der  meDschlichen   Leiden;   aueh   gab   es   be- 
"Simdere  Amtalten  für  einzelne  Krankheiten,  l  B,  diejpni|?en  der  Augen, 
Die  Studieremleo,  welche  diese  Krankenhäuser  besuchten,  wurden 
er  unter  d^r  Anleitung  erfahrener  Ärzte  in  die  Kunst  eingeweiht, 
\  Krankheiten  zu  erkennen  und  m  behandeln.    Sie  wohnten  der  Aiis- 
bnmg  ühirurgisüher  Operationen   bei   und   konnten    auch  manch  mal 
Bigp  praktische  Kenntnisse  in  der  Gi^hurtshilfe  erwerben,  wie  es  ihnen 
"  Au  Bb5  Abbas  empfahl. 

In  den  Apotheken  hatten  sie  Gelegenheit,  die  Bereitung  der  Arz- 
jgifn  kennen  zu  lernen.    Die  Arabt^r  haben  die  Apotheken  in  die  Heil- 
nile  eingeführt;  es  scheint^  dass  sie  durch  die  Nestorianer  damit  iie- 
gemaeht    wurden.^     Die   arabisehen  Apotheker  handelten    nicht 
it  Arzneigtoffen ,  namentlich  Sandeüioh,    weshalb  sie  auch  Szan- 
«lAläfii  genannt  wurden,  sowie  mit  Päufümerien,  k<»smetis(^hen  und  an- 
^ifcp'ü  Mitteln,  sondern  beschätYigten  sich  auch  mit  der  Zunanimensetzung 
^r^elben  zu  Medicanienten   und   führten  \\\\\  Dispensatorien   ein.     Die 
fsU'niaTische    Anwendung    der    Destillir- Apparate    uml    \Xw    Ertindung 
nzelner  Formen  der  Arzneien  war  ihr  Verdieust, 

Ihre  chemischen  und  butanischen  Studien  kamen  ihnnn  dabei  sehr 
Statt**n,    Die  Botanik  iiiidete,  \ti(?  Hadji  Khalfa  sagt,*  eine  HilfK- 
chaft  der  Medicin,     Viele  Ärztin   waren  eifrige   Botaniker:    von 
Kddtn  Ibn  AöziTBi  wird  erzählt,  dass  er  sieh  auf  sinnen  l»»- 
ichen   Exeurstionen  von  einem   Maler   begleiten    Uess,   welcher   die 
mm  in  ihren  verschiedenen  Kntwiekelungsstadicn  zeichnete»^    Mi)- 
Bkx  Ali  Ben  Fabak,    der  Leibarzt  des  Fürst*'n   von  Cadix, 
id  sogar  sehon  einen  botanischen  Oarten  angelegt  haben.  * 

Die  arabischen  Arzte  trachteten  nicht   blos  darnach,    sich   gn'ind- 
liclie  Kenntnisse   in  iler   Merliein   unfl    in   den   Naturwissrnsrhaften  zw 
en,   sondern    widmeten    auch    den   lehren  der  Philosophen   ein 
t  Interesse  und  standen  an  der  Spitze  aller  hberalen  BestTebungen, 
imen  eines  Avicen^a,   Avempaoe,   Avehkoes  und  Moses  Mai- 
Dis  glänzen  fast  noch  nu^hr  in  der  Geschichte  der  Philosophie  als 
'in  derjenigen  der  Heilknnd(\ 

Die  Grundlage  ihrer  philosophischen  Ideen  fiildete  das  Aristotelische 
System,  welches  sie  nach  verschje*lenen  Richtungen  weiter  entwickelten. 


R.  SpflsnaKL:  Gee»chichte  der  Botanik^  Leipzig  1^17,  I,  S.  2Q5. 

Himi  Khalfa:  Lexicon  bibliographicmn  et  encyclopaedifum  ed.  G,  Flögel, 
1845,  1\  IV,  p.  114. 
>  Hadji  Khalfa  a.  a,  O.  T.  I,  p.  227,  No.  80t.  —  Lbcleec  a.  a*  0.  I,  564. 
*  CAtfuu  ft.  %.  O    T  U    p.  89. 


Ika-  mediemiäehB  üni&rrkki  im  MiUeiaÜBr^ 


Wabruiid  A\iCEawNA  dadurch  zu  einem  telei>logischen  Th«tömii8  gefühn 
wunit\  iWr  ibn  den  christlichen  Schulen  di*ü  Mitteljilt»:'rs  empfahl,  ^v 
hingt e  AvKRKOKS  zu  einem  pantheistiHchen  Natunilif^mus,  welcher  w»*ifen 
seines  rationiüistisihen  TlmraktfTs  uieht  nur  von  der  ehri)stlichen  Kirch«« 
\i'i'd}immt  wurde,  sondern  ihm  auch  unter  seinen  eig-ent-n  Landslruuu 
imd  Ghiubens^enussen  viele  <jegiier  schuf*  Wenn  AvKHH<>f:s  erkÜrtf, 
dass  (he  Kehj^noM  nur  der  schwachen  Geister  we^rn  da  nci»  diwsj  der 
MenHch  auch  uhne  die  Offenharunp,  nur  allein  durch  die  Vernunft  m 
Krkenntniss  d(*s  Wesens  der  Din^e  gehingen  krmne,  wenn  er  an  di>» 
St*dlc  einer  durch  den  allmäehtisfen  Willen  der  *ri*ttheit  ent-Htandeai'u 
8ehr»pttiii^'  eine  nach  Art  der  Ari8ti>teüschen  Entelechien  durch  ilie  2eik 
aus  den»  Zustande  «ler  Möglichkeit  in  denjenifren  der  Wirklichkeit  ^Im- 
geführte  Natur  setzte^  und  die  Ewigkeit  der  Welt  and  der  Materie,  di«» 
Verst^hmelzung  der  Gottheit  mit  der  Natur  und  die  Wesenseinheit  dw 
Vernunft  prisligte,  sii  rüttelte  er  an  den  i^indamenlen  der  mun«)- 
thei^tisclien  Keügiunssjrsteme  und  musste  einen  erhitterteu  Kampf  üpr* 
Mhen  erwarten.* 

Auch  sein  Sehider  und  Anhäo^^er.  der  judist^h»'  .Arzt  Mm^ses  Maj- 
MtiKiDBB  erfuhr  diesi,  als  er  den  Versuch  machte,  die  V»in?chrifleii  di»s 
Talmuds  mit  den  Forderungen  der  Vernunft  zu  versöhnen.  Kr  eroffii^^j 
tler  freiereo  Bkbiung  im  Judenthom  die  Bahn.  „Vi»n  Spinoza  hk  m 
Mjssuslbbubx  hat^""  wie  MrNik  sagt,  ,/ias  Judeothum  keinen  fm- 
mmigm  Denker  berrorgebnichl,  der  nicht  von  Madauxidbs  die  erste 
Weihe  t^rhalten  hat,*- 

In  den  Ländern  de^  Idams  bemühte  während  der  ersten  Jahr- 
lutmleil»  mam  BM^hens  eine  religiöse  Toleranz  gegen  Andersgläubige, 
via  ääe  bii  dfO  Chri^^ten  zu  jener  Zeil  nirgends  gefunkt  n  wurde.  Die 
MAieifEn  Leluiavlahen  und  medicinisolien  Schulen  der  Araber  hatten 
unU'r  iksvn  Ldhivni  ebenso  wie  unter  ihren  Scbülem  Tide  Juden, 
und  Bektmiusr  aiidarar  BdigianciL  An  ihren  Htispitälem 
ttkhl  Um  mobammedaaifieh«,  aondeni  auch  christliche  und 
jidisciM  Ante  angaileUl,  und  Kranke,  w«>klie  nicfal  dem  herrschenden 
IltMboi  mgtbotleOt  Attdüi  dort  eWnfidk  frfiiiidlielia  Aufnahme  und 
v^lihrotkjide  Pflege, 

9thm  der  Pmph«!  HiihamnwJ  adbsl  httHe  wmaum  Anliäiigem  einen 
rng!itNig"lT  ab  Anl  inpAdilfn.*  An  den  Höfen  der  EbaUfen  und 
imbamB^dan^llfii  Fftrslt-n  fpielteo  Juden  und  Christen  ^  namentUch 
^isfifatmmft,  als  Ldbante  e«ie  berromjrcnde  RüUe;  aneh  zu  anderen 
t'  hen  Strilnogrn  im  Sanitätswe^irn  worden  sie  tiefonlert^ 


>  f.  lüjuttft-Frw^vALL  a.  a.  O.  IL  S.  iti.  —  Aaru^i 


a.  a.  O.  p.  n. 


MuHein,  Wissenschaft  w.  medidn,  Unterricht  hei  den  Arabern.       153 

Die  Ausübung  der  ärztlichen  Praxis  stand  Anfangs  Jedem  frei; 
aber  allmälig  wurde  es  üblich,  dass  sich  die  Arzte  von  den  Lehrern, 
welche  sie  in  der  Heilkunst  unterrichtet  hatten,  Zeugnisse  geben  liessen, 
weil  sie  dadurch  dem  Publikum  grösseres  Vertrauen  einflössten.i  Ein 
ärztlicher  MissgriflF,  welcher  den  Tod  eines  Patienten  zur  Folge  hatte, 
war  die  Veranlassung,  dass  i.  J.  931  alle  Arzte  von  Bagdad  und  der 
Umg^end  aufgefordert  wurden,  sich  prüfen  zu  lassen;  nur  den  Ärzten 
des  Hofes  und  solchen  Ärzten,  deren  Tüchtigkeit  allgemein  anerkannt 
war,  wurde  das  Examen  erlassen.  Alle  übrigen  Heilkünstler,  deren 
Zahl  860  betrug,  mussten  ihre  Beföhigung  zum  ärztlichen  Beruf  durch 
eine  Prüfung  nachweisen,  welche  der  Leibarzt  des  Khalifen,  Sin  an 
Ben  Tsabet  Ben  Cobba  abnahm.*  Meyee'  glaubt,  dass  dies  nur 
eine  vorübergehende,  gegen  die  Charlatane  gerichtete  Polizeimassregel 
war,  weil  kein  Nachfolger  dieses  Examinators  genannt  wurde;  aber 
ähnliche  Einrichtungen  bestanden  zu  Bagdad  auch  im  12.  Jahrhundert 
and  in  Gordova  schon  früher.*  Es  scheint  mir  darnach  nicht  zweifelhaft, 
«iass  die  Anfange  des  ärztlichen  Prüfungswesens  bei  den  Arabern  zu 
suchen  sind. 

Wie  bei  allen  orientalischen  Völkern,  so  war  es  auch  bei  den 
Arabern  eine  häufige  Erscheinung,  dass  der  Sohn  den  Beruf  des  Vaters 
wählt«.  Einzelne  Familien,  wie  die  Bachtischua,  deren  Stammtafel 
Meyer  zusammengestellt  hat,*  die  Coera,®  die  Honein  und  die  Zohb,^ 
welcher  Ayenzoae  angehörte,  lieferten  durch  mehrere  Generationen 
Ärzte,  von  denen  Einzelne  sehr  berühmt  wurden.  Auch  auf  anderen 
<jebieten  der  Gelehrsamkeit  war  dies  der  Fall,  wie  das  von  Wüsten- 
feld® angeführte  Beispiel  der  Familie  Sobki  beweist. 

Manche  Arzte  beschränkten  ihre  Thätigkeit  auf  einen  speciellen  Theil 
der  Medicin,  z.  B.  die  Augenheilkunde. 

Schon  in  früher  Zeit  wurde  di(^  Einrichtung  getroffen,  dass  Protu- 
medici  ernannt  wurden,®  welche,  wenn  dies  nicht  blos  ein  Titel  war, 
die  Aufsicht  über  die  übrigen  Arzte  führtcm.  Wahrscheinlich  war  dieses 
Amt  stets  mit  demjenigen  des  Leibarztes  verbunden.  Vielleicht  hing 
»*s  mit  der  Einführung  der  ärztlichen  Prüfungen  zusammen? 


*  Leclerc  a.  a.  0.  I,  574. 

»  Casibi  a.  a.  O.  T.  I,  p.  438.  —  Leclerc  a.  a.  0.  1,  576. 
»  Meter  a.  a.  0.  III,  122.  *  Leclerc  a.  a.  0.  I,  577. 

»  Meteb  a.  a.  0.  in,  109. 

•  WCstbkfeld:  Gesch.  d.  arab.  Ärzte,  S.  34  u.  ff. 
'  WüBTEHFKLD  a.  a.  0.  S.  88  u.  ff. 

•  Wüstenfeld:  Akademien  der  Araber,  S.  119. 

*  Lbclebc  a.  a.  0.  I,  576. 


tmg  BETtMAM^  der  Y^iftmer  im  bolES  anbiidiefli  W<>rkes 
mm  jgyp^Jwffa'P  Hofe  wh  hmbttrti  irir 
Dtf  Anit  »i  H«rbcnlai  (Apollitker?) 
L^otli^  t*niMiii 

Die  Ante  mIumh  in  mtUtm  Leboi  eine  bemtmglg  SteUmif  i 
■Miiiiii    erlioftra  ak  Framde  nd  Billigeber  der  Herr^ehfr 

Die  Leibinle  aa  deai  Hofe  der  Kiuüfen  eThiehen  ri*i€ 
b,  ab  aaden  OeMule  ufid  Beamtet 
««den  fliil  Ehren  mid  Anoäetooniai  tVrhaiift.    Nkht  Weni^n* 
imgifn  die  Wärde  de»  ¥enr»^  veiehe,  ireao  aocli  nkbl  immft 
Bange  eines  Miniislef»,  ao  doch  jedenbUi  denvnugen  imsenfT  gehi^i 
ratlif  nnd  Hofriüm  entipfaeh.* 

Andaeeadls  aehonl  ea  dm  iiallielien  Blande  aoeh  nicht  an  j« 
Elementen  gefehlt  m  haben^  weldie  daa  Pnblikain  mit  den  tmlaut 
Mitliln  der  Charklanerie  anloofeen.    Rsaibs  tfihlu*  sich  tUdurch 
fOSnlaart,   eine  Sbfarift  zn    nnflumm   ^üher  die  in  der  luedioii] 
Konsl  Torkünimt^nden  Umstinde^  welche  die  Hf^rxt^  de^r  meitsten 
sdun  TOD  dt^   achtbarsten  Ärzten  ablenken   and  den  niedri^ten 
iraiden.'«' 

Die  anibi«ichen  Äizte  lie^sen  der  idealen  Aufgabe   ihre» 
zwar  rolle  Anerbennang  in  Theil  werden;    al^er   sie   biildtj^t«m 
nüchternen  Aaf&ssnng  des   Letiens  and  nahmen   «Üe  Dinge,   wie 
wirklich  sind,  nichl^  wie  sie  sein  sollten.    In  dem  .^Führer  der 
ak  dessen  Autor  der  Jude  Isak  ii<RAKLi  gilt,    wc^rrlen    ihnen  b^beni«^ 
regeln   ertheilt,    welche   davun  Zeiigni^^  geben.     Durt   btMsst  vs:    ^W 
wichtigste  Aufgabe  des  Arztes  ist  es,  Erkriinkungen  m  TcrhStem**  — 
«Die  mei.sten  Krankheiten   heilen   ohne  Bei^^fand   de«  Arztes  durrh  i\w 
Hilfe  der  Natur,"   —  „Vermagst   Du   den   Kranken   durch   diütetisdi»* 
Mittel  EU  heilen,  so  unterlass  die  Verordnung  von  Arzneien  !**  —  „V«r* 
hu»  Dich  bei  I>eineii  Kuren  niemal?»  auf  Wundermittel,  da  tfie  meistens« 
auf  Thorheit  und  Aberglauben  beruhen!"  —  ,,Stelle  den  Kranken  div 
Ctenesung  in  Aussicht,   selbst  wenn  Du  auch  nicht  davon  überzeugt 
birt;   denn  Du   wirst   dadurch   jedenfallH  i\m  Heilbe^treben  der  Natur 
nntendötzen/*   —  „Wenn    der  Arzt   von    weither    gekummen    ist   utul 
eine  fremde  Sprache  redet,  dann  halt  ihn  die  Menge  für  klug,  dringt 
sich  zu  ihm  und  sacht  seinen  Rath/*    —   ^Sprich   niemals  ungiinstii» 
ftber  andere  Arzte;   denn    ein  Jeder  hat  seine  glückliehen   und. 


*  V.  HA>ii«Rii-Puii«>srrALL  a.  a,  O.  Bd.  L  Einleit.,  i>,  L. 
LfiCLCitc  a.  a»  0.  I,  57S, 
M*  SrEinficKirEtDKR  in  Yntcnows  ArcJuv,  Bd.  8<t,  SL  574  u.  fll 


in.  WitBmsekafl  u,  m^iein.  Ünterridü  im  dm  Arabern,       155 


lücklich«*ii  Stunden.    I^iss  Deine  Tliaten  Dich  rühraen,  nicht  Deine 
igf^***  ^ —  .^Bc^snebe  den  Kranken^  wenn  es  ihm  am  schlimmsten  er- 
hu     In    dieser  Zeit    verstandijafe   Dich   iiüt   ihm  üIkt   Dciiim   Li»bn; 
wenn   der  Kranke  gesund   ist,    erinnert    er   ^ieh   an   niclitK*'    — 
Je  IVin  Honorar  so  hoch  als  möghch;  denn  wiis  Du  nnentgeJtlich 
st  wird  fTir  ereringr  geachtet!"  —  „L<i.ss  Dir  die  Heünntr  von  Fürsten 
Rei<*hen  angelegen   sein:    denn   sie   werden   nach   ihrer  (leiiesuiig 
en  Dich  freigebig  sein.  Dich  stetes  preii^ün  und  liehen,  während  di»" 
Beinen  Lente  Dich,  wenn  sie  geheilt  sind,  no(^h  hassen,  wenn  sie  an 
Honorar  denken/**  —  Sollte  man  nicht  glauben,  dieses  Ikreh  wiin» 

geschrieben?  — 

Die  arahischeCnItur  sink  fast  ebenso  rasch   von  ihrer  Hidie  herab, 

^ie  dieselbe  i-rkhinimen  Iiatte,     Die   berühmten  Schulen  der  Nest<»- 

waren  schon  im  9»  Jahrhundert  im  Verfall,^    Die  hüheren  Lehr- 

ilton  der  Araber  erhielten  sich  bis  itis  14,  Jahrhundert  und  gingen 

allmälig  oder  rasch   zu  ilrunde,   und   mit    ilinen   sehwand   auch 

mssienschaftliche  Lehen»  welches  der  Menschheit  su  reiche  Früchte 

m  hatte, 

ie  Religionskriegts  welche  im  Osten  unter  dem  Namen  der  Kieuz- 
von  einigen  heutA»gierigen  Abenteurern  unteraommen  wurden  und 
7m  Wfsten  zur  Ero))ening  Spaniens  und  der  süditalienischen  Inseln 
darch  christliche  Fürsten  führten,  riefen  den  Glauhensfanatismus  der 
Mfthsunine4hiner  hervor'  und  lähmten  ihr  geistiges  Streben.  Die  mon- 
^lischen  und  türkischen  Stämme,  die  im  13,  Jahrhundert  sengend  und 
modletid  in  die  Länder  der  arisch-semitiscljen  Welt  einbraclien»  zer- 
trit^ö  di^  alt^en  Kulturstätten  Asiens  und  verwandelten  blühende  Städte 
In  wüste  Kinöden,  Der  Orient  hat  sich  von  diesem  Schlage  niemals 
wieder  erholt,  und  die  türkische  Herrschatlt  wurde  gleichbedeutend  mit 
im  geistigen  Tode.  Aber  im  christlichen  Abendlaude  bildeten  die 
Aitelänfer  »ier  arabischen  Ctiltur  die  Keime  zu  ileni  geLstigen  Auf- 
j«hwunge.  welcher  an  den  Schulen  von  Salerno  und  Montpellier  seine 
em«^n  Triumphe  feierte. 


^  SojLve  im  Giom.  Veneto  di  öcienze  mediche  1861,  ser.  IL  t,  Ijh,  p,  393 
t.i  —  0.  KjküFMJLyN  im  Ma^^u  f.  d,  Wisseiisch.  ti  Judenttvami?,  Berlin  1884, 
SL«T  a.£ 

*  As&EHAxi  &.  a,  0.  lU,  pars  IL  p>  940. 

•  V.  KitEi4eit:   Ihn  Chaldim  uod  seine  CnUargescJitchte,  Wieu  1879,  8.  89. 


Die  Medicin  der  Gernianen  und  der  Unterricht 
in  den  Klosterschulen. 

Die  germanischen  Stämme,  welche  nach  der  sogenannten  Vi 

wandemng  in  der  westlichen  HfUfte  det*  römischen  Reiches  zur 
Schaft  gelangten ^  standen  im  5.  Jahrhundert  laug-st  nicht  mehr. 
der  niiHirigren  ( 'nlturstnfe^  \rie  sie  Tacitcs  geschildert  hat. '  Im  Kli 
wie  im  Frieden  waren  sie  mit  den  Rumern  in  Verkehr  getreten 
hatten  deren  Cherlegenheit  in  den  Wissenschaften  und  Künü^Um  km 
gt^lemt.  Als  Soldaten  im  römischen  Heere,  als  freudig  begru&ste  Bunde 
genoswsen  oder  als  UeiÄ^eln  für  die  heschwurenen  Vertrage  erhielt4*n 
Gelegenheit,  die  ^' ortheile  der  römischen  Cultiir  zu  geniessen  und  Ke 
nisse  zu  erwerben,  welche  sie  ihren  Landsleuten,  die  in  der  Hein 
zurückgeblieben  waren,  übermittelten.  Die  Keime  edler  Ge^ittun^ 
giTmanischen  Volke,  welchen  TAcrrus  ein  bewundern ngsvuUes  U 
spendet^  wurden  durch  die  höhere  Bildung  veredelt  und  weiter  m^ 
wickelt. 

Als  die  Stämme  der  Giithen  und  andere  deutsche  Vrdker  aus  ifc 
bisherigen  Wtdinsitzen  durch  die  von  Osten  andrängenden  Horden 
Hunnen  vertrieben  wurden,  und  von  Thateudurst  und  Sucht  nach  Reich 
thum  und  Macht  erfüllt,  ihre  weltgeschichtlichen  A\\anderungen  anträtea 
besassen  sit*  bereits  eine  Sei) riftsp räche,  ein  geonlnetes  Stcuit.swesen,  ein 
gesicherte  RechtspHege  und  mancherlei  Kenntnisse  auf  den  ver 
tlenen  Gebieten  des  geistigen  Lebens.  In  der  Heilkunde  huldigten  ^i] 
der  Anschauung,  dass  die  Krankheiten  durch  überirdi.sche  (tewaltti 
erzeugt  würden,  welche  durch  Gebete  und  Zauberei  versöhnt  werdtt 
müssen;  ab<^r  sie  versäumten  darüber  nicht  die  Anwendung  heilkräftigoi 
Kräuter  und  anden^r  Mittel^  deren  günstige  Wirkung  die  Erlahrauj 
gelehrt  hatte.  Den  Frauen,  welche  im  germanischen  Lebeu  eine  seh 
hervuniigende  Ridle  spielten,  lag  es  hauptsachlich  oh,  dit*  Wunden 
xerbinden  und  die  Kranken  zu  jitlegetj,  ^ 

Krst  allmiUig,  vorzugsweise  unter  tiem  Eintltiss  der  romischen  Cultü 
i-ntwiekelte  sieb  bei  ibnen  ein  eigentliclier  ärztlicher  Stand.     Die  grie 
i-hischen  und  n'»niischen  Arzte,  welche  durch  den  Beruf  eines  Militari^ 
arztes  zu  ihnen  geführt  wurden  oder,  wie  ORiBAsnrs  und  A 
in  vier  Verbannung  mler  als  <iesandb'  bei  ihnen  weilt«n,  dürften  da 
nicht  nijnig  beigetjugen  haben. 


'  Tacitps;  GermimiM 
Ät,  Pari»,  oct.   1873. 
»  Tacitc»  m  »,  ä  c.  7.  8.  IS. 


i\  :».    U»   u.  ji.  Kh   —  GtiBos  a.  a.  G, 


d.  — 


Wenn  GüizoT*  sagt,  dass  es  schwer  sei,  die  preistigen  Zustande 
ien  ?or  der  Völkenvanderang  zu  schildern,  hj  gut  dies  be* 
?on  der  Heilkunde.  Aus  der  vergleicbenden  Liiitruistik  er^ie)»t 
lenlingi»,  dass  sie  bestimmte  Bezeiclinun^«'u  ftir  i^mzelne  Krank- 
hatWn.'  und  die  Analogie  mit  der  Cxilturentwickelung  anderer 
T,  namentlicb  mit  den  Zustanden  der  Ui^rmanen  des  Nordens,  lässt 
1«  Foljß^t.Tungcn  zu. 
Auob  di>i1  übten  weise  Frauen  die  Hcilkiinst  aus.  und  man  wr- 
sogar  eine  weibliehe  inittheit  dvr  Heilkunde',  Eir  mit  Namen, ^ 
ilde,  ,,die  Äi'ztin",  und  di**  Narni'n  vtrsümden  die  Kunst  des 
idens*  Wenn  Sigrdrifa  (Bnuihilde)  zu  Sigurdr  sagt,  dass  rr 
einer  gewissen  Art  kennen  raiisse.  damit  das  Kind  von  der 
T  gelöst  werde*  und  wenn  es  vum  Jarlssrdin  Konr  heisst,  dass  t»r 
n  kanntje  und  den  Frauen  bei  iler  Entbindung  Beistand  leistete, 
ndelt  es  sich  ott'enbar  um  mystische  Zauberfurnieln,  denen  ein 
rban^r  Einfluss  auf  den  Geburtsakt  zugeschrieben  wurde.  Auch 
GringTihrolf  halt'  bei  der  Entbindunt]^,  indt^m  er  die  Hände  auf- 
Fürsten  und  Helden  galten,  wie  schon  Odhin,  der  Arzt,  als  be- 
erfahren in  der  Heilkunde;*  es  deutet  dies  vielleicht  darauf 
dass  die  letztere  vorzugsweise  von  den  angesehenen  Männern, 
iflohe  an  der  »Spitze  eines  grossen  Haushalts  ständig,  ausgeübt  wurde, 
ich  wie  es  nuch  zur  Zeit  Cat<>'s  in  Rom  geschalL 
Unter  den  Krankheiten,  weiche  genannt  werden,  treten  Geistes- 
^»ruDgen,  Impotenz,  aber  am  häutigsten  die  chronischen  Geschwüre 
des  Tnterschenkels  aui^  welche  manchmal  sogar  tödtlich  endeten.  Mit 
der  Behandlung  der  Wunden  wusste  man  recht  gut  Bescheid,  Selbst 
die  Amputation  wurde  ausgeführt  und  der  Verlust  des  Unterschenkels 
(lafcli  künstliche  Nachbildungen  aus  Holz  ersetzt.  Die  Stelzfüsse  waren, 
«k  tsi  scheint,  nicht  selten.  Auch  von  der  Bauchnaht  ist  die  Bede, 
stammen  diese  Mittheilungen  aus  der  Zeit  der  Wikinger-Fahrten, 
Icher  schon  Berührungen  zwischen  den  Germanen  des  Nordens 
den  entwickelteren  Culturzuständen  weiter  vorgeschrittener  Völker 
den. 


Goixot:  Cqutb  d'hietoire  moderne.     Ilistoire  de  la  dvilisation  eii  France, 
1829.  1,  p.  204. 
*  Ai».  Pictkt:  Die  alten  Krankbeits-Namen  boi   den  Tndogermanen  in  der 
jZeitochr,  t  vergl.  SprAchforschimgT  Bd,  V,  S.  321  u,  C 

-  »  K.  WEOfHOLD:  Altnordbches  Lebeu,  Berlin  1S56,  S,  385  u,  ff, 
I  •  Sigardbarkotda  L,  17,    Fafnisirml   12.    Sigrdrifumal  Ö,    liigsmal  40.    For- 
9^T  UX  276.   Saxo  Gramm.  I,  1,  25,  33.  129.    Prof.  R.  Heinzel  in  Wien 
I  die  Güte,  mich  auf  diese  Stellen  aufinerkdam  2U  macben. 


Snohhi  Stüelüson  und  HRAF^r  SwBiKRi^BKNHOiN  erlangten  dt 
ihre  gJik'klichetj  Kuren  oinen  groBHen  Kut    I)«r  letzter©  soll  sogsr  i 
Blasensteirisehniit   mit   ^lückliclieTn    KrMg   ttusjßrcfuhrt    haben. 
mythische  Vit t>lf*j^alf  als  der  Patron  der  nordJHchenrhimrjjren,*  Ingig 
dm  Ku8senkuni^  Injüfvar  Tochter,    griindete  t'in   kkdnei?    Hospital 
Übergab  dem  lindhändigen  Fraurnvolk  die  Pllego  der  Kninken. ^ 

Im   t(l  Julirhuiidi'i't  gab  os  in,  Xvnwegon  lieiinU  f»ine  M^ngf 
Ärzten,  weleh«*  ihre  Klingt  gewürhsmäs^ig  auNÜbten;    niftti   hatte  m^ 
schien  Hausärzte,  welehe  reiehlich   belohnt  wnnbnh*     E.*  exiÄtirte  aa 
bereite  eint*  M<Hlidniilt>jVxe;   die   Hohr  des  ärztünhen  Honorars   richU 
sich  uaeh  der  Sohwere  devS  Leidens^  wtdehes  ireheilt  worden  war, 

hl  d('ni  Sütlurniannlä!i<lisebrn  (irsrlzhoeh,  di^  nllerding?«  er«t  18 
vrruHVnlUrht   wurdt%  aber  auf  aJfi'ii   Kinriehtungen  beruht,   wnrd*» 
«tininil,  diuiii  nur  Derjenige  als  Xni  antTkannt  wt*rde.  der  ^lim 
wunde,  einen  Knuehenbriich,  t^inr  iniirn*  Verbdzinig,  eine  Veistüma 
lung   oder  eine   tiefe   Stiehwunile   geheilt    hat.      Die   Oohurtshilfe  1>| 
natürlieli    den  FmiKTi    uherliwsen.      Übrigens   wird    lierdts  den  Ka 
Schnitts  gedaeht 

Es  wäre  unrichtig,   wenn  man  dkm*  Nachrichten,  von  denen 
zelne  ufleiibur   das  (Gepräge   späterer  Cultiir-Eintlüsse  zeigen,   Auf 
(Jennanen    iler    ersten    Jahrhunderte    «bortragen    wollte,    wie   e»  ' 
muncben    mediciuiscdum    lliötorikeni    gt^^cheln^n    ist      Sie    biTechtigvn 
htichstt^ns  xit  i'inigen  Vermiithungen   über  den  Zast^ind  der  Heilkuuili' 
bei  ihnt'n. 

Die  Kentitniiise  und  Einrichtungen,  welche  die  Uulhen,  die  Lou 
barden,  die  Franken,  die  Burgunder  und  andere  gt^rniaiiise.ht»  Htäu 
aus  ihrer  Heimatb  in  die  \on  ihnen  unterwort'em'n  Lander  uiitbrachtfV 
verschmolzen  raseli  mit  Dem.  was  die  vorangegangenen  t  "ulturpertodt^u 
dort  zurückgelassen  lialterK  Die  llereitwilligkeit,  mit  welcher  »ich  dif 
8ieger  der  höheren  liildung  der  besiegten  Vrdker  fügten,  zeigt,  das«  m 
fähig  und  reif  genug  waren,  dieselbe  in  sich  aufzunehmen.  Ihre  Heil- 
kunde ging  auf  in  dem  metücinischen  LehrgelNliKbs  welches  die  tiriechrn 
und  Utinier  aufgerichtet  hatten.  Nur  in  der  Volksniedicin  eriüelU'ii 
sich  einzelne  Erinnerungen  an  die  Arzneikunde  der  Kelten,  Bask 
Uacleu,  diithen  und  Angelsachsen. 

In   den    (ieset^en    der    Westgothen.    weiche    zuni   Theil    schon 


^  Sagooliihliothek  do9  akundhiav.  Alterthunui,  bemuag.  Tau  P.  E»  Mfi4Ji, 
übi^rä.  vüfi  K.  LAi  iiMAMN.  Berlin  Iil6,  8.  176.  —  L.  Fjlyb:  lUfii  8w«<iiibJ{irDä«Di 
Uv  og  virknomhtHb  Kris^tiitniii  I8TS. 

«  Giiimm:  M>'tliolog.  994.  HOL  '  Wrinholii  a.  a.  O.  8.  39a 

*  Va|tnlitdUiigii  MgA*  C  18.  29. 


Die  Medicin  der  Oermanen  t«.  der  Unterrichi  in  den  Klosterschulen,    159 


5.  Jahrhundert  niedergeschrieben  wurden,  aber  ohne  Zweifel  viele  rö- 
mische Elemente  enthalten,  wurde  vorgeschrieben,^  wie  viel  der  Arzt 
för  Terschiedene  Euren,  z.  B.  die  Staaroperation,  verlangen  durfte. 
Bevor  er  dieselbe  unternahm,  schloss  er  mit  dem  Kranken  oder  dessen 
Verwandten  einen  Vertrag,  in  welchem  das  ärztliche  Honorar  festgestellt 
winde;  doch  durfte  er  darauf  nur  Anspruch  machen,  wenn  die  Behand- 
lung einen  gfinstigen  Erfolg  hatte.  Im  anderen  Falle  musste  er  für 
den  unglücklichen  Ausgang  derselben  haften.  Wurde  dadurch  der  Tod 
<>ine8  Leibeigenen  herbeigef&hrt,  so  wurde  er  genöthigt,  den  Schaden 
zn  ersetzen;  handelte  es  sich  um  Nachtheile,  die  der  Gesundheit  oder 
dem  Leben  eines  Preigeborenen  zugefügt  worden  waren,  so  wurde  er 
m  einer  entsprechenden  Geldstrafe  verurtheilt  oder  den  Verwandten 
des  Geschädigten  oder  Verstorbenen  zur  Bestrafung  t\berliefert. 

Bezeichnend  für  die  sociale  Stellung,  welche  der  Arzt  einnahm,  ist 
«,  dass  er  weibliche  Personen  aus  dem  Stande  der  Freien  nur  in 
<jegenwart  ihrer  Verwandten  oder  Dienstboten  sehen  und  ])ehandeln 
durfte,  damit  er  derartige  Gelegenheiten  nicht  zu  unsittlichen  Scherzen 
misgbrauchte.  Das  westgothische  Recht  enthielt  auch  Bestimmungen 
über  die  geistige  Zurechnungsföhigkeit,  über  die  Strafen  der  Verbrechen 
gegen  die  Person,  z.  B.  deren  Verletzung  und  Verstümmelung,  über 
Kindesabtreibung  und  über  geschlechtliche  Vergehen. 

Von  besonderem  Interesse  ist  die  darin  enthaltene  Verordnung, 
da8S  der  Arzt  für  den  Unterricht  in  der  Heilkunde,  den  er  seinem 
Schüler  ertheilte,  ein  Lehrgeld  von  12  Solidi  zu  fordern  b(Techtigt 
war;  es  geht  daraus  hervor,  dass  die  Ärzte  wie  im  Alti.rthum  durch 
die  persönliche  Unterweisung  eines  Meisters  in  ihrer  Kunst  ausgebildet 
wurden. 

Die  Gesetzbücher  der  Alemannen,  Salier,  Ripuarier,  Burgunder, 
Bajuvaren,  Friesen,  Sachsen  und  Longobarden  enthalten  ebenfalls  Be- 
stimmungen über  die  Strafen  von  Verletzungen  und  anderer  Verbrechen 
gegen  die  Person.* 

Die  Erziehung  der  Ärzte  geschah  handwerksmässig.  Der  Lehrling 
der  Heilkunde  begab  sich  zu  einem  angesehenen  Arzt,  der  ihn  mit 
medicinischen  Kenntnissen  ausrüstete.  Manchem  Ärzte  suchten  ihr  Wissen 
in  den  grossen  Städten  des  byzantinischen  Reiches  und  Italiens  zu  ver- 
ToUstandigen.  Auch  befanden  sich  unter  ihnen  viele  Griechen,  Römer 
und  Juden,  welche  namentlich  als  Ärzte  an  den  fürstlichen  Höfen  ge- 
sucht waren. 


»  Leg.  Wiaigoth,  lib.  XI,  tit.  1,  de  mediois  et  aegrotis.  —  F.  Dahk:  West- 
gotkiflche  Studien,  Wfinbuig  1874,  8.  3.  61.  145.  220.  229.  230  u.  m. 
*  Corpus  juris  German.  autiq.  ed.  F.  Walter,  Berol.  1824,  T.  I. 


160  Der  medidnische  Unterrioht  im  MütekUter, 

Der  griechische  Arzt  Petbus  ^  wirkte  als  Leibarzt  des  Westgothen- 
Königs  Theodorich  IL  Am  Hofe  der  Merovinger  bekleideten  dieses 
Amt  MarhiEtf  von  Poitiers^  welcher  sich  aus  dem  niedrigsten  Stande 
zu  dieser  Stellung  emporgeschwungen  hatte,  und  Beoval,  der  seine 
arztliche  Bildung  in  Eonstantinopel  erworben  hatte.  ^  Der  letztere 
führte  eine  Hoden-Exstirpation  mit  glücklichem  Erfolge  aus.  Die  Thätig- 
keit  eines  Leibarztes  am  fränkischen  Hofe  war  zwar  sehr  eintraglich, 
wie  die  Beichthümer  Mabileif's  beweisen,  aber  auch  mit  manchen 
Gefahren  verbunden.  Als  Austrigildis,  die  Gemahlin  des  Königs  Gun- 
tram,  von  einer  Seuche,  welche  L  J.  580  wüthete,  dahingerafft  wurde, 
verlangte  sie,  dass  ihre  beiden  Ärzte  Nioolaüs  und  Donaths  sofort 
nach  ihrem  Tode  hingerichtet  würden,  zur  Strafe  dafür,  dass  sie  sie 
nicht  gerettet  hatten,  und  der  fromme  Guntram  hielt  sich  für  ver- 
pflichtet, den  letzten  Wunsch  seiner  sterbenden  Gattin  zu  erfüllen.' 

Karl  der  Grosse  soll  arabische  Ärzte  zu  Bath  gezogen  haben,  wie 
BüLAEus  und  Fbeind  behaupten;*  doch  sind  diese  Angaben,  wenn  sie 
auch  bei  dem  Ansehen,  welches  damals  die  arabische  Medicin  genoss, 
gerade  nicht  unwahrscheinlich  klingen,  doch  nicht  durch  den  Nachweis 
der  Quellen  verbürgt  Sicher  ist,  dass  einer  seiner  Leibärzte  den  deut- 
schen Namen  Wintabus  führte.* 

Ln  Leben  Ludwigs  des  Frommen  wird  erzählt,  dass  die  Gemahlin 
Karls,  Hildegard,  ihm  zwei  Söhne  gebar,  von  denen  der  eine  sofort 
nach  der  Geburt  gestorben  sei,  der  andere,  nämlich  Ludwig,  aus  dem 
Schooss  der  Mutter  gehoben  und  künstlich  ernährt  worden  sei*  Ob 
es  sich  dabei  um  den  Kaiserschnitt  oder  um  eine  durch  Manualhilfe 
vollzogene  Geburt  handelt,  ist  ungewiss.  Der  grosse  Karl  hatte  übrigens 
über  die  Medicin  eine  geringe  Meinung,^  welche  sich  vielleicht  aas 
4em  verwahrlosten  Zustande  der  Heilkunde  seiner  Zeit  erklärt 

Es  war  daher  begreiflich,  dass  er  bemüht  war,  diese  Wissenschaft 
zu  heben  und  die  Kenntniss  derselben  zu  verbreiten.  Aus  diesem 
Grunde  erliess  er  in  dem  Capitulare  von  Diedenhofen  (Thionville) 
V.  J.  806  die  Vorschrift,  dass  die  Knaben  in  der  Heilkunst  unterrichtet 
werden  sollten.®     Meyer®  glaubt,   dass  sie  nur   eine  Anleitung  zur 


*  Fbedegar:  Chron.,  c.  27,  Übers,  v.  0.  Abel. 

»  Gregor  v.  Tours  V,  14.  VII,  25.  X,  15.  •  Grbgok  v.  Tours  V,  35. 

*  Fbeind:  Hist  med.,  p.  148. 

'^  Eioil's  Leben  des  Abtes  Sturm  von  Fulda,  c.  25,  Ed.  Migne,  T.  105,  p.  448. 

*  J.  L.  W.  Schmidt  im  Progr.  des  hess.  Gymnas.  zu  Gieasen  1872,  8.  5. 
'  Einhard:  Vita  CaroU  Magni,  c  22,  ed.  Pertz,  Hannov.  1868. 

^  Pertz:    Mon.  Gterm.  III,  p.  181,   De   medicinali  arte   ut  inftuites  hanc 
^liscere  mittantur.  *  Meyeb  a.  a.  0.  III,  418. 


Die  Medicm  der  Oemumen  u.  der  Unterrief U  in  den  Kloster  schulen.    161 


Krankenpflege  erhalten  hätten,  da  man  „Kinder  doch  nicht  Medicin 
ätadieren  lasse**.  Aber  das  Studium  dieser  Wissenschaft  wurde  im 
Alterthum  schon  in  früher  Jugendzeit  begonnen.  Ausserdem  befanden 
sich  in  den  Schulen  jener  Zeit  Knaben  von  14  und  15  Jahren.^ 

Übrigens  wird  sich  dieser  Unterricht  zunächst  wohl  nur  auf  die 
L^üre  medicinischer  Schriften  des  Alterthums,  welche  erklärt-  wurden, 
beschränkt  haben,  wie  dies  auch  in  vielen  Klosterschulen  der  Fall  war. 
Später  lernten  die  Schüler  die  Arzneipflanzen  kennen,  wozu  ihnen  in 
den  kaiserlichen  Gärten  Gelegenheit  geboten  wurde.  ^ 

Aach  die  Ausübung  der  praktischen  Heilkunde  scheint  man  in 
den  Bereich  des  Unterrichts  gezogen  zu  haben.  Die  Worte  in  Alcuin's 
Gedicht  an  Karl  den  Grossen^  lassen  sich  kaum  anders  deuten,  als 
dass  in  der  Nähe  des  Hofes  ein  Krankenhaus  bestand,  in  welchem  die 
Ärzte  ihre  verschiedenen  Verrichtungen  vornahmen.  „Der  Eine  öflEnete 
den  Kranken  die  Ader,  ein  Anderer  mischte  Kräuter  im  Topf,  Jener 
kochte  einen  Brei,  während  Dieser  ein  Getränk  bereitete." 

Als  Vorbild  für  diese  Einrichtungen  dienten  wahrscheinlich  die 
Krankenanstalten,  welche  mit  vielen  Klöstern  verbunden  waren.  Die 
Mönche  beschäftigten  sich  eifrig  mit  der  Krankenpflege.  „Lernet  die 
Eigenschaften  der  Kräuter  und  die  Mischungen  der  Arzneien  kennen," 
rief  ihnen  Cassiodob  zu;*  „aber  setzt  alle  euere  Hoffnung  auf  den 
Herrn,  der  Leben  ohne  Ende  gewährt  Wenn  euch  die  Sprache  der 
Griechen  nicht  unbekannt  ist,  so  habt  ihr  das  Kräuterbuch  des  Dio- 
scoRiDBS,  welcher  die  Pflanzen  des  Feldes  mit  überraschender  Richtig- 
keit beschrieben  und  abgebildet  hat  Nachher  lest  den  Hippokrates 
und  Galen  in  lateinischer  Übersetzung,  d.  h.  die  Therapeutik  des  letz- 
teren, welche  er  an  den  Philosophen  Glaucon  gerichtet  hat,  und  das 
Werk  eines  ungenannten  Verfassers,  welches,  wie  die  Untersuchung 
ergiebt,    aus   verschiedenen    Autoren   zusammengetragen    ist      Femer 

'  J.  Ch.  f.  Baehs:  De  literarum  studiis  a  Carolo  Magno  revocatis  ac  schola 
FaUtiiia  instaarata,  Heidelberg  1S56,  S.  26,  Anm.  33. 

»  Capit  de  villi«.    Vergl.  Meyeb  a.  a.  0.  lU,  S.  397  u.  ff. 
'  Alcütmii  carmina,  Ed.  E.  Dümmler  in  Mon.  Germ.  Poet,  lat,  1. 1,  p.  245, 
Xo.  XXVI,  V.  12—16. 

Aocurrunt  medici  moz  Hippocratica  aecta; 
Hie  venas  fundit  herbas  hie  miscet  in  olla, 
Itie  coquit  jnUtes,  alter  sed  poctäa  praefert; 
Et  tarnen^  o  medici,  cunciis  impendite  gratis 
üt  manihus  vestris  adsit  benedictio  Christi. 
Wenn  man  anstatt  seeta  in  der  ersten  Zeile  tecta  liest,  so  erscheint  die  Beziehung 
aof  ein  Hospital  noch  deatUcher. 

*  Cj&MiODOB:  Inst  divin.  lect.  I,  c.  31. 
PcflcnAjni,  Unterfieht  11 


162  Der  medicinische  Unterricht  im  Mittelalter. 


studiert  die  Medicin  des  Aureliüs  Caeliüs,  das  Buch  des  Hippokbates 
über  die  Kräuter  und  Heilmethoden  und  verschiedene  andere  Schriften 
über  die  Heilkunst,  welche  ich  in  meiner  Bibliothek  aufgestellt  und 
euch  hinterlassen  habe." 

Unter  den  Benediktinern  machten  sich  Einige,  wie  der  Abt  Ber- 
THARius  zu  Monte-Casino  im  9.  Jahrhundert,  als  Ärzte  vortheilhaft  be- 
kannt.^ Vielleicht  schon  in  früher  Zeit  wurden  dort  fromme  Pilger 
und  Kranke  aufgenommen  und  gepflegt,  wie  es  der  Gründer  des  Ordens, 
der  hl.  Benedikt,  im  Orient  gesehen  und  dann  vorgeschrieben  hatte. 
Doch  stammen  die  sicheren  Nachrichten  darüber,  dass  in  Monte- 
Casino  Anstalten  dieser  Art  bestanden,  erst  aus  dem  11.  und  12.  Jahr- 
hundert. 2 

Die  Sitte,  die  hilfsbedürftigen  Kranken  in  die  Kirchen  und  Klöster 
zu  bringen,  damit  die  Priester  sie  mit  Weihwasser  besprengen  und  für 
ihre  Genesung  Gebete  verrichten,  erlangte  in  den  ersten  Jahrhunderten 
des  Mittelalters  allgemeine  Verbreitung.  Daraus  entwickelte  sich  all- 
mälig  die  Einrichtung,  dass  dort  Anstalten  errichtet  wurden,  in  denen 
Gebrechliche  und  Leidende  Unterkunft  fanden.  Die  Priester  und  Mönche, 
welche  darüber  die  Aufsicht  führten  und  den  Kranken  als  Bathgeber 
zur  Seite  standen,  wandten  ausser  den  psychischen  Mitteln  auch  heil- 
same Kräuter  und  andere  Medicamente  an,  deren  günstige  Wirkung 
sie  aus  der  medicinischen  Literatur  oder  durch  die  eigene  Erfahrung 
kennen  gelernt  hatten. 

Auf  diese  Weise  wurden  die  medicinischen  Kenntnisse  zu  einem 
Bestandtheil  der  Bildung  des  Geistlichen,  deren  er  bei  der  Ausübung 
seines  Berufs  bedurfte.  Die  Schulen  des  Mittelalters,  welche  die  Er- 
ziehung des  Klerus  als  ihre  wichtigste  Aufgabe  betrachteten,  suchten 
diesem  Bedürfniss  zu  genügen,  wenn  sie  die  Heilkunde,  allerdings  nur 
in  rein  theoretischer  Weise,  in  ihren  Lehrplan  aufnahmen.  So  geschah 
es  in  vielen  Klosterschulen,  namentlich  Galliens,  z.  B.  in  Rheims, 
Chartres,  Fleury,  Dijon,  Bec  in  der  Normandie  und  St.  Denis.  ^ 

Auch  der  Reichthum  an  medicinischen  Handschriften,  welchen 
manche  dieser  Klöster  besassen,*  sowie  die  literarische  Thätigkeit  ihrer 


^  S.  DE  Renzi:  Storia  docum.  della  scuola  medica  di  Salerno,  2.  ed.,  Napoli 
1857,  p.  64  u.  ff. 

»  TosTi:  Storia  della  badia  di  Monte  Casino,  Napoli  1842,  I,  229.  341  u.  ff. 
II,  p.  193.  209.  289.  —  Reg.  S.  Bened.  36  in  Muratori  Script,  rer.  Ital. 

*  J.  B.  L.  Cuomel:  Essai  historique  snr  la  mddecine  en  France,  Paris  1762. 

*  Die  Bibliothek  zu  T^ernsee  enthielt  z.  B.  i.  J.  1500  281  medicinische 
Schriften,  wie  Lahmebt  (Volksmedicin  u.  medicin.  Aberglaube  in  Ba3rem,  Würz- 
barg 1868,  S.  4)  erzählt. 


Die  Medizin  der  Germanen  u.  der  Unterricht  in  den  Klosterschulen,    163 

Mönche  beweisen,  dass  die  Heilkunde  dort  fleissig  getrieben  und  stu- 
diert wurde. 

Wenn  die  Schüler  durch  den  Unterricht  und  die  Lektüre  medi- 
cinischer  Schriften  einige  allgemeine  Kenntnisse  der  Heilkunst  erworben 
hatten,  so  werden  sie  vielleicht  darin  auch  praktisch  ausgebildet  worden 
sein,  indem  sie  unter  der  Aufsicht  ihres  Lehrers  Arzneipflanzen  auf- 
suchten und  sammelten,  die  Bereitung  der  Medicamente  übten  und  bei 
der  Behandlung  der  Kranken  Dienste  leisteten.  Es  ist  sehr  wahrschein- 
lich, dass  sich  diese  Verhältnisse  ungefähr  so  gestalteten,  wie  es  der 
Verfasser  des  Tagebuchs^  des  Walafridus  Strabo  mit  fruchtbarer  Phan- 
tasie und  anerkennenswerther  Sachkenntniss  schildert.  — 

Manche  Lehrer  der  Heilkunde  erlangten  grossen  Ruf.  So  erzählt 
RiCHEB,  dass  er  i.  J.  991  zu  Herebrand  nach  Chartres  reistfe,  um  von 
ihm  die  Erklärung  der  Aphorismen  des  Hippokrates  zu  hören.  Der- 
selbe unterrichtete  ihn  auch  in  der  Semiotik  der  Krankheiten  und 
lehrte,  worin  Hippokrates,  Galen  und  Soranus  übereinstimmen.  Er 
besass  bedeutende  Kenntnisse  in  der  Arzneimittellehre,  Botanik  imd 
Chirurgie,  wie  Richer  rühmend  hervorhebt.  ^  Aus  der  Schule  von 
Chartres  gingen  viele  berühmte  Ärzte  hervor,  unter  ihnen  Johann,  der 
Leibarzt  Heinrich  I.  von  Prankreich.  An  der  bischöflichen  Schule  zu 
Rheims  wirkte  Gerbert  d'Aurillac,  als  Pabst  unter  dem  Namen 
Sylvester  IL  bekannt,  eine  Zeitlang  als  Lehrer  der  Medicin. 

Am  Hofe  Karls  des  Grossen  bestand  ausser  der  Palastschule,  in 
welcher  die  Kinder  des  Kaisers  und  einiger  vornehmen  Würdenträger 
unterrichtet  wurden,  eine  Art  von  Akademie,  zu  deren  Mitgliedern  die 
bedeutendsten  Gelehrten  jener  Zeit  gehörten.  Sie  führten  als  solche 
besondere  Namen;  Alcüin  hiess  Flaccus,  Karl  selbst  wurde  König  David 
genannt  Sie  beschäftigten  sich  mit  Theologie,  Philosophie,  Arithmetik, 
Geometrie,  Astronomie,  Latein,  Griechisch,  Geschichte,  Geographie  und 
Poesie.'  Diese  Akademie  scheint  aber  nur  kurze  Zeit  bestanden  zu 
haben,  während  die  Hofschule  noch  in  der  Mitte  des  9.  Jahrhunderte 
blühte. 

Im  J.  789  beschloss  die  Synode  von  Aachen,  dass  in  jedem  Kloster 
und  Domstift  eine  Schule  sei,  in  welcher  die  Knaben  die  Psalmen,  die 


'  Dasselbe  wurde  in  dem  Jahresbericht  der  Erziehungsanstalt  des  Benedik- 
tinerstifts zu  Maria-Einsiedeln  (1856/57)  veröfTentlicht,  ist  aber  eine  Dichtung  de^ 
P.  Habtim  Mabtt  und  keineswegs  echt,  wie  einzelne  Autoren  seltsamer  Weise 
geglaubt  haben. 

«  Pebtz:  Monum.  Germ.,  T.  V  (script.  111),  p.  643. 

•  W.  F.  C.  Scumeidler:  Die  Hofschule  und  die  Hof  -  Akademie  Karls  de» 
GrooBeu,  Breslau  1872. 

11* 


IM 


Der  medioinMm  ünkmidU  im  Mitteiaämr, 


Schriftzeichen y  den  Gesang,  das  Bereohnen  der  kircblicbea  Feiertags 
and  die  lateinische  «rrammatiic  erlernen  könnt^en«^  Das  Muster  dieser 
UnterrichUanst  alten  war  die  Schule  m  Tours,  wo  Auoxn^  seit  7äß  ak 
Jkl)t  de«  St  Martin-Klosters  lebte. 

Berühmte  Schulen  dieser  Art  entstanden  in  Fulda,  Hersfeld,  Cone^, 
Heichenau,  8L  Gallen,  Mainz,  Worm.s,  Speyer,  Köln,  Müniuter,  Bremen, 
Hildeshrini,  Mtijjfdeburg,  Taderbornj  Halberstadt^,  in  Salzburg,  Freiöing, 
Passau,  Tegemsee,  Benediktbeuem,  Regensburg,  in  Mailand^  I^arma  and 
anderen  Orten  Italien;^  ebenso  bei  vit:^len  Klosteni  Frankreichs,  in  Eng- 
land, /..  B,  in  Cantt-»rbury,  und  in  Irland, 

Dem  Unterricht^  der  dort  ertheilt  wurde,  lag  die  Iiehrm»^thcHie  der 
Mimischen  Schulen  zu  Grunde.  Die  Unterrichtsgegenstande  wurden  m 
einer  bestimmten  Reihenfidge  vorgetragen  und  umtji.sst<.*n  in  der  eineü 
Abtheilung  die  drei  sprachliehen  Fficher,  nämlich  die  Grammatik,  Khe^ 
Umk  und  Dialektik,  und  in  der  anderen  die  Arithmetik,  GeomHm, 
Astronimiie  und  Musik.  Man  nannte  dies  das  Trivium  und  da-  ifiui- 
driviunu 

Die  BegriJle  dkser  liehrgegenstunde  deckten  sich  aber  keine^swogs 
mit  ilen  heutigen;  denn  in  der  Rhetorik  wurden  z.  B,  nicht  blus  die 
(Irundrc^geln  der  Beredsamkeit  gelehrt,  simdern  auch  der  lateinischi 
lieschälftsstvl  geübt,  da  die  Geistlichen  zu  jener  Zeit  die  Urkunden  aiw-; 
stellten  und  die  Kanzleigescbäfte  besorgten.  Daran  schlosä  sich  bäul 
das  Studium  des  Hecht«  und  der  Gesetze.  Unter  Geometrie  verstani 
man  haupt.<jicblich  die  Geographie  und  die  Erdbeschreibung,  de 
Kenntniss  Hrabanus  Mauiiuh  namentlich  tür  die  Arzte  als  nuthwendi 
eruchtete,  weil  sie  dadurch  die  eigenthumlichen  klimatischen  Verhall 
uisse  der  vei^ichiedenen  Gegenden  und  die  Ijage  der  einzelnen  0 
kennen  lernen  und  sieh  darnach  bei  den  Verhaltungsmassregeln, 
siB  bei  den  Krankheiten  ertheiien.  richten  konnten.^  Auch  wurde  d 
der  Unterricht  in  den  Naturwissenschaften  verbunden,  indem  die  wich 
tigsten  der  damals  l>ekannlen  Thatsaohen  aus  den  drei  Naturreiche] 
aus  der  Anthropologie  und  Meteorologie  gelehrt-  wurden. 

Später  wurden  überall,  wo  eine  Pfarrei  war,  Schulen  gegründ* 
Der  Unterricht  beschränkte  sich  hier  auf  die  elementaren  Gegenst/mdeJ 
Seit  ilem  Aufblühen  der  Städte,  seit  dem  Ende  des  12.  Jahrhunderts^ 
entstanden  auch  Stadtschulen,  welche  das  gleiche  I/ehniel  anhebt 


*  F.  A,  Si'ßcuT:  Geschichte  de«  Unt^rriohteweaens  i«  Deutechlajid  von  de 
Alterten  ZeiU?u  bb  zur  Mitte  Ue»  13.  Jahrhunderts,  Btattgart  1885»  S.  2U 

*  8i*KCirr  a.  a,  0.  8.  145.    —   St.  Fklljueu:  Compendiam  der  Naturwb^oiH 
Schule  «t  Fulda  im   10.  Jahrhandert,  B^rhn  1879,  S.  2*i, 


Die  Mtdicin  der  Oermanm  u.  der  VnimricM  in  den  Klmiertirkuiefi.    165 


vie  die  Kloster«  und  Stiftssohülen,  und  sie  in  ihren  Ijeistungeii  manch- 
Buü  sogar  nhertrafen. 

Dies  war  die  Vorbildung,  welche  die  unterriGhteten  Ärzte  Jener 
Z#it,  Ikföoiiders  diejenigen,  die  dem  geistlichen  Stundu  angehörten,  be- 
sastezL  Dass  es  neben  ihnen  viele  Heilkimstler  gab,  welchen  dieselbe 
mangelte,  anterliegt  keinem  Zweifel.  Die  grosse  Menge  der  Empiriker 
blieb  ohne  Kenntniss  der  medicinischen  Literatur  und  lernte  die  Heil- 
tmnde  wie  ein  Handwerk. 

Die  wissensehaftliche  Bearbeitung  der  Medicin  lag  gänzlich  dar- 
nieder, Der  Schatz  des  Wissens; ,  den  man  aus  dem  Alterthum  über- 
nommen hatte,  wurde  nicht  vermehrt^  ja  nicht  einmal  unversehrt  er- 
halten. Ea  gab  in  jener  Periode  keine  Naturforschung  und  kaum  eine 
Naturbcobachtung. 

Die  medicinische  und  natnrwisKenschaftliche  Literatur  b<:?stand 
tiaupUachlich  in  Auszügen  und  Bearbeitungen  der  älteren  Werke.  Nur 
Iten  fanden  darin  selbst^tändige  Mron  und  Erfahrungen  einen  Platz. 
erher  gehören  das  Receptbuch  des  Mailiiuder  Erzbischofs  Beneiuctis 
Cm&Pijs,  das  encjklopädische  Werk  des  Hbabanus  Maukus,  Erzbischots 
V  '*  nz  und  primus  praerrjffor  (Tm'nianiae,  was  K.  ScHMrr*  als  »,erster 
i-'  uf»  Deutschlands"  übersetzt,  ferner  die  Schilderung  der  PÖauzen 

de»  WAi^FRnius  S^rRABo,  Abtes  von  Heichenau,  die  medicinisnhen 
Schriften  des  A!)tes  BEirrHAUirs,  des  rätbselhafteu  Macee  Flcikidus 
Booh  über  die  Heilkräfte  der  Bilanzen,  der  Lapidarius  des  Bischofs 
Marhod  von  Rennes,  der  Bestiarius  des  Engländers  Phiupp  von  Thaün, 
(he  Naturlebre  seines  Landsmanns  Alex^ikbek  Neck  am,  die  Physica 
der  hl.  Ulldegarü,  Äbtissin  des  Klosters  auf  dem  Rtipert-sherge  bei 
Bingen,  „eine  unverkennbar  aus  der  A'olksüberlieferung  geschöpfte 
HeiliTt  '  re"  wie  Mevkr^  dieses  Buch  treffend  kennzeichnet,  und 
«l*T  V-,      ^uchene  Physiologus, 

Das  geistige  Leben  des  christliehen  Europas  jener  Zeit  glich  einer 
durib  ihre  einförmige  Flachheit  und  öde  Unfruchtbarkeit  ermüdenden 
Landschaft;  nur  selten  iiegegnet  dem  Wanderer  ein  Punkt,  welcher 
v»iöen  Blick  zu  tesseln  vermag. 

Da  tauchten  im  Süden  unseres  W'elttheils  Bilder  voll  berauschen- 
der Farbenpracht  auf,  welche  den  Muth  neu  belebten  und  die  Brust 
it  Hoffbang  erfüllten.  Das  glänzende  Gestirn  der  arabischen  Cultm* 
ergoÄs  sein  IJcht  über  diese  Länder  und  sandte  einige  Strahlen  nach 
eo  übrigen  Theilen  des  christlichen  Abendlandes,  welche  hier  erwür- 
lenil  nnd  zugleich  aufklurend  wirkten. 


.  (  McYEs  iLa.  0.  HL  51t^, 


Die  Schule  von  Salerno. 

In  Salerno  in  UTiter-Itcilieii*  wo  sich   der  Einflciss  der  Arak^r 
Folge  der  Nachlinrschafl;  Siciüeus,  welches  lange  Zeit  ihrer  Herr<«Ii« 
unterworfen  war,  zunächst  geltend  m:tchte,^  entstand  eine  niedicini«^ 
Schule,   welche   schon   im    10.  Jahrhundert  einen   weitverhreiteten 
erlangte. 

Der  Ursprung  derselben  ist  unbekannt,  obwohl  schon  viel  dar 
phrieben  worden   ist^     Wenn   raan    von    den    leeren   VermnthiJTigt'aj 
absieht,  welche  einzelne  Autoren  darüber  ausgesprochen  haben,  so  tretenj 
folgende  Meinuni^en  in  den  Yordergnind.     Einige  ghiubten,   da*«s  fiel 
'schon  im  7*  Jahrhundert  exiKtirt  und  an  die  Traditionen  de^  Griechen- 
thums  angeknüpft,  habe,  welches  sich  in  Sprache  und  Sitte  in  jenen 
(legenden  läufrer  erhielt,  als  im  fibrigen  Italien;^  Andere,  wie  K.  Seiri.:yGKi.  i 
FurnNoTTi^  und  eine  Zeitlang  auch  S,   mi  Kkxzi,  leiteten   die  Grtln- 1 
düng  derselbi^n  von  den  Benediktinern  ab,  welclie  in  Monte-rnsino,  in  I 
La  Cava  und  Salemo  selbst  Klöster  errichtet  hatten,  wahrend  H aller 
XL  A.  dieselbe  den  ArabiTU  zuschrieben,    Mi:yrn*  stelUe  die  H)'[Mithe>e 
auf,  dass  in  Salerno  Anfangs  eine  Gilde,  eine  Zunft  der  Ärzte  bestanden  I 
habe,  welche  ihre  Lt^hre  geheim  hielt,  und  dass  die  letzter«*  erst  darch ' 
'  roKsTAXTix  AFRKwxr^  verütfeutlicht  und  dadurch  der  (rrund  zur  Ent- 
winkelnng  einer  ärztlichen  Unterrichtsanst^It  in  unserem  Sinne  geh^ 
wurden   sei,     rberzeugende  Beweise  für  die^e  Ansichten    minien  von] 
Niemandem  geliefert. 

Die  historischen  Thatsachen   der  Salernitanischen  Medicin  reichen} 
bis  in  die  Mitte  des  f*.  Jahrhunderts  zurück:  in  Docnmenten  %\  J,  848 1 
und  855  werden  die  dortigen  Ärzt^*  ,h^si:F  und  JosrA  erwähnte*    Vm\ 
«1.  .1.  900  lebte  Raoentphiu,  ein  Longobarde,  wie  der  Name  zeigt,  ab  1 
Leibarzt  des  Fürsten  Waimar  von  Salerno,  und  ♦^in  halbes  Jahrhundert 
-später  der  Arzt  Pi^rrRrs,  welcher  lieim  Fürsten  Gisulf  in  h<dier  Gunst 
stand  und   zum   Bischof  von  Salerno  erhoben  wurde.     In   dieser  Zeit 
treten  noch  andere   Arzte  auf,    welche    dem   geistlichen   Stande   angfi»} 
horten;   aber  neben   ihnen   ütiten  in  Salerno  auch  jüdische  Arzt«  diij 
Heilknnst  aus,  wie  durch  historische  Zeugnisse  festgt^tellt  ist* 


'  Vergb  A.  F.  \\  8cBAt*K:   Poesie  und  Kunst  der  Aimber  in  Sp«iiie 
Siaitkn,  Berlin  1865,  II,  1—252. 

•  G,  MoKof>ci:  Studij  e»ui  diiiletti  greci  deUa  terra  d'0&*aiito,  NiipoH  1S7Ö. 

•  Storiik    bdla  medicina,  Livorao  1855,  H,  p,  24"  u.  ff. 

•  ■.  m.  a  ni,  45t. 
^  S.  tks  Rtstiz  Sroria  docum.  dt\\M  «cuoU  ni^Ni  di  Sftknia,  NtpoÜ  1S57,  ^ 

p,  151  u.  i:  «  a  PC  Rehii:  CoUecHo  Saiernitiinii  fll,  3tb,  MapoH  1852, 


Die  Ante  Salemos  hatten  im  10.  Jahrbandert  lien?its  etnen  sol 
li<?ti  Buf,  dass  sie  ab  Leibärzte  an  fremde  Udfe  grezogt^n  wnrdeu.   Einer 
bi?n  !?pielte  am  Hofe  Lndwi^  des  Einfältigen  von  FrankTeich  ein« 
liniige   Eolle.     Er   war   Ant  der  Gemahlin  desweU»en,   als   si 
en  ihm  und  seinem  CoUegen  DEH<»LDrs^  welcher  aU  ärztliche] 
^nd  des  Königs  «liente  und  später  Bischof  von  Amiens  wurde,  ein 
^haftlicher  Wettkampf  entspaDii,    der  wie  Rjcukb*  enahlt,  die 
hatte,  dass  sie  sich  aus  Xeid  gegenseitig  zu  vergiften  traehtelen 
Vornehme  Kranke  suchten  bereite  zu  dieser  Zeit  Salerno  auf,  u 
üfe  der   duriigeu   Ärzte   in   Anspruch   zu   nehmen.     Aus   diese) 
ide  hegab  sich  Bischof  Adalberon  von  Verdan  i.  J.  U84  dorthr 
aber  keine  Heilung  von  seinem  T^eiden.*   Auch  der  Abt  I>e.^ideriu 
ler  nachher  unter  dem  Namen  Victor  llj.  den  pahstlichen  Throi 
hoffte  hier  seine  durch  Nachtwachen  und  Fasten  zerstörti^  G 
eit  wieder  zu  erlangen.'*     Herzog  Guiscard  schickte  seinen  Solin 
und  hierher,    damit  seine  im   Kriege  erhaltene   Wunde  geheilt 
;  wegen  derselben  Ursache  verweilte  auch  Wilhelm  der  Eroberetj 
[pätere  Konig  von  England,  in  Salerno.     Der  Kuhm  seiner  Arati 
mehr  und  mehr,  und  aus  fernen  Landern  kamen  die  Patienten, 
Isich   von   den  dortigen  Ärzten    behandeln  zu   lassen*     Der  Minne - 
Haütmanx  vos  dkk  Ace  verlegte  den  Schauplatz  seines  ruh- 
n  tJedichts  ,,Der  arme  Heinrich**  hierher,  liess  seinen  Ritter  aber 
durch  die   Kunst  der  Ärzte,    sondern   durch    ein    Wunder  voi 
nesen. 

das  Alter  und  die  Entstehung  der  Schule  v<«n  Salerno  wussti 
schon  im  11.  Jahrhundert  nichts  Bestimmtes  anzugeben.    Der  al« 
und  Arzt  bekannte  Alphanüs,   welcher  später  zum  Erzbischof 
Salerno  erhoben  wurde,   schreibt,   dass   die  Heilkunst  dort  schon 
uaimarus  IL,  *L  i.  im  9.  Jahrhundert  geblüht  habe.* 
Der  normannische    Hist^jriker   ÜHDKiticrs   Vitalis,   welcher    um 
'•  1140  lebte,  erzählt^  dass^  als  »ler  berühmte  HorjoLB^rs,    genannt 
CJoEuKA,  nach  Salerno  kam,  dort  schon  seit  alter  Zeit  bedeutende 
iiusche  Schulen  liestanden.*    Auch  bei  einer  anderen  «lelegenheit 
Igt  dieser  Autor  ihren  längst  bestehenden  Ruhm. 

!'  Rintsn:  HisL»  lib.  11,  c,  59  in  Pertz:  Monum.  Germa»!,,  T.  V  i!*tMipt.  lll),  ] 


iclS 


1 


I 


['  Ge&t  epiöcop.  Vlrdun.  in  Peutz:  Mo»k  Genn.,  T,  VI  iscript.  IVu  p.  4T] 
Pukv.  Chrou.,  üb.  l  in  1*ehtz:  Mon,  Germ.,  T.  X  isciipf.  Villi,  p,  3(51. j 
M  t»c  Rexzi:  Stori«  doc.  della  Brnoin,  \k  150. 
j*  iie  Rbkzi:  Collect  Salem.  I,  p.  95,  Aniri. 
I*  Ord.  Vit.  Hist.  eccles.  Hl  in  Hi«t.  Normaun.  t^eriptor,  od.  Duchenne,  Pariil 
]p.  "17*  i,w/'>  maxi  mag  meäicorum  Hrhohe  ah  antiqittt  fempotf  hnbtntitr*\ 


168  Der  medidnischs  Unterricht  im  Mittelalter. 


In  der  alten  Chronik  von  Salerno,  welche  Ant.  Mazza  benutzte 
und  dann  Salv.  de  Renzi  wieder  auffand,*  wird  berichtet,  dass  die 
dortige  medicinische  Schule  von  vier.  Ärzten  gestiftet  wurde,  nämlich 
vom  jüdischen  Babbi  Elinüs,  dem  Griechen  Pontüs,  dem  Sarazenen 
ADAiiA  und  einem  Salemitaner,  welche  in  ihrer  Muttersprache  vortragen. 
Unter  den  ersten  Lehrern  werden  GuoLiEiiMus  de  Bononia,  Michael 

SCOTTÜS,     GUGLIELMÜS    DE    RaVEGNA,     EnRIOüS     DE    PaDUA,    TeTULUS 

Geaecüs,  Salomonus  Ebbaecs  und  Abdana  Saracenüs  genannt  Es 
ist  selbstverständlich,  dass  diese  Nachrichten  nicht  als  historische  That- 
sachen  angesehen  werden  dürfen;  aber  es  liegt  darin  wahrscheinlich 
ein  Körnchen  Wahrheit  verborgen.  Man  wollte  damit  andeuten,  dass 
zu  der  Gründung  der  Schule  von  Salerno  Angehörige  verschiedener 
Nationen,  Juden,  Araber,  Griechen  und  Lateiner,  beigetragen  haben, 
dass  der  Unterricht  dort  Anfangs  in  verschiedenen  Sprachen  ertheilt 
wurde,  und  dass  die  medicinische  Lehre  der  Salemitaner  sich  aus  den 
wissenschaftlichen  Errungenschaften  der  Griechen  und  Römer,  der 
Hebräer  und  Araber  entwickelte.  Einzelne  der  angeführten  Namen 
sind  durch  eine  unrichtige  Schreibweise  verdorben;  es  ist  leicht  zu  er- 
kennen, dass  Elinus  aus  Elias  entstanden  ist,  und  Pontus  in  Gario- 
pontus,  Adala  in  Abdallah  verbessert  werden  muss. 

Aus  diesen  Mittheilungen  ergiebt  sich,  dass  wir  nicht  wissen,  wann 
und  wie  die  Schule  von  Salerno  entstanden  ist  Die  Anfange  derselben 
waren  entweder  so  bescheiden,  dass  sie  unbemerkt  blieben,  oder  sie 
reichen  so  weit  in  der  Zeit  zurück,  dass  sich  Niemand  daran  erinnern 
konnte. 

Die  wechselvollen  politischen  Schicksale  dieser  Stadt,  welche  ihre 
Bewohner  mit  den  Römern  und  Griechen,  den  Longobarden,  Arabern 
und  Normannen  in  Berührung  brachten,  mussten  tiefe  Spuren  in  ihrer 
Cultur-Entwickeluüg  hinterlassen  und  einen  mächtigen  Einfluss  ausüben 
auf  alle  Gebiete  des  geistigen  Lebens. 

In  Italien  erhielt  sich  die  im  Alterthum  gebräuchliche  Einrichtung, 
dass  Privat- Gelehrte  Schüler  annahmen  und  in  ihren  Wissenschaften 
unterrichteten,  auch  im  Mittelalter.  ^  Wenn  die  Arzte  diesem  Beispiel 
folgten,  so  wird  es  ihnen  in  Salerno,  dessen  mildes  Klima  und  herrliche 

^  Mazza:  Urbis  Salem,  bist,  et  antiq.,  Nap.  1681,  abgedruckt  in  Graevius 
et  Pubmakn:  Thesaur.  antiq.  et  bist.  Italiae,  Lugd.  Bat.  1723,  t.  IX,  pars  4.  — 
DE  Renzi:  Storia  docum.,  p.  XXVI  u.  ff.  u.  Collect  Salem.  I,  p.  106  u.  flf 

'  W.  Giesebrecht:  De  litterarum  stadiis  apud  Italos  primis  medii  aevi 
saeculis,  Berol.  1845,  p.  15.  —  S.  de  Renzi  (Storia  docom.,  p.  161)  ftihrt  eine 
grosse  Anzahl  von  Ärzten  an,  welche  zur  Zeit  der  Longobarden  in  Italien  prak- 
tizirten;  einer  derselben  wird  zugleich  als  magiatmr  9eolae  bezeichnet 


Die  Sdiule  von  Salemo,  169 


Lage  an  der  Meer^bucht,  unweit  von  schattigen  Wäldern  und  heil- 
kraftigen Mineralquellen,  die  Kranken  aus  weiter  Ferne  anzogen,  niemals 
an  Schülern  gefehlt  haben. 

Es  ist  nicht  bekannt,  wann  die  Ärzte,  welche  in  Salemo  die  Heil- 
kanst  lehrten^  sich  zu  einer  gemeinsamen  Wirksamkeit  verbanden  und 
eine  Organisation  gaben.  Anfangs  durfte,  wie  es  scheint,  als  Lehrer 
der  Heilkunde  jeder  Arzt  auftreten  ohne  Unterschied  der  Nationalität 
nnd  des  religiösen  Glaubens.  Später  befanden  sich  unter  den  dortigen 
Lehrern  der  Medicin  viele  Geistliche,  von  denen  einige  sogar  zu  hohen 
kirchlichen  Würden  gelangten.  Aber  niemals  gewannen  dieselben  das 
aossdiliessliche  Recht,  zu  lehren,  wie  dies  an  den  meisten  übrigen 
Hodischulen  des  Mittelalters  üblich  wurde.  Zu  allen  Zeiten  bewahrte 
die  Anstalt  ihren  weltlichen  Charakter,  welcher  in  ihrer  Entstehung 
begründet  war. 

In  Salerno  wurden  sogar  die  Frauen  zur  Lehrthätigkeit  zugelassen, 
und  einige  derselben  traten  auch  als  medicinische  Schriftstellerinnen 
auf.  Am  meisten  bekannt  unter  den  weiblichen  Ärzten  wurde  Trotula, 
die  Verfasserin  eines  oft  citirten  Werkes  über  die  Krankheiten  der 
Frauen  und  die  Behandlung  derselben  vor,  während  und  nach  der 
Geburt.  In  ihren  Schriften  erörterte  sie  alle  Theile  der  Pathologie, 
selbst  die  für  das  weibliche  Gefühl  recht  peinlichen  Erkrankungen  der 
mannlichen  Geschlechtstheile.  Ihre  Berufsgenossin  Abella  schrieb  de 
natura  aeminis  kumani.  Einer  späteren  Zeit  gehören  die  durch  Schön- 
heit und  Klugheit  gleich  ausgezeichnete  Costanza  Calenda,  die  Tochter 
des  Priors  (Vorstandes)  der  medicinischen  Schule,  femer  Mercuriade 
und  Rebecca  Güarka  an. 

In  der  ersten  Zeit  des  Bestehens  der  Schule  von  Salerno  waren 
die  Lehrer  derselben  wahrscheinlich  nur  auf  die  Honorare  angewiesen, 
welche  ihre  Schüler  für  den  Unterricht  zahlten.  Später  empfingen  sie 
bestimmte  Besoldungen,  welche  verschieden  waren  und  bei  Einzelnen 
12  Unzen  Goldes  jährlich  betrugen;  im  Verlauf  der  Zeiten  wurden 
dieselben  natürlich  erhöht.  Auch  erhielten  die  Lehrer  Steuerfreiheit 
und  zuweilen  auch  die  Nutzniessung  von  Häusern  und  Grundstücken.  ^ 

Den  medicinischen  Unterricht  ertheilten  gleichzeitig  mehrere  Lehrer, 
wie  aus  dem  von  S.  de  Renzi  mitgetheilten  Verzeichniss  derselben 
hervorgeht.* 

Zu   ihren   Vorträgen   hatten   Angehörige   aller  Nationen   Zutritt; 

'  DB  Renzi:  Collect.  Salern.  I,  366  u.  fF.  —  Storia  docum.  a.  a.  O.  Anhang, 
Docam.  No.  296  u.  ff. 

*  DB  Bbnzi:  Collect.  Salernit.  I,  517.  III,  326  u.  ff.  Es  enthält  340  Namen 
auf  einen  Zeitraiim  von  ungefähr  1000  Jahren. 


170 


Der  medioinuchc  XJnkrridd  im  Milidalier. 


Bnsowenig  bildete  dabei  das  Geschlecht  oder  die  Religion  ein 
derniss.  Sehr  zahlrf*ich  waren  unter  ihnen  im  11,  Jahrhundert 
israelitisrhen  Studenten  vertreten^  wie  Mazz\  berichtet.  Wenn 
der  jüdische  Reisende  Bkx.iamix  von  Tudela  erzahlt,  An^%  er,  ilg 
i.  J.  II  (jO  Sulerno  besuchte^  unter  seinen  vielen  dort  lebenden  Glaui 
genossen  keinen  einzip;en  Ai*2t  ^etroffi'n  habe,  sa  widerspiieht  di 
Angabe  allen  übrigen  Nachrichten»  nach  welchen  es  iheib  ausdriickli 
bezeugt  wird»  dass  einzelne  Salernitanisehe  iirzte  der  mosaischen 
gion  angehörten,  theils  aus  deren  Namen  vermutbet  werden  darf.* 

Aus  weiter  Ferne  kamen   die   Studierenden,    um  sich  in  Salej 
der  Heilkunde  zu  widmen,  sogar  aus  Deutschland  und  Frankreich. 
Student  aus  Köln,  welcher  im   12.  Jahrhundert  in  Salernr»  medicinüi 
Vorlesungeil   besucht  hatte,    von   dort  alier  wegeu  Krankheit  in 
Heimath  zurückkehren  miisste,  klagt  in  einem  Gedicht  über  die 
verhtKsteu  betrügerischen   Leute  vrm  Salerno.^     Kin    anderer  Schul 
Aegiuii^s  (Gilles)   vok   Cuubkil,    welcher   spätH"    als  Canonicum 
Leibarzt  de.s  Königs  Philipp  August   von   Frankreich    in    Paris  lel 
verkündete    dürt    in   Wort   und  Schrift    drn    Hubni    der  mediemisol 
Schule  von  Siilerno. 

Über   die  Art   des  Unterrichts    iu  den   einzelnen   DiscipUneu 
Folgendes  bekannt: 

Die  Anatomie  wurde  an  Schweinen  gelehrt.  In  der  von  eii 
ungenannten  Verfasser  herrührenden  Ihmamimiio  anaimmm^  weh 
otVenbar  einen  t'ollegieu -Vortrag  bildete,  wenlen  Vürsehriften  ertliälf 
wie  dabei  vertahren  werden  sullte,  iJarnaeh  wurde  diis  Thier  du 
die  Durchschneidung  der  Halsgcfas.se  getödtet,  dann  an  den  Hin 
beinen  aufgehängt  und,  nachdem  es  ausgeblutet  hatte,  zum  Unterricht 
benutzt.  Derselbe  beschränkte  sieh,  wie  es  scheint,  hauptsächlich  auf 
die  Eröffnung  der  grossen  Körperhuhlen  und  die  Demonstration  «kr 
darin  gelagerten  Organe,  Daran  sclüossen  sich  einigt*  Bemerkungen 
über  die  Gestalt  und  den  vermeintlichen  Zweck  derselben  beim  Menschen- 
Man  stutzte  sich  (hibel  auf  die  Schriften  des  Galen,  Rufuh  und  Tn»)- 
PHiLi:s  PjniTospATHAKirs,  ohne  dass  man  deren  wissenschaftliche  Höhe 
zu  erreichen  vermochte.  Auch  Cupini's  Anatomie  des  Schweines  bestüml 
im  Wesentlichen  nur  in  einer  Aufzählung  der  wichtigsten  Körpertheile, 


*  Vcrgl.  M.  STr:iN!*t'itNKn»EB  in  VjncnowH  AiThiv^  Bd.  38  (18H7),  8.74  ii, 

*  LitfidibuM  eternufii  nniluff  negat  csmc  SakruHtn; 
Jtttic  pro  morbis  tottis  circum/htit  orbis. 
XfC  debef  t^pertu,  fafeoj\  docintm  Saferni 
{htnmris  exnttti  miJii  .mt  gen/t  ilh  fhlo^n, 

Jao.  Gkimm:  GeiUchte  des  MittdAtters  tu  Kleine  Schriften,  ßc^rliii  l$$6p  S.  64 


I 


Die  Schule  von  Salemo.  171 

Doch  finden  sich  darin  einige  Hinweise  auf  eingehendere  Untersuchungen 
und  pathologisch-anatomische  Beobachtungen.  So  wird  z.  B.  gesagt, 
dass  man  die  Lunge  durch  Einführen  eines  Böhrchens  von  der  Trachea 
aas  aufblasen  kann.  *  Femer  ist  von  Stoffablagerungen  im  Herzbeutel 
und  im  Pleura-Sack  die  Bede. 

Mehr  Pflege  widmete  man  der  praktischen  Heilkunde.  Schon 
L  J.  820  wurde  in  Salerno  vom  Erzpriester  Adelmus  ein  öffentliches 
Hospital  gegründet,  welches  mit  dem  Benediktiner-Kloster  in  Verbindung 
irebracht  wurde.  Später  entstanden  noch  mehrere  andere  Krankenhäuser 
und  Wohlthätigkeitsanstalten,  die  mit  reichem  Besitz  ausgestattet  und 
von  Krankenpfleger-Orden  geleitet  wurden.  ^  Ob  dort  auch  klinischer 
Unterricht  ertheilt  wurde,  ist  ungewiss. 

Archimatthaecs  giebt  in  einer  Schrift^  ausführliche  Rathschläge, 
wie  sich  der  Arzt  beim  Besuch  des  Kranken  verhalten  soll.  Er  möge 
<ich  unt^r  den  Schutz  Gottes  stellen,  heisst  es  dort,  und  den  Beistand 
des  Engels,  der  den  Tobias  begleitete,  anflehen.  Auf  dem  Wege  zu 
«iem  Kranken  soll  er  den  Boten,  der  ihn  geholt  hat,  über  die  Verhält- 
nisse und  Leidenszustände  des  Patienten  ausfragen;  denn  wenn  er  später 
nach  der  Untersuchung  des  Pulses  und  des  Urins  keine  bestimmte 
Diagnose  zu  stellen  vermag,  so  wird  er  den  Patienten  wenigstens  durch 
die  genaue  Kenntniss  der  Krankheitssj  mptome  in  Erstaunen  setzen 
und  dadurch  sein  Vertrauen  gewinnen.  Auch  hält  es  der  Verfasser 
tür  zweckmässig,  dass  der  Kranke  dem  Priester  beichtet,  bevor  der 
Arzt  zu  ihm  kommt;  denn  „wenn  davon  erst  später  die  Eede  ist,  so 
glauben  die  Kranken,  dass  sie  verloren  sind".  „Wenn  der  Arzt  die 
Wohnung  des  Patienten  betritt,  soll  er  weder  hochmüthig  noch  gierig 
aussehen,  sondern  mit  bescheidener  Miene  grüssen,  sich  hierauf  in  der 
Xähe  des  Kranken  niederlassen,  ein  Cietränk,  das  man  ihm  anbietet, 
zu  sich  nehmen,  und  mit  einigen  Worten  die  Schönheit  der  Gegend, 
die  Lage  des  Hauses  und  die  Freigebigkeit  der  Famile  loben,  falls  dies 
passend  erscheint"  Hierauf  wird  die  Art  besprochen,  wie  der  Puls 
und  der  Urin  untersucht  wird.  „W^enn  der  Arzt  den  Kranken  verlässt, 
soll  er  ihm  versprechen,  dass  er  wieder  gesund  werden  wird,  der  Um- 
^bung  desselben  aber  erklären,  dass  er  schwer  krank  sei;  denn  wenn 
der  Patient  dann  geheilt  wird,  so  wird  der  Ruhm  des  Arztes  um  so 
grösser  sein,  wenn  jener  aber  stirbt,  so  werden  die  Leute  sagen,  dass 
der  Arzt   dies   vorausgesehen   hat."     Der  Verfasser  erörtert  dann  die 

^  DE  Rekzi:  Collect.  Salern.  II,  389. 

•  DE  Rekzi:  Storia  dociim.  della  sonola  med.  di  Salerno,  p.  563,  Doc.  320. 

^  Anon3rmi  Salernitani  de  adventu  medici  ad  aegrotnm  ed.  A.  G.  E.  Th. 

Heiuchel,  Vratist  185Ö.  —  i>e  Kenzi:  Collect.  Salernit.  II,  74-81.  V,  333— 349. 


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MM  Emilining^  die  Anunei] 
BBd  ieM  dabei  ansei] 
r  von  KisiikiD  zu  Ti^^.b 
ran  er  dit  Honomr  für  \ 


f OQ  reidit.T  ärztUdier 
Mfesimf.    Hte  ist.  wie  i 
Ar  Asflager  to  der  HeiU 
Lklil  Mf  die  socialen  VerÜ 
ffZeit 

dir  SalginiliaieAgp  Schale   ber 
du  Altertfeaan.    JNe  SUMakie  der  Jli 
der  UMmBkm  od  der  Oatadmitö  bi. 
SniMii,  wikread  in  der  JUxuondtlrileltn»  dl^  Fortoehritte,  welche  i 
des  Afatan  ntitaku^  thm  Pblai  «Uilleii. 

Die  Sehildinnr  der  KisdAeÜoi  iii  aatogetwo  and  wird  du 
wneht  iribeliitladig^  Betdiaektang  HiMiicfciMlkliL    Namentlich 
dfiBi  die  Büetoibfluy  der  IslenrillBH-Ffebcr,  der  GeielesiitäF 
PkieiiMme^  PhthU^  der  I^epni^  dea  IiOf  i»  CiMliMii  martuum^  mi 
10  des  GeeeUedrtefheOen  rorkoniiiieBdeii  6«eliwibr&,  rniter  denen 

hkifl  SB  crienneii  istr  htifaigdtobeii  zu  werden.    Die  SalemiT 
Ant^  erfesnoten  die  Wk  profaaetiKlie  Be^l^utung  innncber 
BfWfkmm  tmhi  pxi;  m  erklirtai  rie^  deai  Sehwindsaehtige,  hei  wehhin 
DneMUt  aoAreleB,  haU  darsof  iteriieiL 

im  der  BdMidliiiir  legten  äe  gnNKO  Wertb  auf  eine  vernün% 
fwgilie  Letewweht  mid  ebe  panende  Ernährung.  Wenn  z,  B.  der 
Teidaebt  einer  teghoifiidep  Loogen-Fbiiiiriai  vorlag,  90  linsen  sie  den 
KfSBlea  (Ol  und  kiiftig  niliren.  Pnemnoniker  moseten  sich  in  ^\m 
erwlmiten  Luft,  z.  B.  im  Wint^pr  im  geheizten  ZiniuMr, 
,^  Zar  AbkUblting  der  Luft  de«  Krankenzimmeni  emplkbl 
ArwhMüVft  du»  Emrichtiiog,  daas  beständig  W&^sertropfen  zur  Erde 
folkn  und  dart  rerdunslen.^    Bei  Müzaasebwennngen  veronlnete  um 

Die  Chirurgie  nahm  einen  niedrigeren  ätandptmkt  ein^  ab«  zu  dff 
Zeiten  der  Griechen  und  Römer.     Es  lag  dies  tbeils  an  der  Vemiwh- 
ttlrignng  der  Anatomie^  tbeüs  daran,   daas  die  Cbirargie  weniger  Ton 
dpn  ir^bildeten  Ärzlen  ab  von    den  Empirikern   auegeübt   wurde«  U- 


*  jm  Rrvsu:  Collect  Sikkni,  II,  215  u.  C 

*  im  Rom:  Collect.  Sdernit  II,  74t  ffiat  etiam  arttfieialiter  pluviaU§ 


Dl«  ä^ekule  von  Salemo. 


173 


■  »QDders  seitdem  sehr  viele  Mitglieder  des  arzüichen  Standes  dem  Klerus 

■  loigehürteiL 

^■l  In  der  äU^?ri*ii  Zeit  beschränkten  sich  die  chirurg-ischen  Kenntnisbe 
Kupt^chlich  auf  die  Behandlung  der  W  uoden,  die  Heilung  derKnochen- 
totfibe  und  dus  Einrichten  der  Verrenkungen.  Erst  am  Ende  des 
12*  Jalirhanderts  unternahm  es  ein  ArzU  die  <  tnindsatze  der  Chirurgie, 
««Idie  sich  durch  Tradition  erhalten  hatten,  schriftstellerisch  zu  ver- 
ticteo.  Dieses  Werk,  welches  den  RuGaiKuo  zum  Verfasser  hat,  aber 
hilüag  oacb  seinem  späteren  Bearbeiter  Rolaxik»  genannt  vdrd,  zeigt, 
imt  die  Chirurgen  der  Salernitaiiischen  Schule  nicht  m  sehr  in  den 
.ScIuiAeD  der  Alten  als  in  der  eigenen  Erfahrung  Belehrung  suchten. 
äi(0  «rarden  dadurch  freilich  vor  jenem  kritiklosen  Nachbeten  fremder 
Beolmebtiingen^  wie  es  in  der  arabischen  Literatur  häutig  zu  Tage  tritt, 
lüwahrt,  aber  zugleich  der  wichtigen  Anregung  und  Orrektur,  welche 
4i«  KenutnLäs  der  Geschichte  einer  Wissenschaft  bietet,  bis  zu  einem 
geiris^ii  Oracle  beraubt.  Immerhin  ist  es  bemerkenswerth,  dass  unter 
den  Mitteln  der  Blutstillung  neben  lien  Stypticis  auch  der  blutigen 
Saht  und  der  Unterbindung  gedacht  wird.^  Zur  Beseitigung  des 
Kropfes  wnrde  der  innere  Gebratich  des  Meerschwammes  empfohlen 
oder  die  Operation  mittelst  des  HasirseiLs  ausgeführt;  um  Recidiven  zu 
vrrhüten,  wurde  dabei  die  ganze  Kapsel  exstirpirt^  Auch  wurde  von 
im  Ma*Äage  des  Kropfes  Geltrauch  gemacht.^ 

^^  Von  den  übrigen  Operationen  werden  die  IVepanation,  tlie  Ent- 
femiuig  der  Xasenpolypen,  die  Resektion  des  LInterkii*fers,^  die  Ope- 
mlkm  der  Hernien,  welche  nach  der  Anleitung  des  Patlits  .Leoixeta 
föigeoammen  wurde,  und  *ler  .Steinschnitt  nach  der  Vorschrift  des 
Cmsm  genannt.  Die  Staaroperatiou  geschah  durch  Hkleroticonyxis. 
JV  :  t  von  geschwürigen  Zerstimingen  im  rraumen  und  am  männ- 

L  :  de  tue  Heile,  welche  sich  auf  carcmomatöse  und  syphilitische 

!  rknmkuugen  beziehen,  sowie  von  bösartigen  Gr^schwülst^^n  des  Mast- 
unü$  und  der  Gebarmutter, 

Der  Verfall  der  chirurgischen  Operationskunst  und  die  häutige 
\aweodutig  des  GlQbeisens  beweisen  den  Einliuss  der  arabischen  Heil- 
kmitt.  Noch  schlimmer  als  mit  der  Chirurgie  stand  es  mit  der  Ge- 
liiirtsliilfe,    obwnhl   di«^ses  Fach  von  wissi'n^^chaftlich  trebildeten  Frauen 

'  Chirutii.  lUmmn  in   i*£,  Kknzk  ( ViUcct.  Sah.'ni.  IL  43tJ* 

'  A.  WotrtKÄ:  Die  chirurg.  lV4i«udhmg  des  Kropfeä,  Berlin  1887,  S,  10  u.  ff- 

'  tPl  HitK£i:  CoUlh.^L  Srtlrrait.  II,  445,  513.  628.  650  (lib.  II,  iler  Gloasen  der 

Mdstcr).    Die  rät kiBcl  haften  vier  Meister  erinnern  au  die  vier  Doktoren  der 

jcu  Bologna,    von  denen  SAvraüv  (Geschichte  des  römiBcbeii 


bearbeitet  wurde.    Die  TmormuL  deutet   nur  nn  einer  einzigen 
ihres  Werkes  muf  die  Wendung  hin.^     Im   Allgemeinen   bestand  fij 
GebttrtBh&fe  luiitptiiehlich  in  der  Anwenduni?  innerer  Medicami'nte 
{»jdiiselm  lütleL 

EEat  tele  sbgttehbMBene  Orguni^tiun  irhielt  die  Schule  ron| 
lenm  ent  Avoh  fie  fon  d«r  Staatsbehörde  angeordnete  Einfüti 
fm  RifampB«.  Kdoif  Boger  (Bnggienj)  erlie^^s  bereite  i,  J.  1140| 
Ottili:  „Wer  von  an  aa  die  ärztliche  Praxis  ausüben  will,  ml] 
VUbimk  t^rstellen  und  ihrrm  Urtheil  nfl 
Bty  dies  zu  nnterla^äen,  wird  mit  (ielang 
OBDfeaa  beelraft  Diese  Anordnung  hati 
ITvieilkaaeB  «asetai  BeidM»  tor  den  ans  der  Unwi^seii 

'  ftiedrieh  U.  ImstMiigie  dieses  (resets 

■  SaktM  L  J.  1240  eine  iiusfuhrlicfi 

Jim  warn  Ae  nefioaiwfe  Wi^ieniHdiaft   nur  te 


ai  io  MÜAen  Vc 


f,wenn  man  vurbe 


hat,  0D  beetiminen  wir,  ib»  XirDiand  xum  SturlJQm 
werdap  befor  er  «ich  aieht  dm  Jahn»  liindii 
wA  Logik  heiehiftigt  hat    Kaeb  diet^en  dm  Jihrpn  mag  er,  wenii 
wül^  zam  Studium  der  Medicin  (iberi^ehiu«     Auf  da««  li^tztere  muü 
fanf  Jahre  veniyn<ipn  und  mh  innt^rljalb  dkaser  Zeit  auch  Könnt] 
in  der  Chirurgie  em erben,    weil    dieiselbe  etai^n  Theil   drr  Hfilku 
bildet.     Nachher,  aUi^r  iii^hl  früher,  darf  ihm  die  Eriaubniss,  zu 
tlziren,   erthcilt  vverdf-n,  vunuisjri^setzt,  da«»  er  «ch  dem  van  der 
hCirde   Torgeschrieln»nen  Kxam*»n    unterzieht,   nnd   daWi    ein   Zeug 
darüber,  dass  ur  die  gesetzmuMai^je  Zeit  studiert  bat,  vorlegt'** 

..Die   Lehrer   s<dlon    wahrvnd   des   Quinquenniums    in    ihren  Vi 
le>iungen  fachte  Schriflen  do^  Uii-i-ukhatkis  und  (Jalen  fibtr  i\\r  TlMork 
und  die  Praxis  der  Heilkunde  erklfiren."  ■ 

,,Aber  auch  wenn  die  vur^'eschnebenen  fünf  Jahre  dei>  metijcinucben 
Studium^s  vorüber  sind,  wird  der  Arzt  nicht  sofort  selbststandig  pr 
ziren,  sondern  nuch  ein  Tolles  Jahr  hindtirch  in  der  Ausübung  i^04 
Berufs  einen  iilti^ren  erfahrenen  Pmkliker  zu  Rath  ziehen.*' 


*  »m  Rkkui  Collect  8tücru.  1,  1^^  a.  Ü\        v.  Siknold  «.  a.  O.  I,  81T. 

*  Quuquu  atnodv  me$hri  tttlu^rif,  officialibus  nosfritf  ft  judietbu* 
Stnttif  eorum  dittcuiiendui*  judiciu ;  quod  Jfi  aita  terfieritaie  prenuntpseritf  eo 
r^mUrimgaiur  bonts  auü  omttibuj*  pMicnti»,     Ifoc  euttu  profipeetum  e»t,  » 

^ft^a    mtstro    auhjerti   prrirlitentur    tx    impfriiia   mcdicorum.      lliaL    ili^jh 
IL  iinp^rat  ml,  HiiillHrtj-Brelialk'H,  pHria  1»54.  T,  IV,  pa»  I,  |i.  149,  lit  j 

*  Hwt  diplrmi.   Fn.l.   It  ii.  u.  (i  |».  236,  lib.  3,  tit.  46. 


er  die  Beweggründe,  welche  die  Einführung  ärztlicher  Prüfungen 

iefen,   wird   gesiigt:    ,*Wir   tunleni   den  Nutzen  des  Einzelnen, 

lern  wir  für  das  allgemeine  Wohl  sorgen.     Wenn  wir  deranach  den 

^hweren  Verlast  und  unersetzliaren  Schaden  ins  Auge  fassen,  welcher 

der  Unwissenheit  der  Ärzte  entspringen  kann,  befehlen  wir,    dass 

ift  Niemand  den  Titel  eines  Arztes  in  Anspruch  nehme  und 

iktiziren  oder  zu  kuriren  wage,  wenn  er  nicht  zuerst  zu  Salem o 

fier  öffentlichen  Versammlung  durch  da^s  Urtheil  der  Lehrer  für 

befunden  worden  ist,  sich  dimn  durch  schriftliche  Zeugnisse  seiner 

er  sowohl    ak   unserer  Beamten    über   seine  Ehrenhaftigkeit  und 

wissenschaftliche  Reife  vor  uns  oder  unserem  Stellvertreter  aus- 

en  und  in  Folge  dessen  die  staatliche  Erlaubniss  zur  Ausübung 

fPraiis  erhalten  hat    Wer  dieses  Gesetz  übertritt  und  ohne  Liceir/. 

iziren  wagt,   wird  mit  Einziehung  seines  Vermögens   und  Ge- 

his  zu  einem  Jahre  bestraft/*^ 

In  Bezug  auf  die  Ausbildung  der  Chirurgen  wurde  bestimmt,  „das> 

1  Chirurg  zur  Priuis  zugelassen  werde,  bevor  er  nicht  durch  schrift- 

Zeugnisse  der  Lehrer  der  medicinischen   Facultiit  den  Nachweis 

bfert  hat,  dass  er  wenigstens  ein  Jahr  hindurch  den  Tlieil  der  Heil- 

de  studiert  hat,  welcher  die  Befähigung  zur  Ausübung  der  Chirurgie 

liht,  dass  er  in  den  Collegien  namentlich  die  Anatomie  des  mensch- 

l^n  Körpers  tleissig  gelernt  hat  und  auch  darin  vollkommen  erfijhren 

ist,  wie  die  Operationen  mit  Erfolg  ausgeführt  werden,  und  auf  welche 

Weise  nachher  die  Heilung  zu  Stande  kommt."  ^ 

Ih  Wenn   der  Arzt   die  Prüfungen   bestanden  und  die  staatliche  Er- 

PBbiss  zur  Praxis  erhalten  hatte,  so  wnrde  ihm  ein  Diplom  ausgestellt, 

fulches  lautete:    ^.Notum  faeimiis  ßdeiitali  restrae,  quod  fideiis  nosier 

y.  S\  ad  curiam    nostram   a^^cedens,    exarninaius ,   int^ntus  fidelis  et  de 

fmn  fidelium  ortua  et  suf^mens  ad  ariern  mediaifiae  exef'cendamf  exHtit 

fir  noitram  ciifiam  approhains.     Prrjpter  qtiod  de  ipsius  prtnierUia  ei  le- 

W^^M^ficmfisi,   recepto   ab  eo  in  curia  nostra  ßdeHtafis  amramento  ei  de 

^MPItt  fidelUet  ex^rcenda  juxta  cofistietudimm  juramenio,   dedimus  m 

ticentiam  arwcendi  artem  medimnae  in  parHbus  ipsisr    u(  amodo  artmn 

ipwww  ad  honorem  et  fidelitnttm   nostram    et  Hatiiteni  eonim  *iui  indi^ent, 

fiddüer  iln  debeat  erert^ere,      Quocirca  fidelifaU  vestrae  praeeipiendo  man- 

ikfuuif,  fpmtenm  nulhw  »it,  qtti  pmedwtum  N.  N,  fillelem  nostmm  st^per 

arte  fjMfl  medicinae  in  terri^  ipfth.  ut  dirfnm   e.^t,   exeremda    impediai  de 


«Atero  vei  perturhei.*'^ 

^P    •  «.  m.  O.  p.  150,  tit  45,  *  u.  a.  U.  p.  23ti. 

H    'ftraiDR  ViRKm:  EpiBt.,  Hb.  VI,  e.  24,   BaaiL  1740.  -  Hist.  cHjiK  Friil.  II. 

^tO.  p,  150,  Anm,  2. 


176  Der  medicinisohe  UtUerricJU  im  Mittelalter. 

In  dem  Eide,   welchen   der  junge  Arzt  bei  dieser  Gelegenheit 
schwören  musste,   wurde  er  verpflichtet,  „Armen  unentgeltlich  seinen 
Kath  zu  ertheilen  und  Apotheker,  welche  die  Medicamente  nicht  den 
'  Vorschriften  entsprechend  zubereiten,  der  Behörde  anzuzeigen.** 

Ferner  wurde  gesetzlich  angeordnet,  wieviel  er  für  einen  Kranken- 
besuch verlangen  durfte.  Darnach  betrug  die  Ma}umaltaxe  für  eine 
Kranken  Visite  am  Tage  innerhalb  der  Stadt  einen  halben  Gold-Tarenus,^ 
ausserhalb  des  Ortes  drei  oder  höchstens  vier  Tareni  nebst  Ersatz  der 
Reisekosten. 

Dem  Arzt  wurde  es  untersagt,  mit  den  Apothekern  Geschäftsver- 
bindungen einzugehen  oder  selbst  eine  Apotheke  zu  halten.  Die  Apo- 
theker wurden  angewiesen,  die  Arzneien  nach  der  Vorschrift  der  Ärzte 
zu  bereiten  und  zu  bestimmten  Preisen  zu  liefern.  Bevor  sie  zur  Aus- 
übung ihrer  Kunst  zugelassen  wurden,  mussten  sie  sich  durch  einen 
Eid  verpflichten,  die  Medicamente  nach  der  vorgeschriebenen  Form 
herzustellen  und  sich  dabei  keinen  Betrug  zu  Schulden  kommen  zu 
lassen.  Gleichzeitig  wurde  angegeben,  welchen  Preisaufschlag  sich  die- 
selben bei  Arzneien,  welche  vielleicht  lange  Zeit  vorrathig  gehalten 
werden  müssen,  ehe  sie  zur  Verwendung  kommen,  erlauben  dürfen, 
und  ein  Gesetz  über  die  Anzahl  der  Apotheken  in  den  verschiedenen 
Städten  des  Landes  in  Aussicht  gestellt.^  Ausserdem  wurden  Inspek- 
toren ernannt,  welche  die  Bereitung  der  Arzneien  überwachen  und 
deren  Tadellosigkeit  durch  Zeugnisse  bestätigen  sollten;  in  Salemo  selbst 
führten  die  Lehrer  der  Heilkunde  die  Aufsicht  darüber.' 

„Gleichzeitig  verordnen  wir,"  heisst  es  an  derselben  Stelle,  „dass 
Niemand  über  Medicin  und  Chirurgie  irgendwo  Vorlesungen  halte, 
als  zu  Salemo,  oder  den  Titel  eines  Lehrers  annehme,  wenn  er  nicht 
in  Gegenwart  unserer  Beamten  und  der  Lehrer  dieser  Kunst  sorgfaltig 
geprüft  worden  ist."  Den  Beamten,  welche  bei  der  Ausführung  dieser 
Gesetze  ihre  Pflichten  verletzten,  wurde  die  Todesstrafe  angedroht 

Die  Verordnungen  des  Kaisers  Friedrich  11.  dienten  den  späteren 
Einrichtungen  des  medicinischen  Studiums  als  Muster.  Sie  bildeten  die 
ersten  Versuche  einer  staatlichen  Organisation  desselben. 

Leider  wurde  in  den  folgenden  Jahrhunderten  der  Einfluss  der 
weltlichen  Behörden  hier  wie  auf  anderen  Gebieten  durch  die  zu- 
nehmende Macht  de^  Klerus  zurückgedrängt  Diese  Thatsache  gab  der 
Cultur  eine  eigenthümliche  Färbung  und  beherrschte  die  Entwickelung 
der  Universitäten  bis  in  die  neueste  Zeit. 


*  Em  Grold-Tarenns  war  eme  Goldmünze  im  Gewicht  von  20  Gran. 
»  Hist.  diplom.  Frid.  II.  a.  a.  0.  p.  236.  »  a.  a.  0.  p.  151,  tit  47. 


Die  Schule  von  Salerno,  177 

Die  medicinische  Schale  zu  Salemo  erlebte  im  11.  und  12.  Jahr- 
handert  ihre  Blüthe.  In  dieser  Zeit  entMtete  sie  eine  reiche  literarische 
Thätigkeit,  Ton  welcher  die  Werke  eines  Gabiopontus,  Petboncellus, 
Xhpnxsv^  der  beiden  Copho,  der  Platearier,  des  Constantinus  Afri- 
CAKus^  welcher  durch  seine  Übersetzungen  viel  dazu  beitrug,  dass  die 
iSalemitanischen  Arzte  mit  der  arabischen  Heilkunde  bekannt  wurden, 
das  Arzneibuch  des  Babtholomaeus,  welches  schon  bald  nachher  ins 
Deutsche  übertragen  wurde,*  die  Schriften  des  Afflacius,  Abchimat- 
THASU8,  MusANDiNüs  uud  Aegidiüs  VON  CoBBEiL,  die  Receptensamm- 
lung  des  Nicolaus  Pbaepositüs,  die  Uroskopie  des  Maübus,  vor  Allem 
aber  die  berühmten  Gesundheitsregeln  der  Schule  von  Salemo,  welche 
in  alle  Sprachen  übersetzt  wurden  und  mehr  als  200  Auflagen  erlebten, 
Zeugniss  geben. 

Im  Jahre  1252  beschloss  der  König  Konrad,  die  medicinische 
Schale  zu  Salemo  zu  einer  Universität  zu  vervollständigen,  an  welcher 
auch  die  Jurispmdenz  und  die  artes  gepflegt  werden  sollten.  Aber  sein 
Plan  kam  nur  theilweise  zur  Ausführung.  König  Manfred  stellte  L  J.  1258 
die  Universität  Neapel,  welche  kurz  vorher  aufgehoben  worden  war, 
wieder  her,  und  es  blieb  in  Salemo  nur  die  medicinische  Schule  be- 
^heiL  Allerdings  wurde  dort  neben  der  Heilkunde  auch  Rechts- 
wissenschaft gelehrt;  aber  es  wurden  in  diesem  Fach  keine  akademischen 
Würden  verliehen.* 

Als  in  Neapel  und  anderen  Städten  Italiens  und  Frankreichs  me- 
dicinische Schulen  entstanden,  verminderte  sich  die  Zahl  der  Studie- 
renden in  Salemo.  Dazu  kam,  dass  auch  die  Lehrkräfte,  welche  dort 
wirkten,  allmälig  von  denjenigen  anderer  Hochschulen  übertroffen  wurden, 
und  ihre  wissenschaftliche  Thätigkeit  erlahmte.  Schon  Aegidiüs  von 
CoRBEUi  klagte  darüber,  dass  in  Salemo  bartlose  unreife  Knaben  die 
Würde  des  Arztes  erhielten  und  als  Lehrer  der  Heilkunde  auftreten  durften: 

„O  wie  tief  bist  Du  von  der  Höhe  des  Ruhmes,  Salerao, 

Der  einst  so  sehr  Dich  geschmückt,  wie  tief  doch  zu  Boden  gesunken! 

Denn  wie  erträgst  Du  es  doch,  dass  jetzt  Deinem  Boden  entspriesset 

Manch*  unreifes  Pflänzchen  unwürdiger  Söhne  der  Heilkunst, 

Denen  weit  besser  wohl  ziemt  Schulmeisters  kräftige  Ruthe 

Und  die  gediegene  Zucht  des  viel  erfahrenen  Alters, 

Als  dass  sie  selbst  nun  mit  Pomp  des  Katheders  Stufen  betreten!''' 

^  Jos.  Haüpt  in  den  Sitzungsber.  d.  K.  Akad.  d.  Wiss.,  Philos.-histor.  KL, 
Wien  1872,  Bd.  71,  S.  451  u.  ff. 

'  J.  A.  DE  NiORis  bei  J.  C.  G.  Ackermann  :  Regimen  sanitatis  Salemi,  Stendal 
1790,  p.  83. 

'  AjBomius  V.  Cobbkil:  de  medicam.  compos.,  v.  569  u.  ff.  nach  H.  Haeseb 
in  Nord  o.  Sfld  1877,  m,  7,  S.  145. 

PoscmiAmi,  Unt«rrieht.  12 


Im  14.  Jahrhuodert  asLgte  Pkthaiica:  „Es  geht  die  Hage,  da«  i 
Maücin  in  Salemo  ihren  Ursprung  ^enammen  hat,  aber  Alle«  fll 
etamal  dem  welkenden  Alt^r  zur  Beuti*,** 

In  den  darauf  folj?endt*n  X/i^iien  sank  dii^  Schule  ?on  Saleruo  jii«|| 
und  mehr,  und  alle  Versuche,  ihr  durch  PrirUegien  und  Üot^itioDö 
frisches  Leben  einzuäü«i«en,  waren  vergehhclL  Ein  Dekrwt  dj?r  fiu 
zdsisohen  ßet^erung,  welche  eine  Zeitlang  die  Ueiehicke  dm  Laaili 
leitete,  machte  am  29.  November  IBl  l  der  Existenz  der  ältesten 
dicinigchen  Schule  Kuropus  ein  Ende. 


Dia  medicinischa  Schula  zu  Montpalliar. 

Anoh  die  Entstehung  der  medjcini^hen  Schule  zu  Monl;>dlin 
liüllt  sich  in  sagenhaftes  Dunkel  Alan  weiss  nicht,  wann  die  dortign 
Arzte  hegonnen  haben^  Schüler  in  der  Heilkiimli*  zu  unterrichtea 

Unter  den  Irrten,  welche  im  10.  untl  II.  Jahrhundert  zu  Huntl 
pellier  die  Praxis  ausübten,  befanden  ifich  wahrscheinlich  viele  Jad«f 
und  Araber;  die  Thatsache.  dass  ein  grosser  Theil  der  Bevulkenmi 
dieser  Stadt  aus  Angeh«>rigen  dieser  Nationen  bestand,  und  die  'Sm 
Spaniens,  wo  die  jüdischen  Arzte  unter  der  arabischen  Hen"schaß  sein 
zahlreich  und  antr*♦!-*eh^■n  waren,  rechtft^rti^en    '  'nie.    An  An 

Triumphen^  welche  die  arabische  Medicin  in  Sj  ,  harten 

Juden  einen  hervorragenden  Antheil. 

Die  Xamen  eines  Mfi^-EB  MAr%iiiMitKs,  CHAi>DAi  ScHAi'itoi  r, 
Halevi,  Nachmanidks»  u,  A.  erzählen  von  ihrem  Wirken  auf  vei 
denen  Gebieten  des  geistigen  Lebens.  Die  Rabbiner  und  jüdiachi 
Gelehrten  beschfifligten  sich  gern  mit  der  Medicin,  und  die  inedicini^cb 
Schulen  der  Juden  zu  Toledo,  Graua^la  und  tL'ordova  stünden  in  hi 
Ansehen.  Die  arabischen  Fürsten  der  iberischen  Halbinsel  ebemu 
ihre  christlichen  Nachfolger  wühlten  mit  Vorliebe  Juden  zu 
Leibärzten.  * 

Aber  die  groiisten  Verdienste  erwarhea  sich  die  jüdischen 
indem  sie  die  Vermittelun?  zwischen  lier  arabischen  Heilkunde  tti 
dem  christlichen  Abf*ndlande  übernahmen.  Theils  durch  Cberäetxung" 
arabischer  Werke,  die  sie  anfertigten,  theik  durch  das  lebendige  Wc 
machti^n  sie  die  Bewuhner  der  benachljarten  christlichen  Lander 


Ml  m 

ten  ja 

i 


^  J,  Bfexz:  Ober  die  jüdlachen  Ärzte  im  Mittelalter,  Berlin  ISäfl,  B.  Ui 


schaftlichen   Errungenschaft^ii   ihrer  semitischen   Stammes- 
m  bekannt. 

Die  arabischen  und  jüdischen  Kchulen  Spaniens  bewahrten  anch 
nach  der  Erobern ng  dieses  Landes  durch  die  Christen  lange  Zeit  den 
Ruf  der  rtelehrsamkeit.  Noch  im  IL  und  12.  Jahrhundert  pilgerten 
viiaeitsdiirs;tige  Foi-scher,  wie  Gerbebt,  der  später  als  Pabst  Sylvester  IL 
pnannt  wurde,  Hekmanxus  Conteactus^  Davu»  IIohlky,  Pietro  von 
KMAMOf  Arxald  von  Villanova  u.  A.  nach  Spanien,  besonders  nach 
Toledo,  um  dort  in  das  Wissen  der  Araber  eingeweilit  zu  werden. 

Diesen  YtThältnissen  mxLss  ohne  Zweifel  ein  bedeutender  EinHuss 
auf  die  Entstehung  und  Entwiekelung  der  Schule   vun  Montpellier  zii- 
geechrieben  werdend     Man  hat  sogar  nachzuweisen  versucht,  dass  ein 
^Mischer  ^Irzt  aus  Narbonne  der  Erste  gewesen  sei,  der  dort  medici- 
^^peben  Unterricht  ertheilt  habe.  ^ 

Als  Benjamin  von  Tudela  i.  J.  1160  M(jntpellier  besuchte,  fand 
iT  viel«  Juden  unter  den  dortigen  Einwohnern,  wie  er  erzahlt*  Aber 
lehon  damals  machte  sich  die  Reaktion  gegen  di«^  Macht  der  Juden 
geltend.  Graf  Wilhelm  von  Montpellier  bestimmte  1121  in  seinem 
XsitMiient,  dass  kein  Sarazene  oder  Jude  zur  Würde  eines  Stadthaupt- 
wmm  (Bailli)  ssugelassen  werde,  und  1145  und  1172  wurdi^  dieses 
Verbot  in  Betreff  der  Juden  erneuert,  da  es  den  Sarazenen  gegenüber 
heinlich  nicht  mehr  noth wendig  erschien.  Jedenfalls  beweist 
That^ache^  dass  vor  diesiT  Zeit  die  Araber  und  Juden  in  Mont- 
pellier gleiche  Rechte  wie  ihre  christlichen  Mitbürger  belassen  und 
An*ipruch  auf  die  angesehensten  Stellen  erheben  durften. 

Bis  zur  Unterwerfung  Spaniens  dnrch  die  Christen  herrschte  dort 
Geigt  der  Toleranz,  welcher  auf  die  Humanität  wie  auf  die  Wissen- 
>aft  fordernd  gewirkt  hat;  in  die^  Periode  fallt,  wie  historisch  fest- 
ht,  die  Gründung  der  medicinisehen  Schule  zu  Muntpellier. 

Xh  Bischof  Adalbkbt  von  Mainz  i.  J.  1137  dorthin  kam,  bestand 
k»selbe  liereits  und  l>esass  sogar  schon  eigene  Gebäude,    wie  aus  den 
ort**«  des  zur  gleichen  Zeit  lebenden  Bischofs  Ansemius  von  Havelberg 
hervorgeht*  Bischof  Adalbekt  Hess  sich  von  den  Ärzten,  welche  in  Mont- 
pellier die  Heükunde  lehrten,  über  die  Ursachen  der  Naturerscheinungen 


*  Ravüh,  in  d^r  R<!'Viie  tht^rapeut.  du  midi,  Moiitpellicr  1855,  —  Caamolv: 
H'  Hfl  jiiifB^  Bnixdles  1844,  p.  77.  —  A.  GEBStAiH:  Hktoire  de 
In                               ntpelHfT.  MontiieUier  1851,  T.  I,  p.  LXIX. 

*  AjrsKr.Mt  epi&copi  Havelbergensis  vita  Adelberti  Moguntitii  in  Bibl.  rer, 
fmiao.  ed,  Pli,  JaflfiV,  BeroL  1866,  IIl,  592.  —  A.  Dchoücitbt:  Uü  documeiit 
oxri^ux  «ur  F^ok  do  iii«^dt?cine  de  Monti»eUier  in  der  Gaa,  hebd.  des  sciene«  mM. 
de  MoiitfifTlIien   H»,  Juli  18M6. 


180  Der  mediciniscJie  Unterricht  im  MitidaUer, 


und  der  Krankheiten  unterrichten,  und  zwar  „nicht  etwa  weil  er  (Ge- 
winn aus  der  Eenntniss  dieser  Dinge  ziehen  wollte,  sondern  nur,  mn 
das  tiefverborgene  Wesen  der  Dinge  kennen  zu  lernen,"  wie  sein  Bio- 
graph hinzufügt 

In  einem  Briefe  des  hl.  Bernhard  v.  J.  1153  wird  erzahlt,  dass  der 
Erzbischof  von  Lyon,  als  er  erkrankt  war,  sich  nach  Montpellier  begab, 
um  sich  von  den  dortigen  Ärzten  behandeln  zu  lassen,  und  bei  dieser 
Gelegenheit  nicht  blos  das  Geld  verbrauchte,  welches  er  bei  sich  führte, 
sondern  noch  Schulden  machte.^  Jean  de  Salisbury,  welcher  auch 
derselben  Zeit  angehört,  erklärte,  dass  Diejenigen,  welche  sich  der 
Medicin  widmen  wollten,  die  dafür  erforderlichen  Kenntnisse  in  Salemo 
oder  Montpellier  erwarben.  Auch  Aecüdius  von  Ookbell  und  Habt- 
M.VNN  VON  der  Aue  haben  für  den  alten  Ruhm  der  Schule  von  Mont- 
pellier Zeugniss  abgelegt  Der  Mönch  Caesariüs  von  Heistebbach 
nannte  Montpellier  die  „Quelle  der  medicinischen  Weisheit"  und  be- 
merkte mit  Bedauern,  dass  die  dortigen  Ärzte  £»i  die  Wunderheilungen 
nicht  glauben  wollten  und  in  ironischer  Weise  darüber  sprachen. 

I.  J.  1180  erliess  Wilhelm  IV.,  Graf  von  Montpellier,  die  Ver- 
ordnung, dass  Jeder,  „wer  er  auch  sei  und  woher  er  stammen  möge, 
ohne  dass  er  von  irgend  wem  darüber  zur  Rede  gestellt  werde,  das 
Recht  habe,  dort  medicinischen  Unterricht  zu  ertheilen.**^ 

Obwohl  sich  in  Folge  dessen  die  medicinische  Schule  sehr  hob, 
war  diese  schrankenlose  Lehrfreiheit  doch  nicht  aufrecht  zu  halten, 
weil  dadurch  manche  ungeeignete  Elemente  angezogen  wurden.  Die 
Lehrer  und  Schüler  wünschten  deshalb,  dass  Massregeln  dagegen  ge- 
troffen wurden.  Es  ist  bezeichnend  für  die  Macht,  welche  der  Klerus 
unterdessen  gewonnen  hatte,  dass  man  sich  an  den  päbstlichen  Legaten 
wandte,  der  im  Einvernehmen  mit  den  Bischöfen  von  Maguelone, 
Avignon  u.  A.  i.  J.  1220  die  gewünschten  Bestimmungen  traf. 

Cardinal  Konrad,  welcher  dadurcli  die  Grundlagen  zur  weiteren 
Entwickelung  der  Schule  von  Montpellier  schuf,  war  ein  Deutscher  und 
stammte  aus  dem  schwäbischen  Geschlecht  der  Grafen  von  Urach.  Er 
wies  in  den  Statuten,  die  er  entwarf,  zunächst  darauf  hin,  dass  die 
Heilkunde  in  Montpellier  schon  seit  langer  Zeit  blühe  und  Ruhm  ernte, 
und  gab  dann  das  Gesetz,  dass  fortan  Niemand  dort  als  Lehrer  dieser 

^  Expendit  et  quod  hahebat  ed  quod  non  ßiabebat  in  Bemard.  Epist  307, 
nach  AsTRuc:  M^moires  pour  servir  a  rhistoire  de  la  facolt^  de  m^ecine  de 
Montpellier,  Paris  1767,  p.  7. 

'  MandOf  volo,  laudo  atque  eoncedo  in  perpetuum,  quod  omnes  howUne» 
quicumque  sint  vel  undecunque  sint,  sifie  aliqua  interpellatume  regant  seolas 
de  ßsica  in  Montepessulano.    Astruc  a.  a.  0.  p.  84. 


Die  medieimsche  Schule  xu  Morüpeükr,  181 

Wissenschaft  auftreten  dürfe,  der  nicht  darin  geprüft  und  vom  Bischof 
Ton  Maguelone  unter  Zuziehung  und  nach  Befragen  seiner  Lehrer  die 
Licenz  erhalten  habe,  dass  Niemand  als  Schüler  betrachtet  werde,  der 
nicht  bei  seinen  Studien  der  Anleitung  seines  Lehrers  folgt,  dass  der 
Bischof  Yon  Maguelone  in  Gemeinschaft  mit  drei  angesehenen  älteren 
Lehrern  einen  Kanzler  wähle,  welcher  die  Disciplin  überwachen  und 
die  Streitigkeiten  zwischen  den  Meistern  und  Schülern  schlichten  sollte, 
dass  der  Bischof  den  Kanzler  durch  seine  Autorität  unterstütze,  und 
dass  alle  Lehrer  und  Schüler  einander  beistehen  und  Sorge  tragen, 
dass  auf  die  Schule  keine  Schande  falle.  ^ 

Manche  Studierende  unterbrachen  ihre  Studien,  wie  aus  Abschnitt  14 
dieser  Statuten'  hervorgeht,  auf  längere  Zeit,  um  die  ärztliche  Praxis 
auszuüben,  und  kehrten  dann  zur  Fortsetzung  der  Studien  nach  Mont- 
pellier zurück.  Die  Schüler  zahlten  den  Lehrern  Honorar  für  den 
Unterricht,  den  sie  empfingen. 

In  den  Gesetzen  Konrads  war  allerdings  keine  Rede  davon,  die 
Andersgläubigen  von  der  Schule  auszuschliessen;  doch  wurden  dieselben 
ohne  Zweifel  durch  den  mächtigen  Einüuss,  welcher  darin  dem  Bischof 
eingeräumt  wurde,  einigermassen  zurückgedrängt.  Gleichwohl  gab  es 
dort  im  13.  und  14.  Jahrhundert  noch  viele  jüdische  Studierende  und 
Ärzte,  wie  Jacob  ben  Machib,  bekannter  unter  dem  Namen  Profatius. 
der  wahrscheinlich  sogar  als  Lehrer  thätig  war.^ 

I.  J.  1230  wurde  bestimmt,  dass  Niemand  die  ärztliche  Praxis 
treibe,  bevor  er  von  zwei  Magistern  der  Heilkunde,  welche  der  Bischof 
zu  Examinatoren  wählte,  geprüft  und  für  fähig  befunden  worden  sei. 
Der  glückliche  Erfolg  der  Prüfung  wurde  ihm  durch  ein  Zeugniss, 
welches  die  Unterschrift  des  Bischofs  und  der  Examinatoren  trug, 
bestätigt 

Wer  die  ärztliche  Praxis  ausübte,  ohne  sich  dieser  Prüfung  unter- 
zogen zu  haben,  wurde  mit  der  Strafe  der  Excommunication  bedroht. 
Doch  blieben  die  Chirurgen  von  der  Verpflichtung,  sich  examiniren  zu 
lassen^  befireit.  Aber  die  Gesetze  gegen  die  Kurpfuscher  wurden,  wie 
es  scheint,  nicht  streng  beobachtet;  denn  sie  mussten  von  Zeit  zu  Zeit 
immer  wieder  ins  Gedächtniss  zurückgerufen  werden. 

*  AsTBüC  a.  a.  0.  p.  37. 

*  QtMfido  seholaris  redit  a  lociSj  in  quibtuf  practicaverii,  Itbere  siht  aiffffcaf, 
quemeunque  voluerit,  magiafrum,  dum  tarnen  priori  suo  magistro  non  teneatttr 
raiione  salari  rel  alterius  alieujus  rei.  Aotrcc  a.  a.  0.  p.  39.  —  A.  Gbrmain 
a.  a.  O.  T.  III,  424. 

*  Cabmoly  a.  a.  0.  S.  90.  Derselbe  erw&hnt  noch  andere  jüdische  Lehrer 
der  Medtdn,  z.  B.  Samuel  Ben  Tibbon. 


182  Der  mediciniscfie  Unterricht  im  Mittelalter, 

Die  Statuten  und  Lehrpläne,  welche  L  J.  1240  gegeben  wurden, 
stützten  sich  auf  die  für  Salemo  erlassenen  Verordnungen  des  Kaisers 
Friedrich  11.^ 

Die  medicinische  Schule  war  somit  vollständig  organisirt  Neben 
ihr  wurde  in  Montpellier  seit  dem  Ende  des  13.  Jahrhunderts  auch 
Unterricht  in  der  Rechtskunde  ertheilt;  ebenso  gab  es  schon  1242 
Lehrer  der  philosophischen  Disciplinen.  Pabst  Nicolaus  lY.  fasste  1289 
den  Entschluss,  dort  ein  Studium  genet-ale,  d.  h.  eine  Universität  zu 
erricht<?n;  aber  es  gelang  ihm  nicht,  die  medicinische  Schule  mit  den 
übrigen  Facultaten  zu  einer  Lehranstalt  zu  verschmelzen.  Sie  bewahrte 
eifersüchtig  ihre  Rechte  und  behauptete  ihre  Selbstständigkeit 

So  kam  es,  dass  in  Montpellier  fortan  eigenthch  zwei  Universitäten 
bestanden,  von  denen  die  eine  nur  die  medicinische  Facultät,  die  andere 
die  übrigen  Facultaten  umfasste.  Jede  von  ihnen  bildete  ein  besonderes 
Institut,  hatte  ihren  eigenen  Kanzler  und  führte  den  Namen  einer 
Universität  Sie  waren  auch  dazu  berechtigt;  denn  man  verstand  unter 
dem  Studium  generale  im  Mittelalter  nicht  die  Vereinigung  aller  Facul- 
taten an  einem  Ort,  sondern  eine  höhere  Unterrichtsanstalt,  welche 
allgemein  zugänglich  war  und  Zeugnisse  ertheilte,  die  überall  Geltung 
hatten.^  Der  Ausdruck  Studium  generale  machte  im  14.  Jahrhundert 
demjenigen  der  Universität  Platz,  mit  welchem  der  BegriflF  der  Corpo- 
ration, der  organisirten  Verbandseinheit  verbunden  war.  Daneben  ge- 
brauchte man  bereits  zu  jener  Zeit  auch  die  Bezeichnungen  .^Gynina- 
aium''  und  „Alma  mater'  für  die  Hochschule. 

Während  an  der  aus  der  juristischen,  philosophischen  und  theo- 
logischen Facultät,  welche  erst  1421  errichtet  wurde,  bestehenden 
Universität  zu  Montpellier  der  Bischof  fortan  die  Würde  des  Kanzlers 
bekleidete,  wurde  an  der  medicinischetf  Schule  dieses  Amt  auch  femer 
einem  Lehrer  derselben  übertragen.  Alle  Versuche,  welche  später  ge- 
macht wurden,  um  die  letztere  vollständig  dem  klerikalen  Einfluss  zu 
unterwerfen,  waren  vergeblich.  Die  medicinische  Facultät  behielt  ihre 
Autonomie  selbst  unter  der  centralisirenden  Macht  der  französischen 
Könige,  und  Ludwig  XIV.  fühlte  sich  sogar  veranlasst,  ein  Dekret, 
welches  die  Vereinigung  der  medicinischen  Facultät  mit  den  übrigen 
Facultaten  anordnete,  wieder  zurückzunehmen.^ 

>  Gerhain  a.  a.  0.  T.  III,  p.  424. 

*  H.  Denifle:  Die  Entstehung  der  Universitäten  des  Mittelalters  bis  1400. 
Berlin  1885,  I,  S.  15  u.  ff.  —  Vergl.  dagegen  G.  Kaufmann:  Greschichte  der 
deutschen  Universitäten,  Stuttgart  1888,  I,  98  u.  ff. 

'  A.  Dubouohet:  Documents  pour  servir  k  Iliistoire  de  runiversitä  de  m^ 
decine  de  Montpellier  in  der  Gaz.  hebd.  des  sciences  m^.  de  Montpellier  1887,  No.  4. 


Die  mediemische  Schule  xu  Montpellier,  183 

Da  die  Wahl  des  Kanzlers  durch  den  Bischof  und  drei  von  ihm 
zugezogene  Lehrer  manche  Unzuträglichkeiten  im  Gefolge  hatte,  so 
befahl  Pabst  Clemens  V.  L  J.  1308,  dass  der  Candidat  fortan  ausser 
der  Zustimmung  des  Bischofs  zwei  Drittel  der  Stimmen  sämmtlicher 
Magister  der  medicinischen  Hochschule  vereinigen  müsse. 

Gleichzeitig  wurde  bestinmit,  welche  Bücher  dem  Unterricht  zu 
Gründe  gelegt  werden  sollten,  und  die  Studien-  und  Prüfungsordnung 
dahin  erläutert,  dass  jeder  Studierende  mindestens  fünf  Jahre  medici- 
nische  Vorlesungen  hören  und  während  acht  Monaten  oder  zwei  Sommer 
hindurch  ärztliche  Praxis  ausüben  müsse,  ^  bevor  er  zur  Promotion  zu- 
gelassen werde. 

I.  J.  1350  wurde  gesetzlich  bestimmt,  dass  Niemand  ärztliche 
Praxis  treibe,  ehe  er  den  Grad  eines  Magisters  erlangt  habe.^  Aus 
dem  an  den  Pabst  gesandten  Rotulus  v.  J.  1362  geht  hervor,  dass 
alle  Scholaren  der  Medicin  zu  Montpellier  in  artihus  graduirt  waren,  ^ 
also  eine  allgemein-wissenschaftliche  Vorbildung  besassen. 

Die  Statuten  der  dortigen  medicinischen  Schule  v.  J.  1340*  ge- 
währen einen  Einblick  in  die  Zustände  derselben.  Sie  beschäftigen  sich 
mit  der  Würde  des  Kanzlers,  der  die  Gerichtsbarkeit  leitete,  mit  dem 
Dekanat,  welches  Demjenigen,  welcher  die  Lehrthätigkeit  am  längsten 
ausübte,  übertragen  wurde,  hauptsächlich  die  Vertretung  des  Kanzlers 
zur  Aufgabe  hatte  und  eigentlich  nur  ein  Ehrenamt  war,  mit  der  Wahl 
von  zwei  Procuratoren  aus  der  Zahl  der  Lehrer,  welche  die  Aufsicht 
über  die  Verwaltung  der  Güter  und  Besitzungen  der  Universität  führten, 
mit  den  zweimal  im  Jahre  stattfindenden  allgemeinen  Versammlungen 
der  Lehrer,  in  denen  über  die  Angelegenheiten  des  Unterrichts  und 
die  Finanzen  der  Schule  berathen  wurde,  und  mit  den  Pflichten  der 
Lehrer  und  Schüler. 

Die  letzteren  mussten  sich  sofort  nach  ihrer  Ankunft  den  Pro- 
curatoren vorstellen,  welche  ihre  Namen,  und  den  Tag,  an  dem  sie 
ihre  Studien  begannen  und  beendeten,  in  ein  Buch  eintrugen  und  dafür 
eine  Taxe  erhoben,  welche  eine  verschiedene  Höhe  hatte,  je  nachdem 
es  sich  um  einen  Scholaren  oder  um  einen  Baccalaureus  handelte,  und 


*  Z»  locie  famosis  quinque  anniSy  si  in  ariibus  magistri  exMant  idonei, 
alioquin  per  sex  annoSy  pro  quolibet  anno  octo  duntaxat  mensibus  computatis 
efuidem  faeuUatem  audiverint  medicinae,  ae  in  similibus  locis  per  octo  menses 
aut  per  duas  aeetaies  €td  minus  ejusdem  medicinae  praxim  duxerint  exercendam. 
AsTBuc  a.  a.  O.  p.  46. 

'  Awnajc  a.  a.  0.  p.  54. 

'  Dkviflb  a.  a.  0.  S.  355,  Anm.  562. 

*  A.  DuBoucBXT  a.  a.  0.  Gaz.  hebd.  No.  6  u.  ff. 


184  Der  medicinische-  Unterricht  im  Mittelalter, 


unseren  Gebühren  für  Immatriculation  und  Exmatriculation  entsprach. 
Die  Studierenden  gelobten  bei  der  Aufiiahme  in  den  Verband  der  Hoch- 
schule, deren  Gesetze  gewissenhaft  beobachten  zu  wollen. 

Sie  waren  verpflichtet,  während  der  ersten  drei  Jahre  der  Studien- 
zeit nach  Abzug  der  Ferien,  durch  volle  24  Monate  medicinische  Vor- 
lesungen zu  besuchen.  Hierauf  folgte  eine  Prüfung,  bei  der  jeder  der 
Lehrer  eine  Frage  stellte,  und  darauf  die  Promotion  zum  Baccalaureus. 
In  dieser  Eigenschaft  setzte  der  Studierende  seine  Studien  noch  min- 
destens zwei  Jahre  hindurch  fort,  hielt  aber  zugleich  Vorlesungen  über 
einzelne  Abschnitte  aus  den  medicinischen  Schriften  der  Alten.  Den 
Schluss  des  Studiums  bildete  die  Bewerbung  um  das  Magisterium  der 
Heilkunde. 

Als  ordentlicher  Lehrer  wurde  Derjenige  betrachtet,  welcher  min- 
destens den  ganzen  Winter  hindurch  regelmässigen  Unterricht  ertheilte. 
Die  Lehrer  wählten  in  ihren  Versammlungen  die  Gegenstände,  über 
welche  sie  vortragen  wollten;  der  Ältere  hatte  dabei  den  Vorrang  vor 
dem  Jüngeren.  Auch  wurde  streng  darüber  gewacht,  dass  nicht  ein 
Lehrstoff,  welcher  binnen  einem  Jahre  abgehandelt  werden  sollte,  auf 
mehrere  Jahre  vertheilt  würde. 

Anfangs  war  jeder  Magister  und  unter  gewissen  Beschränkungen 
sogar  jeder  Baccalaureus  berechtigt,  die  Lehrthätigkeit  auszuüben,  ohne 
dass  er  jedoch  dafür  irgendwelche  Besoldung  empfing.  Erst  i.  J.  1498 
wurden  vier  ordentliche  Lehrkanzeln  der  Medicin  errichtet,  deren  In- 
haber für  den  Gehalt  von  je  100  livres  das  ganze  Jahr  hindurch  un- 
entgeltlich vortragen  mussten.  Die  Besetzung  dieser  Professuren  erfolgte 
durch  den  Bischof  auf  Vorschlag  der  übrigen  Lehrer  der  medicinischen 
Schule.  Die  Besoldung  der  Professoren  wurde  unter  Carl  IX.  auf 
400  livr.  und  unter  Heinrich  IV.  auf  600  livr.  erhöht.  Ausserdem 
waren  sie  gleich  den  übrigen  Mitgliedern  der  Universität  von  Steuern 
und  manchen  anderen  Lasten  befreit. 

Die  medicinische  Schule  zu  Montpellier  erlebte  im  13.  und  14.  Jahr- 
hundert ihre  Glanzperiode.  Aus  weiter  Feme  kamen  damals  die  Kranken, 
wie  der  Bischof  von  Herford  aus  England  und  der  König  Johann  von 
Böhmen,  um  bei  den  dortigen  Ärzten,  welche  namentlich  wegen  ihrer 
praktischen  Tüchtigkeit  geschätzt  waren, ^  Hilfe  zu  suchen.  Ihnen 
erwuchs  eine  gefahrliche  Concurrenz,  als  die  Universitäten,  welche  in 
jener  Zeit  in  Italien,  Frankreich  und  Deutschland  gegründet  wurden, 
zur  Blüthe  gelangten. 

^  Abnald  von  Villanova:  Bre\'iar.  IV,  10.  —  Guy  von  Chauliac:  Chir.. 
tr.  VI,  d.  2,  c.  2. 


Die  ältesten  Hochschulen  Italiens.  185 


Die  ältesten  Hochschulen  Italiens. 

Kaiser  Friedrich  II.  schuf  i.  J.  1224  die  Hochschule  zu  Neapel,^ 
an  welcher  alle  Wissenschaften  gelehrt  werden  sollten,  damit  die  wissens- 
darstigen  Jünglinge  nicht  genöthigt  würden,  „wie  Bettler  ausserhalb 
des  Landes  die  geistige  Nahrung  zu  suchen".^  Anfangs  waren  hier, 
wie  es  scheint,  sämmüiche  Facultäten  vertreten;  aber  schon  1231  ging 
die  medicinische  ein,  weil  die  Heilkunde  nach  einer  kaiserlichen  Ver- 
ordnung fortan  nur  in  Salemo  gelehrt  werden  durfte.  I.  J.  1252 
wurden  auch  die  übrigen  Facultäten  nach  Salemo  verlegt  und  mit  der 
dortigen  medicinischen  Schule  zu  einer  Universität  vereinigt. 

Doch  wurde  die  Hochschule  zu  Neapel  schon  1258  wiederhergestellt. 
Da  sie  in  der  Hauptstadt  des  Landes  gelegen,  von  Norden  und  Osten 
leichter  zugänglich  und  mit  grösseren  Rechten  und  Geldmitteln  aus- 
gestattet war,  als  ihre  ältere  Schwesteranstalt  zu  Salemo,  so  überholte 
sie  dieselbe  später  durch  die  Zahl  der  Schüler  sowohl  wie  durch  ihre 
Bedeutung  und  ihre  Leistungen. 

Gleich  den  Anfangen  der  Hochschulen  zu  Salemo  und  Montpellier 
verlieren  sich  auch  diejenigen  von  Bologna  in  sehr  frühe  Zeiten.' 
Kaiser  Friedrich  I.  versprach  der  dortigen  Universität  i.  J.  1158  seinen 
Schutz  und  verlieh  ihr  eigene  Gerichtsbarkeit.  *  Sie  war  damals  eigent- 
lich nur  eine  Rechtsschule;  doch  wurden  im  12.  Jahrhundert  auch 
andere  Wissenschaften  gelehrt,  und  die  Ärzte  waren  vielleicht  schon 
zu  einem  Collegium  verbunden.^ 

Im  13.  Jahrhundert  wurde  die  medicinische  und  philosophische 
Facultät  als  „Universität  der  Artisten"  neben  der  juristischen  organisirt. 
Die  juristische  Schule  behielt  indessen  auch  später  durch  die  Zahl  der 
Lehrer  und  Studierenden  das  Übergewicht  über  die  anderen  Facultäten. 

Die  medicinische  Facultät  wurde  erst  seit  1280,  als  Thaddaeus 
FiiOÄENTiNüs  dort  als  Lehrer  wirkte,  in  weiteren  Kreisen  bekannt  und 


»  MuRATOBi:  Rer.  It.  Script  VIII,  p.  496. 

*  Hüillabo-Br^holles  a.  a.  0.  T.  II,  p.  450.  Disponimua  apud  Napolim 
doceri  artes  etOuscunque  profes^ionis  et  vigere  sftulm,  ut  jejuni  et  famelici  doc- 
trinarum  in  ipso  regno  inveniant,  unde  ipsorum  aviditati  satisfiat  neque  com- 
pellantur  ad  investigandas  scientias  peregrinas  nationes  expetere  nee  in  alten  is 
ngionibus  mendieare. 

•  F.  C.  V.  Saviokt:  Geschichte  des  römischen  Rechts  im  Mittelalter,  Heidel- 
berg 1834,  Bd.  III,  S.  164  u.  £P. 

^  Cod.  Aath.  Habita.  —  Giesebbecht  in  den  Sitznngsber.  d.  K.  b.  Akad. 
d.  WiflB.,  histor.  Klsase,  1879,  Bd.  II,  S.  285. 

^  M.  MsDia:  Compendio  storico  della  scuola  anntomica  di  Bologna  1855,  p.  3. 


186 


Der  medieinischs  ü§ii&rridii  im  MittelaUtr. 


berühmt»  Cbrigens  hatte  die  Organisation  der  Universität  zu  Bol 
ihren  Schwerpunkt  nicht  so  sehr  in  den  Facnltäten  aU  in  den  C 
raiiurn^^'n  licr  Schüler. 

Diei?elben   schieden    sich    Anfangs^   in    die   Citraniontiini    und 
ritramontani,  vi*d  denen  sirh  jede  aus  mehreren  Nationen  znsai 
setzte.     Diese   land^mtinnsehaftlichen  Vereinigungen   der  Studierem 
welche  ihr  Vorbild  in   den   Verbiodunge»   fanden,  die   an   den  Hi 
schuhen  des  Alterthiims,  z.  B,  in  Athen,   bestanden,  entspranj^en 
Bedürfniss,  sich  nach  ihrer  heimathlichen  Zusammengehrnigkeil  in 
Fremde  an  einander  anmschliessen^  luid  or^^anisirten  sich  nach  Art 
italienischen  Zünfte.     An  der  Spitze  jeder  der  beiden  Scholaren-O 
rationen  stand  ein  Rector,  der  also  dort  ursprünglich  durchaus 
das  Haupt  der  Universität  war,  sondern  nur  die  Ant:ele^'enheiten 
Studierendenj  die  ihn  zu  ihrem  Vertreter  gewählt  hatten^  leitete, 
fangs  wurde  diese  Würde  an   Professoren  ebensu  wie  an  Studier« 
verliehen,  seit  der  Glitte  des  I  *1  Jahrhundert.s  jedoch  nyr  nnch  m  ilk 
letzteren,  und  in  den  Statuten  der  Universität  aus  dem  14,  Jahrhtuii 
wurde  dies  sogar  gesetzlich  anerkannt^    Seit  dem  UJ.  Jahrhundert 
es  für  beide  8eh<daren-('Orporatiünen  nur  einen  einifiigen  Rector. 

Als  die  italienischen  Städte,  in  denen  sich  Hochschulen  befen 
mit  einander  wetteiferten,  um  durrh  Verleihung  \on  Vorrechten 
Auszeiidinunghn  fremde  Studierende  diu'thin  xu  ziehen,  (^rlangt^*n 
letzteren  alimälig  tdne  ausserordentliche  Machtstellung,  und  die 
fessoren  gi-riethen  in  ein  Abhüngigkeitsverhältniss  zu  ihnen.  In  Bol 
und  Padua  erhielten  die  Studierenden  sugar  das  R^'cht,  die  Profess« 
zu  wählen.^ 

In  ^(ontpellier  durften  ilire  Vertreter,  ilie  Pn*eurati>ren.  den 
fessoren  den  Gehalt  sperren,  wenn  sie  nicht  tieissig  Vorlesungen  hiel 

Der  aus  der  Mitte  der  Studierenden  gewählte  Rector,  der 
nur  ilber  d'w  Corporation,  welcher  er  angehörte,  die  Gerichts)wirfc 
besessen  hatti^  übte  sie  später  über  ilie  ganze  Universität,  sogar  über 
die  Professoren  und  deren  Familien,  aus.  Allerdings  stand  ihm  dnbei 
ein  Mitglied  der  juristischen  Facultät  als  Rathgel>er  zur  Seite,  und  e» 
durfte  sich  ein  ähnliches  Verhältnis^  rntwickelt  haben,  wie  es  im  Ij 
und    17.  Jahrhun<lert   zuweilen   auch  an   deutschen  Universitäten 


'  Ad  rcrtorahfii   igiinr  offhfttm   eUgatur  Scolaris  no9trae  ummrtttaiin 
diu  BfeatnteQ  clor  UDiversitÄt  Bologna,     Saviqxt  a,  a.  O.  Bd*  HI,  S.  643. 

*  L\   MEiNt:iis:    Goachirlitt'   der  Entstehung    und   Eutwit-kelung   der  hol 
Schulen  unseres  Erdtheils,  Göttinf^cn  1802.  —  Savionv  a,  ä,  O,  IM.  111,  8,  292  ii.ff. 

*  Thomai*  m.  Fklix  Plattbr:  Zwei  Autobiographien,  her  v.  Fechter,  Bu^ 
1840,  8.  155. 


Die  üUeMen  HoeksoM/m  Italiens. 


187 


hat,  wenn  man  Studierenden  ans  voraehmen  Familien  das 
»t  tibertrng» 
Auf  das  Studien-  und  Prüfungswesen  hatten  die  Beetoren  keinen 
Sntiusä;  dies  blieb  den  Prufes^sriren  il  Verlassen,  Die  letzteren  erhielten 
für  den  Unterricht^  welchen  sie  ertheüien,  von  ihren  Schülern  Honorare; 
»it  dem  Beginn  des  13.  Jahrhunderts  ^ewährt^^  die  Stadt  ausserdem 
31»  gewisse  Bejsoldung. 

Nach  einem  Bericht,  welchen  derCardinal-Legat  Anglicus  IJ.  1371 
L^te,  ^  lehrten  in  Bologna  damals  3  Magister  die  the<»rt*tische, 
praktische  Medicin  und  einer  die  Chirurgie.  »Sie  wunien  von  der 
SiAflt  besoldet;  doch  gab  es  neben  ihnen  noch  andere  Lehrer,  welche 
keilten  Gehalt  bezogen.  Im  J.  1388  waren  dort  ^S  Professoren  an- 
gestellt^ darunter  14  Medicioer,  27  Legisten,  12  CanoniÄten  und  15  Ai- 
tislc%  Ommmatiker  und  Marter  der  Notariatskunst:  i.  J.  1451  betrag 
lue  Zahl  der  Lehrer  sogar  mehr  als  170^  und  es  erfolgte  deshalb  eine 
Vernnnderung  der  Lehrkanzeln.^  Unter  den  Professoren ,  welche  im 
JlittelaUer  dort  wirkten,  befanden  sich  Franzosen,  Deutsche,  Spanier, 
^igliknderp  Portugiesen.  Polen  und  Griechen,^  und  ebenso  waren  auch 
Mfst  den  Studenten  alle  europäischen  Nationen  vertreten. 

Die  Protessiiren  mussten  sdch  beim  Antritt  des  Lehramts  durch 
ICD  Eid  verpflichten,  ihre  Wissenschaft  an  keinem  anderen  Ort  zu 
[iren  als  in  Bologna  und  mit  allen  Kräften  zum  Gedeihen  der  dor- 
ligen  Hachschnle  beizutragen.*  Gleichwohl  wurde  dadurch  nicht  ver- 
hüMt  daj^  bei  verschiedenen  Gelegenheiten  Schüler  und  Lehrer  in 
(grösserer  Anzahl  aus  Bologna  fortzogen  und  einen  anderen  Studiensitz 
mibiiohten.  Schon  1222  geschah  dies  und  gab  die  Veranlassung  zur 
Grftiidttiig  oder  Erweiterung  der  Hochschule  zu  Padua,  wo  vielleicht 
«ehoit  lange  vorher  Schulen  für  einzelne  Wissenschaften  bestanden  hatten. 
Die  Universität  Padua  wurde  nach  dem  Cluster  derjenigen  von 
BologU  eingerichtet.  Auch  in  Padua  stand  der  Rect^r  an  der  Spitze 
der  Scholaren-Verbindungen,  deren  man  nach  ihrer  Nationalitat  vierunter- 
sebiedf  nämlich  die  der  Italiener,  Fniuzusen,  Provenzalen  und  Deutschen/ 
Auh  hi**r  wurde  der  Rector  aus  der  Zahl  der  Studierenden  gewühlt; 
m  wurde  von  ihm  nur  verlangt^  dass  er  einen  unbescholtenen  Ruf  be- 
ittz^  mindestens  22  Jahre  alt  sei  und  ein  Jahr  in  Padua  von  semem 
eigenen  Vermögen  gelebt  habe. 


*  DcxiPLE  a.  a,  0.  8.  208  a.  ff. 

*  E.  Com:  Le  ouivemtA  italiane  nel   uiedio  evo>  Firenze  1880,  S»  2ö7, 

'  yiAXLtTi:   Reportorio  di  tutti  i  profe.'^gori  deir  universitik  di  Bologna»  Bo- 
1«4T.  *  E.  Coppf  a.  ft.  O.  S.  78,  Anm. 

*  F.  C.  CiiLLe:  8taria  dello  studio  di  Padova,  1824. 


188 


Der  rmdieiniai^  ükimriM  im  3Httelalier, 


Wie  dk  Uoifenäiyil  Bologna  wurde  aueb  diejenige  zu  Padaa  t» 
mgiwtm  fon  Jniiln  besneht    Im  J.   r2<32  gab  es  in  Padua  dn 


Ldmr 


1«.  Jfl 


I  nd  d€r  Naturwissenschaften.     Das  Studium 
in  ftdoa  and  Bologna  eigentlich  erst  im  15. 


fli  Tendlj,  welche  seit  1220  bestand,  verdanll 
in  Frige  TOQ  Streitigkeiten  i.  J.  1228  ein 
dar  Pknfemm  and  Stndcnlen  in  Padua  diese  BUidt  verlies»,  eii 
imntn  ftMiwiwniig.   Dnr  Bmlk  der  Stadt  Yercolli  schloss  niit  Aem»\\» 
wmm  Tafng;^  tu  w^Ieban  sie  durch  verschiedene  Vortheile  k*wog«a 
wdB,  dnnliin  xu  übersiedeln.    In  Yercelli  waren  alle  Fächer  m- 
ttnim:  die  Xediein  Imtle  zwei  Lehrkanzeln.     Doch  existirt«  die  Ho 
flriUlk  nicht  viri  linger  als  ein  Jahrhundert. 

Die  Uni¥ersität  zu  Ticenza  entstand  wahrscheinlich  auf  Am 
indem  Sdinfer  und  Lehrer  ron  Bologna  dorthin  kamen. 
alü  BeiAteiduile  im  Beg^inn  des  13.  Jahrhunderte  eioeu 
gÜu^m  Ru£    Erst  1261  wurde  ein  liehrer  der  Medicin  anga$t«llt, 
«ne  jährliche  Bej^oldun^  t<hi  15t J  lihrae  denariorum  erhielt- 

In  Modena,  wo  iUe  juristisicbeii  Wissenschaften  schon  nn  12.  Ja 
Itnndert  mbig  gt^trieben  wurden,  gab  e:s  eist  im  14.  Jahrhundert  m 
Iriiter  der  K*    ^  Reggio  (Emilia^  besass  seit  1188  eine  ^!thi 

WSkiailB^  die  abv  grosse  Bedeutung  erlangte.     Die  Hoeh-scbtilt* 

Artizo^   nn   welober  auch  die  Medicin  gelehrt  wunie.   bestand  l)ep 
im  13.  Jahrhundert,'   wanie  aber  erst  1355  förmlich  zar  Univc 
erklart  umi  ging  im  16.  Jahrhundert  wieder  ein. 

^lena   war  schon   1203   wegen  seiner   vortrefflichen  Schulen 
kaunt.     Im  J.  1241    wurtle  dort  amsser  anderen  Wis^i^       "       n  aq 
die  Uedictn  gelehrt^   und  1247  gab  es  bereits  drei  Lti^  't 

eiplin.     kU  u  J.  12S5  im  Stadtrath  die  Berufung  fremder  Profesi 
zur  Sj>rai*he  kam,   suchte  man  auch  den  in  der  <*himrgie  erfabreiii^ 
R^vNlcvii»  i\x  gewinnen;  ausserdem  lehrt»;  dort  ein  Maütster  Oj 
dir  Medicin.^ 

Im  J,  IH21  vergrT^öierte  sich  die  Universität  zu  Sienifc,  da  nie' 
\\>ix  BoUkgmi  »Thiell.  Dixo  Di  Garbi»,  welcher  damals  in  Sien»  dit? 
Jdedioin  vertrat^  bezog  einen  jährlichen  Gehalt  von  1155  Lirt*.  Später 
^iik  die  Tuivei'situt,  und  ihr  Vertall  wurde  auch  nicht  wesentlich  auf- 
Ift^hdUiu  dttdnivli    Jt^v  <\^  vom  Kaiser  Carl  IV.  i.  J.  1357  die 


«  CWh  IL  a.  CI.  !^  111»  o.  ff.  -  8avii»ct  b.  iu  O.  Bd.  UI,  s.  eee  u.  £ 
•  8%vim:^\  ^  a.  i\  Dd.  nU  S.  512  u.  ff. 


Die  üiUstßn  Hochschulen  liaiien». 


189 


Anierkeiuiuiig  als  Studmm  gttieraU  empHng.  Erst  am  Ende  (lt>^  1a,  Jahr« 
hasdiats  bab  äe  ^oh  wieder. 

Pi»e*'nza  he8as8  am  ScIiliLsiji  ilei*  12.  Jahrhiniderls  eine  Kechts- 
^Jiule,  wflchf  1248  zu  emer  Universität  erhoben  wurde.  Als  Lehrer 
♦Kt  Uedicin  wirtte  daiiiate  der  Miigister  Hugo,  ein  Kleriker,  Die 
Huchacbnle  erlangt-e  erst  anter  Galezza  Visconti  ein  gewisses  kn^ 
^\mn\  L  J.  1399  hatte  sie  71  Lehrer,  unter  denen  sich  22  Mediciner 
Vfandt^o.     Sie  wurde  schon  14U.*i  wieder  aafgrehoben. 

Am  Sitz  der  päljstliehen  Curie  entsttind  1244  eine  mit  den  Rechten 
einer  Universität  au8gestattete  Unterrieh t^anstalt^  in  welcher  Theologie, 
Junsprudenz,  orientalische  Sprachen  und  später  auch  Mediein  gelehrt 
wttrdexL  Hie  betand  sich  zuerst  in  Avij^non  und  dann  in  Korn,  wo 
fir  mit  der  dort  seit  1303  bestehenden  Hochschule  vereinigt  wurde. 

An  derselben  lehrten  i.  J,  1514  88  Professoren,  nämlich  4  Theo- 
bgeiv  11  Canuuisten,  20  LegiKten,  15  Mediciner  und  38  Philosophen, 
U&theunitiker,  Rhekiriker  und  Grammatiker;  dagegen  war  die  Zahl  der 
Sefaöler  verhältnissmassig  gering.  Unter  dem  Pabst  Alexander  VL 
iMSgaim  der  Bau  der  Sapienza,  deren  Hallen  noch  heut  als  Sit7.  der 
Universität  Rom  dienen. 

In  Perugia  bestand  im  13,  Jahrhundert  eine  Rechtsi^ichule ;  doch 
wurden  daneben  liuch  andere  Wissenschaften  und  namentlich  die  Me- 
dir--  '  1  hrt^.  Im  J,  1308  erklärte  der  Pabst  die  Schule  für  eine 
Ui  :,     Es  jGrab  an  derselben  Anfangs  nur  einen,  aber  seit  1314 

zw^i  Lelirer  der  Mediein,  welche  indessen  nur  stets  für  einen  Zeitraum 
Mm  3  Jahren  angestellt  wurden.  In  der  Matrikel  von  1339  erscheinen 
lieben  4  Doktoren  des  canonischen  Rechtes,  3  des  Civilrechts,  1  der 
Philoisophie,  1  der  Lo^ik  auch  3  der  Mediein  und  neben  119  Studenten 
Jurisprudenz  23  Mediciner;  doch  waren  dies  sammtlich  Auswärtige^ 

die  Linheimischen  nicht  aufgezahlt  wurden J  Die  Mehrzahl  der- 
«dbeD  i^tammte  allerdin^  aus  Italien,  aber  viele  auch  aus  Deutschland. 
%        '  th  ist  dabei,  dass  die  Lehrer  und  Schüler  der  Jurisprudenz 

d*  lünus,    diejenigen    der  Mediein  und  der  Philosophie  den 

Tittd  Magister  ffihrteru 

Im  Jahre  1342  wurden  die  Lehrkräfte  vermehrt  und  in  den 
tutt'n  von  1366  bestimmt*  das^  mindestens  T  Lehrer  der  Heilkunde 
Turkanden  Strien.    Im  J,  1431  gab  es  deren  8,  von  denen  einer  speciell 

Unterricht  in  der  Osteolotne  ertheilen  musste. 

Trevis'»  hatt-e  im  13.  Jahrhundert  eine  höhere  Lehranstalt,  die 
[J.  1814  In  ein  Studium  yenerah  umgewandelt  wurde,  welches  1318 


*  Dwmaut  a.  a.  n.  T.  s  :,4e. 


Copfi  a,  a.  O.  S.  riT,    Vum, 


190  Der  medioinisofie  Unierricht  im  Mittelalter, 


das  kaiserliche  Privilegium  erhielt.  Die  Stadt  beschloss,  12  Lehrtaandn 
zu  gründen,  von  denen  droi  für  die  Medicin  bestimmt  wurden.  Di€«r 
Universität  war  nur  eine  kurze  Dauer  beschieden;  denn  sie  hatte  sdum 
im  Beginn  dos  15.  Jahrhunderts  zu  sein  aufgehört 

Die  Hochschule  zu  Pisa  ging  1343  aus  einer  Bechtsschule  hervor. 
Sie  musste  mit  manchen  widrigen  Verhältnissen  kämpfen;  so.  wurieo 
z.  B.  1359  sämmtliche  Professoren  entlassen,  weil  das  Geld  für  ihre  Be- 
soldungen fehlte.  Im  J.  1403  wurde  die  Universität  aufeehoben  nnd 
erst  1473  unter  Lorenzo  de  Medici,  der  sie  sehr  begünstigte,  wieder 
eröffnet. 

Von  dieser  Zeit  an  hob  sie  sich  rasch  und  erlangte  noch  a 
Schluss  des  15.  Jahrhunderts  eine  hervorragende  Bedeutung.  Zmi 
grassen  Theile  verdankte  sie  dies  dem  Umstände,  dass  die  Univenittt 
Florenz,  welche  schon  im  14.  Jahrhundert  berühmte  Mediciner  unt« 
ihren  Lehrern  hatte  und  Stiftungsbriefe  vom  Pabst  und  vom  Kaiser 
besass,  i.  J.  1473  nach  Pisa  verlegt  wurde. 

Auch  die  Universität  Pavia  entwickelt«  sich  aus  einer  Rechtssohole, 
Sie  wurde  1361  vom  Kaiser  Carl  IV.  zu  einem  Studium  generaU  er- 
hoben. Die  Heilkunde  fand  dort  eifrige  Pflege  und  Förderung.^  Unter 
den  Studierenden  befanden  sich  viele  Deutsche. 

In  Ferrara  gab  es  im  13.  Jahrhundert  berühmte  Artisten-Schulen. 
Sie  wurden  1391  zu  einer  Universität  vereinigt  und  gleichzeitig  dafür 
Sorge  getragen,  dass  auch  die  Eechtswissenschaft  und  die  Medidn  ver- 
treten waren.  Im  J.  1474  lehrten  an  der  dortigen  Hochschule  51  Pro- 
fessoren, darunter  auch  mehrere  Mediciner. 

Turin  erhielt  1405  und  Catania  1445  eine  Hochschule.  Auch  in 
Parma,  Cremona,  Lucca  und  anderen  Städten  Italiens  wurde  während 
des  Mittelalters  zeitweilig  Unterricht  in  einzelnen  Wissenschaften,  z.  B. 
in  der  Rechtskunde  und  Medidn,  ertheilt,  ohne  dass  sich  jedoch  dort 
ein  mit  gesetzlichen  Privilegien  ausgestattetes  regelrechtes  Universitäts- 
studium entwickelte. 


Die  ältesten  Hochschulen  in  Frankreich. 

In  Prankreich  entstanden  in  jener  Periode  eine  grosse  Anzahl  von 
Hochschulen.  2     In   Orleans,    Angers   und   Eheims   gab   es   schon   im 

*  Alf.  Corradi  in  den  Meniorie  e  documenti  per  la  storia  delF  universitH 
di  Pavia,  Pavia  1878,  J,  99—145. 

*  £.  Pasquieb:  Kechcrehes  de  la  France,  Pans  1688,  p.  888  u.  ff. 


£6  cfK^leyi  HöehnchläM  th  t^nkrmdk. 


im 


liJahrhimdart  oder  noch  früher  besucht«  ReclitsschuleB«  welche  später 
m  riüversität^Mi  erklärt  wurden.  Sie  waren  bemühty  fremde  Stndierende 
4nhiii  zn  ziehen  und  gewährten  ihnen  aus  diesem  Grunde  manche 
Vfirra-bte,     80  hatten  die  Studenten  aus  Deutschland  in  Orhuins  ihre 

i  re  Gericht^t^arkeit  und  freien  Eintritt  in  das  Theater  und  wurden 
•iijjr  rntrf*rschied  der  Geburt  wie  Adelige  behandelt J 

Der  Unterricht  in  der  Medicin  wurde  dort  nur  ausnahmsweise  fr- 
tbedt  und  erlangte  niemals  besundere  Bedeutung.  Angers  hatte  z.  B. 
i  J.  1302  unter  44  Lehrern  nur  einen  einzigen,  welcher  Heilkunde 
rortrog.  Ähnlich  stand  es  in  Toulouse,  wo  1229  ein  Sfudium  ijmercde 
^^pxinAel  wurde.  Ebensowenig  wurde  die  Medicin  an  den  Hoehschulen 
wAfignon,  Cahors,  Grenoble  und  Orange  beachtet,  welche  im  14,  Jahr- 
Immlert  errichtet  wurden.'^ 

Eimebie  derselben  hatten  niemals  viele  Studenten.  Von  Orange 
|hf,  wie  GnLKiT^  erzählt,  der  Witz,  dass  die  gesammte  rniversität 
BOT  ^m  drei  Pei^**nen  bestehe,  nfinilieh  dem  Rector.  dem  Schreiber  und 
im  Pedell.' 

Auch  die  Hochschulen  zu  Perpi^an,  Aix,  Dole,  Cat^n,  Poitiers, 
Valence,  Lyon.  Bordeatu,  Bourges  und  Nantes,  die  bis  zum  10*  Jahr- 
himdert  entstanden,  erlangten  keine  grössere  Bedeutung. 

Die  Entwickelung  der  politischen  und  socialen  Verhältnisse  Frank- 
»ichs  brachte  es  mit  sieh,  dass  die  kleinen  Provinzial-Universitäten  in 
il«n  Hintergrund  gedrangt,  wurden  durch  Paris,  welches  den  Mittelpunkt 
üllw  L^'  Lebens  bildete. 

h  i\ersitiit  entstand  durch  die  Vereinigung  der  von  einander 

ttnabhängigen  höheren  Schulen  zu  Paris,  in  welchen  schon  im  12.  Jahr- 
hundert die  Rechtskunde,  die  Medicin  und  mehrere  andere  Wisseu- 
Achaften  gelehrt  wurden.  Über  die  Einrichtungen  derselben  und  die 
Stadien,  welche  in  ihnen  gepflegt  wurden,  hat  Johann  von  Saubbüry 
^enanere  Nachrichten  hinterlassen. ' 

Es  ist  nicht  bekannt,  wie  es  kam,  dass  die  Lehrer  derselben  Dis- 
ctplin  sich  an  einander  anschlössen  und  einen  Verband  bildeten.  Wahr- 
scheinlich geschah  dies  i.  J.  1209  aut  Veranla^^sung  des  Pabstes  Inno- 
66m  III. ,  welcher  den  Meistern  der  verschiedenen  Wissenschaften  bo- 
lUiI,  «ich  Gesetze  zu  geben. ^ 


'  äAficnnr  A.  n.  O.  Bd.  HI,  S.  402  u.  ff. 

*  G*  Batlk:  Le»  m^decins  d'Avigiioii,  Avignon  18S2,  p,  4a  u.  ff. 

*  V   *'-    rrni:  Ulysäe«  BelgicoGallkUB»  Lui^d-Batar.  1691,  p.  468» 

$ARES8BRiEiiiH[8 :   Met-jilog, ,  Üb.  11,  c.  10,  Ed.  MigDe  (Patrol.  Int. 
üd.  Vj%  \i,  ötiTu 

'  A.  F.  Tr&it:  Histoiro  de  ri^ucaliaii  en  France,  Paris  ld&8. 


192 


Ikf  rmdieirdffjhf.  OHliy&ftl  im  muääUer. 


Im  J.  1215  traten  die  Magistri  der  vier  Disciplinen  Ix^ü^Uäi 
rurporatjonen*  als  Facultat^*n  in  unserem  Sinne^  auf  untl  hatten  i 
besonderen  Statuten J  Ihre  Vereiniwrung  zu  einer  Univeri^itat  erfa 
jedoch  erst  1254. 

Xtben  ihrer  Einth«nlungr  in  die  Facultaten  bestand  schon  im 
13.  Jahrhundert  zu  Paris  diejenige  in  vier  Nationen,  welche  offenbir 
den  an  den  italienischen  Universitäten  vorhandenen  Einrichtungen  Dach- 
gebildet  wan  Dieselbe  scheint  sogar  auf  die  Verwaltung  der  Hooh- 
schule  grcjsseren  Eiutluss  ausgeübt  zu  haben,  als  die  Scheidung  d|^ 
Facoltäten.  | 

Das  Studium  der  aries  lUßeraim  bildete  die  Vorstufe  lu  demjemgen 
der  Theologie,  der  Jurisprudenz  und  der  iledicin,  und  die  philosophiiKjh« 
Faeultät  dient-e  den  drei  ülmgeü  gleichsam  als  Grundlage* 

Unter  der  „medicinischen  Faeultät**  verstand  man  nicht  blos,  wie 
heut^  djis  Lohrer-Cullegium  der  medicinisehen  Schule,  sondern  die  Zunft 
der  diplomirten  Arzte  zu  Fans.  Da  Anfangs  jeder  geprüfte  Arzt  be- 
rechtigt war,  die  Lehrthiitigkeit  an  der  Hochs^chole  auszuölien,  so  kg 
es  naht*,  beide  r'orponitiuuen  zu  id^-ntiliciren,  umsomehr  als  in  ihnen 
baulig  dieselben  Personen  die  leitendt^  Rolk^  spielten. 

Aber  nicht  jeder  Arzt  konnte  und  wollte  zugleich  als  Lehrer  »einer 
KuuKt  thfitig  sein.  Die  iir/tliche  «'orporation  beschloss  deshalb»  all- 
jährlich einige  ihrer  Alitgheder  zum  Lehramt  tu  deputiren.  Üa^iselbe 
verengte  jedoch  manche  Kenntnisse  und  Fähigkeiten,  wnlche  nicht 
Jeder  besitzt,  urnl  es  war  daher  selir  naturlieh,  dass  sieh  allraalig  eine 
Klasse  von  Ärzten  entwickelte,  welche  die  Lehrthätigkeit  zu  ihrem 
Beruf  machte.  ^ 

Diese  Verhäl misse  müssen  surgfallig  berücksichtigt  werden,  w4| 
man  die  damaligen  Zustande  der  Universität  Paris  und  des  medicinisch« 
Studiums  an  derselben  richtig  verstehen  will  Sie  erklären  die  selbst- 
standige  Stellung  der  medicinisehen  Faciiltät  gegenüber  der  Universität^ 
den  KmJluss  der  dem  Lehramt  fornstehenden  Ärzte  auf  den  medicinLächen 
Unterricht  und  manche  andere  Thatsachen,  welche  in  den  historischen 
f^berlieferfuigen  seltsam  und  räthselhalt  erscheinen. 

Der  Kector  war  auch  in  Paris  ursprünglich  das  Haupt  der  Sehe* 
laren-Oirporationen,  der  Xatiunen.  Da  ihre  Mitglieder  als  Schülei 
<»der  als  üraduirte  zur  philosophischen  Faeultät  gehörten  oder  in  Be- 
ziehungen standen,  so  machte  es  sich  von  selbst,  dass  er  allmiilig  dif 
Leitung  derselben  erhielt.  Die  Faeultät  der  Artisten  bildete  abt*r  de« 
CTnindst4jck  der  gtinzen  Universität:   daher  kam   es,  dass  der  lieotot 


■  Bi:laei78:  üiatona  umvemtatifl  Paneiensis,  Pftrij  \%^^ — TS«  T.  lll^  p.  81. 


Die  äUeatmi  Hochsdiultn  in  Fhmkreieh. 


193 


aa  deren  Spitze  trat    Schon  12B0  galt  er  als  Hanpt  der  ge- 
Uuiversitat;  nur  die  theologische  Facultöt  machte  davon  eine 
Ausnahme:  doch  wurde  sie  in  der  Mitte  des  14.  Jahrhunderts  ehenfallsi 
Miier  Aatoritut  unterstellt. 

Zum  RecU)r  konnfe  nur  Jemand  erwählt  werden,  der  einen  aka- 
tien  Grad  in  der  philosophischen  Facultfrtj  also  eine  Wissenschaft- 
lle  AllgemeinhÜdung  besass*     AUmalig  entstand  der  Gebrauch,  diese 
ie  einem    Manne  in  hervorragender  Lebensstellung  zu  übertragen, 
bigweilen,  wenn  auch  lucht  immer,  dem  Lehrer-Collegium  angehörte. 
gleiche  Einrichtung  herrschte  später  auch  an  den  Hochschulen  zu 
Wien»  Prag  n,  a.  0, 

Ein  Dekan  der  medicinischen  Facultät  wird  i.  J.  1267  erwähnt; 
war  Petbus  I^emonexsls.  ^     Der  Dekan   wurde  von  der  arztlichen 
deren   Yor^tand  er   war,   gewählt.      Er   durfte,   wenigstens   in 
spiteren  Zeiten,   die  Lehrt hätigkeit  nicht  ausüben,   damit   die  letztere 
iMit  diiioh  die  administrativen  Geschäfte,  welche  ihm  übertragen  wurden, 
vqnwritltoigt  würde. 

Die  Lehrer  der  medicinischen  Facultät  schieden  sich  in  diejenigen, 
V  '  7,n  Vorträgen  verpflichtet  waren  und  durch   dieselben  eine  be- 
(e  Lücke  im  Studienplan  ausfüllten,  und  in  solche,    welche  aus 
bdem  Willen  Vorlesungen  hielten. 

Die  f*rsteren  führten  den  Vorsitz  Un  Disputationen  und  feierhchen 
öeiegenheiten  und  wurden  DiKiorps  «»der  Magistri  ariv  regente^  genannt; 
flire  SteUimg  entsprach  ungefähr  derjenigen  unserer  ordentlichen  Pro- 
fMonnL      Die  übrigen   MitgbefbT   «les   Lehrkfirpers,    die   Dotiore^  non 
m/mfen^  hatten  keine  Vei^pÖichtung  zur  Lehrthätigkeit  und  dafür  auch 
kauen   Antheil   an   verschiedenen    Vorrechten    und   Einnahmequellen, 
irdche  jenen  vorbehaltt^n  war^n. 

Die   I-^hrer   der  Hochschule    unterrichteten    gewöhnlich   in  ihren 
Wohnungen.     Die  medicinische  Facultät  erhielt  erst  1505  ein  eigenes 
Gebäude,    Bm  «lahin  fiindon  die  Versammlungen  derselben  in  der  Kirche 
im  Mathurins  oder  im  Dom  zu  Notre-Dame  statt. 

Über  das  numerische  Verhältnis«  der  einzelnen  Facultäten  giebt 
dw»  Tbstfiache  Aufechluss,  dass  es  i,  J.   1348  in  Paris  32  Magistri  der 
Hj,..j.......     i^  ^l^^  canonischen  Rechts,    46  der  Medicin  und  514  der 

OTT  w  gab. ' 


De  la  fkciuUe  de  medecioe  de  Paria  im  JoamAl  des  progrtß  dea 
i  «!t  InetitiitioDS  oiiidicalee,  Paris  1822. 
ITcnii  DxjrirtR  a,  a.  0.  I,  S.  123,  dem  ich  diese  Zahlen  entnehme,  sie 
Dllicli  ftlf  rnjmites  hält,  »o  widerspricht  dies*'  Annahme  allen  übrigen  Ver- 


UntMTkht. 


_i^ 


18 


Die  Zahl  der  zum  Collegium  di^r  krtte,  alao  zur  medidnis 
FueultHt  zu  Paris   gehöronden  Doktoren ,  betrug  i.  J.  1311  29,  LJ,] 
1395  31  und  von  1391  —  1431  durchschnittlich  36,    Als  die  EnglÄod^^r 
1442  Paris  iHdagerten,   waren  nur  10  bis  12  diplomirte  Irrte  in  dfr 
Stadt  anwesentj;  doch  sehaarle  sich  um  sie  ein^  Menge  von  Schüler 
welche  unter  ihrer  Aufsicht  die  Praxis  aasübten» 

Auch  später  wuchs  die  medicinkche  Facultät  nicht  in  dem  gteiri 
Verhilltniss  wie  die  Stadt  Paris;   denn  l  J.  1500  bestand  die  dortig« 
raedicinische  Facultat  aus  72^  i,  J.  156G  aus  81,  lt>26  aus  85,  J63i 
aus  lUL  1GT5  ^ms  105  und  176H  aus  148  Doktoren.^     Neben  ihoea 
existirten   in  Paris  eine  grosse  Anzahl  von  Ärzten,   welche   zwar  mr 
Aut^übung  der  Praxis  berechtigt  waren,   aber  nicht  den  Doktor-I 
erworben  hatten  und  daher  auch   nicht  Mitglieder   der  mediciniHC 
Facultüt  sein  konnten,  sowie  von  geprüften  ('hirurgen  und  andern 
Gesetz  legitimirten  Heilkundigen. 

Die  Organisation  und  die  Einrichtunsren  der  Universität  Paris 
deten  das  Vorliild  für  die  meisten  H<>oh>;chijlen.  welche  in  den  folgen 
Jahrhunderten  in  Deutschland,  England  und  den  übrigen  Staaten 
grüiidi^t  wurden. 


1 

tm    1 


Die  übrigen  Universitäten  Europas  im  Mittelalter, 

Die  ältesten  Universitäten  Spanieos  entJitanden  wahrscheinlich  nni 
dem  Einlluss  der  arabischen  Traditionen. 

In  Palencia  gab  es  schon  zur  Guthenzeit  berühmte  iSchülen:  m 
Heginn  des  \K  Jahrhunderts  errichtete  .Ufons  VIIU  dort  eine  Um- 
versitat,  an  welcher  jedoch  die  medicinische  Facnltät  fehlte,  Übripem 
bastand  die  Hochschule  nur  kurze  Zeit. 

Die  Universität  Salamanca,  welche  von  Ferdinand  111.  i.  J.  1243 
gegründet  wurde,  entwickelte  sich,  wie  es  scheint^  aas  einer  IvJithednl- 
»chulf.  An  ihr  waren  alle  Fächer  mit  Ausnahme  der  Theologii»,  die 
r^rst  im  14.  Jahrhundert  hinzukam,  vertreten.  Den  medicinischen  Unter- 
richt prtheillen  Anftings  nur  zwei  Lehrer^  wie  dies  auch  an  anderen 
Hochschulen  jener  Zeit  der  Fall  war.  Salamanca  erlangte  einen  Riit 
der   weil    ülter   die  Grenzen  Spaniens   hinausreichte   und   wurde  vom 


Hiftib 


A,  Ki*niNU£ii:  Paris  im  13,  Jahrhundert,  Leipzig  1856.  ^  J.  C.  HABincKt 
i<!r(.4ioi  hiKtonqii(*ä  sitr  la  faculti*  de  modecine  de  Paris,  183^.  i 


Die  äkfi^n   Ummt*si(äim^  Europas  im  MiUdälter, 


195 


IhAmt  Martin  T.  neben  Bologna,  Neapel  nnd  Paris  zu  einer  der  vier 
tisleo  Ui^ckscliulen  iler  Christenheit  erklärt^ 

Geringere  Bedeutung  hatten  die  übrij^^en  Universitiiten  der  iberisdieu 
HBlbmsel.  In  Sevilla  wurde  vorzugHweLse  das  Studium  der  orienbilischen 
S|iiach«n.  hesonders  des  Arabischen,  getrieben;  die  Hochschule  diente 
xttf  Eniehang  von  Missionaren  und  wurde  erst  im  Beginn  des  16.  Jahr- 
bonderts  mit  den  übrigen  Pacultfiten  au9ge.stattet. 

Die  Universität  zn  Lissabon  wurde  1288  gestiftet,  aber  1308  nach 
Oaimbra  verlegt  Dieses  Schicksal  widerfuhr  ihr  noch  mehrere  Male: 
n  sie  kam  1338  wieder  nach  Lissabon,  1354  wieder  nach  Cöimbra» 
TT  wieder  nach  Liiüsabon,  und  1537  wieder  nach  Coimbra,  Es  macht 
fiel  den  Eindruck,  als  ob  die  beiden  Städte  mit  einantier  einen  Vertrag 
gfiolilo?^en  hätten,  dass  der  Sitz  der  Universität  zwischen  ihnen  un- 
glMir  alle  20  Jahre  wechsele  Es  wurden  an  ihr  alle  Wissenschaften 
feetehrt:  doch  bestand  für  die  Heilkunde  i,  X  1400  nur  eine  einzige 
lidurfeanzel. 

Spanien  erhielt  aussenlem  um  1260  in  Valladolid,  i.  J.  1300  zu 
UMBj  1354  zu  Huescs,  1411  zu  Valencia,  1446  zu  Gcrona  (?),  1450 
an  Barcelona.  1474  zu  Saragossa,  um  1480  zu  Si^^ienza,  1482  zu 
Avila,  1483  in  Palma,  und  1499  zu  Alcala  Universitriten.  An  einigen 
Ton  ihnen  fehlte  die  medidnische  Faciiltät. 

Die  spanischen  Universitäten    schienen  durch  die  politischen  Er- 

.sse  wie  durch  die  geographische  Lage  ihres  Landes  vorzugsweise 
in  der  grossen  Aufgabe  berufen  zu  sein,  die  arabische  Cultnr  dem 
ichen  Europa  zu  übermitteln,  und  durften  hoffen,  dass  sie  in 
der  Anregungen,  welcho  sie  aus  dem  ihnen  übergebenen  reichen 
Wiasensscbatz  ihrer  semitischen  Vorgänger  erhielten,  flurch  lange  Zeit 
änt  niÄSSgt*hende  Rolle  unter  den  höheren  Unterriclitsanstalten  behaupten 
wÄfd^n»  Wenn  sie  gleichwohl  keinen  nachhaltigen  Einlluss  auf  die 
EntWickelung  der  Wissenschaften  ausübten  und  nach  einer  kurzen 
Bl&lht»periode,  welche  wie  ein  treunrlhchpr  Lichtschimmer  die  (teschichte 
des  16.  Jahrhund<Tt«  verklärt^  in  einen  Zustand  geistiger  Erstarrung 
Tersanben,  der  ihnen  die  Fähigkeit  selbstständiger  Bewegung  nahm^  so 
liegt  die  Schuld  an  dem  politischen  und  religiösen  Dnick,  welcher  hier 
eine  bebjjiellose  Höhe  erreichte.  Seihst  in  den  schlimmsten  Zeiten  der 
DeffM^lJe  and  des  Aberglaul»ens  hat  es  dort  an  frischen  Blüthen  des 
fijstigefn  Lehens  nicht  gefehlt;  aber  sie  wurden  zertreten  und  kunnten 
nur  JtiiT  Reife   gedeihen,    wenn   sie  dem  heimischen  Boden   entzogen 

V,iicj^  FütijfTK:  iliätoria  de  las  umveraidadesen£spaJt%  Madrid  iaS4,d&,$Bde. 

13^ 


196 


JDer  mediamiBeke  IMemehi  im  MütäaUst. 


Dio  alten  englischen  Universitäten  zu  Oxford  und  Cambridge 
wickelten  sich  allmrüig  au.s  den  Schulen,  welche  schon  im  12.  Ji 
hundert  dort  existirten.^  Es  lasst  sieh  nicht  bestimmen,  wann  m 
Charakter  von  Hochschulen  annahmen.  In  den  ersten  Dec^innien 
13.  Juhrhonderts  erscheinen  8ie  bereits  als  organisirte  akadem: 
Kurperschaften,  als  l^niversitiit«n. 

Die  Heilkunde  wurde  in  diesen  Studienanstalten  neben  andi 
Wissenschaften  zwar  auch  gelehrt,  aber  nur  als  ein  Theil  der  all 
meinen  philüsophisehen  Ausbildung:.  Für  diesen  Zweck  genügte 
Lehrer  dieser  Disciplin,  welcher  den  Schülern  die  wichtigsten  Thatisi 
derselben  mittheilte.  Ähnliche  Verhältnisse  herrschten  an  der  B 
schule  zu  8t  Andrews,  welche  1411,  ai  Glasgow,  die  1450,  und  A 
deen,  welche  1494  gegründet  wurde. 

Auf  deutschem  Boden   wurde  die  erste  Universität  i*  J,  1348 
Prag,  der  Residenz  iles  Kaisers  Carl  lY,  errichtet.    Ein  wohlwollend^ 
Freund    und   Gönner   aller   wissenschaftltcliefi    und   künstleri«chen 
strebun^'en,  war  derselbe  eifrie:  bemüht»  die  Linterthanen  sein      i'     n 
namentlich  aber  seines  böhmischen  Krblandes,  mit  ilen  Yuit  ;  li 

italienischen  und  französischen  Cultur  bekannt  zu  machen.    Xm 
Ci runde  schuf  er  in  seiner  Hauptstadt  ein  Studium  f/meralr,  welche« 
narh  dem  Muster  der  Pariser  Hochschule  einrichtete. 

Dasselbe  enthielt  sämmtliohe  vier  Facultäten,  und  den  Profei»jrBii 
wurden  feste  Hesoldungeu  angewiesen.  Die  Studierende»  wurden  wie 
in  Paris  und  liolugua  in  vier  Nationen  ein^'etheiltj  uamlich  in  «lle 
bohmistüiei  bayerische,  sÄchsisehe  und  polnische.  An  ihrer  Spitze  ütaod 
der  Reetor,  welcher  zum  KlnruSj  aber  nicht  zu  einem  yeistlicheo  Orden 
gehören,  d.  h*  eine  d<'r  niederen  Weihen  besitzen,  mindestens  25  Jahre 
alt,  und  legitimer  Herkunft  sein  und  ein  tadelloses  I^l)€n  gefiitot 
haben  rausste.*  Es  konnten  zu  dieser  Würde  auch  Studierende  gl» 
wühlt  werden. 

Die  oberste  Aufsicht  über  die  Universität  wurde  dem  Erzbisehof 
von  Prag  übertragen,  also  einem  hohen  (Teistlichen,  wie  dies  zu  jener 
Zeit  bereits  an  vielen  Hochschulen  üblich  war. 

Die  Universität  Prag  hob  sich  sehr  rasch,  Schon  BbubsCb  m 
Waitmuel,  ein  Schriftsteller  des  14.  Jahrhunderte,  sagte»  das«  „tl 
k<inem  Ort  in  Deutschland  die  Wissenschaften  solche  8i>rgsame  Pflep 
fanden,  wie  in  Prag,  und  dass  dorthin  Studierende  aus  England  nnci 


*  H.  C.  Maxwell  Lytk:  A  history  of  the  ujiivcrsity  of  Oxford  froni  th< 
«•Arliest  timea  to  1530,  London  1886.  —  James  Bahs  MuLUsruicit:  The  niiiv«mty 
of  Cambridge  (reicht  bis  z.  J.  1535),  Cambridge   1873. 

*  W.  Tomek:  GeMhichte  der  Frager  UniverBität  Prag  184«. 


Dk  ithfigm  i'mversitäien  Europofi  im  MitteMter, 


197 


Frankreicb«  der  Lombardei,  aas  Ungarn,  Polen  und  den  angrenzenden 
Landern  kain^n,  unter  ihnen  Söhne  von  Adeligen  und  Fürsten  und 
üe  Prälat^en  aus  den  verschiedenen  Theilen  der  Welt,"^ 

Wt^nn  auch  die  AngalM^u  niier  die  Zahl  der  Student-en,  welche  die 
Hodidchnle  damals  zahlt«,  übertrieben,^  jedenfalls  aber  sehr  nnyerläss- 
lich  stnd^  90  lässt  sich  doch  annehmen,  dass  dieselbe  nicht  unliedeutend 
umr.  Jm  J,  1372  constituirte  sich  die  juristische  FMcultät  aLs  besondere 
UniTefnätät  und  wählte  ihren  eigenen  Eector;  sie  bestand  damals  aus 
37  Mitgliedern  der  böhmischen,  48  der  bayerischen,  41  der  polnischen 
nsd  29  der  sachsischen  Nation. 

I>a6  medicinidche  Studium  fand  keineswegs  die  gebührende  Be- 
rück^chtjgung;  es  wurde  durch  einen  oder  hfichstens  zwei  Lehrer  ver- 
Irelen«  Als  die  ersten  werden  Xicölat^;  uy,  Kevtcka,  Balthasar  dr 
TuBtiA  tmd  Waltheb  genannt. 

Die  nationalen  und  religiösen  iStreitigkeiten,  welche  später  in  Prag 
sosbrachen,  hatten  die  Folge,  dass  viel  fremde  Studierende  die  rlortige 
ÜBiTersitat  Terliessen  and  die  Studien  vernachlässigt  wurden.  Damit 
beganii  ihr  Verfall,  der  auf  dem  Gi'liiete  der  Mniücin  am  Schluss  des 
15,  Jahrhunderts  bereits  ziemlich  deutlich  zu  Tage  trat. 

Die  Wiener  Universität  wurde  13tj5  gestiftet,  trat  aber  eigentlich 

1385  ins  Leben.  Sie  wurdt»  nach  dem  Vorbild  der  Pariser  Hoeh- 
höle  organisirt.  Wie  dort,  schieden  sich  auch  hier  die  Mitgheder 
elben  in  vier  Nationen,  an  deren  Spitze  Procumtoren  standen,  welche 
den   Roctor   wählten.      Das   Haupt    der    ganzen    Universität   war   der 

»r,  welcher  ^lieaelbe  nach  auasen  vertrat  und  dit^  Gerichtsbarkeit 
Bbti^.  Das  Amt  des  Kanzlei-s  bekleidete  der  Probst  der  St.  Stidans- 
Kkehi, 

IHe  medlcinische  Faeultät  biMete  die  Vereinigung  der  diplomirh*ii 
Arne;  ihr  Vorstand,  der  Dekan,  wurde  von  ihnen  gewählt.  Zur  Lehr- 
ibitigkeit  waren  sie  sämmtlich  berechtigt;  doch  übten  nur  Einzelne 
dieai^lhe  aus  und  zwar  selten  mehr  als  0  bis  8,^  Die  DmioreR  rcqmt^^ 
erhi^dt^n  bestimmte  Besohluniri'n.   Die  ersten  Lehrer  der  Mediein  wan^n 


msiriFLE  a.  a.  0.  I,  S.  6O0. 

^DwTiÄch  »on  es  in  Prag  damals  30  000  Studeutt^o  gegeben  hnbeu;  vun 
BolOgntL.  Oxfortl  und  Löwen  existiren  ähnliche  Berichte.  Wahrscheinlich  rechnete 
mtsi  äsLxa  nicht  blos  die  Studenten  und  S*-hülitr,  welche  fiir  die  Univeraitäts^ 
atudi^n  vorher»»» t4?f  wurden,  aouderu  auch  alle  Jene,  welche  in  früheren  Jährten 
^  die  Beamten  und  Handwerker,  die  zu  dej  Hochschule 
iiigeu  standen,  Veri^l.  Paiuse»  in  SYBer/n  hiiitor.  Zeit- 
?.  l»»l,  Bd.  if>,  8.  2tit  n.  ff. 

'  J.  Ajchba<*m:  Oescliiehte  der  Wiener  Universität,  Wien   ixf'^'^    T    S   M26. 


198  Der  medidniache  Uriterrichi  im  3fütelaUer. 


Johann  Gtallici  aus  Breslau,  Hebmann  Lurcz  aus  Nürnberg,  Her- 
mann VON  Treysa  aus  Hessen,  Conrad  von  Sghiverstadt  und  Martin 
VON  Wallsee. 

Im  J.  1364  gründete  König  Kasimir  von  Polen  in  Krakau  eine 
HoGhschule,  an  welcher  zwei  Lehrkanzeln  für  die  Heilkunde  bestimmt 
wurden.  Doch  wurden  diese  Pläne  erst  i.  J.  1400  verwirklicht  Auch 
für  Kulm  wurde  1387  ein  päbstlieher  Stiftungsbrief  erwirkt;  aber  die 
Universität  scheint  nicht  ins  Leben  getreten  zu  sein. 

Die  Universität  Heidelberg  entstand  1386.  Sie  hatte  Anfangs  nur 
vier  Professuren  für  alle  Facultäten.  Der  erste  Lehrer  der  Medioin  wurde 
1390  angestellt  Er  blieb  auch  lange  Zeit  der  einzige  Vertreter  dieser 
Wissenschaft  ^ 

In  Köln  a/fih.  wurde  1388  eine  Hochschule  gestiftet,  die  einen 
glänzenden  Anfang  nahm.  Sie  bestand  bis  z.  J.  1798  und  wurde  erst 
unter  der  französischen  Herrschaft  gleichzeitig  mit  den  Universitäten 
Trier  und  Mainz  aufgehoben. 

Die  Erfurter  Hochschule,  welche  schon  1379  die  Rechte  eines 
Studium  gefierale  erhielt  und  jedenfalls  seit  1392  als  solches  bestand, 
erlangte  im  15.  Jahrhundert  einen  grossen  Ruf,  besonders  durch  ihre 
Pflege  der  Rechtswissenschaften.    Sie  existirte  bis  1816. 

Die  beiden  ungarischen  Hochschulen  zu  Fünfkirchen  und  Ofen, 
welche  im  14.  Jahrhundert  erricht<?t  wurden,  hatten  nur  eine  kurze 
Dauer;  die  letztere  wurde  am  Schluss  des  15.  Jahrhunderts  wieder- 
hergestellt 

Auch  die  Universität  Würzburg  existirte  nach  ihrer  Gründung 
i.  J.  1403  nur  10  Jahre.  Ihre  Geschichte,  die  für  die  Heilkunde  eine 
ausserordentliche  Bedeutung  besitzt,  beginnt  eigentlich  erst  L  J.  1582, 
nachdem  sie  nach  langer  Pause  wieder  eröffnet  worden  war. 

Im  15.  Jahrhundert  wurden  femer  die  Universitäten  zu  Leipzig 
(1409),  Rostock  (1419),  Löwen  (1426),  Greifswald  (1456),  Freiburg  i/Br. 
(1457),  Basel  (1460),  Trier  und  Ingolstadt  (1472),  Tübingen  und  Mainz 
(1477),  Upsala  (1477),  und  Kopenhagen  (1479)  gestiftet* 

Die  medicinischen  Studien  spielten  an  diesen  Hochschulen  eine 
bescheidene  Rolle.  Für  den  Unterricht  in  der  Heilkunde  waren  selten 
mehr  als  ein  oder  zwei  Lehrer  vorhanden,  und  häufig  betrug  auch  die 
Zahl  der  Schüler  nicht  viel  mehr. 


^  J.  F.  Hautz:  Geschichte  der  Universität  Heidelberg,  Mannheim  1862,  2  Bde. 
»  Vergl.  Paulsen  in  Sybel's  histor.  Zeitschr.  1881,  Bd.  45,  S.  266  u.  ff. 


Di©  Bildimg  der  Ärzrte  im  Allgemeinen» 

Die   CniTersitäten   des   Mittrlalters   waren  andere    Anstalten,   als 
der  Cf^genwan.    Die  Begriöe,  welche  mit  den  Dingen  ver- 
en  werden,   wechseln  mit  der  Zeit  ebemso  wie  die  Namen,   mit 
di^^ii  man  sie  Itezeichnet. 

Die  Hochschulen  jener  Periode  waren  aber  auch  unter  einander 
ir  verschieden,  je  nach  d^v  Zeit  und  dem  Ort  ihrer  Entstehung:.    Die- 
.gen  von  Salerno  und  Montpellier  erscheinen  als  medicinische  Fach- 
liuieiif  an  welche  sich  die  übrigen  Facultaten  in  ziemlich  loser  Weise 
"angliederten. 

Die  Hochsohnlen  in  Bologna,  Padua  und  anderen  Orten  Italiens 
i^lachen  wandernden  Kolonien  von  Professoren  und  Studenten,  welche 
dort  ihren  Sitz  aufschlugen,  wo  ihnen  möglichst  viele  Freiheiten  und 
iürtbeile  gewährt  wurden;  manche  traten  in  Verbindung  mit  einer  der 
lilrcich*'n  Kechtstfchulen,  welche  in  vielen  Städt*-^n  seit  langer  Zeit 
bestanden. 

Die  Universität  Paris  und  die  nach  ihrem  Vorbild  eingerichteten 
Hocb^^chulen  Englands  und  Deutschlands  machen  den  Eindruck  Ton 
philosophischen  Facultaten,  welche  der  Heilkunde  neben  anderen  Wissen- 
en  einen  Platz  innerhalb  des  Kahmenjs  ihre;?  Studienplans  ge- 
en;  an  einzelnen  derselben,  wie  in  Paris,  Wien,  Prag^  Basel  und 
Jt^ren  Orten^  stand  der  medicinische  Unterricht  in  engem  Zusammen- 
mit  der  ärztlichen  Zunft,  wie  dies  ursprünglich  auch  an  den 
ftltettteu  mcdicinischen  Schulen  zu  Salerno  und  Montpellier  der  Fall 
wtkT.  Ww  die  Handwerker  und  Künstler  in  ihren  Gilden,  so  nahmen 
ch  die  Meister  der  Heilkunst  das  Recht  in  Anspruch,  in  ihren  Ver- 
imlungen  zu  besutimmen,  in  welcher  Weise  sie  gelehrt  werd*^n  sollte 
Q&d  wej:  da<4  zur  selbstständigen  Ausübung  derselben  erforderliche 
Wiflien  besitze. 

Auch  an  ikn  übrigen  Hochschulen  bedeuteten  die  medicinischen 
f^iütaien  etwas  Anderes,  als  heut;  denn  sie  boten  in  jener  Zeit  keine 
V-  "        '       ''    :  i -che  Ausbildung,  sondern  nur  die  auf  der  Literatur 

h^  Grundlage  dazu,  und  überliessen  es  den  8tudie- 

reoden^  tdch  j^pfiter  unter  der  Anleitung  eines  praktischen  Arztes  oder 
in  Krank'  '  n«  ilie  erforderlichen  praktischen  Kenntnisse  in  iler 
HeilktUHt  rben.    Dadurch  wurde  der  Schwerpunkt  der  ärztlichen 

Erziehung  aus  der  Faeultät  und  damit  zugleich  auch  aus  der  Univer* 
sitÄt  verlegt,  wie  dies  namentlich  in  England  geschah,  während  in 
DeutsrhlaniL  wo  es  hfiufie  an  den   nijtb wendigen  Anstalten  fehlte  und 


die  Mittel  dürftig  und  lieschrankt  waron,  die  praktische  Ausbilelaog  i 
Ärzte  alHThaiipt  vernacblüssis^t  wurde. 

Im  Allgemoim^n  gestaltet«  sich  <ior  Gaiij^  der  medicinischen  Stud 
durch  Gewohnheit  sowohl  wie  durch  i^esetzliche  Verordnungen  an 
versehiedenen    Huchschulon    ziemlich    gleichartig.      Die    Vorat 
derselben    liiMet*'  der  Bi'sitz  einer  allgemeinen  wissen^icbatllicheii 
bildung,  widehe  die  Unterriehtsgegenstände  iimfasste,  die  an  den  Klo 
und  Domsehulen,  some  an   den  Stadtschulen  gelehrt  wunlen.     \V< 
diese  höheren   rnterricht.^austalten   in  Städten    existirten,    in    weld 
später  Lini\ersitrit**n  errichtet  wurd»*n,  so  wurden  sie  den  letzteren 
Terleibt,  wie  in  Paris,  Prag,  \\'ien  u.  a.  0*     Daher  kam  es,  ilas» 
Studierende  an  der  Universität  selbst  die  zu  ihren  ^späteren  FachÄtmtlaT 
erforderliche  Vorbildung  erwarben,  indem  die  philosophischen  F^ieultaM 
gleichsam  die  Stelle  unserer  Gvmnasien  vertraten.     Diesem  Einriohti 
erhielt    sich    an    den    nsterreichischen   Hochschulen    in    der    Form 
beiden  philosophischen  Jahrgänge,   welche   vor  dem  Be>ginu  der  nm 
cinischen  Studien  absolvirt  werden  mussten»  bis  2,  .1,  1848  und  \mt4 
an  den  englischen  Hoehschuleii  in  modiücirter  Form  noch  heut. 

Schon  Kaiser  Frirdrich  IL  lielahl,  wie  envalnit,  dass  dem  iiegimi 
der  medieinischen  Studien  eine  allgemeine  wissenschaftliche  Au^bildai|| 
vorausgehe,  auf  welche  drei  Jahre  verwendet  werden  sollten.    Albnlhf 
wurde  es  an  den  meisten  Hochscliulen   üblich,  da^^  die  Studierende^ 
bevor  sie  das  meilicintsche  Studium  begannen,   m  caiihiiM  graduirttfl 
jedenfalls  aber  durch  einige  Jahre  Vorlesungen  an  dfT  philosophischfn 
Facultät  horten*    In  Paris  konnten  sie  nach  einem  zwe^ähngen  iiesQ 
derselben   das  Baccalaureat,    nach  einem  3 V, jährigen  die  Lioenz 
das  Magist eriam  der  Philosophie  erlangen,* 

Die  Studienzeit  der  Mediciner  dauerte  vier  oder  fünf  Jahre,  kon 
al>er  um  ein  halbes  oder  ganzes  Jahr  abgi^kürzt  werden,  wenn  der  l 
diereuile  einen  akademischen  Grad  in  der  philosophischen  Faeultfrt 
besass.  Sie  zertiel  in  zwei  Abschnitte,  deren  erster  die  ersten  zwei 
oder  lirei  Studienjahre  umfasste  und  mit  dem  Bäooslaureats-Gxameo 
Iiteohlo9ar  während  der  zweite  sich  aus  den  beiden  letzten  Studienjahren 
znimmmensetzte  und  mit  der  Licenz  zur  Praxis  sein  Ende  fand. 

Der  medicinische  Unterricht  l>estand  hauptsächlich  in  theoretii 
Vorträgen,     Uenselhen  wurden   die   medieinis^^hen  Schriften   der  AMi 
und  ihrer  arabischen  and  italienischen  Commentatoren  zu  Grunde  gele 
Der  Lehrer  knüptle  an  die  Lektüre  dieser  Bücher  fachmännische 
klamngen  und  Erzählungen   aus   seiner  eigenen    Praxis.     Gewöhn! 


L.  Hakk:  Du«  ITnterrichtBweBeo  in  Frankreich^  Breslau  184S, 


Die  Bildung  der  Ärxit  im  AUgemeinen. 


201 


wnrdcii  dfe  versebiedenen  ünt^rrichtsgegenstände  unter  den  Lehrern 
derartiist  vertheilt^  dass  ein  einzelnes  Thema  in  abeftnundeter  Weise 
%<  ■  II  \\Tirde,  2.  B,  die  Anatomie,  die  Fieberlehre,   der  Äderlass, 

diL  i.*...  ai%  die  Anneimittellehre,  die  specielle  Pathcdogio,  die  Chirurgie 
0. «,  m.  Die  Auditorien,  welche  in  bildliehen  Darstellungen  jener  Zeit 
Dh**ir»en,^  /,<Mgen  den  Lehrer  auf  erhöhtem  Sitz,  wie  er  seinen  Scliülem. 
fidrh  auf  Bänken  niedergelassen  haben  oder  in  seiner  Nahe  stehen, 
aus  einem  dickleibigen  Buche  vorliest,  währeiul  diesellien  seine  Worte 
jiachsrhreibitn, 

Ff^er  den  Inhalt  der  medicinischen  Vorlesnnj^^en  giebt  ein  Studien- 
|»lan  der  medieinischen  Facultät  zu  Leipzig  uns  dem  Ende  des  15.  Jahr- 
hmiderts  genauen  Aufechluss,  Darin  wurde  bestimmt,*  dass  die  erste 
Tdrldstmy-  im  Winter  um  7  Uhr,  im  Sommer  um  H  Uhr  früh  beginne 
und  über  die  theoretische  Medicin  handele.  Es  \vurden  auf  diesen 
(kgenstand  drei  Jahre  rerwendet  und  zwar  der  Art,   dass  den  Vor- 

Ien  im  ersten  Jahre  der  erste  Canon  des  Avtcenxa  mit  den  Er- 
rangen des  jAcoBüt?  FoR<>LiviENsLs,  im  zweiten  die  m-^  pann  des 
Galek  mit  dem  Commentar  des  TnrsiANrs  und  im  dritten  die  Apho- 
tismen  des  Hippokeates  nebst  den  djizu  gehörigen  Bemerkungen  Galen's 
ab  Richtsiichnur  dienten.  Um  1  Uhr  Nm^miitUgs  fanden  die  Vor- 
teungen  über  die  praktische  Medicin  statt,  welche  ebenfalls  einen  Cursus 
fun  drei  Jahren  in  Anspruch  nahmen.  Dabei  wurde  im  ersten  Jahre 
das  9.  Buch  des  Liber  mediemalis  ad  Almnnsnrem  des  Khazes,  welches 
dtö  Pathologie  enthält,  mit  den  Bemerkungen  des  Joh.  ABcriiAKiTB; 
im  zweiten  die  Fieberlehre  und  im  dritten  die  allgemeine  Therapie 
oadi  d^m  Canon  des  Avicek^*a  mit  den  Erklärungen  des  Dino  de  if  abbo 
ILA»  zu  Grunde  gelegt. 

Ne1)en  diesen  ordentlichen  Vorlesungen  ^  welche  die  angestellten 
Prufessoreu  abhielten,  behandelten  einzelne  znr  medicinischen  Facultat 
gehr)rige  Doktoren  in  ausserordentlichen  Collegien  besondere  Themata, 
die  sie  freiwillig  wählten,  z,  B,  die  Prognostik  des  Hippokbates, 

Ähnlich  war  der  Lehrplim,  welchen  der  Professor  an  der  medici- 
nischen Facultat  zu  Wien,  Martin  Staikpeis,  i.  J,  1520  den  Studie- 


Cod.  Galeni  Dreod.,  No.  92,  foL  20^  m\  39'.  29e^  No.  98.  foi  587'.  eOS**. 

Miucrx  St.  Mabc:  LV^eole  de  Balerue,  Paria  1S80  (Vignette).  —  Lacicou: 

'•t   lettres  au  moyeD-age,   f*aria  1877.   —   L.  Gkioer:   Renaissance   and 

rs   Berlin  1862,  S.  408  (naeh  einem  Deckengemälde  des  Lauretitiii^ 


iiK. 


■F.  Zabxcks:    Die  Statutenbücher  der  Universititt  Leipzig,    1861,    S,  88, 


202  Der  medicinisdie  Unterricht  im  Mittelalter. 


renden  empfahl  ^  Er  zählt  in  seinem  Buch  die  medicinischen  Schriften 
auf,  welche  sie  lesen  sollten,  und  zwar  nach  ihrem  Inhalt  so  geordnet^ 
dass  sie  in  ihrer  zeitlichen  Aufeinanderfolge  geeignet  erscheinen,  den 
Studierenden  allmälig  mit  den  einzelnen  Theilen  der  Heilkunde  bekannt 
zu  machen.  Unter  ihnen  werden  die  wichtigsten  medicinischen  Autoren 
des  Alterthums  und  der  Araber  und  ihre  Erklärer,  sowie  eine  Anzahl 
italienischer  Ärzte,  deren  Werke  damals  eine  grössere  Verbreitung  erlangt 
hatten,  genannt 

Staixpeis  erörtert  dabei  den  Nutzen  dieser  Lektüre  für  den  künf- 
tigen Arzt  und  giebt  den  Rath,  dass  immer  mehrere  Schüler  zusammen 
studieren  sollen,  damit  sie  einander  gegenseitig  über  Dinge,  welche  dem 
einen  von  ihnen  unklar  sind,  belehren  können.  „Vor  dem  Schlafen- 
gehen muss  jeder  Schüler  Das,  was  er  am  Tage  gelernt  hat,  wie  ein 
Ochs  wiederkäuen  (fol.  XVII)."  Auf  diese  Weise  vergingen  die  ersten 
drei  Jahre  der  medicinischen  Studienzeit 

Während  der  zweiten  Hälfte  derselben,  also  nach  der  Erlangung 
des  Baccalaureats,  beschäftigten  sich  die  Studierenden  der  Medicin  damit^ 
Vorlegungen  über  einzelne  Gegenstände  zu  hören,  an  den  Disputationen, 
welche  allwöchentlich  unter  Aufsicht  der  Professoren  stattfanden,  Theil 
zu  nehmen,  anatomischen  Zergliederungen  beizuwohnen.  Hospitaler  zu 
besuchen  und  die  praktische  Behandlung  der  Krankheiten  kennen  zu 
lernen. 

Die  Disputationen,  welche  schon  in  den  Schulen  der  latrosophisten 
des  Alterthums  üblich  waren,  und  auch  von  den  Arabern  eifirig  ge- 
trieben wurden,  bildeten  einen  wesentlichen  Bestandtheil  des  medici- 
nischen Unterrichts.  Sie  entsprachen  der  ganzen  Erziehungsmethode 
der  scholastischen  Periode,  welche  mehr  in  der  dialektischen  Gewandtheit 
als  in  der  Tiefe  des  Wissens,  mehr  in  der  todten  Schulgelehrsamkeit 
als  in  der  praktischen  Tüchtigkeit,  welche  das  Leben  fordert,  ihr  Ziel 
suchte.  Im  Grunde  genommen  dienten  die  Disputationen  als  eine 
nützliche  Ergänzung  der  theoretischen  Vorlesungen;  denn  sie  boten 
den  Schülern  Gelegenheit,  zu  zeigen,  ob  und  wie  sie  den  Inhalt  der- 
selben in  sich  aufgenommen  hatten. 

Sie  waren  somit  gleichsam  Prüfungen,  welche  die  Studierenden  in 
Gegenwart  ihrer  Lehrer  und  Mitschüler  ablegten.  Die  Lernenden 
wurden  dadurch  auf  Lücken  ihres  Wissens  und  die  Lehrenden  auf 
Mängel  des  Unterrichts  aufmerksam  gemacht    Leider  entarteten  diese 


^  Martin  Stainpei8:  Liber  de  modo  studendi  seu  legendi  in  medieina,  Vienn. 
1520,  f.  VII  u.  ff.  —  A.  V.  Rosas:  Geschichte  der  Wiener  Hochschule  u.  bes.  der 
med.  Facultät,  Wien  1843,  I,  149  u.  ff. 


Der  UfUerrieht  in  dfr  AneUotfm, 


203 


häutig  in  hohle  Redeübun^en,   welche  nicht  die  Sache 
fiirdwleo,  sondern  nur  «üe  persönliche  Eitelkeit  befnedii^'km.   Die  jungen 
ente  „pmhlen  ih\m  mit  Hippokrates  und  Galen,  grhraiichen   iinge- 
iche    Worte   und    hringen   überall    ihre   Aphommen   an*\   sagte 

JtlllAXN    VliN    SaUSBüHY. 

Die  Baccalaiireen  waren  aussenloüi  verpflichtft,  die  jungen  Studie- 
aden  zu  unterrichten,  indem  sie  ihnen  Atischnitte  aus  den  medicini- 
b^D  Schriften  der  alten  Auti/ren  übersetzten  and  erklärten  und  Vor- 
über einzelne  Tlieile  der  Heilkunde  hielU^'n.  Die  Gewobnheit 
auch  hier  bestimmte  Regeln;  so  wurde  es  in  Paris  eingefülirt^ 
iiam  über  die  Aphorismen  des  Hiiuhikrates  50,  über  d^  Buch  de 
'^«  3U«  über  ilie  akuten  Krankheiten  38,  über  iUe  Prognostik 
•sh  V.>rlesungen  stattfanden,^  Es  unterliegt  keinem  Zweifel  dass  diese 
l  ntarrirhbimethüfie  lür  die  Studierend»'«  manche  Vurtheile  hatte.  Die 
J*^iiten^  welche  sie  «päter  in  ihren  Schulen  anwendeten,  verdankten 
ihr  «im  grossen  TheUe  die  Lehrerfolue.  die  sie  erzielten. 


Der  Unterricht  in  der  Anatomie. 

Der  medicinisehe  Unterricht  an  den  Universitäten  trug  also  im 
Wesentlichen  einen  theoretischen  Charnkter;  nur  auf  einzelnen  Gebieten 
«nirden  Versuche  gemacht,  denselben  mit  praktischen  Demonstrationen 
m  verbinden.  So  wurde  die  Anatomie  zwar  hauptsächlich  nach  Büchern 
^U^hrty  aber  durch  Zeichnungen  und  Abbildungen,  durch  die  Betrach» 
mng  lebender  Körper  und  die  Zergliederung  todter  Thiere  und  Menschen 
t'rlfiiitert 

Leider  haben  sich  nur  wenige  anatomische  Zeichnungen  aus  jener 
irit  t^r halten,  Hknri  de  Monheville,  welcher  zuerst  Professor  in  Mont- 
pellier und  «päter  Leibarzt  Philipps  des  Schönen  (1285 — 1314)  von 
Frankreich  war,  gab  seiner  Anatomie  13  Abbildungen  bei,  wie  Guy 
Ti>x  ('HAiTLiAt^  berichtet.  2  Die  königliche  Bibliothek  zu  Berlin  besitzt 
dm  CuUetfienhtift  einus  Studenten,  welcher  i,  J.  1304  die  Vorlesungen 
(leiHi^lben  naohgeÄchrielien  hat;  am  Hände  betuiden  sich  rohe  Feder- 
z  HD,  denen  H.  de  MoKBEViLiiE's  Abbildungen  wahrscheinlich 

->.  fiienten. 


EiB   Pergament-Codex   aus   dem   Anfang   des    15.   Jahrliunderta^ 
welcher  in  der  königlichen  Bibliothek  zu  Dresden  aufbewaJirt.  wijd,i 
eathfilt  loitiuleii  mit  AbbildiiTigt*n,  welche  Towinge  aus  dem  är/^  ' 
Leben.  diirunkT  aiicli  mehiTre  aiiatiimische  Demonstrationen,  dai 
Aus   dfnsellien    scheint   hervorzugehen,   dass   beim    Unterricht 
Personen  vorgestellt  wurden,  an  denen  die  einzplnen  Theile  des*  mi  n&th- 
liehen   Körpei^s  g«*zeigt  und  erläutert   wurden.     Vielleicht  wurden  tili 
inneren  Organe  durch  Umrisse  auf  der  äusseren  Haut  gezeichnet?  — 

Das  gebnuichlicbste  Hilfsmittel  des  anatomisehei]  Unterrichts  bil* 
deten  die  Zergliederungen  von  Thieren,  In  Salerao  benutzte  man  im. 
vorzugsweise  Schweine;  an  anderen  Hochschulen  ahmte  man  dim 
Beispiet  nach*  Ff^rnt»r  wurden  auch  Biiren,  Affen,  namentlich  »bet 
Hunde  zu  diesem  Zweck  verwendet.-  In  den  Rechnungen  der  medi- 
cinischen  Facultaten  jener  Zeit  spielte  daher  der  Ankauf  von  Schweinea 
imd  anderen  Thieren  zu  anatnmi^ohen  l'ntersuchungcn  bisweilen  ki 
unbedeutende  KolU'.  Die  Zergliederungen  thierischer  Korper  büel 
auch  gebräuchlich,  nachdem  die  Sektionen  menschlicher  Leichen 
stattet  worden  waren,  da  sich  nur  sehr  selten  die  Gelegenheit  zur  Vor 
nähme  derselben  bot. 

In  den  ersten  Jahrhunderten  des  Mittelalters  wurden  sie  d\mk 
dir  religi*>SLii  und  politischen  Gesetze  ebenso  wie   durch  die  socialen 
Vorurtbeile  vi^rhindert.     Es  scheint*    dass   die  Arzte  jener  Zeit  die«i^ 
wichtige  Mittel  der  medicinjschen  AusliUdung  auch  nicht  entl>ehrten; 
denn   das   anatomische  Wissen  Galjin's   und   seiner  Erklärer  genügte 
ihneo,    umi  ein  Bediirfniss  zu  Si4bststandigen  Forschungen   war  nicht 
vorbanden.   Die  verstandigen  Ante  verkannten  freilich  niemals,  welche 
Bedeutung  die  Anatumie  für  die  Medicin  besitzt;*  aber  erst  im  IS.  und 
14.  Jahrhundert  gelang  es,  die  Hindernisse  zu  beseitigen,  welche  im 
Studium  derselbt'ii  erschwerten  uder  unmöglich  machten. 

Kaiser  Friedrich  IL  ermahnte  die  Studierenden  von  Salerno,  sich 


'  Cod.  Galeni  No.  92.  93  mit  dem  Commentar  des  Nicol.  v.  Beggio,  No.  92, 
fo).  n\  2Ö".  34**.  bQ\  r)9*,  H3''.  UK  96 ^  109'.  151',  1Ö8\  lß4^  169^  ITT». 
304*.  —  L.  Choittlant:  Geschichte  uiid  Bibliographie  cl(?r  anataiiiiseheTt  Abbildang, 
I^ipzig  1S.52,  S,  2. 

•  MoHTiiNO  t  de  anatomia  (matrida j.  —  Mag.  EicharduB  bei  HAfi^Ka  a.  a,  0, 
I,  8.  786.  —  J.  Hthtl:  Vergangenheit  und  Gegenwart  des  Modoutna  für  menBck^ 
liehe  Anatomie  an  d.  Wiener  Universität^  Wien  1809,  p.  XIL 

*  So  erkbirte  Taddeo  ALiJEüoTn  i  12*^3  —  1303 )*  däöä  er  über  das  Wesen  der 
Schwangerschaft  iiieht  genaue  Auskunft  geben  könne»  weil  er  leider  niemals 
Gelegenheit  gehjilit  habe^  eine  Schwangere  zu  seciren.  —  A.  Cobbadi:  Dello 
itudio  e  deU'  m^segnümento  delF  anatomiu  in  Italia  nel  medio  evo  in  Eendiconti 
lel  R.  istit.  LombariJü^  Milano  1873,  sen  II,  vol.  VI,  p.  684. 


der  Aiiatotiiie  m  beschäftigen,  niid  Terordnete,  dass  kein  Ghimrg 
itr  Ftaus  zogelasscB  werde,  bevor  er  den  Nachweis  geliefert  habe, 
er  «ich  ein  Jahr  hindarch  dem  Studium  der  Anatomie  gewidmet 
Acf  den  Antrag  des  Maktiakls,  Frotomedicus  von  Sicilien, 
erüesi  er  i*  J.  1238  den  Befehl,  dass  alle  fünf  Jahn?  in  Gegenwart 
d«r  Ante  «md  Ohimrgen  eine  Leiche  secirt  werdet 

In  Bologna  fanden  wahrscheinlich  schon  im  13.  Jahrhundert 
Sektionen  menschlicher  Leichen  statt  Im  J.  1302  wurde  auf  Befehl 
Richters  dort  sogar  eine  gerichtsärztliche  Sektion  vorgenomjnen,  da 
»rdacht  vorlag,  dass  ein  Mann  vergiftet  worden  sei;  zu  dieser 
Untersuchung  wurden  2  Ärzte  und  3  Chirurgen  hinzugezogen. 

Aus  der  Schilderung  dieses  Ereignisses  geht  nicht  hervor,  dass  es 
Fall  dieser  Art  war,    isondern  im  Gegentheil,    d^iss   man    in 
Untersuchungen  und  der  Beurtheihmg  ihrer  Ergebnisse  bereits 
Erfahrungen  besass.^     Aus  dem  gleichen  Grunde  soll  WiilHELM 
Hauceto  den  Leichnam  des  Neffen  des  Marchese  Pallavicini  secirt 
kaben. ' 

Der  Minoriten-Mönch  Sallmbeni  erzählt,  dass  während  einer  Seuche, 
<iie  L  J,  1286  in  Italien  wüthete,  ein  Arzt  viele  Leichen,  deren  Tod 
dadurch  herbeigeführt  worden  war,  ötfneti^  um  ilie  Ursache  des  Leidens 
zu  ergründen.  Während  der  grossen  Pestepidemie  von  1348  haben 
iene  Ärzte  diesen  Vei'such  iremacht;*  leider  war  das  Resultat^ 
ehern  sie  dabei  gelangten ,  nicht  viel  werth. 
Man  scheute  sich  auch  nicht,  die  Leichen  vornehmer  Personen, 
ndche  fem  von  ihrer  Heimath  starben,  durch  Kochen  und  Maceration 
fitr  den  Transport  herzurichten.  So  erging  es  den  Bischöfen,  Fürsten 
und  adeligen  Herren,  die  rait  dem  Heere  Friedrich  Barbarossa *s  1167 
die  Nähe  von  Rom  kamen  und  dort  einer  Seuche  erlagen/*  und  dem 
selbst,  als  er  im  Flusse  Saleph  bei  Jerusalem  »Strunk. ^  Ebenso 
machte  man  es  mit  der  Leiche  Ludwigs  IX.  von  Frankreich,  der  1270 
W\  Tunis  starb/  sowie  mit  derjenigen  Philipps  des  Kühnen  und  seiner 
(jcmablln.  ^ 


*  A,  BüsnuiLAjevE:  Precie  de  fhistoire  de  ranatoinie,  Gawl  1840»  p.  47. 
'  Mcnici  n-  a«  0.  p.  5  u.  if.  10. 

*  PücoÄCiTTi:  Htoria  della  inedkina  II,  p&yts  II,  351. 

*  A.  ivaRRAiii:  AnnttU  delle  epidemie  in  Itaha,  Bologna  pro  a,  12S<1  u.  1348, 

*  G,  H*   Peätje:    Monunu  Welibrtvin  ant  in  Script  ler.  German*,  Uauhov. 
littd,  p.  41. 

*  BiOfKi»t«rnr8  Pethubcäo;  Gesta  regni  Henrici  II,  iu  Script,  rer.  Brit  med. 
London  l»67,  T.  40,  Vol.  H,  p.  89. 
^  Coiiium  a.  a,  O,  aimo  1270, 

*  MtriuToiif:  Eer.  Script,  it.  VIII,  861. 


206  Der  m^diciniscfie   Unterricht  im  Mittelalter, 


Pabst  Bonifaz  VIII.  verbot  dieses  Verfahren  i.  J.  1300^  und  nahm 
damit  der  anatomischen  Forschung,  welche  damals  eben  wieder  begann, 
ein  Hilfsmittel,  dessen  Verlust  ihr  empfindlich  war.  Mondino  schrieb, 
dass  gewisse  Knochen  nur  deutlich  zu  erkennen  seien,  wenn  sie  durch 
Kochen  praparirt  würden,  dass  er  dies  aber  nicht  thue,  weil  er  sich 
fürchte,  eine  Sünde  zu  begehen.*  Sein  Commentator  Berengab  von 
Cakpi  sagt  ihm  freilich  nach,  dass  er  dieser  Sünde  nicht  immer 
Widerstand  geleistet  und  doch  manchmal  menschliche  Knochen  ge- 
kocht habe.' 

MoNDiNO,  welcher  in  Bologna  die  Lehrthätigkeit  ausübte,  hat  eine 
grosse  Anzahl  von  Leichen-Sektionen  ausgeführt.*  Er  selbst  erklärt 
bei  einer  Gelegenheit,  wo  er  über  die  Grössenverhältnisse  des  jung- 
fräulichen, des  in  der  Menstruation  begriffenen  und  des  schwangeren 
Uterus  spricht,  dass  er  i.  J.  1315  zwei  weibliche  Leichen  zergliedert 
habe.  *  Bei  seinen  Arbeiten  sollen  ihn  sein  Prosector  Orro  Aoenio  aus 
Lustrula  und  eine  junge  Dame,  Alessandba  Giltani  aus  Persiceto, 
unterstützt  haben.  *^ 

Der  praktische  Unterricht  an  der  Leiche  wurde  in  vier  Lektionen 
beendet,  wie  Guy  von  Chauliac  berichtet,  welcher  bei  Bebtüccio, 
einem  Schüler  Mondino's,  gehört  hatte.  In  der  ersten  Vorlesung  wurden 
die  Organe  der  Ernährung,  d.  h.  diejenigen  der  Bauchhöhle,  „weil  sie 
am  schnellsten  der  Verderbniss  anheimfeilen,"  in  der  zweiten  die  membra 
spirittuilia,  also  die  der  Brusthöhle,  in  der  dritten  die  nrnnbra  animata 
(Gehirn)  und  in  der  vierten  die  Extremitäten  besprochen.^ 

Um  die  Bänder,  Knorpel,  Gelenke,  grösseren  Nerven  u.  a.  m.  zu 
sehen  und  zu  studieren,  wurden  die  Leichen  längere  Zeit  an  der  Sonne 
getrocknet,  in  die  Erde  vergraben,  damit  sie  faulen,  oder  in  fliessendes. 


^  Decr.  de  sepulturis.  S.  auch  Cobbadi:  Dello  studio  doli  auatomia  a.  a.  0. 
p.  865. 

*  MoNDiNo:  De  anatomia  auris.  '  Comment.  Bonon.  1521,  f.  510. 

*  multotiesy  wie  Gxnr  von  Chaüuac  in  seiner  Chirurgie  (I,  1,  1)  schreibt. 

*  MoNDiNo:  de  anatom.  matrieis. 

*  Wenn  Al.  Macchiavelli  (Effemeridi  sacro-civili,  Bologna  1786,  p.  60  u.  ff.) 
von  der  letzteren  erzählt,  dass  sie  verstanden  hätte,  die  Blutgefässe  selbst  in 
ihren  feinsten  Verästelungen  zu  reinigen,  ohne  sie  zu  zerreissen,  und  sie  dann 
mit  einer  gefärbten  Flüssigkeit  gefüllt  habe,  welche  nach  der  Gerinnung  die 
Form  der  Gef^sse  deutlich  wahrnehmen  Hess,  so  wird  diese  Erzählung  durch 
keine  älteren  Autoren  verbärgt.  Es  ist  nicht  recht  wahrscheinlich,  dass  man  zu 
einer  Zeit,  da  die  Anatomie  noch  einen  sehr  niedrigen  Standpunkt  innehatte, 
bereits  die  Kunst  der  G^f&ss-Injektion  gekannt  habe.  Yergl.  M.  Medioi  a.  a.  0. 
p.  28  u.  ff: 

'  Guy  v.  Chaüliac:  Chirurgia  a.  a.  0. 


Der  VnUrtkM  m  der  Anatomie, 


207 


zmrfnl4*Q  aoch  in  kocheirdes  Wasser  gelegt  Manche  Anatomen,  wie 
<ler  Magister  Kichardus,  fanden  eine  derartige  Behandlung  des  mensch- 
ti*^n  Körpers  .^schrecklich*^  und  zogen  es  deshiilb  vor.  die  Anatomie 
den  Leibern  von  Thiereu  zu  lehren.  Andere  wird  weniger  die  reii- 
giw»  Scheu,  als  der  umstand^  dass  sich  nur  selten  liie  (felegenheit  zu 
Sektionen  naenschlicher  Korper  1>ot,  dazu  veranlasst  hMben, 

Manche  Ärzte  verschati'ten  sich  die  Leichen,  wenn  sie  dieselben 
nklit  auf  rechtmässige  Weise  erhalten  konnten,  durch  Dit^bstiihL  So 
spielle  h  J,  1310  ein  Prozess  in  Bologna,  in  welchem  ein  dortiger 
Lilirer  der  Medicin  und  vier  seiner  Schüler  angeklagt  waren,  die  Leiche 
mieB  Gehenkten  heimlich  ans  dem  Grabe  genommen  zu  haben,  um 
an  seciren,'  Derartige  Falle  mögen  sich  in  jener  Zeit  ziemlich 
ereignet  haVjen.  Man  rechnete  mit  dieser  Thatsache  und  Uess 
dii»  Leichen  nehmen,  weil  man  sie  nicht  gern  geben  wollte.  ,,Die  Be- 
ginn die  Entweihung  der  Gräber  schwiegen",  wie  Corkabi  sagt,^ 
Ine  ilaas  sie  aufgehoben  wurden,  und  man  schritt  nur  dann  ein. 
wenn  offenbare  Gewalt  angewendet  oder  grosses  Ärgemiss  gegeben 
worden  war** 

Nur  ganz  allmaiig  w^urden  für  die  Vornahme  der  Sektionen  mensch- 
hchjer  Leichname  legale  Formen  gefunden.  Der  Senat  Ton  Venedig 
Ti*r»)rdnet€  L  J.  1308,  dass  alljährlich  eine  Sektion  srattünde,  damit  sich 
4ie  Ärzte  und  ('hirurgen  über  die  l^age  der  einzelnen  Theile  des  Körpers 
unterrichten  könnten. ^^ 

Die  Universität  Montpellier  erhielt  1376  das  Kecht,  alle  Jahre  die 
Leiche  eines  Verbrechers,  an  ilem  die  Todesstrafe  vollzogen  worden 
war,  zu  zergliedern,*  und  der  Universität  zu  Lerida  wurde  1391  das- 
ibe  Privilegium  vom  König  Johann  I.  verliehen.^  Derselbe  bestimmte, 
tias®  die  Stdiltobrigkeit  zu  diesem  Zweck  den  Leichnam  eines  Verbrechers 
liefere,  welcher  durch  gewaltsames  Untertaueben  ins  Wasser  getödtet 
worden  war,  damit  der  Körper  völhg  unversehrt  erscheine. 

Ferdinand  der  Katholische  erlaubte  den  Ärzten  und  Chirurgen  zu 

?08sa,  die  Leichen  der  Personen,  welche  in  dem  dortigen  Spital 
g^tort»en  waren,  zu  öffnen,  wenn  sie  es  für  nützlich  hielten,^  und  der 
Pabst  ge^ttete  die.s  den  Ärzten  des  Klosters  della  Guadelupe  zu  Estre- 
madura.^     Die  medicinische  Facultät  zu  Tübioi^en   erhielt  vom  Palast 


»  Mitwct  a-  a.  O.  jj.  3«,  42T  u,  ff.  '  Cobradi  a.  a.  n.  p.  642. 

*  (*o1ltlA^r  Ä.  a.  0,  p.  6H5.  *  Asrnrc  a.  a,  0.  p,  32. 

*  O&muiK  a,  Ä,  0,  IIL  \:u.  —  Dkn^fle  a.  a.  0.  L  S.  50T. 

*  A.  Fl»  Motisjux:  Hi^toria  bibliografica  de  la  niedicina  espagfiolat  Madrid 
IMl,  I,  252. 

*  \liif*r»'»v  fi  n  (y  II    i?'»      Leider  sa^t  er  nicht,  wann  dies  ^escheheii  \**i 


208  Der  inedicinischc   Unterricht  im  Mittelalter, 


Sixtus  IV.  L  J.  1482  das  Recht,  die  Leichname  von  hingerichteten 
Verbrechern  zu  seciren.^ 

In  den  Statuten  der  Universität  Bologna  v.  J.  1405  wurde  an- 
geordnet, „dass  sich  kein  Doktor  oder  Student  der  Medicin,  überhaupt 
Niemand  eine  Leiche  aneignen  dürfe  ohne  Erlaubniss  des  Rectors.'^ 
Wenn  Sektionen  unter  der  Leitung  eines  Professors  statt&nden,  so  wurde 
eine  bestimmte  Anzahl  von  Studierenden  aufgefordert,  denselben  bei- 
zuwohnen; bei  der  Zergliederung  einer  mannlichen  Leiche  durften  nicht 
mehr  als  20,  bei  derjenigen  einer  weiblichen,  weil  dieselbe  seltener 
vorkam,  nicht  mehr  als  30  Schüler  anwesend  sein,  damit  Jeder  Alles 
deutlich  sehen  konnte.  Kein  Student  wurde  zu  diesen  Demonstrationen 
früher  zugelassen,  als  nachdem  er  bereits  zwei  Jahre  medicinische  Vor- 
lesungen gehört  hatte. 

Der  Rector  musste  dafür  sorgen,  dass  allmalig  sämmtliche  Medi- 
ciner  Gelegenheit  erhielten,  eine  Leichensektion  zu  sehen,  und  dass  bei 
den  Einladungen  dazu  die  Mitglieder  aller  Scholaren-Corporationen  die 
gleiche  Berücksichtigung  erfuhren.  Aus  diesem  Grunde  wurde  be- 
stimmt, dass  kein  Student,  welcher  die  Sektion  eines  männlichen  Leich- 
nams gesehen  hatte,  in  demselben  Jahre  ein  zweites  Mal  zu  der  gleichen 
Demonstration  hinzugezogen  würde.  War  dies  im  folgenden  Studien- 
jahre geschehen,  so  wurde  er  überhaupt  nicht  mehr  zu  der  Sektion 
einer  männlichen,  sondern  nur  noch  zu  derjenigen  einer  weiblichen 
Leiche  eingeladen,  so  dass  er  während  seiner  Studienzeit  im  günstigsten 
Falle  der  Zergliederung  von  zwei  männlichen  und  einem  weiblichen 
Körper  beiwohnen  konnte. 

Die  Kosten,  welche  die  Erwerbung,  der  Transport,  die  Herrichtung 
und  Bestattung  der  Leiche  verursachte,  mussten  die  anwesenden  Stu- 
dierenden tragen;  doch  durften  sie  bei  einem  männlichen  Körper  nicht 
über  16,  bei  einem  weiblichen  nicht  über  20  Bologneser  Pfund  be- 
tragen. Von  dieser  Summe  erhielt  der  Professor,  welcher  die  Sektion 
vollzog,  100  Solidi.  Die  Mitglieder  des  Lehrer-Collegiums  lösten  sich 
in  dieser  Funktion  ab;  kein  Lehrer  durfte  die  Aufforderung  der  Stu- 
dierenden, die  Zergliederung  einer  Leiche  vorzunehmen,  ablehnen.* 

Im  J.  1442  wurde  gesetzlich  angeordnet,  dass  die  Obrigkeit  oder 
die  Gerichtsbehörden  von  Bologna  der  Universität  alljährlich  zwei 
Leichen  und  zwar  eine  männliche  und  eine  weibliche  oder,  wenn  die 
letztere  nicht  zu  erlangen  war,  zwei  männliche  für  anatomische  Zer- 


^  L.  F.  Fsoriep:  Die  anatomischen  Anstalten  zu  Tübingen,  Weimar  1811, 
Beil.  I,  14. 

*  Statut,  deir  uniy.  di  Bologna  v.  1405,  Rubr.  96,  bei  Cobradi:  Dello  studio 
deir  anat  in  Italia  a.  a.  0.  p.  688  u.  ff.  647. 


grbpfipfUD^en  liefern.    Es  war  dabei  nicht  vorgeschrieben,  dass  sie  von 
hingi'nchtet«>n  Verhrecheni  stammen,   sondern  Ami  Ermessen  der  Be- 

It'f  '  *  i>si*n,  sie  zu  bi'^ehaffen.  auf  welche  Art,  es  möglich  war 
,'tf  ßeri  potmt}\  nnr  «lurtten  sie  nicht  von  Personen  her- 
rühren* w*»lche  in  Uologna  ihre  Heimath  hatten,*  Ähnliche  Verhältnisse 
lieetanden  in  Ptwlua*  Ferrara  und  Pi,<a.^ 

Im  Allgemeinen  ptlegtp  man  zu  anatomischen  Untersuchungen  rlie 
Körper  ron  Verbrechern  zu  verwenden,  an  welchen  die  Todesstrafe  voll- 
ifiC»-o  worden  war.  Das  Volk  brtrac1itett%  wie  schon  im  Alterthum, 
die  Verstümmelung  oder  Zerschneidung  des  todten  Leibes  als  rine  Ent- 
w<eihan^,  welcher  man  höchstens  Personen  aussetzen  durfte,  die  durch 
fluchwürdige  Verbrechen  die  allgemeine  Verachtung  auf  sich  geladen 
hatten. 

Ais  die  wissRuschaftlichen  Bedürfnisse  wuchsen,  genügte  diese  Art, 
das  Leichenmaterial  zu  beschallen,  nfcht,  und  man  musste  dasselbe 
rn>ch  auf  anderen  Wegen  zu  erwerben  suchen.  Aber  auch  dann  hielt 
man  daran  fe-st,  dass  zu  diesem  in  der  öttV-utlichcn  Meinung  entehrenden 
Zweck  nur  die  Leichen  fremder  oder,  wenn  einheimischer,  doch  nur 
iolclier  Personen  venvendefc  wurden,  welche  vun  nii^derem  Herkommen 
Es  war  eine  Ausnahme,  wenn  man  in  Pisa  dazu  auch  die 
todten  Korper  der  Bürger  dieser  *Stadt,  sowie  der  Studenten  und  Dok- 
wenn  es  ihre  Verwandten  gestatteten,  benutzte,  und  erklärt  sich 

iofat  aus  dem  demokratischen  (reist,  welcher  damals  dort  herrschte.* 

^Ȋler  und  in  weit  geringerem  Umfange  als  an  den  Hochschulen 
Itilieti^  entwickelte  sich  der  praktische  Unterricht  in  «ler  Anatomie  an 
«k«  Universitäten  der  üljrigen  Länder.  In  Paris  begann  man  erst  im 
lö.  Jahrhundert  mit  derartigen  Demonstrationen.  In  Prag  fanden  seit 
1460  anatomische  Zergliederungen  statt,  nachdem  die  dortige  medici- 
nischi»  Facultät  durch  Schenkung  in  den  Besitz  eines  eigenen  Hauses 
gelangt  war,*  In  Wien  veranstaltete  der  von  Padua  dorthin  berulene 
ProfiKSor  GAiiEAZZo  DI  S.  Sofia  i.  J.  1404  die  ersten  anat^miischen 
DiniaDstrationen,  zu  welchen  ihm  eine  männliche  Leiche  geÜefert  wurde. 
Jäe  geschahen  im  Burgerspital  und  dauerten  acht  Tage.  Nach  der 
g  derselben  sammelte  der  Professor  bei  den  Zuschauern  Geld, 
m  die  Kasse  der  Facultät  Üoss.^  Es  vergingen  12  Jahre,  bi^ 
fii  Diehttte  ojfentliche  anatomische  Sektion  stiittfand;  dies  geschah  dann 


>  SCftfQt  T.  1442,  Rubr  19,  bei  CoREJkoi  a.  a.  O,  p.  043. 

•  Cüiuillii  a.  a.  0.  p.  638. 

•  FAimoKi:  Hist  ncatl.  Fiaan.,  FUa  1792,  T.  11,  73, 

•  Htittl;  Geschichte  <I«^r  Anatomie  in   Prag,  1841,  S.  9. 

•  llrKVi.:  Vergaügt'idieit  und  Ge^nwart  a.  %,  O,  B.  VllL 

Vnlefiithl 


_M^ 


210  Der  fnedicinisdie   Unterricht  im  MittelaUer. 

wieder  1418.  Zu  diesen  Demonstrationen  wurden  Doktoren  und  Stu- 
denten der  Medicin,  Chirurgen,  Apotheker,  Gelehrte  und  vornehme 
Standespersonen  eingeladen. 

Im  J.  1433  wurde  ein  besonderer  Lector  der  Anatomie,  Dr.  Joh. 
AiGEL  aus  Nürnberg,  angestellt.  Auf  eine  seltsame  Weise  wurde  die 
Facultat  L  J:  1440  in  ihren  Erwartungen  einer  anatomischen  Sektion 
getauscht.  Es  war  ihr  zu  diesem  Zweck  der  Körper  eines  Verbrechers, 
welcher  gehenkt  worden  war,  übergeben  worden;  aber  als  man  die 
Zergliederung  vornehmen  wollte,  kam  derselbe  wieder  zum  Leben.  Er 
wurde  in  Folge  dessen  begnadigt  und  in  Begleitung  des  üniversitäts- 
Pedells  in  seine  Heimath  Alt-Ötting  in  Bayern  abgeschoben,  wo  er 
später  wegen  neuer  Verbrechen  doch  noch  am  Galgen  starb. 

Im  J.  1452  wurde  in  Wien  zum  ersten  Male  eine  weibliche  Leiche 
zergliedert;  doch  wurden  dabei  nur  Ärzte  und  Chirurgen  zugelassen. 
Im  15.  Jahrhundert  fanden  doH;  ungefähr  alle  8  Jahre  einmal  ana- 
tomische Demonstrationen  an  der  Leiche  statt. 

Die  Statuten  der  medicinischen  Facultat  zu  l'übingen  v.  J.  1497 
bestimmen,  dass  alle  3  oder  4  Jahre  eine  menschliche  Leiche  öffentlich 
zergliedert  werde;  ein  Professor  musste  während  dessen  die  Erklärung 
dazu  aus  Mondino's  Anatomie  den  Zuschauem  vorlesen.  Ähnlich  ver- 
fuhr man  an  anderen  deutschen  Hochschulen. 

Es  war  unter  solchen  Verhältnissen  kein  Wunder,  dass  die  ana- 
tomische Wissenschaft  in  jener  Periode  keine  sichtbaren  Fortschritte 
machte.  Mondino's  anatomisches  Werk,  welches  seit  den  Zeiten  des 
Alterthums  das  erste  war,  dessen  Verfasser  menschliche  Leichen  zer- 
gliedert hatte,  befand  sich  trotzdem  noch  vollständig  auf  dem  Stand- 
punkte Galen's. 

Auf  teleologischer  Grundlage  ruhend,  liefert  es  auf  etwa  80  Seiten 
eine  ziemlich  dürftige  Beschreibung  der  Lage  der  einzelnen  Theile  des 
Körpers,  namentlich  der  Organe  der  drei  grossen  Körperhöhlen,  und 
ihres  vermeintlichen  Nutzens;  von  den  Muskeln  werden  nur  diejenigen 
der  Bauchwand  ausführlicher  beschrieben.  Zahlreiche  Bemerkungen 
über  Krankheiten  und  Operationen  an  einzelnen  Körpertheilen,  welche 
in  die  Schilderung  derselben  eingestreut  sind,  weisen  darauf  hin,  welchem 
Zweck  das  Buch  dienen  sollte.  Gleichwohl  erlangte  dasselbe  ein  ausser- 
ordentliches Ansehen  und  bildete  durch  mehr  als  zwei  Jahrhunderte 
das  beliebteste  Lehrbuch  der  Anatomie. 

Das  anatomische  Wissen  erfuhr  auch  durch  Guy  von  Chaxjliac, 
Matthaeus  de  Gradibus,  Peter  von  Argelata  und  ihre  Nachfolger 
keine  bemerkenswerthen  Bereicherungen.  Die  rohen  Holzschnitte,  welche 
der  Leipziger  Professor  Magnus  Hundt  seinem  anatomischen   Werk 


Der  Unterricht  in  der  Arxneibereiiung  und  der  ärxüiciien  Praxis.       211 


beigegeben  hat,  ^  werfen  ein  schlimmes  Licht  auf  den  Zustand  der  Ana- 
tomie im  15.  Jahrhundert 

Auf  einer  höheren  Stufe  steiien  die  anatomischen  Zeichnungen  in 
dem  Werk  des  Johannes  de  Kbtham,  weil  sie  zum  Theil  von  tüchtigen 
Künstlern,  wie  Bened.  Montagna,  herrühren. 


Der  Unterricht  in  der  Arzneibereitung  und  der 
ärztlichen  Praxis. 

Zum  Studium  der  Arzneipflanzen  bot  sich  in  den  Gärten,  welche 
bei  vielen  Klöstern  bestanden,  Gelegenheit.  Auch  manche  Ärzte,  wie 
Uatthaeus  Sylvaticus  in  Salerno  und  der  Magister  Walter  in 
Venedig,  welchem  der  Senat  zu  diesem  Zweck  i.  J.  1333  einen  Platz 
anwies,*  legten  derartige  Gärten  an.  Aber  die  Universitäten  besassen 
in  jener  Zeit  dieses  werthvolle  Lehrmittel  noch  nicht,  und  die  Kennt- 
niss  der  Arzneipflanzen  wurde  hauptsächlich  durch  den  theoretischen 
Unterricht  und  durch  Bücher,  welche  manchmal  mit  botanischen  Zeich- 
nungen verziert  waren,  vermittelt. 

Die  Droguen  und  die  Bereitung  der  Heilmittel  lernten  die  Stu- 
dierenden in  den  Apotheken  kennen,  die  vom  13.  Jahrhundert  ab  in 
allen  grösseren  Städten  entstanden.  Stainpeis  empfahl  den  Studenten 
und  jungen  Ärzten,  zu  diesem  Zweck  oft  die  Apotheken  zu  besuchen. 
Felix  Platteb'  erzählt,  „dass  er  in  Montpellier  neben  stetigem  Stu- 
dieren und  Lektionen-Zuhören  sich  sehr  übte  in  Präparationen  von 
allerlei  Arznei,  wohl  aufeumerken  in  der  Apotheke,"  und  viele  Kräuter 
sammelte,  die  er  „zierlich"  in  Papier  einhüllte. 

Die  Apotheker  bezogen  einen  grossen  Theil  der  Uroguen  von  aus- 
wärts, und  es  entwickelte  sich  in  diesen  Dingen  im  Mittelalter  ein 
reger  Handel,  der  aus  dem  Orient  über  Italien  führte.^  Ausser  den 
ArzneistoflFen  hielten  die  Apotheken  übrigens  noch  andere  Artikel,  ver- 
schiedene Specereien,  Gewürze,  Wachskerzen,  Papier,  Zucker  und  Süssig- 
keiten  zum  Verkauf;  an  vielen  Orten,  namentlich  in  Deutschland,  übten 
die  Apotheker  zugleich   das  Pfefi"erküchler-Handwerk   aus   und    waren 


»  CHOULAirr  a.  a.  O.  S.  24.  «  Meyer  a.  a.  0.  IV,  255. 

•  Plattkb  a.  a.  0.  S.  151. 

*  W.  Heyd:  Geschichte  des  Levantehandels,  Stuttgart  1879,  II,  550  u.  ff. 

14» 


212  Der  niedicinische   Unterrieht  im  Mittelalter. 


verpflichtet,  den  Rathsherren  der  Stadt  alljährlich  in  der  Fastenzeit 
allerlei  Näschereien  als  Gaschenk  zu  übersenden.* 

Über  die  Arzneistofle,  welche  damals  in  den  Apotheken  vorräthig 
gehalten  und  am  meisten  gebraucht  wurden,  und  deren  Preise  giebt 
ein  Vertrag  v.  J.  1424  Aufschluss,  in  welchem  ein  Apotheker  sich  ver- 
pflichtet, die  erforderlichen  Medicamente  für  den  herzoglichen  Hof  zu 
Este  zu  liefern.^  Eine  Bestätigung  und  Ergänzung  erfahren  diese 
Mittheilungen  durch  die  Angaben,  die  über  den  Inhalt  einer  Apotheke 
zu  Kosel  in  Schlesien  i.  J.  1417'  und  über  die  Drogaen  und  Medi- 
camente, welche  die  Apotheker  in  Frankfurt  a.  M.  i.  J.  1450  verkauften,* 
gemacht  worden  sind. 

Von  den  Einrichtungen  der  Apotheken  jener  Zeit  zeichnen  einzelne 
Abbildungen  des  oben  erwähnten  Dresdener  Codex  und  verschiedener 
medicinischer  Incunabeln  ein  deutliches  Bild.^ 

In  Italien  und  Frankreich  bildeten  die  Apotheker  schon  im  13.  Jahr- 
hundert Genossenschaften,  die  sich  ihre  eigenen  Gesetze  gaben  und 
streng  darüber  wachten,  dass  ihre  Rechte  nicht  verletzt  wurden.®  In 
Deutschland  sollen  die  ersten  Apotheken  zu  Wetzlar  1233,  in  Schweid- 
nitz  1248,  in  Würzburg  1276,  in  Augsburg  1285,  in  Esslingen  1300 
und  in  Frankfurt  a.  M.  1343  errichtet  worden  sein.  Im  15.  Jahr- 
hundert besassen  nicht  blos  alle  grösseren  Stadt«,  sondern  schon  viele 
mittlere  und  kleine  Orte,  wie  z.  B.  Znaim,  Pressburg,  Krems,  Budweis, 
Olmütz,  Brunn  und  Kuttenberg  Apotheken.' 

Die  Ausbildung  der  Apotheker  geschah  handwerksmässig.  ®  Als 
Lehrbücher  dienten  hauptsächlich  die  Werke  des  Nicolaus  Mybepsos, 
Nicolaus  Praepositits,  Christoph  i>e  Honestis,  Saladin  von  Asculo, 
QuiRicus  DE  AuGusTis  u.  A.  Bcvor  den  Apothekern  die  Erlaubniss 
zur  Ausübung  ihrer  Thätigkeit  ertheilt  wurde,   mussten  sie  sich  einer 


*  A.  Phiuppe:  Geschichte  der  Apotheker,  übers,  v.  H.  LtT)wio,  Jena  1859, 
I,  S.  87. 

'  A.  CoRRADi:  Su  i  documenti  storici  spett.  alla  medicina,  chirurgia,  fax- 
maceatica,  in  Annal.  oniv.  di  med.,  vol.  278,  Milane  1885. 
'  Hensghel  im  Janus,  Breslau  1847,  II,  152. 

*  J.  A.  Flückioeb:  Die  Frankfurter  Liste,  Halle  1878. 

»  Cod.  Galeni  No.  92,  fol.  181^  182*.  193*.  265*.  266*.  —  Choulant  in 
Naümann's  Arch.  f.  d.  zeichnenden  Künste,  Leipzig  1855,  Bd.  I,  2,  S.  264.  — 
H.  Peters:  Mittelalterliche  Apotheken  im  Anzeiger  des  germ.  Nationalmuseums, 
Nürnberg  1885,  Bd.  I,  H.  1/2.  —  A.  Essenweik  in  d.  Beil.  z.  Anz.  d.  germ.  Nat, 
Bd.  I,  No.  11/12. 

*  A.  Gorradi:  Gli  antichi  statuti  degli  speziali  in  Annali  univ.  di  med^ 
Vol.  277,  Milano  1886. 

^  Stainpeis  a.  a.  0.  f.  29.  *  Staikfeis  a.  a.  O.  f.  29  ^ 


Aar  t\titmchi  in  der  Arttmhereitimg  unä  der  cttzUielmi  /Vcwi>.       213 


len,  bei  welcher  ihre  Meister  tiiid  einige  Arzte  die 
Trafen  stellten.  Die  Aufeicht  über  die  Apotheken  und  ihre  Visitationen 
mirde   Tun  den  Ärztin,   in  späterer  Zeit  überall  von  den  8t4idtärzten, 

Wie  der  praktisehe  Unterricht  in  der  Heilmitte] lehre,  so  lag  auch 
«I  '       '      Unterweisung  in  der  Behandlung  der  Kranken  ausser- 

b.  ,    ,i^aben,  welche  sich  die  Universitäten  stellten*     Aber  man 

darf  dajnaus  nicht  etwa  schliessen,  das»  die  Studierenden  jener  Zeit 
überhaupt  keinen  Unterricht  am  Ivrankenbett  erhalten  hätten»  Nam- 
hafte Hiskmker  kamen  zu  dieser  irrigen  Meinungj  weil  in  den  Nach- 
nchten,  welche  von  der  alteren  Geschichte  der  Hochschulen  und 
ischen  Facultäten  handeln,  darüber  wenig  oder  gar  nichts  ge- 
d. 
Der  praktische  Untenicht  in  der  Krankenbehandlung  geschah  un- 
Ton  den  Universitäten,  weil  die  letzteren  nicht  in  Verbindung 
'm  mit  Hospitälern. 
Wenn  der  8tu<lierende  der  Medicin  das  Baccalaureat^-Examen  ah- 
gelegt  halte,  so  trachtete  er,  sich  unter  der  Anb>itung  seines  Lehrer?, 
tai  rlem  er  die  theoretischen  Vorlesungen  gehört  hatte,  uder  eines  an- 
n  erfahrenen  Arztes  in  der  medicinischen  Praxis  auszubilden.  Er 
beeleitet^e  ihn  zu  diesem  Zweck,  wenn  derselbe  seine  Patienten  besuchte, 
oder  bemühte  sich,  in  den  Krankenhäusern  die  Gelegenheit  zu  erhalten, 
flie  Heilung  <ler  Leiden  zu  sehen  und  zu  erlernen.  Hatte  er  bereits 
ige  Kenntnisse  auf  diesem  Gebiet  erworben,  so  durfte  er  seinen 
ister  unterstützen  und  vertreten  und  unter  dessen  Aufsicht  und 
itwortung  beginnen^  selbst  die  Kranken  zu  helmiideln. 
Diese  Methode  der  ärztlichen  Ausbildung,  welche  der  heutigen 
gleicht,  wimle  schon  in  der  medicinischen  4Studien»:irdnnng  des  Kaisers 
Friedrich  IL  empfohlen.  Die  jungen  Ärzte  zu  Salemo  standen,  wie 
erwähnt,  nach  Beendigung  der  gesetzlichen  Studienzeit  noch  ein  volles 
Jahr  imt-er  dt»r  Aufsieht  eines  älteren  Praktikers,  V»evor  sie  selbstetandig 
Uitt  Kunst  ausüben  durften. 

In   dem   schon   mehrmals   erwähnten  Galen-Codex  des  15.  Jahr- 
ii      '    ^  n    -ten  hnden  sich   mehrere  Initialen-Miniaturen,  welche 

I  r  iHHveisung  hindeuten.  So  zeigt  Nu.  03  foL  461*'  das 
id  eines  an  Marasmus  leidenden,  im  Bett  liegenden  Kranken,  bei 
lem  der  Arzt  steht  und  seinem  Schüler  ein  Recejd  «liktirt;  ausser- 
dem sind  noch  zwei  Wärterinnen  anwesend  Die  Abbildung  auf 
fdl  365**  stellt  einen  Arzt  dar*  welcher  seinen  Schülern  zwei  Kranke, 
*l  *      "1  mit  Geschwüren  bedeckt  sind,    demonstrirt;   fob  4R8'* 

/'  I  iirLnsehe  Operation  am  linierschenke],  w^'lehe  rUr  Srhnler 


214  Der  medidnische  Unterricht  im  Mittelalter, 

in  Gegenwart  des  Lehrers  ausführt,  500  ^  die  Eröffnung  eines  Abscesses 
in  der  Achselhöhle.  In  CodL  92  fol.  268**  erscheint  eine  Kinder-Poli- 
klinik, und  fol.  158*  und  295**  werden  nackte  Schwangere  vorgestellt^ 

In  Montpellier,  wo  schon  i.  J.  1198  ein  Hospital  existirte,  war  es 
üblich,  dass  die  Studierenden  der  Medicin,  nachdem  sie  das  Bacca- 
laureat  erlangt  hatten,  unter  der  Anleitung  eines  erfahrenen  Arztes  die 
ärztliche  Praxis  ausübten.  Astbuc*  führt  in  den  Biographien  der  früheren 
Lehrer  der  Medicin  an  der  Schule  zu  Montpellier  verschiedene  Fälle 
an,  in  welchen  dieses  System  beobachtet  wurde,  und  betrachtet  die- 
selben keineswegs  als  besondere  Ausnahmen,  sondern  als  allgemeine 
Regel. 

Die  medicinische  Facultät  zu  Paris  forderte  i.  J.  1449  von  ihren 
Baccalaureen,  dass  sie  fleissig  die  Hospitäler  besuchten  oder  einen  tüch- 
tigen Arzt  bei  seinen  Krankenbesuchen  begleiteten,  und  verweigerte 
ihnen,  wenn  diese  Vorschrift  nicht  erfüllt  wurde,  die  Zulassung  zur 
Licenz.^ 

In  den  ältesten  Statuten  der  Wiener  medicinischen  Facultät  aus 
dem  14.  Jahrhundert  wurde  bestimmt,  dass  die  Baccalaureen  der  Me- 
dicin die  Heilkunst  innerhalb  der  Mauern  Wiens  nur  mit  Wissen  und 
unter  der  Leitung  ihres  Lehrers  oder  eines  anderen  Doktors  der  Wiener 
Facultät  ausüben  durften.*  Stainpeis  gab  den  Studierenden  vortreflf- 
liche  Rathschläge,  wie  sie  dabei  verfahren  sollten.^  Vor  Allem  gilt  es, 
wie  er  sagt,  die  Ursache  der  Krankheit  zu  ergründen;  hierauf  wird 
der  leidende  Theil  genau  besichtigt  und  dann  der  übrige  Körper  einer 
sorgfaltigen  Untersuchung  unterzogen. 

An  der  Universität  zu  Ingolstadt  mussten  die  Baccalaureen  der 
Medicin  nach  den  Statuten  von  1472  dem  Dekan  einen  Eid  leisten, 
dass  sie  innerhalb  der  Stadt  und  im  Umkreise  von  sechs  Meilen  nur 


1  Vergl.  auch  Cod.  Galeni  No.  92,  fol.  7^  17^  43*.  75*».  121*.  128*.  208». 
224*.    No.  93,  fol.  458*.  471  ^  475'».  482»».  496*.  504*.  535^  560*». 

'  AsTRüc  a.  a.  0.  p.  236  (apres  san  baccalaurSat,  il  alla  en  Provence  pour 
y  exercer  la  nUdedney  suivant  Vv^age  de  ce  tempa-lä),  p.  243  (apräa  quoi  il 
alla  passer  le  temps,  qu'il  etoit  alors  destine  pour  s' exercer  ä  la  pratique  apres 
le  ha<icalaureat)  u.  a.  m.  —  Vergl.  Platter  a.  a.  0.  S.  154.  —  In  den  Statuten 
von  1240  heisst  es:  Item  nulhis  maxister  presentet  aliquem  (zur  Licenz),  nisi 
Hie  steterit  in  practica  extra  viüam  Montispessulani  per  dimidium  annum  (nach 
Oebmain  a.  a.  0.  III,  424). 

'  Hazon:  Eloge  historique  de  la  facult^  de  m^decine  de  Paris,  1770,  p.  20 
(qu'ils  suimssent  les  köpitaux  ou  la  pratique  de  quelque  fnaUre  pendant  le  cours 
de  la  licence,  faute  de  quoi  üs  n'etoient  point  admis  ä  ce  degre), 

*  J.  Zeisl:  Chronol.  dipl.  universit  Vindob.  Vienn.  1755,  Statut,  p.  80. 

»  Staiupeis  a.  a.  0.  f.  102*»  u.  ff. 


ikniaki^  besuchen  and  praktioiren  wurden^  wenn  sie  als  Stell?ertTeter 
Ares  I^hrers  oder  eines  anderen  Doktors  der  dortigen  Faciütät  auf- 
gBiltUt  irorden  seien/^  Sie  hatten  also  ungefiilir  dieseO^en  Funktionen, 
wi0  imseFt'  Pniktikantrn  nn  «len  poliklinischen  Instituten  mancher 
Hochschalen. 

An  lIo!5pitälern,  m  welchen  die  Baccalaureen  der  Medicin  Gelegen- 
ii  zur  praktischen  Ausbildung  in  der  Heilkunst  landen,  war  im 
Ijttelalter  kein  Mangel  Ihre  grosse  Anzahl  muss  umsomehr  Erstaunen 
als  uns  nur  ein  Theil  derselben  bekannt  ist  Die  Nachrichten, 
ke  sich  darüber  erhalten  haben,  sind  unvollständig  und  lückenhaft, 
dt  sie  sich  auf  Deutschland  beziehen,  oder  die  Leprosenhkuser  be- 
tTpften,  wunien  äe  von  Vibchow  zusammengestellt.^ 

Ein  reiches  Material  liegt  ausserdem  zerstreut  in  den  Archiven 
»md  Bibliotheken;  viele  Quellen  sind  wahrscheinlich  noch  unerschlossen. 
Es  wäre  eine  dankenswerthe  Aufgabe,  eine  Geschieh ti^  der  Gründung 
«lud  Entwickeiung  der  Spitäler  im  Mittelalter  zu  schreiben;  sie  würde 
•iuf  die  Geschichte  der  Medioin  wie  auf  die  allgemeine  Culturgeschichte 
Dcben  Lichtblick  werfen. 
Das  Christenthum  hatte  eine  ^lenge  von  Wohlthätigkeitsanstalten 
JM  Leben  gerufen,  wie  ich  in  einem  früheren  Abschnitt  auseinander- 
etet  habe.  Cberall  wo  seine  Lehren  verkündet  wurden  und  Gläubige 
entstanden  neben  den  Kirchen  und  Klöstern  auch  Hospitaler 
wi  Häuser  für  Arme  und  Gebrechliche  aller  Art  Die  christlichen 
lüsssionüre,  welche  aus  Italien  und  Frankreich  nach  den  Ländern  des 
)iordens  und  Ostens  Europas  kamen,  waren  Träger  der  Cultur,  indem 
Humanität  predigten  und  Wissenschaften  lehrten^  wenigstens  soweit 
m  dabei  mit  ihren  eigenen  Interessen  nicht  in  Conttikt  geriethen. 
Cnvergängliche  Triumphe  feierte  die  christliche  Wohlthätigkejr 
Gründung  zahlreicher  geistlicher  nod  weltlicher  Ordensgenossen- 
ichalt^n,  deren  Mitglieder  die  Pflege  der  Kranken  zu  ihrer  Lebensaufgabe 
chten.  Ein  Enthusiasmus  der  MenschenUebe  erfüllte  die  Herzen, 
ihn  die  Welt  nur  ein  einziges  Mal  gesehen  hat  Hochgeborene 
Küistinnen  und  arme  Bauern,  Kitter  und  Burger  wetteiferten  miteinander 
den  Werken  der  Barmherzigkeit,  Wohl  niuglich,  dass  Viele  nicht 
sehr  der  Idealismus  der  Liebe,  als  die  Hotfnung  aui'  die  Belohnungen 
rftlBTitir  und  andere  weniger  edele  Beweggründe  dazu  führten,  ihr 


(\  PiLtvTL:  (ieschichte  der  lyndwig  Maximilians-UnivordtÄt  za  Ingolstadt, 
but,  MilDchen  l^t72.  t  50,  II,  43. 
■  Votfmow»  Archiv,    Bd.  18.   S,  138—102.  2T8— 329,    Bd.  19,   S.  43-Ä8. 

\,4     >ft    W    I  »;k    -\'a>^      I"^Q  —  512. 


^.i Ik- 


1 


216  Der  medidniscJie  Ufiterricht  im  Mittelalter. 

Leben  dem  Dienst  der  Menschheit  zu  weihen;  aber  haben  ihre  guten 
Thaten  deshalb  vielleicht  weniger  Segen  gestiftet?  — 

Das  Sehnen  und  Bingen  nach  Idealen,  welche  die  von  der  Gregen- 
wart  unbefriedigte  Menschheit  in  einer  übersinnlichen  Welt  der  Zukunft 
verwirklicht  glaubte,  wirkte  veredelnd  auf  den  Charakter,  milderte  die 
Rohheit  der  Sitten  und  umgab  manches  Unternehmen  mit  einem  Zauber, 
ohne  welchen  es  vielleicht  thöricht  oder  verächtlich  erschienen  wäre. 

Dieser  romantische  Zug  drückte  auch  den  Ereuzzügen,  in  welchen 
sich  wilde  Lust  nach  Abenteuern  und  gemeine  Habsucht  mit  frommer 
Glaubenseinfalt  verbanden,  ein  eigenthümliches  Gepräge  auf.  Wenn 
auch  das  eigentliche  Ziel  dieser  militärischen  Expeditionen,  das  Land, 
in  welchem  die  Wiege  des  Christenthums  stand,  von  der  Herrschaft 
der  Mohammedaner  zu  befreien,  nicht,  wenigstens  nicht  dauernd  erreicht 
wurde,  so  hatten  sie  doch  für  die  Entwickelung  der  Cultur  manche 
wohlthätige  Folgen;  denn  es  wurden  dadurch  Handelsbeziehungen  zwi- 
schen dem  Orient  und  dem  Occident  eröflöaet,  der  geistige  Gesichtskreis 
der  Bewohner  Europas  erweitert  und  bei  den  Christen  im  Verkehr  mit 
den  Andersgläubigen  das  Gefühl  der  Zusammengehörigkeit  geweckt, 
welches  sich  in  der  Stiftung  von  Hospitälern  und  Ordensgenossenschaften 
äusserte,  die  sich  zu  gemeinsamem  Wirken  auf  dem  Felde  der  Kranken- 
pflege verbanden. 

Das  grosse  Hospital,  welches  die  Johanniter  im  12.  Jahrhundert 
in  Jerusalem  besassen,  vermochte  2000  Kranke  aufzunehmen.  Es  be- 
stand aus  mehreren  Gebäuden,  welche,  wie  der  Bitter  Johann  von 
Maundeville  berichtet,  von  124  Marmorsäulen  getragen  wurden. 
5  Ärzte  und  3  Chirurgen,  welche  an  diesem  Krankenhause  angestellt 
waren,  besorgten  den  ärztlichen  Dienst^ 

Im  J.  1236  besass  der  Orden  4000  Ordenshäuser,  welche  über 
die  verschiedenen  Länder  der  Christenheit  vertheilt  waren;  aber  schon 
ein  Jahrhundert  später  klagte  Pabst  Clemens  VL  darüber,  dass  sich 
die  vornehmen  Ritter  desselben  lieber  an  schönen  Pferden  und  Hunden, 
an  Schmausereien,  prächtigen  Kleidern,  goldenen  und  silbernen  Gelassen 
und  Kostbarkeiten  aller  Art  ergötzten  und  Reichthümer  anhäuften,  als 
dass  sie  Kranke  pflegten  und  Almosen  spendeten.^ 

Auch  der  deutsche  Orden,  welcher  eine  grosse  Anzahl  von  Ho- 
spitälern errichtete,  wandte  sich  seit  dem  14.  Jahrhundert  mehr  und 
mehr  von  der  Krankenpflege  ab  und  zog  es  vor,  durch  kriegerische 
Eroberungen  politische  Macht  zu  gewinnen. 

^  F.  v.  Raumes:  Geschichte  der  Hohenstaufen,  Leipzig  1858,  VI,  489. 
•  J.  Taaffb:  The  history  of  the  holy  müitary  sovereign  order  of  St.  John 
of  Jerusalem,  London  1852,  ad  ann.  1848. 


Der  üni^rrißhi  in  dsf  AtitmhBrdmng  und  der  ärUlicimi  Praj:is.     217 


I'  -  n  d^  Lazaristen,  welcher  ebenfalls  in  Palästina  entstand 

und  die  Pflege  der  Aussätzigen  zur  Aufgabe  hatte,  gründete  eine  Menge 
füU  Leprosen-Häusi^rn,^  Als  <ier  Aussatz  in  Folge  der  Verbesserungen 
der  Hygiene  und  der  richtigeren  Diagnostik  der  verschiedenen  Leiden^ 
irdclie  man  bis  dahin  anter  seinem  Namen  zu^immengefasst  hatte^ 
nQmälig  sreltener  wurde,  und  in  einzelnen  Ländern  schon  im  16,  Jahi- 
bondert  gan^lich  erlosch,  fühlten  sich  -Hn  T^iti».r  *\m  hl.  Laxürus  ihrer 
Pflicht^  Kranke  zu  pflegen,  überhoben. 

Treuer  hielten  an  dieser  Aufgabe  die  luirgeilicheu  Krankenplleger- 
&ncK«Renschaften  fest,   wenn  auch  einzelne  derselben  später  ebenfälls 

ettsn.  Der  Orden  des  hh  Geistes  war  eine  Schöpfung  des  Pabstes 
^iByenz  IIL,  der  ihn  zum  AVerkzeug  ausersehen  hatte,  um  dadurch 
{^^Krankenpflege  eine  uie  ganze  Christenheit  umfassende  Organisation 
m  geb«n.*  Es  macht,  wie  VmüH«»w  schreibt,  einen  ergreifenden  und 
tagleich  ?ersöhnenden  Eintinick,  zu  sehen,  wie  „dieser  gewaltige  Marm, 
irelcher  den  Kaiser  demuthigte  und  Könige  entsetzte,  der  unerbittliche 
Verfulger  der  Albigenser,  seinen  Blick  mitleidsvuU  auf  die  Armen  und 
Kraukeu  wendete  und  die  Hilflosen  und  Elenden  anf«ucht<***,^ 

er  Orden  des  hl.  Geistes  wii-d  zuerst  in  einer  Urkunde  v.  J,  1198 
it;  damalh  be^ass  er  bereits  zwei  Hospitäler  in  Rom,  «lineis  in 
Montpellier  und  noch  sieben  andere  in  Frankreich.  Im  J.  1204  wurde 
tks  Ton  Innocenz  IJl.  erbaute  Hospital  zu  S.  Spirito  in  Rom  eingeweiht; 
der  Boden,  auf  dem  es  errichtet  wurde,  soll  schon  unier  dem  Pabst 
^mmachu8  im  G.  Jahrhundert  das  alte  Sachsen-Hospiz  getragen  halben.* 

Der  Orden  zimi  hl  Geist  entfaltete  eine  ausserordentliche  Tbätig- 
keiL  Schon  liald  nach  seiner  Entstehung  stiftete  er  an  verschiedenen 
♦)rten,  wie  z.  B.  in  Zürich,  Halberstadt,  Wien,  Spandau,  Breslau,  Riga, 
Löbeck,  Bremen  und  Hamburg,  Krankenhäuser  oder  übernahm  die 
Leitung  von  Anstalt-eu,  welche  wie  diejenigen  zu  Memmingen^  Frei- 
liorg  i/ßr.,  Mainz  und  UM,  schon  in  früherer  Zeit  bestanden,  Vibchow 
it  die  Nachrichten  über  154  Krankenhäuser  dieses  Ordens  in  Deut^ch- 
Dd^  welche  mit  wenigen  Au^snahmen  im  13.  und  14.  Jahrhundert 
^egrdndei  wurden,  gesammelt.^  Daneben  bestanden  noch  viele  Spitiller, 
welche  von  anderen  Krauls       "      r- Genossenschaften  geleitet  wurden. 

\Jh}   Grüiniung    von    \  i  i^kcits- Austeilten   folgte   dem  Wege, 


'    W   V,   K-ALSILK  H.  Ä*  U,    VI,    534. 

•  Hcetek:  Gf«chichte  de*  l'ftbate«  Innozenz  lU.,  Hamburg  1842. 
'  ViMcnow:  G^^anirnHte  AbhstiHlliiUjü^eii,  Ikriin  1879,  IT,  8.24. 

•  C.  L.  MoiiiaiiMi:  DegU  isrituti  <li  c4iritÄ,  Roma  1810,  p,  m,  —  GRE(»oiioviL'fi: 
Oftdaiübte  der  Stadt  Boin  tm  MitteUilter,  Stuttgart  1859,  11,  467. 

•  Ymcni^  Ä,  ft.  M.  U,  45  a.  ff. 


218  Der  mediciuMtc   Unter rickt  im  Mittelalter. 

auf  welchem  sich  die  Cultur  in  Europa  verbreitete.  Italien,  Frankreich 
und  das  südliche  und  westliche  Deutschland  gingen  voran,  und  die 
nördlichen  und  östlichen  Länder  unseres  Welttheils  folgten  ihnen.  Um 
ein  Urtheil  über  diese  Thätigkeit  und  ihre  Erfolge  im  Einzelnen  zu 
erhalten,  ist  es  am  besten,  ein  beschränktes  Gebiet  ins  Auge  zu  fassen. 
Thüringen,  Sachsen,  Brandenburg,  Pommern  und  Schlesien,  also  die- 
jenigen Länder,  welche  damals  etwa  die  Grenze  der  Cultur  bildeten, 
waren  schon  im  13.  Jahrhundert  reich  versehen  mit  Hospitälern  und 
Leproserien;^  selbst  kleine  Orte,  deren  Namen  in  der  Geschichte  kaum 
genannt  werden,  besassen  derartige  Anstalten.  In  Schlesien  gab  es 
deren  zu  Breslau  (1214),  Kloster-Trebnitz,  Neisse  (1226),  Neumarkt 
(1234),  Bunzlau  (1261),  Brieg  (1273),  Glatz  (1275),  Münsterberg  (1276), 
Liegnitz  (1280),  Sagan  (1283),  Steinau(1290),  Ratibor  (1295),  Gr.Glogau 
(1296),  Görlitz  (1298),  Sprottau  und  Schweidnitz  (1299),  Beuthen  (1802), 
Oels  (1307),  Frankenstein  (1319),  Freistadt  (1320),  Löwenberg  (1322), 
Leubus  (1330),  Strehlen  (1347),  Goldberg  (1348)  u.  a.  0.  Allerdings 
sind  die  Angaben,  welche  darüber  gemacht  werden,  unYollstä.ndig  und 
ungenau;  aber  sie  liefern  doch  ein  Bild  von  dem  Keichthum  an  An- 
stalten, welche  man  zur  Pflege  der  Kranken  getroflFen  hatte. 

Es  darf  wohl  angenommen  werden,  dass  es  in  jenen  Ländern, 
deren  Cultur  älter  und  mehr  entwickelt  und  deren  Reichthum  grösser 
war,  jedenfalls  nicht  schlechter,  sondern  wahrscheinlich  noch  besser 
damit  bestellt  war.  Frankfurt  a/M.  besass  im  13.  Jahrhundert  schon 
drei  oder  vier  Krankenhäuser.  ^  Das  für  Kranke  und  Sieche  errichtete 
Katharinen- Hospital  zu  Regensburg  hatte  in  der  Mitte  des  13.  Jahr- 
hunderts 250  Pfleglinge.  Eine  derartige  Zahl  bildete  damals  sicherlich 
eine  Ausnahme;  denn  die  meisten  Hospitäler  jener  Zeit  waren  klein 
und  konnten  nur  wenige  Personen  aufnehmen. 

Die  Leiter  der  Regensburger  Anstalt  machten  auch  darauf  auf- 
merksam, dass  dieselbe  überfüllt  war,  und  dass  in  Folge  dessen  die 
Luft  verpestet  und  Krankheiten  auf  gesunde  Leute  übertragen  wurden. 
Welche  Unreinlichkeit  und  sanitätswidrigen  Verhältnisse  noch  im 
15.  Jahrhundert  in  einzelnen  dieser  Spitäler  herrschten,  zeigen  die 
drastischen  Mittheilungen,  welche  Thomas  Platter  über  seinen  Aufent- 
halt im  Krankenhause  zu  Breslau  hinterlassen  hat^ 

Es  ist  leider  noch  wenig  erforscht,  inwieweit  und  in  welcher  Art 


»  ViBCHOw's  Archiv,  Bd.  1«,  S.  150  u.  ff,  275  u.  ff.  310  u.  ff. 

'  Gr.  L.  Kriegk:  Deutsches  Biirgerthum  im  Mittelalter.  Frankfiirt  a/M.  1868, 
I,  S.  7G  II.  ff.  —  VV.  Stricker:  beschichte  der  Heilkunde  in  Frankfurt  a/M., 
1847,  S.  129. 

'  Platter  a.  a.  O.  S.  22. 


Die  ärztlichen  Prüfmigen,  219 


die  Spitaler  des  Mittelalters  zum  Unterricht  der  Studierenden  der  Me- 
dicin  und  jungen  Ärzte  verwendet  wurden. 

Die  Errichtung  von  Krankenanstalten  erfolgte  an  vielen  Orten 
früher,  als  sich  dort  wissenschaftlich  gebildete  Ärzte  niederliessen.  Die 
Krankenpflege  ging  somit  häutig  der  Krankenjjehandlung  voraus. 


Die  ärztlichen  Früfcmgen. 

Die  medicinischen  Prüfungen,  welche  die  Studierenden  der  Heil- 
kunde ablegen  mussten,  bevor  sie  zur  Praxis  zugelassen  wurden,  hatten 
ihr  Vorbild  an  den  Einrichtungen,  die  der  Kaiser  Friedrich  II.  zu 
Salemo  geschaflFen  hatte. 

Im  Verlauf  der  Zeit  traten  jedoch  an  die  Stelle  des  einen  Examens, 
welches  am  Schluss  der  Studien  stattfand,  die  Prüfungen  für  das  Bacca- 
laureat,  die  Licenz  und  das  Magisterium  oder  Doktorat.  Diese  aka- 
demischen Grade  wurden  zuerst,  wie  es  scheint,  in  Bologna  und  Paris 
eingeführt  In  Salemo  und  Neapel  wurden  sie  von  Carl  von  Anjou 
1278  und  1280  angeordnet,  wie  aus  den  von  S.  de  Rp:nzi  citirten 
Documenten  hervorgeht.^ 

Wer  sich  um  das  Baccalaureat  der  Medicin  bewarb,  musste  zwei 
oder  drei  Jahre  hindurch  medicinische  Vorlesungen  gehört  haben  und 
dann  in  einem  mündlichen  Examen,  welches  vor  den  Mitgliedern  der 
medicinischen  Facultat  stattfand,  den  Nachweis  liefern,  dass  er  sich 
eine  allgemeine  theoretische  Kenntniss  der  einzelnen  Zweige  der  Heil- 
timde  erworben  hatte.  Durch  einen  feierlichen  Akt,  die  Determination, 
)m  welcher  der  Candidat  eine  ihm  gestellte  wissenschaftliche  Frage 
erörterte,  wurde  er  aus  der  Klasse  der  Scholaren  in  diejenige  der 
».Baccalarien",  wie  es  in  dem  corrumpirten  Latein  des  Mittelalters  heisst, 
versetzt.  Das  Wort  wird  von  einigen  Erklärem  mit  haculum,  dem 
Stock,  in  Verbindung  gebracht,  der  den  Baccalaureen  angeblich  als 
Zeichen  ihrer  neuen  Würde  überreicht  worden  sein  soll.*  Mit  grösserer 
Wahrscheinlichkeit  wird  es  von  hac^a  lauri  abgeleitet;  es  erinnert  an  die 
Krönungen  der  Dichter  mit  dem  Lorbeerkranz,  von  denen  die  Geschichte 
<les  Mittelalters  erzahlt. 

Auf  das  Baccalaureat  folgten  nach  einem  Zeitraum  von  zwei  oder 
«Irei  Jahren,  welche  der  Candidat  zu  seiner  weiteren  fach  Wissenschaft - 


*  S.  DE  Renzi:  Storia  docum.  della  scuola  med.  di  Salemo,  Doc.  No.  287.  291. 
'  DB  Kemzi:  Storia  docum.  della  scuola  med.  di  Saleruo,  p.  556. 


220  Der  viedicinische   Unterricht  im  Mittelalter, 

liehen,  namentlich  aber  zur  praktischen  Ausbildung  benutzte,  die  Prü- 
fungen, welche  der  Ertheilung  der  Licenz  vorausgingen.  Bei  der  Zu- 
lassung wurde  vorausgesetzt,  dass  der  Baccalaureus  ausser  den  Vor- 
lesungen, die  er  besucht  hatte,  an  den  Disputationen  Theil  genommen 
und  dabei  den  Professegen  mehrmals  geantwortet,  einige  Vorträge  ge- 
halten, den  anatomischen  Demonstrationen  beigewohnt  und  sich  in  der 
praktischen  Heilkunst  ausgebildet  habe.  Die  Examina  wurden  ebenfells 
von  der  medicinischen  Facultät  abgehalten,  bestanden  in  der  Erklärung 
eines  Hippokratischen  Aphorismus,  der  Beschreibung  einiger  Krank- 
heiten und  der  Beantwortung  der  Fragen,  welche  daran  geknüpft 
wurden.  War  das  Ergebniss  günstig,  so  wurde  der  Candidat  durch 
zwei  Mitglieder  der  Facultät  dem  Kanzler  der  Universität  vorgestellt, 
welcher  ihm  in  feierlicher  Weise  die  Licenz  ertheilte. 

Da  die  Kanzler-Würde  überall  von  hohen  Geistlichen  bekleidet 
wurde,  welche  sich  als  Vertreter  des  Pabstes,  des  obersten  Schutzherm 
des  Unterrichts,  betrachteten,  so  fand  dieser  Akt  in  der  Kirche  statt 
Derselbe  trug  daher  gleichsam  einen  religiösen  Charakter,  welcher 
Andersgläubige,  z.  B.  die  Juden,  von  der  Erlangung  der  Licenz  aus- 
schloss;  doch  scheint  man  schon  in  sehr  früher  Zeit  einen  Ausweg  ge- 
funden zu  haben,  indem  man  die  Verleihung  der  Licenz  in  solchen 
Fällen  der  Facultät  überliess.^ 

Die  Ärzte,  welche  in  den  Prüfungen  ihre  Befähigung  zur  Aus- 
übung der  ärztlichen  Praxis  gezeigt  und  die  Erlaubniss  dazu  erhalten 
hatten,  wurden  Meister  oder  Magistri  genannt  Nachdem  bei  den  Ju- 
risten zu  Bologna  der  Doktor-Titel  üblich  geworden  war*  und  in  allen 
Rechtsschulen  Eingang  gefunden  hatte,  begannen  auch  die  medicinischen 
Facultäten,  denselben  zu  gebrauchen. 

Das  W^ort  „Doctor"  kommt  schon  in  der  Literatur  des  Alterthums 
vor^  und  bezeichnet  dort  einen  Lehrer  (von  docere).  In  diesem  Sinne 
wurde  der  Doktor-Titel  auch  von  den  medicinischen  Facultäten  zunächst 
Denjenigen  ertheilt,  welche  als  Lehrer  der  Heilkunde  thätig  waren. 
Dies  geschah  an  den  meisten  Hochschulen  bereits  im  13.  Jahrhundert 
Da  das  Recht,  zu  lehren,  jedem  Arzt  zustand,  welcher  zur  Ausübung 
seiner  Kunst  legitimirt  war,  so  wurde  auch  der  Doktor-Titel  allmälig 
allen  Ärzten  gegeben. 


*  DE  Kenzi  a.  a.  O.  p.  558.  572. 

•  Savigny  a.  a.  0.  I,  476.  —  Gbuneb's  Almanach  fiir  Ärzte,  Jena  1789, 
S.  250  u.  ff. 

'  Cicero:  de  erat.  I,  19.  —  Sueton:  Caesar  c.  42.  —  Valer.  Maxim.  II,  3. 
—  Quiktilian:  Instit  erat.  XI,  3,  XII,  2.  —  Ebsoh  ii.  Gruber:  Encyklop.  sect  I, 
Th.  25,  S.  237  u.  ff. 


Die  ärxilicimi  PHlfmigen, 


221 


Als  man  anfing,  zwischen  den  Doctores  k^entes  d  non  kgtmtes, 
zwuschi^n  I>t»njeni^en,  welche  die  Lehrfchnfci|?keit  ausübten,  und  Jenen» 
welohe  dies  unt-erliessenj  zu  unterscheitlen,  entstand  der  GeV»rauch,  die 
wsteren  I^ofeasoren  zu  nennen.  Auch  dieser  Ausdruck  stammt  aus 
dem  Altprthum;*  er  kommt  von  profiten\  „eine  Kunst  oder  Wissen- 
üclmllr  öffentlich  ausüben  oder  lehren".  An  den  deutschen  Universitäten 
lani  der  1^'tel  «.Professor'*  erst  im  16.  Jahrhundert  auf,  und  zwar 
rarden  damit  nur  diejenigen  Lehrer  der  Huehschule  bezeichnet,  welche 
mit  der  Abhaltung  von  Vorlesungen  beauftragt  waren  und  für  diese 
Uhnhäticrkeit  eine  Besoldung  oder  Remuneration  bezogen.  Es  waren 
lües  aljki  die  Mitglieder  des  Lehrer-Coliegiums,  wdche  man  trüber 
£%)rlörA»  re^eniejt  genannt  hatte. 

Der  Wechsel  in   der  Bedeutung  d(-r  Titulaiun-n  und  Formen  der 
UfVfUehkeit ,    wie  er  sich   im  Verlauf  d^T  Zeiten    vollzieltt,    hat   seinen 
(trund  tum  gro8sen  Theile  in  der  menschlichen  Eitelkeit,    Heut  ergeht 
M    ^^  T-sor-Titel  wie  einst  dem  Doktor-Titel :  er  wird   an  Ärzte 
1  I    [  Irhe  dem  Lehramt  ganzlich  fenistehen,    während  manche 

I  Lebrer  der  Hochschulen  schon  nicht  mehr  so  geni  den  Titel  von  Pro- 
1  bttOTtti,  als  denjenigen  von  Geheimen  Ratben,  Hofräthen  oder  Ke- 
I    rimmggräthen  fuhren. 

Die  Würde  eines  Doktors  der  Medicin  konnte  Jeder  erlangen,  der 
^^|t£  Lioenz  zur  Ausübung  der  arztlichen  Praxis  besass.    Zu  diesem  Zweck 
Hkren  keine  besonderen   Pnifungen  erforderlich;   dagegen    wurde   ver- 
langt, dass  der  Candidat  von  ehrenhaft/er  und  ehelicher  Abkunft-,  un- 
l»nchalten   und    sittsam,    mindestens   26  Jahre   alt,    ohne    körperliche 
Mangel    und    wohltrestaltet   sei.     An  einigen   l'niversitäten   wurde  das 
Alter  auf  28  Jahre  festgesetzt  und  ein  Nacblai^s  in  dieser  Hinsicht  nur 
n  gestattet,  wenn   der  Candidat  nicht  zu  weibisch  und  jugendlich 
Personen,    welche   raissgestaltet   oder  abschreckend   hasslich 
sollten   nicht  zugelassen  werden  und  zwar  aus  einem  sonder- 
ten Grunde;  man  befürchtete  nämlich,  dass  sich  schwangere  Frauen 
an  ihnen  versehen  konnten. 

Der  Promotion^Akt  war  mit  einer  oftentlichen   Disputation  und 
enen  Ceremonien  verbunden,    w»^k'he  die  Aufnahme  des  Can- 
in  die  ärztliche  Zunft  versinnbüden  und  ihm  die  hohe  Bedeu- 
tung seiner  neuen  Würde   deutlich   vor  Augen   führen   sollten.     Die 
P«er  wurde  unter  Glockengeläute  und  Theilnahme  der  ganzen  Facultät 


I 


'  Cecjub:  Pmef.  «*  U,  6.  —  Sufton:  RUetor.  5.  —  Quim-iUAN:  Institut 
••f*t  Prooem.  a.  l,  9.  XU,  11,  —  Savioky  a,  a.  0.  I,  aö6.  —  H.  Cokriko:  Antiq. 
»cid.  I,  26. 


^ 


tt  Der  msäictmmkB  VnkrnM  im  UUidaUmr. 


"llllf 


Danli 


vollzogen.  9h  befnuui  mit  ciuiem  Vurlnige  d^  Doktaranden,  detnj 
Verdienste  von  dem  Profeasor,  welcher  den  Akt  leitete,  in  einer  B«di 
b»4eiichtet  wnrd^^n.  Der  Candidat  l*»gti'  dann  einen  Eid  al>,  das  er 
er  Zeit  seinn  Pllichten  gegen  <lie  Fiumltat  and  den  ärztlicheD  Sun<l 
überhaupt  erfüllen  werde;  hierauf  wurde  ihm  der  sogenannte  Doktorhut 
aufgesetzt,  ein  Kin^'  im  d^n  Fine**r  geHti^ckt  als  Zeichen  des  ritterlichen 
Rangei^,  dem  die  DoktorwQrde  gieichgeachtet  wurde,  ein  goldener  Ciürtel 
umgelegt,  und  ein  Buoh  des  HiPi'öiUiATiöi  ror  ihm  aufgeischlagen. 
Dann  wurde  er  einiiretaden,  sich  an  der  iS^*ite  des  Promotors  nider- 
zulassen,  Mm  Diesem  uniannt  und  ihm  der  Segen  ertheilt.  Mit  dem 
Dank  des  neuen  Doktors  schlos.s  die  Feier,  welcher  em  Gai?tmahl  folgte 
an  wfdchem  n\h^  Mitglird^-r  der  Pacultat  Theil  nahmen. 

Die  Au>*gaben  dafür,  .sowie  die  Taxen,  welche  gezahlt,  und  ib« 
fcenke,  die  an  ver^ehiedene  Personen  vertheilt  wurd(*n,  machten  dw» 
Doktnr-rromotion  zu  einer  ziemlich  kostvspieligen  8aehe,  In  Wien  hatte 
drr  Candidat  die  Verpthchtimg,  einem  Doktor  der  mediciuischen  Faruital 
fiinen  vollständigen  Anzug  zu  schenken;  es  mussten  dazu  14  ElJea 
Tuch  von  guter  Qualität  verwendet  werden.  Cbrigenjj  hlieh  e^  dim 
unbenommen,  mehrere  seiner  ('ollegen  auf  diese  Weise  zu  erfreo«*n. 
Ferner  erhielt  jeder  Doktor  diT  Facultat  ein  Barett  und  ein  Paar  g^ 
wirkter  Handschuhe,  jeder  Lieentiat  und  Baocalaureus  ein  Paar  gewöhn- 
licher HatMischuhe,  „wobei  jedoch  der  Anstand  und  die  Ehre  der  Facultit 
zu  berüeksiehügen  sind,"*  Ähnliche  Anforderungen  wurden  auch  aa 
anderen  Universitäten  gestellt.  Am  meisten  betrugen  die  Ausgaben, 
welche  die  Promotion  m  Paris  verursachte*  Armen  Doktoranden  w>irdfn 
wenn  sie  sieb  durch  ihre  Kenntnisse  aiiszeichnileu,  die  hohen  Spesei 
ausnahmsweise  erlassen,  und  an  einzelnen  Hochschulen  geschah  dies  regel 
massig  in  bej^timmten  Zeitniurnen.^ 

Manche  wurden  durch  die  mit  der  Promotion  verbundenen  ün 
kosten  von  der  Bewerbung  abgeschreckt  und  begnügten  sioh  diimit»  d 
Licentiaten  die  arztliche  Praxis  auszuüben.  Die  letzteren  genossen  il 
dieser  Hinsicht  die  gleichen  Rechte  wie  die  Doktoren.  Es  bestam 
zivischeu  ihnen  nur  der  einzige  Unterschied,  dass  die  Doktoren  voll 
berecbti^rte  Mitglieder  der  Facultät  waren,  über  die  Ani^elegenheite! 
derselben  Berathungen  ptlegten  und  Beschlüsse  fassten  und  an  e: 
Beneficien  Theil  nahmen. 

In  dem  Wesen  des  Simlium  gemralr  lag  e^,  diis^  die  Doktor- 
in  allen   T.rindeiii    der  rhristrnhrit   Gtltung   hatte.     Alierdinirs 


*  Roms  IL  a.  O.  r,  a  3&.  —  Haütj!  h.  u  n    1,  160. 

•  Coppt  a.  a.  0.  p.  204. 


Die  Chirurgie  und  Gebtirtskilfe.  223 


schon   in   früher  Zeit  einige  Beschränkungen   geltend   gemacht;   doch 
lichteten   sich   dieselben   nicht  so  sehr  gegen  das  Recht,   überall   die 
ärztliche  Berufethätigkeit  auszuüben,  als  gegen  den  Anspruch,  als  voll- 
berechtigtes Mitglied  in  die  medicinische  Facultat  einer  anderen  Uni- 
versität aufgenommen  zu  werden.     Die  Facultäten  sahen  in  der  Pro- 
motion eine  wichtige  Einnahmequelle,  welche  geschmälert  wurde,  wenn 
Doktoren,  die  an  fremden  Hochschulen  promovirt  worden  waren,  ohne 
Weiteres  als  Mitglieder  derselben  betrachtet  wurden.    So  weigerten  sich 
die  Ärzte   von  Bologna  i.  J.  1298,   einen   Collegen,   den   Sohn   eines 
dortigen   Bürgers,   in   ihre   Genossenschaft   aufzunehmen,    weil   er   in 
Sdemo  die  medicinische  Doktorwürde  erworben  hatte  und  noch  nicht 
30  Jahre  alt  war.   Derselbe  antwortete  selbstbewusst,  dass  er  den  Mangel 
an  Jahren  durch  Kenntnisse  ersetze.  ^ 

Zwischen  Paris  und  Montpellier  herrschten  bestandig  derartige 
Streitigkeiten,  und  ebenso  war  es  auch  an  anderen  Hochschulen.  Den- 
^Iben  wurde  erst  ein  Ende  gemacht,  als  bestimmt  wurde,  dass  die 
Doktoren,  wenn  sie  die  Aufnahme  in  eine  Facultat  nachsuchten,  von 
welcher  sie  nicht  ihren  akademischen  Grad  erhalten  hatten,  einige 
Prüfungen,  die  jedoch  in  der  Hauptsache  nur  eine  Formalitat  waren, 
ablegten  und  bestimmte  Taxen  bezahlten. 

Die  zur  Praxis  berechtigten  Ärzte,  welche  an  den  Universitäten 
ihre  theoretische  Ausbildung  erlangt  hatten,  zerfielen  also  in  die  Dok- 
toren und  die  Licentiaten,  die  sich  aber  nicht  durch  ihr  Wissen,  sondern 
lediglich  durch  den  Titel  unterschieden. 


Die  Chirurgie  und  Geburtshilfe. 

Nach  ihrer  Thätigkeit  sonderten  sich  die  Ärzte  in  solche,  welche 
iauptsächlich  innere  Krankheiten,  und  in  solche,  welche  äussere  Leiden 
behandelten.  Die  Trennung  der  Chirurgie  von  der  internen  Medicin 
bestand,  wie  früher  auseinandergesetzt  worden  ist,  schon  im  Alterthum. 
Sie  dürfte  sich  auch  nachher  während  der  ersten  Jahrhunderte  des  Mittel- 
alters erhalten  haben,  ohne  dass  jedoch  eine  strenge  Scheidung  der  Ver- 
treter dieser  beiden  Disciplinen  stattfand.  Wenn  sie  durch  ihre  Kennt- 
nisse und  ihre  Tüchtigkeit  einander  ebenbürtig  waren,  so  werden  sie 
sicherlich  auch  im  gesellschaftlichen  Leben  dasselbe  Mass  von  Achtung 
genossen  haben. 


MmrEBs:  Geschichte  der  hohen  Schulen,  Bd.  II,  8.  267. 


In  der  Studienordnun^  des  Kaisers  Friedrich  IL  wurde  diV 
sammengehuri^^keit  dieser  \mdtm  Theile  der  Heilkunsl  henorgehuh 
und  die  medicini^chen  Scbiilen  zu  Salerno  und  Montpellier  vridniet« 
der  (liinirsjie  im  Lebrplan  die  gebührende  Aufmerksamkeit  und  hi|.' 
deten  beide  Katep>rjen  der  Ärzte  aui%  Mau  bezeichnete  die  HeiU 
kündigten  als  mediri  phyffm  uuil  medm  chirm-gi  und  wollte  damit  ri«|.| 
leicht  andeuten^  dass  sie  eine  äquivalente  fachnirinni!*ebe  Ausliilduii^j 
hesassen.     Auch  wurde  der  Titel  Phjsici  anstatt  Medioi  gebraucht. 

Leider  vernachlässig:ten  später  die  meißten  Universitäten  nach  den! 
Vorgänge  von  Paris  den  Unterricht  in  der  praktischen  Heilkunde,  be.| 
sunders  in  der  ChimrjL^ne,  Da  gleichzeitig  den  Ärzten,  welche  den] 
geistlichen  Stande  angehörten,  die  Ausübung  der  Chirurgie  untem^J 
wurde,  so  stellte  sich  das  Bedürfniss  heraus,  dass  eine  Klasse  von  Hei 
kundigen  existire,  welche  die  Wundarzneikunst  zu  ihrer  besünde 
Aufgabe  machten*  Dazu  kam,  dass  die  Kriege  und  bestandigen  Fehdei 
zwischen  den  kleinen  Territorialh^rren,  die  Ki^uzzüge,  namentlich  ab 
die  grossen  Seuchen,  welche  im  Mittelalter  die  Länder  verheerten,  dpnl 
Beweis  lieferten,  dass  die  vorhandenen  Ärzte  weder  nach  ihrer  MI,] 
noch  nach  ihren  Kenntnissen  den  Bedürfnissen  genügten.  Diese  Uin^j 
Stande  begünstigten  die  Bildung  eines  chirurgischen  Standesi^  die  eiifent-] 
Üoh  erst  im  1 3.  Jahrhundert  deutlich  hervortrat,  ^ 

Derselbe  setzte  sich  zusammen  aus  Doktoren    und  Licentiat-en  dflij 
Medicin,    welche  hervorragende  Neigung  oder  Begabung  zur  Chirurgie 
'führte,  auÄ  Hrilküustlern,  denen  aus  religiösen  oder  socialen  l.triiiid« 
ilie  Erlangung  akademischer  ürade  versagt  war,   und  aus  jener 
von  Empirikern,   welche  sieh  eine  benierkenswerthe  Sicherheit  in  d« 
Behandlung  chirurgischer  Leiden  erwürben  hatten.     Er  barg  also 
mentü  von  sehr  verschiedener  wissenschaftlicher  t^ualität  in  sich. 

Die  Chirurgen  Italiens  und  Fninknnchs  standen  im  AUgemeineil 
den  Ärzten  ihrer  Heimath  ebenbürtig  zur  Seite,  Sie  besuchten  einiä 
Zeit  hindurch  die  Vorlesungen  an  der  Universität^  und  erwarben  m\ 
eine  allgeniein-wissenschaftliche  und  rachmfinnisehe  Bildung,  welche  den 
Forderungen  jener  Zeit  entsprach.  Viele  waren  zugleich  zur  Behand- 
lung der  inneren  Krankheiten  berechtigt  und  zeichneten  sieh  darin 
eben  so  sehr  aus  als  in  der  Chirurgie,  Die  Namen  eines  Huno  und 
TEODimiot)  BüKüüGNoNi,  BnuNu  VON  LüNüuniityo,  Wxr^umjtt 
Saijcktu,  Lanfhanohi,  Henei  de  MoNDEvUiLE,  Gut  von  Chait 


*  A.  OiUAfRLir;    Stiidii   sidP   esermio  rlelia  medidna  m  Itnü*  uegli  uldmi 
tre  Becoli  iloi  medio  ovo,  Miliinu  1885,  p.  5» 
"  Carri  a,  si,  O.  p.  U>9. 


fBVEB  ron  Aboelata,  Makcello  Cüman^o,  Leox.  Bebtapaqua  IL  A, 
gehöreii  zu  den  glänzenflsteo,  welche  die  chirurgische  Literatur  jener 
35eit  irie  die  Geschichte  der  Heilkunde  überhaupt  aufweisen  kann. 

Die  Pariüer  Chirargen  bildeten  schon  um  die  Mitte  des  13,  Jahr- 
bunderte  eine  Geno^^eniichafU  welche  sich  nach  dem  Master  der  medi- 
cinischen  Facnltat  organisirte.  Sie  wurde  nach  dem  hl,  Casmas,  welchen 
sie  lu  ihrem  Schutzpatron  wühlte»,  <las  CuUcge  de  St  ('tjme  genannt. 
Die  Mitglieder  desselben  hielten  regelmil^sige  Vejsamoilungen  ab, 
m  welchen  m  die  Standes-  und  Unterrichtsangelegenlieiten  l»esprachen, 
md  ertheilten  ihren  Schülern  Unterricht  in  ihrer  Kunst.  Der  letztere 
wie  es  scheint^  vorzugsweise  praktischer  Natur»  indem  die  Lehr- 
fioge  ihre  Meister  zu  den  Kranken  begleitjefcen  und  dort  dhi  chirurgischen 
Verrichtungen  kennen  lernten.  Lanfranchi,  welcher  am  <Jollege  de 
8t  r^me  lehrte,  fahrte  in  Gegenwart  seiner  Schüler  die  chirurgischen 
Operationen  aas  und  wurde  dabei  von  ihnen  unterstützt.  Auch  wohnten 
die  Schüler  den  öffentlichen  unentgeltlichen  Krrinkenordiiiatiünen  bei, 
welche  die  Mitglieder  des  College  abhielten,  und  besuchten  mit  ihnen 
(üc  Hosipitaler.  an  denen  ihre  Lehrer  angestellt  waren.  Einzelne  ver- 
sahen dort,  vielleicht  die  Funktionen,  welche  unsere  Heilgehilfen  und 
Kmoken Wärter  verrichten.  Ausserdem  wurden  sie  zu  anatomischen  De- 
monsirationen  zugezogen,  wenn  sich  dazu  die  Gelegenheit  bot. 

Die  Schüler  mussten  sich  am  Sehluss  ihrer  Studien  einer  Prüfung 
unterziehen;  schon  1254  verlangten  die  (Chirurgen,  dass  zu  diesem  Zweck 
£iaminatüren  ernannt  würden.  Ein  Edikt  Philipp  des  Schonen  v.  J. 
1311  be^timnit^,  dass  Niemand  die  chirurgische  Praxis  ausüben  dürfe, 
der  nicht  von  den  Meistern  für  tlihig  erachtet  und  \um  Leihchirurgen 
(tefi  Köniigis  die  Licenz  dazu  erhalt^^n  habe.^  Später  wurden  die  Stu- 
dJÄrenden  der  Chirurgie  genothigt,  an  der  Universität  den  Grad  eines 
MogUifr  firttftm  ZU  erwerben  und  einige  Vorlesungen  an  der  medici- 
ai/K;hen  Facultat  zu  hören. 

^^      Im  .1*  1416  wurde  das  ('ollcge  de  St.  Come  als  besondere  Facultat 

^B|r  Pariser  Hochschule  einverleibt 

^B^     Die  Zöglinge  desselben  erlaugten  somit  eine  wissenschaftliche  Aus- 

^öildttDgj  welche  keineswegs  hinter  derjenigen  der  Ärzte  zurückstand. 
Trotzdem  wurden  sie  ihnen  in  der  socialen  Rangordnung  nicht  gleich- 
IMChiei  Diese  Zurücksetzung  des  chirurgischen  Standes^  welche  zuerst 
in  Paris  zu  Tage  trat»  hatt^?  ihren  Grund  theils  in  dem  schon  erwähnten 
Lm^itande,  dass  sich  der  Klerus,  welcher  damals  im  geseüschaftüchen 
Üben  die  erste  Stelle  behauptete,  von  ihm  fern  hielt,  theils  darin^  dass 


:  De  la  fwcultt*  de  möd.  ii<-  Paris  *i.  ji.  ü,  ls::2. 


886 


Her  tncfimmmühfi   Ufüerrkkt  im   MiUrlaUe/\ 


äoh  onter  den  Berufsgenossen  der  Chirurgen   auch   viele  ungebi 

Leute   vun   niederem  Herkonmien    l>efandeii^   vor  Allem   aber  in 
Eifersfichteleien    und    Streitigkeiten    mit    der   raediciniscfaen    Fm 
welche  eine   unberechtigte    wissenschafiliche  Superic^rit/it  in    \m*^\ 
niihni. 

Der  Kampf  zvvisclien  tSen  Ärzten  und  den  Chirurgen   dauerte  Sj 
zum   Beginn  des    is.  Jahrhuiidert-s   und   wurde  mit  einer   Eihiuprun' 
geführt,  welche  auf  beiden  Seiten  bekkigenswerthe  Ausschreitnn 
Gefolge   hatt*e.     Die    medicinische  Fai^ultÄt   m   Paris   le^e   L  J.  laoo 
ihren  Mitgliedern  nnd  Studierenden  die  Verptiichtung  auf.  keine  Clnrun:iii 
auszuüben,   und   schloss  dieselben  aus,   wenn  sie  dieses  Verbot  übe^ 
tratren. '     ha   sie   bei   den    Chirurgen   zu   wenig  Demuth   und   L'nler- 
würügkeit  fand,  so  setzt«  sie  e:»  1372  durch,  dass  d*'n  Barbierera  Am 
Recht  ertheilt  wurde,  nicht  bloö  den  Aderlaß«  auszuführen^  sondern  iln 
ganze   sugenannte    kleine   Chirurgie    auszuüben    und    Geischwure   q^l 
Wunden  zu  behandeln,  su  hinge  i?ie  nicht  lebensgetahrlich  seien,   Chrigwfl 
mag  sich  auch  wohl  die  Nothwendigkeit  einer  Klasse  von  lleügehilti»« 
ergehen  haben,   welche  den  Ärzten  zu  jeder  Zeit  zu  Diensten  -^ 
nm  die  alltäglichen  niederen  chiriirgisichen  Verrichtungen  aur/u:.,i.ivii, 
denn  die  eigentlichen   Wundärzte  mit   faehniännii*cher  Bildung  waren 
selten  und  daher  sehr  *H*«chriftigt. 

Durch  diese  Einrichtungen  wurde  diettrenÄe  zwijjichen  den  Chinirgm! 
und  den  Barbierern,  welclie  wahrsfcheinÜch  niemals  unüb^r^teighar  wu« 
noch  mehr  verwischt.     Die  Pariser  mediciniBche  FacultÄt  war  beutrehi, 
tien  letzteren  die  Möglichkeit,  sich  zu  ('hirurgeti  heranzubilden,  m  tr- 
leichtern,    indem  sie  L  J.  1491   Vorlesungen  für  sie  eruöhete,    weifte 
in  französischer  Sprache  gf-balten  wnirden  und  die  verschiedenen  TheÜe 
der  Chirurgie  und  Openitianskunst  hehandelten.^     In  der  That  giiigtn 
auch  aus  dem  Stande  der  Barhierer  eine  grosse  Anzahl  von  Chirurgen 
hervor,  von  denen  sich  Einige  um  die  VervuUkommnung  der  Ueilktmsl 
unvergängliche  Verdienste  erworben  haben. 

In  den  übrigen  lüederu  des  christlichen  Europas  befand  sieh  die 
Chirurgie  auf  einer  niedrigeren  Stufe,  als  in  Italien  und  Frankreiok 
Wenn  der  Niederländer  Jehan  Ypehman  im  13.  Jahrhundert  und  da 
Engländer  John  Ahdebn  im  14,  Jahrhundert  ihre  Berutl^genoeseo  in 
der  Heimath  an  Wissen  weit  überragten,  so  verdankten  sie  dies  ledigUota 
dem  rmstunde,  dass  sie  ihre  fachmrlnni«che  Bildung  in  Frankreich  er- 


halten hatten. 


»  A.  F.  TfliKYi  Hlittoire  de  l^i^ucatioii  en  France,  Paria  18&Ö, 


Die  Chirurgie  u?td  Gthurishilfe, 


22T 


Spanien  soheinen  einige  Zeit  hindurch  güDistigere  Yerhalt- 
Ddea  zu   haben.     In   Saragossa   wurden   die  Ärzte  in  der 
1^  geprüft   and  erhielten  den  Titel  von  Medico-Chinirgen ;  eine 
KtmiehtUDg,  die  erst  i.  X  1585  autgehoben  wurde.  ^ 

Wekhe  Art  von  Heilkünstlern  in  Deutschland  die  Chirurgie  aus- 
e,  zi*igen  einige  Thatsachen,  die  aus  dem  Ende  des  12.  Jahrhunderts 
chtet  werden,  Ala  der  Markgral"  Dedo  von  Rochlitz  und  Groiz  den 
»r  Heinrich  VJ,  i.  J.  1190  nach  Italien  begleiten  sollte,  fürchtete 
ff  wegen  »einer  Dickleibigkeit  \\ws  heiase  Klima  und  die  Strapazen  der 
Reise  und  Hess  einen  Arzt  kommen,  der  ihm  ohne  Weitercis  den  Leih 
aQfschnitt  um  das  Fett  herauszunehmen.  Der  Markgraf  ging  au  dieser 
M»ltNftmen  Oi>eration  natürlich  zu  Grunde.- 

Der  Herzog  Leopold  V.  von  Österreich  brach  öich  i.  J.  1195  durch 
cmen  Sturz  vom  Pferde  den  Unterj^chenkel,  so  das«  die  Bruchenden 
Knochens  durch  die  Haut  hindurch  drangen.  Seine  Ärzt*3  behan- 
dten  ihn  mit  Ptlastem  und  Arzneien,  bis  der  Brand  eintrat  Sie 
ireigerten  sich^  die  Amputation  vorzunehmen,  obwohl  der  Patient  sie 
lerlaogte.  Einer  seiner  Diener  vollzog  sie  dann;  aber  der  Erfolg  war, 
me  vorauszusehen,  ein  ungünstiger.  Der  Herzog  starb  am  folgenden 
Tage,*  Verwegenheit  und  Feigheit,  <lie  lünder  der  Unwissenheit,  waren 
4ie  Eigenschaften,  welche  die  grosse  Masse  der  deutschen  Chirurgen 
Zeit  kennzeichneten. 

Selbst  die  ßündth-Erzney  des  deutschen  Ordensritters  Heinbich 
voK  PfoiitPEL^Ki/r,  des  hervorragendsten  Wundarztes,  welchen  unser 
Jf'iterland  im  15.  Jahrhundert  hervorgebracht  hat,  kann  sich  nicht 
den  chirurgischen  Werken  der  Italiener  und  Franzosen  messen; 
iem  m  war  eigentlich  nicht  viel  mehr  als  eine  Anleitung  zum  Ver- 
bimleu  und  Behandeln  der  Wimden  und  äusseren  S(*.hüden. 

Nirgends  vermochtre  sich  die  Chirurgie  während  des  Mittelalters 
m  der  Höhe  zu  erheben,  welche  sie  im  Alterthum  erreicht  hatte. 
A!'  '  finden  sich  in  den  Schriften  einzelner  Wundiirzte  Bemerkungen, 
«*  jH  richtige  Erkenntniss  der  Aufgaben  der  Chirurgie,  eine  vor- 

treffliche Beobachtungsgabe  und  eine  reiche  Erfahrung  liekunden;  aber 
4  Jfon  derselben  war  die  geistige  ünselbstständigkeit,   die  das 

.ilter  beherrschte, 
ron»,  BoEtiooKüNi  em[dahl  eine  möglichst  einfache  Behandlungs- 


^  V.  DK  1^  FiTEifTE  a,  ft.  O.  11,  p.  479. 

*  Chron.   tnont.  stiren,   ed.   Eckatein  im   Pro^.  d   latein.  Hauptscbule   zu 
Halle,  tUlLe  1844,  p.  bX 

•  WiUit  tf»  Niwbitrüh;  lliat.  rer.  Angl.  Hb.  V,  c.  8  in  Rer,  brit  med.  «evi 
W^  T.  Si,  Äbth.  2,  p,  482  u,  01,  London  1885. 

15* 


weise  \mä  wieg  auf  die  Heiliifip  p^-  primnm  hinJ  TTnter  «len  Blaw 
«tillunj?smitteln  wurde  von  Lanfranchi  u.  A,  auch  die  Unk*rbm<tnng 
erwähnt.  Derselbe  suchte  femer  die  Diaürnostik  der  Schädel -Fraktur<;ii 
zu  fikdei-n  mu\  heschrfuiktt^  die  Tropunatiim  auf  dlejeni^»n)  F;ill**,  in 
denen  dasUehirn  durch  eingcflrungene  Knochen-Fragmente  in  MitHiien. 
8i*hiift  gezogen  war.^  Guy  von  ('IIauuac  sehrieb,  liass  der  Verleüie, 
wenn  man  einen  MetallsUlj,  den  er  zwischen  den  Zähnen  halt,  beml 
einen  Schmerz  an  der  Ht^lle  des  Schädels^  wo  der  Bruch  ist,  empftn 
Kr  stallte  ebenfalls  die  Indicalionen  zm  Trepanation  fest  und  schild 
die  Ausfulirung  derselben.^ 

Der  Amputatiim  gmg  er  aus  dem  Wege;  trat  Brand  in  einer 
tremiliit  auf,  so  wartete  er^  bis  sich  derselbe  in  dem  xunäeh^l  gelft 
Gelenk  abgrenzte  und  sich  dOcS  Glied  von  selbst  ablost-e.*    Bei  der 
handlung  der  Fraktur  dea  Olierschenkels  wendete  er  die  dauernde 
tension  des  Gliedes  au,   die  er  durch  ein  Gewicht,    welches   an  eil 
über  Rollen  laufenden  Schnur  zog,  herbeizuführen  suchte.*    Die  Bmkn, 
die  zum  Verband  gel^rochener  Extremitäten  gebraucht  wurden,  \m\ 
man  vorher  mit  Eiweiss,  welches  nach  der  Gerinnung  eine  gewisse 
beweglichkeit  des  (tliedes  bewirkte.** 

Man  kannte  die  Schlundsonde  und  benutzt»^  sie  zur   künstlicl 
Ernäbrung.^ 

Fisteln   wurden   durch  die   Enzian wurzel  erweitert  oder  mit 
Messer  in  i^ffene  Wunden  umgewandelt/     In  der  Operation  der  Ma^' 
darmlist^ln    genoss  Jhun   Ahdeun    einen    grossen   Ruf,*'*      Die  Herriiei 
wurden    durch   an<iauernde    Hiickenlage   oder   durch   Bruchbänder 
handf*HJ"     Eine  wesentliche  Förderung  erfulir    die  Herniologie   dui 
tiFY  V.  CiiArLiAf\    wetcber    verschiedene   Fni-men    der    Hernien   ni 
ihren    Hrucbjdorten    nuterschied    und   die   Varicoc^le,    Hydrocele 
Sareocele  überhaupt  davon  absondertet'    Die  Radikalheilung  suchte  tm 


um 


'  Chirurj?.  TT,  t\  *JT,  •  Lakfrakohi:  ('hir.  parva,  c.  t. 

*  Guy  V.  Chaümac:  Ars  chirtirg.  tr.  III,  doctr.  2,  c«p.   1,  Venet  IM6. 

*  Gnv  V*  CuAtTLiAC  tt.  a.  0.  tr.  VI,  d,  1,  c.  8. 

*  GvY  w  CiiAtJUAc  H.  a.  <>.  tr.  V,  d.  1,  c»  7  fad  pethm  Uyo  pandiis  ph 
transaundo  chordam  super  parva m  pohgeam ;  itaqiie  tmehit  tihiam  in 
hf^tudim).  *  Grv  v.  CaAüLrAc-  a,  a.  fX  tr.  V,  d.  !,  c.  1. 

^  M,  C,  Brorkx:  La  Chirurgie  de  M,  J,  Ypermim  in  den  Anrml.  de  T« 
d'arcb^^ol  de  Bi'lgii|uc,  Anviirs  1803,  p.  12H~326, 

^  Gut  V.  CitAULiAc  ii.  n.  O.  trju't.  I¥,  d.  1,  c,  fj. 

"  A,  Gore  im  Dubbu  Journal  of  metÜcai  acience  1883,  p.  26^  u.  C 

*'  Bkoi-:k7c:  Ypermän  a.  a.  0.  p,  178* 

'^  Gl  v  v;  Chai  UAO  a.  a.  O.  tr.  VI,  d.  2,  c,  (i,  7.  —  E.  Auiviit:  Dil*  He 
b^gic  d.  Alton,  S.  lOl    n.  ff. 


eil  Atzungen  der  Brachpforte  nach  Reposition  der  vorgefallenen 
jeweiile  zu  erzielen.  Zu  der  Entfernung  des  Hodens^  welche  btji 
Scroul-Hernien  aniefewendet  wurde,  entschlossen  sich  nur  die  heröm- 
denden  Empiriker. 
Aach  der  Steinst'hnitt^  welcher  nach  dtr  Methodn  des  Celsus  aus- 
wnrde,  lag  in  den  Händen  von  Specialist^n  dieser  Art  Bei 
ren  dpr  Harnröhre  wurden  Bouofies  aus  Wachs,  Zinn  i>d<^r  Silber 
niucht.  Bei  Erkrankungen  der  Blase  und  lieim  TripfK-r  vt^rurdiiüte 
JoiiN  Abdebn  Einspritzungen» 

Einzelne  Beschreibungen  von  Ueschwüren  und  brandigen  Zer- 
störungen an  den  Gesehleehtslheilen  be/ii4ien  sich  niit  grusst^r  Wahr- 
»cli'^inlichkeit  auf  venerische  Affectionen.  Auf  die  älti*re  Geschichte  der 
Sjphili»,  von  der  man  lange  Zeit  irrthümlicher  Weise  annahm,  da^ss 
4%  mu  Ende  de.^  15.  Jalirhunderts  überhaupt  erst  entstanden  sei,  wirft 
die  Enählnng.  dassj  Yprrman  mit  einer  Quecksilber-Salbe  viele  „Aus- 
ß"  geheilt  habe,  ein  klärendes  Licht J  Übrigens  wurde  dieses 
ifl  dllinuls  häufig  bei  Geschwüren  und  Hautleiden  gHbraucht.* 
fei  ▼*  Ghattluc  gab  den  Rath,  hartnäckige  Geschwüre  durch  Auf- 
iner  Bleiplatte,  welche  mit  Quecksilbersalbe  l^estrichen  war,  zu 
öln.  Beim  naniiioin  empfahl  er  das  Glüheisen  und  df^n  subli- 
mjrtcD  Arsenik.^ 

Eine  bedeutende  Bereicherung  erhielt  die  Chirurgie  diocli  das 
Wi«?drniuflebi'n  der  plastischen  Üperatiunen^  welche,  wie  erwähnt,  schon 
im  Alt^rthuni  bekannt  waren.  In  Noreia  und  Preci  in  Calabrien  lu^- 
lehafügten  sich  die  Mitglieder  mehrerer  Familien  seit  Jrher  mit  der 
Ausführung  einzelner  chirurgischer  Operationen,  z,  B.  der  Bnichuperatiou, 
dem  Steinschnittj  der  Staaroperation  u.  a.  m.  Hier  tauchte  auch  die 
^-rete  Kenntniss  der  Hhinuplastik  auf.  Der  Wundarzt  Bkanca^  welcher 
im  Beginn  des  15.  Jahrhunderts  zu  Catania  in  Siciiien  die  Praxis  aus- 
übte» erregte  flnrch  die  Kunst,  fehlende  Nasen  und  Lippen  dnroh 
Htfrrtberziehen  benachbarter  Theile  der  Gesicht^^baut  zu  ersetzen,  be- 
f>schtigteÄ  Aufsehen.*  Auch  sein  &.^hn  Antonio  besass  darin  eine 
jfTDÄie  Oedchicklichkeit;  doch  wurde  später  statt  der  Haut  des  Gesicht» 
«iüt»  geeignete  Stelle  der  Haut  des  Oberarms  zum  Ersatz  des  Substanz- 
nflutftes  Terwendet      Dieses    0|»erationsverfahren    wurib«    allinälig   bei 


'  Bkoiucx:   Ypermao  a,  a.  O.  p.  145. 

'  Atumlen  von  Waverley  bei  Alp.  Corram:  Nuovi  dofumenti  jier  in  storia 
MU  tanlattie  veneree  in  Ann.  nmv.  di  med.  Md&ao  iaS4,  vol.  S69,  p,  269. 

*  Otrr  V.  Chaüijac  a.  a.  O,  tr.  IV,  doctr.  2,  c.  6. 

*  Barth,  Ficitre:  De  viris  üluirtr.  Floren t,  1745,  p.  38.  —  E.  Zrju:  üe»i'hichte 
I  liif.  Chirargie,  i.eipsig  1863,  S.  188  ir,  rf. 


230  Der  medicmische  Unterricht  im  MittelaUer. 


den  Chirurgen  bekannt  und  gelangte  sogar  nach  Deutschland,  wie  aus 
Pfolspeundt's  Buch  hervorgeht. 

Nicht  unerw'ähnt  darf  bleiben,  dass  man  bei  den  grossen  chirur- 
gischen Operationen  bereits  anästhesirende  Inhalationen  anwendete. 
Sie  wurden  zuerst  im  Antidotarium  des  Nicolaus  Praepositus  erwähnt; 
man  Hess  zu  diesem  Zweck  Lösimgen  narkotischer  Substanzen,  z.  B.  von 
Opium,  Hjoscyamus  u.  a.,  von  einem  neuen  Schwamm  aufsaugen,  der 
hierauf  an  der  Sonne  getrocknet,  vor  dem  Gebrauch  in  heisses  Wasser 
gelegt  und  dann  dem  Kranken  an  die  Nase  gehalten  wurde,  damit  die 
aufsteigenden  Dünste  ihn  in  einen  Zustand  von  Betäubung  und  Schmerz- 
losigkeit  versetzen.^ 

Die  Augenheilkunde  lag  grösstentheils  in  den  Händen  von  Em- 
pirikern, welche  mit  Salben  und  Medicamenten  die  Heilung  der  Krank- 
heiten des  Auges  versuchten.  Die  besten  Augenärzte  gab  es,  wie 
Ali.  Benedbtti  sagt,  im  Orient;*  von  dort  kamen  Einzelne,  wie 
Benyenutüs  Graphbüs,  nach  Europa  und  erzielten  durch  ihre  Kunst 
grosse  Erfolge.  Die  Staaroperation  wurde,  wie  im  Alterthum,  durch 
Depression  der  erkrankten  Linse,  ausgeführt;  Gut  v.  Chauliac  schreibt, 
dass  man  sie,  um  ihr  Wiederaufsteigen  zu  verhüten,  so  lange  damieder- 
halten  soll,  bis  man  drei  Vaterunser  oder  ein  Miserere  gebetet  hat* 

Noch  schlimmer  als  mit  der  Augenheilkunde,  stand  es  mit  der 
Geburtshilfe  im  Mittelalter.  Die  Arzte,  welche  dem  geistlichen  Stande 
angehörten,  durften  sich  nicht  damit  befassen,  damit  sie  vor  einer  un- 
ziemlichen Vertraulichkeit  mit  Frauen  bewahrt  wurden,  und  die  übrigen 
Heilkünstler  thaten  es  auch  nicht  Unwissenheit,  Bequemlichkeit  und 
andere  Ursachen  hielten  die  Arzte  ab,  Geburtshilfe  zu  treiben.  Sie 
wurden  zu  Gebärenden  nur  gerufen,  wenn  es  sich  darum  handelte, 
abgestorbene  Früchte  aus  dem  Mutterleibe  zu  entfernen  oder  die  nach 
der  Geburt  zurückgebliebene  Nachgeburt  zu  lösen.  Auf  diese  beiden 
Aufgaben  beschränkte  sich  im  Allgemeinen  die  ärztliche  Thätigkeit  auf 
diesem  Gebiet  Guy  v.  Chauliac  sagt  in  seinem  chirurgischen  Werk, 
dass  er  sich  dabei  nicht  lange  aufhalten  wolle,  weil  die  Geburtshilfe 
gewöhnlich  nur  von  Frauen  ausgeübt  werde. 

Allerdings  ist  in  dem  naturwissenschaftlichen  Werk  des  Thomas 
VON  Cantimpb*:,  sowie  in  dem  Breviarium,  welches  vielleicht  mit  Un- 
recht dem  Arnald  von  Villanova  zugeschrieben  wird,  von  der  Wendung 


*  Guy  V.  Chauliac:    Chirurg.,  tr.  I,  doct  1,  c  8.  —  A.  Corradi:  Eecursioni 
d*uii  medico  nel  Decamerone  in  Atti  dell'  istitato  Lombarde,  1878,  p.  127  u.  ff. 

*  A.  HnuscH:  Geschichte  der  Augenheilkunde  a.  a.  0.  S.  295. 

*  Guy  V.  Chauliac  a.  a.  0.  tr.  VI,  doctr.  2,  c.  2. 


JWß  Chirurgie  und  Qehurishiife. 


231 


»ttf  den  Kupf  und  die  ¥\i^m  die  Rede,  ^  und  auch  Guy  spricht  Yon  der 
Fmirandelung  der  äaomalen  Kindeälage  in  eine  normale;  aber  es  la»st 
ach  nicht  entscht*ideu,  inwieweit  diese  Bemerkungen  nicht  blos  auf 
Üterarischen  Reminii^cenzen^  sondern  auf  eigenen  Erfahrungen  beruhten. 

Dor  Kaiserschnitl  wurde  ansi^^efuhrt,  wenn  die  Schwangere  vor  der 
G^lMirt  starb,  um  wenn  möglich  das  Leben  des  Kinde.s  zu  retten.  xUich 
an  Lebenden  wurde  die  Operation  in  einzelnen  Fällen  unternommen. 
Schon  der  wegen  seiner  arztlichen  Geschicklichkeit  berühmte  Bischof 
Paull:»  voif  MjKRtDA,  welcher  im  (».  Jahrhundert  lebte,  entfernte  bfli 
eitter  Extra-Üterin-Schwangerschaft  durch  einen  Einschnitt  in  den  ünter- 
Wh  ein  abgetitorbenes  Kind.^  Im  J,  1350  wm*de  au  einer  schwangeren 
Fnwi  m  Medingen  in  Schwaben,  welche,  weil  sie  angeblich  drei  Hostien 
i;estohlen  hatte,  um  sie  den  Juden  zu  verkaufen^  zum  Tode  veruriheilt 
w»irden  war,   der  Kaiserschnitt  vollzogen,  bevor  sie  verbrannt  wurde. ^ 

Die  Geburtshilfe  lug  hauptsächlich  den  Hebammen  ob^  welche  auch 
die  bei  der  Geburt  erforderlichen  mauuelien  Eiugriö'e  unternahmen. 
Ihre  Ausbildung  geschah  wahrscheinlich  handwerksmassig.  Ihre  me- 
dicinischen  Kenntnisse  waren  sehr  verschieden  in  den  einzelnen  Ländern. 
In  Itaüen  und  Frankreich  erhoben  sich  Einzelne  derselben  zu  Ärztinnen, 
deren  Wissen  sich  über  die  gesammte  Heilkunde  erstreckte;  in  Deutscb- 
Imd  waren  sie  selten  mehr  als  geübte  Wartefrauen,  welche  in  der 
OebartiKhilfe  einige  Erfahrungen  gesammelt  hatten. 

Pnlfimgen  wurden  Anfangs  nicht  von  ihnen  verlangt  Über  ihre 
Befähigung  urtheilte  die  öflentüche  Meinung,  welche  in  diesem  Falle 
durch  die  angesehensten  Frauen  des  Ortes  vertreten  wurde.  Dieselben 
AiulA'n  auch  eine  gewisse  Aufsicht  üiier  die  Hebammen.  Spfiter  standen 
die  letzteren  unt^r  den  Siadtärzten,  wek-he  sie  über  ihre  Kenntnisse 
enminlrten.  Um  die  Mitte  des  15.  Jahrhunderts  begannen  einzelne 
Mdte  in  Deutschland^  Hebammen  anzustellen.  Ihre  Besoldung  war 
freilich  nicht  bedeutend;  so  erhielt  die  erste  Stadt- Hebamme  in 
Ffttkftirt  ft-  31  jährlich  vier  Gulden,  und  von  den  übrigen  jede  zwei 
Orfden,* 


*  Armaüp  V,  ViLLANovji:  Hrrvtanum,  Hb.  Ol,  v.  4. 

*  C.  F.  liic;aisr<i£it  im  Janu8  I,  IM  u,  C 

*  G.  Lamxert:  Volksmediciu  u-  medicm.  Aberglaube  in  Bayern,  Würzburg 
IMS,  8.  12. 

^  iU[a(»K  a.  a.  0.  I,  14 


232  Der  medidnisdie  Unterrichi  im  Mittelalter. 


Der  ärztliche  Stand  und  die  medioinisohe  Literatur 

jener  Zeit. 

Ausser  den  Ärztea  für  innere  Krankheiten,  den  Chirurgen  und 
Augenärzten  gab  es  Zahnärzte  und  Specialisten  für  verschiedene  innere 
und  äussere  Leiden.^, 

Die  Barbierer  und  Bader  waren  eben&lls  zu  gewissen  ärztlichen 
Verrichtungen  berechtigt.  Sie  unterschieden  sich  in  den  ersten  Jahr- 
hunderten des  Mittelalters  von  einander  und  verschmolzen  erst  später 
zu  einer  Zunft.  Die  Bader  waren  damals  zahlreicher  als  heut,  weil 
die  Sitte  des  Badens  allgemeiner  verbreitet  war.  Jede  Stadt,  ja  sogar 
viele  Dörfer  hatten  öffentliche  Bäder.  Frankfurt  a.  M.  besass  im  J.  1887 
wenigstens  15^  und  zählte  unter  seinen  Bürgern  29  Bader;  Mainz  hatte 
im  14.  Jahrhundert  4,  Würzburg  im  15.  Jahrhundert  8,  Ulm  11,  Nürn- 
berg 13,  Augsburg  17  und  Wien  29  öffentliche  Bäder.  ^ 

Zu  diesem  zur  Heilkunst  durch  die  gesetzlichen  Verordnungen 
mehr  oder  weniger  legitimirten  Heilpersonal  traten  noch  andere  Kate- 
gorien, welche  das  Herkommen  als  Hechtstitel  für  diese  Beschäftigung 
betrachten  durften.  Hierher  gehörte  zunächst  der  Scharfrichter  und 
zwar  nicht  etwa  in  dem  Sinne,  dass  derselbe  durch  seine  Berufsthätig- 
keit  allen  Leiden  des  Menschen  in  summarischer  Weise  ein  Ende  machte 
sondern  der  Henker  verrichtete  in  der  That  ärztliche  Dienste,  indem 
er  die  Wunden,  welche  die  Folter  geschlagen  hatte,  behandelte,  die 
ausgerenkten  Glieder  wieder  einrichtete  u.  a.  m. 

Die  Ausübung  der  ärztlichen  Praids  war  allerdings  in  den  meisten 
Ländern  nur  Denjenigen  gestattet,  welche  durch  erfolgreiche  Prüfungen 
ihre  Befähigung  dazu  nachgewiesen  hatten.  In  Paris  wurde  die  Kur- 
pfuscherei schon  L  J.  1220  verboten.  Übertretungen  dieses  Gesetzes 
wurden  streng  bestraft,  wie  die  Akten  eines  darauf  bezüglichen  Pro- 
zesses V.  J.  1311  beweisen.^  Es  kam  sogar  zur  Excommunication. 
Auch  in  Wien  wurden  Leute  dieser  Art  vom  Empfang  der  Sakramente 
ausgeschlossen.*    Gleichwohl  fehlte  es  nicht  an  Kurpfuschern  beiderlei 


*  Chiaprlli  a.  a.  0.  p.  7  u.  AFI  —  S.  de  Benzi:  Storia  docum.  della  scuola 
med.  di  Salerno,  p.  559. 

«  Kmeok  a.  a.  0.  II,  15  u.  ff. 

'  Gr.  Zappebt:  Über  das  Badewesen  mittelalterlicher  und  späterer  Zeit  im 
Archiv  für  Kunde  österr.  Geschichtsquellen,  Wien  1858,  Bd.  21.  —  R.  Hoffmann: 
Die  Augsburger  Bäder  und  das  Handwerk  der  Bader  in  d.  Zeitschr.  d.  histor. 
Vereins  f.  Schwaben,  1886,  Jahrg.  12. 

*  Hazon  a.  a.  0.  »  Rosas  a.  a.  0.  I,  124  u.  ff. 


Dar  ärzilich£  Siand  umi  die  medwiniscJie  LUeraiur  jener  Zeit,       233 


ßeischlechts.  tTbrigem»  kam  m  nicht  seltan  vor^  dass  Empiriker,  welche 
keine  systematische  medicinische  Ausbildung  erhalten  hatten,  von  hohen 
Herren  and  Behörden  Zeugnisse  und  Diplome  empfingen,  wenn  sie 
Erfolge  in  der  Hoilkunst  erzielten,  und  Mangel  an  Ärzten  herrschte. 

Übear  die  Hohe  der  ärztlichen  Honorare  lä^st  sich  ein  uogetahres 
Crtheil  fallen  ^   wenn    man   die   ge^^etzlichen  Taxen,   die   in   einzelnen 
Öftren  bestanden,  in  Betracht  zieht.   Darnach  wurde  im  14.  und  15.  Jahr- 
hundert zu  Venedig  für  jede  ärztliche  Visite  bei  alltäglichen  Krank- 
heiten 10  Soldi  gezahlt;  in  Mailand  durfte  der  Arzt  für  jeden  Tag  der 
Behandlung  12 — 20  Soldi,  für  einen  Besuch  in  der  Nacht  einen  Du- 
kaieHy   und   ausserhalb  der  Stadt  für  jeden  Tag  4— tJ  Lire  fordern.^ 
John  Aädhbn  verlangte  für  die  Operation  der  Mastdarmtistel  ein  Ho- 
norar von  mindestens  100  Gold-Sols.    Reiche  und  vornehme  Patienten 
beschenkten  Uire  Ärzte  mit  grossen  Summen  und  Landgütern,  wälirend 
Annen   ihre   Schuld   durch  ein  Paar   Hühner,   durch    Eier,   oder 
ichle  abzutragen  suchten.^ 
Aach  die  Besoldungen,  welche  die  Leibärzte  und  Stadtarzte  be- 
fugen, zeigen,  wie  hoch  die  ärztlichen  Dienste  damals  geschätzt  wurden. 
Die  Herzöge  von  Savoyen,    welche  bekanntlich  nicht  zu  den  reichen 
Fürsten  gehorten,  gaben  ihren  Leibärzten  einen  jährlichen  Gehalt  von 
40  bis  60  Oulden;  am  Hofe  zu  Neapel  erhielten  sie  dagegen  100  bis 
3(X3  Dukaten.     In  Prag  wurde  den  küniglichen  Leibärzten   der  Niess- 
uch mehrerer  Landgüter  eingeräumt. 
Das  Institut  der  Arduatri  populäre,  der  besoldeten  Stadtärzte,  wie 
t»  im  Alterthum  bestand,  hat  sich  in   manchen  Städten  Italiens  wahr- 
sdieinlich    ohne   Unterbrechung  durch  da«  ganze  Mitteialter  erhalten. 
Die  Ostgothen  und  Longobarden  übernahmen  es  von  den  Römern  und 
'  'lieferten  es  vielleicht  unverändert  ihren  Ntichfolgern  in  der  Herr- 
1  Italiens, 

In  Rom,  ebenso  wie  in  Däneniark  und  Schweden,  war  der  Name 

(jhiater    als  Titel    für    einen    höheren  Medicinalbeamten    bis   in    die 

leste  Zeit  üblich. 

Die  Stadtarzte  hatten  di«'  PÜicht,  die  j>tadtischen  Beamten,  sowie 

en  der  Stadt  unentgeltlich  zu  behandeln,  den  ärztlichen  Dienst 

stadtischen  Krankenhäugern  zu  versehen,  den  Gerichl^ljehörden 

^  Sachverständige  zur  Seite  zu  stehen  und  in  Kriegszeiten  die  Bürger 

Feld  zu  begleiten;   ferner  führten  sie   die  Aufsicht  über  die  Apo- 

n  find  nfiV'ntlit  hen  HTnisMr  und  leiteten  die  öttentliche  Geiiundheits- 

'  Cllf  AFÜLLl  II.  a*  U.  p.  29. 


234  Der  medieinische  Unterrkht  im  MütdaUer, 


pflege.  Später  übernahmen  sie  an  manchen  Orten  auch  den  Unterricht 
des  niederen  Heilpersonals  und  examinirten  dasselbe. 

In  Venedig  gab  es  12  Arzte  und  12  Chirurgen,  welche  von  der 
Stadt  angestellt  waren;  davon  empfingen  die  ersteren  Jahrgelder  von 
15  bis  zu  100  Dukaten,  die  letzteren  von  10  bis  130  Dukaten.  Selbst 
kleinere  Orte  widmeten  diesem  Zweck  in  ihrem  Ausgaben-Budget  eine 
bestimmte  Summe.  Treviso  zahlte  seinen  drei  Communalärzten  728  Lire 
jährlich,  Conegliano  den  Ärzten  350,  den  Chirurgen  250  Lire,  und 
Palermo  bewilligt«  den  beiden  dortigen  Stadtärzten  50  Goldunzen 
jährlich.  ^ 

In  Deutschland  wurden  erst  im  14.  Jahrhundert  Communalärzte 
angestellt.  In  einer  Verordnung  des  Kaisers  Siegmund  v.  J.  1426 
heisst  es:  „Es  soll  in  jeder  Reichsstadt  ein  Meister-Arzt  sein;  der  soll 
haben  hundert  Gulden.  Die  mag  er  niessen  von  einer  Kirche.  Und 
soll  männiglich  arzneien  umsonst  und  soll  seine  Pfründt  verdienen 
ernstlich  und  getreulich."  ^  Frankfurt  a.  M.  hatte  1348  einen  Stadt- 
arzt, welcher  die  Kleidung  und  10  Malter  Kom  erhielt;'  später  gab 
es  deren  drei,  deren  Besoldungen  sich  zwischen  10  und  100  Gulden 
bewegten. 

Auch  für  das  Militär,  die  Hospitäler,  die  Klöster  und  für  einzelne 
Geföngnisse  wurden  Arzte  gehalt-en,  welche  eine  bestimmte  Besoldung 
erhielten. 

Die  Arzte,  wenigstens  die  Stadtarzte,  genossen  an  vielen  Orten 
Steuerfreiheit  und  andere  Vorrechte.  Einige  erhielten  von  den  Städten, 
in  denen  sie  sich  niedergelassen  hatten,  kostenfrei  das  Bürgerrecht  In 
gesellschaftlicher  Beziehung  standen  sie  im  Range  der  Adeligen. 

Die  Mitglieder  des  ärztlichen  Standes  gehörten  grösstentheils  den 
wohlhabenden  Klassen  an;  man  findet  unter  ihnen  z.  B.  die  Namen 
der  vornehmsten  Familien  Italiens  vertreten.  Dagegen  gingen  die 
Chirurgen,  namentlich  in  Deutschland,  wohl  vorzugsweise  aus  den  ärmeren 
Ständen  hervor. 

Ungemein  zahlreich  waren  die  Juden  unter  den  Ärzten,  Als 
während  der  ersten  Jahrhunderte  des  Mittelalters  das  medicinisohe 
Studium  in  den  christlichen  Staaten  des  Abendlandes  damiederlag,  war 
es  ihnen  vergönnt,  durch  die  Berührung  mit  der  arabischen  Cultur 
und  aus  den  Forschungen  gelehrter  Rabbiner  Belehrung  zu  schöpfen. 
Es  war  daher  nicht  wunderbar,  dass  sie  ihre  christlichen  Zunfbgenossen 


*  Chiapelli  a.  a.  0.  p.  22.  31. 

'  Moehsen:  Geschichte  der  Wissenschaften  in  Brandenburg,  Berlin  1788, 
S.  564.  —  P.  Frank:  System  der  medicin.  Polizei,  Wien  1817,  VI,  1,  S.  174. 

•  Kbieok  a.  a.  0.  S.  8. 


Wiss^  und  Geschicklichkeit  Qliertrafen.  Bo  kam  es,  dass  sie.  be- 
aders  in  jenen  Ländüm,  in  denen  wie  z.  B.  in  Deutschland,  die 
Heilkunst  am  meist^en  verna«*hlas8ifft  warde,  die  gesuchtesten  Ärzte 
mirden. 

Nicht  hlüs  Fimtfn  nnd  regierende  Herren,  selbst  Bischöte  und 
Pähste  hatten  jüdische  Leibärzte;  in  den  meisten  Klöstern  waren  Juden 
Ärzte  angestellt,  wie  Abnali»  vnx  Villanova  i^ohreibt,^    In  Prag 

im  12.  Jahrhundert,  fast  die  ganze  ärztliche  Praxis  in  den  Hunden 
jiidisrhfr  Ante;  ähnlich  scheint  es  in  Avignon  gewesen  zu  sein.*  In 
Frankfurt  a.  M.  war  i.  J.  1574  Auam  Loniceufs  der  ranzige  christ- 
hche  Arzt:  seine  durtigen  Gediegen  gehörten  sämmtlich  dem  israelitischen 
«ilauben  an,'  Es  erklärt  sich  dies  zum  Theil  daraus,  dass  den  Juden 
^ie  meisten  übrigen  gelehrteTi  Carrioren  rerschlossen  waren.  Allerdings 
urde  auf  mehreren  Kirchen-Concilien  bestimmt,  daas  die  Christen 
kerne  judischen  Ärzte  zu  Rath  ziehen  sollten;  aber  die  (teistlichen 
»hrten  sich  selbst  nicht  an  dieses  Verbot,  Auch  hatte  es  keine  Geltung, 
Iri'nn  an  dem  Ort  gar  kein  uder  wenigstens  kein  tüchtiger  Arzt  des 
''bri^tlieben  Glaubens  vorhanden  war. 

Als  die  Wolfen  der  religiösen  Leidenschaften  hoher  gingen,  und 
dii»  Judenverfolgungen  begannen,  machten  sich  die  Folgen  auch  auf 
diesem  Gebiet  bemerkbar  In  den  Statuten  der  medicinischen  Pacultat 
1^1  Ir*  '    V.  J.  1472  wurde  den  christlichen  Ärzten  Terboten,  mit 

ihren  .,  . ..  u 'U  CoUegen  (Vinsüien  abzuhalten,*  und  in  der  Hebammen- 
<Mnung,  welche  1451  zu  Regensburg  erlat^sen  wurde,  heisst  es,  dass 
<lie!»lben  zu  jeder  ihrer  Hilfe  bedürftigen  Frau  gehen  sollen,  ,,nur  allein 
/n  e'iner  Jüdin  sollen  sie  nit  kommen**,* 

Der  Klerus  wurde  ?on  der  Ausübung  der  amtlichen  Praxis  sowohl 
iltirch  die  Gesetze  der  Kirche  als  durch  die  zunehmende  arztliche  Con- 
«^arrenz,  welche  ihm  seit  der  riründung  di*r  Universitäten  entgegentrat, 
mehr  und  mehr  zurückgeschreckt  Auf  den  Concilien  zu  Rheims  (1131), 
im  Utenin  (11391,  zu  Montpellier  (1162),  Tours  (1163),  Paris  (1212), 
im  Lateran  (1215)  und  durch  die  Decretalen  der  Pabste  Alexander  lU. 
(1180)  und  Honorius  IIL  (1219)  wurde  den  Geistlichen  untersagt^  ärzt- 
hebe  Praxis,  besonders  Chirurgie,  zu  treiben, 

Diet^es  Verbot  wurde  wahrscheinlich  nicht  befolgt,  weil  es  so  oft 

•  GüDBHi?<K'  Goecliiclite  des  Erziehungswcacnfl  der  Jud*^n,  Wien,  I,  S.  155. 

•  J,  r.  U Afixen  in  der  Pm^^er  Vierteljahraachrift  1866,  Hd.  *^0.   —  G.  Bayle 

•  W.  SnuacKu:  Geschichte  der  Heilkunde  in  Frankfurt  »i.  M..   1847,  S.  68. 

•  P&ABTL   a.  Ä.  0.   n,    47, 

L*  G,  LAHitinrr:  Gescliichte  des  bür^erliehen  Li^b«ii^,  Reg«üdburg  t880,  8,  2S9. 


236  Dei'  niedicini^die   Unterricht  im  MittelcUter. 


wiederholt  werden  musste,  jedenfalls  aber  häufig  umgangen,  wozu 
Stipendien,  Dispensationen^  und  manche  andere  Einrichtungen  sogar 
direkt  aufforderten.  Immerhin  wurde  soviel  erreicht,  dass  sich  die 
Geistlichen  wenigstens  von  der  Ausführung  chirurgischer  Operationen 
und  der  Behandlung  der  Frauen  fernhielten.  Dagegen  blieb  das 
medicinische  Lehramt  an  manchen  Hochschulen  noch  lange  Zeit  in 
ihren  Händen.  Es  lag  dies  daran,  dass  mit  den  Lehrstellen  zuweilen 
Pfründen  verbunden  waren,  deren  Genuss  den  geistlichen  Charakter 
ihres  Inhabers  zur  Voraussetzung  hatte.  So  war  z.  B.  der  Professor 
der  Medicin  an  der  Wiener  Universität  H.  Lubcz  zugleich  Pfarrer  von 
Hohlfeld  in  Bayern;  er  hielt  sich  dort  einen  Vikar,  während  er  selbst 
in  Wien  die  Lehrthätigkeit  ausübte.* 

In  Folge  dieser  Verhältnisse  wurde  auch  an  vielen  Universitäten 
das  Cölibat  von  den  Lehrern  der  Medicin  gefordert  Als  L  J.  1479  der 
Kurfürst  Philipp  einen  Laien  als  Professor  der  Heilkunde  in  Heidel- 
berg anstellen  wollte,  protestirte  die  Hochschule  dagegen,  weil  er  kein 
Kleriker  war.  Es  wurde  erst  durchgesetzt,  nachdem  der  Pabst  i.  J.  1482 
gestattet  hatte,  dass  auch  Laien,  sogar  verheirathete,  zu  Professoren  der 
Medicin  ernannt  wurden.  ^ 

In  Paris,  wo  man  das  Cölibat  so  streng  beobachtet  hatte,  dass 
dem  Jean  de  Pois  i.  J.  1395,  weil  er  sich  verheirathet  hatte,  sogar 
die  Licenz  entzogen  wurde,  wurden  diese  Bestimmungen  durch  den 
Cardinal  d'Estout^ville  1452  aufgehoben.  An  manchen  Orten  setzte 
man  sich  stillschweigend  darüber  hinweg  und  gewährte  in  solchen 
Fällen  auch  Pfründen  an  Bewerber,  welche  nicht  allen  Vorschriften  der 
kanonischen  Gesetze  zu  genügen  vermochten.^ 

Der  Klerikalismus  machte  sein  Übergewicht  auf  allen  Gebieten 
des  öffentlichen  und  privaten  Lebens  geltend.  Er  blickte  aus  allen 
geistigen  Bestrebungen,  welche  die  Periode  der  Scholastik  erfüllten, 
siegesgewiss  hervor.  Auch  die  naturwissenschaftliche  und  medicinische 
Literatur  wurde  davon  beherrscht.  Sie  diente  ebenfalls  nur  dem  einen 
Zweck,  die  Wissenschaft  zur  Begründung  und  Stütze  des  theologischen 
Dogma  zu  machen. 

Die  naturwissenschaftlichen  Werke  des  13.  Jahrhunderts  trugen 
einen  encyklopädischen  Charakter.  Die  hervorragendsten  Autoren  waren 
der  Dominikanermönch  und  spätere  Bischof  von  Regensburg  Albebtijs 


^  A.  CoRRADi  in  Bend.  d.  R.  ist  Lomb.  1S78,  ser.  II,  v.  VI,  p.  863. 
'  AfiCHBACH  a.  a.  0.  I,  S.  410. 
3  J.  F.  Hautz  a.  a.  0. 

*  Paulsen  in  Sybkl's  histor.  Zeitschr.  Bd.  45,  S.  310.  434.  —  Hefklb:  Con- 
ciliengeschichte  VII,  855. 


Der  ärzilkM  ^and  und  du  mtdimninriht  LUfratur  jener  Zeit,       237 

3S,  der  llmorit  BabthoIiOmäus  Anolicus,  die  Franzosen  Thomas 
vcix  CaktimphK  und  Vincbnz  von  Bbauvais,  die  Italiener  Brüketto 
LiToa,  der  Lehrer  Dante's,  und  RisTOBin  d^Are^^zo  und  der  Deutsche 
KtTXRAT  VON  Megenbekg;  auch  die  vnn  Mönchen  des  Klosters  Mainau 
fftrfiisste  Naturlehre  gehört  hierher. 

Die  eigentliche  ärztliche  Literatur  liereri»-  hauptsächlich  Erklärung^- 
»shriflen  zu  den  Werken  der  Alten  und  der  <lurch  lateinische  Über- 
Mzangen  bekannten  anibi.schen  Schriftsteller  Dieser  Art  waren  die 
Arbeiten  von  Tabheo  Alderotti^  genannt  FLORENTnorfi.  Dtno  und 
ToMMAHd  DI  Garbo y  Bartolomeo  Varignaka,  Tuhhigiano,  Giacomo 
uEhUL  TtjRHK,  Giovanni  und  Marsilio  di  S.  Sofia,  Giacomo  »e  Dondi, 
Fmakcesgo  DJ  PrKBtMONTE  Und  Jacques  Dei^par^  aus  Touma3^ 

Kurze  für  den  Unterricht  der  .Studierenden  und  den  Gebrauch  der 
Änt*  i»f  rechnete  Auszüge  der  umfangreichen  therapeutischen  Werke  der 
iber  und  gedrängte  Zusammenstellungen  der  gebräuchliehsten  Heil- 

ri  entspHUrhen  den  Bedürfnissen  des  Tages,  Hierher  gehören  der 
sanaiionis  des  Sjmük  von  Genta,  die  medicinisehen  Pandekten 
*'to  Matthäus  Sylvattcith,  der  Aggregafor  Brixinmta  des  GüOLrEiiMo 
Cosn.  die  medicinisehen  Compendien  des  Gilbertcs  ANOLicrs  und 
im  Schotten  Gorim^n.  und  die  Schriften  des  Johann  von  Tornamira. 
des  Portugiesen  Valescüs  von  Taranta,  des  Florentiners  Niccolo 
FAwnjcxn^  des  Michele  Savonarola,  Antonio  GrAiNERi  u.  A. 

Einen  unabhängigeren  St^mdpunkt  nahm  der  durch  seine  natur- 
wisi^nschaftlichen  Kenntnisse  hervorragende  Peter  von  Abano  ein. 
welcher  in  seinem  CorteiUator  tliffermtiamm  eine  strenge,  zuweilen  zer- 
si^lzende  Kritik  der  damaligen  Theorien  der  Heilkunde  lieferte.  Um 
dieselbe»  Zeit  traten  der  Engländer  Roger  Bacon  und  der  Catalonier 
^Ai*D  VON  ViijLanova  für  die  Freiheit  der  Forschung  ein  lunl  er- 
Irtcn,  dass  die  Xaturwissensehaften  und  die  Medicin  nur  allein  durch 
die  Beobachtung  und  die  Erfahrung  eine  sichere  Grundlage  erhalt-en. 
Sie  bahnten  dadurch  eine  selbststandigere  Richtung  in  der  Heilkundig 
an^  welche  sich  in  den  Schriften  ihrer  Anhantrer,  besonders  an  den 
Heholen  zu  Montpellier  und  Prag,  kund  gab  und  sich  auch  in  den 
17*'  TiMU  Sammlungen  von  Krankengeschichten  äusserte,  welche  im 
fl  15.  Jahrhundert,  verfasst  wurden.    Bei  allem  Festhalt-en  an  den 

benähenden  Lehren  brachten  sie  doch  manche  werthvolle  eigene  Be- 
pbacbton^,  welche  eine  Bereicherung  der   medicinisehen  Wissenschaft 


Kidete. 


8o  beüchrieb  Huoo  Bencio  Falle  von  periodischem  Wahnsinn, 
rhot»  und  Syphilis.  Matteo  Ferrari  i»e  Gradiiuts  behandelte 
dtiitf-n.  di^r  :im  Srbiriljkrampf  litt,  und  beobachtete  die  mit 


238  Der  tnedwhmclie  UnterricfU  im  Mittelalter, 


Verzerrung  des  Gesichts  verbundene  Lähmung  des  N.  Facialis,  Hallu- 
cinationen  des  Gesichts  und  hartnäckigen  Speichelfluss.  Bayebius  be- 
richtete über  einen  Paralysis  der  oberen  Extremitäten  mit  Störung,  der 
Sprache  und  Gedächtnissschwäche,  welche  angeblich  nach  einer  heftigen 
Halsentzündung  zurückgeblieben  war.^  Henbi  de  Mokdeville  und 
Guy  von  Chaüliac  sahen  Fälle  von  Verletzungen  des  Gehirns  mit 
Verlust  von  Substanz  desselben,  ohne  dass  dauernde  geistige  Störung 
eintrat.* 

Gleichzeitig  mit  dem  Wiederbeginn  einer  selbstständigen  Eranken- 
beobachtung  wurde  ein  regeres  Studium  der  Anatomie  und  ein  erfolg- 
reicher Aufschwung  der  Chirurgie  vorbereitet,  wie  ich  an  einer  früheren 
Stelle  auseinandergesetzt  habe.  Auch  andere  Zweige  der  Heilkunde 
wurden  gefordert;  es  entstand  eine  durch  den  Reichthum  ihrer  Erzeug- 
nisse bemerkenswerthe  balneologische  Literatur,  welche  die  meisten  der 
damals  bekannten  Bäder  in  Betracht  zog.  Auch  Deutschland  war 
darunter  vertreten;  der  Nürnberger  Barbier  und  Meistersänger  Hanns 
FoiiZ  verfasste  l  J.  1400  ein  „Büchlein  von  allen  Bädern,  die  von 
Natur  heiss  sind." 

Daneben  erschienen  besonders  in  Deutschland  auch  viele  populäre 
medicinische  Schriften;  es  waren  dies  für  den  häuslichen  Gebrauch 
bestimmte  Receptsammlungen  oder  diätetische  Verhaltungsmassregeln^ 
die  nach  dem  Muster  des  Regimen  ScUemitanum  bearbeitet  waren,  wie 
das  Arzneibuch  des  Oktolf  von  Bayerland,  der  Mainzer  Gesundheits- 
garten u.  a.  m. 

Das  Mittelalter  war  somit  in  geistiger  Beziehung  keineswegs  co 
öde  und  unfruchtbar,  als  es  von  manchen  Schriftstellern  dargestellt 
wird.  Es  herrschte  ein  reges  Leben  auf  allen  Gebieten  der  intellektuellen 
Thätigkeit.  Wenn  die  Ergebnisse  derselben  nicht  den  Mühen  und 
Arbeiten,  welche  aufgewendet  wurden,  entsprachen,  so  lag  dies  daran, 
dass  die  letzteren  eine  falsche  Richtung  verfolgten  oder  auf  ihrem  Wege 
Hemmnisse  fanden,  die  sie  nicht  überwinden  konnten.  Das  Joch  der 
Scholastik  lastete  auf  der  Wissenschaft,  und  die  Autorität  der  Kirche 
wies  ihr  Ziele  an,  welche  ihrem  Wesen  fem  lagen  und  unerreichbar 
waren. 


^  Ch.  Daremberg  a.  a.  0.  I,  p.  338  u.  Ö*. 

'  Guy  V.  Chaüliac  a.  a.  0.  tract.  HI,  doctr.  1,  c.  1. 


^m-^mellicinisclie  Untern (^f^fiTfleFl^ 


Der  Charakter  des  16,  Jahrhunderts, 

.lemehr  das  Wissen  sich  vennelirte  und  yerbreitet«,  desto  mebr 
Imh  sich  «üe  Überzeu^ng  Bahn,  diiss  der  Gredatike  von  den  Fesseln, 
wdche  ihn  darnieder  hielten,  erlöst  werden  müsse*  Wa.s  im  13.  Jahr- 
hirodert  nnr  von  wenigen  auserlesenen  Geistern  ^^efühlt  und  kühn  und 
tiDerschrocken  verkündet  worden  war,  erfüllte  am  Schluss  des  15.  Jahr- 
iönderts  die  Herzen  aller  Gebildeten,  Der  Drang  nach  Freiheit  und 
Mbötetändigkeit  machte  sich  auf  allen  Gebieten  des  geistigen  Lebens 
gcileod  und  bildete  in  der  Kunst  wie  in  der  Wissenschaft^  in  der  Re- 
ligioD  wie  in  der  Politik  den  Grundton,  der  überall  hindurchklang. 

Mächtige  culturhistorische  Bewegungen,  wie  diejenigen  des  10,  Jahr- 

honderts,  entstehen  nicht  plötzlicli,  sondern  sind  die  Frucht  einer  langen 

wfbereitenden  Thätigkeit     Sie  bestehen  längst,    bevor  sie  in  die  Er- 

iichanuog  treten,    der  oberflächlichen   Betrachtung  entzogen   und   nur 

im  kundigen   Auge   erkennbar.     Gleich   den   Keimen    der  Pflanzen, 

'  |j    den   Erdboden    erfüllen,    reifen   sie  in  der  Verborgenheit   und 

11' 11  herv'or,  wenn  ihre  Zeit  gekommen  isL 

Die   Wurzeln   der  reformatorischen   Bestrebungen   des    Iti.  Jahr- 

knderts  reichen  weit  in  da«  Mittelalter  zurück.    Ihre  Geschichte  erzahlt 

ron  vergeblichen  Vei^suchen,  fruGhtlosen  Mühen,  zertretenen  Hoflhimgen 

und  blutigen  Opfern.     Um  die  Freiheit  des  Gedankens  wurde  schon 

in  früheren  Jahrhunderten  mit  Begeisterung  und  Hingebung  genmgen; 

aber  die  Kampfer  standen   vereinzelt  und  wurden  von   ihren  Gegnern 

öberwalügt 

Luther  und  Melanchthon  hatten  ihre  Vorläufer,  welche  für  ihre 
Üljerzeugung  in  den  Tod  gingen. 

Die  Unterdrückung  des  Ranbritterwesens  und  die  Angriffe  gegen 
Feudalismus  wurden  durch   die  Entwickelung  eines  unabhängigen 
ohihabenden  Bürgerthum^  vorbereitet  und  begünstigt. 


840 


D&r  tmiiemimsim  Uni/erridü  m  der  NmixmL 


Kirnnt  nnd  Wi«!sensc!iafl  wnrden  dureh  den  Humani^inu^,  welcl 
seit  Pi-rruAHCA  in  Italien  gei^flefsft  wur<1e,  zum  Studium  der  Antike 
der  Beobachtung  der  Natur  zurückgeführt    Die  Künstler  machten 
von   den   mitU^liilierlichen  Traditionen  hs  und   gahm   ihren   Geslalt«? 
einen  freieren  AuMruck,   welcher  der   Nafur  nbgelanscht    \iiid   danur 
wahr  war  und  die  Herzen  erwärmte. 

Was  für  die  Kunst  die  Früh-Renuis-Hiuiw,  das  wrir  für  di«*  Wissf^ 
8chaft  das  Studium  der  römischen  und  griechischen  Orijcrinal werke  uinl 
der  Beginn  einer  selbstständigen  NaturforscJiung.  In  den  Schulen  ib 
^littelaltern  hatte  man  die  Schriften  der  römischen  rlassiker  nur  selti»ii| 
und  diejenigen  der  griechischen  niemals  in  ihrem  ursprünglichen  Text 
kennen  gelernt.  Das  I>at/ein,  welches  beim  Unterricht  und  im  iöglicbfa 
Verkehr  zwischen  den  T.Hhrern  und  Schülern  gesprochen  wurde,  wir 
sehr  verschieden  von  der  iSprache  eines  Cicero  oder  Quintilian.  Dil 
griechische  Sprache  wurde  nirgends  in  den  Bereich  des  Unternchli 
gezogen,  und  die  Kenntniss  derselben  war  so  selten,  da8S  pKTBAUCi' 
i.  J.  1360  kaum  zehn  Gelehrte  in  Italien  zu  nennen  vermochte^  welcta 
sie  verstanden J 

In  den   ül»rigen   Ländern  stand  es  damit  ji?denfalls  nicht  beaer. 
Die  literarischen  Werke  de^  Alterthums  wurden  dem  Mittelalter  hanpt- 
sächlich  durch  lateinische  Übersetzungen.  Bearbeitungen   und  Aunzüg^ 
zuganglich  gemacht,  welche  häniig  nicht  nach  dem  Original,  sondm 
nach   arabischen  Übertragungen    angefertigt    wurden.      Auf   die  Forin 
und  den  Ausdruck  der  Spruche  legte  man  dabei  wenig  Gewicht:  denn 
8ie  wurde  nicht  als  Bildungsmittel  des  Ueistves  iKstrachtet,  sondern  gdl|^| 
nur  als  die  werthlose  Schale  für  den  kostbaren  Inhalt^  den  man  suchte!!^! 
Al>er  auch  dieser  erhielt  sich   nicht    rein   und  unvertalscht;    denn  er 
erfuhr  diejcmgen  Änderungen,  welche  man  im  Zeitalt«!  der  Sehula^lik 
für    die   Autorität   der  Kirche   \md    das  Seelenheil   der   (»laubigen  fuT 
nothwendig  hielt. 

Als  man  erkannte,  dass  man  bei  diesem  Verfahren  nicht  in  den 
vollen  ungeschmälerten  Bt^sitz  der  reichen  Schätze  des  Wissens  gelangte^ 
welche  das  Alterthum  hinterlassen  hatte,  begann  man,  die  Schriften 
derselben  wieder  in  ihrer  ursprünglichen  Überlieferung  zu  studieren. 
Die  heidnischen  ilüssiker  erwachten  zu  neuem  Leben  und  vci i 
mit  flammenden  Worten  die  Grösse  und  den  Kuhm  der  Verga  i 

Am  frühesten  ge^schah  dies  in  Italien,  wo  zahlreiche  Überreste  von 
Bauwerken,  Statuen  und  Inschrift-i'n  an  die  Ciiltur  der  Homer  erinaertt'n. 


4 


M    107. 


n.  Vuiut:  Dif^  WlfMlerbelebung  dtss  clManiV'ben  AlU^rthoins,  Berllo  1 


Der   Charakter  des  16,  Jakrhmiderts, 


241 


diesem  Boden  lernte  man  zuerst  wieder  die  echte  Latinität  kennen, 
lind  von  dort  greUing'te  diese  Wissenschaft  im  15,  Jahrhundert  auch  in 
andtTo  Lander,  An  den  deutschen  HochschuU*n  wurden  Lehrkrmzpln 
fir  lateinische  Ek>quonz  und  RhetiJrik  errichte'!,  d^ren  Inhaber  durch 
ihn*  Beden  and  Di<^htuii|,a^n  die  Bewunderung  und  den  Neid  ihrer  Zeit- 
ssen  erre^iften,  Gleiehxeitig  f»riangte  diu  Kunntniss  der  grierhisehpn 
lie  eine  aUgemoinu  Verbreitung^  in  den  Kreisen  der  Gelehrten, 
war  die^  zum  grossen  Theile  das  Verdienst  der  ^rieehifsichen  Flucht- 
e,  welche  nach  der  Unterwerfunj[f  ihre^^  Vaterkndes  durch  die  Türken 
Italien  kamen  und  dort  eine  neue  Heimath  fanden.  Cheysolajias, 
RGios  VON  Tbapeziint,  Tetkodoros  Gaza,  BessarioNj  Konstaiton 
flxsoRTs  u.  A,  brachten  viel*^  werthvolle  ^Tieehi>?che  Hundschriften  mit 
[vnd  jiiimmelten  einen  Kreis  von  aiiserwählten  Schülern  um  sich. 

An   den   Höfen    der   für  Kunst   und  Wissenschaft  empfanglichen 

[Torsten  Italiens^  namentlich  unter  den  Mediceeni,  entwickelte  sich  ein 

Caltns  des  Hellenen thums,  welcher  die  hervürra<:j:endsten  Männer  des 

Staates   vereinige,      tlelehrte   Geselhchaften,    welche  sich  Piatonisehe 

ihtiemien  nannten,  ^  mrichten  die  Ptie^re  der  ^meehischen  Literatur  zu 

ihrer  Lobensauf^^abe,     Die    heiteren  Formen    des   griechischen   Lebens 

»nt)erten  ihnen  Bilder  lachenden  Menschenglücks   vor   die  Seele,  die 

sie  dem  traurigen  Ernst  der  christlichen  Entsagung  entrückten,  welcher 

die  Freude  hasste   und  verdammte.     An  den  Idealen  der  Freiheit  und 

antiken  Heldengrösse  richtet^^n  sie  sich  auf,  wenn  sie  die  Betrachtung 

der  trnstlüsen  politischen  Zustände  der  Gegenw^art   darnieder  drückte* 

Die  Schriften  der  Weisen  des  Allerthums  boten  ihnen  reiche  Anregung 

ßtid  Belehrung   auf  allen   Gebieten   der  wissenschaftlichen  Thatigkeit; 

hier  fanden    sie   die  Grundlagen  der  PhilosophiCj    Rechtswissenschaft-, 

Mathematik,  Astronomie,  tJeographie  und  Physik,  der  Naturwissenschaften 

ond  der  Heilkunde. 

Mit  der  Wiederbeieluing  der  griechischen  und  r<imischen  Literatur 
erschlos-S  sich  eine  Welt  von  Ideen  und  Bestrebungen,  welche  geeignet 
erschienen,  an  die  Stelle  der  abgestorbenen  Lebensformen  des  Mittel- 
alters zu  treten.  Der  nach  einer  modernen  Entwicklung  der  Cultur 
ringende  Geist  des  Zeitalters  glaubte  darin  eine  wirksame  Watfe  für 
den  grossen  Kampf  gegen  die  Kirche  und  die  Scholastik  zu  tinden 
und  tauschte  sich  nicht.  Allerdings  blieb  der  Humanismus  auf  einen 
kleinen  Kreis  beschrankt;  aber  derselbe  bestand  aus  der  geistigen  Elite 
der  Völker. 


'  P.  ViLi*4Äi:  Niculo  Mttccbijivelli  und  seine  Zeit,  Deutsche  Übers.,  Rudol- 
it  1882,  I,  147  u.  ff. 
Puiomuinf,  Uotarrlcbt.  lg 


242 


Der  fnedicini9Ghe  UnterriM  in  der  Nenzeä, 


Die  Ideen  des  Humanisinus  ergriffen  die  Gemüther  mit  solc 
Macht,  das«  sich  ihnen  Niemand  entziehen  konnte,  nicht  eijimitl 
jenigen,  welche  darin  ihre  nutürlichen  Feinde  sehen  mussten»  die  Ver*^ 
treter  der  Kirche  und  des  Klerikalismiiis.     Selbst  am  pätistlicheri  Hofe 
fjinden    sie   gastlJcht»  Aufnahme.     Nicolau^  V.  war   ihr    wohlwollenJer 
Freund  uoil  Gönner,  wenn  auch  vielleicht  mehr  aus  persönlicher  KikU 
keit,  als  aus  innerer  Cbeneugimg.     Piiis  IL   hatte  vür  seiner 
bestei^ung,  als  er  noch  den  Namen  xVeneas  8vhiu8  führte,  mit  gru 
Eifer  för  ihre  Verbreitung  in  Deutschland  gewirkt  und   blieb  alle 
ihr  treuer  Anhänger  und  Vertheidiger  in  Wort  und  Schrift 

Ihre  Wirkungen  äusserten   sich  übrigens  weniger  in  der  Reli 
ak  in  der  Kunst  und  Wissenschaft,     Die  llumani^ten   vermieden 
Allgemeinen  direkte  Angriffe  gegen  die  Dogmen  der  Kirche,    Au<  1 
nicht  zu   l)efürehten,  dass  die  lustigen  ^   bisweilen  sogar   etwas  tu 
Götter  Griechenlands  den  christlichen  Cultus  verdrängen  würden,  wen« 
dies  auch  manchen  Vertretern  des   Humanismus  nach    der  Art 
Fetek  LüdeHj  Buscbiüs  oder  Lijüch  von  Huttek  vielleicht  en^u     ; 
^ewe^en  wäre.     Der  Einfluss,   welchen  die  humanistischen  Studien  auf 
die  christliche  Eeligion  ausübten^   lag  hauptöachiich  darin,  ians  sie  n 
einer  Vergleichung   mit   den  supranatumUstischen  und  ethischen  An- 
schauungen des  Alterthums  herausforderten  and  dadurch   eine  freiere 
Beurtheilung  der  christlichen  Lehren  ermöglichten* 

Reiche  Anregung  verdankte  die  Kunst  der  Antike.  Der  im- 
lllgrenr.te  IdeenkreLs  der  jüdisch-christlichen  Legende^  welcher  bij»  dahm 
den  Künstlern  nahezu  ausschliesslich  die  Stoffe  geliefert  hatte,  die  durch 
die  bestandige  Wiederholung  allmalig  monoton  wurden,  erhielt  em^ 
angenehme  Bereicherung  durch  die  Mythologie  der  Griechen  und  die 
Hetdengeschichte  Roms.  Dabei  zeigte  die  Behandlung  der  Form  einen 
augexwungenen  kühnen  Charakter,  welcher  einen  wohlthuenden  Gfgen- 

zu  der  Steifheit  und  Inl^holfenheit  früherer  Zeiten  bildete. 

Dadurch  traten  die  Ge^talten^  selbst  diejt^nigeii,  welche  der  traii^ 
lenteu  Welt  der  religiose^i  Mystik  entnommen  wunien,  dem  Fühleo 
iu  lleosdien  näher.  Verklart  von  den  Ideakn  d€»  Guten,  Schöoen 
und  Wahren  erschienen  sie  dem  Auge  nicht  mehr  fiQster-4irobend,  über* 
mlbch-gewikUig,  sondern  als  Frahdmi  verküntiende,  Segen  sipendiüide 
Michle. 

Wer  keitnl  nidit  daä  glan2eode  Dreigesüm  in  FlDreiu:  Lioif  a&iki 
UA  Turci,  Rj^ASL  SiAfi2iu  and  Michklaxoklo  BroMitBüm?  Ein 
Jihrimiidfrt,  veldies  drei  solehe  Künstler  neben  einaiider  sah,  durfte 
äkli  wqU  dem  vielgepriesenen  Zdt&ller  des  Pkbikugs  vergleichen.  Alle 
Um  nmfMssten  die  Kunst  als  Oanzes;  aUe  Drei  waren  llil«r^  Bildhauer 


Der  Charakter  des  16,  JaJirhunderts.  243 


und  Architekten  zugleich  und  schufen  in  jeder  dieser  Künste  Grosses, 
der  Unsterblichkeit  Werthes.  Lionardo  war  aber  nicht  blos  Künstler, 
sondern  auch  Mathematiker,  Ingenieur,  Physiker  und  Physiologe  und 
hat  sich  in  der  Geschichte  der  Wissenschaft  ebenfalls  einen  ehrenvollen 
Platz  erworben. 

Die  Blüthe  der  italienischen  Kunst  wirkte  anregend  auch  auf  die 
übrigen  Länder,  namentlich  auf  Deutschland  und  die  Niederlande.  Die 
Namen  Albkeght  Dükek,  Hans  Holbein  und  Lucas  Cranach  geben 
Zengniss  davon. 

In  Nürnberg  gediehep  die  Holzschneidekunst  und  die  Goldschmiede- 
kunst zu  hoher  Vollendung.  Deutschlands  freie  Städte  erzeugten  ein 
Bürgerthum,  welches  kunstsinnig  und  kunstverständig  war  und  heitere 
Lebenslust  mit  sittlichem  £mst  verband.  In  ihm  fanden  die  künst^ 
lerischen  und  wissenschaftlichen  Bestrebungen  eifrige  Anhänger  und 
Vertreter. 

Auf  dem  Felde  der  Wissenschaft  wurde  der  Humanismus  vorzugs- 
weise von  d«i  gelehrten  Vereinigungen  gepflegt,  welche  allenthalben 
nach  dem  Muster  der  sogenannten  Platonischen  Akademien  entstanden. 
Am  bekanntesten  unter  ihnen  wurde  die  Rheinische  Gesellschaft,  zu 
deren  Mitgliedern  Männer  wie  der  gelehrte  Abt  Trithemius,  der  Nürn- 
Ijerger  Patricier  Willibald  Pirkheimer,  femer  Rudolf  Agricola, 
der  Dichter  Conrad  Celtes,  Joh.  Reuchlin,  Erasmus  von  Rotterdam 
u.  A.  gehörten. 

Das  wachsende  Interesse  für  die  Literatur  der  Griechen  und  Römer 
hatte  zunächst  die  Folge,  dass  die  überlieferten  Texte  mit  einander  ver- 
Uflichen  und  auf  Grund  linguistischer  und  sachlicher  Erwägungen  ein 
Wortlaut  festgestellt  wurde,  welcher  allen  Anforderungen  zu  entsprechen 
dChien.  Damit  begann  die  wissenschaftliche  Behandlung  der  Philologie, 
welche  auf  die  Culturentwickelung  der  folgenden  Zeiten  den  weittragend- 
sten Einfluss  ausübte.  Die  Philologie  übernahm  die  Kolle  des  Zauberers, 
der  das  in  tausendjährigem  Schlafe  befangene  Dornröschen  der  Wissen- 
schaft erlöste,  und  blieb  ihr  auch  später  ein  väterlicher  Freund,  welcher 
ihre  ersten  Schritte  mit  ängstlicher  Sorgfalt  überwachte.  Der  Philologie 
verdanken  es  die  Wissenschaften  und  nicht  am  wenigsten  die  Natur- 
wissenschaften, dass  sie  die  richtige  Methode  der  Forschung  einschlugen; 
denn  von  ihr  lernten  sie  die  peinliche  Genauigkeit  in  der  Sichtung  des 
wissenschaftlichen  Materials  und  die  strenge  Kritik  der  gewonnenen 
Ergebnisse. 

Auch  bei  der  Neugestaltung  der  Medicin  leistete  die  Philologie 
wesentliche  Dienste.  Es  wurden  Ausgaben  der  meisten  medicinischen 
Autoren  des  Alterthoms  veranstaltet.    Die  Ärzte,  welche  sich  an  dieser 

16* 


UtoTari«ch**n  ThSti^kett  betheiligten,   bereiteten  sich  dazu   durch 

tftchtis,'«^  philuiü|,nHeli*»  JÜldung  vur;  nicht  wenige  von  ihnen  wirkT^^ni 
\A\rvr  der  alten  8[»nichHri,  bevor  sie  sich  der  Heilkunde  zuwandte 
Die  Kf^mitniss  d^s  firiechischen  ^alt  in  jener  Zeit  als  notbwendig 
wiKHf'ovirhiittli*'hf«s  Hiirsinittei  für  Jeden ^  d<'r  auf  den  Namen  eines 
hildeton  Ante  Anspruch  erhob,  ähnlich  wie  man  heut  von  ihm  verlanu 
dfi8.H  er  mit  dem  Mikroskop  umzugehen  versteht. 

Wi>nn  die  durch  den  Humanismus  iingefachte  literarische  Wifl 
hiimkeit  Avt  Arzte  in   ungeahnter  Weise  sieh  entfaltete    und  zur  Vei 
breitung  der  medioinisebf'n  Wissenschuft  beitrug,  so  war  die«  allenlijjg 
zum   gr<»sstt*u  Theib*  das  Verdienst  der  Buchdruckerkunst,   welche 
15.  Jahrhundert  orfunden  wurde.    iSie  tmt  nicht  unvermittelt  ins  Leb 
lifnn  sie  war  vorbereit-f*!  durch  die  Holzschneidekimst,  durch  die  KupW 
tttecherei,  durch  tue  vielleicht  aus  i'hina  nach  Europa  gebrachte,  ikü 
lieh    inivnllk«*mmHne  Methode   des  Druckes    mit  feststehenden   Letb 
und  durrli  ;ind<"re  rm^itande.    Gleichwohl  war  ••s  Mn  ausserordenllicl 
Fortschritt,    als  nuui  uui  *\m  Jahr  1440  begann,    boiui   F^nirk  Uwi'^ 
liehe  Typen  7ai  gebrauchen. 

Krst  daduirh  wurde  der  Druck  umfiingreicber  Werke,  der  Uv\t 
m  (Irussvn,  rnno^^Vwhi,  Freilich  litt  die  Buchdruekerkunst  im  Anfafl 
an  vi*'b*n  Minigeln;  sie  war  sehr  mühsam  und  in  Folge  dessen  aiid 
8t'hr  kostspielig,  So  dauerte  z»  B»  der  Druck  der  Bibel,  de?»  erst! 
grossen  Werkes,  dm  aus  cier  von  (tnTF.NBEKCi  gegründeten,  j«pi 
FtTsivSüH('>FFKii'srh«»n  Uuchdruckerei  in  Mainz  hervorging,  II  Jah 
und  erforderte  40lJn  (ftjiden,  bevor  noch  der  12*  Bogen  vollendet 
Mit  di'U  Verbi*ss<*rungen»  welche  die  Buchdruckerkunst  erfuhr,  na 
m  allnmlig  t^int-n  grosseren  Aufschwung.  Daremkerg  schäfjit  die  Zahl 
dvv  tniMlii'inischi*n  Schrillen,  welche  bis  zum  J,  15tX>  gedruckt  worden, 
auf  ungefiihr  8tHK* 

Die  ntmt»  Krtindung  übte  auf  die  gf»istigen  Bewegungen  de« 
lö,  .Jahrhunderts  eine  mftohtigt*  Wirkung  aus.  Die  Kanzel,  welche  bis 
dahin  der  einjJire  Ort  gewesen  wHr,  von  ilem  aus  zum  Volke  gesprochfn 
wunb».  erhielt  einen  Nebenbuhler,  welcher  ihr  gelegentlich  feindlidi 
ent4(t»g«n  trat  Die  freiheiUiohen  Ideen  fanden  hier  einen  Bundesg«- 
nys^n,  und  d<^  Kampf  gegen  die  bisherigen  Autoritäten  wurde  mit 
Wirtesamen  Waffen  geltthrt,  AbtT  die  grösste  Bedeutung  erlangte  die 
Buchdniokerkunst  för  die  Kntwickelung  der  Wis8eoi?chaft;  d**nD  die 
gi^iniigipn  tlrrungefisoluifteii  konnten  jet^t  zum  Gemeingut  Aller  und 
Jed^iu  U*icht  lOgtalsHeh  gwiaoht  werden. 


'  Cmu  Dam 


Uistoire  d«i 


T*  U  »18. 


Dm-  CharaJder  Hm  16,  JcJirhundeßrts. 


246 


Diis  Studium  der  aus  dem  Alterthum  übernominenen  ÜterliefeningeTi 
Wgt©  mx  kritisohen  Prüfung  ilirer  realen  Begründung  an,  und  die  da- 
durch henorgerufenen  eigenen  Beobachtungen  führten  zur  Berichtigung 
Intbumer  und  zur  Entdeckung  neuer  Thatsachen. 
We  Reformation  der  Wissenschaft  welche  sich  auf  diese  Weise 
vtitlzog,  bildet  neben  derjenigen  des  religiösen  und  politischen  Lehens  die 
ULI"'  ~*  te  Erscheinung  der  durch  die  Emancipatiun  des  indi\iduollen 
Ci  lianikterisirten  Strümung  der  Zeit^ 

Bie^e  Richtung  erhielt  eine  unerwartete  Förderung  durch  die  Knt- 
-  \merikas^  welche  am  8chUi.ss  des  ITi.  Jahrhunderts  die  Ver- 
,'  und  diüj  Staunen  der  Menschen  erregte.  Man  fand  dort 
ibe  BeTiMkeniög,  die  körperlich  ebenso  gebildet^  geistig  ebenso  geartet 
wie  diejenige  Europas^  und  eine  CuUur,  welche  viele  Ähnlichkeiten 
te  mit  manchen  Einrichtungen  dej  alten  Welt.  Tun  diesen  Dingen» 
%«jirir  Tun  der  Thierwelt  und  dem  Ptlaiizen-Ueichthurn  des  neuen  Welt- 
üieils  hatte  weder  die  Kirche  noch  da^i  Altertbtjm  »^twas  gewu^sst.  Von 
den  beiden  hoch!*ten  Autoritäten,  welche  man  damals  kannte,  verlassen 
^Wtleii  die  Denker  und  Forscher  plötzlich  selbststiindig  und  genöthigt, 
tMrf  ihre  eigenen  Beubachtungen  zu  vertrauen. 

Wenige  Decennien  nach  der  Entdeckung  Amerikas  erfolgte  die 
cmlfi  Unischiifung  der  Erde,  und  damit  wurde  der  unwiderlegbare 
B**w#^U  geliefert,  dasö  die  Erde  rund  i^^t.  Schon  die  griechischen  Natur- 
philos&ophen  ahnten  die  Kugelgestalt  derselben»  und  AuisiTuTELEs  nahm 
S6  ük  sicher  an;  aber  Lactantiits  und  andere  Kirchenvater^  hatten 
i\»m  Ansicht  verworfen  und  für  absurd  erklart,  Ihre  Autorität  erlitt 
womit  eine  bemerkenswerthe  Niederlage.  Noch  mehr  wurde  die  Autorität 
itor  Kirche  erschüttert,  als  die  angeblich  schon  von  Pythac^üras  auf- 
g^i^teÜte  belincentrisrhe  Theorie  durch  Kopehxikls  und  Kepler  be- 
irrundet  wTjrde.^  Die  llieolugen  Itekampften  dieselbe,  weil  sie  sehr 
richtig  erkannten,  dass  mit  ihrer  Annahme  die  Erde  nur  als  einer  der 
unzuhlbaren  Sterne,  welche  dtLs  Firmament  beleben,  erscheinen  und  der 
MetiÄch  als  ihr  Bewidiner  die  ihm  von  der  christlichen  WelUmschanung 
Tmdirirte  herrschende  Stellung  verlieren  werde.  Auch  der  Streit  zwischen 
*i«r  heliocentrischen  tmd  der  geoc^ntri sehen  Lehre  wurde  gegen  die 
Kirche  entj^chieden. 

ü  \^\  begreiflich,  Amy  durch  diese  Ereignisse  der  (Tlauhu  an  die 
TtuulaDglichkeit  des  menschlichen  Erkenntniss-Apparats,    welchen   die 


it .    ;i,  H,  o.  ,^.  m  ü,  ff.  —  W,  Whewell  a,  a,  O.  J,  22B  vi.  ff. 
1 1   a,  a.  0.  I,  361  u,  ff.  —  J.  W.  Drapcr:  Geschichte  der  gei«tigeo 
kelang  Eurnp^,  I^ipeig  1871,  S,  521   u.  ff. 


240 


Dtsr 


UfUerricM  in  der  tümmi. 


▼an  der  kirclili<?hen  Autorität  ge.stötzte  Scholastik  i^epredigl  hatt<*, 
graben  wurJi*.     Am  weit4*st'eu  gmg  der  Proti^stantismas,  indem  « 
Berechtigung   Am   menschliehen    Urtheik   sogar  auf  das   theoloj 
Dogfina  ausdehnte, 

Aul  keinem  Uebiet  des  ^'eistigen  Schaffens  wirkte  die  errtii 
geistige  Selbstständigkeit  tiefer  und  naehhaltiger  als  auf  denijen 
Naturwissenschaften  und  der  Medicin, 

Die  Mineralogie  erfuhr  zum  ersten  Male  eine  wissenschatUichi 
tmchtung:  der  Arzt  Georg  Aortcola  machte  den  Verj^ueh«  die 
ralien  auf  Hrund  ihrer  äusseren  Merkmale  in  verschiedene  U 
einzutheilen.  Dir  BoUnik  begann  aus  dem  Abhängigkeits-VerhiUl 
in  welches  sie  zur  Arzneimittel-  und  Nahrungsmittellehre  gerathun 
lit'rauszutreten  nn«l  sich  zu  einer  Wissen>?chaft  zu  entwickeln^  die 
ihrer  seihst  willen  getrieben  wunle*  Sie  wurde  durch  eine  Mertgp  toh 
PHanzenbeschreihungen  bereichert,  und  die  Flora  Kuropa^  sowohl  vii* 
diejenige  der  neu  entdeckten  überseeischen  Lander  genau  erfut^lit^ 
liinigo  BoUmiker  truteruahmen  e$.  zur  IHchU^ren  Übersicht  die  PtlanMa* 
n.ich  bestimmten  Ähnlichkeiten  in  verschiedene  Ahtheilungen  zu  scheiden;; 
rDNRAij  Gkssnkh  utid  A.  Cesalpfni  benutztem  dazu  bereits  die  Blöthe»- 
und  Früchte,  waren  also  gleichsam  Vorläufer  LmNic's» 

Auch  für  die  Zoologie  begann  eine  neue  Periode  ihrer  Oeechichte 
Des  gelehrten  Gessner's  groases  Werk  bihiete  den  Markstein  derselben: 
es  enthielt  nicht  hlos  alle  Thatsachen,  welche  auf  diesem  ^tebiet  in  den 
vorangegangenen  Zeiten  festgi?stellt  worden  waren,  sondern  noch  eiiw 
grosse  Anzahl  neuer  Beobachtungen.  Andere  Forscher  wählten  einzeln«' 
Klassen  des  Thierreichs  zum  «Jegenstande  ihrer  Untersuchungen,  wii^ 
z.  B.  Bkmin  die  Vögel  und  Rcjndelkt  die  Fische,  o^ler  be^-hiiftij^^eii 
sich  mit  der  Thierwelt  fremder  Lander, 

Klienso  machte  sich  in  der  Physik  und  Chemie  eine  rege  Thatig* 
keit  hemeikiuir.  Schon  Ni("*u*Ars  Cusanus,  der  freisinnige  Bischot  voii 
Brixen,  und  der  grosse  Kunstler  Lit>NAa0o  0a  Vusct  bearbeiteten  dji 
Physik  mit  glücklichem  Ilrfolge,  ^  Wahrend  dann  die  Mathematik  düiol 
HrEiioNYMUsCAKüANis/rARTAüuiA,  wclchcr  die  Losung  der  GleichuagiBl 
dritten  Grades  entdeckte,  u,  A,  gefördert  wurde^  machte  auch  die  Opäl| 
erhebliche  Fortschritte,  die  sie  haupt^sachlich  dem  GiAMBATribTA  PoRTit 
dem  Kriinder  der  Catnera  obsct^ra^  und  Juil  Käpleh  verdankte.  B^ 
deutende  Erfolge  errangen  die  Phjsik  und  Chemie  jedoch  ernt  id 
17.  Jahrhundi'rt:  er^t  in  dieser  Zeit  erlangten  sie  für  die  Medicin  duif 
irrosse  Bedeutung. 


^ooiirKnour  h.  a.  ü.  S.  US  iL  ff. 


Die  Emaneipation  vorn  AutorUätsglavhen  auf  dem  Gebiet  der  Mediein  etc.    247 


Die  Emaneipation  vom  Autoritätsglauben  auf  dem  Gebiet 
der  Mediein  und  die  Fortsehritte  der  Wissenschaft. 

Die  Heilkunde  machte  den  gleichen  Entwickelungsprozess  durch, 
wie  die  ganze  übrige  Cultur;  sie  schüttelte  das  Joch  der  nur  auf  Tra- 
ditionen beruhenden  Autoritäten  ab  und  wurde  selbstständig.  Nur  in 
Verbindung  mit  den  die  ganze  Zeitrichtung  erfüllenden  Bestrebungen 
erscheint  diese  Thatsache  natürlich  und  begreiflich;  losgelöst  von  ihnen 
kann  sie  sich  wohl  dem  Gedächtniss,  nicht  aber  dem  Verstände  ein- 
prägen. 

Die  Emancipationsbewegung  gab  sich  in  allen  Zweigen  der  Mediein 
kund  und  erreichte  in  einzelnen  Disciplinen,  namentlich  in  der  Ana- 
tomie, Arzneimittellehre,  Chirurgie  und  Geburtshilfe,  bereits  im  16.  Jahr- 
hundert beachtenswerthe  Resultate. 

Die  Anatomen  hörten  auf,  an  die  Unfehlbarkeit  Galen*s  zu  glauben, 
und  fingen  an,  eigene  Untersuchungen  an  der  Leiche  anzustellen. 
Gabriele  Zebbi  sonderte  in  seiner  anatomischen  Beschreibung  des 
menschlichen  Körpers  bereits  die  Knochen,  Muskeln  und  Gefässe;  er 
machte  auf  die  schrägen  und  kreisförmigen  Muskelfasern  des  Magens 
aufinerksam  und  erwähnte  die  Thränenpunkte,  die  Ligamenti  uten 
u-  a.  m.^  Ali.  AcHiLLiNi  bemerkte  die  Einmündung  des  Duetm  cholc- 
doekus  in  den  Zwölffingerdarm,  sowie  die  Blinddarmklappe.*  Behengab 
VON  Carpi  berichtigte  verschiedene  Irrthümer  Mondino's  und  gilt  als 
der  Entdecker  der  Keilbeinhöhlen  und  des  Wurmfortsatzes;  ferner  wies 
er  darauf  hin,  dass  beim  Mann  der  Thorax,  beim  Weibe  das  Becken 
eine  grössere  Breite  besitzt.^  Canani  lieferte  eine  vortreffliche  Schil- 
derung der  Muskeln  und  sah  zuerst  die  Venen-Klappen  an  der  Vena 
azygas.^ 

Alle  diese  Forscher  übertraf  an  Reichthum  der  Entdeckungen  An- 
DBEAS  Vesalius,  den  man  den  Reformator  der  Anatomie  nennen  kann. 
Er  stammte  von  einer  deutschen  Familie  ab,  welche  ursprünglich  den 
Namen  Witing  führte  und  von  Wesel  nach  Brüssel  üliergesiedelt  war. 

Vesal's  Untersuchungen  umfassten  alle  Theile  der  Anatomie  und 
schufen  die  Basis  eines  neuen  anatomischen  Lehrgebäudes.*  Er  gab 
Aufschlüsse  über  die  Ernährung  der  Knochen  durch  die  Gefasse  des 

'  Medici  a.  a.  0.  p.  43. 

*  BüBooRAEVE  a.  a.  0.  p.  55.  —  Medioi  a.  a.  0.  p.  51. 

'  Carpi:  Commentaiia  com  ampl.  addition.  super  anat.  Mundini,  Bonon.  1521. 

*  Amatcs  Lüsitanus:  Curat,  med.  cent.,  Basil.  1556,  p.  84. 

*  BuBOOBAEVi  a.  a.  0.  p.  72  u.  ff. 


248  Der  medicinisc^ie  Unterridä  in  der  Xeuzeü. 


Periosts  und  die  Vasa  nutrienia  und  zeigte  zuerst,  dass  der  Nerv  in 
den  Muskel  eindringt.  An  den  Gefässwänden  unterschied  er  zwei  Lagen, 
von  denen  die  innere  eine  stärkere  Consistenz  besitze  und  aus  Muskel- 
fasern zusammengesetzt  sei.  Ziemlich  richtig  beschrieb  er  das  Herz, 
seine  Lage,  Bewegungen  und  Gestalt- Veränderungen,  sowie  die  Klappen- 
Apparate;  doch  Termochte  er  sich  niemals  vollständig  von  dem  alten 
Irrthum  zu  befreien,  dass  das  Blut  durch  die  Scheidewand  des  Herzens 
hindurchtrete.  Aber  während  er  in  der  ersten  Ausgabe  seines  ana- 
tomischen Hauptwerkes  v.  J.  1543  daran  noch  gar  nicht  zweifelte,  er- 
klärte er  in  der  zweiten  Auflage  v.  J.  1555,  vielleicht  unter  dem  Ein- 
fluss  Sebvet's,  dass  er  nicht  einsehen  könne,  wie  es  möglich  sei,  dass 
das  Blut,  wenn  auch  nur  in  einer  sehr  geringen  Menge,  aus  dem 
rechten  Herzen  in  das  linke  durch  die  dichte  fest«  Substanz  des  Septums 
hindurchschwitze.  ^ 

.  Ein  bedeutender  Fortschritt  zeigt  sich  in  seiner  Beschreibung  des 
Bauchfells  und  Magens,  sowie  in  der  Schilderung  der  Leber  und  der 
männlichen  und  weiblichen  Geschlechtstheile.  Er  kannte  die  Schwell- 
körper und  die  Samenkanälchen,  deutete  auf  die  Samenbläschen  hin, 
und  erörterte  die  Veränderungen,  welche  der  Uterus  durch  die  Schwanger- 
schaft erfährt  Grosse  Sorgfalt  widmete  er  der  L^ntersuchung  des  Ge- 
hirns; er  hob  den  Unterschied  zwischen  der  grauen  und  weissen  Substanz 
hervor  und  bemerkte  das  Corpus  callosum,  das  Septum  hmdum,  die 
Zirbeldrüse,  die  Vierhügel  u.  a.  m. 

Vesal's  Entdeckungen  riefen  ein  unerhörtes  Aufsehen  hervor; 
nicht  blos  in  den  Kreisen  der  Ärzte  war  man  erstaunt  über  die  Kühn- 
heit, mit  der  er  die  Unrichtigkeit  dessen  nachwies,  was  man  bisher 
für  wahr  gehalten  hatte.  Die  Verehrer  des  Alten,  die  Anhänger  der 
geltenden  Autorität,  befeindeten  ihn  aufs  heftigste.  Allen  voran  sein 
früherer  Lehrer  Sylviüs,  der  ihn  mit  einem  gerade  nicht  sehr  feinen 
Wortspiel  auf  seinen  Namen  einen  Vesanus,  einen  Verrückten,  nannte, 
der  mit  seinem  giftigen  Hauche  Europa  verpeste.^ 

Die  Entdeckungen  Vesal's  wurden  in  vielen  Punkten  verbessert 
und  ergänzt  durch  seine  Zeitgenossen  Eustachio  und  Faloppio.  Der 
erstere  beschäftigte  sich  namentlich  mit  der  Struktur  der  Nieren  und 
erwähnte  bereits  die  Bellinischen  Röhren.^  Dagegen  wird  ihm  mit 
Unrecht  die  Entdeckung  der  nach  ihm  genannten  Klappe  an  der  Mün- 
dung der  unteren  Hohlvene  zugeschrieben,   da   dieselbe   schon   früher 

»  H.  ToLUN  im  Biolog.  Centralblatt  1885,  Bd.  5,  S.  474  u.  ff. 
'  Jacob.  Sylvixjs:  Vesani  cujusdam  calumniarum  in  Hipp,  et  Galen  depulsio, 
Paiiß  1551. 

'  BuRQORAEVE  a.  a.  0.  p.  201  u.  ff. 


Dm  EmancipatioH  mmi  Autoriiäisyla^then  auf  dem  Ud/id  der  Mcdmn  etc*    249 


Mfiimt  war*    Er  bereicherte  ausserdem  die  Kenntniss  des  Gehörorgans^ 
(»(*ol>achtete  die  Mu^kebi  der  Paukenhöhle,   die  Spindel   der  Schnecke 
ttnd  die  Ohrtrompete,   welche   nach  jetzt   seinen   Namen  führt,   und 
lunterliesji  eine  vorzügfliche  Beschreibung  der  Grundfläche  des  Gehirns. 
FALOTriü,  der  geniale  Schüler  Ve?^al%  ermtrüilirte  die  Entdeckungen 
Lehrers   mit   gewissenhafter  Sorgfalt,   und  berichtigte  und  ver- 
^MLi»taodigte  sie  durch  eine  Menge  neuer  Thatsachen*     Neben  Vesal 
lial  er  am  meisten  zur  Neubegründung  der  Anatomie  beigetragen. 
Er  gab  werthvolle  Aufechlusse  über  die  Entwickelung  der  Knochen 
Zähne,  lyeschrieb  das  Felsenbein  genauer,   bereicherte  die  Mjolojne 
rch  musterhafte  Schilderungen  der  Muskeln  de.s  ansj^eren  Ohres,  des 
Antlitzes^  des  Gaumens  und  der  Zuni^e^   sprach  sich  über  die  anasto* 
I  Verbindungen  einiger  OefTLs^se  ans,  z,  B,  zwischen  den  Caro- 
j  den  Vertebral-ArterieUj  und  entdeckte  den  Xcrvu^s  trotMcaris. 
Auch  die  Anatomie  der  Sinnesorgane  verdankte  ihm  einige  Fort^hritte; 
HT  stellte   Hehr  genaue   Untersuchungen  an   über  die  einzelnen  Theile 
dcÄ  Gehörorgans  und  des  Aages,  wobei  er  z.  ß.  da.s  Ligamentum  cilmre, 
die  Tunim  hyalaidea  und  die  Linse  besser  kennen  lehrte.     Ebenso  war 
mit  den  weiblicben  Geschlechtsorganen  der  Faü;  die  Eileiter  haben 
len  Namen  in  der  anatomischen  Terminologie  verewigt. 
Von  den  fibrigen  Anatomen  jener  Zeit  haben  sich  Ingrassias  durch 
9*'^  «'ulugis^ehen    Arbeiten,    besonders    durch    die    Entdeckung   des 

^i-.^.i  ..-eis  und  der  unteren  Muscheln  des  Siebbeins^  Akajkziü»  welcher 
die  Anatomie  des  Fötus  eingehend  studierte,  Yaholio,  an  den  die 
Brücke  erinnert,  durch  seine  Untersuchungen  des  Uehims  und  Nerven- 
üjsiemä,  VuijChbh  Koyteb  durch  seine  Beiträge  zur  Entwickelungs- 
gfticliieht^  und  pathologischen  Anatomie^  Fabrizio  ab  Aquapendentk 
dttrch  die  erste  voUstiindige  Beschreibung  der  Venenklappen,  ('AssKKKt 
durch  seine  Arbeiten  über  die  Organe  der  Stimme  und  des  Gehi'irs, 
Aubiak  van  dek  Spigel,  der  seine  Aufinerksamkeit  vorzug^jweise  der 
]>ber  zuwandte,  von  welcher  ein  Lappen  noch  heut  seinen  Namen 
tJHgtf  SAii«)MOx  Albi-irti  durch  seine  Schilderung  der  Thrfinen-Werk- 
zeage  und  Peter  Paaw,  welcher  zuerst  auf  die  Rassen-Verschieden- 
heiten der  Sehadel  auftnerksam  machte,  um  die  Entwickelung  der  ana- 
tonusehen  Wissenschaft  verdient  gemacht.^ 

Geringer  waren  die  Fortschritte^   welche  die  Physiologie  in  jener 

Zeit  machte.     Es  war  dies  auch   ganz   begreif  lieh:    «lenn    man    musste 

'*     '-     ^  ^handensein  der  anatomischen  Thatsachen   feststellen,    ehe 


*  iL  Spkbmqel:  Veraach  einer  prugmat  Geschichte  der  Arziieikund«^  Haue 

Ult  64    IL  ff. 


250  Der  medidnisofie  Unierricfä  in  der  Neuzeit, 

man  nach  dem  Zweck  derselben  fragen  durfte.  Doch  erkannte  man 
wenigstens  die  Fruchtlosigkeit  der  spekulativen  Richtung  und  kehrte 
wieder  auf  den  Weg  der  induktiven  Forschung  zurück,  den  schon  Abi- 
sTOTELEs  gezeigt  hatte. 

So  injicirte  EusTAOfflO  Wasser  in  die  Nieren-Arterie,  um  die  Bil- 
dung des  Urins  kennen  zu  lernen.^  Recht  bezeichnend  für  die  voll- 
standige  Veränderung,  welche  sich  in  der  Denkweise  der  medicinischen 
Forscher  vollzog,  sind  die  Worte  Realdo  Colombo's,  dass  man  aus 
der  Zergliederung  eines  Hundes  an  einem  Tage  mehr  lernt,  als  wenn 
man  beständig  den  Puls  fühlt  oder  mehrere  Monate  hindurch  öalek's 
Schriften  studiert* 

Michael  Sebvet  und  Realdo  Colombo,  der  Prosector  und  Nach- 
folger Vesals  im  Lehramt  zu  Padua,  waren  die  Ersten,  welche  den 
alten  Irrthum  berichtigten,  dass  das  Blut  durch  die  Scheidewand  des 
Herzens  aus  dem  rechten  Herzen  in  das  linke  übertrete,  und  auf  den 
Weg  durch  die  Lungen  hinwiesen.  Wem  von  Beiden  die  Priorität 
dieser  Entdeckung  gebührt,  lässt  sich  nicht  sicher  feststellen,  wenn  auch 
eine  Menge  von  Wahrscheinlichkeitsgründen  für  Sebvet  sprechen.' 
Übrigens  hat  weder  der  Eine,  noch  der  Andere  klar  und  unzweideutig 
auseinandergesetzt,  wie  der  Übertritt  des  Blutes  aus  der  Lungen-Arterie 
in  die  Lungenvenen  erfolgt 

Der  Aufschwung  der  Physiologie  begann  erst  im  17.  Jahrhundert, 
als  mit  der  Entdeckung  des  Blutkreislaufs  die  Experimentalforschung 
zur  Herrschaft  gelangte. 

Die  Fortschritte  in  der  Anatomie  mussten  namentlich  auf  die 
Chirurgie,  also  den  Theil  der  Heilkunde,  der  auf  die  Kenntniss  des 
Baues  des  menschlichen  Körpers  am  meisten  angewiesen  ist,  einen  an- 
regenden und  fördernden  Einfluss  ausüben.  Die  Operationsmethoden 
der  Chirurgen  des  Alterthums  waren  zum  Theil  seit  langer  Zeit  ver- 
gessen oder  wurden  doch  nur  von  Wenigen  ausgeübt,  die  sie  wie  ein 
Geheimniss  bewahrten  und  deren  Kenntniss  im  engsten  Kreise  ver- 
erbten. Sie  mussten  gleichsam  wieder  aufs  Neue  erfunden  werden; 
diese  Aufgabe  lösten  einige  geniale  Praktiker,  welche  das  Bedürfniss 
zur  Verbesserung  der  bisherigen  Heilmethoden  führte. 

Nur  in  beschränktem  Maass  wirkte  darauf  die  Wiederbelebung  des 
Studiums  der  alten  Literatur  hin;  denn  die  ungelehrten  Wundärzte 
wurden  im  Allgemeinen  davon  nicht  berührt,  und  den  studierten  Ärzten 

*  Barth.  Eüstachiüb:  De  renum  structura,  Venet  1564,  c.  37.  46. 

'  Realdo  Columbo:  De  re  anatomica,  Venet  1559,  IIb.  XIV,  p.  258. 

•  H.  Tollin  im  Deutschen  Archiv  f.  Gesch.  d.  Med.,  Bd.  VII,  1884,  S.  171 
u.  fF.  und  in  VmcHow'a  Archiv,  Bd.  91,  S.  39  u.  ff. 


Dk  Ewancipatum  mm  Aui&rüäisglauben  auf  dem  h'ebiet  dmr  Medidn  ete.   25 1 


fehlte  häufigr  das  praktische  Verständniss  für  die  Beurtheilang  der  toh 
*len  Alten  hinterlassenen  Erfahrungen, 

Eine  ausserordentliche  Bedeutung  für  die  Entwickelung  der  Chirurgie 
^hatte  die  Einfübrung  der  SchusswatFen  in  die  Kriegskonst.  Während 
vorher  huaptsiichlich  nur  Hieb-  und  Stichwunden  zur  Behandlung 
t>ekam,  trafen  jetzt  die  Schusswunden  in  den  Vordergrund.  Die  da- 
^dorch  erzeugt;en  Verletzungen  hatten  Erscheinungen  im  Gefolge,  die 
dahin  vollständig  unbekanni  waren»  Die  Schriften  der  Alten  gaben 
IttAbfr  natürlich  gar  keine  Auskunft  Die  Chirurgen  waren  daher 
ligt,  selbst  Beobachtungen  anzustellen  und  Erfahrungen  zu  sam- 
rin,  wie  die  Schuss wunden  tu  beurtheilen  und  zu  behandeln  sind. 
lorch  erhielt  ihre  Emancipation  von  der  tTadilionellen  Autorität  und 
'-■'•-'  *    keit  eine  mächtige  Forderung, 

I  die  Schusswaflfen  herbeigeführten  Zerstörungen 
imd   manche   Zufalle   und   Nachkrankheiten.  welche  dabei    beobachtet 
yrurden,   erregten   den    Verdacht,    duss  ausser  der  mechanischen  Ver- 
ätzung noch  andere  Umstände  wirksam  sind.    So  kamen  die  Chirurgen 
auf  die  Vermuthung,  dass  die  Schusswunden  durch  Verbrennung  und 
iVergiflung  erzeugti  werden,    und   erklärten  dies  durch  die  Natur  der 
Btutle,  nämlich  des  Pulvers  und  Bleis ,  welche  die  Verletzung  hervor- 
rufen.    Um  diese  vermeintliche  Wirkung   unschädlich  zu  machen,  be- 
idelt^n  sie  die  Schusswunden  mit  reizenden  und  ätzenden  Mitteln. 
Diese  Kurmethode  erlangte  allgemeine  Gültigkeit,  bis  ein  glück- 
iiober  Zufall  einer  richtigeren  Erkenntniss  die  Wege  ebnete.    Es  fehlte 
ch  einer  Schlacht  an  heissem  i>l,  um  die  Verwundeten  zu  cauterisiren, 
er    beruhrate    franzosische   Chirurg    AMKuoihE  Pa^kI:,    welcher   diese 
Thatäache  in  sehr  anschauUcher  Weise  geschildert  hat,  *  wendete  daher 
itt  dessen  nur  einen   Verband  aus   einfacher  Digestiv-Salbe  an   und 
'«ah  mit  Besorgniss  den  Folgen  entgegen,  welche  dieses  Verfahren  haben 
wurde.    Wer  aber  beschreibt  sein  Erstaunen,  als  er  am  nächsten  Morgen 
ad,  dass  diejenigen  Wunden,  welche  er  auf  diese  Weise   behandelt 
itte,  ein   gut^s  Aussehen  darboten  und  weder  schmerzhaft  noch  ent- 
indet  und  geschwollen  waren,  wie  die  übrig«^  Wunden,  die  nach  der 
Ilen    Methode   cauterisirt   worden   waren.     Wiederholte   Versuche  be- 
itiglen  diese  Erfahnmg,  und  die  günstigen  Frfolge,  welche  man  mit 
lieser  einfachen  Behandlungsweise  erzielte,  beseitigten  alhnälig  die  dem 
Kranken  wie  dem  Arzt  unbeciueme  Cauterisation. 


*  ot-iivri-  *i  AnihrLurnj  Pftf^  ed.   |»ar  J.  F.  MALQAiQin,    Pari«   lÖ4ü.  T.  11, 
p.  IÄ7  o.  C  —  Li;  pArLHim;  Ambroise  Part**  dapW»8  de»  noiivoaux  iioonm<*nt«» 


Far(:  and  Macioi  lieferten  femer  de»  Nachweis,  dass  dk  Seh 
wunden  auch  nicht  durch  Verbreunung  erzeugt  werden,  da  man  FJmteij.j 
kut^eln  auf  Säcke,  die  mit  Schiesspulvt^r  v,n^fullt  sind,   abfeuern  konae, 
ohne  dass  dieselben  dadurch  in  Brand  gerathen.  * 

Jeden&lLä  aber  wurde  dm  Wesen  der  Verlegungen  durch  die  mm 
Art  iler  Kriej^fuhrung  wesentlich  verunziert.  Die  Geschosse  führten 
groHse  Zerstörun^^en  der  Knucben  herbei^  welche  mit  den  früher  fiWicheji 
Waffen  gar  nicht  uder  nur  selten  erzeugt  werden  konnten. 

Die  bis  duhin  wenig  geübte  Amputation  wurde  daher  jetzt  haiiliger 
erforderlich.  Mit  den  Vi^rmolirti-^  Ivrfahrungen  gr*wann*^n  <Ü»^  Wund. 
ärzt**  grossere  Sicherheit  in  der  Ausfiihrnng  dieser  Operation  und  fingen 
an,  dir  bisherigen  Methoden  zu  verl>es,sern.  Die  Imupt^^ächlicbt^n 
Fehler  dei^Nelhen  liestanrii^n  darin,  da**:^  man  «lie  Aniputatiun  zu  langt' 
hinausziischielien  ptlegte,  sie  im  kranken,  im  brandigen  Flei^ch  iia>- 
führte  und  deji  Stumpf  mit  dem  Glüheisen  oder  lieissem  i)\  c^iub^ri^rt*'^ 
um  die  Blutungen  /n  stillen  und  die  ni»krutisehen  rTewid^stbrilj'  m 
Abstossung  zu  hring«Mi, 

Rs    war    daher    ein    bedeuten^ler    Fortschritt,    als    B«jtau/i  iüt*     ' 
Fordciung  aufstellle,  dnsi-  ihv  Ampnfatiun  stdVjrt  unt^'rnomraen  werdu,  Jj 
wenn    sieh  die  Zeichen    des   drohenden    Brandes   zeigen,  als   ferner  »li«fl 
i'liirurgen  wietier   begannen,  die  Abtrennung  in  den  g(*sunden  TheÜt^n 
vorzunehmen,   unti  als  Hanns  von   (TKRsi>«mF,   welcher   sich   rühnn'ii 
durfte,   ung<dnhr  UOt»  Amiiutationen  ausgeiührt  zu  haben,  den  Sturapl 
mit  einer  feuchten  Tlüerblase  bedeckte  und  mit  kühlenden  Mitteln 
hundclt<\    I^r  gewann  dadurch  eiiu'  ausreichende  Bedoekung  des  Stumpft 
mit   Haut'   und   Weiehthf'ilen,   welche   btü   der  Anwdidung   des   {][ 
mens  in  zu  umfangreicher  Weise  zerntort  worden  waren. 

Um   der  mit  der  Opeiation    verbundem^n   rjefahr  der  \Vrblu 

vorzubeugen,  wurde  das  Glied  oberhalb  der  Einsrhndtslinie  mit  iiindefl^ 

fe^t  umschnürt.    Durch  den  Druck,  welchen  die  letzleren  auf  die  Blui- 

ifasse  und  Ner\en  ausübti^ri,  hoffte  nnin,  wie  A,  Pak^:  schreibt,*  nich| 

\h\m  <lie    Blutungen   zu   verhüten,   sondern   zugleich   die  S4:'hnierzen 

vermindern  und  eine  lokale  l  ni^midindlichkeit  herbeizuführen. 

Die  mcistf^   Sidierheit    gf^ifcu  die  drohenden  Blutverluste  g<nväb 
die   Unterbiiulung  der  Arterienstiimnie,   welche  durch  \,  VsiiH  wiedi 
empfohlen  wurd(\*     Sie  war,   wie  erwiihnt,  schon   d*ii   Ghirtirgen  d< 


*  Oeuvres  dAuibn  l^arr  a.  n.  0.  T.  H,  184, 
'  Oeuvres  «rAmbr.  Parc  a.  a.  O.  T.  H,  p.  222, 

*  Oeuvre«  d'Ambr.   Titrc  a.  14.  O,  T-  11,   226   u.  tj;  —    Aiiamkiswicis:    Die. 
mi^chmjisclven   Bluti^filliin^Diittel    bei   verlet^t^ii  Arterien   von  l^iir«^   bi«  auf 

»i.Mh.h    Zrit,   Wiir;^lnirL^   Is72. 


Dk  Kmandpatum  rom  ÄulnriiHisfflauben  auf  defn  Gebiet  der  Medicm  eUk    253 


Altei  mt;  ancb  im  Mittelalter  vmrdo  sii*  toq  einzelnen  heiror- 

ragenden  Operateuren   gelogentlich   ausgc öht     Pak!-:  erzählt,  dass  er 

*iurch  das  Studium  Galkns  zu  dem  Versuch,  lüe  Gt'fasso  zu   unter- 

MnJ»'ii,  angeregt  worden  >{ei;  er  brachte  dieses  VeriiihreB  i.  J.  1552  bei 

**inpr  Amputation   des  Unterschenkeln   zuerst  wieder  zur  Änwenduni^r» 

Spater  nahm  er  anstatt  der   Unterbindung  der  isolirten   Arterien  die 

itur  tn  mass€  vor,  iodem  er  die  Nerven  mit  den  Gefässen  zusammen 

iterbfind.    Man  glaubte  dadurch  das  Ausströmen  des  „Nervengeistes*^ 

"m  Terhiiten,    Bt^i  Nachblutunefen  wurden  die  Gt'lTissstämme  von  aussen 

nut    d»*n   Fingern  comprimirt;   auch   i^t   von  riner  Methode  die  Rede, 

welche  nat*.h  der  etwas  dunkelen  Beschreibung  von  Ä.  PAHfe  der  per- 

Btanen  Ligatur  ra  entsprechen  scheint. 

Unter  den  in  Folge  von  Verwundungen  auftretenden  Krankheiten 
iirde  das   Erysipel,  der  Hospital brand,  din  DiphthtTJe»  die  Pyaemie, 
^wie  Trismus  und  Tetanus  beobachtet' 

Eine  bedeutende  Bereicherung  erfuhr  die  Technik  des  Steinschnitts 
ün  16.  Jahrhundert  Die  bis  dahin  gebräuchliche,  von  Celsüs  be- 
iriebene  und  von  Paulus  Aegineta  vereinfachte  Mrdhode  wurd** 
lurch  verbessert,  da^s  vor  der  Operation  eine  katheterariig  g<4'Tümmte 
lohLäonde,  welche  mit  der  Convexität  nach  dem  Perineum  drängte,  in 
die  Harnrr»hre  eingeführt  wurde.  Indem  der  Schnitt  in  die  Pars 
ranacea  in  der  Rinne  die^^er  Hohl^onde  gezogen  wurde,  erhielt  die 
ud  des  Operateurs  eine  dchere  Leitung,  welche  für  den  Krfolg  von 
gTr»s8.er  Bedeutung  war.  Man  nannte  dieses  Verfahren  die  Operation 
mit  der  grossen  Geräthschaft  und  betnicbtet  Bkknabd{j  m  Rapaxlo 
ab   den    Erlinder   derselben.      Allgemeiner   bekannt   wurde   sie   durch 

MaHIANO    SA?JTt>. 

Die  Nachtheile,  welche  der  Steinschnitt  vom  Perineum  aus  zu- 
weilen im  Gefolge  hatte,  namentlich  die  Ver^ntming  der  Prustata  und 
ifcr  Samenausfuhrungsgänge  und  die  dadurch  hervorgerufene  Zeugungs- 
rnßhigkeit,  vor  allen  Dingen  aber  die  Unmügliehkeit,  sehr  grosse 
Steine  oder,  wenn  sich  dieselben  abgesackt  haben,  auf  diesem  Wege 
durch  die  Perineal-Wund«'  zu  entfernen,  regten  zu  dem  Gedanken  an^ 
ob  f«  nicht  n  "  '  sei,  den  Stein  von  oben  her  durch  einen  Ein- 
ichnttt  über    i  jubfintuge  herauszuholen.^    Pierre  Franco  führte 

Arm  hohen  Steinschnitt  zum   ersten  Male  i,  J.  1560  mit  glücklichem 

'  F  Wrnrg;  Prncticft  der  WundaxUney,  BäbcI  1642,  8.  27t  538.  645  u*  ff. 
—   '\\  riache  Studien   über  die  Boiirthpilun*;   und   Ikbindlung 

der  K  III  1859,  S.  15  u,  W.  —  Wolzendokff  im  Deutsi-heu  Arcbiv 

t  G«ciL  d.  Medinn,   Lid.  IL  8.  23  il  tl'.,   Leipzig  18T9. 

»  P   \\  nttvTftM«:  Disr  bob'^  Kt-^tii-^ilmltt  seit  8«ioem  ünsprunge,  Leipzig  1851. 


dnPBB  TrfsnlHiili 
Sit  Was0 


bMft  M  tnea 

kmtte, 

b^onders 
Boc 
Batk^  die  Haml 

mm^  QHtHam^  weiche 
Sckim  FkBUis  Fraxoo  «r- 
OB  (Iimde  wieder  mit  dfm 
P^fiiiimlraictediiiitl,  OrveUn  crdwi^  Uarnacb^ 

Würdig  di*r  Sebnitt  aiif  der  ift  die  HiniriÄbn*  «logcfuhrteii  Fitn*.b^*iii> 
imtlich  Tofi  d^r  Baphe  aoagcfälirt  ud  dufcb  die  Pr«i6Uta  verlang 
Dtr   8isittiiil«ifitdtiiill,    wm  dintt  Teciyirai   gen^tiDt    vrtml«', 
wmgsitmm  den  TartbeQ,  daas  dibci  selhit  Slcöie  fem   bedt^utFod« 
tJmbnge  etitfernl  werden  kofmla. 

P,  Fhaivcd  nuclite  dusitf  infiiierimiif  diss  Blaaensteioe 
weiblichen   Geschlechl   häufig   dnroli    etne  ein&che    Erweiterang  ri^ 
Hamn>hxe  heraaäju:ebracbt  werden. 

l)w  Lithothrypsiie  war  nahezu  in  Vergessenheit  gemtheo. 
BuKKDiciTi  erzähltes  dass  einige  Cbiiurgen  deji  Bbsenstein,  ohno 
ein  Kinschnitt  gemacht  wird,  mit  eijipmen  Instnunenten  zertröjiiiiierten.* 
hidt  alier  von  iliet»em  Verfahren  niöht  riei 

Ein<*  eigen thumliche  Methode  beschrieb  Pri.»speb  Au'Dn,*  wele 
er    in   Ä|^)pton    kennen    gelernt    harte.     Sie   Viestand   darin ,    diiös 
Harnröhre    erweitert    und    dfT   Strin    von    ausis4'n    in    die^ielbe    hineii 
g»*drjingt  wurde. 

Die  Hornipu  suchte  ni;yi  diireh  anhaltende  KüekfnLige  oder  Brnc 
bander  zur  Ileiliini;  zu  l^ringen;  üuch  entsuhlosü  man  &'ieb  nieht  seit 
zur  Rmlikalfnieration.    Zu  diesem  Zweck  wurde  bei  Leistenbrüchen 
Pforte    nach  der   Reposition  dt^r   vorgefallenen  Eingewridr   mit   eine 
feinen    goldenen   oder    bleiernen    Uraht    oder    einem    Faden    vemäl 
AMnRoiHi«:  PajiIc  erwarb  ^ich  das  grosse  Verdienst^  das**  er  das  operative 
Kingreiten    so   viel    als    mögiieh    auf  die   eingeklemmten   Hernien 
schnlnkte.    Nur  in  diei>en  Fallen  führte  er  ilie  regelrechte?  Herniotiimi 
auH,    Allerdinga  haben  andere  Chirurgen,  wie  1*.  Feanco  und  Rtius 
dies    «ebon   vor   ihm   getban;    aber   erst   durch   A,  Par£  wurde    dieses" 
Verfahren   Inj  i'ingeklennnten   Hermen  wissenschaftlich  begröTidin  onc 


^  At.  BftNKDtcrtTs:  Umnitim  a  vertice  ad  cmlcem  marbartnn  signa,  cftuaae  eli 
UanU.  I&OH,  Hb.  XXn,  a48. 

*  })v.  mtsdidutt  Atigjptonim  III^  e.  14. 


Die  Emaneipaiion  vom  AtUoriiätsglavhen  auf  dem  Gebiet  der  M&iimn  etc,    255 


damit  den  Kranken  dieser  Art,  welche  man  früher  häufig  ihrem  Schicksal 
ril)erlassen  hatte,  die  Aussicht  auf  Rettung  geboten.  ^ 

Auch  die  operative  Beseitigung  der  Harnröhren-Strikturen  durch 
gewaltsame  Trennung  mit  dem  Messer,  welche  schon  die  Chirurgen  der 
römischen  Kaiserzeit  gekannt  hatten,  wurde  durch  A.  Par*:  wieder  der 
Vei^ressenheit  entrissen.  Ausserdem  wendete  man  gegen  dieses  Leiden 
Bougies  an,  die  mit  geeigneten  ArzneistofiFen  bestrichen  waren;  sie 
worden  namentlich  von  Lagüna  empfohlen. 

Die  Kenntniss  der  plastischen  Operationen  hatte  im  16.  Jahrhundert 
längst  aufgehört,  das  Geheimniss  der  Empiriker  von  Norcia  und  Preci 
ru  sein.  Mehrere  tüchtige  Wundärzte  befassten  sich  damit  und  er- 
warben sich  in  der  Ausführung  dieser  Operationen  eine  grosse  Ge- 
schicklichkeit. Die  meisten  Erfolge  auf  diesem  Gebiet  erzielte  Gaspabk 
Tagliacozzi,  Professor  in  Bologna,  welcher  das  Verfahren  ausführlich 
beschrieben  hat* 

Zum  Ersatz  des  Substanzverlustes  benutzte  er,  wie  schon  Ant.  Beanca, 
die  Haut  des  Oberarms.  Aus  ganz  Europa  kamen  die  Patienten  zu  ihm, 
um  sich  von  ihm  operiren  zu  lassen.  Wenn  es  auch  nur  eine  witzige 
Anekdote  ist^  dass  er  einst  in  seinem  Hospital  zu  gleicher  Zeit  12  deutsche 
Grafen,  19  französische  Marquis,  100  spanische  Granden  und  einen  eng- 
lischen Esquire  gehabt  habe,  welche  sämmtlich  durch  Liederlichkeit  ihre 
Nasen  eingebüsst  hatten  und  neue  von  ihm  verlangten,^  so  zeigt  sie 
doch,  wie  weit  verbreitet  sein  Ruf  als  Operateur  war. 

Tagliacozzi  erntete  für  seine  menschenfreundlichen  Handlungen 
wenig  Dank.  VAn  bornirter  Glaubensfanatismus  sah  in  seinen  Ver- 
suchen, den  Verlust  der  Nase  oder  der  Lippen  zu  ersetzen,  einen  frevel- 
haften Eingriff  in  die  Rechte  des  Schöpfers.  Als  er  gestorben  war, 
hörten  die  frommen  Schwestern  des  Klosters,  in  welchem  man  seine 
irdischen  Überreste  bestattet  hatte,  mehrere  Wochen  hindurch  eine 
Stimme,  welche  ausrief:  „Tagliacozzi  ist  verdammt!**  Auf  Betreiben  der 
Geistlichkeit  in  Bologna  wurde  seine  Leiche  deshalb  ausgegraben  und 
an  ungeweihter  Statte  beerdigt* 

Die  Glaubenseinfalt  des  16.  Jahrhunderts  findet  in  dem  niedrigen 
Culturzustande  jener  Zeit  eine  Entschuldigung.  Die  Menschen  des 
19.  Jahrhunderts  dürfen  aber  nicht  mit  geringschätzendem  Lächeln 
darauf  herabsehen;  denn  als  vor  etwa  40  Jahren  die  Anwendung  der 

*  E.  Albebt:  Die  Hemiologie  der  Alten,  S.  180  u.  ff.  —  A.  Gyeeoyai  im 
Deutschen  Arch.  f.  Gesch.  d.  Medicin,  Leipzig  1880,  Bd.  III,  S.  326  u.  ff. 

•  De  chiruigia  curtoram  per  insitionem,  Ed.  Troschel,  Berol.  1831. 

•  J.  Bicosstaff:  The  tatler,  London  1723,  IV,  No.  260. 

*  A.  CoBBAAi:  Dell*  antica  autoplastica  italiana,  Sep.-Abdr.  1874. 


256  Der  medidnische  UnterricfU  in  der  NeiixeiL 


Äther-Narkose  bei  schweren  Geburten  vorgeschlagen  wurde,  eiferten  die 
englischen  Zeloten  dagegen,  indem  sie  sich  auf  das  Wort  der  Bibel 
beriefen:  „Das  Weib  soll  mit  Schmerzen  gebären!" 

Ausser  Tagliacozzi  machten  sich  auch  andere  Chirurgen,  wie 
Gbepfon  in  Lausanne  und  Coktesi  in  Bologna,  durch  ihre  glücklichen 
rhinoplastischen  Operationen  bekannt.  Der  Verlust  der  Nase  wurde 
übrigens  nicht  blos  durch  Krankheiten,  besonders  die  Syphilis,  sondern 
zuweilen  auch  auf  Befehl  der  Obrigkeit  herbeigeführt  Eine  derartige 
Strafe  traf  nach  der  Gesetzgebung  des  Kaisers  Friedrich  IL  Ehe- 
brecherinnen und  Mütter,  welche  ihre  Töchter  der  Prostitution  über- 
lieferten. Das  Augsburger  Stadtrecht  v.  J.  1276  bestimmte,  dass  den 
„fahrenden  Fräulein  oder  Hübschierinnen",  wie  sie  genannt  wurden, 
die  Nase  abgeschnitten  würde,  wenn  sie  sich  während  der  Fastenzeit 
oder  Samstags  Nachts  auf  der  Strasse  herumtrieben,  ausgenommen  wenn 
vornehme  fremde  Herren  in  der  Stadt  anwesend  waren.  ^ 

Die  Augenheilkunde  nahm  an  den  grossen  Fortschritten,  welche 
die  Chirurgie  in  jener  Periode  machte,  keinen  bemerkenswerthen  An- 
theil.  Sie  lag  nahezu  gänzlich  in  den  Händen  herumziehender  Kur- 
pfuscher, welche  oft,  ohne  irgend  welche  Kenntniss  von  dem  Bau  des 
Auges  und  dem  Wesen  der  Krankheiten,  die  sie  behandelten,  zu  be- 
sitzen, mit  verwegener  Dreistigkeit  die  schwierigsten  Operationen  unter- 
nahmen. Als  einer  dieser  Leute,  welcher  kurz  vorher  noch  Bedienter 
gewesen  war,  gefragt  wurde,  wie  er  denn  so  keck  sein  könne,  den  Staar 
zu  stechen,  antwortete  er,  dass  der  Patient  dabei  ja  nichts  zu  verlieren 
habe;  denn  wenn  die  Operation  misslinge,  so  bleibe  er  doch  nur  blind 
wie  vorher. 

Auch  die  Geburtshilfe  wurde  während  der  ersten  Hälfte  des 
16.  Jahrhunderts  vollständig  vernachlässigt  Wie  gering  die  Kennt- 
nisse der  Ärzte  auf  diesem  Gebiet  damals  waren,  zeigt  das  Lehrbuch 
fQr  Hebammen,  welches  Euchabius  Röslin  i.  J.  1512  unter  dem  Titel: 
„Der  schwangeren  Frauen  Rosengarten"  herausgegeben  hat  Dasselbe 
enthält  unglaubliche  Irrthümer  und  Abbildungen  von  verschiedenen 
Kindeslagen,  die  nur  von  einer  fruchtbaren  Phantasie  ersonnen,  in 
der  Wirklichkeit  aber  niemals  beobachtet  werden  können. 

Auf  einem  ähnlichen  Standpunkt  befanden  sich  seine  Nachahmer 
Walther  Reiff  und  Jacob  Rüepf,  Bürger  und  Steinschneider  zu 
Zürich,  auch  als  Dichter  geistlicher  Komödien  bekannt  Noch  un- 
bedeutender  war   die   der    Lucrezia  Borgia   gewidmete   Schrift    des 

*  Hüillard-Bräholles:  Hist  dipl.  Fried.  U,  a.  a.  0.  IV,  p.  168,  170,  Hb.  HI, 
üt  74.  80.  —  Lammebt:  Zur  Geschichte  des  bürgerlichen  Lebens  a.  a.  0.  S.  76. 


Iajjk  BoKACcrüou,  Professor  in  Feirara,  in  welcher  unter  ADderem 
embU  wird,  da*8  von  Schwangeren  manchmal  7ü  und  mehr  Früchte 
I?l*»ich7.»*itiir  aliiringen;  der  Yerftisser  scheint  dieselhen  mit  Eingeweide- 
würmexn  verwechselt  zu  Iahen.* 

Erst  mit  dem  Aufschwung  der  Anutomie  und  Chirurgie  erötfnete 
Odl  auch  für  die  Geburtshilfe  die  Aussicht  auf  eine  wissenschaftliche 
G^ilftttung.  Wiederum  war  es  Aäihkoise  PaiU^,  welcher  richtigere 
ABiMihauungen  und  l)essei*e  Behandlun^smeth*»den  anbahnte.  Er  be- 
stimmte (li**  Indieationen  für  die  Vorn;Uime  der  Wendung,  welche  zwar 
schon  im  Altertham  bekannt  war.  aber  nachher  nur  selten  geübt  wurde, 
lind  gnh  eine  Anleitung  zu  ihrer  Ausführung.^  Ihm  war  es  zu  danken. 
iiBsst  dieselbe  fortan  einen  dauernden  Platz  in  di-r  operativen  dehurts- 
hiife  U^hauptete. 

»Seine  Lehren  wurden  von  Fikrhk  Franco  und  Jacques  Gun.LE- 
MHAr  weiter  entwickelt  und  fester  begriVndet.  Der  erstere  empfahl, 
zur  Extraktion  des  lündes  ein  dreiannig*s  Specuhim  in  die  Scheide 
fuizuführen,  in  welches  er  den  Kopf  nder  die  Füsse  zu  leiten  suelit^*; 
er  kam  somit  der  Erlindung  der  (leburtszange  schon  ziemlich  nahe»^ 
Optllemeaü  lieMbaehtete  bereit«  die  Plamita  praenaj  fdme  das«  er 
jedoch  die  Art  ihrer  Entstehung  erkannie,  und  führte  bei  der  Tochter 
des  A<  PABft  das  Accotwhentmi  fmr^  au.s. 

Der  Kaiserschnitt  wurde  an  Lebenden  unternommen;  rloeh  scheint 
»ich  in  mehreren  Fällen,  üb»*r  welche  berichtet  wird,  nnr  um  den 
Bauchschnitt  hei  Extra-Uterin-Schwangernchaft  geliandelt  zu  haben.  So 
erzählt  Baühin^  dass  Jacob  Nufer^  ein  Schweizer  Hodenschneider, 
J.  1500  «einer  schwangeren  Frau,  nachdem  13  Hebammen  und 
j^brere  Cliinirgen  vergeblich  versucht  hatten,  dieselbe  auf  natürlichem 
Tege  zu  entliinden,  den  Leib  aufgeschnitten  habe,  »,wie  er  es  bei  den 
Schweinen  zu  than  gewohnt  wa^*^*  Dsiliei  soll  ^x  sofort  nach  dem 
ersten  Schnitt  ein  lebendes  Kind  herausbefürdert  haben. 

Dagegvm  müssen  andere  Falb^  auf  den  eigentlichen  Kaiserschnitt 
b'7.ogen  werden.'^  Man  scheint  denselben  sogar  häutiger,  als  noth- 
wendig  war,  ausgeführt  zu  haben;  A,  Pah^-:  warnte  davor  und  wies  auf 
dl»*  (Tefahren  der  Opt^ration  hin.  Aber  miin  war  noch  nicht  so  weit 
in  ibr  Wissenschaft  vorgf^srlnitb'n,  um  die  Bedingungen  feststellen  zu 


'  \L  C.  J.  V,  StEBoi^t»  a,  a.  O,  11,  17. 

'  Oeuvres  d'Ambnn8€  Pan'  ofb  Mauuicjnk.  T,  H»  r»2S  u,  tl. 

*  8tKnou>  a.  a.  0.  II,  S3. 

*  C.  4,  V.  ÖlEflOLD  a.  tu  < ».   II,  04   u.  ff, 

*  SntROtn  A.  ft.  0.  II,  lOa  u.  ff.  —  O.  Wach»:  Der  Witteiib<!>rger  Kaiä^ersclmitt 
UIO,  IMpmig  1668. 


258  Der  msdiGinutcke  UnterricfU  in  der  Neuzeit. 


können,  nnt^^r  welchen  der  Kaiserschnitt  vorgenommen  werden  soll, 
wenn  auch  Abanzios  Arbeiten  über  die  Beckenenge  den  Ärzten  vielleicht 
eine  Ahnung  davon  verschafften. 

Auch  auf  anderen  Gebieten  der  Heilkunde  regte  sich  der  Geist 
des  Kriticismus  und  rüttelte  an  den  durch  die  herrschenden  Autoritäten 
gestützten  Lehren  und  Einrichtungen. 

PiERKE  Brissot  erklärte,  dass  es  unrichtig  sei,  den  Aderlass  bei 
entzündlichen  Krankheiten  möglichst  entfernt  von  der  leidenden  Stelle 
vorzunehmen,  wie  es  damals  üblich  war,  und  führte*  ihn  im  Gegentheil 
in  der  Nähe  des  erkrankten  Theiles  aus.  Seine  an  den  hergebracht<»n 
Meinungen  festhaltenden  Gegner  griffen  ihn  deshalb  heftig  an  und 
])ehaupteten,  dass  seine  Neuerung  eben  so  gefahrlich  fiir  die  Körper 
sei,  als  der  religiöse  Glaube  Luthers  für  die  Seelen.^  Wichtiger  als 
dieser  ganze  Aderlassstreit  war  es,  dass  in  Folge  dessen  Zweifel  auf- 
tauchten, ob  der  Aderlass  überhaupt  in  gewissen  Fällen  immer  er- 
forderlich sei. 

Um  dieselbe  Zeit  bekämpfte  Mich.  Seuvet  die  irrige  Lehre  von 
der  Kochung  der  Säft<».  Femer  erfuhr  die  übertriebene  Bedeutung, 
welche  man  dem  Puls  und  der  Hamschau  beilegte,  eine  vernünftige 
und  nothwendige  Einschränkung.  Gewissenlose  Abenteurer  und  un- 
wissende Empiriker  trieben  damit  einen  unerträglichen  Missbrauch. 
Dcis  Uringla«  bildeten  gleichsam  das  Wahrzeichen  des  Arztes,  wie  man 
an  den  Bildern  der  niederländischen  Schule  sehen  kann,  und  sollte 
über  die  geheimsten  und  wunderbarsten  Dinge  Auskunft  geben.  Rs 
war  begreiflich,  dass  sich  ehrliche  Ärzte  und  verständige  Laien,  wie  der 
Bischof  DüDiTH  VON  HoREKOwicz,  gegen  dieses  Treiben  wandten  und 
eine  wissenschaftliche  Behandlung  der  Urinlehre  anstrebten. 

Freilich  konnte  dies  erst  dann  mit  Erfolg  geschehen,  wenn  die 
Chemie  eine  höhere  Entwicklung  erreicht  hatt^.  In  dieser  Richtung 
hat  Niemand  während  des  IG.  Jahrhunderts  mehr  geleistet,  als  Theo- 
PHRASTüs  BüMBASTüs  Pabacelsus  vou  HohenheioL  Dieser  Mann, 
welcher  zu  den  merkwürdigsten  Erscheinungen  der  Culturgeschichte 
gehört,  ist  von  Einigen  über  Gebühr  verherrlicht,  von  Andern  mit  Spott 
und  Verachtung  überhäuft,  selten  aber  vorurtheilslos  und  gerecht  be- 
urtheilt  worden.  Er  war  eine  Faustische  Natur,  welche  die  höchsten 
und  edelsten  Ziele  ins  Auge  fasste,  aber  mit  ihren  kühnen,  weitgreifenden 
Plänen  Schiffbruch  litt  und  im  Kampf  mit  den  umgebenden  Verhält- 
nissen Alles,  sogar  sich  selbst  verlor. 

'  K.  Sprbnqel:  Geschichte  der  Arzneikande  111,  176  nach  Morkaü:  De 
Töiss.  sangiün.  in  pleurit,  Paris  1030,  p.  102. 


Aber  diese  traurige  ITiat^ache  kann  ihm  nicht  das  grosse  Ver- 
dienst niuben,  welchas  or  sich  um  die  M<'diein  orworben  haty  indem 
»»r  di«^  Säft4:>thearie  der  Alten  bestritt  und  zuerst  dem  Gedanken  Aus- 
dmck  ^b,  dass  der  Lebensprozess  ein  chemischer  ist  und  chemische 
VernnderuDgen  \lk  Bedingungen  der  Gesundheit  und  Krankheit  l)ild<'n. 
Er  erkannte  die  Unrichtigkeit  der  aus  dem  Alt^rthum  stammenden 
Lehre,  di^ss  das  Herz  der  Sitz  der  Warme  sei,  und  sagte,  duss  jeder 
KürjHTtheil  seine  Wärmequelle  in  sich  trage.  ^  Er  wries  auf  die  Analugie 
der  Gicht  mit  den  Steinleiden  hin,  in(l»'m  es  bei  beiden  Krankhiutcn 
iir  * ' '  ;  rnng  fe.ster  Stoffe  komme,  und  empfahl  in  diesen  Fällen  den 
«p  ilkali nischer  Sauerlinge.    Die  innere  Anwendung  verschiedener 

chemischer,  l^eson<ler8  mineralischer  Substanzen  wurde  von  ihm  zuerst 
ucht;  zu  die.sen  geljören  das  Quecksilber  in  verschiedener  Gestalt, 
hrere  Bleiverbindungen,  antimtinhaltige  Arzneien,  du'  Schwefelmilch, 
ier  Kapfervitriol,  der  Elsensafran  und  andere  Eisenpräparate. 

pARACKLSüs  erklart^*.  dass  die  Chemie  nicht  die  Aufgabe  habe, 
'tüld  zu  fal>riciren,  sondern  Arzneien  darzustellen.  p]r  widmete  dieser 
Wissenschaft  ein  eifriges  Studium^  und  war  /,.  B.  der  Erste,  der  sich 
im  Bestimmung  des  Eisengehalts  der  Mineralwässer  d**r  Galläpfel- 
tinktur bediente,  Die  übelen  Folgen,  welche  der  länger  fortgesetzte 
^lebranch  einzelner  mineralischer  Stoöe,  z.  B.  des  Quecksilbers,  hinter- 
t,  entgingen   ihm   keineswegs;    er  hatte   sie  an   den   Arbeitern    df'r 


h 


iSei^wi 


erke  von  Idria  kennen  gelernte  Ebenso  schilderte  er  die  Wirkungen 
d(?3*  Arüeniks  und  die  Krankheiten,  denen  die  Bergleute  beim  Schmelzen 
mancher  Met^ille  ausgt^etzt  sind.  Indem  er  die  Chemie  aus  den  Händen 
ier  Alchimisten  befreite  und  der  Heilkunde  nutzbar  nuicbte,  giiU  er 
Ae  Anregung  zur  wissenschafrlichen  Bearl>eitung  der  Chemie  und  zur 
Begründung  der  medicinischen  Chemie. 

Die  Wirkungen  dieser  That^^achen  zeigten  sich  in  der  Pharma- 
kwliigit*;  zahlreiche  halb-  oder  ganz  vergessene  Arzneien  warden  wieder 
in  Krinnenmg  gebracht  und  andere  neu  erfunden.  Gleichzeitig  erfuhr 
•l**r  Arzneischatz  durch  die  Medicamente,  welche  aus  Amerika  einge- 
führt wurden,  manche  Bereicherung. 

Kaiser  Carl  V,  gebrauchte  auf  Vesals  Verordnung,  rds  er  an  d<T 
<'rirht  damiederlag,  eine  Abkuelumg  der  China-Wurzel.  Das  (tuajak- 
Mi  crhiDgte  einen  gr*:>ssen  Ruf  als  specitisches  Mittel  m?ixm\  die  Sj-philis, 
CiJiTCH  VON  HrTTKK,  wclchcr  seihst  an  dieser  Krankheit  viele  Jahre 
liöy  hal  die  Wirkungen  de^  Guajakholzes  ausführHch  geschildert^^ 

'  Pakacslsyts:  Puramirtim,  Lib,  I.        *  Kupp:  Gtjscli.  der  Cbcmie  ii.  a,  O.  I,  »6. 

•  U.  V.  Hüttek:  Du  Guajaci  mcdu'iim,  Mo^unt.  1519.  —  F.  F-  A,  Porruw: 

ilnv  du  cboTiLlier  ullenamid  Ulrifh  ih»  J lüften  siir  hi  miilRilir  fmin^aise,  l^you  iSßr». 


260  Der  medieinisctie  Unlerrichi  in  der  Neuzeit. 

Auf  dem  Felde  der  inneren  Medicin  forderte  der  durch  den  Kampf 
gegen  den  Autoritätsglauben  geweckte  Geist  der  Selbstständigkeit  eine 
Menge  von  Beobachtungen  zu  Tage,  welche  zur  Kenntniss  der  Krank- 
heiten viel  beitrugen.  Das  Wesen  der  Syphilis,  die  damals  mit  un- 
gewöhnlicher Heftigkeit  und  in  seuchenhafter  Ausbreitung  auftrat,  und 
deshalb  für  eine  neue  Krankheit  gehalten  wurde,  die  aus  den  neuent- 
deckten überseeischen  Ländern  nach  Europa  gelangt  sei,  wurde  durch 
die  Feststellung  der  genetischen  Beziehungen  zwischen  den  secundären 
und  tertiären  Folgezuständen  und  der  primären  Lokal-Affektion  in  ein 
überraschendes  Licht  gestellt.  Mit  dem  Verlauf,  den  Erscheinungen 
und  der  Behandlung  dieses  Leidens  beschäftigten  sich  zahlreiche 
Schriften,  welche  alle  Theile  des  Krankheitsbildes  l)erücksichtigt€n. 

Aus  derselben  Zeit  stammen  die  ersten  Mittheilungen  über  den 
Scorbut.  Vascü  de  Gama  verlor  auf  seiner  Expedition  i.  J.  1498  nicht 
weniger  als  55  seiner  Schiffsgefahrten,  die  an  dieser  Krankheit  zu 
Grunde  gingen.^  Auch  in  den  Küstenländern  der  Nord-  und  Ostsee 
und  in  einzelnen  andern  Gegenden  wurde  das  Auftreten  derselben 
beobachtet. 

In  das  Ende  des  IG.  Jahrhunderts  fallen  femer  die  ältesten  Berichte 
über  die  Kriebelkrankheit,  den  Ergotismus  convulsivus,  der  sich  von 
der  gangränösen  Form  dieser  Intoxication,  welche  man  in  früheren 
Zeiten  gewöhnlich  als  Ignis  sacer  bezeichnete,  sowohl  durch  die  Krank- 
heitserscheinungen als  durch  die  geographische  Verbreitung  unterschied. 

Durch  das  sorgfältigere  Studium  der  Krankheitserscheinungen  und 
den  Fortschritt  der  medicinischen  Wissenschaft  gelangte  man  auch 
allmälig  dahin,  dass  die  vielumfassenden  nosologischen  Begriffe  des 
Aussatzes  und  der  Pest  in  die  einzelnen  Krankheiten,  aus  denen  sie 
sich  zusammengesetzt  hatten,  zerlegt  werden  konnten.  In  Folge  dessen 
erlangten  neben  verschiedenen  Leiden,  die  sich  durch  Ablagerungen  in 
der  Haut  kennzeichnen,  die  typhösen  Erkrankungen  einen  selbststän- 
digen Platz  in  der  wissenschaftlichen  Pathologie. 

Fkacastorio,  der  hervorragendste  Epidemiograph  des  16.  Jahr- 
hunderts, veröffentlichte  die  erste  Beschreibung  des  exanthematischen 
Typhus.  Baillou  hinterliess  die  ersten  unzweideutigen  Schilderungen 
des  Keuchhustens  und  des  Croups. 

Ausser  diesen  fundamentalen  Arbeiten  verdient  die  casuistische 
Iterator  hervorgehoben  zu  werden,  welche  für  die  Entwickelung  der 
eilkonde  von  grosser  Bedeutung  war.    Einzelne  Beobachtungen  bieten 


^  A.  Hibsoh:  Handbuch  der  historisch-geographischen  Pathologie,  Stattgart 
n»  868  o.  ff. 


aoch  jetzt  Interesse,  wie  diejenigen  über  (rallensteiEe  von  Al.  Ben^detti, 
ferner  die  duxcb  eine  Abbildung  illastrirte  Bescbreibunf^  der  Nieren- 
steine des  Herzogs  Albrecht  V,  von  Bayern,  denen  der  V'olk^giaube  die 
Gesstalt  vun  Jesuiten-Kopten  andichtete/  der  von  F,  YALLEiuoiiA  erzählte 
Fall,  in  dem  eine  Pistolenloigel,  welche  in  die  Buuchhidile  eingedrungen 
war^  nach  einiger  Zeit,  ohne  weitere  Folgen  zu  hinterlassen,  durch  den 
After  entleert  wurde,*  der  Bericht  des  Dodonaehs,   welcher  bei  der 
Sektion  eines  franzosischen  Prinzen,  der  lange  Zeit  am  Tripper  und  an 
Xierenschmerzen   gelitten   hatte,   Vereiterung  der  Ureteren   und  Ver- 
liärttmg  der  Nieren    land,^    die    psychiatrischen   Erfahrungen    Felix 
Pi*4TT£BS,   welcher  sich   gegen   die  Zwangsmassregeln   und    die   Ein- 
sperrung der  Geisteskranken  in  Getangnisse  aussprach,  u.  ä,  m. 

Welche  reiche  Vermehrung  des  Inhalts  die  medicinische  Wissen- 
aft  im  lU.  Jahrhundert  erfahren  hat^  lasst  sich  hier  leider  nur 
undfuten;  denn  eine  ausfuhrliche  Schilderung  der  einzelnen  Fortschritte 
de  zu  weit  fuhren  und  ist  nicht  die  Aufgabe  dieses  Buches.  Die 
Dgel'ulirten  Beispiele,  werden  genügen,  um  zu  zeigen,  wie  sich  der 
Mjjeist  in  der  Entwickelung  der  Medicin  wiederspiegelte. 


Die  Universitäten  im  16.  Jahrhundert. 

is  mit  ungeahnter  Kraft  sich  entfaltende  Geisteslehen  hatte  die 
*irQiidung  zahlreicher  Universitäten  zur  Folge.  In  Spanien  und  Por- 
tugal, welche  durch  die  üherseeischen  Entdeckungen  in  den  Vorder- 
grund der  öffentlichen  Interessen  gedrängt  wurden,  wurden  Hochschulen 
»Toledo  (1520),  Baeza  (1538),  Composttdla  (1534),  Granada  (1540), 
Omna  und  Gandia  (1549),  Almagro  (1552).  Orchuela  (1555),  Terra- 
piU  (1572)  und  Oviedu  (1580)  errichtet;  selbst  in  der  neuen  Welt^ 
iB  Lima  (1551)  und  Mexiko  (1553),  entstanden  Universitäten, 

Aber  ihre  Bedeutung  für  die  Entwickelung  der  Wissenschaft  blieb 
geruiif.  Sie  sanken  rasch  in  Vergessenheit,  als  Spanien,  dem  das 
Schick vdl  die  Holle  der  leitenden  Seemacht  zugedacht  hatte,  durch  die 
kurzidchtige  Gkubenspolitik  seiner  Herrscher  und  den  beschränkten 
f '  "  MUS  seines  Volkes  von  der  politischen  Hohe,  die  es  erreicht 
abgestürzt  wurd^. 


•  L  ntiifi  ü.  DiaTBt  iu  Vutcüows  Archiv,  Bd.  96,  S.  501  u,  fil 
JObftcrvut.  mficJicm.,  Hb,  IV,  c,  9,  Lugd.  1605. 
%||iiii6w  obeervat.  exompla  rara,  Ilarderwyk  1521^  p.  72,  c.  41. 


262  Der  medicinMic   J^ntcrricht  in  der  Nieuxeii. 


England  und  die  Niederlande,  welche  an  Spaniens  Stelle  traten 
und  bald  den  Handel  und  Verkehr  mit  den  überseeischen  Ländern 
beherrschten,  wussten  besser  den  Vortheil  ihrer  Lage  auszunutzen. 
Sie  blühten  empor  und  wurden  die  wohlhabendsten  Lander  der  Welt. 
Sie  vereinigten  die  Keichthümer  Amerikas  mit  den  Schätzen  Asiens 
in  ihrem  Besitz;  denn  auch  der  Orienthandel,  welcher  bis  dahin  seinen 
Weg  über  Italien  genommen  hatte,  schlug  eine  andere  Richtung  ein 
und  gelangte  zur  See  nach  den  Küsten  Britanniens,  Hollands  und 
Xorddeutschlands. 

Tn  dieser  Thatsache  liegt  die  Jirkläning  der  merkwürdigen  Er- 
scheinung, dass  diese  Lander  fortan  auch  auf  den  geistigen  Gebieten, 
in  der  Kunst  und  Wissenschaft,  eine  hen^orragende  Rolle  spielten, 
w^ährend  sie  andererseits  auf  den  Verfall  Itulicns,  der  mit  jener  Zeit 
])egann  und  am  Schluss  des  17.  Jahrhunderts  deutlich  zu  Tage  trat, 
ein  Licht  wirft. 

Italien  erhielt  im  16.  Jahrhundert  nur  zwei  Hochschulen,  nämlich 
zu  Mac^rata  (1540)  und  zu  Messina  (1548).  In  Frankreich  wurden 
Universitäten  zu  Kheims  (1558),  Douai  (1561),  Besan9on  (1564)  und 
Pont-fi-Müusson  (1572)^  gegründet,  denen  sich  die  in  der  französischen 
Schweiz  gelegenen  Universitäten  zu  Lausanne  (1536)  und  Genf  (1569) 
anschlössen.  Ausserdem  errichtete  der  König  Franz  I.  das  College  de 
France,  an  welchem  unentgeltliche  Vorlesungen  gehalten  wurden,  deren 
Besuch  Jedennann  gestattet  war.  Unter  den  reich  dotirten  12  Lehr- 
kanzeln befand  sich  auch  eine  für  Medicin. 

Auf  den  brittischen  Inseln  erhielt  Edinburg  1583  und  Dublin  1591 
eine  Universität.  In  den  Niederlanden  entstanden  derartige  Anstalten 
zu  Leyden  (1575)  und  Franeckcr  (1585).  An  der  östlichen  Grenze 
der  Cultur  wurde  Wilna  (1507)  zum  Siti  einer  Hochschule  gemacht. 

Auch  die  Zahl  der  deutschen  Universitat<?n  wurde  erheblich  ver- 
mehrt. Schon  auf  dem  Reichstage  zu  Worms  i.  J.  1495  richtete  der 
Kaiser  Maximilian  I.  an  die  Kurfürsten  die  Aufforderung,  dass  Jeder 
in  seinem  Lande  eine  Hochschule  gründe.  Was  die  Kurfürsten  thaten, 
das  wollten  auch  die  übrigen  Landesherren  durchsetzen,  wenn  es  irgend 
möglich  war.  So  wurde  eine  Menge  von  Universitäten  ins  Leben  ge- 
rufen, von  denen  manche  kaum  die  nothdürftigsten  Mittel  zu  ihrer 
Existenz  erhielten. 

Im  J.  1502  errichtete  der  Kurfürst  Friedrich  der  Weise  von  Sachsen 
mit  kaiserlicher  Genehmigung  die  Hochschule  zu  Wittenberg,  welche 


^  ToüBDEs:  Originc  de  rcnseignement  mM.  au  Ijorraine.  La  £Acaltö  de  mM. 
de  Pont-iii-MoussoD,  Paris  1876.  —  Leüband:  L'universit^  de  Douai,  Douai  1888. 


DU  üniversitiUen  im  16,  Ja^irhtmdmi. 


263 


den  folgenden  Decennien   den  Mittelpunkt  der  religiössen  Refonn- 
egung  läldofca     Darauf  fols^te  150G  die  Gründung  der  Universität 
m  Frankfurt  nO.  für  die  Markgrafschaft  Brandenburg. 

Die  erste  Hochschule,  die  nach  der  Kirchenspaltung'  entsUind  und 

einen  ausgesprochen  protestantischen  Charakter  trug^  war  diejenige  zu 

Mikrhurg  in  Hessen,  welche  1527  errichtet  wurde,  aber  erst  1541  die 

^llg^gung   de^   Kaiser«   erhielt     Gleich   der    Marburger   Universität 

^^^^id    auch    diejenige    zu    Königsberg    in   Preussen   (1544)    unter 

[ÄELlKcuTHüiis  Einfloss;   sein  Schwiegersohn  Sabinits  war  ihr  ei'ster 

^B  ^  Dillingen  gründete  der  Augsbnrger  Bischof  ü.  vun  Truchsess 
LJ,  1549  eine  Bddiingsanstalt  für  Kleriker,  welcher  1554  vom  Pabst 
die  Rechte!  einer  Universität  verliehen  wurden.  Sie  wurde  später  von 
Jen  Jeriuiten  geleitet  und  lb04  aufgehoben.- 

Die  Entstehung  der  Universität  Jena  (1558)   hatte   darin   ihren 

!rT  Kurfürst  Johann  Friedrich  ran  Sachsen,  als  er  nach 

heu  Schlacht  bei  Mühlberg  genothigt  wurde,  sein  Land 

ßfoi  da^enige  seines  Vetters  Moritz  zu  vertauschen,  eine  Universität 

Nähe  seiner  Residenz  haben  wollte.  —  Seinem  Beispiel  folgte 

Julius    von    Braunschweig    und    schuf   1576    die    Universität 

Imstädt,  welche  bis  1809  existirte.     Die  medicinische  Eucultiit  der- 

führte  in  ihrem  Wappen  einen  gekrönten  Ochsen  unter  einena 


In  den  I/mderu  der  Habsburgischen  Dynastie  wurden  Hochschulen 

i<»Unür2  (1573)  und  (iraz  (1585)  mit  katholiscbem  (lianJikT  errichkt, 

jedoch  nicht  mit  allen  Facultätcn  ausgestattet  waren, 

Nor  die  Universität  zu  Würzburg,  welche  i.  J.  1582  vom  Fürst- 

hof  Julius  Echter  wiedererüffnet  wurde,   besass  reichere  Hillsmittel 

ilas  medicinische  Studitmi.     ülirigens  hatten  auch  tue  übrigen  der 

entstandenen   Universitäten   selten  mehr  als  einen  Professor  der 

ücin.     Itte  Theologie  stand  immer  noch  im  Vordergruude. 

Die  protestantischen  Hochschulen  kämpften  nicht  weniger  eifrig 

im  neuen  Glauben,  als  die  katholischen  Universitiitt*n  unter  jesuiti- 

ter  Führung  die  Autorität  des  Pabstes  verth einigten.    An  der  Hoch- 

bule  j£u  Helmstedt  wurde  Niemand  geduldet,  der  nicht  dem  Juthe- 

hm  Glauben  anhing.    Der  Herzog  von  Braunschweig  erklärt«  1584 

General-Consisturium,   dass  es  besser  sei,  wenn  derartige  Leute 


'  M.   roFrEu:  Die  Grilndung  der  UuiveraitÄt  zu  KöDigjaberg,  1844. 

'  Pauläem:  Go6chicbte  des  gelehrten  Unterrichte  a.  a.  IX  8.  268. 

^  Uoicbtclitc  der  ehemaligen  Hochschule  su  Heixostädt,  Helmstedt  1ST<^. 


264  Ber  mediciniscfie  Unterricht  in  der  Neuzeit.  ' 


„zum  Teufel  führen,  als  dass  sie  seine  Kirchen  und  Schulen  verunreinten 
und  befleckten".^  Aber  es  war  doch  schon  ein  grosser  Portschritt  zur 
Toleranz,  dass  er  die  Andersgläubigen  nur  ins  Jenseits  wünschte  und 
nicht  mehr  gewaltsam  dorthin  befördern  liess. 

Leider  kam  auch  dies  unter  der  Herrschaft  des  Protestantismus 
nur  zu  oft  vor,  wie  abgesehen  von  den  grausamen  und  blutigen  Ver- 
folgungen, deren  Schauplatz  England  und  die  ihm  unterworfenen  Länder 
waren,  das  Beispiel  des  unglücklichen  Michael  Servet  beweist,  der  auf 
(.'alvins  Betreiben  in  Genf  den  Scheiterhaufen  besteigen  musste,  weil 
ihm  das  Verständniss  für  die  Dreieinigkeit  Gottes  nicht  gelang.^ 

Die  Wirkung  der  Kirchenspaltung  auf  die  Universitäten,  welche 
sich  der  religiösen  Keformbewegung  anschlössen,  äusserte  sich  zunächst 
in  der  Loslösung  von  Rom,  in  der  Beseitigung  der  päbstlichen  Ingerenz. 
Aber  der  kirchliche  Einttuss  wurde  dadurch  nicht  aufgehoben;  es  traten 
nur  an  die  Stelle  der  katholischen  Theologen  die  protestantischen,  deren 
Herrschaft  in  manchen  Ländern,  z.  B.  in  England,  sehr  drückend  war 
und  sich  in  unberechtigter  Weise  auf  alle  möglichen  Gebiete  des  geistigen 
Lebens  ausdehnte. 

¥An  freierer  Geist  beseelte  die  protestantischen  Hochschulen  Deutsch- 
lands. Die  Geistlichkeit  der  neuen  Kirchen  gewann  hier  geringere 
Macht  und  entwickelte  sich  allmälig  zu  einem  Organ  der  Staatsgewalt^ 
die  aus  Gründen  der  politischen  Zweckmässigkeit  brutale  Ausbrüche 
der  religiösen  Intoleranz  vermeiden  musste.  In  Frankreich  wurde  die 
Verstaatlichung  der  Universitäten  und  überhaupt  des  gesammten  Schul- 
wesens, welche  in  den  protestantischen  Ländern  Deutschlands  unter  dem 
Einfluss  der  Kirchenspaltung  zu  Stande  kam,  durch  die  Kraft  der  Re- 
gierungen allmälig  herbeigeführt 

In  den  katholischen  Ländern  Deutschlands  vollzog  sich  dieser 
Prozess  erst  im  18.  Jahrhundert,  in  anderen  Staaten,  z.  B.  in  Italien, 
im  19.  Jahrhundert  Derselbe  hatte  manche  Veränderungen  in  der 
Organisation  der  Universitäten  im  Gefolge.  Die  Kanzler-Würde  wurde, 
wenn  man  sie  nicht  gänzlich  abschaffte,  mit  hohen  Beamten  oder  Ver- 
trauensmännern der  Staatsregierung  besetzt  und  die  Licenz  nicht  mehr 
von  der  Kirche,  sondern  vom  Staat  ertheilt 

Der  kosmopolitische  Charakter  der  Universitäten  hörte  damit  auf; 
sie  waren  fortan  nichts  weiter  als  die  höchsten  Lehranstalten  des  Staates, 
und  ihre  akademischen  Grade  hatten  nicht  mehr,  wie  früher,  Geltung 


^  Paulsen  a.  a.  0.  S.  178  nach  E.  L.  T.  Henke:  Georg  CaUxtus  und  seine 
Zeit,  Halle  1853. 

*  W.  £.  H.  Leckt:  Geechichte  der  Aufklftrung  in  Europa  11,  31  u.  ff. 


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für  alle  Üknder  der  Christenheit,  sondern  nur  für  einen  engbegrenrten 
IK>irtisrheu  Bezirk.  Die  schrankenlose  Freizüi^^igkeit,  deren  sieh  die  ge- 
lehrten Stände  im  Mittelalter  erfreuten,  wurde  aiiigehohen,  und  es  ent- 
irickelte  sich  alhnälig  ein  Prohil)itiv-Syj^tem,  welches  die  Wissenschaft 
aar  aocrkannte,  wenn  sie  innerball)  der  eigenen  Grenzpfahle  erworben 
en  war. 

Eine  grosse  Umwälzung  erfuhren  im  Allgemeinen  die  finanziellen 
Verhültnisse  der  Univei-^itaten  Deutschlands  und  mehrerer  anderer 
Ultider,  welche  sich  dem  Protestantismus  anschlössen.  Die  Professoren 
mioren  die  Au.^sicht  auf  eine  Vermehruufr  ihrer  Einnahmen  durch 
fette  Kuchenpfründe«,  Die  geringe  Erhrdiung  ihrer  Besohl un gen,  welche 
\m  der  Säcalarisation  der  Kindiengfiter  erfolgte,  hot  dafür  nur  einen 
itürfligen  Krsatx.  Ül^erall  fühlte  man,  dass  der  sichere  Rückhalt,  den 
mn  m  den  reichen  <reldinitteln  der  Kirrhe  geliabt  hatto,  nicht  mehr 
ti'rliiUiden  war 

W'  'f!i;fügig  «he  Mittel  waren,    welclie  «lamjds  die  Erhaltung 

dner  1 1. ...it  erforderte,  zeigt  da,s  Jahres-Budget  der  Tühinger  llfieh- 

«!hule  Ton  1541/42.  Die  Einnahmen  betrugen  5176  fl.,  die  Ausgaben 
'J853  d.;  in  den  letzteren  waren  die  Professoren-GehaltiT  für  3  Theo- 
l*»gent  6  Jurist-en^  2  Mediciner  und  10  Artisten  mit  je  40 — 200  Jb, 
im  Ganzen  2304  tl  enthalten.^ 

Die  Bedürfhis.se  einer  kleinen  Universität  in  jener  Zeit  waren  nicht 
l>f*cteatend,  wie  das  Beispiel  von  Greifswahl  zeigt,  wo  sich  sanmitliche 
iLaanüichkeiten  derselben  in  einem  einzigen  H*mse  )>efanden.  Sie  be- 
sUndm  aus  drei  Hörsälen,  dem  Seuatssaal^  dem  Laden  für  die  aka- 
•iemiüche  Buchhandlung,  dem  Biblinthekzimmer,  dem  Archiv,  zwei 
Prufessoren-Wühnungen,  mehreren  Kammern,  in  clencn  Studenten  wobnlen, 
und  dem  Carcer  im  Souterrain J 

Die  kafholiscben  Hüchschulen  befanden  sich  in  dieser  Beziehung 
io  einer  günstigeren  Lage,  Pabst  Julius  IIL  erliess  i.  J.  1553  eine 
Ballt»,  nach  welcher  e«  gesetzlich  gestattet  war,  geistliche  Pfründen  an 
wi'lilirhe  Professoren  zu  verleihen»  was  übrigens  schon  seit  langer  Zeit 
?d>rduchlich  war  und  stillschweigend  geduldet  wurde. 

Das  CöÜbat  der  Univeraitätslehrer  wurde  dadurch  gegenstandslos 
und  hurte  allmälig  auch  in  den  katholischen  Ländern  auf.  An  den 
prok^jstantiÄchen  Hochschulen  war  es  selbstverständlich  ausgeschlossen; 
doch  wirkte  die  Gewohnheit  so  mächtig,  dass  man  z.  B.  in  Tübingen 
Jaran  noch   festhielt   und  es  sogar  von  den  Professoren  der  Medicin 


»  F.  PAULffiK  in  Svbbl's  hbtor,  Zoitachr,  ISSJ^  ßd.  45,  S.  278  u.  ff, 
*  R  PADLBI5Ä  a.  a.  O.  8.  304.  407. 


-•^ 


266  Der  niedidnisdie  Unterricht  in  der  Neuzeit. 


verlangte,  nachdem  die  Universität  schon  längst  protestantisch  ge- 
worden war. 

Die  Besoldungen  der  Professoren  waren  verschieden  in  den  ein- 
zelnen Ländern  und  Facultäten ;  diejenigen  der  Mediciner  standen  denen 
der  Theologen  und  Juristen  im  Allgemeinen  nach.  In  Paris  erhielt 
jeder  Professor  der  Heilkunde  i.  J.  1505  12  livres  jährlich.^  In 
Königsberg  wurden  den  beiden  Lehrern  der  Medicin  i.  J.  1544  Be- 
soldungen von  200  und  150  fl.  ausgesetzt*  In  Heidelberg  bezogen 
die  drei  Professoren  der  Medicin  vor  der  Reformation  Jahresgehälter 
von  180,  160  und  140  fl.  Im  J.  1588  wurden  dieselben  erhöht  auf 
270,  180  und  170  fl. ;  ausserdem  erhielt  Jeder  freie  Wohnung,  sowie 
ein  Fuder  Wein  und  12  Malter  Korn  jährlich.  ^ 

Der  Herzog  Wilhelm  von  Bayern  stellte  1537  einen  Rechtslehrer 
in  Ingolstadt  mit  300  fl.  Gehalt  an.  Dies  war  die  höchste  Besoldung, 
die  damals  auf  einer  deutschen  Universität  gezahlt  wurde.* 

Die  Studentenschaft  wurde  von  den  grossen  Begebenheiten  der 
Zeit  ebenfalls  mächtig  ergriffen.  Der  auf  allen  Linien  eröfl&iete  Kampf 
gegen  die  Autorität,  der  Humanismus,  welcher  in  den  ungezwungenen 
Lebensformen  der  antiken  Welt  seine  Ideale  fand,  vor  Allem  aber  die 
Kirchenspaltung  erzeugten  einen  Geist  der  Freiheit  und  Unabhängigkeit, 
welcher  sich  manchmal  gegen  jede  Beeinträchtigung  der  Selbstständig- 
keit auflehnte. 

Die  Senatsprotokolle  der  Tübinger  Universität  enthalten  merk- 
würdige Belege  für  die  Sittengeschichte  der  Studierenden  des  16.  Jahr- 
hunderts. So  beschwerten  sich  die  Nonnen  von  Suchen  in  einem 
Schreiben  v.  J.  1564  beim  Senat,  dass  sie  durch  die  häufigen  und  zu- 
dringlichen Besuche  der  Studenten  belästigt  wurden.  Viele  Studenten 
in  Tübingen  waren  verheirathet  und  Familienväter;  i.  J.  1575  wurde 
den  jungen  Studierenden  verboten,  sich  ohne  Einwilligung  ihrer  Eltern 
zu  verehelichen.  Im  J.  1589  wurde  dem  Senat  angezeigt,  dass  eine 
Wittwe  mit  Studenten  Unzucht  trieb;  zur  Strafe  dafür  wurde  sie  ,4n 
einem  Stüblein  an  die  Kette  gelegt".^ 

*  Hazon  a.  a.  0. 

*  D.  H.  Arnoldt:  Historie  der  Köuigsbergischeu  Universität,  Königsberg  1746. 

*  Hautz  a.  a.  0. 

*  Meinebs:  Geschichte  der  Entstehung  der  hoben  Schulen,  Göttiugen  1802. 

^  B.  v.  Mohl:  Nach  Weisungen  über  die  Sitten  und  das  Betragen  der  Tü- 
binger Studierenden  während  des  16.  Jahrhunderts,  Tübingen  1871.  —  Job. 
Hubeb:  Deutsches  Studentenleben  in  Kleine  Schriften,  Leipzig  1871,  S.  864  u.  ff. 
—  B.  Gebha&dt  in  der  Zeitschr.  f.  allgem.  Gesch.  her.  y.  Zwiedihbck-Südkvhobst, 
Bd.  IV,  1887,  S.  962. 


Die  Universitäten  im  16'.  JaJir hundert,  267 


In  Wittenberg  kamen  ahnliche  Excesse  vor.^  Auch  unter  den 
Studenten  katholischer  Universitäten  herrschte  ein  roher  gewaltthätigcr 
Ton,  wie  die  Nachrichten  über  Ingolstadt  beweisen.  ^ 

Die  Studenten  wohnten  theils  in  Bursen  oder  Convikten,  wie  sie 
s(^hon  im  Mittelalter  existirten,  theils  bei  Privatleuten  oder  Professoren. 
Die  letzteren  fanden  in  dem  Gelde,  welches  sie  für  die  Aufnahme  und 
Verpflegung  der  Studierenden  empfingen,  eine  bisweilen  recht  erwünschte 
Einnahme-Quelle.  Martin  Lutheü's  Sohn  hielt  eine  vielbesuchte 
Studenten-Pension  in  Wittenberg.^  In  Heidelberg  kam  es  nicht  selten 
Tor,  dass  die  Professoren  den  Wein,  welcher  einen  Theil  ihrer  Gehalts- 
bezöge  bildete,  öffentlich  ausschenken  liessen;  sie  durften  sicher  darauf 
rechnen,  dass  ihre  Hörer  dabei  mindestens  ebenso  fleissig  erscheinen 
irürden,  als  in  ihren  Vorlesungen, 

Arme  Studenten  waren  der  bittersten  Noth  ausgesetzt.  J]in  er- 
greifendes Bild  dieses  traurigen  Daseins  hat  Thomas  Platter  in  seiner 
Selbstbiographie  gezeichnet.  Hungernd  und  frierend,  in  Lumpen  ge- 
hüllt und  bettelnd  durchzog  er  mit  seinen  Gefährten  die  Schweiz  und 
Deutsehland.  Die  fahrenden  Studenten  bildeten  ein  Vagabundenthum, 
welches  die  Leichtgläubigkeit  und  Unwissenheit  brandschatzte  und  in 
manchen  Gegenden  zu  einer  argen  Landplage  wurde. 

Eine  tiefe  gesellschaftliche  Kluft  trennte  diese  Bettelstudenten  von 
den  reichen  und  vornehmen  Studierenden,  welchen  an  den  meisten 
Universitäten  eine  bevorzugte  Stellung  eingeräumt  wurde.  Dieselben 
suchten  häufig  durch  kostspielige  Schmausereien  und  Gelage,  durch  ein 
verschwenderisches  Auftreten  und  übertriebenen  Kleiderluxus  Aufsehen 
zu  erregen.  So  kosteten  z.  B.  die  Pluderhosen  mancher  Studenten  über 
100  fl.:  eine  Summe,  deren  Bedeutung  man  erst  begreift,  wenn  man 
bedenkt,  dass  der  aus  drei  Gängen  und  einem  Quart  Wein  bestehende 
Jlittagstisch  für  die  Tübinger  Studenten  damals  mit  38  fl.  jährlich  be- 
zahlt wnirde.  Gesetze,  Predigten  und  Bücher  eiferten  gegen  die  Ver- 
schwendungssucht der  Studenten,  aber,  wie  es  scheint,  ohne  Erfolg. 

Professor  Musculus  zu  Frankfurt  a/0.  geisselte  die  Sitte  der  Pluder- 
hosen in  einer  Schrift,  welche  den  Titel  führte:  „Vermahnung  und 
Warnung  vom  zerluderten,  zucht-  und  ehrverwegenen  pludrichten  Hosen- 
teufeL  (Frankfurt  a/0  1556.)"  Ein  Senatsbeschluss  der  Tübinger  Hoch- 
schule V.  J.  1554  verwarnte  „die  Edelleute,  so  neuerlich  hierher  ge- 
konunen,  wegen  ihrer  Bruttalhosen  und  Blossgesäss  und  forderte  sie 
auf,  solch'  unfläthig  und  kriegerisch  Kleid  abzulegen." 


"  J.  F.  A.  Gillet:  Crato  von  CraflPtheim,  Frankfurt  a/M.  1860,  I,  101. 
*  B.  GsBBARDT  a.  a.  0.  S.  957.       '  Paulsen:  Gesch.  d.  gel.  Unterrichts  S.  161. 


Der  medicinische  Unterricht 

Die  Veränderungefl,  welche  die  medicinbcbe  Wissenschaft  erfii 
ftüsserteu  ihren  EmÜiLss  auf  den  medicinischen  Unterricht  dadurch, 
die  Summe  des  Lehr,stotle?s  sowuhl  wie  die  Anicahi  der  Professuren 
die  Lehrmittel  vermehrt  wuriien,  und  die  Methode  der  är/tlicheu  All 
hildunicf,  entsprechend  der  grösseren  Bedeutun^,^,   welche  die  Anaton 
und   Cbirur^^ie  erhmgt   huMeu,   iillmahg   eine   etwas   mehr   praktiscl 
Richtung  erhielt.     Die  cuiturhi^ torischen  Ereignisse,   die  Erhudung 
und  Entdeckungen,    uhten   ehenfaüj^   eine   mjjchtige  Wirkung  auf 
Unterrichtswesen  ^lUi^. 

Vmf   der  ErÜndung   «ler  Buchdruckerkunst  gehörten    Bibliothek 
zu  tlen  seltensten  und  kosthar^ten  Dingen.     Die   medicinische  Facuitj 
zu  Paris  besiiss  i.  J.   1395  nicht  mehr  als  *J  Werke,    unter   welche" 
iler  Continen«   des  IJhazks   am    hnchsten   geschätzt   wurde-     Ak  dei 
König  Ludwig  XL  dieses  Werk  i.  J.  1471  nusleihen  wollte,  um  es 
schreiben   zu   lassen,   funJen  deshalb  lange  Bcratlmngen  der  Facultj 
statt,  und  dieselbe  ertheille  ihre  Bewilligung  erst,  nachdem  der  Kön 
eine  Caution  von  12  Mark  Sill»er  erlegt  und  100  Thaler  Gold  hei^ 
liehen  hatte.' 

Privatleute  waren  nur  mit  Aufwand  grosser  Mittel  im  St-ande,  sich 
Brichersammlungen  anzulegen.  Selbst  ein  so  hervorragender  und  ver- 
mögender Arzt,  wie  TAWJEti  ALDERorri,  hinterliess  bei  seinem  T'Mle 
nur  4  Bücher;  im  Naehhuss  des  Ar/tes  Fhkibank  fand  man  nicht  nie 
al«  3  Bücher.  =* 

Die  Anfertigung  der  Alisuhrift  eines  Werkes  nahm  Jahre  des 
gestrengteslen  Fleisses  in  Ans|jruch  und  setzte  Kenntnisse  voraus, 
damals  wenig  verbreitet  waren.     Mit  der  Erhndung  des  BücherdnK 
vollzog  sich  in  dieser  Hinsicht  ein  Umschwung,   iihnlich    demjenijjei, 
der  in  neuester  Zeit  geschah,  als  die  Muschinen--Vrbeit  den  Handbetiij 
in  der  Herstellung  der  Waaren  ersetzte. 

Die  Gründung  und  Vermehrung  der  Bibliotheken  der  Hochschü 
wurde  dadurch  erleichtert  oder  eigentlich  erst  ennoglicht.  Die  JJi 
versitäten  gewannen  damit  ein  Lehrmittel,  welches  die  Entwickelung 
des  Geisfes  und  CIiürakt^Ts  in  gleicher  Weise  orderte.  Sie  erkannten 
die  Wichtigkeit  desselhen  sehr  gut  und    waren    bemüht^    die    für  dg 


^  J.  C.  Sabatieh  a.  a.  O.  —  KoasoAJtTEN  (Geschichte  der  Universität  Greifii- 
wald,  Greifswald  1857,  11,  2S2)  giebt  ein  VerzetcbnisÄ  der  Bücher,  welche 
1482  im  BestU  der  dortigen  medidnUchen  Facultät  bt^fumieiu 

*  K&LEOE  a.  a.  0.  1,  17. 


Der  medieinisehc  VnterriolU. 


269 


|pH»1 


Erwerbung  Ton  Büchern  erforderliclien  Oeldniittel  herbeizuschalfen  und 
die  Benutzung  der  Sammlungen  durch  zweckmassige  Einrichtung^en 
nnd  Vurscliriftfn  zu  roj^eln.  ^  Die  Bil)liotbpksordnung  der  mtMÜcinischen 
Facultas  zu  Montpellier  v.  J.  1534  bestimmte,  dass  die  Bibliothek  im 
Sommer  um  6  Uhr,  im  Winter  um  8  Uhr  früh  geöffnet  und  Xach- 
mitta;^  um  4  Ulir  geschlossen  wurde,  und  machtn  die  Studierenden, 
welche  sie  benutzten,  für  jeden  Schaden,  der  durch  Verlust  oder  Y^^r- 
onreinigung  der  Bucher  ent^stand,  verantwortlich,* 

Im  16.  Jahrhundert  begann  man  auch,  die  Universitäten  mit  bo- 
luiiaichen  Gärten  auszustatten.  Die  Republik  Venedig  ging  darin  allen 
Ibtifen  Staaten  mit  gutem  Beispiel  voran,  indem  sie  1545  in  Padua 
«Den  bfitanischen  Garten  anlegen  liess.^  Darauf  entstanden  diejenigen 
PiÄi  (1547)    und  Bolugna  (1568),    wo   s[iat4*r  A.  Cksali'im,   „der 

ie  Botaniker  seines  Jahrhunderts*^  lelirte  und  wirkte,  Leyden  er- 
Melt  1577^  Montpellier  1593  einen  botanischen  Garten.  An  den  deut- 
«heo  Hochschulen  wurden  die  ersten  zu  Leipzig  (1580).  Breslau  (1587), 
Basel  (1588)  und  Heidelberg  (1503)  gegründet*  Sie  hatten  zunächst 
tohl  nur  den  Zweck,  clas  Studium  der  Arzneiptianzen  zu  begünstigen. 

Der  Unterricht  in  der  Bot^inik  wunle  mit  Demonstriitionen  der 
Ptbnzen  verbunden,  welche  das  Verständnis^  des  Vortrags  ausser- 
'trdentlich  erleicht-erten.  Ausserdem  wurden  dazu  Herbarien,  Samm- 
lungen getrockneter  Pflanzen,  welche  ungetihr  seit  der  Mitte  des 
16.  Jahrhunderts  eingeführt  wurden/  sowie  Aldrildungen  der  PHanzen 
benutzt. 

Schon  im  Alterthum  pllegte  man  botaniscbe  Werke  mit  Zeich- 
nongen  zu  verzieren.  Diejenigen  der  Handschriften  des  DnisKnniDES, 
welche  sich  im  Besitz  der  kaiserlichen  Hofbibliothek  zu  Wien  belinden, 
n  aus  dem  5.  Jahrhundert.  Auch  aus  der  späteren  Zeit,  be- 
aus  dem  15.  Jahrhundert,  haben  sich  mehrere  Pflanzen-Zeich- 
ntingen  erhalten." 

Durch  die  Ertindung  des  Holzschnitts  und  Kupfersiichs  wurde  es 
HlügUcb,  die  Abbildungen  in  wünschenswerther  Weise  zu  vervieltaltigen. 
Hertorragende  Künstler,  ja  sogar  die  Meisterhand  eines  Guido  Reni, 
entirarfen  die  Zeichnungen  dazu.     Die  botanische  Literatur  wurde  im 


'  l^EAjrrr.  a.  a.  O.  I»  21"». 

•  DcnoüCHET  in  der  Gaz,  hebd,  dm  efu»nc.  m«*d.  de  Montpellier  1887,  No.  11, 
p,  124.  Vergl.  auch  dn^  »ehr  dctaUÜrte  Reglement  «ler  nibliotbek  der  EcoJe  de 
m^ecioe  zu  Ftirb  y.  J,  1395  bei  Sabatier  a.  a.  0* 

•  Meykr  a.  ft.  U.  IV,  26ß  u.  ff,  *  lUrrz  a.  n.  iK 

•  MKYßi  a-  A.  O.  IV,  266  u.  ff. 

•  Mvfioi  a.  a,  r».  i\\  2i:\  n.  ff. 


270  Der  medieinische  Zlfiterriehi  in  der  Neuxeit 

15.  und  16.  Jahrhundert   mit   einer   grossen  Anzahl   von   illusti 
Werken  dieser  Art  bereichert. 

Noch   mehr   verdankt«   die  Anatomie  der  bildenden  Kunst 
berühmtesten  Maler  jener  Zeit   widmeten  der  Anatomie  des  me 
liehen  Korpers  ein  eifriges  Studium.     Lionabdo  da  Vinci   Hess 
von   seinem  Freunde,   dem  Anatomen  Marc  Antonio  della  T( 
\m\1  über  den  Verlauf  und  die  Form  der  Muskeln  und  die  Lage  der 

zelnen  Theilo  des  menschlichen  Körpers  belehren.  Er  lieferte  ihn 
Zeichnungen  zu  einem  anatomischen  Werk,  welches  derselbe  he 
geben  wollte,  das  aber  niemals  erschienen  ist.  Dieselben  kamen  s 
grösst^ntheils  in  die  Biblioteca  Ambrosiana  nach  Mailand  und 
nach  Paris;  ein  Theil  gelangte  in  den  Besitz  des  englischen  Kö 
hauscs  und  wurde  theils  durch  den  Stich,  theils  mit  Hilfe  der  P 
graphie  veröffentlicht.^ 

Auch  MiCHELANOELo  beschäftigte  sich  viele  Jahre  hindurch 
I  anatomischen  Studien  und  wurde  dabei  während  seines  Aufenthai 

Rom  vom  Anatomen  Realdo  Golombo  unterstützt,  der  ihm  den  Leicl 
eines  wunderbar  schönen  jungen  Negers  zu  diesem  Zweck  überliess.* 
den  Leichen  in  den  Kellern  von  S.  Spirito  zu  Florenz  betrachte 
den  Bau  des  Menschen;  mit  grosser  Aufmerksamkeit  folgte  er 
Sektionen,  welchen  er  beizuwohnen  Gelegenheit  erhielt  Es  ging  i 
die  Sage,  dass  er,  als  er  den  Heiland  am  Kreuz  darstellen  mi 
einen  lebenden  Menschen  als  Modell  benutzt  habe,  gerade  so,  wie 
dies  bekanntlich  auch  im  Alterthum  von  Pabrhasios  erzählte,  al 
den  vom  Geier  zerfleischten  Prometheus  malte.* 

Von  den  anatomischen  Zeichnungen  Michelangelo's  mag 
Skizze  einer  Leichen-Sektion  und  das  Bild  eines  männlichen  Köi 
dessen  Muskeln  stark  hervortreten,  erwähnt  werden;  das  letzt-er 
durch  die  genaue  Abgrenzung  der  Proportionen  ausgezeichnet,  j 
Rafaels  Skelett-Studien  sind  streng  nach  der  Natur  gezeichnet;  d 
innere  W^ahrheit  und  den  Ernst  des  Ausdrucks  machen  sie  einei 
greifenden  Eindruck. 


^  Vasari:  Leben  der  ausgezeichneten  Maler,  Bildhauer  und  Baume 
Deutsche  Übersetzung,  Stuttgart  1843,  Bd.  III,  S.  26.  —  R.  Knox:  Great  i^ 
and  great  Anatomists,  London  1852.  —  Choulant  a.  a.  0.  p.  6  u.  fF.  —  K. 
Marx  :  Über  Marc  Antonio  della  Torre  und  Lionardo  da  Vinci  in  Abhdlgc 
Göttinger  Soc.  d.  Wissensch.,  Bd.  IV,  177  u.  tf.  —  C.  Langer  in  d.  Sitzung 
d.  k.  k.  Akad.  d.  Wiss.  Math.-Naturwiss.  KL,  Wien  1867,  Bd.  55,  1,  637. 

'  A.  CoRRADi  in  Rendic.  del  K.  Ist.  Lomb.  di  sc  e  lett.,  vol.  VI,  8< 
p.  643. 

•  Hae8er  a.  a.  0.  II,  27.  —  Choui-ant  a.  a.  0.  p.  10  u.  fF.  -     Ann.  Se 
Controvers.,  Hb.  X,  c  5  (No.  34). 


m 


TörtreOliche   Darstellungen  der   Muskeln  und  des   Bkeletts  des 

lilichen  Körpers  gah  liosBu  de  Itossi,  ein  S<jhüler  des  Andrea 
PUL  Sabto,  welrhe  durch  d^»Tl  Kupferstirh  venielfaltij^:!  wurderL^  Auch 
die  Skulptur  wurde  vod  dieser  Richtung  heeioflüsst,  wir  dir  im  Mai* 
Under  Dome  beündÜehe,  von  Makco  Aciratk  herrührende  Statue  des 
hL  Uartholomäus  l»ewei«t,  an  welcher  die  Muskeln  Idosgelej^t  erscheinen. 

Vk8als  anatomische  Tafeln  und  die  seinen  beiden  grosseren  Werken 
Jvpigegebenen  Zeichnuno^en  stammen  aus  der  Schule  Tizians,  wsihr- 
«cheinlicb  grosstentheils  von  Johann  CALCAiiy  einzelne  Blatter  unti  Ver- 

eningen  auf  anderen  ?ielleicht  von  Tizian  selbst.  Möglicher  Weise 
r*rt  dazu  ausser  den  beidun  bekannten  1^'iguren  eines  männlichen 
imd  weiblichen  Korpers  auch  das  Titelblatt,  auf  welchem  Vesal  er- 
rhemt^  wie  er  im  anatomischen  Theater  in  Gegenwart  eines  grossen 
Zuschauer- Pul ilikums  die  Zergliedeniog  einer  Leiche  ausfuhrt^ 

tJeringeren  Werth  haben  die  anatomischen  Tafeln  der  Vor-Ve^salisclnn 
Periode,  wie  z,  B.  Bart.  Paksarotti's  Aderlassüj^ur,  welche,  wie  es  scbfint, 
tum  ITnterrieht  der  Chirurgen  und  Bader  diente. - 

Albrecut  Dürer  und  Liünardo  da  Vikci  gaben  W*eike  über  die 

schlichen  Proportionen  heraus,'  welche  in  fremdi»  Sprachen  ülier- 
t  wurden  und  einen  grossen  Einllu^ss  ausübten,  wie  aus  den  Arbeiten 
mehrerer  spanischen  Künstler  hervorgeht  Einzelne  Anatomen  lieferten 
ebenfalls  werthvoUe  anatomisishe  Zeichnungen,  Das  Bild,  welches  Varolio 
Fon  der  unteren  Fläche  des  «iehims  entwaii^  zeigt  richtige,  wnin  auch 
derbe  Contouren  und  war  otfenbar  für  den  Unterriebt  bestiramt.^ 

Bkrrnoar  von  Carpi  war  nach  dem  Zeugniss  von  Bexvenitt<» 
ftBJuan.  nicht  blos  ein  erfahrener  Arzt  und  Anatiun,  sondern  auch  ein 
gmchickter  Zeichner.  Er  stattete  seine  anatomischen  Werke  mit  Holz- 
idinitten  aus,  weiche  ebenso  sehr  die  Interessen  der  Kunstler  als  die- 
jeQigefn  der  Ärxte  borücksichtigten.  Auch  die  Myologie  des  Cannani, 
«nrie  die  anatomischen  Hehriften  von  Charles  Eätienke  (Sti-tphanits), 
EuKTAuiiiii  und  VoiiC'HKR  Koytkr,  welche  selbst  Tiele  anatomische  Zeich- 
Bangen  machten,  des  Spaniers  Valverde  i>e  lL\Mrscu,  femer  von 
Güini  (ViDios),  Jacqejes  GfiiiLemeau,  Felix  pLArrEB,  Salomok  Ai^ 
»KKTt,  0 irLio  CAssEiao  und  Adrian  VAJf  ijen  Spigkl  waren  mit  Ab* 
liildiiDgen  versehen. 

Neben   den   anatomischen   Zeichnungen,   welchi'  für  die  ärztliche 

bUdung  ohne  Zweifel  eine  grosse  Bedeutung  hatten,  und  dem  tlieo- 

»  CHoiTUk3fT  tt.  a-  0,  S,  IG  u.  ff,  »  Cmoülawt  a.  a.  O,  S.  S9  u.  C 

*  A.  W.  Hicsbr:  Kunst  und  Künstler  des  16.  Jahrbtmdcrta,  I^ipzig  1863, 
r.  341.  IV,  163. 

*  Citi}in«AjrT  a.  si.  < ».  8.  69. 


üftiMchim  Vorirag  bildeten  die  praktiscben  Demonstrationen«  zu  weklif4 
die  Ldeben-Zerglieilerungen  Gelegenheit  boten,  das  gebräuchlichste  Ub^ 
mittel  in  der  Anatomie.  r)ies<-lhen  wurden  im  Verbiuf  dei^  16,  Jahr. 
hundert«  an  allen  Universitäten,  wrloho  mit  nhJiftinischen  Facoltü 
rerbnnden  waren,  eingeführt 

Anfang«  gingen  sie  in  der  UeiÄe  vor  .sit  li.  dd^n  »ler  Professor  i 
Kathoder  um  die  Beschreibungen  nnd  Erklärungen  der  einzelnen 
den  Körper«  vortrug,  während  die  Sektion  selbst  von  einem  ChinjE 
udcr  Barbier  aiisgrführt  wurde.  Die  gelehrten  Doktoren  glauJiten  häq 
ibiss  ihreWimW  herubge.setzt  werde,  wenn  sie  sich  mit  der  Zergliedcr 
von  Leichen  ijelasisleit  Als  Vesal  in  Paris  stndiiTte^  lag  der 
tomische  Unterrieht  d^rt  gänzlich  in  den  Händen  ,,un wissender  H 
fw;herer*\  wie  er  er/.älilt>*  ,,welche  sirh  darauf  besebränkt(*n,  die  Mi 
de»  Unterlribh  in  zerrissenem  und  s^ebniählich  zerfetztem  ZuKtiinde 
zii/i'igen,  Himst  aber  keinen  andern  Muskel  und  keinen  Knötchen  demoB- 
strirten  und  noch  weniger  eine  geordnete  Übei-sicht  der  Arterien,  Yt'neo 
und  Nerven  gaben**,  GüiNTER  vux  Andehnach,^  welcher  in  Paris  den 
ariatinnisehen  Unterricht  ertheilte,  hielt  sich  von  praktischen  Arbrilen 
Cerri;  Vi'Ihal  sagt  von  ihm.  dass  er  das  Me-sser  wuhl  niemals  zu  andprii 
Dingen,  aU  zum  Zerschneiden  des  Bratens  gebraucht  habe. 

Die  italienischen  Anatomen  schlugen  eine  richtigere  Methode  «ja, 
iiiiiem  sie  selbst  die  Leichen-äektionen  ausführten.  Diesem  Um^tandi; 
war  4VS  gewiss  haupt^chlich  zu  Terdankeiiy  dass  fast  alle  gro 
teniisehen  Kntdeckungen  jener  Zeit  tod  Italien  ausgingen* 

Die  anatomisohm  Schulfla  diases  Landes  waren  die  besten 
^xnx'n  Wflk  Alle  krerTomgecMlen  Anatomen  des  16.  Jahrhund« 
bal>tm  hier  ihre  Aushildiiag  erhalten;  miler  ihren  Lehrern  linden  äch 
dte  tJOammia^m  NaaMit  ««Um  dia  Qtidudite  dMer  Wiaaeiiflchrt 
fenuit  Maa  ImpJutnlrte  anh  bä  der  AsswaU  deisdben  keiimin^ 
aiif  Italkai,  sdodeni  aahn  dit  ticlUigatoi  Lehrkräfte  aller  Länder;  aaoh 
»elu^ei«  yjiilwiiiift  üA  DMiHhe  willclai  ab  Lebiar  der  Anatomie 
an  ~       -^   ^    -  - 


Aaf  Alks. 


'  winde  L  X  H9Ü  in  Bologna. 
Umk  dam  Ibeler  desselben  ent^ 
(IMSV  Aniodaa  (1&5S)  und  an  ande 


Shi  gIQS90$ 


heil  Untere 


feu  N«.2i.a&aa. 


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^  nM,  Parii 


C^KIl 


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flu  laa  flu  c 


Der  medidniadie  ühierricht 


273 


licht«  war  der  Mangel  an  Leichen,  welcher  nur  ganz  allmülig  beseitigt 
wurde.  Noch  Vesal  erklärte,  dass  er  so  selten  Gelegenheit  gehabt 
habe^  den  Uterus  schwangerer  Frauen  zu  seciren,  dass  er  eigentlich 
gar  nicht  wiüse,  wodurch  sich  derselbe  von  demjenigen  einer  schHangeren 
Bündin  onterscheide.  ^  Als  Student  in  Paris  und  später  in  Löwen  be- 
«achte  er  mit  seinen  GetTihrten  Nachts  die  Friedhöte,  um  nienschliehe 
^JCoooheii  auszugraben  und  zu  sammeln ;  einmal  soll  er  bei  einem  solchen 
^fkiiflDg  «sogar  auf  den  Galgen  gestiegen  sein  und  das  Skelett  des  ge- 
knkteu  Verbrechers  herabgeholt  haben,  ^ 

Ahnlich  ging  es  auch  an  anderen  Orten  zu.  Felix  Plätteb 
terichtet,  dass  er  als  Student  in  Montpellier  mit  seinen  Freunden,  nnter 
ienen  »ich  ein  „verwegener  M^ncb  des  Augustiner-Klosters"  befand^  hei 
Sacht,  y,nachdem  sie  einen  tüchtigen  Trunk  gethan*^,  auf  dem  Kirch- 
kofe  mit  den  Händen  Leichen  ausgegraben  und  die  Knochen  heimlich 
iö  die  Stadt  getragen  habe,^  Aber  nicht  blos  die  Studierenden,  sondern 
weh  die  Professoren  l»eklagten  sich  üVier  den  Mangel  an  Leichen. 
HüKDELET  in  Montpellier  soll  deshalb  sogar  seinen  eigenen  Sohn,  als 
ißm  gestorben  war,  secirt  haben.  Ferner  wird  von  ihm  erzählt,  dass 
er  deinen  CuUegen  Fontan«),  währond  derselbe  schwer  krank  darnieder- 
^t  gebeten  habe^  dass  er  seinen  Körper  nach  dem  Tode  anatomischen 
Zwecken  widmen  möge.* 

Allerdingä  gab  es  in  den  Statuten  der  medicijiischen  Facultäten 
Bastiinmungen ,  dass  jälirlich  eine  oder  mehrere  anatomische  Demon- 
slnitionen  stattlinden  und  die  Behörden  das  dafür  erforderliche  Leichen- 
Haterisl  liefern  sollten.  Aber  die  letzteren  kamen  diesen  Verpllichtungen 
nicht  immer  na<*h,  und  selbst,  wenn  dies  geschah,  so  genügte  das 
Studien-Material  kaum  für  den  Unterricht,  geschweige  denn,  dass  es 
für  die   L'ntersuchungen  der  anatomischen   Forscher  ausreichend  war. 

Es  war  daher  erklärlich,  dass  sie  sich  dasselbe,  wenn  sie  es  nicht 
auf  legalem  Wege  erlangen  konnten,  auf  andere  Weise  zu  verschaöen 
«lebten.  Der  Kauf  und  der  Diebstahl  der  Jjeicheu  waren  in  Folge 
tegen  nicht  selten  und  wurden  von  den  Behörden  mit  einer  gewissen 
Tokr&nz  betrachtet,  wenn  es  zu  wissenschaftlichen  Zwecken  geschah. 
^'  scheint  dif*s  maachmal  zu  offenkundig  getrieben  und  auch 

üi-  „,....  aL  zu  haben,  sodass  dagegen  eingeschritten  werden  mtisste. 

In  Padua  verkingte  das  Volk  l  J.  1550,  dass  die  Gesetze  gegen 

'  VtaJtLtü«:  Eptat  radic  cb7n,  dccoct.  rat,  pertractaiüä  nacli  A,  Corbapi 
•■4.O.  p.  634, 

*  H.  ToLuif  im  Biolog.  Ceotralblatt  1885,  Bd.  V,  276  u.  ff, 
'  Fiux  Pi.ATr^B:  Sclbetbiographie  a.  a,  0.  8.  152. 

*  Ciiaju.Dt  a.  a.  0.  p.  943.  —  Portal:  ilmt  de  lanatomle  I»  522. 
ItnKwtAnr,  Onttfilcbi.  IS 


■W-^^^ 


274 


Der  meSßinisdm  Unkniehi  in  der  Neuzeit 


dU'  Entweihung  der  Gräber  und  den  Ijeichenraub  streng:er  geliandhab 
wfirdeiL  ^ 

DtT  V^n'niihiiie  thr  Lin4*lKvii-8ekti<jnfn  sUuiden  niclit  mehr,  wk 
früher,  religiöse,  sfindern  Kocialo  Voriirthcile  entgegen.  Nur  dasWoU 
wMm  iinsichtsvoller  liehörden  und  din  thatkrülltig**  UnttT^tutzuug 
Viirnehmer  Herrm,  welche  sieh  für  die  Anatomie  interessirlen,  crmilif. 
lichte  es  den  Forschern,  da.s  nothwendige  Studien-Material  tn  erirerbea. 

Faloppio  erhielt  Gelegenheit,  in  einem  einzigen  Jahre  7  mensch- 
liehe  Leichen  zu  seciren^    ükaleio  (^olumho  l»rachte  es  sogar  auJ'  R' 
Veux  Plattkr  berichtet,  dass  er  während  einer  H*»jjhrigen  Tb^tigkeit 
mehr  als  fiO  Leichen  zcrjrliedert  haber'  eine  Zahl,  welnbe  für  jene  Zeil 
iiusst  rgew((bubcb  buch  war.    Vesal  erhielt  während  seiner  erfolgreichm 
Wirksamkeit  an  den   Hochschulen  7U  Fadua^  Vm\  und  Bolugua  mml 
I^fichen,  als  (*r   vvrinscbte;   si^*  wiinlen   ilim  von  den  t:    :  ^ 
ans  den   *S[>itillern   gcliifert.      Ilic    tfichter  hatt^'n  die  < 
die  Venirtbcilten  eine  TodeMart  zu  wähli^n^  welehe  V|':sai>  im  Int('res$i^ 
\U'v  iinvt'Tsehrten  Krbnltung  der  Körper  voiNchlng,  oder  dl«*  Hinn 
auf  seinen  Wunseh  aufzuschiel»rn  bis  zu  i^in-T  Znit,  in  webdicr  .ilh 
an  Leichen  lierrschte. 

Ibesrs  Entgegenkiinirneu  w\^  soweit,  ilas?.  Cusimi»  von  MülUCf 
ihm^  als  er  behufs  Lnsunir  diT  dsuuals  noch  uru^ntsohiedeiren*  Frage,  ob 
das  Ihjmen  viiyimiafis  existire,  in  Verlegenheit  war,  woh**r  er  rix» 
I>assendcs  weibliehes  Objrkt  nehmen  mllie,  den  lieiehnani  einer  frümmi»ö 
Nonne,  welche  kurz  vorher  ge8torlien  war,  zur  Verfügung  stellte,  Ihr 
durch  konnte,  wie  Hyrti-  bemerkt,  dieseK  wichtige  Attribut  der  Jungfern- 
sefjafl  in  Heine  Hf^chte  eingest»tzt  werden,  wan  viu*her  nicht  möglicli 
war,  da  die  Jungfern,  welche  vom  «ialgeu  geliefert  wurden,  s^ich  fli 
widinlich  nicht  mehr  im  Besitz  dessclhr-n  befanden.  f 

Der  praktische  Unterricht  in  dvv  Anatomie  bestand  hauptsächlich 
iji  der  Demonstration  der  Leicbentheile;  nur  ausnahmswtise  erhielten 
die  Sluilierendcn  liidegenheit,  scÜist  an  th»r  Zergüedcrung  mitzuarbeiten» 
Aus  den  Statuten  der  mefliciniscbcn  Facultätcn  lasst  meh  übrigens  er- 
kennen, dass  die  Zahl  der  jährti<*!jt'n  Sektionen,  welche  zur  Ausbildung 
drr  Arzte  ^^ehr»rten,  allniälig  xuniihm. 

In  Leipzig  wurde  1519  angeordnet,  dass  jeden  Jahr  eine  Leiche 
iitfentlich    /jT^licdert   werde,   da   ohne   anatomische  Zergliederung  dit 


»  K.  CohOMno  ti.  a.  O.  üb.  X\',  p.  262, 

*  F.  pLATERCf»:   Dir  corp.  huDti.  »tractura  et  hau,  Buü.  1583,  in 
nonifc  trat'li   dem  Titelblatt. 

MI.  ToT4JK  \m  Uiolo|<.  Criitmlbl.  V,  847. 


Der  medidnisctie  UnterrictiU  275 

Kenntniss  des  menschlichen  Körpers  und  seiner  Krankheiten  unmöglich 
seL^  Die  gleiche  Vorschrift  findet  sich  in  den  Statuten,  welche  der 
Herzog  Ulrich  für  Tübingen  erliess. 

In  Prag  lag  nicht  blos  das  anatomische  Studium  darnieder,  sondern 
die  ganze  Universität  war  herabgekommen.  Der  Priester  Jacob  an  der 
Teynkirche  nannte  sie  i.  J.  1517  ein  „verrostetes  Kleinod".  ^  Medicin 
wurde  im  15.  und  16.  Jahrhundert  kaum  mehr  gelehrt.  Anatomische 
Demonstrationen  wurden  erst  durch  Johann  Jesensky  (Jessenius)  ein- 
geführt, welcher  dort  am  Schluss  des  16.  Jahrhunderts  eine  Professur 
der  Medicin  übernahm.' 

Nicht  viel  besser  war  es  in  Wien  während  der  ersten  Hälfte  des 
16.  Jahrhunderts.  Erst  nachdem  Aicuuoltz  das  Lehramt  der  Anatomie 
angetreten  hatte,  üanden  wenigstens  in  jedem  Winter  einmal  öffentliche 
Zergliederungen  statt  Doch  hörte  dies  später  wieder  auf;  denn  1567 
baten  die  Studierenden  der  Medicin,  dass  wieder  einmal  eine  Sektion 
vorgenommen  werde,  da  dies  seit  mehreren  Jahren  nicht  geschehen  sei. 
Ihr  Gesuch  wurde  aber  abgewiesen;  sie  wiederholten  es  daher  im 
folgenden  Jahre,  aber  mit  dem  gleichen  Erfolge;  erst  1571  wurde  ihr 
Wunsch  erfüllt* 

In  Basel  hat  Vbsal  um  1542  die  erste  Zergliederung  einer  mensch- 
lichen Ijeiche  veranstaltet  Das  Skelett  derselben  wird  neben  demjenigen, 
welches  von  Felix  Platter  präparirt  worden  ist,  noch  jetzt  im  ana- 
tomischen Museum  der  dortigen  Universität  aufbewahrt^  Der  letztere 
unternahm  in  Gegenwart  der  Ärzte  und  Wundärzte  und  anderer  Zu- 
schauer in  den  Jahren  1559,  1563  und  1571  öffentliche  Sektionen. 
Regelmässige  anatomische  Demonstrationen  wurden  jedoch  erst  ein- 
geführt^ nachdem  C.  Bauhin  zum  Professor  der  Anatomie  und  Botanik 
ernannt  worden  war.  In  Edinburg  erhielt  die  Chirurgen-Zunft  i.  J.  1505 
dieErlaubniss,  einmal  im  Jahre  die  Leiche  eines  Gerichteten  zu  zergliedern. 

Die  Statuten  der  medicinischen  Facultät  zu  Montpellier  v.  J.  1534 
enthalten  genaue  Angaben,  wie  sich  die  Studierenden  bei  den  Sektionen 
zu  verhalten  und  wieviel  sie  dafür  zu  bezahlen  hatten.  Im  J.  1598 
wurde  dort  ein  anatomisches  Theater  errichtet  und  ein  Prosector  mit 
100  Thalern  Gehalt  angestellt.« 

^  Zabncks:  Statutenbücher  der  Univeniität  I^eipzig,  1861,  S.  39. 

*  W.  Tomsk:  Geschichte  der  Prager  Universität,  1849. 

'  J.  Htstl:  Geschichte  der  Anatomie  in  Prag,  Prag  1841,  p.  11. 

*  BofiiLs  a.  a.  0.  n,  85.  89.  104. 

*  Hia  im  Corrospond.-Blatt  der  Schweizer  Ärzte,  1879,  S.  121  u.  ff. 

*  DiTBOuamrr  in  der  6az.  hebd.  d.  scienc.  mdd.  de  Montpellier,  1887,  No.  11 
n.  17.  —  AffiBüc  a.  a.  0.  p.  66  u.  ff. 

18* 


276  Der  msdicinische  Unterricht  in  der  Neuzeit. 


In  Paris  wurde  das  Amt  desselben  schon  1576  geschaffen;  es 
wurde  mit  einem  Chirurgen  besetzt,  welcher  die  praktischen  Ver- 
richtungen ausführte,  während  ein  Baccalaureus  der  Medicin,  der  sich 
durch  seine  anatomischen  Kenntnisse  auszeichnete,  die  theoretischen 
Erklärungen  aus  der  Literatur  zusammenstellen  und  vortragen  musste, 
Der  letztere  führte  den  Titel  Archidiaconus.  Der  Prosector  hatte  eine 
sehr  abhängige  Stellung.  Er  stand  unter  der  Aufsicht  des  Professors 
der  Anatomie,  welcher,  wie  es  in  den  Statuten  von  1598  heisst,  darauf 
achten  sollte,  dass  sich  der  Prosector  nicht  herumtreibe,  sondern  fleissig 
mit  anatomischen  Zergliederungen  und  Demonstrationen  beschäfbige 
(fio?i  »inat  dissectorem  divagari,  sed  contineat  in  officio  disseoandi  ei 
demomirmidi).  Es  wurde  femer  bestimmt,  dass  jährlich  mindestens  zwei 
öffentliche  Sektionen  veranstaltet  würden.  Gleichzeitig  wurden  die  Be- 
hörden angewiesen,  keine  Leiche  ohne  Wissen  des  Dekans  der  me- 
dicinischen  Facultät  zu  anatomischen  Zwecken  herzugeben  und  bei  der 
Lieferung  derselben  zunächst  die  Professoren  und  Doktoren  der  Medioin 
zu  berücksichtigen,  und  sie  nur,  wenn  die  letzteren  darauf  verzichteten, 
den  Chirurgen  zu  überlassen.^ 

Die  mit  den  anatomischen  Demonstrationen  verbundenen  Kosten 
wurden  überall  von  den  Zuschauem,  also  von  den  Studenten,  getragen,' 
während  die  theoretischen  Vorlesungen  der  Professoren  seit  dem  Beginn 
des  16.  Jahrhunderts  unentgeltlich  abgehalten  wurden. 

Bei  weitem  später  als  die  anatomischen  Zergliederangen  wurde  der 
praktische  Unterricht  in  der  Heilmittellehre  und  der  Behandlung  der 
Krankheiten  in  den  Bereich  der  Universitäten  gezogen. 

Die  Arzneistoffe  und  ihre  Zusammensetzung  lemten  die  Studierenden 
in  den  Apotheken  kennen.  In  Paris  wurde  1536  gesetzlich  angeordnet^ 
„dass  die  Baccalaureen  der  Medicin  die  Ärzte  bei  der  Visitation  der 
Apotheken  begleiten  sollten,  damit  sie  sich  über  die  Droguen  unter- 
richten könnten".^  Apotheken  gab  es  damals  bereits  fest  in  allen 
Städten.  Sie  waren  mit  Destillations- Apparaten,  chemisch-pharma« 
ceutischen  Feuerheerden  und  Öfen,  pharmaceutischen  Waaren  und  ver- 
schiedenen chimrgischen  LTtensilien,  welche  dort  zum  Verkauf  vorräthig 
gehalten  wurden,  ausgestattet.* 

*  D.  Puylon:  Statuts  de  la  facult«  de  medecinc  cn  runivereite  de  Paris 
1672,  Art.  56  u.  Nachtr.  Art.  5.  —  A.  Piket:  Lois,  decrets,  reglements  et  circu- 
laires  conc.  las  facultcs  et  les  ecoles  preparatoires  de  m^decine,  Paris  1880,  I, 
Art.  56,  Nachtr.  Art.  8. 

'  Vergl.  Cebvbtto  a.  a.  0.  p.  139. 

•  Philippe  a.  a.  0.  S.  153. 

^  H.  Peters:  Aus  pharmaceu tischer  Vorzeit,  Berlin  1886,  S.  25  n.  ff.,  111  u.  ff. 


Der  medmnische   UntemcfiL 


2T7 


Dturch  ein  Edikt  Ladwig  XIT,  t.  J.  1514  wurden  die  ApoUieker 
ron  Paris  von  der  Gemeinschaft  irüt  di?n  Gewürzkrämern  j  mit  denen 
bis  dahin  zu  einer  Zunft  vertanigt  waren  ^  Imfreit  Wer  sich  dem 
af  des  Apothekers  widmete,  musste,  wie  es  in  den  von  Franz  I.  er- 
enen  Statuten  beisst,  eino  gute  Schulbildung  crhaUmi  und  soviel 
iM^in  gelernt  haben,  dass  er  die  in  lat-einischer  Sprache  geschriebenen 
brbucUer  der  Pbarmacie  und  die  Pharmakopoen  verstehen  konnte, 
Bd  hierauf  eine  vierjährige  Lehrzeit  in  einer  Apotheke  durchmachen. 
In  Paris  i'i'urde  die  Einrichtung  getroffen,  dass  sie  während  der  Dauer 
tti^s  Jahres  in  jeder  Woche  zwei  Vorlesungen  über  dip  Apothekerkunst 
Srii^n,  welche  ein  dazu  geeignet-es  angoatibt'nes  Mitglied  der  medicinischen 
racoltät  hielt.  Die  Prüfung  fand  vor  einer  aus  Ärzten  und  Apothekeni 
kicstehenden  Commission  statt  und  bestand  aus  einem  theoretischen  und 
^em  praktischen  Theile;  in  dem  letzteren  mas.ste  der  Candidat  zeigen, 
er  in  der  Kenntniss  der  Arzneipflanzen  erfahren  war,  und  durch 
Herstellung  von  fünf  Compositionen  st^in  Meisterstück  liefern.^ 
Auch  der  Unterricht  am  Krankenbett  big  ausserhalb  des  Lehr- 
plang  der  Universität.  Die  Studierenden  der  Medicin  wandt.en  sich  zu 
flies^em  Zweck  an  ihren  Lehrer  oder  einen  anderen  beschäftigten  Arzty 
der  ihnen  in  seiner  Privatpraxis  oder  einem  Hospital  ^  an  welchem  er 
tbätig  war,  die  Gelegenheit  bieten  konnte,  Kranke  zu  beobachten  un<l 
Behandlimg  zu  lernen. 

An  einigen  Hochschulen  wurden  die  Professoreu  durch  gesetzliche 
Be^stimmungen  aufgefordert,  ihren  Schülern  die  dazu  erforderliche  An- 
tung  zu  geben.  Jn  Wien,  Heidelberg,  Würzburg,  Ingolstadt  u,  a,  0» 
iiieltcn  sie  den  Auftrag,  die  Studierenden  zuweilen  an  das  Bett  ihrer 
Patienten  zu  führen,  vorausgesetzt  dass  die  letzteren  dadurch  nicht  be- 
iigt würden.  In  Basel  war  der  Stadtarzt,  welcher  zugleich  das  Lehr- 
nt  der  praktischen  Heilkunde  liekleidetr  und  das  stridtisehe  Hospital 
B,  verpflichtet,  den  Studierenden  der  Mediiüu  den  Zutritt  zu  dem- 
selben zu  gastatten  und  die  Patienten,  welclie  in  diesem  Krankenhause 
bandelt  wurden,  vorzustellen.^  Jn  Paris  durften  die  Baccalaureen  der 
ledicin  unter  der  Aufsicht  der  Mitglieder  der  Facultät  und  in  ihrer 
Vertretung  die  arztliche  Praxis  ausüben,^ 

Aber   die   systematische  Anleitung  zur  Behandlung  der  Kranken 


*  PinuFTB  a.  a.  0.  8.  165  ü.  ff. 
'  (>,  liio^Kii:  Zur  GeBcbichte  der  iiicdiciii.  Facuhüt  in  Ilt'idtdbor*;^*  IH76,  — 

;  T.  KCllikkk:  Zur  Geecbidite  der  medkin.  FacuUät  in  Würzhur^s  18TK  — 
P  MiBOircK:  Die  ttiedidn.  Fat  uUiit  in  Basel,  1860»  8.  32  u.  fl,  —  W,  Vischeh: 
'Jwuli.  d-  üidv.  Ba»el  na^Ld  18(.0. 

*  l*«fiT  Ä.  a.  0.  lu  PtrvTüÄ  a.  a.  U.  Art  ftO. 


278  Der  medicinische  Unterncht  in  der  Neuzeit. 


fehlte;  diesen  Mangel  konnten  gelegentliche  Beobachtungen  und  zu- 
sammenhanglose Erfahrungen  nicht  ersetzen.  Nicht  blos  die  Arzte,  wie 
z.  B.  der  schwedische  Leibarzt  W.  Lemnius/  sondern  auch  verstandige 
Laien  sahen  dies  ein.  Der  Philosoph  P.  Ramüs  forderte  i.  J.  1562  in 
einem  Briefe  an  Carl  IX.  von  Frankreich,  in  welchem  er  verschiedene 
Reformen  des  Unterrichtswesens  vorschlug,  die  Einrichtung  klinischer 
Lehranstalten.* 

Dieser  Gedanke  war  damals  bereits  verwirklicht  worden  und  zwar 
in  Padua.  Giambattista  da  Monte  (Montanus),  welcher  gleichzeitig 
mit  Vesal  dort  lehrte,  soll  die  klinische  Unterrichtsmethode  schon  1543 
angewendet  haben.'  Aber  nach  seinem  Tode  (1551)  hörte  diese  Ein- 
richtung auf  und  wurde  erst  1578  wieder  erneuert 

Um  diese  Zeit  begannen  die  Professoren  Albebtino  Bottöni  und 
Marco  Oddo,  von  denen  der  eine  die  Abtheilung  für  Männer,  der 
andere  diejenige  für  Frauen  im  Hospital  des  hl.  Franciscus  leitete,  auf 
Verlangen  der  deutschen  Studenten  dort  Klinik  zu  halten;  auch  wurden 
die  Leichen  der  Patienten,  welche  im  Krankenhause  starben,  wenn  es 
die  Jahreszeit  gestattete,  geöflFnet,  um  den  Studierenden  den  Sitz  und 
die  Ursachen  der  Krankheiten  zu  zeigen  fsed  cum  in  fine  Octobris  codi 
eonstUutio  frigtdior  esset,  professares  cadavera  aperiunt  et  looa  affecta 
auditoribus  demonstrant) .  Leider  wurden  die  Sektionen  schon  nach  kurzer 
Zeit  verboten,  weil  Ungehörigkeiten  vorgekommen  und  Leichentheile 
aus  der  Anstalt  verschleppt  worden  waren.* 

Als  Bottoni  und  Oddo  starben,  liess  der  Eifer  unter  den  Lehrern 
und  Schülern  nach,  und  der  Unterricht  beschrankte  sich  zuletzt  haupt- 
sächlich auf  die  Untersuchung  des  Pulses  und  des  Urins. 

Die  Versuche,  den  Unterricht  in  der  Heilkunde  praktisch  zu  ge- 
stalten, traten  jedoch  im  Lehrplan  der  medicinischen  Facultäten  weit 
zurück  gegenüber  den  theoretischen  Vorlesungen,  welche  die  mass- 
gebende Stellung  behaupteten.  Nach  den  Statuten  der  Würzburger 
medicinischen  Facultät  v.  J.  1587  gab  es  dort  drei  Ijchrkanzeln  der 
Heilkunde.     Der  Inhaber  der  ersten,   der  Professor  der  Theorie  sollte 


»  P.  Frank  a.  a.  0.  VI,  2,  S.  189. 

'  Qu.  Joürdain:  Ilißtoire  de  runiversitc  de  Paris  au  17  et  au  18  8i<^clc, 
J*aris  1862—60,  T.  I,  p.  3. 

'  G.  Ceryetto:  Di  Giambattista  da  Monte  e  della  medicina  italiana  nel 
secolo  XVI,  Verona  1839,-8.  51. 

^  A.  CoMPARETTi:  Saggio  della  scuola  clinica  nello  spedalc  di  Padova  1798, 
p.  6  u.  ff.  —  C.  Neübert  in  d.  Beiträgen  zur  prakt  Heilkunde,  her.  y.  Clarüb 
u.  Radius,  Leipzig  1836,  II,  148  u.  ff.  —  Dagegen  bringt  P.  A.  O.  Mahon  (Hi- 
stoire  de  hi  m6deeine  cliuiquc,  Paris  1804)  nichts  über  den  klinischen  Unterricht. 


Der  msdicinMie  UnterridU.  279 


im  ersten  Jahre  pritnam  primi  libri  Ai^ioennae  et  libros  Galeni  de  mor- 
ftcrtim  differefiHis ,  catisis  et  sipnptomatibus ,  im  zweiten  Galeni  artent 
medieinalem  cum  HippocrcUis  prognosticis,  im  dritten  de  pulsihu^  et  urinLs 
nach  AcTUABius,  ferner  de  victus  ratione  in  mmhis  acut  in  nach  Hippo- 
KRATES,  Gedeni  de  alimeniorum  facultatihus  und  Avieennae  tertiam  primi 
Tortragen,  der  Professor  der  Praxis  im  ersten  Jahre  über  allgemeine 
Therapie  lesen  and  dabei  auch  den  Aderlass  und  die  Purgationen^  sowie 
das  Wesen  der  Fieber  nach  Avicenna  erörtern,  im  zweiten  und  dritten 
specielle  Pathologie  und  Therapie  der  einzelnen  Krankheiten  vortragen, 
und  der  Professor  der  Chirurgie  im  ersten  Jahre  de  tumorihus  nach 
(lALEN,  im  zweiten  über  Geschwüre  und  Wunden  nach  Galen,  Hippo- 
KÄATES  und  den  Arabern,  und  im  dritten  über  Frakturen  und  Luxationen 
nach  Galen  und  Hippukbates  sprechen.  Daneben  musste  er  im  Sommer 
Arzneimittellehre  vortragen  und  die  officinellen  Pflanzen  vorzeigen,  und 
im  Winter  Anatomie  und  Physiologie  lehren.  Genauer  wurde  das 
Lektionsverzeichniss  von  den  Professoren  in  den  Hundstagsferien  fest- 
gestellt, damit  es  mit  demjenigen  der  übrigen  Facultäten  in  den  Katalog 
aufgenommen  und  veröffentlicht  werden  konnte.* 

In  einem  amtlichen  Bericht,  welcher  1569  über  die  Lehrthätigkeit 
der  Professoren  der  Medicin  in  Heidelberg  erstattet  wurde,  heisst  es: 
1.  Professor  Cukio  liest  degeneribtis  morhorum  ex  Gaieno,  erklärt  Hippo- 
fraiis  de  morhorum  signi^  und  hat  3 — 4  Zuhörer.  2.  Professor  Erastus 
hält  keine  Vorlesungen,  weil  er  sich  auf  der  Messe  in  Frankfurt  a.  M. 
befindet  3.  Professor  Seegmund  Melanchthon  trägt  über  die  Heil- 
kunst nach  Galen  vor  und  hat  etwa  5  Schüler.^ 

Dieser  Bericht  wirft  auch  ein  Licht  auf  die  Frequenz  der  me- 
dicinischen  Facultäten  jener  Zeit  Dieselbe  war  im  Vergleich  zu  heut 
sehr  gering.  In  Leipzig  gab  es  selten  mehr  als  4 — 6  Mediciner.  Die 
Hochschule  zu  Basel  zählte  1556  2  Professoren  und  2  Studenten  der 
Medicin.'  In  Erfurt  wurden  in  dem  Zeitraum  von  1392—1520  neben 
120  Doktoren  der  Theologie  und  40  der  Jurisprudenz  nur  5  Doktoren 
tier  Medicin  creirt. 

Viele  Deutsche  bezogen  Universitäten  des  Auslandes,  namentlich 
Paris,  Bologna,  Padua  und  Montpellier.  In  Padua  gab  es  i.  J.  15G4 
ungefihr  200  Deutsche,  welche  die  Rechtswissenschaft  studierten.  *  Die 
Mediciner  suchten  vorzugsweise  Montpellier  und  Padua  auf,  wie   aus 


*  A.  V.  KuLUKBB  a.  a.  O.  S.  58.  —  F.  v.  Weoele:  Geschichte  der  Univer- 
sität WOnbiug,  1885,  U,  191  —  199. 

«  J.  F.  Hautz  a.  a.  O.  »  Platter  a.  a.  0.  S.  169. 

*  Bfmrass:  G^eschichte  der  Entstehung  u.  Entwickelung  der  hohen  Scluilen, 
Gottingen  1802. 


zahlreichen  IjebeDsbeschreibungen  hervorragender  krtie  des  16.  Jaluw 

hunderts  hervorgeht  ^  Ein  Göttinger  Arxt  hinterliess  in  seinem  Testoi 
ment  1420  ein  Le|:riit.  von  ÜOO  Fl.,  aus  dessen  Zinsen  ein  anner  Studwjf 
der  Medicin  durch  4  Jahre  in  ilünipellier  erhalten  werden  «ollte,^ 
Auch  Felix  Platter  begab  sich  von  Basel  dorthin,  um  die 
dicinischen  Studien  zu  absolviren. 


Der  ärztliclie  Stand  und  seine  Stellung  zu  den 
Bewegungen  des  16,  Jahrhunderts. 

Die  ärztlichen  Prüfungen  geschahen  nach  den  gleichen  Vorschriften,  ] 
wie  frühen  Doch  sanken  die  akademischen  Grade  durch  die  Leicht»! 
fertigkeit,  mit  der  sie  an  manchen  Hochschulen  verliehen  wurden,  selir" 
im  Werth,  Schon  1503  klagte  man  darüber,  dass  „Pferdehändler,  Tiei- 
hiin<ller  nnd  andere  gemeine  Leute,  die  von  Aristoteles  nicht  duJ 
Geringste  wissen  und  nicht  einmal  die  ersten  Elemente  der  Gramraatikl 
kennen'*,  die  Magister-Würde  in  der  philosophischen  Facultät  zu  Fang 
erlangten.  ^ 

An  einigen  franzusischen  Universitiiten  wurde  sogar  der  mediciniscke 
Doktor-Grad  für  Geld  verkauft  König  Franz  L  fühlte  sich  dadurch 
veranlasst,  nur  die  medicinischen  Diplorai'  von  Paris  und  Montpellier 
anzuerkennen.  * 

In  Padua  entstand  die  seltÄume  Sitte,  dass  die  Examinanden  Bei- 
stande zur  Prüfung  mitbringen  durften,  welche  ihnen  die  Antwort 
auf  die  Fragen,  die  gestellt  wurden^  zutlüsterten.   Noch  bequemer  war 
es  den  Prüflingen  gemaelit,  wenn  man  ihnen,   wie  Auolstix  Lkts 
in  Helmstädt  berichtet,  die  Fragen  nel)s;t  den  Antwort^en  vorher  schril 
lieb  übergal)/    Dazu  kam,  dass  die  Doktor-Würde  nicht  Idos  von  dfl 
Universitäten,  sondern  auch  vom  leihst  und  vom  Kaiser  verliehen  wur4 


'  Meuüijou  Aoam:  Vitae  Oc*rmaiiorurii  medkoniin,  Heidelberg  1R20* 
A,  BernN8ZKY:  Die  Uoiversität  Paris  und  die  Fremden  an  derselben  im  Ml 
alter,  IkrUii  187Ö,  S.  115  u.  W. 

*  Schmidt:  GGtünger  ürkundcnbuch  II,  20- 
»  nvLAms;  Mi8t.  niiiversihit.  Paris  Hi73,  T.  VI,  p.  11. 

*  IL  ToLLrN  in  Viucifowa  Archiv  1K80,  ßd,  80,  S.  60  u.  im  Biol  Centralblat 
Bd.  V,  8.  341. 

*  C.  >r EINERS:  über  die  Verfaüsung  und  Verwaltung  deutscher  üniv» 
täten,  GöUingen  1801»  I,  328  n.  ff.  u,  C  Minirinuit  Geschichte  der  Entstehung 
Entwickehmg  der  hoben  Schulen,  I,  1S8. 


1 


u.  mm  SUUung  itu  den  B&migun^fh  des  Iß.  JahrK    281 


Im  14.  Jahrhundert  erhielten  sogar  die  Pfalzgrrafen  das  Recht,  Doktoren 
zu  ernennen,  ebenso  wie  aie  bekanntlich  auch  beiugt  waren,  uneheliche 
Kinder  zu  If-icritimiren. 

Für  striche  Verhültui.sse  mot-hto  manrfimiü  die  drastische  ScliilderunjJ: 
en,  welche  Petbabca  von  der  Dottor-Promötiiin  hintorla^son  hat 
„Da  erscheint  der  junge  Mann,  bläht  sicrh  auf  und  murmelt  einiges 
^iin verstandenes  Zeuicr,  währc»nd  ihn  das  Volk  anstiiunt  und  soine  Froimde 
mit  Beifall  bognisscn.  DaVioi  werden  die  Glr>ck»'n  ^^oläutet,  Trompeten 
ebia^n,  Ringe  und  Kusses  gewechselt  und  ihm  das  runde  Barett  des 
lei^ters  auf  das  Haupt  lü^esotzt  Hierauf  kommt  derjeniicre,  welcher  als 
jnkopf  den  Katheder  bestiegen  hatte,  als  weiser  Mann  herab.  Dies 
ist  eine  Verwandlung,  von  welcher  Ovid  nichts  wusste**.* 

Viele  Studierende  verzichteten  wegen  der  Kostspieligkeit  und  der 
gmngen  Achtung  der  Doktor-Würde  gänzlich  darauf,  dieselbe  zu  er- 
werben.  Daraus  erklärt  es  sich  vielleicht,  dass  man  die  Diplome  ver- 
t  heTTi»rnigender  Ärzte,  wie  Jac.  Sylvhts,  Ves^vi.,  M.  SEHvFrr, 
LT  u.  A,  nicht  aufzufinden  vermochte. 
le  Chirurgen  waren  von  der  Erlangung  des  medicinischen  Dokter- 
1««  überhaupt  ausgeschlossen.  Nur  \n  Italien,  wo  die  Trennung  der 
Chirargie  von  der  übrigen  Heilkunde  niemals  so  vollständig  wiir,  wie 
in  den  übrigen  Ländeni,  machte  man  eine  Ausnahme. 

Auch  in  Frankreich  empfingen  die  Chirurgen  eine  wiss<'nsehtiftliche 
AQ»bildung.  Das  College  de  8t>C6me  erhielt  1545  das  Recht,  akademische 
(irade  m  verleihen.  Die  Zöglinge  desselben  mussten  4  Jahre  studieren 
imd  nirht  blos  Vorlesungen  ülier  Chirurgie,  sondern  auch  über  Anatomie, 
Ar/THMfiilt teilehre  u.a,m.  hören.  Leirler  dauerten  die  Eifersüchteleien  und 
S  \un\  zwischen  der  chirurgischen  Facultatn  wie  man  das  College 

Jr*  iSt%  Ci>nie  nennen  kann^  und  der  medicinischen  zum  Schilden  der 
gemeinsamen  Wissenschaft  auch  in  dieser  Zeitperiode  fort. 

Die  Ärzte  waren  bemüht,  den  Chirurgen  in  den  sogenannten 
Barlder-tThimrgen  ebenbürtige  Gegner  zu  schaffen,  indem  sie  Sorge 
trugen,  da-w  die  letzteren  eine  grössere  Summe  von  allgemeinen  und 
chwLssenschaftlichen  Kenntnissen  erwarben.  Wenn  dies  zu  manchen 
TJnzutniglichkeiten  zwischen  den  beiden  Klassen  von  Wundärzten  führte, 
^-trf-c  es  iioch  das  Gute,  dass  dadurch  hochbegabten  Mitgliedern  des 
:en  Chirurgen-Standes  die  Möglichkeit  geboten  wurde,  sich  zu 
Utiirargi^n,  zu  Operateuren  in  unserem  Sinne  zu  entwickeln.  Das  Bei- 
«-■  '  :  ÄMMiOisK  PARft  zeigt,  wieviel  die  Chirurgie  und  damit  die 

^1  Uerhaupt,  diesem  Umst<inde  zu  verdanken  hat. 

^  rmiAftcu:  De  veni  saplenta,  Dtab  I.    (Op.  cd,  Baail.  1554,  p.  aofi.) 


282  Der  medidnisdie  ühterricJU  in  der  Neuxeii, 

Freilich  verfolgte  die  medicinische  Facultat  bei  ihrem  Vorgehen 
nicht  diesen  loblichen  Zweck,  sondern  sie  wollte  das  Ansehen  der 
Chirurgie  darnieder  drücken  und  die  Vertreter  derselben  zu  ihren  er- 
gebenen Dienern  machen,  welche  ihre  geistige  Überlegenheit  bereitwillig 
anerkannten.  Dieser  Standpunkt  kennzeichnet  sich  deutlich  in  den 
Worten  M.  Skrvins,  welcher  1G07  schrieb,  ,,que  la  acience  n'est  pour 
ceux  qui  nofit  que  la  main,  qu'ils  doivent  laisser  ä  juger  aux  m^dedfis,^ 
Als  einer  der  Professoren,  Robebt  le  Secq,  in  der  Prüfung  der  Chirurgen 
i.  J.  1606  auch  die  Physiologie  berührte  und  auf  die  Thätigkeit  der 
Muskeln,  den  Mechanismus  der  Bespinrtion  u.  a.  m.  einging,  protestirte 
die  medicinische  Facultat  dagegen,  weil  dies  wissenschaftliche  Streit- 
fragen seien.  ^ 

In  Deut^jchland  und  anderen  Ländern  erhob  sich  die  Chirurgie 
selten  über  das  Handwerk.  Nur  an  einzelnen  Universitäten  wurde  die- 
selbe gelehrt.  In  Wien  wurde  1537  ein  Profe^or  der  Chirurgie  an- 
gestellt, welcher  eine  jährliche  Besoldung  von  52  fl.  erhielt.' 

Die  deutschen  Wundärzte  gingen  fast  ohne  Ausnahme  aus  dem 
Stcmde  der  Barbierer  und  Bader  hervor.  Sie  erlernten  bei  einem  Meister 
die  Behandlung  der  Wunden  und  Geschwüre,  der  Frakturen  und  Luxa- 
tionen und  bildeten  sich  dann  in  Spitälern  und  im  Militärdienst  weiter 
aus.  Einzelne,  wie  Hieronymus  Bbünscuwyg,  Hanns  von  Gebsdohf, 
Felix  Würtz  u.  A.  erwarben  sich  eine  bedeutende  operative  Geschick- 
lichkeit 

Der  Mangel  an  studierten  Ärzten,  welcher  in  Deutschland  herrschte, 
und  die  vielen  Kriege  und  Seuchen,  welche  dieses  Ijand  im  16.  Jahr- 
hundert zu  ertragen  hatte,  liessen  die  Chirurgen  als  eine  Nothwendig- 
keit  erscheinen;  dazu  kam,  dass  ihnen  mit  der  Behandlung  der  äusseren 
Ijeiden  auch  diejenige  der  Geschlechtskrankheiten  zufiel  Da  sie  die 
Ärzte  an  praktischer  Gewandtheit  und  Erfahrung  häufig  übertrafen, 
dem  Volk  in  socialer  Beziehung  näher  standen  und  billigere  Forde- 
rungen für  ihre  Dienste  stellten,  so  erfreuten  sie  sich  einer  grossen 
Beliebtheit.  Viele  wurden  als  Leibärzto  an  fürstlichen  Höfen,  im  Com- 
munaldienst  oder  in  hervorragenden  ärztlichen  Stellungen  beim  Heere 
beschäftigt 

Die  Ärzte  nahmen  an  den  geistigen  Bewegungen  des  16.  Jahr- 
hunderts lebhaften  Antheil.  Wie  immer,  so  schlössen  sie  sich  auch 
damals  in  ihrer  grossen  Mehrheit  der  freiheitlichen  Richtung  an. 

Es  war  leicht  begreiflich,  dass   der  zum  Kadikalismus  neigende 

*  D.  Pün4>«:  Statuts  de  la  facultc  de  mMecine,  Paris  1672. 
lam  a.a.O.         *  Bobas  a.  a.  0.  II,  51. 


Der  ärzfiiehe  Siand  u.  ^ne  Stellung  zu  dun 


pABACBEiftrs  aUen  Strömungen,  welche  sich  liegen  die  bestehenden  Auto- 
riliten  richteten,  mit  Begeisterung  folgte  und  ihr  Anwachsen  zur  ver- 
het^r<?n(k*n  Flutb  ersehnte.  Aber  auoh  die  besunin^noriy  ruhig  urthoilentlen 
Uänner  führte  ihre  t  herzeugnng  in  das  Lager  der  Retbnnatioi]»  iiament- 
üeh  aU  sie  siihen,  dass  sieh  dieselbe  innfThülU  der  drenzeu  der  niitur- 
Lichen  Entwickelung  vollzog. 

Die  Heerführer  des  Protestantismus  widmeten  der  Medicin  ein 
y^ies  Interesse.  jüL/vhtin  Luther  liess  seinen  Sohn  Fattl  die  Heilkunde 
Mudiert^o;  dersellie  wirkte  später  als  Leibarzt  in  Gotha,  Berlin  und 
Dresden  und  trat  auch  als  medicinischer  Hchriftsteller  auf.  Mklanch- 
TWOn's  Hchwieg^ersohn.  Caspar  PeuceRj  war  Professor  der  Medicin  in 
Wittenberg,  sein  Xeffe  SmoMTTND  in  Heidelberg.  Adam  von  Bodkn- 
rnsLs,  der  8ohn  des  Theologen  Karlstadt,  übte  in  Basel  die  arztliche 
Prari»  aus,  Crato  von  Craffthkim  vertauschte  auf  Martin  Lüthkh*s 
Kath  das  Studium  der  Theologie,  welches  er  unter  dessen  Leitimg  be- 
onnen  hatte,  mit  demjenigen  der  Heilkunde;  er  hat  darin  grosse  Kr- 
Mge  errungen  und  als  Leibarzt  in  Wien  liei  drei  Kaisem  hervorragende 
KeBste  geleistet  Er  war  der  Mittelpunkt  des  Protestantismus  in 
Breslau  und  spater  der  eifrigste  Vertreter  desselben  am  Wiener  Hofe,  ^ 
Auch  sein  Colicge  L)h»mrdes  Cörnahi's  (HAGEN'nrrr),  Leibarzt  des 
KiUJSters  MaximiUan  Il.y  gehörte  wahrscheinlich  diesem  Uhiuben  an. 

In  Wien  erklärten  sich  i,  J,  1584  drei  Arzte  vor  ihrem  Tnde  fiir 
oonfessionnloSf  und  ein  vierter  verbat  sich  das  Glockengeläut  bei  seinem 
Ibniss  und  verlangte^  dass  sein  Leichnam  in  ungeweihter  Erde 
ttet  werde.  Der  Doktor  der  Medicin  (^aspar  PDiCHPArH  liess^ 
ik  er  1568  das  Rectorat  der  Wiener  Universit^it  }>ckleidete,  die  For- 
ilcrung  der  Statuten,  dass  sich  die  Lehrer  derselben  zum  romisch-katho- 
rben  Glauben  bekennen  sollen,  beseitigen  und  das  Wort  mthotimr 
4iin*h  dtrUüanm  (f'utn)  ersetzen.  Gleichzeitig  wurde  bestimmt,  dass 
Angehörige  der  Augsburgischen  Confession  zur  Doktor- Promotion  zu- 
Hflitisen  wurden.^  Sogar  in  Ingolstadt,  dem  Mittelpuiikt  der  kirchlichen 
FU^iküoiu  liubligten  mehrere  Professoren  der  mediciniseben  Faeult^it 
dner  freieren  religiösen  Meinung;  sie  wurden  deshaU)  durch  den  Je- 
aU2*ma«i,  der  bald  darauf  dort  zur  Herrschaft  gehingte,  aus  ihren  Stel- 
ngen  gedrängt.' 

AU  das  10,  Jahrhundert  zu  Ende  ging,  hatten  die  geistigen  Be- 
mg^eii,  mit  denen  e,s  begonnen  hatte,  fast  überall  den  Sieg  errungen. 


•  J.  P,  A,  Oattr;  Crato  von  Crafllheim  u.  seine  Froande,  Fraiikfart  a/M, 
1SB0.  II,   II. 

*  pAiTLäffK-  Geechichte  dea  gelphrten  Unti^rrichta,  S.  272.. 


tiefe] 


Soweit  Mr  riunj  iwolutiomiren  Charakter  trugen^  waren  sie  all« 
gescheitert;  aber  sie  erreichten  ihr  Ziel,  wenn  sie  sich  innerhalb 
nunftgeraasser  Kefonnen  bewe«?ten.  Ihr  |jr<>ster  Erfolg  bi^^t'ind  jed 
darin,  diiss  selbst  ihre  GogiuT  genothigt  wurden,  ihre  Berechtigii 
anzuerkennen,  die  bisheri^'i'n  Wege  verliessen  und  neue  Bahn**«  ei 
schlugen. 

Wühl  nirgendvS   hatte  die   lUlugsehar  der  geistigen  Arbeit 
Furchen  gezogen,  als  auf  dem  Boden  der  Naturwissenschaften  und 
Medicin.     Buch   muss  ihre  Bedeutung  nicht  so  sehr  in  Dem,  was 
reicht  wurde,  gesucht  werden,  als  in  Dem^  wjis  die  Zukunft,  der  wii 
schaftlichen  Forschung  versiimch. 

Erleuchtete  Geister,  wie  FnANnrs  Bachn  von  Verulam,  bcganni 
zu  erkennen,  welche  nuissgehende  Rolle  den  Naturwissenschaften  in 
Cultur-Entwickelung  der  Menschlieit  Ueschieden  war-  Dieser  her?« 
ragende  englische  Staatsmann  und  Philosoph,  wehiher  gleichsjun 
Facit  aus  den  geistigen  Errungenschaften  des  16.  Jahrhunderts 
erklärte,  das^  der  induktive  Euipirismus  allein  die  Lösung  der  Fi 
zu  bieten  vermag,  welche  die  wissenschaftliehe  Forschung  anstrebt 

War  er  auch  selbst  nicht  im  Stande,  die  Wissenschaft  durch  tu 
l'iintdeckun gen  zu  bereichern,  Siß  hat  er  ihr  doch  die  Wege  gewii 
welche  zu  ihnen  führen.     Er  hat  allerdings  den  richtigen  Zusammi 
hang    mancher  Ersidieinungen    geiihnt,    deren    klare   Erkenniniüs 
späteren    ialjrliunderten    vorbehalten    war.     So   sprach    er    )>ereits 
Vennuthung  aus,   dass  die  Luft  der  Pflanze  zur  Nahrung  dient, 
die  Farbe  eine  Modifikation  des  Lichte,  die  WarnK'  eine  Form  der 
wegung  sei,    und  dass  es  dereinst  gelingen  werde,   die  Minerulijuell 
künstlich  nachzubilden.^     Er  wies   auf  den  Werth  der  ViTisektioi 
auf   die    Bedeutung   der    pathologischen    Anatomie,    der   Statistik 
Meilungs-Kesultiite  u.  a.  m.  hin.    Aljer  seine  verdienstvollsten  Leistauj 
liegen  auf  dem  Gebiet  der  Erkenntnisstheorie;  er  hat  die  iMethode 
Forschung  so  klar  und  ausfuhrlich   entwickelt,    wie  es  vor  ihm  n> 
niemals  geschehen  war. 

Bacon  war  weder  jener  seichte  hohle  Schwätzer  ohne  jede  0: 
nalit^it  der  Gedanken,    wie  ihn   Einigt*  dargestellt  haben,    noch    je 
schopterische  Genius,  aus  dessen  Haupt  tlie  Wissenschaft  in  vollend 
Schönheit  entsprang,  wie  ihn  Andere  geschildert  haben.    Er  glich  dei 
Zeiger  am  Zitrerbbitt  der   Uhr,   welcher   uns   sagt,    wie  weit  die 
vorgeschritten  war. 


I 


H.  V.  BAMBERaGH:  über  Bai'vii  von  Vvrulam.  WOntburi;  1865,  S,  IS.  Sl  i 


Die  experimentelle  Richtung  der  Naturwissenschaften, 
der  Physik  und  Chemie  während  des  17.  Jahrhunderts. 

Die  Erwjirtungen,  welche  der  Aufschwung  der  Naturwissenschaften 
im  16.  Jahrhundert  erregt  hatte,  wurden  im  folgenden  Jahrhundert 
im  mchsten  Maa^^se  erfüllt.  Hatte  man  sich  vorher  darauf  beschränkt, 
die  Thatsachen  in  der  Natur  zu  beobachten  und  die  Existenz  der  Dinge 
bstzusteUen,  ho  begann  man  jetzt,  nach  deren  Ursachen  zu  forschen 
OIhI  ihre  gegenseitig<.»n  Beziehungen  ssu  ergründen.  Man  wallte  die 
FoTgtoge  im  organischen  Leben  in  ihrer  Entwi«;kelung  kennen  lernen 
md  stellte  zu  diesem  Zweck  Versuche  an,  bei  denen  das  Vorgehen  der 
X»tur  aaf  künstliche  Weise  nachgeahmt  wurde, 

D;is  KxpfTiment  trat  in  den  Vordergrund  und  gab  der  Denkweise 
des  17.  Jahrhunderts  eine  charakteristische  Färbung,  Kein  Gebiet  des 
gmäg^n  Schatten-  wurde  dadurch  mehr  berührt,  als  die  Naturwissen- 
«oiuiflen  un<l  die  Mediciu,  Sie  verdankten  dieser  Richtung  die  An- 
rpgimg  zn  neuen  Forschungen  und  gewannen  dabei  diejenige  Sicherheit 
ihrer  Lehren,  welche  zum  Wesen  der  Wissenschaft  gehört. 

Die  Physik,  Chemie  und  Physiologie ^  also  diejenigen  Disciplinen, 
wekhe  hauptsächlich  auf  das  Experiment  angewiesen  sind,  wurden  in 
dieser  Ziüt  durch  eine  Menge  Entdeckungen  bereichert  Für  sie  begann 
eine  neue  Periode  ihrer  Ueschichte, 

Auch  lue  Mineralogie,  Botanik,  Zoologie  und  Anatomie  machten 
Weulvndc  Fortschritte.  Die  Krystallographie  wurde  durch  die  Beobach- 
gen  Nie.  Stkno*s  und  Gulielmixi^s  über  die  Streifung  und  Zu- 
ensetznng  der  Krj stalle  und  die  L^n Veränderlichkeit  der  Winkel 
gefordert  Kon,  Böyle  bemerkte  die  Krjstallisation  des  Wismuths  aus 
dem  .SchmelzfluHS^  und  der  dänische  Arzt  Erasmis  Bartholinüs  fand 
dm  Isländischen  Kalkspath  die  doppelt«  Strahlenbrechung  (167U),  welche 
dann  von  Huygens  genauer  untersucht  wurde  und  für  seine  Undu- 
lalions-Theorie  des  Lichts  von  Bedeutung  war.  ^ 

Gleichzeitig  erfuhr  die  Botanik  wichtige  Veränderungen.  Während 
die  specielle  PHanzonkenntniss  durch  zahlreiche  Arbeiten  über  die  Flora 
einzelner  tk»gcnden  und  Länder  vermehrt  wurde,  trugen  die  verschie- 
deneu Versuche,  die  Ptlanzen  nach  der  Ähnlichkeit  ihrer  Organe  in 
Familien  und  Gruppen  m  sondern,  dazu  bei,  dass  ihr  Bau  genauer 
»ludiert  wurde.  Aber  erst  die  Begründung  der  Phytotomie  durch 
lULrrr.ai  und  Giurw  und  ihre  vortrefflichen  Untersuchungen  der  fei- 


^ngei 


«  F.  V.  KoiTKtx:  Geachichtc  der  Mineralogie,  München  ld4S4,  S,  8  n.  ff. 


_jäL. 


neren  Struktur  der  Pflanzen,  besonders  ihre  Arbeiten  Aber  die  Blütiia 

Früchte  und  Samen,  sowie  der  eiperimenteüe  Beweis  der  Sexualität  ia 
rflanzeüreiche  durch   R.  J.  Camerakius  ermo^liehten  die  Aufi^tdlu 
eines  Systeiiii«^  welches  den  Forderungen  der  WissenschaR  entsprach. 

LiNNi-:,  welcher  diese  Aufgabe  iöste^   gab  der  Botanik  durcb  iJi|| 
mit  der  Diirchfuhrurig  der  binären  NümencbUur  verbundene  metbodii 
Charakteristik  der  liattungen  und  Arten  eine  bestimmte  abjLje^bloäwa 
Form,   nelM?n  welcher  die  Entdeckung   eines  naturlichen  Bj'stems 
wiinseht'ii^wertbe**  Postulat  der  Zukunft  vorbehalten  blieb.* 

Der  Zoulogie  wurde  mit  der  Verwendung  der  Loupe  und  in 
llikroskop^  zu  wissenschaftlichen  Vnter^uchungen  eine  neue  Well  vd 
licbewesen  erschlossen,  von  deren  Dasein  man  bis  dahin  keine  Ahiumg 
gehabt  hatte,  Lkki  \vF!NtniKK  entdeckte  die  Infasiunsthierchen,  bt^schmll 
einzelne  Rilderthiere,  l»eü!>achtete  die  faeettirten  Augen  «ter  ln«eklci| 
und  studiert«  die  Entstehung  und  Entwickelang  vei^chiertener  niod<*r 
Thierarten.  MALPiiiFii  gab  fil>er  die  Struktur  und  Zusjimmeniietxum 
der  Organe  des  thierischon  Körpers  merkwürdige  Aulschlüsse 
spmch  bereits  den  Gedanken  au^,  Ama  tler  complicirt^'  Bau  der  hölu-r 
entwickelten  Organismen  dem  einfacheren  der  niederen  VVeücn  analog 
igt  und  durch  ihn  verstrmdlich  wird.  Kr  kam  sogar  iler  Entdeekung 
der  thierischen  Zelle  schon  ziemlich  nahe,  während  \Un\.  H*>oke.  auf 
den  zelligeu  Hau  der  Ptiimzen  aufmerksam  machte. 

Die  zootomischen  Arlieiten  Swammeudamh,  vim  deren  GenaujgkeU 
üeine  Untersuchungen  mehrerer  Mollusken,  »ler  Urogenitd^Organe  dos 
Frusche^,  di*r  Anatomie  der  Biene  u.  ;l  m.  Zeugniss  geben,  und  die 
Beobachtungen  F.  Heipt's  ül>er  die  Urzeugung,  durch  wolehe  er  den 
Nachweis  lieferte^  d^uss  sich  im  faulenden  Fleische  keine  Maden  ent- 
wickeln,  wenn  luan  die  Fliegen  davon  abhält,  übt-en  natürlich  auf  die 
wissenschaftlichen  Anschauungen  einen  klärenden  Kinlluss  aui^  Auf 
Grund  dieser  Ergebnisse  durften  dann  John  Kay,  J.  Tu.  Ku-iun',  Lixke 
u.  A.  di^n  Versuch  machen,  durch  eine  systematische  Klas,sitikation  der 
Thiere  das  Studium  tlei*selben  tu  erleichtern  und  eine  übersiebtlicho 
Darstellung  der  zoologischen  Wissenschaft  zu  liefern. ' 

lue  bedeutendsten  rmgestaltungen  erlebten  in  jener  Zeit  iiUri  iiic 
Physik  und  die  Chemie.  Als  die  letztere  durch  Pak^ioelwus  und  sein^ 
Anhänger  von  der  Alcbymie  abgelenkt  und  auf  die  Arzneimittellebn» 
hingewiesen  wurde,   cb  nahm  sie  einen  Aufschwung»  welcher  für  dj^ 


*  J.  Saüus:  Geschichte  der  ßolauik,  Müncheu  1875,  B.  64  u.  ft,  246  u.  ff,, 
417  \u  C 

"  V.  CäMVBi  GeecUichtc  der  Zoologie^  Mütichen  1»72,  8.  3ö6  u. 


Die  experimenieüe  Richtung  der  Natunt^issensch,  etc,  während  d,  17.  Jahrh.   287 


Medicin  wie  für  die  Chemie  gleich  segensreich  war.  Es  wurde  eine 
grosse  Anzahl  neuer  Arzneien  entdeckt  und  die  Technik  ihrer  Bereitung 
in  mannigfacher  Weise  gefordert 

Vielleicht  nicht  weniger  bedeutend  war  die  Wirkung,  welche  die 
chemischen  Anschauungen  und  Kenntnisse  auf  die  Physiologie  und 
Pathologie  ausübten.  Ein  Theil  der  Ärzte  sah  in  allem  organischen 
Geschehen  Gährungs-  und  Zersetzungsprozesse  und  wollte  die  meisten 
Äusserungen  des  gesunden  und  kranken  Körpers  durch  chemische  Vor- 
gänge erklären.  Diese  chemiatrische  Richtung  ging  manchmal  zu  weit, 
indem  sie  sich  an  Aufgaben  wagte,  dpren  Losung  bei  der  geringen 
Entwickelung,  welche  die  Chemie  zu  jener  Zeit  erlangt  hatte,  unmög- 
lich war;  aber  sie  hatte  das  grosse  Verdienst,  dass  sie  die  Ärzte  an 
den  Gedanken  gewöhnte,  von  der  Spekulation  wenig,  von  der  Unter- 
suchung der  Thatsaehen  viel,  wenn  nicht  Alles  zu  erwarten. 

Die  Chemie  verdankte  dieser  Erkenntniss  viele  Entdeckungen  und 
eine  bedeutende  Vermehrung  ihres  Inhalts.  Der  Arzt  Llbaviüs  erfand 
die  Bereitung  der  Schwefelsäure  aus  Schwefel  und  Salpeter  und  er- 
Irannte^  dass  sie  identisch  war  mit  derjenigen,  welche  sich  aus  Vitriol 
•»der  Alaun  bildet  Er  stellte  zuerst  das  Doppelt-Chlorzinn  durch 
Destillation  des  Quecksilbersublimats  mit  Zinn  dar  und  kannte  die 
Färbung  der  Glasflüsse  durch  Zusatz  von  Gold.  Turquet  dk  Mayerne 
lehrte  die  Sublimation  der  BenzoO-Blumen. 

Auch  J.  B.  VAN  Helmont  bereicherte  die  Chemie  mit  einer  Menge 
neuer  Thatsachen.  Er  sprach  den  Satz  aus,  dass  nur  diejenigen  Metalle 
aus  einer  Losung  ausgeschieden  werden,  welche  schon  vorher  darin  ent- 
halten waren,  und  gab  damit  der  Goldmacherkunst  den  Todesstoss.  Jlr 
entdeckte  die  Kohlensäure  und  führte  den  Begriff  der  Gase  für  Luft- 
arten, welche  nicht  mit  der  atmosphärischen  Luft  übereinstimmen,  in 
die  Chemie  ein.  Von  der  experimentellen  Methode  seiner  Forschung 
liefert  der  Versuch,  welchen  er  anstellte,  um  den  An  theil  des  Bodens, 
des  Wassers  und  der  Luft  an  der  Ernährung  der  Pflanze  zu  studieren, 
einen  deutlichen  Beweis. 

In  den  Schriften  Glaubeüs,  welcher  über  das  schwefelsaure  Natron 
und  mehrere  andere  Salze  genauere  Aufschlüsse  gab,  findet  sich  sogar 
a-hon  ein  ahnungsvolles  Verständniss  der  chemischen  Verwandtschaft.^ 
Eine  tiefere  Begründung  erhielt  dieselbe  durch  Robert  Boyle,  welcher 
in  seiner  Corpuscular-Theorie  die  Auflösung  chemischer  Verbindungen 
in  ihre  Bestandtheile  und  deren  Vereinigung  mit  denjenigen  anderer 


»  KoFP  a.  a.  O.  I,  111.  114.  120  u.  ff.  130. 


288  Der  medioinische  Unterricht  in  der  Neuzeit, 

chemischer  Verbindungen  durch  die  Anziehung  und  Abstossung,  welche 
sie  aufeinander  ausüben,  zu  erklären  suchte. 

Mit  BoYLE  begann  die  Zeit,  da  man  die  Chemie  um  ihrer  selbst 
willen  studierte  und  nicht  mehr  als  blosses  Hilfsmittel  betrachtete,  um 
den  Stein  der  Weisen  zu  finden,  wie  die  Alchymisten,  oder  um  neue 
Medicamente  darzustellen,  wie  die  Chemiatriker.  Er  entdeckte  die 
Phosphorsaure,  das  Kupferchlorür,  die  flüchtige  Schwefelleber  und  war 
der  Erste,  welcher  das  entgegengesetzte  Verhalten  der  Sauren  und 
Alkalien  gegenüber  gewissen  Pflanzenfarben  beobachtete.  Von  ihm 
rührt  der  Gebrauch  her,  Papierstreifen  mit  Pflanzenfarben  zu  tranken 
und  als  Reagentien  zu  benutzen.  Boyle  erwarb  sich  grosse  Verdienste 
um  die  Begründung  der  analytischen  Chemie,  sowie  um  die  Verwendung 
der  Chemie  zu  technischen  Zwecken.^ 

An  dem  weiteren  Aufbau  der  wissenschaftlichen  Chemie  nahmen 
KüNKEii,  Becheb,  W.  Hombekg,  Lemeby,  Stahl,  F.  Hoffmann,  welcher 
sich  vorzugsweise  mit  der  chemischen  Untersuchung  der  Mineralquellen 
beschäftigte  und  z.  B.  in  dem  Seidlitzer  Mineralwasser  das  Bittersalz 
auffand,  Makggkaf,  der  Begründer  der  Eunkelrübenzucker-Fabrikation, 
DU  Hamel,  der  auf  die  Verschiedenheit  des  Natrons  und  Kali  auf- 
merksam mjichte,  die  Darstellung  der  Soda  lehrte  und  ihr  Vorkommen 
in  der  Asche  von  Pflanzen,  die  an  der  Meeresküste  wachsen,  nachwies, 
H.  Cavendish,  dessen  Untersuchungen  über  das  Wasserstoffgas,  welches 
er  leider  für  das  gesuchte,  nicht  existirendu  Phlogiston  hielt,  über  die 
Wirkungen,  das  specifische  Gewicht  und  die  Absorbirbarkeit  der  Kohlen- 
säure durch  Wasser,  öl  und  Alkohol  hier  Erwähnung  verdienen,  Bebg- 
MANN,  welcher  die  Lehre  von  der  chemischen  Verwandtschaft  bearbeitete, 
Scheele,  der  sich  um  die  organische  Chemie  Verdienste  erwarb  und 
ausser  verschiedenen  Pfianzensäuren  die  Milchsäure  und  die  Harnsäure 
entdeckte,  aber  auch  die  anorganische  Chemie  durch  die  Auffindung 
mehrerer  neuer  Elemente,  wie  das  Chlor  und  Mangan,  forderte,  u.  A, 
einen  hervorragenden  Antheil.  Viele  unter  ihnen  waren  zugleich  Arzte 
und  widmeten  daher  den  Beziehungen  der  Chemie  zur  Medicin  ihre 
besondere  Aufmerksamkeit. 

Leider  wurde  der  Fortschritt  der  Chemie  beeinträchtigt  durch  vor- 
gefasste  irrige  Meinungen,  welche  sich  zu  Dogmen  von  allgemeiner 
Geltung  entwickelt  hatten.  So  nahm  man  an,  dass  der  Verbrennungs- 
prozess  von  dem  Vorhandensein  eines  Stoffes,  den  man  Phlogiston 
nannte,  abhängig  sei,  und  dass  die  grössere  oder  geringere  Verbrenn- 
lichkeit  eines  Körpers   darauf   beruhe,  in  welcher  Menge  er   diesen 


1  Kopp  a.  a.  O.  I,  165  u.  ff. 


Hv^ 


..,  i  v^.  ;..,4*hen  Brennstoff  enthalte.  Die  phlogistiä^sha  Theorie,  nach 
deren  Analogie  man  den  Säuren  einen  säuern  Stoff,  die  sogenannte 
ÜMurts  and  den  kaustischen  Alkalien  einen  kaustischen  Stoff  zu  (i runde 
kgte.  beherrscht^e  die  Geister  Ucihezu  ein  Jahrhundert  und  wnrde  erst 
durch  Lavoiseek  beseitigt. 

Ein  glücklicherer  Stern  waltete  füjer  der  Physik/  indem  die 
fof^her  hier  nicht  durch  hiiltlose  unbegründete  Hypothesen  in  ihrem 
Hfthf^üe  heeinflusst  und  auf  Irrwege  geleitet  wurden,  sondern  ihre  ganze 
^iiJtige   Kraft  dazu  gebrauchten,  Bausteine  herheizn tragen,  welche  zu 

Errichtung  eines  Lehrgebäudes  der  wissensehaftU<'hen  Physik  ver- 

det  werden  konnten, 

GALitiEi,  de?4sen  Leistungen  in  der  Astronomie  und  dessen  Martyrium 
för  seine  Überzeugung  heknunter  sind  als  seine  Verdienste  um  die 
Phjsik^  entdeckte  di<^  Fall-  und  l*{^ndclgesetze.  Er  erkannte  die  Be- 
imtang  dm  Satze«  vom  Parallelogramiii  der  Kräfte  und  versuchte  mit 
Hilfe  desselben  die  Bahn  geworfener  Xürper  zu  bestimmen,  tjleieh- 
müg  mit  STEvmtJs  bearbeiteti'  er  auch  die  Hydrostatik  und  Hydro- 
djnaaiilL  „Wenn  ein  Kinzelner  anf  die  Ehre  des  Begründers  einer  so 
mirnch  verzweigten  Wissenschaft^  wie  die  Physik  ist,  Anspruch  machen 
iftnOt  schreibt  Pt»oGEND(UtFF  [a.  a,  0,  S.  268),  so  ist  sie  unbedenklich 
ketnem  A^ndern  als  GALrLEi  zu  ertheiien;  denn  er  hat  den  Griuid  zu 

wfcwenHidiaftliehen    Mechanik    gelegt,    die    alle   übrigen  Theile  der 
mehr  odi^r  weniger  als  Nerv  durchzielit". 

ScboD  1597  verfertigte   GALiiiEi   einen  Thermumeter,  mit  dessen 
'    '^r  «ich  auch  Rem»  Fludd,  Säkctohiits  und  Cohn.  Deebbel 

i  :  ^1   haben. 

OALüiEt^s  hochbegaliter  Schüler  Türricelli  stellte  die  Gesetze  des 
AusSlac^c^ns  von  Flüssigkeiten  aus  Rr^iren  fest,  erfand  (1643)  dt^n  Baro- 
ntter  und  erklarte  die  Veränderungen  des  Luftdruckes  für  die  Ursachen 
im  Steigens  und  Fallens  der  Quecksilbersäule.  Pascal  lieferte  dafür 
(irr  i»are  Beweise  und  zeigte,  diiss  man  mit  Hilfe  des  Barometer» 

du  .:  ..  ].  in terschiede  zweier  Orte  feststellen  kann.  AL\iiinTTE,  J.  PEogxTp^r 
und  SiKCLAiK  führten  diesen  Gedanken  weiter  aus  und  brachten  ihn 
er  Verwirklichung  näher,  Pascal  construirte  einen  Wein-Barometer, 
rend  Berti  und  0.  v.  Guebicke  8t<itt  des  Quecksilbers  Wasser  in 
difi  Rubre  einschlosseii. 

Der  Bürgermeister  von  Magdeburg  und  ehemalige  Ingenieur  der 
Feßlung  Erfurt^  Otto  von  Gcericke,  ersann  die  Luftpumpe  und  setzte 
die  auf  dem  Reichstage  zu  Regensburg  i,  J.  1 054  v<Tsammelten  Fürsten 


'  ,j.  1.     I  >>*i*iKM>ni:n»  Geschichte  der  Physik,  Leipzig  1879^  S.  204  u.  ff. 


M^ 


290  Der  mediciniscJie  UnierridU  in  der  Neuzeit, 


durch  die  Versuche,  welche  er  damit  anstellte,  in  kein  geringem  Er- 
staunen. Er  macht«  gute  Beobachtungen  über  das  Gewicht  der  Luft 
und  verfertigte  den  ersten  Manometer,  um  den  Grad  der  Dichtigkeit  und 
des  Druckes  der  Luft  zu  messen.  Auch  wies  er  nach,  dass  im  luftleeren 
Kaunie  kein  Ton  zu  Stande  kommt  und  keine  Verbrennung  stattfindet 

Seine  Beobachtungen  wurden  durch  Boyle  vervollständigt,  welcher 
die  Elasticitat  der  Luft  genauer  studierte  und  das  irriger  Weise  nach 
Mariottb  genannte  Gesetz  entdeckte,  dass  die  Volumina  derselben  Luft- 
masse im  umgekehrten  Verhältnisse  zu  dem  auf  ihnen  lastenden  Drucke 
stehen. 

Um  die  gleiche  Zeit  versuchte  man  die  Geschwindigkeit  des  Schalles 
zu  bestimmen.  Gassendi  gab  an,  dass  derselbe  in  einer  Sekunde  einen 
Weg  von  1473  Fuss  zurücklege.  Mebsenne  kam  der  Wahrheit  schon 
etwas  näher,  indem  er  diese  Zahl  auf  1380  Fuss  ermässigte.  Waren 
auch  die  Resultate,  zu  denen  sie  gelangti^n,  unrichtig,  so  schlugen  sie 
doch  die  richtige  Methode  der  Untersuchung  ein,  und  dies  war  schon 
ein  ausserordentlicher  Fortschritt.  Selbst  ein  Newton  vermochte  nicht 
alle  Fehlerquellen  zu  vermeiden;  er  berechnete  die  Geschwindigkeit  des 
Schalles  auf  906  Pariser  Fuss  in  der  Sekunde,  weil  er,  wie  Laplace 
gezeigt  hat,  den  Einfluss  der  Wärme  nicht  genügend  berücksichtigte. 

Die  bedeutendsten  Fortschritte  geschalien  in  der  Optik.  Sie  wurden 
begünstigt  und  zum  Theil  überhaupt  erst  ermöglicht  durch  verschiedene 
Instrumente,  deren  Erfindung  in  jene  Zeit  fiel.  Das  Femrohr  befähigte 
das  Auge  zum  Sehen  in  die  Ferne,  das  Mikroskop  eröfifinete  ihm  die 
Einsicht  in  die  Welt  des  Kleinen.  Durch  diese  beiden  optischen  Hilfs- 
mittel wurde  das  menschliche  Sehvermögen  in  ungeahnter  Weise  ver- 
stärkt und  der  Forschung  Gebiete  erschlossen,  welche  jenseits  der  natür- 
lichen Grenzen  des  menschlichen  Erkennens  lagen. 

Die  Heimath  dieser  Erfindungen  war  Holland.  Wem  ihre  Priorität 
gebührt,  ist  zweifelhaft;  doch  scheint  es,  dass  die  Brüder  Janssen, 
welche  im  Beginn  des  17.  Jahrhunderts  als  Glasschleifer  in  Middelburg 
lebten,  wenigstens  in  Bezug  auf  das  zusammengesetzte  Mikroskop  die 
meisten  Ansprüche  darauf  haben.  Es  ist  hier  nicht  meine  Aufgabe, 
auf  die  Geschichte  dieser  Entdeckung  näher  einzugehen,  und  auch  über- 
flüssig, da  sie  von  Harting  eine  ziemlich  erschöpfende  Darstellung 
erfahren  hat.  ^  Welche  ausserordentliche  Bedeutung  das  Mikroskop  für 
die  Naturwissenschaften  erlangt  hat,  lässt  sich  mit  Worten  nicht  ge- 
nügend schildern. 


*  F.  Habtino:  Das  Mikroskop,    ins  Deutsche  übers,  v.  Theile,  IH.  Theil, 
raonschweig  1866. 


IH§  experimentelk  RiMu fig  der  Naiwmsset^i.  eic,  wrihreml  d.  1 7,  Jahrh,   291 


1       Un* 


i"' 


Dit»  Instrumente  wurden  allmalig  in  mannigfacher  Weise  ver- 
k'j«ert  und  TervoUkonimnet  Die  Krfiadung  dvr  Spiegel-Teleskope  durch 
James  Gregory,  diejenige  des  Mikronieters  oder  Fadenkreuzes  durch 
Koa  HiKiKK,  die  erste  Construktion  achromatischer  Linsen  aus  einer 
Comhinaticm  ?on  Krön-  und  Flintghis  durch  Moue  Hall  u.  ii,  m. 
!)chlii8sen  sich  späkT  danin  im. 

Man  wagte  sich  jetzt  sogar  an  die  schwierigen  Probleme  des  Lichts 

der  Farben.  Der  grosse  Denker  Descartks  (*'aktesilts),  dem  die 
Mathematik  die  Einführung  der  negativen  Wni'zeln  der  Gleichungen 
und  die  Begründung  der  analytischen  Geometrie  verdankt,  versuchte 
eine  Erklärung  des  Kegenbogens  und  ontwickelte  dabei  das  Gesetz  des 
EinJkll»-  und  ReÜexwinkels.  Snell  stellte  das  VtThältuiss  der  Medien 
m  der  Brechung  der  Lichtstraiilen  fest,  und  Ghtmalhi  entdeckte  die 
Diffraction  oder  Inllesiou  des  Lichts,  sowie  die  Dispersion  oder  Farben- 
itreuung, 

Schon  der  Letztere,  nocli  mt»hr  aber  Houkk,  als  er  seine  Be- 
ngen über  die  Farben  dünner  Blattrhen  verölfentlichtey  hatte 
eitle  Ahnung  von  der  wellenförmigen  Bewegung  des  Lichts,  welche 
HnroENs,  gestützt  auf  das  Phänomen  der  doppelten  Strahlenbrechung^ 
m  seiner  Cndulations- Theorie  zu  einer  wissenschaftlichen  Thatsache 
Oliub.  Freilich  dauerte  es  langer  als  ein  Jahrhundert,  bis  sie  allgemein 
anf>rkannt  wurde;  denn  Newton  hatti»  behauptet,  dass  das  Licht  aus 
konkreten  Theilchen  bestehe,  die  mit  grosser  Sehnolligkeit  vum  leiichtiMi- 
den  Körper  ausge^^andt  werden,  und  seine  Autoritiifc  war  so  mächtig,  dass 
ilir  lüber  alle  Versuche,  der   Wahrheit  zum  Sieg«*  zu    verhelfen^ 

Vi  II  waren.    P>st  1815  gelang  es  den  Bemühungen  eines  Feesnkl 

ßnci  Arago,  der  ündulations-Theorie   überall  Eingang  zu  verschaffen. 

Aus  dem  Ende  des  17.  Jahrhunderts  stammen  auch  die  ersten 
Miltbeilungi'n  über  die  Erscheinungen  der  Polaris.itit>n,  welche  Newton 
fwir  lifSübachtetc,  aber  selbstverst-andlich  nicht  zu  erklären  vermochte* 
Dagegen  kam  er  bei  seinen  Versuchen  über  ilie  Dispersion  des  Sonot  n- 
lirhtÄ,  welche  er  in  der  Weise  anstellte,  wie  es  schon  Gkimaldi  und 
vor  diessem  der  Prager  Arzt  Maecijs  Mahci  von  Kronland  gethan  hritt43n» 
m  d^^m  wichtigen  Ergelmiss,  dass  das  weisse  Licht  aus  unzählig  vielen 
Farhenstrahlen  von  verschiedener  Brechbarkeit  zusammengesetzt  wird 
ood  jodem  Grade  von  Brechbarkeit  eine  bestimmte  Farbe  entspricht, 
SBWTtjNS  -tVnsicht  über  die  Entstehung  und  das  Wesen  der  Farben  war 
nicht  richtig;  es  scheint,  dass  hier  Leone.  Eitler  zuerst  (174B)  den 
riohfta^ci  Zui^ammenhang  geahnt  hat 

Dem  17.  Jahrhundert  gehören  femer  eine  Anzahl  physikalischer 
Kat4eckungen  an^  welche  die  Cultur  nach  verschiedenen   Richtungen 


292  Der  medidnisoJie  Unlerricht  in  der  Neuzeit, 


mächtig  gefordert  haben.  Hooke  ven^ollkommnete  die  Taschenuhren 
durch  die  Spiralfeder,  und  Hüygens  erfand  die  Pendel-Ühren. 

Der  Marquis  von  Würcester,  der  Kapitän  Savery,  Moreland, 
Papin  u.  A.  studierten  die  Dampfkraft  genauer  und  ersannen  Maschinen 
zu  ihrer  praktischen  Verwerthung.  Dieselben  litten  Anfangs  an  manchen 
UnvoUkommenheit^n.  So  musste  das  öffnen  und  Schliessen  der  Hähne 
am  Einspritzrohr  und  Dampfrohr  von  Menschenhand  besorgt  werden. 
Da  bemerkte  eines  Tages  ein  kluger  Bursche,  dem  dieses  Geschäft  an- 
vertraut war,  dass  das  Drehen  der  Hähne  mit  der  Bewegung  des 
Balanciers  zusammenhing.  Er  verband  sie  daher  mit  Bindfaden  und 
sah,  dass  die  Maschine  fortan  von  selbst  ging.  Der  Bindfaden  wurde 
später  natürlich  durch  andere  praktische  Vorrichtungen  ersetzt  Papin 
machte  sogar  schon  den  Vorschlag,  die  Dampfkraft  zur  Bewegung  von 
Schiffen  zu  l)onutzen. 

Auch  die  ersten  Beobachtungen  der  elektrischen  Erscheinungen 
reichen  in  jene  Periode  zurück.  ^  Der  Engländer  Gilbert,  welcher  den 
tellurischen  Magnetismus  entdeckte,  fand,  dass  die  Elektricität  durch 
Reiben  entsteht,  aber  nicht  in  allen  Körpern  erzeugt  werden  kann  und 
vom  Magnetismus  verschieden  ist  0.  v.  Guerickb  beobachtete  mit 
Hilfe  eines  von  ihm  construirten  Apparates,  der  eine  Vorstufe  zur 
Elektrisirmaschine  bildete,  ausser  der  schon  bekannten  elektrischen  An- 
ziehung auch  die  Abstossung,  von  der  man  bis  dahin  nichts  wusste, 
sowie  das  Ijeuchten  und  Knistern  beim  Elektrisiren.  Den  eigentlichen 
elektrischen  Funken  beschrieb  dann  der  englische  Forscher  Wall 
i.  J.  1698,  welcher  dieses  Licht  und  das  beim  Elektrisiren  entstehende 
Knistern  bereits  mit  dem  Blitz  und  Donner  verglich.  Stephan  Gray 
stellte  (1729)  den  Unterschied  zwischen  Leitern  und  Nichtleitern  der 
Elektricität  durch  Experimente  fest,  zeigte,  dass  die  Elektricität  von 
einem  Körper  dem  andern  mitgetheilt  wird,  und  dass  dazu  nicht  immer 
die  direkte  Berührung  erforderlich  ist,  sondern  schon  die  Annäherung 
genügt;  er  wies  femer  nach,  dass  es  bei  der  Elektrisirung  der  Körper 
nicht  auf  deren  Masse,  sondern  nur  auf  ihre  Oberfläche  ankommt^  und 
war  der  Erste,  welcher  das  Wasser  und  den  Menschen  elektrisirte  und 
sich  dabei  bereits  des  Isolirschemmels  bediente. 

Bald  darauf  machte  Düeay  die  wichtige  Entdeckung,  dass  es  zwei 
verschiedene  Arten  der  Elektricität  giebt,  von  denen  die  eine  am  Glase, 
die  andere  am  Harz  haftet  Daran  schlössen  sich  die  Verbesserungen 
der  Apparate  zur  Erzeugung  von  Elektricität  durch  Böse,  J.  H.  Winkleb 
u.  A.,  welche  zur  Construktion  der  Elektrisirmaschine  führten ,   femer 


^  E.  Hopi>b:  Geschichte  der  Elektricität,  Leipzig  1884. 


DU  experimenteUe  Richtung  der  Naturunssensch.  etc.  während  (L17,  Jahrh,   293 

die  Erfindung  der  Verstärkungsflasche,  die  ziemlich  gleichzeitig  von 
MusscHENBBOEK  In  Lejden  und  dem  Baron  Kleist  in  Pommern  ge- 
macht wurde,  sowie  die  Entdeckung  der  atmosphärischen  Elektricität 
durch  Le  Monnieb,  die  Erfindung  des  Blitzableiters  durch  Benjamin 
Franklin  und  die  Herstellung  des  ersten  Elektrometers  durch  John 
Canton. 

Endlich  müssen  hier  noch  einige  Fortschritte  in  der  Physik  er- 
wähnt werden,  welche  der  gleichen  Zeit  angehören.  Der  Thermometer 
wurde  auf  Anregung  des  Mediceers  Ferdinand  IL  verbessert.  Man  erfand 
auch  schon  den  Differential-Thermometer.  Amontons,  der  das  Hygroskop 
ersann  und  den  Einfluss  der  Wärme  auf  den  Barometer  studierte,  ver- 
fertigte den  ersten  wirklichen  Luft-Thermometer.  Durch  die  Graduirung 
und  Anbringung  einer  Skala  am  Thermometer,  wodurch  sich  nament- 
lich der  Danziger  Fahrenheit  Verdienste  erwarb,  wurde  seine  prak- 
tische Verwendbarkeit  sehr  erhöht. 

In  Florenz  machte  man  die  ersten  Beobachtungen  über  die  spe- 
cifische  Wärme,  die  man  Wärme-Kapacität  nannte. 

Alf.  Bobelli  gab  Aufschlüsse  über  die  schon  von  Lionardo  da 
Vinci  gekannten  Erscheinungen  der  Capillarität. 

Aber  alle  diese  Thatsachen  traten  an  Bedeutung  zurück  vor  J.  New- 
ton's  Entdeckung  der  allgemeinen  Gravitation,^  durch  welche  die  unendlich 
complicirten  Bewegungen  der  Himmelskörper  nach  den  allgemein  gül- 
tigen Gesetzen  der  Mathematik  und  Physik  erklärt  und  der  Beweis  g(»- 
liefert  wurde,  dass  die  letzteren  im  ganzen  Weltall  Geltung  haben. 
Dieser  Gedanke  übte  den  grössten  Einfluss  auf  die  Emancipation  des 
menschlichen  Geistes  von  den  mystisch-transcendenten  Gewalten  aus 
und  gab  ihm  eine  Macht,  die  in  das  Gebiet  des  tTberirdischen  zu 
reichen  schien. 

Wenn  sich  Newton  sonst  kein  Verdienst  um  die  Physik  erworben 
hätte,  so  würde  die  Gravitationstheorie  genügen,  seinen  Namen  in  der 
Geschichte  dieser  Wissenschaft  unter  den  Ersten  zu  nennen.  Er  war 
einer  der  grössten  Mathematiker  und  Physiker,  die  jemals  gelebt  haben. 
Will  man  die  für  die  Physik  an  Ergebnissen  und  Entdeckungen  so  un- 
gemein fruchtbare  Geistesrichtung  jener  Zeit  mit  einem  W^orte  be- 
zeichnen, so  darf  man  nur  an  Newton  erinnern,  der  Uir  hervorragendster 
Vertreter  war. 

Welcher  mächtige  Umschwung  in  der  Denkweise  hatte  sich  voll- 
zogen in  dem  Zeiträume  von  Gaulei  bis  Newton!    Die  Naturwissen- 


*  W.  WüEWETiL:  Geschichte  der  inductiven  Wissenschaften,  Stuttgart  1840, 
II  158  a.  ffl 


m 


Der  medieimKhe  Dnienicki  m  der  NemML 


iehiftaiv  welebt  noeh  fan  16.  Jabriiandert  Tan  den  herr^henden  Auto. 
rMteD  imtordraekt  imd  bevormuiHlet,  ran  4er  Oflentlicheji  Meinung  mit 
Gleicb^ltigkeii  rider  Misflachtmig  behandelt  und  mir  von  Wenigen  ^ 
pflegt  und  tti  ''     '  ''urdert  wurden,  utandf'ii  jetzt  im  Brennpunlrje 

^der  (^eij$Ugen  l  fnl  durfum  olin<*  Hebe«  die  höchsten  Proble 

meniM:;hlfchen  \u  den  Bereich  ihrer  Unlersuchungen  zie 

Mit  i  f'r  n^ng  die  Natudoneliun^  an  ihre  AI 

gabim,  Uli  Krwartniigeii  Qberstaigeiiden  ErtVilge^ 

«ie  errang;,  ftchienea  zu  der  Hoffnung  zu  berechtigen^  dam  ihr 
Bch ranke  gaaetzt  sei  AIm  sieb  dieselbe  nicht  erfüllt«*  und  der  mn 
lii:h**n  Krkenntniis  unfik*rwindliche  Hindemisse  entißrf'g»*ntraten,  ilaj^ 
lähmte  der  neiR.««^  und  die  Arbeit  begann  xu  stocken«  Man  waifl 
jsieh  wit*d(*rum  anderen  BeHtrebungen  zu,  welche  mehrErfulg  versprachst, 
alä  die  Beachiiftigung  mit  den  Naturwissemjchaften, 

Auf  den  siegreichen  Aufschwung,  welchen  die  Naturwij^en^hdfl 
im  16.  und  1 7.  Jahrhundert  erlebten,  foljfte  ihr  Niedergang  oder  StilT 
«tarHl  im  18.  Jahrhundert,  weh^hesi  keine  wesentliche  Vermehnmg  ^ 
WiHMerisJnhalt>i  brachte,  aiier  unter  dem  £inllu8s  einer  encjklopädidelfl 
Hicbiunt,'  (ier  (n-lHter  zu  einer  Sammlung  und  Sichtung  der  gewonnenen 
l'>g«<bniMHe  lührle,  die  für  ihn*  weitere  Kntwickelung  nützlich  und  uo| 
wendig  war. 


Die  mikroskopische  PorachuEg  in  der  Anatomie  und 
das  Experiment  in  der  Physiologie,  fl 

\}m  H>.  Jahrhundert  sali  die  glänzenden  Triumphe  der  Anatompn, 
welche  iien  Hau  deH  menselilirhen  KnrperH  erforschten;  dem  IT^Jahr- 
humlert  drih-kte  (hi«  [ibysiobiglsehe  Experiment-,  welches  einr  ;»nf  Tbttt- 
phen  bef^'nmdete  WlsHenschaft  schuf,  die  Signatur  auf,  H 

Dil'  Auiiliunii^  wurde,  soweit  es  durch  Untersuchungen  mit  dfflF 
unbtnvatlriefcM  Auge  miV||lich  war,  in  ihren  wesentlichen  (Trundzügea 
Hchun  im  Ui.  Jäihrhund<'rt  lostge.ste|lt,  IHe  folgenden  Zeiten  haM 
di<*  Autgabi'y  dir  iTriuik'eTien  Wissens- Resiilj^ile  zu  firüfi^n.  zu  UeriÄ 
tigf'n  und  durch  l*<4ailforschungen  zu  vervollständigen  und  weiter  hqA 
/ufirtieiien.  fl 

IHese  UnlrrsuclHniifcn  gewannen  durch  <iie  Loupe  und  das  Mikrt*- 
8ko|i  rinr  Tiefr  und  (iründlichkeil,  w*»l('ln*  msin  früher  nicht  erreirkii 
konnte.  Die  Anatomen  widmeten  daher  ihre  Aufmerksamkeit  hau]>t- 
michlieh   der   feinerm  Struktur  der  Org:jmp,    welche    mittelst   der 


l>u  mih^09k<^.  thrschg*  in  d.  Afiaiamie  ti.  d,  ExpennierU  in  d,  Physiologie,   29  ö 


entdeckten  optischen  Instrumente  in  erfolgreiclier  Weise  untersucht 
rarde.  Die  basten  Mitroskope  besass  Leeifä^enhoek,  welcher  sie  selbst 
Ktt«aminen?ti'tzt^.  Sie  ermnglif^hton  rine  lOO — 270f;ji^lie  Vergrössening, 
irährend  die  Instrumente^  welche  anilere  Forscher  Vienutzten,  höchstens 
fine  143  fache  Vcrgr^^'sseninj,'  zuliessen, 

Leeuwenhoek  schilderte  den  rührigen  Bau  <ler  Knochen  und  be- 
merkte V*ereits  die  Knochen -KorpercheUj  welche  spater  von  Purkinje 
«ieder  entdeckt  und  genauer  beschrieben  wurden,  ^  Er  wies  ferner  auf 
die  Schmelzsubstanz  der  Zähne  hin,  deren  ubriy:e  Siruktur  von  Malpiohi 
aufgeklärt  wurde.  Clupton  Havers  eutdeckte  die  noch  jetzt  seinen 
Nomen  fuhrenden  Knochenkcinäle;*  dv  IIamkl  studierte  flie  Bildung 
ilts*  Knochengewebes  und  erkannte,  dass  sich  dasselbe  unter  Betheiligung 
des  Perioi*ts  aus  Knoqtel  entwickelt,  wobei  die  Gefässe  nach  seiner  An- 
gabe da*?  erforderliche  BUdiingsmaterial  zuführen;  J.  Th.  Klinkohch 
in  Prag  lehrte  dann  die  Ent-stehung  des  Knochens  aiis  Bindegewebe, 
während  Haller  an  der  Entwickehiug  desselben  aus  Knorpel  festhielt 
und  die  Umwandlung  vun  den  Gefäi^sen,  welche  die  von  ihm  entdeckten 
Primordial-Knochen kerne  umspinnen,  ausgehen  iiess. 

Daneben  wurde  auch  die  makroskopische  Kenntniss  der  Osteologie 
bereichert.  Natu.  HiaHMuRE  entdeckte  die  Höhle  des  Oberkiefers, 
ÜLAüs  Wurm  beschrieb  die  nach  ihm  genannten,  schon  von  Eustachiu 
^r'  -r/  n  NabtkTiochen,  Th-  Kerckkinu  verfolgte  die  Entwieketung 
il'  ius   am   Fötus,   und   Frleur.   Ritysch   machte   auf  die  Ver- 

schiedenheiten de^  mannlichen  und  weiblichen  Skeletts,  namentlich  auf 
die  Unterschiede  in  der  Form  des  Beckens  und  des  Brustkorbes  bei 
bnidf-n  (ie-schlechtern  aufmerksam.  Die  Biindeilehre  erfuhr  durch  Josias 
WwTBBECHT  eine  sorgfältige  Bearbeitung.^ 

Die  Struktur  der  äusseren  Haut  wurde  von  Malpighi,  an  den  das 
HfU  mumsum  noch  \w\ii  erinnert,  nnd  LKKUWENiitiEK  untersucht, 
welcher  die  glatten  Schuppen  der  Epidermis,  sowie  die  durch  die  Bil- 

.Ton  Schwielen  und   Narben  erzeugten  Veränderungen   der  Haut 

lie  Ablagerung  des  Pigments  bei  farbigen  Menschenrassen  beidi- 
Achtete.  Über  die  Struktur  und  die  Funktion  der  Nasenschleimhaut 
l^b  t!.  \\  Schneider  einige  Aufschlüsse,* 

Mit  der  Zusammensetzung  der  Muskelsubstanz  beschäftigten  sich 
A,  BoRKtiU,   R.  HnoKE  und  vor  Allen  Nicolaüs  Steno,  welcher  auf 


Br! 


'  i\  J.  llAJkXMAKK  in  der  NederL  Tijdflthr.  v.  Getieesk  t87l,  tl,   l— Se. 

•  Cl,  Haveuh:  nbaerVHtionea  de  oaaibus,  Anwtelod.   1731,  \).  fiJt. 

■  Jon.  Wkitäreiiit:  Syiidesmologie,  Deuteehe  AuÄgabc,  Strassburg  1779, 

*  K-  F.  H-  Marx  in  den  Abhandlungim  d.  kgb  Ges.  d-  WIbb.  zu  Göttingen? 


die  Gleichartigkeit  ihres  Baues  bei  Menachen  und  Tbiereo  hinwies  u\ 
zeigte,  flass  Gefasse  und  Nerven  in  die  Muskeln  eintreten,  und  daaa 
letzteren  aus  Filirillenlififidelii  bestehen  und  von  einer  Haut  umgel 
sind,  welche  auch  zwischen  die  einzelnen  Kibrillenbündel  eiridrini 
Leeüwenhoek  bemerkte  die  Querstreiftm^  der  Muskelbundel  und  lehrte, 
dass  das  Wachsthum  der  Muskeln  nicht  durch  die  Vermehrung^  sondern 
durch  die  Ver^Tusserung  der  rrimitivbündel  ertulgt  Er  erklärte»  dm 
die  Muskelsubstjinz  aus  kleinen  Kugeln  zusammengesetzt  sei,  R  HrHJXJj 
hielt  dieselben  für  Prismen, 

Das  Studium  der  Üetiisslehre  wurde  durch  d.is  neu  entdeckte  Jq 
jektions-A^erfiihreny  um  dessen  Vervollktjmmnung  sich  Swammjckdam  du 
RiTVscii  die  m*»isteri  Verdienste  erwarben,  ausserordentlich  »*rlcichlert. 
Zur  Einspritzung  in  die  GefT*s.se  verwendeten  sie  gefärbte,  leicht  gerinn 
tjiire  harzige  Flüssigkeiten.  Ruysch,  von  dem  mim  sagte,  das^  er  ilii 
Hiinde  einer  Fee  und  iiw  Augen  eines  Luchses  besitze,  kunnte  dadurcfc 
das  V(U'handensein  und  die  Vertheilung  der  Blutgefässe  an  KörjMi 
sttilen  riacli weisen,  die  man  früher  für  gelajsshjs  gehalten  hatte  K 
beschrieb  auch  die  Bronehialgef^usse  und  die  Kranzgefässe  des  Herzemj 
Kkrckreng  ftind  an  iler  Ffurtader  des  l*ferdes  die  Vasa  vasomm^  um 
liEELiWENHOEK  erläuterte  die  Struktur  der  Gefiisshäute. 

Der  Bau  des  Herzens  wurde  von  Steno,  L«>web  und  Vikusshi 
aufgeklärt  Daran  schlössen  sich  später  die  Arheiten  von  \Vi\Hii4)w  und 
Senac  an.  Die  Lungen  wurden  wm  MvVLPIGhi  sorgfältig  untersucbt; 
derselhe  wies  nach,  dasH  sie  aus  kleinen  Bläschen  hesU^hen,  deren  Wand«; 
mit  Gelassen  reich  verseben  sind.^  Eine  musterhafte  Darstellung  der 
anatomischen  Verhältnisse  der  Lelier  gab  *ti.issun,^  wahrend  >Uhi'iGEi, 
welcher  auch  zuerst  den  acinösen  Hau  der  Drüsen  erkannte/  der  Mik 
seine  Aufmerksamkeit  widmete. 

Die  Ausibreitung  des  Bauchfells  schilderte  James  Dt»uahAs,  dciseii 
Name  sich  noch  durch  andere  Beobachtungen  in  der  Geschichte  d' 
Anatomie  erhalten  hat.  Die  Schweizer  Ärzte  Peykk  und  Brunneb  enl 
deckten  die  Drüsen  des  Darnikanids.  G.  Wir^uxo  fand  den  Duei\ 
pancreatiem,  Stkko  den  Ausführungsgang  der  Parotis,  Wharthiic  dßi 
jenigen  der  Unterkieferdrüse  mid  Quihixur  Rivmus  denjenigen  d 
(flau du la  mibli ttg ualtj*. 

Den  Bau  der  Niertm  untersuchten  Malpight,  Belkini  imd  Bebt 


*  BrROORARVK  a,  a.  0.  p.  2U4  u.  (F. 

^  De  pulmonibus  epiet  duae  in  MALPiomi  Op.  omnia^  London  1686, 
193  u.  ff. 

*  F.  Glisson:  Anatomia  bepatb,  Amst^-lod,  1659. 

*  M.  Malpioih:  De  structura  fjbiudiilarum  conglob.,  Londoy  1697. 


IHe  mikrmkup,  Fbrschg,  in  d,  Analomie  ti*  d.  Bkperin 


m,  297 


führend  die  Kenntniss  der  Sexnalorgfane  durch  W,  Cowter,  der  die 
nach  ihm  genarintea,  Hclion  früher  lK»kannten  Dnlsen  bt'schneb,  diirrli 
VxmxM  DK  Gbaäf,  welt^her  dif  Follikel  des  P^iei-stoeks  schilderte,  durch 
D,  Santoriki,  dt*r  die  mrpöra  luiea  einer  nfiljereo  Untersuchung^  unter- 
mg,  tiod  liosooJerj?  dart*h  William  Hi-xtku  geturdert,  wurde,  welcher 
die  besten  Bf'ohachtungen  tilx^r  die  Anatumie  des  Hodens  ansiellte  und 
dir»  i^rstp  richtige  Dan^tellung  der  Venin derun(]r<^'n,  welche  d^T  rtrnis 
durch  die  SchwanpTschaft  ertTihrt,  veWVilV^nflichte. 

Aaf  »^inern  niedrigen  Standpunkte  befand  sieb  die  Neurologie. 
Stexo  gestand  ofl'enherzig,  dass  er  von  dem  Bau  des  Gehirns  nichts 
nsTKtehe,  und  meinti%  dtiss  es  den  übrigen  Anatomen  ehensu  ergebe. 
&  Terlangte,  dass  man  die  Nervenfasern  durch  die  rfehirnsubstanz  ver- 
M^j  war  sich  indessen  der  Schwierigkeiten  dieser  Untersuchungs- 
methode  wohl  bewu>wt,  und  zweifelte,  ob  man  jemals  ohne  besondere 
Apparate  damit  zum  Ziele  kommen  werde,  ^ 

Wn.Lis,  der  Entdecker  des  iV/^rni.v  flfW€.v.vor/i«,?,  SvLviiTsund  Hi^Mi»iTttY 
Rn>i*EY  lieferten  gute  Beschreibungen  des  iiehiras;  J,J.  Wepfer  schil- 
derte die  Verbreitung  der  Blutgefässe  desselben;  Vieüssens  bemerkte 
die  Pvr  I  ■  ,i  unfl  Oliven  der  Medulh  nhlongaia  und  fand,  dass  die 
Imrte   h  Nervenfiiden  vom  Trigeminvs  erhiilt;^   Lancisi  machte 

atrf  die  Faserung  des  f\w)nis  caüomrn  aufmerksam  und  untersucht«  den 
Bau  der  Zirbeldrüse;  MATirfftHi  gab  über  die  Vertheilung  der  grauen 
and  weissen  Substanz  des  (jelm-ns  Aulschlüsse  und  beobachtete  den 
Clwrgang  der  Fa«erzüge  des  Rückenmarks  in  das  Gehirn.^ 

In  Betreff  der  feineren  Struktur  ibT  Gehirn uiaase  gelangh^  man 
iti  keiner  klaren  Anschauung.  Man  hubligte  im  Allgemeinen  der 
BypotUene,  dass  die  graue  Substanz  des  Gehirns  aus  Blutgetüssen  urul 
i\mm  Follikeln  best-ehe,  von  ch-nen  weisse  Nervenfasern  ausgehen. 

Die  peripherischen  Nerven  wurden  genauer  l>eschrieben  und  mehrere 
'landien    entdeck^;,   wie  z.  B,   da.s  Ganglion   Gasseri  am  Nen^ijn  irifie^ 

Hit  groitserem  Erfolge  wurde  die  Anatomie  der  Sinnesorgane  be- 

^Wtet     Rutsch   entdeckte   die   nach    ihm   genannte   Memltran   der 

idea  dojä  Auges;  Leeitwenhoek  schilderte  die  Zusammensetzung 

"->*  aus  Fasern,    die  sich   zu  Blättern  vereinigen;    Meibom  be- 


'  W.  i^tENKKRs   in  den   Mana-Laat'her  Stimmen  1884,  VII,  H.  25,  26.  — 
Tb.  PmcTiBfAXN  in  der  Wiener  Neuen  freieo  Presse  1886,  26,  November. 
'  R.  VrEuasEX«:  Neurographia  universalis,  Lugd.  1685,  p.  82.  170. 
■  M.  MiLPioHir  De  cerebro  io  Op,  omnra  a,  a.  *>,  III,  t   ii.  ff. 
A.  B.  R.  HmscH:  Paris  quiiiti  nervorum  encephali  disquiaitio  anaiomiea, 
""n.  n^6,  p,  20. 


298  Der  medicinisdie  Unterricht  in  der  Neuxeit, 


schrieb  (1666)  die  in  der  Substanz  ies  Augenlidknorpels  eingelagerten 
Driisen^  und  Steno  die  Thränen-Organe;  Poubfoüb  du  Petit  fand 
den  zwischen  den  beiden  Blättern  der  Membrana  hyalaidea  des  Glas- 
körpers um  den  Rand  der  Linsenkapsel  verlaufenden  Kanal;  Zinn 
machte  auf  die  Zonida  cüiaris  aufmerksam;  Demoubs  beobachtete  die 
seinen  Namen  fuhrende  Haut  an  der  hinteren  Fläche  der  Cornea. 

Mit  der  Anatomie  des  Gehörorgans  beschäftigten  sich  Duveeney, 
ViEüssENs,  Valsalva,  Cassebohm,  Cotügno  u.  A.,  während  der  Bau  der 
Stimmwerkzeuge,  besonders  des  Kehlkopfes,  durch  die  Untersuchungen 
von  Dbelincoübt,  Santobini  und  Wbisbebö  aufgeklärt  wurde. 

Die  grössten  Erfolge  feierte  die  physiologische  Forschung.  Das 
Zeitalter  des  Experiments,  wie  man  das  1 7.  Jahrhundert  nennen  kann, 
führte  eine  vollständige  Umwälzung  der  bisherigen  Anschauungen  herbei 
und  machte  die  Physiologie  zu  einer  Wissenschaft 

Die  Entdeckung  des  Blutkreislaufe  bildete  den  Grundstein,  auf 
dem  das  Lehrgebäude  derselben  errichtet  wurde.  Schon  Skbvbt  und 
Realdo  Colohbo  lehrten,  dass  das  Blut  aus  dem  rechten  Herzen  durch 
die  Lungen-Arterie  und  die  Lungen-Venen  in  das  linke  Herz  gelange; 
aber  erst  Will.  Habvey  lieferte  den  Beweis  dafür,  indem  er  auf  diesem 
Wege  Wasser  von  der  Ä.  ptdmonalis  in  das  linke  Herz  trieb. 

Es  lag  nahe,  dieses  Schema  auch  auf  die  übrigen  Gefässe  des 
Körpers  zu  übertragen.  Dieser  Annahme  stand  jedoch  die  damals 
herrschende  Lehre  entgegen,  dass  die  Arterien  hauptsächlich  Luft,  und 
nur  wenig  Blut  enthalten,  und  dass  das  Blut  ebensowohl  in  den  Venen, 
wie  in  den  Arterien  in  centrifugaler  Richtung  fliesse. 

Habvey  beseitigte  diese  Irrthümer.^  Er  öfinete  Arterien  unter 
Wasser  und  sah,  dass  keine  Luftblasen  aufsteigen;  er  schnitt  Arterien 
auf  und  beobachtete,  welche  Menge  von  Blut  sie  enthalten.  Er  be- 
schäftigt« sich  femer  mit  dem  Mechanismus  der  kurz  vorher  entdeckten 
Venenklappen  und  machte  den  Versuch,  von  den  Stämmen  aus  Luft 
in  die  mit  Klappen  versehenen  Venen  einzublasen.  Dabei  fand  er,  dass 
die  Klappen  so  gestellt  sind,  dass  sie  den  Blutstrom  in  der  Richtung 
von  den  Stämmen  zur  Peripherie  hemmen  und  erschweren,  in  der  um- 
gekehrten, also  centripetalen  Richtung  dagegen  erleichtem  und  fordern. 

War  diese  Thatsache  richtig,  so  tauchte  die  Frage  auf,  woher  das 
in  den  feinen  Verästelungen  der  Venen  vorhandene  Blut  stamme.  Da 
sich  nicht  denken  liess,  dass  das  Arterienblut  in  den  Organen  voll- 
ständig verbraucht  wird,  so  ergab  sich  von  selbst  die  Erklärang,  dass 


*  H.  Meibom:  De  vasis  palpebranim  novis,  Lugd.  Batav.  1723,  p.  135  u.  ff. 

•  W.  Karvea-:  Works  ed.  by  R.  Willis,  London  1847. 


iH€  mikro^ccp,  fbrifchg,  in  dL  Anatomie  u. 


in  d,  Physiologe.  299 


^  wie  ea  beim  Lnngenkreislauf  nachgewiesen  worden  war,  in  die  Venen 
ftbertritU  Die  Art,  wie  isich  dieser  Übergang  vollzieht,  wurde  erst  von 
ttikU»iQifi  aufgeklart,  welcher  die  Capillaren  entdeckte  und  zuerst  mit 
dem  Mikroskop  den  Übertritt  den  Blutes  aus  den  Venen  in  die  Arterien 
beubachtett*. 

Habvby  hielt  an  der  irrigen  Ansicht  fest,  dass  die  Leber  die  ßc- 
reitungsstätte  de-s  Blutes  bilde.  Den  richtigen  Sachverhalt  erkannte 
man  en»t,  als  Gaspare  Aselli  die  Cliylus-Getasse,  Je.vn  Pecquet  den 
DuäHB  ihor^micm  und  0.  Rüdbeck  und  Th,  Bartholinüs  das  Lymph- 
^^(ässsTstem  auffanden  und  auf  deren  Bedeutung  für  die  Bereitung  des 
Blutes  hinwie.sen. 

An  die  Entdeckung  des  Blntkreislaufi^  schlössen  sich  eine  Reihe 

Pntersnchungen  über  das  (jefa-sssystem,  das  Blut,  seine  Zusammen- 

ung,  Bereitung,  Bewegung  u.  a.  m*  an.     A.  BnuKLLi  führte  zuerst 

den  Gedanken  aus,  dass  das  Gefasssystem  einem  hydraulischen  Werke 

fläche,  und  versucht**  die  Kraft  zu  l>erechnen,  mit  welcher  da.H  Blut 

dorcb  dio  Gefasse  liie*;st.    Er  kam  dabei  freilieh  zu  falschen  Resultaten, 

die  dabei  in  Betracht  kommenden  Verhältnisse  noch  nicht  genügend 

*1^kannt   waren.     So  schätzte  er  z.  B.   den   Widerstand,    den   die  sich 

immer   mehr   verengernden   Arterien    leisten,    ausserordentlich    hoch.* 

WfuiAJi  CoLB  machte  deshalb  darauf  aufmerksam,  da^sf  die  Summe 

derQoersc!    '  ''  '"    •■  mit  ihrer  Entfernung  vom  Herzen  zunimmt 

Süd  das  G         .1        i  ab  ein  Kegel  darstellt,  dessen  Gnmdiiäche 

JS  der   Peripherie  des   Korpers  und    dessen   Spitze   sich   am    Herzen 

befindet,  ^ 

BKLLtKi  zeigte,  das»  das  Blut  um  so  langsamer  tiiesst,  je  mehr 
<ich  die  Gefisse  in  Zweige  vertheÜen*  Stephan  Hales  suchte  die 
'Stärke  des  Blutdruckes  und  dieGeschwindigk<4t  der  Blutbewegung  durch 
^jmc  K»*ihe  von  Experimenten  festzustellen  und  führte  zu  diesem  Zweck 
^Hbe  Glasrohre  in  die  durchscbnitUme  Arterie  eines  lebenden  Tbieres 
em,  um  zu  beobachten,  ^-ie  hoch  das  Blut  getrieben  wii'd.^  MoLVNEt^x 
tmd  LKKirwF.NHOEK  betdiachteten  unter  dem  Mikroskop  die  Geschwin- 
dlgkeii  der  Blutbewegung.* 

Der  Lrlitniiische  Arzt  Allen  Moui.in  machte  den  ersten  Versuch, 
die  Menge  des  im  Kr»rper  i'nthaltenen  Blutes  zu  bestimmen.  Kr  nlTiu^te 
die  Herzen  lebender  Thiere  uud  berechnett»  aus  der  Blutmenge,  die  sie 


*  ÄLr.  BoKKLLi:  De  motu  animiiliuin.  Lii^il.  Bat.  1(185,  l,  p.  91  ti.  fl'. 

*  Witi-  Cotie:  D»^  öpcretjone  aiiiiiuili,  (ieiiuv.  1696»  c.  7,  p.  2B, 
'  8rr.  Halrh:  Bücfnostatirjue  oti  h\  statiquu  des  ATtiinAOx^  Fmnziiä.  Obers. 

fWfnrrkimgrn  von  Dfc  SAUVAnR,  ücncve   1744. 

*  Fhik».  Tinmactjoita,  London  imh,  No.  177,  p,  12H6. 


fa8st«ii,  und  der  freflchwiTidigkeit  der  Blotbewegong  die  Quantität 
im  Korper  enthaltenen  Blates.  Bei  dieser  ziemlich  unvoUkamme 
Methode  gelangte  er  zu  dem  Ergohniss,  dass  diis  Gewicht  der  Bl^ 
menge  ungefähr  den  zwanzigsten  Tlieil  des  Köri)€rgewichts  auiüma 

Auf  die  Zusammensetzung  des  Blutes  warf  die  Entdeektmg 
Blutkörperchen y  welche  Malpighi  zuerst  bemerkte,  ein  aufklären 
Licht  Sie  wurden  von  SwA!kLMKiii>AM  als  eitormige  Gebil<ie* 
Malpighi  als  korallenartige  Schnüre,  und  von  Leeuwenhoek,  der  ik 
Gestalt  an  verschiedt'uen  Thierkhisst-n  studierte,  als  flach-ovale  Kü 
cheu  1>eschriehen,  Hb:w8ün  glaubte,  dass  sio  ein  kleines  Bläst^hen 
halten,  und  sprach  die  Ansicht  aus,  dass  sie  hauptsächlich  in  der 
entstehen*  Vieussens  und  Cherac  dachten  sogar  schon  an  die 
miiM^he  Untersuchung  des  Blut-es.  A,  Badia  und  Mknoheni  liefen 
den  Nachweis,  dass  das  Blut  Eisen  enthält;  F.  Qüeskay,  der  um 
National-Ökonnmie  hochverdiente  B<*gTfmder  des  physiokratischenSjstea 
lehrte^  dass  das  Blut  folgende  Best^indtheilo  enthält:  1)  WassiT,  2) 
weissartige  Stoffe,  welche  in  der  Hiize  gerinnen  und,  wenn  sie  fau 
eine  alkalische  Scharfe  entwickeln,  3)  Fetti»,  welche  in  der  Kälte 
werden,  in  der  Wärme  zeriliessen  und  eine  ranzige  Schärfe  eneu 
4)  Gelatinöse  Stoffe  und  5)  Gallige,  seifenartige  Substanzen,*  Rm 
setzte  die  Untersuchungen  über  das  physikalische  und  chemische  Vd 
halten  des  Blutes  fori  und  heschriftigte  sich  eingehend  mit  der  Geri 
nung  desselben,  deren  Ursachen  er  durch  verschiedene  Experim»^nte ; 
erforschen  bemüht  war.* 

Man  hatte  beim  Aderlass  oft  zu  beobachten  Gelegenheit  irrhaht,  ( 
das  Blut  sich  röther  tarbty  wenn  es  mit  der  Luft  in  Berührung  koma 
Ebenso  war  schon  den  Alt-en  die  Thatsache  bekannt,  dass  das  arterid 
Blut  heller  ist^  als  diis  venöse.  r*!e  latrophysiker,  wie  MALPKirfi, 
rAuiN  u.  A.  erklärten  diese  Erscheinung  dadurch,  dass  das  Blut  ibi 
die  eingeathmete  Luft  eine  feine  Zertheilung  erfahre,  wahrend  die  (!b 
miatriker  einen  chemischen  Einlliiss  drr  Luft  annahmen.  Ihre  Versuch 
den  Bestand thi'il  dei'selbcn,  der  diese  Wirkung  äussert,  zu  ergründ« 
führten  natürlich  nicht  zum  Ziele,  li  Bathübst  und  N»  Hensha1( 
sprachen  die  Ansicht  aus,  das.s  es  derselbe  Stoff  gei,  welcher  auch 
der  Salpetersaure  eine  wichtige  Rolle  spiele. 

Die  Art,  in  welcher  die  Luft  auf  das  Blut  wirkt^  wurde  von  Dom. 


*  Philosophical  Transactioiis,  Londun  16H7,  Deeemb.»  No.  löl,  p.  4S8  tt  ff- 

*  F.  QirKa.sAv:   E8.sni  pbyatiiuc  nur  locMinomie  amnialef  PariB  1747,  II,  342 
u.  ff.,  IIJ,  31   IL  a:   —   HAE8EU  a,  a,  0.  II,  5W2. 

■  WiiL.  Hkwhon:  Vfun  Blut,  Doutfw^he  Obers.»  Nürnberg  1780.  —  E.  B«üfKK; 
Vorlesungea  über  rhyBiologii»,  Wien   1H8.^).  I,  81   lu  ff'. 


[Hu  miJarattkop.  [^seh(f.  in  d,  Anatomie  u»  (L  Experiment  in  d.  Pht/eiohtfie.  301 


Üi  ............  ^  1...U; :  untersucht,  indem  er  durch  Einblasen  von  Luft 

In  die  Luni^eo  st<^rbender  Thiere  nicht  blos  den  Farbenwechsel  des 
Blutes  herrorziirufen,  sondern  aiinh  die  l^eweqrnngnn  des  Herzens  glei<3h- 
am  neu  xu  beleben  vermochte.*  Um  die  gleiche  Zeit  stellten  Petek 
und  Haehek  Experimente  mit  den  Herzen  iibgeHtarl>ener  Thiere  und 
gehenkter  Mensehen  an,  welche  sie  durch  Einbhisen  von  Luft  wieder 
in  Bewegung  setzten.- 

Saktobio,  welcher  trich  durch  die  Erfindung  verschiedener  physi- 
käli^her  Instrumente  bekannt  machte,^  wollte  das  Verhältniss  zwischen 
den  Kinnabmen  und  xVusgaben  des  Körpers  bestimmen,  uiitornahni  zu 
diesem  Zweck  durch  3U  Jahre  genaue  Wägungeii  der  Nahrung,  die  er 
lu  sich  nahm,  und  der  Excremente,  welche  ausgeschieden  wurden,  ver- 
glich die  Krgebnisse  mit  dem  Korperguwieht  und  fand  dabei,  diiss  ein 
Theil  der  aufgenommenen  Nahrung  auf  UTisichtbare  Weise  in  der  Form 
Toö  Uu&en  (Per^piraiio  imensibüis)  den  Küq)er  verlisst.^  De^ys  Doüabt 
wiinlerhulte  »iiese  Versuche  und  bemerkte  dabei,  das«  bei  zimehmendem 
Alter  die  sirhtbaren  Produkte  der  Ausscheidung  vermehrt  werden. 

Die  Prozesse  der  Verdauung,  Ernährung  und  Absonderung  wurden 
tun  di*n  latrophvsikern  und  den  Cbemiatrikern  in  verscbiedenartiger 
Wdsi*  l»eurtheilt,  Wfthreml  die  Einen  ilei  Ansicht  huldigten,  dass  der 
Magtn  eine  zerkleinernde,  zerreibende  Wirkung  auf  die  Nahrang  au^s-übe, 
ftubten  die  Anderen,  dass  dinsellie  durch  die  ('hemischf^n  Kräfte  des 
pieheb,  des  Magensaftes,  des  pankreatLsL-heii  Saft^'s  uuil  der  Galle 
Msn^t^t  und  in  einen  Brei  verwandelt  werde»  Die  künstlichen  Ver- 
be,  welche  8i*allanzani  und  (  'ahminati  später  anstellten, 
\eit  beide  Momente  in  Frage  kommen.* 

Ähnlich  verhielt  man  sich  dem  Vorgang  der  Absonderung  und 
riährung  fler  Organn  gcg(*nüber;  diM^h  war  es  keinem  Zweifel  unter- 
würfen, dass  die  Erklärung  der  latropbjsiker,  wtdche  auf  den  BluU 
dnu^k^  die  Form,  die  Verästelungen  and  Krümmungen  der  Geiaase, 
Bd  die  Pnrosität  der  Capillaren  hinwicsi^n,  sich  mehr  uuf  dem  Buden 

Thatisachen  bewegte,  als  ilirjenige  der  Chemiatriken 

Die  Entdeckung  des  Blutkreislaufs  lenkte  die  Aufmerksamkeit  der 
hxTscher  auf  die  tbierische  Bewegung  überhaupt   Niool.  Steno  machte 


'  Phtloeoph.  Jexperimenta  and  obaervationfi  of  RO0.  Hookk  etc.  p.  by  W.  Dsa- 
■AM,  LoDdon  1726,  p.  372  u,  E 

•  Pktkrj:  l*arcrga  anatom.  et  medica,  Genev.  1681,  p*  198. 
»  K.  äpuijfOBi.  a,  a.  O.  IV,  422  u.  ff. 

•  Sajict.  Sauctoruts;  De  statica  medicina,  Venet  1614,  secfc.  L 

•  SrAUJUczAKi:  Versuche  über  das  Verthumogi^geechäft  de^  Menseben   und 
dedeaer  Thicrartcn,  Disutsche  Obers,,  LfixjKig  1785. 


den  ersten  Versuch ,  die  Thritigkeit  dor  Miüikoln   naßh  den  ollif^in^in» 
jürftltigfen  Lehrsätzen  der  Mechanik  zu  erklären. ^    Bei  dieser  Oeleginhi^i 
ven>BViiÜirhte    er    seine   Beiiharhiun^en    über    die    Veraniienin^i'n   *y 
Furm   und   Cuiusi.stenz,   welelie   der  Muskel   bei  der  Zu^^mmenzielio^ 
und  Ausilehnung  erfahrt.  B 

Wenige  Jiibre  später  (108U)  erschien  A,  Boueua'h  hernhiiili^ 
Werk  de  mohi  animalium^  iu  welchem  die  e^imjdicirten  Bewej,ninge«  m 
die  Thriti(j?keitÄriUS8erunffen  der  einzelnen  Muskeln  aufgeh^ist  wimliin.^ 
Her  VerfiiHMer  vertrücli  durio  die  Knu(*hen  iitid  die  sich  daran  an}»»^t7>'nden 
Muskeln  mit  jdiysikulischen  Hel»el-Af>paraten.  Um  die  Krufr.  i'iin« 
Muskels  zu  bestimmen,  hinißr  ^^  »lu  demselben  so  viele  Gewichte  aojiii, 
«eine  Fasern  ztTrissen. 

Sehun  Stkno  ujnchle  tU**  Her>harhtiing,  dass  die  Mu.^keLstibs(^ 
<hus  vuin  KiniliiKs  der  Oefa^se  und  Nerven  unabhängige  VerraoiLfen 
sitze,  zü  Uewes^unpni  an;i:eregi  zu  werden,  wie  e«  be  MAfiCHKTTis  nur 
ITir  das  Herz  nnd  die  Ihirmnniskehi  nngenrimmen  hatte.  Durch  &- 
]HTim(Mite  an  Fröschen  und  Schihlkrötrn  wurde  festgestellt,  dass  dit* 
Bewe^nin^'slahij^^kiit  selhnt  nach  der  Entfernung  des  Gehirns  ni»ch  vur- 
lianden  ist.  SrKXi»  wii's  auf  die  Kolb*  hin,  welche  thibei  das  Blut  sipiell; 
er  unterlmnd  die  absteigende  Aorta  des  Frosrdie.s  und  /«'igte,  dasis  AmM 
die  Ijähmuii^  der  Muskeln  des  Hinterleibes  fulgt  Auch  Bachjvi  tmdlfl 
die  rrsache  der  ilem  Muskel^'ewebe  innewnhneriden  ( -nntnuttilität  wF 
Hlute  und  s;ih  in  den  Nerven  nur  die  l'^rreger  der  Bi*\veguiig.  \s 
inaehle  hei  dieser  fielegenheit  Andeutungen,  welehe  sieh  auf  die  Unter- 
st'b^^idung  der  glutti'U  \m\  den  (iniTgestreiften  Muskelfasern  beziehi^ii 
lassen.^*  Mavow  hid»  dagegen  i\v\\  Einlluss  der  atmtjspliariscfini  Lull 
auf  die  Muskeltbatigkrit  heiTirn  fl 

GhissoN  bi^traelilrtr  die  Irritabibtiit  als  eine  der  Materie  u^mt- 
hanpt  zukommi'udc  Kigensebaft;*  Wilus  sehrieh  dieselbe  nur  (kui 
Muskeln  zu.  Auf  Grund  einer  grossen  Anzahl  von  Untersuchung»'!) 
und  Vivisoklioncri  stt-lltt^  A,  Hallkk  spiUer  fest,  welclien  ^Irud  von 
St  jisiläilitiii  und  Irrilabilitiit  tlie  versehiedeuen  Gewebe  und  Organe  \\\^ 
Kerpera  be^it-zen.  Er  kam  dabei  xu  dem  8öhlu««,  da^s  die  Seiisibilitüt 
an  das  Vijrhandrnsein  von  Nerven,  die  IrriUbilitÄt  am  da^jenigi'« 
Muskelsnhstanz  gebunden  sei. 


'  Nu;.  Stknünii*  elementorum  inyolo^iae  ppwimen  bou  musculi  dcacriptio 
gcnmetrieaj  Flor.  1607,  ■  a.  a.  0.  l,  p.  lö  u.  AT. 

"  Qt,  BAOLt%'f:  De  fibra  motrice  et  morbosÄ  in  deuaöo  i*pem  omnia  ni«iioi>* 
pract  et  anatom.^  Antwerpeii  ni!>. 

*  (Iwwion:  De  ventriciilo  et  intefltinis,  Amatelod.  1077^  p.  168  u.  tf»  nich 
G.  H.  MsvKR  in  Haeseb*»  Archiv,  Jena  I84a,  V,  p.  1   u.  Öl 


9  mikrosköp,  FbrstJ^j.  in  d.  Anatomie  ii.  d,  Experiment  in  rt  Pht^siolo^ie*  303 


Diö  Nervoii  daehti»  man  sich  mit  rinein  Fltiirfuni  ifeffillt,  und 
Hlissox  isprach  mgar  vnn  Strrnnen,  die  in  den  Nerven  auf  und  nioder 
gvheru  S*»lh8tv  erstand  lieb  luibt^n  ilfosfllM'n  mit  dem,  was  man  heutig 
dantitier  vpreteht^  imr  die  Ahnliehktüt  des  Ausdrucks  gfomein. 

li]  d*T  Krklänmg  der  Nerven-Tliätigkeil  ginj^en  dir  latruphysiker 
und  die  Cheniiatriker  aaseinander,  indem  Jene  mit  Nkwtdn  Vibniti(men, 
Kpannnntren  und  Kr^chlaftun^en,  Diese  tdieniisehe  Umsetzungen  des 
NervitiwlnhalU  annahmen.  Dif^jenigen,  welche  wed<T  die  eine  noch  di*.» 
imdt*re  neutung  bttfriedigte,  nahmen  ihr»?  Zuflucht  zu  den  hypothetischen 
I^!»*'n*4griÄtem,  die  auf  alle  Frasfeu  die  j^ewrinsfdite  Antwort  gaben. 

Dtts  ttehirn  iralt  allgemein  als  das  <j(iitnim  der  geistigen  Thiitig- 
INlt  Willis  wagten  sogar,  die  ?erschi<  denen  Swlen-Vemiögen  in  den 
♦r  'm  Theilen  den  Gehirns  zu  l<»kalisiren;  so  verlegte  er  den  Sitz 
ri'  ^  iHidung  in  die  Streifenhiigely   des  GedaclUnisses  in  die  Mark- 

mUiT\z,  und  der  animalisdien  Funktirmm  in  dits  Kleinhirn, 

K.  Win*TT  lieferte  dureb  eine  ^leniji*  von  Vivisektinnen  den  Nach- 
weis, «las»  die  Bewegungstabigkeit  ni>eh  langt»  Zeit  naeh  dem  Tode  or- 
h^iltjfn  Wpibt,  und  wies  darauf  bin,  dass  »ich  enthauptete  FrMsche  „plan- 
massig  und  wie  mit  Bewusstsein  tiewegen".  Kr  seblüss  diiraus,  dafw 
dÄit  Gehirn  riieht  das  einzige  Cf*ntruni  diT  geistigen  Tbatigkeit  sein 
W«im\^  lli«*  i^bysiolugischen  Funktionen  des  Hfu4*enmarks  suehti« 
Cm^dani  zu  erforn^hen,  der  zu  tliesem  Zweck  partielle  Zerstöningen 
dt-sM'lben  Vornahm. 

Der  gTosRp  AHtronum  Kki'leb  entwarf  die  Gnindzügo  einer  richtigen 
riitHirie  d*^  Sehens,  hemerkt<*  flie  Verscliii^denbeit  der  Kus^elahsebnitt^ 
an  der  vorderen  und  hinteren  Flache  der  Linse,  erklärte,  dasi^  diese^s 
Ofg-xn  kiniu^wegs  der  Sitz  des  Sehvermögens  sei,  nie  man  damals 
irUubte,  simdern  dazu  diene,  die  einfallenden  Licbtsiralilrn  in  vnt" 
!t|irechendor  Weise  zu  brechen,  verfolgte  die  Scbieksale  der  letzteren, 
bis  sie  die  Netzhaut  tn*flen,*  und  zeigte,  dass  Kurzsicbtigkr«it  imtj  Fern- 
Jchtigkeit  anf  Anomalien  der  lirechenden    Medien  lieruhen  und  durch 

nde  Brillen  mit  conc^iven  tüler  convexen  tiläsern  ein  rielitige.s  Bild 
d»^  Sehidijekti*  hervorgebracht  wird,  Pat^T  SrnEiNER  in  Wien  vervoll- 
ständigte diese  UntiersuebungHu  und  bewies  durch  dm  nach  ihm  ge- 
nannte fjcperiment,  das.s  ein  Gegenstand  nur  innerhalb  einer  bcstiraniten 
Unlfernung  vorn  Auge  deutlich  gesehen  wird.  Er  mcichte  dabei  auch 
lue  Beobiichtiing,  daas  eich  die  Pupille  bei  der  Betrachtung  naher  Gegen- 

*  Rijö.  WiirTT:  An  eamj  od  tbe  vital  and  invobint«ry  motiona  of  auimals, 
Edinburgh  1751,  p,  344  u.  ff.,  384  u.  ff.  —  IL  Wbytt:  Physiological  esflaje,  Ethn- 
htir^h  176^  p»  107  n.  ff.,  214  n.  ff. 

■  PoGusstDoityF  iL.  a.  O.  8.  \m  n.  ff. 


■lieht 


804 


Der  tMdümudi»  ünltrriAl  m  der  Nmtxtä. 


M&i 


.nde  verengert.     Der  Prior  des  Kloi^ten*  jtu  8t  Martin,  K  5U&i( 
'iQacbte  die  Kntdt^clnmjB:,  da*s  die  EititritteteUa  des  Sehnerven  füj 
litrahlen  anempfindlich  xat^ 

Die   Physiülügie   des  Gehörs  wurde  Ton  Cu  Pkbraült,  dem 
ruhDiten  Arzt  und  Architekten,  denn  Erbauer  d*^  Umvre  in  Pari^ 
ündet.     Er   i*ah    zuerst  die  auf  dem  Spinilhlatt  der  Schnecke 
ttiLsbreiteiiden  Nervonfaden  und  erklärte  8ie  für  da«  Organ  der  Gel 
EnifTfindung;*  aiicli   erkannte  er  die  RoUe^  welche  das  Ijühynntli 
iSen  hulbzirkelfunuigen  Kanälen  t>ei  der  Furtleitung  dt^  Sehalles  äji^^ 
iVuvEHNEv  vertülgte  die  Verbreitung  im  Gehörnerven  im  innem 
genauer  und  ergänzt^'  die  Ergebnisse  Prrraült's  in  einzelnen  Pun 
Darauf  folgten  VaijSauva'h  vortTeffliche  Arbeiten* 

Cl.  Pkbhault  versuchte  auch  die   Ent^t^diung  der  Stimme  m 
kliiren,  indem  er  auf  den  Bau  di's  Kehlkopfes  hinwies,    Dkxyb  Dm 
meinte,  ihiss  der  Tun  durch  die  in  Folge  lier  Schwingungen  der   Luft 
(•nUteliende  ZuHammenziehung  oder  Erweiterung  der  Stimmritze  erzcagt 
wird;   \s'i\  Fkkhkin  erkannte»  da-ss  dabei  die  Vibrationen  der  Stimm- 
bfinder  die  wiehtigsU*  Dedeutung  haben* ^  ^^ 

y\  ('ampek  wollte  aus  den  Versehiedenhejk?n  im   Bau  der  StiQ^I 
Werkzeuge    versehiedenrr   Thierklassen    die    Differenzen    ihrer  SUmtMJn 
erklären.    Mit  der  lii}sioli>gie  der  Sprache  be^w^haftigten  sich  Aaikjlvx, 
W,  V,  Kkmi'ki.en'  und  KiiATZENSTEm,  welche  die  ersten  Ma^^chinen  zur 
Nachahniun^  d'T  nifuschlichen  Spruebe  cunstritirlen. 

Als  Orgarn'  des  Gesehmacksinns  wurden  schon  viui  MalpioH!  und 
Ukluni  die  PapiUen  der  Zunge  erkhirt.  In  die  Papillen  der  Ilaiit 
verlegte  MAr.eHsrfi  den  Sitz  der  Ta^templindung.  Hohs  wii's  iiuf  die 
Verschiedenheit  des  Tastsinns  vom  Wärme-Sinn  hin,  und  der  (ienfer 
l'bilosuidi  BoNNBT  warf  bereites  die  Frage  auf,  oh  die  Zung«  für  jede 
Art  Von  Crescbmacksemptinrlung  besondere  Nerven  und  djis  Ohr  (ur 
jeden  Ton  eine  besondere  Chorde   besitze.* 

Zu  den  wichtigsten  Tagesfragen^  welche  die  Naturforscher  des 
17.  und  IH,  dfthrbunderts  fM*schäftigten,  gehörte  die  Lehre  von  der 
Er56üugung  und   l^ntwirkelung  fies  thierischen  Enil>rjo.    Auch  hier 


1 


^  Li*ttreH  *k'riti*a  p;ir  M.vtiroTTK,  PB<'<iüKT  et  Prriuiti-t  mir  Iö  »ly'öt  dNit« 
Mouv*.'Hij  tliM'ouvertti  tomliHut  ta  veiii«  jiftr  Mabiottu  im  Rccucil  do  phisieur»  tmt& 
de  tnftth(^iimti<(Tie  de  rat-iid.  rojiili'  den  BcieoiCH,  Paria  1676* 

*  OiMivn'«  diverses  dt^  physifftie  et  de  oiecfiantquc»  Leydcn  1721,  Vol.   If 
p.  247  II.  IT.  {du  bruit,  partie  III). 

*  Hißt,  de   Tafftd.  royale  dea  aciencea  avec  Ics  meuKdres  etc.,  Paria  1700, 
p.  244  u.  C,  ran  p.  VM  «.  ff.,  SSö  u.  ff.,  IWl  p.  66  u.  Ö\,  174l  p.  409  uJL a 

*  Brief  llojmot»  an  Halter  nach  Habse»  a.  a.  0,  II,  596. 


Will.  Habtky,  welcher  den  Untersuchungen  eine  feste  Basis  gab. 
_  .«?in  er  den  Hatt  ausspriich:  Omne  nnimal  e<r.  om.  Er  lehrte,  das* 
mh  dii^  tVneht  um  <km  von  d«^r  iinttrr  stamniimdt^n  Ei  entwickele 
und  d<»r  mannliclio  Siinien  nur  die  Anregung  zu  diesem  Vorganf?«  gebe. 
Man  huliü^-ti^  der  Meinung,  da^^s  sich  dsi^s  Ki  wahrend  der  Be- 
gattung vom  Ovarium  loslöse;  aber  schon  Kebokring  berichtet,  das8 
ibm  wribliche  Personen  erzählt  hätten,  es  werde  bei  jeder  Menstruation 
«io  Ei  auHj^estossen.  ^  Die  Eiertheorie  wurde  noch  mehr  begründet  durch 
SirAMaasEDAM,  MALPmnt  und  Redi,  welche  den  HARVEY'schen  Satz 
in  Ornnf  mnim  cj-  om  erweiterten  und  sogar  auf  die  Pflanzen  an- 
wendeten. 

Eine  mächtige  ErHchütterung  erfuhr  diese  Lehre  durch  die  Ent- 
ikunipr  der  Hamt^nthierchen,  welche  Jon.  H^ui  i.  J.  1677  zuerst  be- 
kt4^.  l^EEtJWExiiüEK,  welcher  diese  Beobachtung  bestätigte  und  die 
Spemmtozoen  als  geschwänzte^  mit  einem  runden  Kopf  versehene,  in 
r  ■  -  fhlcr  Bewegung  begriffene,  ausserordentlich  kleine  Thierchen 
Htellt^  auf  Gnind  dessen  dio  Hypothese  auf,  dass  nicht  die 
Ker,  fwindem  die  Samenthierchen  die  Keime  der  Frucht  lulden,  Haht- 
ne  Ähnlichkeit  zwischen  den  Spemmtuzoen  und  der 
ilt  zu  erkennen  und  betrachtete  di< 'selben  als  präfor- 
mirte  Embryonen.  Der  schöngeistige  Leibnitz  sprach  sogar  von  drr 
Unsterblichkeit  der  Kanientbierchen. 

Diesen  Tnuiniereien  machte  Antönto  Vallisneri  ein  Ende,  indem 
^r  di6  hohe  Bedeutung  des  Eies  für  die  Entwickehmg  der  menschlichen 
fVucht  bestlitigte;  doch  beging  er  den  Fehler,  dass  er  die  Spennatozoen 
for  unwesentliche  zuläüige  Bestand tfit^ib^  des  Samens  hielt  und  daher 
ik  einfltisslos  fär  die  Zeugung  erklärte.  Diese  Ansieht  wurde  auch  von 
BPFFfw,  Haller  u.  A.  vertbeidigt  und  erlangte  nahezu  allgemeine 
UdluBg;  rrst  SpaUiAneaki  beschäftigte  sich  wieder  genauer  mit  der 
JVBgc^  wo  die  wirkende  Ursache  der  Befruchtung  liege,  und  unternahnj 
diesem  Zwi'ck  eine  Reihe  künstlicher  Befruchtnngsversiiche  mit 
nlirJiem  Samen.* 
Über  die  Entwickelung  der  Fnicbt»  Ijesonders  über  die  Bildung 
iV  ms  gab  HArxiJ^R  einige  werth volle  Aufschlüfise;  der  fiitAle 

K..,^M.,M    ,. ,i.de  schon  von  Ditvehxey  ausführlich  dargestellte 

Die  meisti^n  Fonscher  huldigten  der  alten  theologisi*hen  Evolutions- 
Tlii»orie.    nach   welcher  die    Keime   der   organischen    Wraen    wn   ih'V 


'  Th.  KrakOtiirxfii  Anihrv»poj|^cnift  icljnograpbica,  Amstc'IixJ.  1671,  p.  3. 
*  Hi>AtLJi]K2AJ«i:    Veniticbe  nl>er  «lie  Erat^ngiing    dm-  Tbierr    und    PHnuzeii, 
Obem.,  Leipzig  178« 
■Airx«    rnt^rrtcbt.  20 


306 


ikr  m0d«0«9Misak0  üfämrieM  m  der  NeuzmL 


Scliöpfiiiig  de«  ersten  dt»r8elb©n  prüforniirt  seien  und  ^leicb^an  schachtel- 
artig  in   dnunder  strecken.     Sie  wurde  beseitigt  (iurch  die  b'lire  von 
der  EpiiErenesls,   in   welchf^r  ('AspAit  Frip:i:»r.  Wolff  auf  iinm\\  mn 
gfroKseii  Anzahl  j^orgfälti^j^t^r  Beobachtungen  den  Nachweis  lieftTtp,  <1a 
die   Organe    in    ihrer  Anlage    nicht    von   Anfang   un    vorhanden  m 
.sondern  dciss  die  einzelm^n   Theile  des  Kurpers  in  Folgte  einer 
von  Differenzirungen  aOniiilig  in  die  Erscheinung  treten.* 

Mit  groshieni  Sch^ufsinn  wies  er  auf  die  analoge  Entwirkelung 
Pliiinzen  und  Thiere  hin  und  machte  dabei  bereits  Andeutungen  der^ 
<H>ETHE  entwickelten  Metamorphosenlehre  im  Pflanzen niche,  ebenso  i 
er  aucli  benierkte,  dass  düs  Nervt-nsjstem,  der  Darmkaniil  und  die  <1 
Usm  und  Muskeln  des^  thierisehen  Ki^irpers  aus  gesonderten  KeitnlAg 
liervorgelnn.    Für  die  «JrundbeshnnHheiie  des  Körpers  erklärte  er  IcHi 
Kügelchen    uder    Biascben:    vieUeicht    sprieht    sich    darin    Uvrnls  (>j| 
Ahnung  der  Zelle  aus?  — 


Die  Portschritte  in  den  übrigen  Theilen  der  HeilkuK 
während  des  17,  und  18.  Jahrhunderts, 

Wii^  iti  der  Phjsiidogie,  m  machten  sich  auch  in  der  PalUöloj 
die  Gegensätze  zwischen  <len  Jatrophysikern  und  den  Chemiatrikei 
geltend.  Man  verbuchte  die  Krankheiten  tlu*iJs  dureh  mi'chanii* 
Stornngi^n»  z.  B.  durch  Stocknugcn  des  Blutes  oder  des  Nerven-lnhii 
theils  durch  chemische  Vorgänge,  durch  Gährungen  und  Zersetzuiigi 
zu  erklären.     Hervorragende   Denker  nuter  den  Ärzten,   wie   Bmim 

PlTCAlKX»    HeLMuNT,    SyLVITS,    WlLU^i,    BuEHHAAK    Uud    Fu.  HnFtMA 

errichti^ten  auf  diesen  Theorien  kunstvolle  Lehrgebäude  der  PatJ 
Inj^icj  deren  Hinfälligkeit  mit  dem  Forisehritl  tkT  Wissimnehafl. 
*I'age  trat. 

Ihr  Lueken  und  Fehh^n  l>e.sunder8  die  Einseitigkeit^  welche  eiß^ 
ilicst^r  mt'diriui sehen  Systeme  y.eigten,  führte  dazu,  div^s  man  sie  s 
d^ynauiischrn  lly|H)thei>en  verschmulz,  wie  es  schon  von  PARACELssiTy  ?i 
sucht  und  dann  von  Hki.mont  und  Willis  wiederholt  wurde,  Iki 
wurde  die  dyjuxmische  Theorie,  welche  in  manchen  Bt'isiehungen  am 
l^elin^n  der  Pn^umatiker  des  Alterthums  erinnerte^  aber  selhstverstiu 

*  C.  F,  WoLFi?:  Tlicona  ^'enerationie,  Halle  1709,  —  C.  F.  Wölpf:  Ob 
«lir  Bildung  ih's  DjirnikannlH  im  bebditchMi  lliibtjcluüi,  Bt^Hiu  1H12|  S.  57,  125,  l 


lieh  «fem  diristlichen  Glauben  ontspreehend  umgeformt  worden   war, 

junäehst  nur  zur  Erklärung  dt*r  letzten  Ursachen  des  organischen  Ge- 
M>behens  benutzt 

HTAHii  entwickelte  tüeselbe  zu  einem  Aniniismu^,  der  die  wissen- 
schaftUrhe  Erforsohuni^  der  Medicin  als  überrtössig  lietrachtute.  Zu 
einem  ahnlichen  Sebluss*  wenigstens  in  Bezug  auf  die  theoretischen 
Onimlia^en  der  Medicin,  gelangten  jene  Ärzte,  welche,  wie  Sydenham, 
unbefriedigt  von  den  Versuchen,  die  Theorie  mit  der  Praxis  zu  ver- 
s<jhnen^  an  der  Lösung  diesvT  Aufgabe  venweifelten  und  die  auf  der 
Erfahrung  mhende  Heilkum^t  für  das  einzige  Ziel  ihres  Htrebens  er- 
klilrten. 

Die  künstlichen  SchulsysU*me,  welche  dem  Scharfsinn  und  der 
Phantasie  entsprangen,  überlebten  sich  nvsch  und  glichen  den  schil- 
ittnnien  Seifenblasen»  welche  durch  ihren  Farbenreichthiim  einen  Augen- 
blick blenden,  um  dann  spurkis  unterzugehen.  Nur  was  die  Erfahrung 
in  jener  Zeit  errungen,  was  die  üeoiiuchtiing  der  Wissenschaft  erschlossen 
hat,  da^  ist  gebliet>en  und  einer  der  vielen  liuusteine  gewuninn»  welche 
das  Fundament  der  Heüknndo  bilden. 

Eine  reiche  casuistisehe  Literatur  förderte  die  Kenntniss  der  Krank- 
heiten im  Einzelnen  und  lenkte  die  Aufmerksamkeit  der  Ärzte  auf 
8/mptomen-Oruppeny  welche  früher  nur  wenig  oder  gar  nicht  he- 
tet  worden  waren,     tr leichzeitig  wurde   die  Diagnostik  der  Leiden 

neuen  Hilti;mitteln  bereichert  uud  mit  der  Sammlung  der  Berichte 
öbir  die  Veränderungen  an  den  Leichen  die  wissenschaftliche  Bear- 
beitung der  pathologischen  Anatomie  vorbereitet  Sylvius  beschrieb 
lue  Tuberkelherde  der  Lungen  und  leitete  von  dem  eiterigen  Zerfalle 
derselben  die  Schwindsucht  al».  ^  WiiiLis  schilderte  den  Diabetes  ^tneUHua 
oad  hob  dabei  den  süssen  (leschmack  des  Urins  hervor,  den  er  sich 
nicht  zn  erkhlren  vermochte,^  VVeulhof  lieferte  die  erste  Beschreiliung 
der  ßlutflecken-Krankheit.^ 

Aus  dem  17.  Jahrhundert  stammen  auch  die  frühesten  Mitthei- 
longen  über  die  Kaehitis,  deren  Erscheinungen  schon  von  B.  KEusNun 
dimrt,  ron  Whis>tleb,  A.  i»e  Boot  und  Glisson  ausführlicher  dar- 

llt  wurden.  In  die  gleiche  Zeit  fallen  verschiedene  Berichte  über 
endemisclie  Vorkommen  des  Kretinismus,  welches  schien  BAJiACEj.sim 
in  einigen  Alpengegenden  beobachtet  hatte,  sowie  die  ältesten  Nach- 
ncht^n   über   Am   epitlemische  Auftreten   der   unter   dem   Namen   der 

'  Fis,  DK  i.K  lloM  Stlvii  Opera  medicÄ,  Tnyect  ad  Hhenum  cl  Amstclml 
16Ȁ,  p.  692  u.  ft: 

*  Tw.  Wtr.Lia:  Do  iiHnis  in  Op.  omuia,  Amstt-lo4.  16G3,  p.  38H  n.  ff. 
P  *r  WnULiior:  Opern  rned.  ed.  Wichnimiii.  [(aiinovt*r  17T5^  11,  p.  iiiJ4,  Tftl. 

20* 


Sibbens  in  Schottland  und  unter  dem  d«^r  l?ädp>iy?e   in  Hkandinav: 
hpkunnt>4'n  Syphilbformen. 

Ain^li    (lii*   niui>noHtik   il<*r  Kr5tnkln*i{eü    t-rtuLr   in   dmer  I*eri« 
einige  liemerkenswerthü  KürUschritte,  deren  volU»  Bedeutunja:  allerdj 
enit  später  erkannt  wurde.     Ausser  der  Untersuchansr  des  Urins 
df'K  Pnlses,  iiber  welchen  Solaxo  i»k  liDQtTE?<»  Th*  Boudkü  u.  A.  oeh 
vielen  seltsamen  und  sogar  absurden  Angaben  auch  einzelne  neue  wefl 
Völle  Mittheilungen  machten,  begann  man   nueh  andere  diagncwt 
Hilfsmittel  anzuwenden. 

Saxtorio  benutztem  den  Thermometer  zur  Bestimm ong  der  Wän 
des  Körpers,  und  Bokbhaave,  CocRBtTRN  u.  Ä.  machten  davon  in  dii 
är/ilichen    Praxis   einen    ausgedehnten    Gebrauch.'     Anton    hk 
«teilte  auf  die^e  Weise  fest,  daas  die  Temperatur  de«  Körpers  wahn 
des  Fieberfrostes  nicht  herabgesetzt^  wie  man  damals  allgemein  anii 
sondern  im  Gegentheil  erhöht  sei,  machte  zuerst  auf  die  merkwür 
Erscheinung   der    postmortalen   Wärme    aufmerksam    und    beobachteti^ 
dass  das  subjektive  Wärmegefühl   der  wirklichen  Temperatur  zuwnlen 
gar  nicht  entspricht,  und  dass  die  Temperatur  gelähmter  Gli**ilnuuvi>n 
niedriger  ist  als  diejenige  gesunder.* 

Grosses  Jntf^re^^se  erregten  die  Erkrankungen  des  Herzens.  Lajjo 
brachte  die  Undulation  der  Jugularvenen  mit  der  durch  die  Insuffic 
der  Triciispidalklappe  erzeugten  Erweiterung  des  recht^^n  Herzens 
Verbindung/^  Auüihtini  bemerkte  srhr  tretfend,  dass  die  Schwierigkd 
der  Diagnose  der  Herzkrankheiten  zum  grossen  Theile  darin  ihren 
(irurid  habe,  dass  bei  ihn^^n  Krankheitszustande  verschiedener  Art  zu- 
saiumentreffen,  und  gab  den  Kath,  bei  der  Untersuchung  des  Heneni*^ 
die  Hand  auf  die  Herzgegen<l  des  Kranken  aufzulegen.* 

Weilaus  die  grösste  Errung**nschaft,  welche  die  Diagnostik  die 
Zeit  zu  verdanken  hat,  war  ilie  Entdeckung  der  Percussion  durch  da 
Wiener  Arzt  Auenbhügqek.^  Leider  blieb  sie  fast  ganzlich  iinbe4icbt( 
erst  im  19,  Jahrhundert  wurde  sie  zu  einer  .,Fackel,  welche, 
Cii.  G,  LiTDwuf  in  Leipzig  i.  J.  17tl3  ^*ig^^f  Uchi  brachte  in  die  Fia 
stemiss,  die  über  den  Krankheiten  der  Brusthöhle  li^^rte'^ 

Auch    die   [Kithologiscbe   Anal<»mie    that   einen    machtigen  Schritt' 
nach  vorwärts.     Man  hörte  auf,  in  den  Veränderungen  an  der 


*  WüxoKRrjrH :  Diiü  Vi  rlmlteii  der  Pjjfenwänne  in  Krankheiten,  Lisipi)|;1 

*  TiL  PuyciiMANN:   Uw  MvtVu'ln  In  Wien,    1884,  S.  19. 

■  Lanci»4(:  De  motu  cordi»  et  aneurygmatiba»,  Lugd.  Batav.  1740,  p, 
pur»  IL  *^Äf>-  ft,  prop.  60. 

*  ArjiEitTiNi:  Opuacidii  ed.  M,  H.  Rornberg,  BeroL  182Ö» 

*  AiTENifRrnüRii:   Iriventum  novum.  Vimlob,   ITßl. 


[Hi  FortsrJiHiie  in  d.  übru^en  Thälm  tU  Beük  während  des  17,  u,  18,  Jahrh,  30  9 


oieltts  wt?iter  als  Ciiriositaten  zu  sehen,  welche  die  Schaulust  der  nach 
Mt^nh^iten  haschenden  Sammler  befriedigten,  und  begann  ihren  Zu- 
sunmenhang  mit  den  Erscheinungen  am  Kranken  zu  ahnen  und  zu 
erfon^chen.  Schon  W.  Hae\t;y  erklärte,  dass  man  aus  der  Sektion  eines 
MeascheUj  der  an  der  Schwindsucht  oder  einer  anderen  chronischen 
Krankheit  ^estorbf^n  sei,  mehr  lernen  könne  als  aus  der  Zergliederung 
von  zehn  Gehenkten,  Benevieni,  Th.  Baktholentts,  Bonet,  Ridlky, 
LAXriHi,  Vaiäalva  u.  A,  legten  in  ihren  Schriften  eine  Menge  werth- 
roller  Beobachtunßfen  nicder. 

Wepfee  machte  den  ersten  Versach,  die  Lehre  von  den  Erkran- 
kungen des  (iehirns  xan  dem  Wust  mystiscii-transcendenter  Spekula- 
tionen zu  befreien  und  durch  die  patholugisch-anaiomischen  VeräBde- 
ran^ren  dieses  Orgairs  zu  begründen.  Er  beobachtete  die  Vemarbung 
apf»plektißcher  Herde  und  beschrieb  bereits  den  später  nach  Futheüulll 
jrenannl^n  Gesichtsschmerz.  Im  18.  Jahrhundert  machte  Fontaka  die 
«ichti^^  Entdeckung,  dass  die  Drehkrankheit  der  Schafe  durch  Hyda- 
titlen  im  Gehirn  verui'sacht  wird. 

Die  Pathologie  de^  Getasssyst^m.s  verdankte  den  Arbeiten  von 
\  -,  LANCisr  und  Sknac  wesentliche  Fortschritte.     Vieusskns* 

^'■'  i  le  die  Verwachsung  des  Herzens  mit  dem  Herzbeutel  und  l>e- 
«ehrieb  den  lhjdrop&  perwardn  und  die  P^rumrditiit.  Mit  bewunderunga- 
^^'  *  V"'  lieit  schilderte  er  die  gegenseitigen  Beziehungen  zwischen 
u-     ^  >ühen    Veränderungen    an    der  Leiche    und    den  Erschei- 

nungen am  Lebenden  in  einem  Falle,  in  dem  er  von  der  Stenose  des 
linken  Ostmtn  rctwinwi  die  Erweiterung  der  Pulmonalvenen,  da.s  Lungen- 
Mfm,  die  Vergrosser ung  des  rechten  Hertens,  die  wassersüchtige  An- 
schwellung der  Fusse  und  die  Kleinheit  des  Pulses  ableitete,  sowie  bei 
einer  anderen  Gelegenheit,  wo  er  Verknocherung  der  Aorta  ascendens 
«nd  Verknöcherung  mit  Insuftieienz  der  Semilunarklappen  beobachtete 
and  daraus  den  theilweisen  Rückfluss  des  Blutes  in  das  linke  Herz 
and  das  Herzklopfen  erklärte. 

Laa'cisi  gab  nähere  xiufschlüsse  über  die  krankhaften  Verände- 
rimgen,  besonders  die  Verknocherungen  der  Klappen  und  die  Erwei- 
terung und  Vergrösserung  des  Herzens.^  Senac  machte  zuerst  auf  die 
durch  pathologische  Verhältnisse  hervorgerufene  rechtsseitige  bigerung 
des  Benenn  aufmerksam.-''  Bedauerlicher  Weise  standen  der  richtigen 
fl<;artheilung  der  Thatsachen   häutig  die   irrigen  Ansichten  der  Ärzte 


*  J.  Philipp  im  Jarni«  II,  580-59Ö.  lU,  316—326. 
'  Pini.nfP  im  JÄiiaa  III,  BIS  u.  ff. 

•  SKarAc:  Trait6  tie  la  structure  da  cocur,  Paris  1T49, 


ülier  die  B<?deiitnjig  der  sugenünnten   Herzpolypen    en^geo,   ob 
schon  IvKRCKRrpfG  dieselben  für  eine  LeiehenerHcheinun^r  erklärt  hath 

Ihren  Höhepunkt  erreichte  die  palhologische  Anatomie  jener  Perit* 
in  J.  B.  Morgagni,  der  im  Besitze  des  gerammten  Wissens» 
ches  sieh  anf  diesem  Gebiete  ani^esanimelt  hatte,  die  pewonneneü 
gfelmisse  iliireh  z;ihlreich(*  eisfene  I^rfahnin^en  benehtigt«»  und  er^iiizl( 
und  die  Aufprabe  dieser  IHsciplin  /Jim  ersten  Male  klar  und  deutliol 
entwickeU>e,^ 

l^r  zog  bei  Beinen  Untersuchungen  auch  das  Experiment  zu 
Aueh  Stephan  HaiiEs  bediente  sich  desselben    und    erzeugte  mjtteli 
l\inspritzung  von   Wasser  in  das  Gefasssystem  knnstliehen  Hydropi 

JlALia:Ft"s  Arfjeiten  ül)er  die  SensibiÜtiVt  und  lrrit;ihilitat  stftt 
sieh  hauptsäehlieh  auf  Versuehe  an  Thieren  und  Vivisektionen,  Kr 
kannte  deren  Nutzen  und  erklärte:  „Kin  einzi,s,'es  tb^-artiges  l'  -i\ 

hat  oft  die  aus  der  Arbeit  ganzer  Jahre  hervorgehenden  T;n!  .:  .  ..aj 
beseitigt.    Diese  Gniunanikeit  hat  der  Physiologie  mehr  genutzt  al^  fai 
alle  anderen  KMnste,  deren  Zusammenwirken  unsere  Wissenschaft 
kräftigt  hat.**^ 

Grosses  Aufsehen  erregten  Spallanzani's  Versuche  uljer  die  Wif..j 
dererzeugung  abgefiillener  Glieder  liei  niederen  Thieren,* 

Am  meisten  trug  -John  Hinikk  dazu  bei,  dass  die  ex(>erimeTit*lli'| 
Methode  in  die  Pathologie  eingeführt  wurde. 

AImt  nicht  blos   die  ersten  Anfänge  der  experimentellen  l'uHuhl 
li»gie,  sondeni  auch  dieienigen  der  Bakteriologie  fallen  in  <!iese  PeriodaJ 
l^KKt^WENHOKK  beschrieb  Bakterien  von  runder,  stiibchen formiger,  faden* 
juiiüfer  und  srhputbenf«irniiger  Gestalt,  welche  er  zwischen  den  Zähnen] 
tler  mensehliehen  Mundhrdile  gefunden  zu  halien  behauptete."    In  Fol^j 
dieser  Euideekuugen  enlwiekelte  sieh  die  Theorie,  dass  manche  KrHnbJ 
heiten  durch  solelie  ,,kb'ine  Thierc"  verursacht  wfird<»n.    Diese  Anj^ich 
Hess  sich  damals  freilich  nicht  beweisen;  aber  gleichwohl  hielten  via 
zelne  hervorragende  NaturtV>rseher,  wie  LiNNft  und  I'lkncicz,  am 
tnfßum   auitftatttm  fest. 

Werthvolle  Vorarbeiten  für  die  Begründung  der  Hygiene  lieferten 
Lancisi,  welcher  sich    mit  den  Ausduustungen   der  Sümpfe  und  der 


'  Tk.  KEKCKRtKfj:  8picil«^i;ium  fliirttominuri,  Amstelod.  1670»  p.  Hb, 

*  F,  Falk;  Die  pathoL  Aimtüinie  des  J.  B.  Morgagni,  Berlin  1887. 

*  rniiipp  in  dor  dtnitÄC-hen  Klinik,   1H5:j^  No,  45. 

*  Vergl.  Ad.  \'alkntin  in  der  Dt^nkeclirift  atif  A.  v.  Haller,  Born  1S77,  8.78. 

*  8eAit^NzANi:  Sopra  Ig  njiroduzioni  änimali,  Modena  1768, 

*  F.  I/Jfpi.kk:  VorleMingen  ÜbiT  die  ge«cbidilliche  Entwickelang  derLchrf 
von  den  Baktt?ne!i,  liiripÄig  1887,  Th,  I. 


Awmining  der  römischen  Campagna  besohäftigte,^  and  Pbinqle,  der 
»aob  grosse  Verdienste  um  die  Militar-Gesunäht^itspllege  erwarb  und 
Untersuchiing'eii  über  septische  and  anfe^ptische  Substanzen  anstellte. 

Der  Arzneischatz  wurde  durch  mehrere  Heilmittel  bereichert    Man 

ante  die  AV  irkung  der  Chinarinde  gegen  diis  Fieber,  entdeckte  in 
der  Ipecacuanha- Wurzel  ein  kräftiges  Brechmittel  und  empfahl  rim 
Gebniuch  des  Arseniks  beim  Krebs. 

Auch  j«uchte  man  über  die  Ursachen,  auf  denen  die  Heilwirkungen 
iiet  Arzneistoffe  beruhen,  sowie  nher  die  geeigneUtc  Art  ihrer  Anwen- 
dung richtigere  Anschauungen  zu  gewinnen*  Schon  Willis  forderte 
zu  Untersuchungen  übtT  die  Verändenmgeu  auf,  welche  die  Medica- 
mfnte  im  Magen,  im  Blut  und  in  den  einzelnen  Organen  hervorrufen. 
Dieser  Gedanke  wurde  von  Wepfer  und  in  grosserem  Massstabe  später 
Tun  A.  Stükck  ausgeführt^  welche  zahlreiche  pharmakodvnamisehe  Ex- 
lieriniente  mit  verschiedenen  arzueilichen  Substanzen  anstellten. - 

Unter  dem  Einfluss  der  Entdeckung  des  Blutkreislaufs  wurden 
auch  die  ersten  Versuche  unternommen,  Arzneistr^fte  in  die  Venen  zu 
injiciren^  sowie  grosse  Blutverluste  durch  Ceberführung  von  Blut  aus 
anderen  Körper  zu  ersetzen.^  Aber  die  ungünstigen  Erfolge 
Operationen,  welche  zum  Theile  in  der  mangelhaften  Technik 
ihrer  Ausführung  ihren  Grund  hatten,  brachten  die  Infusion  und  Trans- 
fuidon  bald  in  ^liskredit  und  allmälig  in  Vergessenheit 

C  Stalpeüt  van  der  Wiei.  wendete  zur  künstlichen  Ernährung 
iU  eine  Art  von  8chlundsonde  an.* 

Die  specielle  Therapie  torderten  Benket  durch  seine  Empfehlung 
der  Inhaliitionen  bei  der  Schwindsucht/  Di^LAEiTs,  welcher  gegen  das 
Podagra  die  Milchkur  verordnet^e,  sowie  Ei>w,  Batnabd  und  J.  FiiOYEB, 
die  bei  starkem  Fieber  den  Kranken  in  kaltes  Walser  eintaucben  liessen. 
Die  beiden  Ha^lv,  Bbanüis  und  Cukkie  empfahlen  <lie  Uebergiessung 
mit  kaltem  Wasser  beim  Typhus  und  gaben  dadurch  die  Anregung 
zum  Aufschwünge  der  Hydrotherapie,  wahrend  die  Balneotherapie  durch 
li,  BoYLK  und  Er,  Hdffmaxn  auf  eine  wissenschaftlirhe  rinunllage 
gestellt  wurde. 

Geringere  Fort^chritta  als  die  übrigen  DiscipMnen  der  Heilkundig 


>  Ol  liAKOSR  in  d<?n  Mitth.  d.  Ver.  d.  Arzte  in  Nieder-Uatenreich  18T5,  No.  2. 

'  l^rscitiiAinf  a.  a.  O.  S.  35  u.  E 

'  r.  SoHBELt  Dio  Traudfiision  den  Blutes  und  EinBpntzting  in  die  Adern, 
Kopeiüuigen  1Ö02«  —  Dieffenbach  in  Rust's  Haüdwörtcrbncb,  B<?rUii  1838» 

'  Stai.p.  V.  D.  WiELt  Observat-  rar.  cent  11,  27  und  Kkul  im  Wcekbl.  v, 
H.  Kederl  Ttjdschr.  v,  GeneeÄk,  1883,  No,  47. 

*  Qm.  Bmmuxt:  Tabidorum  Üicatrum,  Lugd.  Bat.  1714,  cap.  28* 


.J^L_ 


:ji2 


Der  medwmiaek^  üfümrißhi  m  der  Neuxtü. 


tiitM^iU*  die  Chirurgie  im  17.  Jahrhundert.    Es  lag  dies  theUs  dai 
dsuw  die  begabtesten  Vertreter  der  ärztlichen  Wissenschaft  sich  voi 
w*nsii  den  l*>fulg  v<^r8pn^chenden  chemischen   und  phy^^ikalisch^^n  F{ 

«churi^en,   sowie   der  l'hjsiolugie   und  mikroskopischen  Anatomie 
wandten,  theik  an  der  sich  mehr  und  mehr  erweiternden  Kluft  2wi*! 
der  innrren   Mfdicin    und   der  Chiriirf^ie,   durch  welche   di«.*  ?^tudi»Tl 
Arzte  von  der  lieschfiffigun^'  uiit  der  Wundiirzneikurist  abgehalten 
den,  während  die  empiriHch  gebildeten  Praktiker  vollauf  djimit  vi  thi 
hatten,  den  ^i:r(msiirtipr*Mi  Umschwun^jf  ihrer  Kunst,  welchen  da«  voi 
Uc^^an^^tTJc  Jahrhundert   in    Bezug   auf  <lie   chinirgii>chen    Openitji 
nii^thijdt^n  lieriieigeführt  hatte,  zu  verstehen  und  in  sich  aofznnehffli 
Alterdin;j:s  Irhite  es  nichl  an  einzelnen  Verbesserungen  in  der  Tech 
der   Operationen;    uljcr    ein    allu   Zweige    der   (liirurgie    umla^sendi 
n'formirendes  und   in   neue  Bahnen  dmngend&s  rjenie,   wie  Amuiidi 
Pahp:,  war  nicht  vorhanilcn- 

Er^t  in  der  zweiten  Hälfte  des  Ib.  Jahrhunderte  volbEug  sieh  in 
*ler  rhirnrgie  ein  neuer  Aufschwung,  der  sich  aber  nicht  ^\  «i'lir  in 
der  Kntwickehiu^  der  *)peration,^kunst,  als  in  der  Begründung  \h 
ein rurgischen   t*athulügie  jiusserte. 

Zur  Stillung  der  Blutungen  bediente  man  sich  nur  selti-n  dtf 
rnkrluridung,  weil  sie  mehr  iinatomische  Kinintnisse  voraussetzte,  ^ 
den  meisten  Chirurgen  zu  (iebute  standen.  \h%i\\  kamen  die  zahlreichen 
Missedidge  derselben,  welche  zum  Theile  in  der  unvifllknmmenen,  rohen 
iMethode  der  Ausführung  ihren  (Jrund  hatten.  Man  wendete  dahi 
liebiT  die  Cempression  der  (retusse  an,  welche  durch  die  Erfindmig  di 
Knebel-Tüiirui(|Uets  von  Mokki.  i.  J.  1674  bedeutend  erleichtert  wiinli 
l'Krrr  ersetzte  den  Knebel  .1718  durch  eine  Schraube.  Auch  kam  die 
Digitai-tVmipressioii  durch  Saviahu  und  Lorrs  wieder  in  Ütdir^ui 
Die  |ireussiscbrn  l'hirurgen  Tiiiuikn  und  Schmuckeu  empfahlen 
Tamp(»nade.  Daneben  wurden  das  Glüheisen,  die  Kälte  und  verschi<*<i«i 
stjptische  Mittel  zur  Anwendung  gebracht 

Die  Unti'rlundung  fand  bei  den  ('hirurgen  erst  allgemeinere 
erkennung,  als  man  den  Fehler  erkanut-t»,  welchen  man  durch 
Hereinziehung  der  Nerven  ^  Venen  und  des  umliegenden  Zellgewel 
in  die  Ligatur  begangen  hatte,  und  anting,  die  Arterie  isolirt  zu  m\m 
l)inden.  Man  wagte  sich  nun  selbst  au  die  Unterbindung  grosser  r»e- 
tlissstämnie,  wie  der  Ä.  cruraHn  und  aj'il/aris;  Waukeb  und  Elsk 
unternahmen  b  J.  1775  sogar  die  Unterbindung  der  Carotis. 

Die  Amputation  wurde  hauptsächlich  am  Ftiss,  Unt-^'rschenkel, 
Vorderarm  und  au  der  Hand,  seltener  oberhalb  des  EUeuljogens  und 
des  Knii^es  ausgeführt.    Die  Technik  dieser  Operation  erfuhr  dtircb 


en   , 

] 

m 


Ikc  Fbri$Ghriä€  in  d.  iihngm  Thcüen  cL  HmlL  wälzend  des  17.  u,  18.  Jahrk.  3 1 3 


JEUiführung  des  zweizeitigeu  und  dreizeitigen  Zirkelsctnitte,  des  Lappen- 

linitts  und  TrichterschTiitts,  durch  welche  die  ausreichende  Erhaltung 

Hantth*-?üen  zur  Bedeckuiig  des  Stumpfes  bezwectt  wurde,  einige 

tierungen. 

Die  Amputation  wurde  übrigens  häutiger  ausgeführt^  ak  nothwendig 
war.  Sh  berichtet  Schmücki-ie,  dass  er  l  J,  1738  im  Hotel  Dieu  zu 
Paris  einen  Kranken  sah,  welchem  beide  Oberschenkel  wegen  einfacher 
Fraktur  derseli^en  ampatirt  worden  waren.  Die  conservativen  Chirurgen 
traten  diesem  luiter  dem  Einfluss  der  französischen  Schule  entstaudeneu 
auch  entgegen  und  suehten  «lie  Amputation  in  vernunftiger  Weise 
ehränken. 
Die  Vermehrung  der  anat^jmischen  Kenntnisse  und  die  Verbesse- 
»gen  in  der  Technik  der  chirurgischen  Operationskunst  ennuthigt^n 
Dh  zu  Exartikulation«*!!,  welche  im  Ellenbogen  schon  von  A.  Parä, 
im  Kniegelenk  zuerst  von  Fabry  von  Hildek  und  in  der  Schulter 
jriyn  Morand  und  Le  Duas  ausgeführt  wurden.  Dir.  nach  Chopart 
'lenanntf?  Exartikulationsmethode  im  Fu.s^sWQrzelgelenk  wurde  1791  ver- 
(ffentUcht.  Die  Exartikulation  im  Hüftgelenk  wurde  zwar  versucht^ 
aber  wegen  ihrer  ungünstigen  Erfolge  wieder  aufgegeben. 

Auch  wurde  die  Resektion  einzelner  Knochen  oder  Knochentheile, 
/-  B,  am  Oberarm  von  Cii»  White,  am  Schlüsselbein  von  ÜAssEBOttM 
ßnternommen,  wahrend  die  ersten  erfolgreichen  Gelenk-Resekli<>nen  am 
Knie  von  Filkin  (lTt>2)  und  Park  (1781)  und  an  der  Schulter  von 
Glt  Whitk  (1768)  und  J.  Bent  (1771)  ausgeführt  wurden- 

Die  Trepanation  gesehah  häufig  an^  ganz  geringfügigeu  Ursachen; 
LHt  unglaublich,  mit  welcht^r  Leichtfertigkeit  mau  sich  dazu  etit- 
«chI*ÄS«,  Am  Prinzen  Phil.  Wilhelm  von  Oranien  wurde  sie,  wie  Cork» 
SoLTKORN  erzählt,  17  mal  ausg<'fiihrt.  Nur  vereinzelte^  Stimmen  erhobeji 
'«ich  gegen  diase  gefahrliche  Operationswuth. 

In  jene  Zeit  lallt  auch  die  erste  operative  Eröffnung  der  Kiefer* 
hohle  bei  Erkrankungen  derselben.  —  Der  Kathetrerismus  der  Tuba 
Eustachii  verdankte  dem  taulien  Postmeister  GirroT  in  Versailles, 
wf^lcher  ihn  an  sich  selbst  erprobte,  seine  Entdeckung.^ 

Die  Tracheotomie  wurde  nicht  blos  zur  Entfernung  von  fremdm 
Körpern  und  zur  Erleichterung  der  Eespiration,  sondern  auch  bei  Croup 
und  Diphtherie  empfohlen  und  ausgeführte 

Die  Oeso|jhagotomie  wurde  im  18.  Jahrhund<4-t  zum  ersten  Male 
unternommen,   während   die  erste  Gastrotomie   schon   im  Jahre  1G35 


^  Mnchmos  et  ravenÜDiiSf  appr.  par  racatlemie  i-ojale,  Paris  1724|  IV»  No«  2&d. 
^  iL  i^uauLUVT  in  LANUKsniBCK's  Archiv  1887,  Bd.  36^  H,  3. 


314  Der  medidnische  Unterricht  in  der  Neuzeit, 

geschah.^  Über  die  erste  erfolgreiche  Exstirpation  der  Milz  berichtete 
Giov.  Fantonl* 

In  der  Lehre  von  den  Hernien  machte  sich  das  Stadium  der  ana- 
tomischen Verhältnisse,  welche  ihr  zu  Grande  liegen,  geltend.  Man 
begann  neben  den  Leisten-  and  Nabelbrüchen  aach  andere  Formen  der 
Hernien  za  anterscheiden,  und  wurde  auf  die  Schenkelhernie,  diejenige  der 
grossen  Schamlippen,  die  Hernia  obturatoria  und  ischiadioa  aufinerksam. 
Auch  suchte  Ufian  über  die  Entstehung  der  Brüche  Klarheit  zu  ge- 
winnen; Halleb  wies  auf  die  Beziehungen  der  angeborenen  Hernien 
zur  Embryologie  hin. 

Bei  der  Behandlung  erlangten  die  Bruchbänder  eine  grössere  An- 
erkennung, besonders  seitdem  Nigol.  Lequin  1663  die  elastischen 
federnden  eingeführt  hatte.  Die  Radikal-Operation  wurde  seltener  aus- 
geführt und  allmälig  mehr  auf  die  eingeklemmten  Brüche  eingeschränkt 
Man  war  dabei  darauf  bedacht,  den  Samenstrang  zu  erhalten;  nur  bei 
Geistlichen  hielten  es  manche  Chirurgen,  wie  Dionis,  für  gestattet,  die 
Castration  mit  der  Operation  zu  verbinden. 

Die  Operation  der  Mastdarmfistel  kam  dadurch  auf  die  Tages- 
ordnung, dass  Ludwig  XIV.  sich  derselben  unterziehen  musste.  Diese 
Krankheit  übte  einen  grossen  Einfluss  auf  die  Politik  aus;  Michelet 
hat  die  Regierungszeit  dieses  Monarchen  bekanntlich  in  die  Perioden 
avant  et  apres  la  fi^ttde  eingetheilt.  ^  Die  Debatten  über  die  Ausführung 
der  Operation  führten  zur  Erfindung  verschiedener  Fistelmesser,  unter 
denen  dasjenige  von  Pott  mit  den  Verbesserungen  von  Savigny  die 
meiste  Beachtung  verdiente.  Die  Colotomie  behufs  Herstellung  eines 
künstlichen  Afters  bei  angeborenem  Verschluss  der  natürlichen  Öfihung 
desselben  wurde  1783  zum  ersten  Male  unternommen. 

Unter  den  Methoden  des  Steinschnitts  gewann  die  Sectio  lateralis 
die  meiste  Verbreitung.  Cheselden  modificirte  das  Verfahren  einiger- 
maassen,  und  Fb^e  Come  empfahl  zur  Ausführung  das  Lithotome  cache. 
Seltener  kam  der  hohe  Steinschnitt  über  der  Schamfuge  zur  Anwendung. 
Die  Lithothrypsie  wurde  von  Ciucci  beschrieben,  welcher  dabei  eine 
dem  Civiale'schen  Lithotryptor  ähnliche,  in  einer  Scheide  befindliche 
Canülen-Zange  mit  gezähnten  Branchen  gebrauchte. 

Bei  der  Behandlung  der  Harnröhren -Strikturen  genossen  die  von 
Dakan  empfohlenen  elastischen  Bougies,  welche  in  der  Harnröhre  auf- 
quollen, grosses  Ansehen. 

Hendrik  van  Deventeb,  A.  J.  Vbnbl  u.  A.  entwarfen  die  Prin- 


^  Haoenb  in  der  BerUner  klinischen  Woohenschr.  1888,  No.  7. 

*  J.  FAifTom:  Oposc.  med.  Geney.  1788.  *  Habsbe  a.  a.  O.  II,  432. 


dpien  der  Ortliopädie.  Um  dieselbe  Zeit  machten  Hendrik  van  Roon- 
BLTTBK  und  später  Tuh^  die  ersten  Versuche^  mittelst  Durchsclmeidung 
des  31*  gtemorUidimiasimdmis  die  Heilung  Jes  Cajmt  obstipum  zu  be- 
wirken. L  J.  1784  Hess  M.  G.  THiLENiris  die  erste  Trennung:  der 
ArbUlessebne  beim  Klumpfuss  aiigluhren. 

Die  chinirg-isubp  Pathologio  erfuhr  durch  Peik'ival  Pott,  welcher 
die  ohroni!*che  Gelenkentzündung,  den  Tmnor  aibus,  und  die  nach  ihm 
^nannt«  Caries  der  Wirbel  zum  Gegensbinde  sorg^nutiger  Beobfichtungen 
machte,  wesentliche  Bereicheiinigen,  Wiihminl  J.  L.  I^etit  uuf  die  nach 
Verletzungen  auftretende  eiterige  Ostet»myeliti.s  uufmerlcftiam  machte. 
PrnT  und  J4»HN  Hüntkr  beschsiftigfen  »ich  auch  mit  den  feineren 
Vorgängen,  welclie  sich  bei  der  Thrombus-Bildung,  der  Eiterung,  Ver- 
Diirbiing  und  Oranulution  in  den  G<^wi»ben  absjnelen. 

Einen  wicbtigen  Furtschritt  machte  die  Ophtbalmolygie  in  jrut^r 
Periode,  indem  der  alte  Irrihum  beseitigt  wurde^  dass  die  Cataracta 
»hiR*h  eine  extrabulbare  Feuchtigkeit  erzeugt  werde,  die  sich  in  der 
Form  eines  undurchsichtigen  Häutchens  vor  der  Linse  lagere,  und  tbn- 
Kiohwais  geliefert  wurde,  dass  sie  in  einer  Erkrankung  der  Linse  selbst 
bwtaht 

Eine  glänzende  Bestätigung  erhielt  die^e  Ent<leckung  durch  di*^ 
Extraktions-Methode.  nach  welcher  Da  viel  i.  J.  1746  die  erste  Staar- 
m  ausführte.  Die  Extraktion  behauptete  fortan  neben  der  1  Je- 
des Staares  einen  ständigen  Platz  in  der  operativen  Oculistik. 

Eine  weitere  Errungenschaft  der  letzteren  war  die  künsthche  Pu- 
(lUIenbildung,  welche  von  Woülhüusk  angeregt  und  von  ('hkselhen 
L  J,  1728  zuerst  ausgeführt  wurde,  MaK  Vertiihren  beistand  in  der 
Incision  der  Iris;  der  ältere  Wentzkk  änderte  es  dahin  ab,  dass  er 
Itt  dessen  ein  8tück  der  Iris  ausschnitt»  also  die  Iridectomie  vornahm. 

Die  GeVmrtHhilfe  verdankte  dieser  Zeit  die  segensreiche  Erfindung 
der  Zange.  Langst  vorbereitet  durch  die  Instnjmente,  deren  sich  die 
G  '  '  IftT  zur  Herausbeforderung  a)»ge.storbener  Fruchte  bedienten, 
tu  ü   17,  Jahrhundert  ins  Leben  und  nahm  Formen  an,  welche 

«de  fär  ihren  Zweck  geeignet  erscheinen  Hessen. 

Die  Chamberlen  gebrauchten  bei  schweren  Gehurten  Vorriclitungen^ 
lie  aus  Hebeln  oder  stählernen,  mit  Led**r  ül>erzogenen  Blättern 
Maden«  Diese  Erlindung  blieb  Ge^cbäftsgeheimniss,  Ins  sie  durch 
Jeix  PjOiFin,  der  sie  in  mehrfacher  Hinsicht  verbesserte,  der  T^ftent- 
Wchl^-'ii    nhrr'/rlrtn   wurde.*     Sie   wurde   dann    weiter  vervollkommnet 


J.  H,  AvRUKfl;  The  Chumberleiia    and    thc  midwifciy  forcepSi    London 
\.  OorriK:  Jean  Palfyu,  Bruxeilea  1887. 


von  Dürtr  wdeber  die  KiBusmig  der  beiden   hUkl  eiitföbte, 
jüngeren  Geegoike^  der  sie  Censteni  und  dureh  ein  SeUoe« 
üemf  ond  Tor  Allem  von  I^trft,  welcher  die  gende  Form  der 
in  eine  gekrümmte  umänderte,   ihre  Verbindong  dnroli  etneo 
lieben  Stift  bewerkstelligte  tind  die  IndicatmiGn  f&r  den  Gebniiidi 
Zange  feststellte. 

Um  den  Ge^hren  des  Kaisersebnitts,  der  ziemlidi  selten  aa 
wurde,   auszuweichen,   wurde   die  Symphyseotomie    empfohlen,  du 
welche  man  irrthümlicher  Weise  eine  Erweitening  des  B^wJpctjb 
zuführen  hoSte;  die  übelen  Folgen  dieser  Operalion  zeigten  sich 
und  bewirkten^  dass  sie  allgemein  verurtheilt  wurde. 

Dagegen  errang  sich  das  von  Cämerarixts  und  Sl^vogt 
empfohlene  Verfahren,  in  Fallen^  wo,  wie  beim  Terengten  Becken, 
natürlichem  Wege  kein  ausgetragenes  Kind  geboren  ^werden  kann, 
7.  oder  8.  Monat  die  künstliche  Frühgeburt  einzuleiten,  den  Beifall 
Geburtshelfer  and  erhielt  sich  in  der  gynaekoloj^schen  Therapie, 

Auch  die  erste  wissenschaftliche  Bearbeitung  der  genchtlie 
Medicin,  z.  B,  die  Verwerthung  der  Lungenprobe  zu  forensi:^hen  Zwecken,! 
sowie  die  ersten  Antänge  einer  systematischen  Sledicinalstatistik  gehören 
dieser  Zeit  an.* 

Wenn  man  den  Gani^  der  Entwickelung  der  Medicin  während 
17»  und  18.  Jiihrhundert.s  verfolgt,  so  erkennt  man  dieselben  Pha 
welche  die  Oesammt-Cultur  jener  Periode  kennzeichnen.  Die  eribld 
reiche  Forscherthati^'keit,  welche  sich  in  dem  rastlosen  Ansammeln  em- 
pirischen Wissen^s-Maturials  äusserte,  gelangte  allmalig  zu  einem  geH-ijä^^ii 
Abschluss,  und  es^  machte  sich  das  llcdiidniss  geltend,  die  gewonnenrn 
Ergebnisse  zu  richten  uml  in  ihren  lieziebungen  zu  einander  und  tm 
geistigen  Leben  der  Meiisdiheit  überlmupt  zu  betrachten.  Wie  der 
Wanderer,  wenn  er  nach  anstrengendem  Marsche  eine  Hohe  erklommen 
hat^  mit  stolzer  Befriedigung  auf  den  Weg  zurückblickt,  den  er  zuröcl» 
gelegt  hat,  so  hält  auch  der  Uenius  der  Cultur  nach  grossen  Enun^prj- 
sehjjften  eine  kurze  Hast,  bevor  er  sich  zu  neuen  Thaten  rüstt^L 

Ein   solnher  Augenblick   war  für  die  Geschichte  der  Menschheit 
im  IS.  Jiüirhundert  gekommen,  und  die  Bestrebungen  der  Encvkl<)|u. 
disten  gat)en  dieser  Hiatsache  einen  deutlichen  Ausdruck.    Auch  in  der 
Medicin  machte  sich  diese  Richtung  der  Geister  bemerkbar  und  tntl 
in  einer   Reihe   von   Arbeiten  zu  Tage,    welche   hauptsächlich  die  G$.| 
schichte  der  Heilkunde  behandeUen. 

*  BLtJiCBitsTOCK   in  der  Vierteljahrsschr.  f.  gerichtl,  Medicin»  1884,  Hd.  81,  j 
S.  252-e9.  Bd,  39,  8.  1-12. 

*  J.  GiLiBT2KE;  Daniel  Gohl  and  ChmL  KtuidniA&a,  Breslaa  ldS4, 


tkr  Charakimr  jener  Züi  m  der  Kunst  und  Pküosophie,        317 


the  erstED  herrofragenden  Vertreter  der  historischen  Literatur  der 
JD   waren    Daxtel   Leclehc,    Jon^^   Freind    und    Joh.   Hr:iKR. 
SrHtrt^zE.    An  Boerhaave  und  namentlich  an  Haller,  welcher  sieh 
ch  die  H-^**^"  '/alie  medicinischer  Schriften  des  Alterthuras  und  durch 
ine   hihi;  ihen  Werke  unverganghche  VerdieDste  um  die  Cle- 

^hichfe  der  Heilkunde  erworben  hat,  fand  sie  einflussreiche  Freunde 
Forderer.  Auch  PoHTALy  der  eine  Geschichte  der  Anatomie  ver- 
i?t^,  Wkrthof,  Hensler  und  Grüner,  deren  gediegene  Untersuchungen 
über  die  Geschichte  der  Krankheiten  einen  dauernden  VVerth  besitzen, 
ätL'C,  Bald  enger,  Triller,  Mükhsen,  Ackermann,  Mj^izler  u,  A. 
hfn  Zeugnisse  dafür,  dass  der  Sinn  für  historische  Forschungen  unter 
ien  Ärzten  de»  18.  Jahrhunderts  weit  verbreitet  war  und  reiche 
Früchto  trug. 


Der  Charakter  jener  Zeit  in  der  Kunst  und 
Philosophie. 

Das  geistige  Lehen  des  18,  Jahrhunderts  hatte  einen  anderen 
r:hamkt-er  als  sein  Vorganger.  Diese  Veränderung  gab  sich  entweder 
in  einem  Nachlass  der  empirischen  Forschung  kund,  wie  in  den  Natur- 
rissensohaften,  oder  führte  eine  Wandelung  der  Richtung  herbei,  in 
welcher  sich  die  Thätigkeit  bewegte,  wie  dies  am  deutlichsten  die  Lei- 
stungen der  landenden  Kunst  zeigten.  Djis  IT.  Jahrliundert  sah  einen 
itvwö  Reni,  Salvator  Rosa,  die  Spanier  Velasquez  und  Murixj^«», 
die  &anz<'»sischen  Meister  Nicolas  Poussin  und  Claude  Lorrain  und 
die  grossen  Niederländer  Rubens  und  Rembrandt.  Das  18.  Jahrhun- 
dert vermochte  die^n  Kunstlern  nur  Wenige  an  die  Seit^?  zu  stellen, 
deren  Namen  vor  dem  Glanz,  den  Jene  ausstrahlten,  nicht  gänzlich 
blassen. 

Aü  die  Stelle  der  elassischen  Schünheit  der  Formen,  welche  durch 
die  gro^sartige  Einfachheit  der  Linien  und  durch  die  richtige  Abwägung 
Farben t<:»ne  ein  Muster  fiir  alle  Zeiten  geworden  sind  und  seihst, 

.fiiü  wie  bei  Rubens  einen  derbsinnlichen  Naturalismus  zur  Schau 

b,   niemals  blos  die  Sinne  fesseln,   sondern  immer   zum   Herzen 

sprechen,  trat  eine  ungcb^unde  Überladung  mit  barocken  Zuthaten. 
welche  durch  die  Sucht,  originell  zu  erscheinen,  hervorgerufen  wurde 
und  die  Kunst  auf  Abwege  brichto. 

Fin  wahrheit.sgetreues  Spiegelbild  der  geistigen  Kämpfe  und  Wan- 
Helnugeti  jener  Periode    lieferten  die   philosophischen  Meinungen  und 


818 


Det  medkmUdhe  ühterriohi  in  der  NeuzeiL 


Systeme,  welclie  damaljs  aufgestellt  wunlvn.    Der  induktive  Empirien 
Bao<>n'Sj   welcher   in  dem  Anfsdiwunge  der  Naturwissenschafti'n 
eiiier  Menge  von  Entdeekiiiigen  und  Ertindungen  eine  alle  Erwanun 
bei  weitem  übersteigende  Rechtterügung  erhielt^  entwickelte  i^ch  tin 
dem  Kinflu&s  der  letzteren  auf  einer  materialistischen  tlruadlage, 
eher  der  Pantheisum.s  einen  idealistischen   Zug  verlieh.     Wa**  der 
glückliche  Giürdano  Bruno  als  seine  heilige  Überzeugung  verküfl 
hatte,   lur  die  er  den  Tod   in   den  Flammen  erlitt^    Üas   suchte 
späterer  (Jesinnongsgenosse,  der  wegen   seines  religiösen  Freisimisi 
dem  Judenthum  imst;estossene  Baruch  Spikoza  durch  wissenscha 
Thatsach*^n    zu    begründen    und   zur   allgemeinen    Weltanschauung» ' 
machen,      Kr   lehrte   die   ( tesetzmässigkeit   alles   Geschehens   und 
Einheit  der  Substanz,  die  sich,  wie  er  im  Änschhias  an  CARTKsnj»  0r- ' 
klarte,  in  zweifacher  Form,  namlicii  als  (»eist  und  Materie,  ausser*'. 

Einen  Schritt  weiter  ging  John  Loc^kk*  Als  Arzt  gewohnt,  da« 
Metuijhys;i.sche  aus  dem  Kreise  der  Erörterungen  zu  bannen,  stellte  it 
sieb  auf  den  Buden  des  reinen  Empirismus  und  verkündete,  tks*!»  w 
keine  angeborenen  Ideen  gebe^  simdeni  dass  sich  alle  Erkenntnii«  auf 
die  Erfahrung  gründet»  Die  menschliche  Seele  gleicht,  wie  er  schreibt, 
bei  der  Geburt  einem  leeren  Biatt,  auf  welchem  die  Sinnes wahrnehmungCD 
als  Erfahrun^'cn  niedergelegt  werden,  bis  sie  durch  die  Reflexion,  dßrcli 
den  Verstand,  den  Lockm  den  inneren  Sinn  nennt,  zu  Vorstelluniß» 
bilde™  zusammengestellt  wertlen.  Er  führte  somit  die  Phil 
wieder  in  die  Anne  der  Naturforschung  zurück,  indem  er  die  Lii.i„w 
nisstheorie  auf  ilie  Untersuchung  der  IHnge  mittelst  der  sinnlid 
Beobachtung  anwies* 

Der  Sensuahsmus  Locke'j*  fand  in  Frankreich  hervorragende ' 
treter  an  E.  B.  i>k  Condii^iLac  und  Voltaire  und  regste  in  Engl* 
mm  Skepticismus  ao,  wii*  er  von  David  Humk  zum  Au^drui^k  gebracht, 
wurde,  während  ihm  in  Deutschbind  in  Leihsitz  ein  machtiger  GegMb 


litilfl 


entgegentrat. 

Der  Letztere  verband  die  angeborenen  Ideen  Pläton's  mit  den 
Grundzügen  der  Demokrit'schen  Atomistik,  an  welche  schon  G,  Bkuno 
tind  R  GAssKxni  angeknüpft  hatten,  und  p«isste  dies  den  edirlstlichen 
Lehren  von  der  Weisheit  des  Schupfei-s  und  der  Zweckmässigkeit  dei 
Natur  an.  Er  nahm  untheilbare  und  unräuniliche,  metaphy? 
Punkte  an^  die  er  Monaden  nannte  und  mit  einem  Vorstellungs-inll 
liegabt  dachte;  ihre  gegenseitigen  Beziehungen  und  Verbindung  zu 
Einlieit  des  Bewusstseins  glaul>tc  er  durch  die  phantastische  H;^potUe 
einer  vor  Beginn  aller  Zeiten  festgesetzten  „praestaf»i}irt»*n**  Hartnani 
zu  erklfiren. 


siMJl 
Inifl 


1 


Der  Ühamkier 


in  der  Kmtsi  und  Philosophie,        319 


Auf  die  Entwickelung:  der  Naturwisseüschaften  und  speciell  der 
licin  hat  Lehlmtz  keinen  turdernden  Einfluss  ausgeübt;  für  die 
ilc^I^liie^  wie  überhaupt  für  die  Literaliir,  hat  er  vielleicht  grössere 
ieutuntj  erlangt,  als  er  verdient  Sein  System  blieb  hauptsächlich 
Deutschland  beschränkt,  wa  Christian  Wolfb'  sein  eifrigster  Aj^ostel 
trde*  Er  ordnete  die  Ideen,  die  Lb:ibnitz  in  wilder  Ungebundenheit 
eworfen  hatte,  mit  schulmeisterhafter  Pedanterie  zu  einem  Schema- 
iy  der  dort,  wi>  Jener  Lücken  zeigte  oder  eine  zu  hüchtliegende 
atasie  walten  lies«,  sich  aus  den  Lehren  anderer  Philosophen  ergänzte. 
Consequenter  und  einheitlicher  ini  Aufbau,  aber  rücksichtstoser 
erschreckender  in  seinen  Folgerungen  war  der  Materialismus,  wie 
um  die  Mitte  des  18.  Jahrhunderts  in  Frankreich  auftrat.  Der 
likakte  Vertreter  dessellien,  der  französische  Arzt  Lamettrie,  machte 
tn  jieiner  Histoire  natureile  de  Tihne  und  seinem  Werke  „I/liomme 
machine"  den  Versuch,  sogar  die  Denkprozesse,  die  geistigen  Fällig- 
keiten und  sittlichen  Gefühle  aus  dem  Wesen  der  Jlaterie,  aus  der 
körperlichen  Organisation  abzuleiten.  Den  transcendenten  Charakter 
der  menschlichen  Seele  bestritt  er,  indem  er  sich  dabei  unter  Anderem 

Kh  auf  die  Thatsache  der  auf  Veränderungen  des  Gehirns  Ijenihenden 
chischen  Erkrankungen  bezog.    Die  Unsterblichkeit  gab  er  zu,  jed<*ch 
nur  insoweit,  als  die  Materie,  aus  welcher  die  Dinge  dieser  Welt  be- 
'^  ri.  nicht  untergeht,  sondern    Qur  die  Form  ändert  und  wieder  an 
MI  anderen  Korper  TheU  nimmt. 

Leider  predigt-e  Lamettbie  gleichzeitig  einen  Hodonismus^  welcher 
M\^  eine  schamlose  Verherrlichung  des  Vergnügens,  bes.  der  WoüiLst 
hinauslief.  Lediglich  in  dieseni  Umstände,  keineswegs  aber  in  seinen 
phil')Si*i>hischen  Theorien  liegt  der  Grund  der  heftigen  ÄngriHt*,  die  er 
»erfahren  musste.  Es  mag  ja  sein,  dass  er  in  seinem  Leben  keineswegs 
dem  frivolen  CjnLsmus  huldigte,  welchen  er  in  seinen  Schriften  zur 
Schau  trug;  aber  selbst  F.  A.Lanqe,  welcher  die  Ehrenrettung  Lamettries 
iinifmahm,  vermochte  zu  dessen  Vertheidigung  nur  anzuführen,  dass  er 
wwler  seine  Kinder  ins  Findelhaus  gesell ickt,  wit^  I^hisseau,  noch  zwei 
Bräute  lietrogen  habe,  wie  Swtft,  nicht  der  Bestechung  überführt 
)Uiüt*n  sei,  wie  Baci^n,  und  sich  auch  nicht  cler  Urkundentalschung 
vi-riiachtig  gemacht  habe,  wie  VoLTAmE.^  Jedenfalls  hat  Lamktieik 
darcli  seine  Lehren  die  Sittlichkeit  schwer  geschädigt  und  viele  reine 
jßmnther  vergiftet,  und  ist  vorzugsweise  schuld  daran»  dass  die 
stische  Philosophie  lange  Zeit  von  unverstandigen  Menschen  mit 
iukeniosen  Befriedigung  des  Sinnesgenusses  identiticirt  wurde. 


*  f\  A,  Lakoe:  Geeclriclitc  des  Matcriäliantniö,  laerlobn  1876^  I,  349. 


Die  tibrigen  Anhänger  dt^s  MattTiulisrntis^  nameutUch  diefjenif: 

wrli'Iii*  unter  Arm  Namen  «Kt  rjn<\vkl(ipruUst*jn  bekannt  geworden  sin 
sut^hten  ihre  AnfiL^^aljcn  weniger  in  der  wissenscbaft liehen  Bogrfmdu 
ihrer  phihiKupli Ischen  Mf^nungen,  als  in  der  Bekämpfung  der  kirchhcb 
und  politischen  AutoriliileiL  Der  V»TftUs«er  de.s  SyNlvitie  de  hi  natq 
entwickelte  ihm  Kn-islaiif  d<*8  Lebens  nnd  die  innigen  Wech 
beziehnngen  iln  ilrt'i  Naturreicbe;  über  imgleioh  grosseren  Werth  lo^ 
er  auf  die  rütionalintische  AufkUirung  und  die  Erörterungen  filx^r 
Recht  der  Völker  auf  Selbstregierung»  welche  er  damit  verband. 

Diese  Theorien   trugen  ohne  Zweifel  viel  dazu  bei,  die  mäxhtign 
Umwälzungen  vorzubereiten,   welche  am  Schluss  des  18.  Jahrbuntlei 
Fratikreieh  und  dann  ganz  Europa  erschütt4?rt6n,  und  erklaren  e» 
Thrile,  »lass  der  Materialisnuis  von  Miinehen  als  die  Quelle  der  Irreligi^ 
sitöt  lind  als  PVind  der  Monarchie  betrachtet  wurde. 


Die  gelehrten  Oesellseliaften  und  Universitäten  im 
17.  und  18,  Jahrhundert. 

Wie  im  IG*  Jahrhundert,  so  wurde  aucli  im  17.  Jahrhundert 
Entwickelung  des  Wissenschaft] ichen  (ieistes  wesentlich  gefordert  diirrb 
die  Uründong  von  gelehrten  (iesells<'haften  und  Universitäten,  laj 
Italien  stiftete  der  Fiirst  Federig«»  Cesi  i.  J.  IBtKl  die  Ae^-adeniia  dd 
Lincei,  m  genannt,  weil  deren  Mitglieder  zu  ihren  Untensuchung 
gleichnam  Luchsaugen  heilurften  und  im  Vereins-Wappen  einen  laeli 
filhrten;  in  FluTfuz  entstand  unttT  dem  Sehnt//  drr  Mediceer  KJ57  difl 
Ac^ademia  del  cimento,  welche  die  Pllege  dei^  Experimente  zn  ihm 
Aufgabe  erkirirle. 

Nacli  diesem  Muster  bildeten  sich  auch  in  andern  Ländern  geMrl 
Vereinigungen,  in  Deutschland  wurde  Schweinfurt  der  Mittelpunfc 
einer  Gesellschaft  von  Ärzten  und  Niilurrftrschern.  welche  i.  J.  16T 
vom  Kaiser  Leopold  zu  einer  Akstdemie  erhoben  wurde.  In  Paris  tn 
die  Ac^tlemie  des  sciences  um  d^is  Jahr  1666  ins  Leben,  welche  HD 
in  das  Institut  national  umgewandelt  wurde.  Auch  die  königlich«  Ge 
Seilschaft  der  Wissenschaften  in  London,  deren  Verhandlungen  in  nahe» 
ununterbrochener  Reihenfulge  bis  heut  erschienen  sind  und  eines  dfl 
wichtigsten  und  inhaltsreichsten  Aktenstücke  zur  Geschichte  der  Wisi^n 
schallen  bilden,'  wurde  IBtifi  gegründet.    Es  folgten  darauf  die  AkatlfinM 


'  Cn.  R.  Wki.ik  Hif^tory  n(  tlu^  rmal  »orif^tv,  T.o»idon  1848,  2  B<j*?, 


Thegetehrien  Gesellgehaßen  u,  Universitäten  im  17.  u,  18,  JohrhunderL     321 


KU  Berlin,  welche  i.  J.  1 700  anf  Leibnitz'  Betreiben  gestiftet  wnrde,  die 

totinger  gelehrte   Gesellschaft  i.  J.  1733,   die   Akademie   zu  Peters- 

1725»  welche  zwar  auf  russischem  Boden  entstund  ^  aber  haupt- 

r     h  eine  deutsche  Schopfun^^  war,  die  Akadrmio  zu  Mtuinhrim  1755 

und  dii^>oige  zu  München  1700. 

f»  rischaftlidii'  Lehen  jener  Periude  }^rachte  in  England  und 

den  Ni  ^len  die   reichsten  FrüchtH  hervor.     Auch  Italien  zoitig:te 

oooh  einzelne  Spatlinge,  welche  an  die  besten  Zeiten  der  gfrossen  Ver- 
^genheit  dieses  Landes  erinnerten, 

Aaf  Frankreich  warf  der  glänzende  Huf  Ludwig  XIV.  ein  weithin 
iftruhlendej!  Licht,  welches  neben  mancher  inneren  Hohlheit  eine  über- 
raschende Pulle  von  Talent  und  Tliatkraft  beleuchtete.  Während  des 
lii.  und  bis  tief  hinein  in  das  19.  Jahrhunderfc  stand  das  französische 
Volk  an  der  Spitze  des  geistigen  Fortschritts;  seine  Gelehrten  und 
Forscher  wirkton  nicht  blos  in  tbmialer  Hinsicht  bahnVu*echend  für  lüc 
WissenJichaft  y  sontlern  sie  erweiterten  auch  den  Umljing  der  letzteren 
«urt  TertiefUm  ihren  Inhalt  nach  verschiedenen  Richtungen. 

Deutschland  wurde  durch  den  unglückseligen  Kelisri»instkrit%  welcher 
tt»  30  Jahre  hindurch  venvüstjete,  in  seiner  politischen  und  geistigen 
Entwickelung  gehemmt  und  fand  erst  zwei  Jahrhunderte  später  die 
«ichcre  Hohe  zur  volb^n  Betbätignng  seiner  Kraft 

Abä  das  ItJ.  Jahrhundert  zu  Ende  ging,  iH^standen  in  den  einzelnen 
Ilfiilem  bereit«  s<>  viele  Hochschulen  und  J^iblungsanstalten^  dass  den 
f>rhandenen  Bedürfnissen  im  Allgemeinen  (jenüge  geleistet  wurde.  In 
%land  luldeten  die  alten  Universitäten  zu  Oxford  und  f'nmbridge  den 
wichtigsten  Miit<*lpnnkt  der  höheren  Studien.  Frankreich  centralisirte 
4ie  Wissenschaftern  mehr  und  mehr  in  Paris.  Holland  erhielt  neue 
HwdiHchulen  zu  Groningen  (1H14),  Utrecht  (It)34)  und  Hardpnvyk(l(i48), 
In  ItaUen  entstanden  Universitäten  zu  l\irnia,  Cagliari,  Mantua,  Urbini>, 
iWnza,  Sassiiri  und  Mailand,  von  denen  einzelne  ihre  Entstehung  wohl 
mir  einer  kleinhchen  Eifersüchtelei  dieser  Ktadte  und  ihrer  Beherrscher 
»oniankt-en.  Im  J,  1608  ivurde  ni  Panipellona  eine  Universität  errichtet 
Jifi  jedooh  ebenso  nnliekannt  blieb,  als  die  übrigen  Hochschulen  S|mnien8, 
Aach  die  Anstalten  dieser  Art,  welche  im  östlichen  Europa  gegründet 
WQrdfin,,  wie  diejenige  zu  T3Tnau  in  Ungarn,  welche  später  nach  Fest 
Ttflegft  minie,  zu  Klausenburg  in  Siebenbürgen  und  zu  Kiew  und 
loikatt  traten  nicht  sonderlich  hervor.  Für  Finnland  wurde  1640  zu 
Abo  mne  Hochschule  gestiftet,  die  1828  nach  Helsingfurs  kam,  und 
Schweden  erhielt  16G8  eine  zweite  Universität  zu  Lund. 

Unverbaltnissmässig  gross  war  die  Zahl  der  Hochschulen,  welche 
W'Ahrend  dieser  Periode  in  Deutschland  entstanden.    Zum  Theil  wurden 
PvKciaujni,  Üottrrrrht,  21 


322 


Ikr  mcdmniache  UnUrriekt  in  dm'  NmuuiL 


sif!  kinnf^swegB  durch  das  Bedörfniss  nach  akademischer  Bilditng, 

nur   durch   die   Eik'lkdt   der    kleinen   Territorialherren   hervor 
welche    in   der  Gründung  einer  Huchseliule  ein   nicht  zu  kusispioIiJ 
Mittel  sahen,  um  ihre  Simverainelat  iw  docummtiren  und  sich  in  Kt^ 
und  (iediehten  als  Beschützer  der  Wissenschaften  preisen  zu  lasiCtL^ 

Als  1Ü52  das  Gymnasium  zu  HiThorn   in  Nasüiiu  zur  Unire 
erlndien  wurde^  kostete  es  dem  Landcsfürskm  tfrosse  Mühe,  die  für 
Ertheikin^   der   kaiserlichen   l'rivile^ni^n  erforderliche  Tajte  von  410IML 
zu  schatleTL     Die  Stadt  lünteln  he^aas,  als  sie  im  J.  1(»21   zum 
einer  Universität  f^eniacht  wurde,  weder  eine  Aputheke  noch  einen  <i| 
ht^f. '     Die  Theihing  der  hessischen   Lander  untvr  verschieden«*  Ln 
der    Dyiuisiie   führte   im  J.  1t;()7  zur   Errichtung  der  Hochschule 
rJiessen;  dmih  war  sie  von  ir»2r)^lti50  wieder  mit  ihrer  benachbarl 
Scbwester-Anstalt  zu  Murlmrjr  vereinigt. 

Die  Universit-at  Strassburg  gfing  au8  dem  dortigen  akadf*mi8Cihefl 
(iv3tina^iuni  hervor*  an  welchem  ausser  andiTu  Facultiiti^wi- 
auch  Mtdirjn  gel^lirt  wunlo;  sie  erhielt  ITHM»  und  1021  die 
Bestätigung,     \m  J,  UWl  stuilierten   dort.  70  Theologen,  77  Juri.sttH 
11   Mediciner  und    145  Philusu|dien.*     Später  sank   die    Frer|uenz  iIa^ 
Höehseimle   und    hetriig    im   Durchschnitt  jährlich  nicht  viel  mehr 
4  Studierende  in  summtlichen  Facultäten;  erst  seit  1718  hcd)  sie 
wieder,  naehdeiu   unter  der  französischen   Herrschaft  ruliige  politj* 
Zustände  eingetreten  waren, ^ 

In  [ihnlicher  W*3ise  entst^uid   im  J,  1622  die  UniversitÄt  AIli 
auf  dem  (lehii't  der  freien  Ueiehsstaiii  Nürnherg.*    Das  Gymnashim 
Uremen  glich  ebenfalls  einer  Hochschule;  im  J.  Di lU  wurde  durt 
eine  Lehrkanzel  der  Heilkunde  erricht-eL     Denselben  Charakter  lrug<?ii 
die  h«iheren  Lehranstalten  zu  Rteinfurl,  welche  für  die  Grafschaft 
beim-Tecklenhurg,    zu  Neustadt  au  der   Haardt,  die  für  die  Pfah 
stimmt  war,   zu   Hanau  und   zu  Lingen.     hi  Duisburg  entstand 
und   in  Kiel   Sii()5  iMne  Universität     Die   liuchschule  zu  Dorpat  vor. 
dankte*    ihre    Errichtung    im  J.   DJ32   dem    Könige  Gustav  Adolf 
Schweden;  doch  bestand  sie  nur  wenige  Jahrzehnte  und  erwachte 
18(J2  wieder  zu  neuem  Leben, 

In  den  kathohschen  Staaten  Deutschlands  kam  das  höhere  üufc 


^  A.  THrtLUfK:  Djih  akadcmiauhe  I^ben  des  17.  «Iuhrhutiderts ,  HiiHo  \% 
Bil.  1,  Ähtli.  2,  S.  9ß,  303. 

"  TiTOLucK  a.  a.  0,  I,  2,  122. 

"  R  Wieqeh:  Gt'schiclite  der  Medk-bi  in  Strassburgt  1885,  S,  71. 

*  G.  A.  Willis  :  Geschichte  und  lieachreibung  der  Universitüt  Altdorf, 
dorf  1795. 


...  *i  .^^resen  allmälig  YoUstandig  in  die  Hände  des  Jesuiten-Ordens. 
Mehrere  neue  Anstalt+^n,  welche  auf  dessen  Betreiben  errichtet  wurden, 
vrareu,  auch  wenn  sie  die  Recht^^  einer  Universität  erhielten,  eigentlich 
nur  geistliche  8eminarien.  So  ent*stand  zu  Molsbeim  im  Ektiss  ein 
Jt^uilen-tiyinnasium,  welches  1617  vom  Pabst  zur  UniversitTit  erhoben^ 
1702  nach  Stnissborg  vorlegt  und  nüt  der  dortigen  Hochseiuile  ver- 
einigt wurde,  tHeiehzeitig  erhielt  die  Dumschule  zu  Paderborn  den 
Chamkter  einer  Universität;  ebenso  iy:esehuh  dies  mit  der  Domsehnle 
»  OsDabrQek.  Die  1647  zu  Bamberg  errichtete  Akademie  entwickelte 
sich  allmälig  ebenfalls  m  einer  vollständigen  Universität  Im  J.  1734 
niinle  auch  das  Jesuiten-Gvmnaj^ium  zu  Fulda  zur  Universitiit  erhoben, 
wähnmd  die  Domschule  zu  Münster  erst  1780  dieses  Ziel  erreichte, 

Dazu  kamen  eine  Anzahl  von  Hochschulen  in  den  Landern  der 
babshurgiächeu  Krone.  In  Salzburg  errieliteten  gelehrte  Benediktiner 
aine  höhere  Unterrichtsanslalt,  welche  der  Pabst  im  J.  1 1>23  zur  Univer- 
jt"  T  1,^  Die  gleiche  Ehre  widerfuhr  1G73  dem  Jesiiiten-Gjnmasium 
•jiik.  Auch  das  Jesuiten-Oollegium  zu  Breslau  entwiekelt«  sich 
tmli  und  n^k^h  zur  Universität  und  wurde  1702  als  solche  anerkannte 
Die  Anstalt  zu  Brunn  erhielt  erst  1779  die  Privilegien  einer  Univer- 
sitÄt,  als  die  Ulmutzer  Hochschule  dorthin  verlegt  und  mit  ihr  ver- 
einigt wurde.  Aber  schon  nach  wenigen  Jahren  verlor  sie  diesen 
(liarakti^r  wiedt*r  und  wurde  in  ein  Lyceum  umgewandelt,  welchem 
s^ter  mit  einer  raediciniÄch-chirurgischen  J^ehranstalt  verbündten  wurde 
ond  in  Olmütz  seinen  Sitz  erhielt^ 

Einen  hervorragenden  Einfluss  auf  die  Eotwickelung  des  wi^^sen- 
Ächaftüchen  Geistes  erlangten  die  Universitäten  Halle  und  Uüttingen. 
Hk  eislüre  wurde  1694  errichtet,  nachdem  das  Erzstift  Magdel*urg  mit 
den  dazu  geliorigen  Landestbeilen  an  Brandenburg  gefallen  war. 

Schon  der  grosse  Kurfürst  hatte  sich  mit  der  Gründung  einer  Art 
von  Akademie  beschäftigt,  welche  einen  Vereinigungspunkt  aller  wissens- 
lerthen  Dinue  t»iblen.  mit  einem  chemischen  Laboratorium,  jihysikalisch- 
tecbnoUigischen  Institut^  zoologischen  und  botanischen  Garten,  Maschineri- 
kausc,  Museon  u.  a.  m.  ausgestattet  und  tillen  Lemliegierigen  uhne  Unter- 
Khied  <ler  Nationalität  und  des  religiösen  Bekenntnisses  zugänglich  sein 
Jte.^  Für  die  Ausfuhrung  eines  solchen  grossartigen,  der  ratio- 
sü^cben  Denkweise  des  18.  Jahrhunderts  vorauseilenden  Planes  war 

weder  die  Zeit  reif,  noch  das  erforderliche  Geld  vorhanden. 


i.  J.  Richtbr:  (ksBchicbte  der  Olmüter  Umversität,  Olmütz  ISiL 
'  ¥,tLMA%  iu  RtotAÄi:  Älcm.  p.  scrvir  n  Tbiatoire  des  refugi^  francois,  T. 
.  3>9  IL  IL,  Berhu. 

21  • 


111, 


Auch  die  Universität  Halle  war  in  ihren  gnanziellen  Mitteln 
lioh  beschrankt;   ihre  JahresHotation  betrug  bis  1786  nicht  mebrj 

7i)00  Thaler,  womit  die  Besoldungen  siimmtlieher  Lehrer  und  fib»Tlia 
alle  AusgiUH»n  der   Hochschule  bestritten  werden  niusst4?n.     Vertri-hlj 
baten  äk  Professoren,  dass  ihr  <lie  Präbenden  der  ehemaligen  \H 
stifte  von  Ma^delnirrr  und  HalbeiNtMt  überwiesen  wurden,*   Der  TüctiN 
keit  ihrer  1/ehrkräfte,  unter  dunen  sich  die  Juristen  Stkyk  und  'ft 
MASUT«,   der   Theolo^'o   Fkancke,   d(»r   Philologe   CKUJVKrn»  nnd 
Mediciner  Stahl  und  F.  Hüffmann  befanden,  war  e»  zu  danken, 
die  Universität  Halle  lange  Zeit  den  ersten  Platz  anter  den  de 
HoelkscholHn  behauptete. 

Sie  trat  erst  zurück,  als  die  Imnnnvei'sche  Regienini^  im  J,  U 
in  Gottingen  eine  Univernitiit  errichtete,  für  deren  Unterhalt  die  San 
von   KiOtK)  Thaleru  jährlich  brwillif^t.  wunie.     Hei  der  HeRHzunj? 
Professuren  und  der  Ordnung  der  Stndienverhältnis.se  waUet4*  ein  fn 
CS  eist,  welcher  den  Forderungen  der  Zeit  nach  jeder  Uichtung  pn 
zu  werden  lienuiht  war. 

Den  Naturwissenschaften  wurde  eine  grössere  Berücksichtiguni^  j 
Theil  als  an  anderen  Hochschulen.  WKRutoF,  welcher  Im  '  f  wnn 
die  Verschlüge  für  die   Kinriclitung  der  medicinischen   i  i  zu 

statten,  stellte  in  seinem  (rutachten  vom  16,  Dezember  1733  den  Anb 
l.ebrkauzeln  für  Anatomie,  Botanik,  (liemie   nebst    Arzneiniittell<»li 
sowie   für  niedicinisehe  Theorie  inid  medicinische  Praxis  zu  grund 
einen  botanischen  Garten  und  ein  chemisches  Laboratorium  anzu 
sowie  ein    Krankenhaus   zu  erbauen,    welches  für  den  Unterricht 
Studierenden  der  Medicin  benutzt  werden  sollte.^ 

Kleinere  Universitäten  entstanden  im  18,  Jahrhundert  xu  KrUn^ 
(1743),  zu  Bützow  in  xMecklenburg  (Um),  zu  Stuttgart  (1781).  die 
der  Karlsschub'  Iien^orging,  und  zu  Bonn  (17H4),  welche  sicli  aus  ein 
Jesuiten-Gymniusium  zur  Hochschule  erholi,  aber  als  solche  damals  ka 
ein  Jahrzehnt  bestaruL 

Deutschland  besass  somit  bei  einer  Bevölkerung,  welche  kaum 
Hälfte  der  heutigen  betrug,  ungefiihr  die  doppelte  Anzahl  von  Hoch- 
schulen, als  gegenwartig  bestehen.  Schon  aus  dieser  That.sache  ergicbt 
sich,  dass  die  damaligen  UniversitiVten  von  den  heutigen  in  m--  •*  • 
Beziehungen  verschieden  waren.  Sie  dient<:m  nicht  so  ausschl, 
der  Vorbereitung  für  einen  speciellen  Lebensljenif,  wie  jetzt,  sond 
in  vielen  Fällen  nur  zur  Vervollständigung  der  Allgemeinbildung;^ 

*  J.  Ca.  FöttsTEn:  Geschieht«  der  UniveraitÄI:  Halle  in  ihrem  orsten 
hundert,  HftUe  1799. 

*  E.  F.  Rr>!48LER:  Die  Orflndung  der  UniverBitiit  G^tttngon,  ClTJttingen  1| 


Hptilgten  sich  ferner  mit  einer  weit  niedrigeren  Frequenz  von  Stn- 
Jerenilen^  da  die  Unterhaltungskosten  auch  viel  geringer  waren,  als 
Qwärtig. 

In  Wien  studierten  ü  J,  1723  nur  25  Mediciner^  in  Göttingen  in 

Periode  von  17*37—78  jährlich  50  liis  80,     Jena  zählte  1768  17 

1773  42  Studierende  der  Medicin;  in  Ältdorf  promovirten  in  der 

von   1623-— 1794  nicht  mehr  nh  380  Mt^diciner.     In  Würzhnrg 

um  die  Mitte  des  vorigen  Jahrhundert.s  die  medicinischen  8tudii*n 

iiöh  darnieder.     Der  russische  Leibarzt  M,  A.  Weikard  erzählt  in 

«r  Selbstbiographie  (Berlin  und  Stettin  1784):  „Als  ich  i,  J.  1761 

C.  C.  iSrEBOLi*    und  iSKXt-^fcT   in   Würzburg   Medicin    zu   studieren 

ng,   waren   seit   mehreren  Jahren   keine  Zuhörer  dagewesen,   und 

m  folglich  auch  keine  Collegien  stattgefumien.     Ein  Jahr  vorher 

zwei  angefangen,  und  später  mehrte  sich  die  Zahl  auf  nenn. 

Die  Lehrer,  die  nur  200—300  Gulden  Gehalt   hatten,    betrachteten 

lAiarlich  ihr  Lehramt  als  cin(^  Nebensache  und  waren  auch  entwöhnt 

yp  Schulgeschäftj  und  niiissten  wir  mehrmals  beim  Rector  magniticus 

BjgeBf  ehe  wir  sie  sämmtlich  dahin  brachten,  wieder  CoUegien  zu  lesen. 

^  mussten  durch  Emmhnungen  und  ernstliche  Drohungen  hierzu  ge- 

ingen  werden.     Dessen  ungeachtet  ging  es  damit  äusserst  sparsam 
es  war  oft  Vierteljahre  lang  Stillstand  und  doch  bei  alledem  der 
lost  nicht  sonderhch.**^ 
Starker  war  der  Be^sucli  einiger  ausländischer  Hochschulen.    Alex, 
ffEO  hatte  während  seiner  50jiihrigen  Lehrthätigkeit   in   Edinburg 
HiKH)  Schüler;  die  Zahl  d*^r  dortigen  Mediciner  betrug  in  der  zweiten 
Hälfte  de^  18.  Jahrhundert*^  durchschnittlich  400.     In   Leiden  gab  es 
L*l.  1709  gt'gvn  300  Studenten.    In  Padua  betrachtete  man  es  als  ein 
sohlecht^s  Jahr,  als  1H13  nicht  mehr  als  1400  Studierende  dort  ini- 
matrkulirt  waren,     Pavia  hatte*  1782  unter  2000  Studenten  200  Me- 
dicin f^r,* 
^fc    Die  deutschen  medicinischen  Facultäten  waren  mangelhafter  und 
Hrftiger  eingerichtet  als  diejenigen  Hollands,  Italiens  und  Frankreichs, 
Bis  diesem  Grunde   begaben  sich  viele  Studierend!^  der  Medicin  aus 
^kt^Hchland  dorthin,   um   ihre  fachmännische  Ausbildung  zu  vervoU- 
Hudigen.     Namentlich   genossen    die    Universitäten    Leiden,    Padua,^ 
Bntpellier  und  Paris  in  ilioser  Hinsicht  einen  grossen  liuf  und  wurden 
gßm  besucht 

H  ^  KtiLUKgR  a.  a.  O.  S.  21, 

^^  •  O.  Fisourat:  Chirurgie  vor  100  Jahren,  Lmpidg  1876,  S.  TT. 

*  S*  das   Namens verzeiehDiäa    der    Studcinteii  ^    welche   dort    immatricunrt 
*^e»,  in  Deir  ouiversit^  di  Padova,  Padova  1841. 


326  Der  medidnische  Unterricht  in  der  Neuzeit, 


Dazu  kam,  dass  sich  Frankreich  allmälig  zum  Mittelpunkt  der 
weltmännischen  Bildung  entwickelte,  welche  an  den  deutschen  Univer- 
sitäten leider  sehr  vernachlässigt  wurde.  Im  16.  Jahrhundert  hatten 
die  letzteren  wohl  ihrer  Aufgabe  entsprochen  und  jene  Summe  von 
Wissen  geboten,  welche  damals  als  Inbegriff  einer  höheren  Allgemein- 
bildung galt  Als  aber  die  Vornehmen  nicht  mehr  darnach  trachteten, 
durch  ihre  Kenntniss  der  lateinischen  oder  griechischen  Sprache  zu 
glänzen,  und  die  Entdeckungen  und  Fortschritte  in  den  Naturwissen- 
schaften einen  anderen  Ideenkreis  in  den  Vordergrund  drängten,  ge- 
nügte der  Studienplan  der  deutschen  Universitäten  den  Anforderungen 
nicht  mehr,  und  man  suchte  im  Auslande  Das  zu  erwerben,  was  die 
Heimath  nicht  gewährte.^ 

Auf  diese  Weise  entstand  ein  Zwiespalt  zwischen  der  gelehrten 
und  der  weltmännischen  Bildung,  der  sich  zum  Theil  bis  auf  unsere 
Tage  erhalten  hat  Die  Universitäten  wehrten  sich  gegen  die  Aufiaahme 
von  neuen  Bildungs-Elementen,  und  die  auf  den  politischen,  militäri- 
schen, künstlerischen,  technischen  und  industriellen  Gebieten  hervor- 
ragenden Männer,  welche  durch  den  Aufenthalt  im  Auslande  einen 
weiteren  Gesichtskreis  gewonnen  hatten,  spotteten  über  die  Einseitigkeit 
der  Stubengelehrten,  die  durch  die  Unbeholfenheit  ihrer  äusseren  Er- 
scheinung manchmal  eine  klägliche  Rolle  spielten. 

An  den  deutschen  Universitäten  jener  Zeit  herrschte  ein  wüstes, 
rohes  Leben.  „Auf  unsern  deutschen  hohen  Schulen  nimmt  man  unter 
den  Studierenden  statt  der  Bücher  nichts  als  Streitigkeiten,  statt  der 
Hefte  Dolche,  statt  der  Feder  Degen  und  Federbüsche,  statt  gelehrter 
Unterhaltungen  blutige  Kämpfe,  statt  des  fleissigen  Arbeitens  unauf- 
hörliches Saufen  und  Toben,  statt  der  Studierzimmer  und  Bibliotheken 
Wirthshäuser  und  Hurenhäuser  wahr",  schreibt  der  Arzt  LoncHius 
i.  J.  1631.2  Der  Pennalismus,  d.  i.  die  durch  das  Herkommen  zur  fest- 
stehenden Einrichtung  gewordene  Sitte  der  älteren  Studenten,  die  jün- 
geren zu  tyrannisiren,  führte  zu  entsetzlichen  Ausschreitungen,  zu 
Grausamkeiten  und  sogar  zu  Verbrechen.  Auch  gegen  die  Bürgerschaft 
erlaubten  sich  die  Studenten  manche  Unverschämtheiten.^ 

Der  Senat  der  Universität  Leipzig  sah  sich  1625  veranlasst,  den 

*  Biedermann  (Deutschland  im  18.  Jahrhundert,  Leipzig  1858,  II,  1,  S.  18) 
schreibt:  „Die  Mehrzahl  (der  deutschen  Universitäten)  war  zu  Tummelplätzen 
orthodoxer  Beschränktheit,  pedantischer  Buchstabengelehrsamkeit  und  schola- 
stischer Spitzfindigkeiten  ausgeartet/^ 

'  Oratio  de  fatalibus  academiarum  in  Germania  pericuUs  in  acad.  Rintel. 
rec  1681,  p.  67  nach  Meikers:  Gesch.  d.  hohen  Schulen. 

»  TiiOLucK  a.  a.  0.  I,  1,  264  u.  ff. 


dartigeii  Stadierendeii  zu  verbieten,  „die  Hochzeiten  zu  stören,  die 
Oiste  zu  stossen,  die  Frauen  und  Jungfrauen  durch  obscöne  Bemer- 
kungen zu  l)pleidigeu  oder  ihnen  gar  ein  Bein  zu  stellen/*^  In  Jena 
lieferten  ilie  Studenten  l  J,  IGGO  der  Polizei  eine  wirkliche  Schlucht, 
bei  der  mehrere  todtgreschossen  wurden.  Ähnliche  Excesse  ereigneten 
sich  auch  in  Ingolstadt  Aber  es  war  kein  Wunder,  wenn  unter  den 
Studenten  derartige  Dinge  vorkamen ;  denn  der  Ton,  welcher  unter  den 
dortigen  Professoren  herrsehte,  war  manchmal  auch  nicht  viel  besser. 
Im  J.  1663  wurde  ein  Professur  vom  Rector  mit  Carcer  bestraft,  weil 
er  geinen  Schwiegervater  geprügelt  hixiieJ  Die  Universität  Helmstädt 
wurde  vom  Landesherm  ermahnt^  bei  Neubesetzungen  der  Lehrkanzeln 
keine  „versoffenen  Professoren"  in  Vorschlag  zu  bringen.^  Von  der 
Universität  Herbom  berichtet  Steubino:  „Die  i^ninze  hohe  Schule  war 
nicht  nur  in  Parteien  gethoiUy  sondern  oliendrein  ein  Professor  dem 
andern  zuwider.  Sie  stichelten  nicht  nur,  wo  sie  konnten,  in  ihren  Vor- 
IdsUDgen  auf  einander,  sondern  befehdeten  sich  auch  vur  derKegierung,^** 
Demtige  Verhältnisse  existirten  noch  ein  Jahrhundert  später;  als  sich 
iX  1760  ein  Profess^or  beim  Senat  der  Universität  Ingolstadt  beklagte, 

er  von  der  niedicinLschen  Facultät  beleidigt  worden  sei,  erlclürte 

Ibft,  „dass  sie  den  Klager  wegen  seiner  niedertrachtigen  Handlungen 
allerdings  für  einen  schlechten  Kerl  halte,  sich  aber  gerade  nicht  er- 
innere,  ihn  ofliciell  so  betitelt  zu  haben/*  ^ 

Ks  war  begreiflich,  dass  sich  eine  Reaktion  gegen  diese  Verwil- 
ilenmg  der  Sitten  und  Umgangsformen  geltend  machte.  Die  Universität 
(luUingen  begann  damit,  intlem  yie  ihrrn  Studierenden  höflichere  Ma- 
nieren empfahl  Man  nahm  dabei  das  franzusiscbe  Wesen  zum  Muster, 
«ridche^  überall  an  den  Fürstenhöfen  Eingang  gefunden  hatte.  Was 
dif  den  Kreisen  der  Vornehmen  angehörigen  Studenten  schätzen  lern- 
ten, fand  bald  auch  bei  den  übrigen  Anklang,  So  entwickelte  sich  bei 
einem  Theile  der  deutschen  Studentenschaft  das  anerkennenswerthe  Be- 
ben, dfcis  ges^dlige  Leiien  durch  gefallige  Formen  zu  veredeln. 

Die  urwüclisige  Derbheit,  welche  sich  auf  vielen,  namentlich  den 
ineren  Hoch!?cbulen  breit  machte,  sah  darauf  mit  Verachtung  herab 
imd  bezeichnete  es  als  „Petit-Maiterei''  und  unpatriotische  NachäÖung 
fremdländischer  Sitten.  Auch  ernste  Hist-oriker  haben  diese  Auffassung 
^theilt  and  dabei  ku  wenig  berücksichtigt,  dass  eine  Reform  nach 
dieser  Richtung  nothwendig  war.     Das  deutsche  Volk  hat  dem   Um- 


*  OsUHAliDT    ID    ZwiEUINECK-StfDKNHOILiTS   Zoit54?hr.    1887^    IV,    955. 

»  PßAHTL  a.  a.  O.  I,  500.  503,  »  Tüommjk  a,  a,  O.  l,  1,  142. 

*  TitottiCK  a.  tt.  O.  I,   I,   MO.  "  I'qasti.  a.  ft,  O.  I,  VM, 


1 


328  Der  medicinische  Unterricht  in  der  Neuxeit. 

Stande,  dass  es  stets  beflissen  war,  seine  Mängel  zu  verbessern  und  von 
seinen  Freunden  wie  von  seinen  Feinden  zu  lernen,  ohne  Zweifel  sehr 
viel  zu  verdanken. 

Im  Beginn  des  17.  Jahrhunderts  umfasste  die  allgemeine  Vorbil- 
dung der  Studenten  hauptsachlich  die  lateinische,  griechische  und 
hebräische  Sprache,  Rechnen  nebst  etwas  Mathematik,  Kirchengeschichte 
und  die  Lektüre  alter  Autoren,  welche  zur  Mittheilung  historischer, 
geographischer  und  naturwissenschaftlicher  Bemerkungen  Gelegenheit 
bot  AUmälig  aber  wurde  den  letzteren  ein  grösserer  Spielraum  ge- 
währt. 

Schon  am  Schluss  dieses  Jahrhunderts  erschienen  die  französische 
und  englische,  manchmal  auch  die  italienische  oder  spanische  Sprache, 
die  Geschichte,  Geographie,  Physik  und  Naturwissenschaften  neben  dem 
Tanzen,  Fechten  und  Reiten  als  systemisirte  Unterrichtsgegenstände  im 
Studienplan  der  für  die  Söhne  der  Adeligen  bestimmten  Gymnasien. 
Man  nannte  diese  Wissenschaften  und  Künste  die  „galanten^',  wie  man 
ja  auch  in  andern  Beziehungen  diesen  Ausdruck  für  „ritterlich"  oder 
„den  vornehmen  Ständen  vorbehalten"  zu  gebrauchen  pflegte. 

Letbkitz,  Seckendokff,  Thomasius  und  andere  vorurtheilsfreie 
Männer  verlangten  mit  Entschiedenheit,  dass  die  Realien  in  den  Lehr- 
plänen eine  grössere  Berücksichtigung  erhielten.  Aber  noch  weit  mehr 
als  diese  wurde  die  Muttersprache  an  den  deutschen  ünterrichtsanstalten 
vernachlässigt.  In  Pommern  wurde  den  Lehrern  an  den  Lateinschulen 
i.  J.  1690  eingeschärft^  sie  möchten  mit  ihren  Schülern  stets  lateinisch, 
•niemals  deutsch  reden,  weil  das  letztere  leichtfertig,  ärgerlich  und  schäd- 
lich sei.^  Der  Pädagog  Francke  in  Halle  klagte  i.  J.  1709  darüber, 
dass  es  selten  einen  Studenten  gebe,  welcher  einen  deutschen  Brief  ohne 
orthographische  Fehler  zu  schreiben  im  Stande  sei.  Auch  auf  diesem 
Gebiet  war  eine  Reform  dringend  geboten. 

Die  Modemisirung  der  gelehrten  Schulen  begann  im  18.  Jahr- 
hundert und  vollzog  sich  auf  Kosten  der  Studien  in  den  alten  Spra- 
chen, welche  im  Lehrplan  eine  wohlthätige  Beschränkung  erfuhren. 
Einige  verrannte  Philologen  jammerten  zwar  darüber  und  prophezeiten 
für  Deutschland  die  Wiederkehr  „der  Barbarei  des  Mittelalters";  aber 
ihre  Worte  erfüllten  sich  nicht,  wenn  man  nicht  in  dem  Auftreten  von 
IiESsiNa  und  Klopstock  einen  Rückschritt  der  Cultur  erblicken  will, 
wie  Paulsen  witzig  bemerkt* 


*  Tholuck  a.  a.  0.  I,  1,  173.  —  Biedericann  a.  a.  0.  IT,  1,  511. 

*  Pauijsen  a.  a.  0.  S.  378. 


Dct  mediem.  UnterrüM  m  dm  theoret,  Fächern^  i 


'  Anatomie  etc.    329 


Der  medicinische  Unterricht  in  den  theoretischen 

Fächern,  sowie  in  der  Anatomie,  Botanik,  Chemie 

und  Arzneimittellehre. 

In  der  Organisation  des  Unterrichts  und  im  Lehrbetrieb  der  Uni- 
sitaten  än(h.^rte  sich  während  des  17*  Jahrhunderts  nur  wenig.  Selbst 
büi  den  medicinischeu  Facal taten  bildeten  lüe  theoretischen  Vorlesungen 
die  Huuptaache,  wenn  auch  die  Bedeutung  der  praktischen  Demonstra- 
tianen  mehr  als  früher  anerkannt  wurde. 

In  einem  Lektionskatalog  der  Universität  Wurzburg  v.  J,  1604 
werden  folgende  Vorlesungen  von  der  medicinischen  Facultät  angekün- 
digt: 1)  Hekm.  Biekman  liest  über  die  drei  prognostischen  Schriften 
des  MiPiȟKRATES.  2)  JoH.  Stiingel  bespricht  die  Krankheiten  der 
Brost  und  einiger  anderer  Organe.  3)  Geobg  Li:ykk  trägt  über  die 
üntenH^biede  und  die  Ursachen  der  Krankheiten  und  ihrer  Erschei- 
nungen nach  Gaj.ex  vor.  *  t>ie  Professoren  behandelten  ihre  Lehr- 
anfgaben  mehr  nach  der  literargeschichtlichen  Methode  der  iScholastik, 
als  im  Sinne  des  induktiven  p]mpiri<mus  der  Neuzeit. 

Eine  strenge  8eheidung  der  Lehrkanzeln  nach  den  verschiedenen 
Disciplinen  kam  erst  im  18.  Jahrhundert  allmalig  zu  Stande.  Sie 
wurde  notbwendig,  als  die  Entwickelung  des  praktiscben  Unterrichts 
in  der  Medicin  eine  Summe  von  Specialkenntnis^en  in  einzelnen  Üis- 
dplinen  verlangte.  Wahrend  vorher  die  Professoren  ohne  Schaden  für 
Jen  Unterricht  ihre  Lehrkanzeln  wechseln  durften,  da  der  Zustand  der 
Wissenschaft  eine  gleiebnnV-sige  Ausbildung  in  derselben  gestattete, 
blieben  sie  von  jetzt  ab  auf  ein  bestimmtes  Fach  beschrankt,  damit  sie 

auf  diesem  Geliiete  zum  Meister  entwickeln  kunnten.  Doch  brachte 
die  dorch  die  niedrigen  wissenschartlichen  Anforderungen  ermöglichte 
und  durch  die  fimiliche  linanziclle  Lage  der  Universitäten  gebotene 
piringe  Anzahl  von  systemisirteo  Lohrkanzeln  mit  sich,  dass  von  dem- 
en  Ijehrer  fast  überall  mehrere  Disciplinen  gleichzeitig  vertreten 
len.  So  war  an  den  meisten  Hochschulen  das  Lehramt  der  Botanik 
nnd  Cliemie  mit  dr^m  der  Arzneimittellehre,  dasjenige  der  AntUomie 
mit  dem  der  Uhirurgie,  dasjenige  der  Physiologie  mit  dem  der  Ana- 
lamie  oder  allgemeinen  Pathologie  vereinigt. 

fift  kam  sopr  vor,  dass  Professoren  einer  andern  Facult<it,  z.  B. 
der  philosophischen f  Vorlesungen  über  einzelne  Theile  der  Heilkunde 


t'\  w  Wsiiele:  Gcdcbichte   der  üiuvcrsitftt   Wüncborg,    Wiirzburg   1885, 


H,    '12^u 


330  Der  niedicinwche  UntetTicht  in  der  Neuzeit. 


hielten,  wie  es  sich  auch  andererseits  nicht  selten  ereignete,  dass  Medi- 
ciner  ihre  Lehrthätigkeit  auf  Wissenschaften  ausdehnten,  die  ihrem 
Berufe  fern  lagen. 

H.  CoNRiNG  in  Helmstädt  lehrte  nicht  blos  Medicin,  sondern  auch 
Philosophie  und  Politik  und  wurde  „der  Begründer  der  deutschen 
Rechtsgeschichte",  wie  0.  Stobbe  sagt.  Meibom  las  neben  der  Medicin 
noch  über  Geschichte  und  Dichtkunst,  und  Jon.  Heinb.  Schulze 
hatte  in  Altdorf  neben  seiner  medicinischen  Professur  den  Lehrstuhl 
für  griechische  Sprache  und  in  Halle,  wohin  er  später  übersiedelte, 
denjenigen  der  Beredsamkeit  und  Archäologie  inne. 

Die  damaligen  Universitäten  waren  in  dieser  Hinsicht  unsern 
heutigen  Gymnasien  ähnlich,  an  denen  ja  auch  bisweilen  ein  Mathe- 
matiker einen  Theil  der  Unterrichtsstunden  des  Philologen  übernimmt 
oder  umgekehrte  Es  wurde  in  jener  Zeit  vom  akademischen  Lehrer 
nicht  verlangt,  dass  er  die  Wissenschaft,  welche  er  vortrug,  durch  eigene 
Arbeiten  gefördert  habe.  Protektionen,  Vetterschaften,  persönliche  Vor- 
züge und  allerlei  Zufälligkeiten  waren  oft  die  Ursachen,  welche  die 
Verleihung  einer  Professur  bewirkten. 

Übrigens  waren  die  damit  verbundenen  Besoldungen  manchmal  so 
gering,  dass  sich  kaum  Bewerber  darum  fanden.  An  kleinen  Hoch- 
schulen musstc  man  zufrieden  sein,  wenn  einer  der  dortigen  Ärzte  sich 
bereit  erklärte,  eine  Lehrkanzel  der  medicinischen  Facultät  zu  über- 
nehmen, die  er  dann  vielleicht  verliess,  wenn  sich  ihm  die  Aussicht 
auf  eine  einträgliche  Praxis  in  einer  grösseren  Stadt  darbot 

An  den  deutschen  Universitäten  war  es  üblich,  dass  der  Lehrer 
seinen  Vorlesungen  eine  Schrift  oder  ein  Lehrbuch,  welches  den  Gegen- 
stand behandelte,  zu  Grunde  legte.  An  den  Inhalt  desselben  pflegte 
er  seine  eigenen  Bemerkungen  anzuschliessen. 

Die  lateinische  Sprache,  welche  dabei  gebraucht  werden  musste, 
war  nicht  geeignet,  ein  allseitiges  tiefes  Verständniss  der  Sache  zu  er- 
möglichen ;  sie  verleitete  zu  Missverständnissen  und  gewöhnte  an  hohle 
Eedensarien,  hinter  denen  sich  die  anspruchsvolle  Oberflächlichkeit  zu 
verberg(»n  suchte.  Es  lässt  sich  leicht  ermessen,  dass  diese  Zustande 
für  die  Ausbildung  des'  Arztes  die  übelsten  Folgen  haben  mussten. 

Freie  Vorträge  wurden,  wenigstens  an  deutschen  Universitäten, 
selten  gehalten;  denn  sie  setzten  voraus,  dass  der  Lehrer  sowohl  sein 
Fach  gründlich  beherrschte,  als  auch  eine  ausserordentliche  Gewandt- 
heit im  Gebrauche  der  lateinischen  Sprache  besass. 

Erst  im  19.  Jahrhundert  gelang  es,  die^e  das  Lehren  und  Lernen 
ohne  Noth  erschwerende  Sitte  abzuschafien.  Niemals  kann  die  Schuld 
für  den  Schaden,  der  dadurch  den  Studierenden  und  den  Kranken,  der 


Der  medicm,  Unterricht  in  den  theoret,  Fäcliet^,  soum  in  der  Anatomie  etc.    33 1 


medicinischen  Wissenschaft,  wie  der  deutschen  Culturentwickelung  zu- 
gefügt wurde,  gesühnt  werden. 

Der  praktische  Unterricht  in  der  Medicin  lag,  wie  erwähnt,  An- 
fangs ausserhalb  des  Studienplanes  der  Universitäten.  Er  wurde  nur 
allmalig  in  denselben  aufgenommen;  am  frühesten  geschah  dies  mit 
der  Anatomie,  am  spätesten  mit  der  klinischen  Unterweisung  am 
Krankenbett 

Die  Fortschritte,  welche  der  anatomische  Unterricht  in  dieser 
Periode  machte,  bestanden  in  der  Vermehrung  des  Studien-Materials, 
der  Tollstandigeren  Ausnutzung  desselben,  der  Gründung  anatomischer 
Sammlungen,  der  Errichtung  von  besonderen  Professuren  und  Instituten 
för  dieses  Fach  und  in  der  Theilnahme  der  Studierenden  an  den  Zer- 
gliederungen. 

Der  Mangel  an  menschlichen  Leichen  nöthigte  freilich  dazu,  dass 
häufig  in  der  früher  üblichen  Weise  thierische  Körper  zu  anatomischen 
Studien  verwendet  wurden;  doch  geschah  dies  jetzt  mit  grösserem 
Nutzen  für  die  anatomische  Ausbildung  und  führte  zur  Beobachtung 
mancher  werthvoUen  zootomischen  und  vergleichend  -  anatomischen 
Thatsache. 

Wenn  die  Zahl  der  menschlichen  Leichen,  welche  den  anatomischen 
Lehranstalten  zur  Verfügung  standen,  klein  war,  so  muss  man  bedenken, 
dass  auch  nicht  viele  Studierende  vorhanden  waren,  so  dass  der  Ein- 
zelne Alles  deutlich  sehen  und  beobachten  konnte.  Doch  wurden  dem 
anatomischen  Unterricht  durch  die  Nachlässigkeit,  mit  welcher  die  Be- 
hörden die  Lieferung  des  erforderlichen  Leichenmaterials  betrieben,  durch 
die  ermüdenden  Weitläufigkeiten  und  zeitraubenden,  von  unverständigen 
Bureaukraten  ersonnenen  Schreibereien,  die  damit  verbunden  waren, ^ 
und  vor  Allem  durch  die  unter  dem  Volke  herrschenden  Vorurtheile 
viele  Schwierigkeiten  bereitet 

In  den  Kreisen  der  Vornehmen  Hessen  dieselben  allerdings  nach; 
sie  machten  hier  einer  wissenschaftlichen  Neugier  Platz,  welcher  bis- 
weilen eine  Haut-gOut-artige  Sinnlichkeit  nicht  fehlte.  Die  Leichen- 
Sektionen  erschienen  als  piquante  Schauspiele,  zu  denen  sich  die  Zu- 
schauer drängten;  den  Höhepunkt  der  dramatischen  Situation  bezeichnet<? 
die  Demonstration  der  sexuellen  Organe,  für  welche  ein  erhöhtes  Ein- 
trittsgeld gefordert  wurde.  Als  der  regierende  Herzog  von  Würtem- 
berg  im  J.  1604  den  Besuch  von  drei  sächsischen  Prinzen  empfing, 
führte  er  sie,  um  ihnen  eine  Unterhaltung  zu  verschaffen,  nach  Tübingen, 
wo  sie  der  JZergliederung  einer  menschlichen  Leiche  beiwohnten,  welche 

'  Pramtl  a.  a.  O.  T,  49ß. 


832 


Vhterrioht  in  dsr  Msmsü» 


licht  Tnjyo  dauerte.*    Der  Anatom  Wkrnkk  Rolfenk  in  Jena  wnrit  m 
i\vn  IW  naoh  Weimar  be^chiedeii,  wo  er  in  Gegenwart  von  Fürsten 
vornelmion  Ht^rron  eine  Sektion  ausführen  musste;  sie  bildete  gleiei 
einen  Theil  der  Vergnügungen,  welche  der  Herzog  seinen  Gä^t^in 
In  Frankreich  wurde  das  wissenschaftliche  JnU*re.sse  Modesache;  si 
hochstehende   Damen  scheuten   sich  nicht,   Üefallen    an   anatonii: 
L>emonstnilionen  zu  fin<len. 

Anders  dachU^  das  Volk  darüber.     Hier  erhielt  «ch  der  fn 
Aberglaube,  welcher  in   der  anatomischen  i^rgliederting  des  nn 
liohra  Kurpers  t-in  Verbrechen  sah,  das  an  ihm  ausgeübt  wurde. 
kam  das  aus  alten  Zeilen  mummende  Mährchen]^  das«  die  Anal 
wen&  8ie  keine  Utidieii  nir  Verfügung  haben,  auch  lebende  Mi 
tu   ihn^n    l^nl^vochiiiigeiB  Terweniieten.      Die   dadorch    erzeugt« 
bitterung  wurü^  mdk  pseteigtit  durdi  die  illegile  Art,  in  welcher 
liiioben  in  den  Besitz  der  uaMmaAm  AnstilCeD  gekngten> 

la  JtM  eriMUn  mA  Xmkmi^f  wtUlm  mm  IM» 
«MM,  beipoor  m  i&m  Heiter  ftlieiafAiii  wvnin^  die  Gmde  ausi, 
Vkvti  Kt^q»er  iiiclit  dem  PniiowNr  Bouisa  tbefUefert  worden^  uml  die 
Piaetii  itt  der  Vwigtfmi  mm  Imm  hemm  die  Qfiber  ihier  An- 
gAtey«  Wmctai,  diMÜ  dcMB  UUkm  nhl  „gereUbikt^  wMa 
i.  Bmmm  mmsm  imi  m&  Wirttaig  ikhen^  wd  er  den  Leidnan 
Wdtei  iMtfiilm  iMa*  ta  Bttlia  imd  Ljpob 
wdoiH^RglaiTelk 
;^  9K  4«  gliirfcM  Gmnde 

hm  Hl  dkene  Tainha  «AH  jiTail  I  niwii»aMia,    Vor 


Hauji  f^ 


.  «.«.^.^ira. 


seit,  TiJ 


Der  maUdm,  Unterricht  in  den  tiieoret.  Fäoliem,  mune  in  dsr  Äntdonm  eio,    333 


Stehende  dortige  ATJatomi>  eThielt  jährlich  30—40  Leichen.'  Ebenso 
irömtig  stand  es  in  StraRshiiri?;  im  Winter  d.  J,  1T25  wurden  in  der 
dortigen  Anatomie  30,  ITtJO  sogar  60  Leichen  zergliedert.^  In  Paris, 
I^fden  und  an  einigen  italienischen  Hochschulen  war  man  so  viel  als 
mojrlich  bf-mnht,  die  anatomischen  Lehranstalten  mit  dem  nothweridigen 
Studien-Matt'rial  zu  ven^or^^en,  Albertini  in  Bologna  erzählte,  dass 
in  ihm  selbst  in  wohlhabenden  Familien  bereitwillig  die  Erhmhniss 
Sektion  ertheiH;  habe,  wenn  es  sich  darum  handelte,  die  Ursiiche 
einer  Krankheit  zu  ergründf^n. 

An  andern  Ortt'n  liatle  die  Vernachlässigung  der  anatomischen 
Demonstrationen  nicht  so  sehr  in  dem  iMangel  an  Leichen,  als  in  der 
Bequemlichkeit  und  dem  Unverstand  der  Professoren  ihren  Grund  In 
Pr  b*n  in  einem  Zeitraum  von  22  Jahren  (1690 — 1712)  nur  drei 

Z»i  ingen  vorgenommen.^   In  Wien  fand  während  des  Jahres  1741 

nicht  ein  einziger  Actus  anatomicns  statt;  als  der  Professor  dieses  Faches 
der  Regierung  deshalb  getadelt  wurde,  bmchte  er  unter  Anderem 
j^met   Entschuldigung   vor,    diiss    er  keinen   Prosector  zur  ünter- 
stJItamiig  gehabt  habe.'*     Die  medicinische  Facultät  zu  Ingolstadt  be- 
lltragt e  im  J.  1753  sogar,  die  Professur  der  Anatomie  gänzlich  auf- 
beben, da  es  am  besten  sei,  diese  Wissenschaft  erst  nach  der  Ab- 
solvirnng  der  medicinischen  Studien  während  der  ärztlichen  Praxis  zu 
lernen.  ^ 

Doch  traf  man  im  18.  Jahrhundert  in  den  meisten  deutschen 
Staaten  Einrichtungen,  um  dem  beständigen  Leichen-Mangel,  an  welchem 
die  anatomischen  Lehranstalten  litten,  abzuhelfen.  Jm  J.  171(i  verurd- 
nc»te  die  kurfürstlich  sächsische  Regierung,  dass  die  Leichen  aller  zum 
T<Kle  verurtheilten  Verbrecher  des  Leipziger  Kreise«  auf  Verlangen  der 
igen  medicinischen  Facultät  ohne  W' eiteres  der  Anatomie  übergj'ben 
Inlen.  Di^sgleichen  wurde  aucli  für  die  Bedürfnisse  der  Anatomie  zu 
Wittenberg  Sorge  getragen.  Im  J.  1723  wurde  bestimmt,  dass  auch 
I/.*ichen  von  ertrunkenen  und  todt  gefundenen  Personen,  insofeni  es 
ic)'  "'^it  um  ,,hontiratiores**  handelte,  sowie  von  Selbstmördern  und 
ti  .j,  die  in  den  Gefängnissen  starben,  zu  anatomischen  Zwecken 

ffrwendet  werden  sollten;  femer  wurde  verfügt,  duss  die  armen  Leute^ 
telcho  in  den  Krankenhäusern  auf  oftentliche  Kosten  verpflegt  wurden, 
wpfm  s\f}  dort  starben,  und  ihre  Angehurigen  die  Begräbnisskosten  nicht 
n  konnten,  den  medicinischen  Facultäten  überliefert  wurden, 


•  A.  Valektin  in  der  DenkBchrift  über  Ä.  v.  Haller,  Bern  1877,  8.  72. 

•  WtEOics  a.  a-  0.  8.  82. 

•  IIyrti-i  Gc*K^bicbte  der  Anatomie  in  Prag,  1841,  8,  26. 

•  EosAü  a.  a,  U,  M,  256,  •  Prantl  a.  a.  0   T,  607. 


.Uli*  u 

m  OfAüm^m  iriridt  die  LMmb  dir  PMcitiluirttfii 
In  W«  iwwrtm  «t  t  ~ 

dbLddMfni  :  -   .1 
Mkni.^  iLSfoUs  trvmrtite 
w«*nn  aiicb  die  I^eii 
wortteou     Die  Anatoi 
/^  Abo  m  Finiilaiid  dufte  e^gar  die  Leiebfn  aller  Ilti)«iig«rn, 
eine  UnierrtfttsEDiig  rom  Slaal  feimMi,  m  Anqüiidi  nehas^iu 

In  dieser  Periode  begBitn  msa  iiieh  bemdefv  ßebipde  fOr 
AMloniie  211  errichtea  fljumr  bei  eine  BeMhrttbMig  dee  m 
AmphhhmU'TH  hinterbneiiT  vdobee  im  J.  1tt04  m  Pariis  erbaut 
Die  Hennti^llang  denelben  i^eeehab  hituten  14  Taften;  es  war 
klein  tin<l  «lurohao«  oieht  tiolid.  Schon  nach  kurzer  Zeit  wurde  an 
Mfiner  .Stelle  ein  uji^mmr^s  und  iweckmäittiger»  itebtiude  erricbteit^ 
welfjhf»«  indefisen  auch  recht  »H^hlecht  war.  Vs  hatte  z,  B,  keine  Finistpr, 
Hornlrm  nur  Luftloch'T,  wie  IIazon  erzählt,  der  darin  ab  Stu<loni  im 
*L  1730  VorloHungen  hört«,  und  war  daher  der  Kalt«  und  dtrm  Winde 

Auf  WiNi^MiWH  VeninltiHüung  und  unter  seiner  Ixütung  erhielt  ik 
PariKer  Aniitoiiii««  im  J.  1744  ein  (^ebundi^  au^  Q^iader^teinttn^  vntk\ktö 
Ulli  UhMl'en>5(i>rn  verHi^hen  war.  Die  anatomische  Le^  *  't  m  Leideü 
war  mit  Skelcit^'n  v«jn  Mun^chen  und  Thioren  vers<  h  .  Arten  au»* 

gf»Hl.[it(4*t  und  ^.^eriiumi^'  oingnricht^tt.''*  Die  Chirurf^MnÄuntl  in  KtUnburg 
grfmdi'i**  1»>U7  t'iii  aiinkmiischeM  Thealer,  in  weleliern  Demoni^traUoiien 
HUUiraiKleri,  nm\  st^huf  1705  ein*'  Prorossur  der  Anat<»mi<*, 

Iti  WiirÄburj?   \x\mU'   im  J,   1724    ein   anati>misciies  Theater  e^ 
rir-litt't;  cH  war  ein   Kii[»|H'lbaii  mit  Oherlicht.  halii*  llies^nendes  W 
iinil  kosiele  MMHJO  II    Im  Parnasisus  boicus  (München  1725,  p.  81<', 
darüber  beriehtet:  ,,Zur  Aulnamb  des  Studii  anatomici  and  chirurgiet 
gpabret  man  keine  Kosten,  und  ist  ein  berühmter  Cbirur^us  auU  Paris, 
MonHieur  Sivort,  unter  einer  starken  llesuldun^  (nämlich  400  Keich»- 
Üialer)  dahin  Iwruffen  worden,  umb  die  chinir^schen  Griff  ge«chick1 
^n  und  die  Anatomie  oder  Zer^'liederung  deß  menschlichen  Lethi 


ItO, 


•  .1.  P.  ¥mK»m  a,  a.  ih  VI  2,  K.  7»  a,  ff: 
«  .!.  Ih  JaitK:  l^ikou  J«*r  k,  k.  Medicinalg^elie,  Png  lim,  Yl,  TIS  u.  i 

*  Auk  Kyfh:  Mtclieiiuufi  rite  dJicoodi  •!  «mravodi  oietfiodiifi,  Lugd.  Batan 


Mi 


Der  tnedicin.  Unterricht  in  den  theorei,  FäcJiem,  sowie  in  der  Afiatomie  et^.    335 


zu  lehren,  worzu  ihm  aus  dem  prächtigen  Spitall  die  Körper  angeschafft 
werden:  wie  er  denn  unlängst  an  einer  in  Raserey  verstorbenen  Frauen- 
Person  ein  Probstuck  abgelegt."  Im  J.  1788  wurde  die  anatomische 
Anstalt  zu  Würzburg  erweitert,  indem  an  das  Amphitheater  zwei  Säle, 
in  denen  die  anatomische  Sammlung  untergebracht  wurde,  ein  Saal  für 
die  Präparir-Übungen  der  Studierenden,  ein  Zimmer,  in  welchem  der 
Professor  arbeitete,  und  eine  Küche  angebaut  wurden.^ 

Die  Universität  Breslau  wurde  1 745,  und  diejenige  zu  Königsberg 
1738  mit  einem  anatomischen  Theater  ausgestattet;  das  letztere  ver- 
dankte seine  Existenz  dem  damaligen  Professor  der  Anatomie,  der  es 
auf  seine  eigenen  Kosten  erbauen  liess.=^  Das  anatomische  Theater  zu 
Pavia  fasste  400  Zuschauer,  war  sehr  hell  und  mit  den  Bildnissen  der 
berühmtesten  Anatomen  geschmückt.  In  dem  daran  stossenden  Saale, 
welcher  mit  breiten  Steinplatten  belegt,  mit  einem  Herde,  mit  grossen 
Keseln  und  bestandig  fliessendem  reinen  Wasser  versehen  war,  fanden 
die  Secir-Übungen  der  Studenten  statt.  ^ 

Derartige  Anstalten  wurden  auch  in  Städten,  welche  keine  Uni- 
versität besassen,  wie  in  Berlin,  Bremen,  lYankfurt  a.  M.,  Nürnberg  u.  a.  0. 
errichtet  und  den  dortigen  Ärzten  und  Chirurgen  zum  Gebrauch  über- 
geben. An  manchen  Orten  wurde  ein  Schuppen  oder  ein  anderes  Lokal, 
welches  nicht  benutzt  wurde,  für  die  anatomischen  Sektionen  und  Demon- 
strationen verwendet. 

Ausser  den  anatomischen  Instituten  entstanden  auch  anatomische 
Museen,  welche  bald  als  werth volles  liChrmittel  beim  medicinischen 
Unterricht  erkannt  wurden.  F.  Rutsch  legte  eine  Sammlung  ana- 
tomischer Präparate  an,  welche  er  im  J.  1717  um  den  enormen  Preis 
Ton  30  000  fl.  an  Peter  den  Grossen  verkaufte.  Binnen  zehn  Jahren 
gelang  es  ihm,  eine  neue  Sammlung  herzustellen,  welche  zum  grössten 
Theile  vom  polnischen  Könige  Johann  Sobieski  erworben  wurde,  der 
dafür  20  000  a  bezahlte. 

JoHK  HuNTEES  bcrühmtcs  Museum  enthielt  14  000  anatomische 
Präparate;  es  wurde  nach  seinem  Tode  von  der  englischen  Regierung 
für  15  000  Pfd.  Sterling  angekauft  und  dem  R.  College  of  Surgeons  zum 
Geschenk  gemacht,  wo  es  sich  noch  heut  befindet.  Grossen  Ruf  ge- 
nossen auch  J.  N.  Liebebkühn's  Injektions-Präparate,  sowie  J.  G.  Walteb's 
anatonousche  Sammlung,  die  Frucht  einer  angestrengten  Arbeit  von 
54  Jahren;  sie  bestand  aus  2868  Nummern,  wurde  im  J.  1803  von  der 


•  KöLLKEB  a.  a.  0.  S.  25.  75.  7S. 

•  D.  H.  Arholdt  a.  a.  0.  —  Frank  a.  a.  0.  VI,  2,  S.  88. 

•  J.  F.  Feahk  a.  a.  0.  VI,  1,  S.  327. 


pT^nflsisolien   Regiprnö^^MooOüO  Thater  erworlwn  und  WWete 
Grundi^iiick  den  tinatumisch-zooUjmiiPichen  MoseuniH  der  B4>rliDer  U« 

Auch  wiir<i*in  von  geübten  KünsÜem  Nachhildungen  anatorai* 
Präparate  in  Wa^hs  angi^fertiyrt,  welche  zum  medicinischen  Unten 
dienl-eti,     EinztOne  Italif  ner  erreichten  in  dnn  Model lir-Arl)eiien  dii 
Art  eiun   bewundpnmgswürdige  Gasehicklichkeit     Der  Kaiser  Jtwf' 
Ijbh«  eine  berühmtr  Sammlung  von  AV'achs- Präparaten,  welche  in  Florüm 
unter   Funtana's   Leitung   hergestellt  worden  war,   für  30  000  ft.j 
kiiTifen,   nanh  Wien    bringen  und   als  Lehrmittel  der  militrirur/tlifh^ 
Akademie  übergeben.     Übrigens  machte  schon    P.  Frank  darauf  auf* 
merksam,  da«s  diese  Waehs-Nachbildiingen  sich  nicht  so  sehr  für  ühh 
anatomischen   Unterricht  der  Studierenden  der  Medicin  eignen»    ' 
zu  empfehlen  sind^  wenn  es  gilt,  Laien,  welche  einen  unüberwiii'i 
Abscheu  vor  Leichen   haben,   eine  all|?emeine  oberflächliche  Kennt] 
des   menschlichen    Körpers   und   seiner   verschiedenen   Theile  zu 
schatVeu. 

Kin  wichtiges  T^ehrmittel  für  den  anatomischen  Unterricht  bild«^ 
ferner  die  aruitiiiniscben  Tafeln  und  Zeichnunpen,  welche  theils  (dh 
ständig  t^rscliienen,  theils  den  Lehrbiichern  der  Anatomie  beig«gtbi 
wurden.  Jon.  Hkmmklin  nahm  die  echon  früher  geübte  Methode 
wieder  aul',  durch  aiifq:ek lebte  und  biuwegzuschla*:ende  Bilder  dit^  l^agis 
rung  d<T  Muskelscbichten  und  Eingeweide  kenntlich  zu  nmchrn;^  in 
derselben  Weise  verfuhr  tJLOPTtiN  Havebs. 

Vortrefllicbe  anatomische  Tafeln,  namentlich  über  die  Verfcheilun^ 
der  Nerven,  verdankt  man  dem  Maler  PrKTEo  da  Cortoxa;  die  Titel- 
vignetM  der  Ausgabe  von  1741  stellt  die  Blut-Transfusion  dar,   GKßAau 
i>K  Laihkssi.:  lieferte  die  Zeichnungen    für  das  anatomische  Lehrbuch 
des  U,  linnAK».    Vorzugi^iweise  liir  Künstler  berechnet  waren  das  anar 
tomische  Werk  von  B.  Oenoa  mit  den  Zeichnungen  Ch.  KjtitABDB,  die 
Aiifihtmia  dri  piitori  des  Carito  Cksio,  welche  auch  in  deutscher  ükr- 
set/ung   erschien,    ferner  das    vom    spanischen   Anatomen    und    Maler 
Mahtini<;z  entwtu-fene  Bild  der  Muskeln  des  K»)rpers,  welchem  sich  duniU 
seine  tadellosen  Proportionen  auszeichnet,  die  Tafeln  von  Ekcolb  Lkllc 
u,  a.  m.     Auch    die  Ku|der,    welche   die   anat/omischen    Schriften   von 
W,  Ch^iseldkn  und  Dom,  SAjrroHiNi  zierten,  ragk^n  durch  ihren  hohe» 
künstlerischen  Werth  hervor;  die  letzteren  wurden  von  Mdroaoki  (3c 
Musterbilder  erklärt. 

Ein  weiterer  Fortschritt  bestand  in  der  Einführung  colorirter  Zeich- 


*  CntitfLAKT:  Gwwhielite  der  anat  Abhüdting,  Lcipsig  1852,  S,  89, 


mnigen  fftr  anatomische  Darstellangen;  dadurch  konnten  die  Arterien, 
Veiien,  Nerven  und  die  einzelnen  Organe  scharfer  unterschieden  werden. 
Zum  ersten  Male  kam  dies  in  den  Hcilzschuitten  zur  Anwendung,  mit 
freichen  i\  Asellt  seine  Arbeit  über  die  Chylus-Geföi^e  ausstattete. 
Im  Beg^inn  des  18.  Jahrhunderts  machte  der  Miniatur-Maler  J.  ChiB. 
liB  Bu)S  <üe  ersten  Verbuche  in  gefärbter  SchabkuQst;  1721  veröffent^ 
liebte  er  das  ersfte  anatomische  Bhitt,  das  nach  diesem  Verfahren  her- 
gestellt worden  war.  Aber  in  weiteren  Kreisen  bekannt  und  für  die 
iinatomiBchen  Dar^teüyn^en  verwerthet  wurde  die  neue  Erfindung  des 
Bii--^  ^'nJ ruckt«  er^tt  durch  Jan  Ladmiral,  welcher  mehrere  Ab- 
li.ii  ;  (I  der  Anatomen  B.  8*  AfiBiNUB  und  F,  Ruysch  mit  der- 
irtigeii  Abbildungen  versah,  sowie  durüh  J.  F.  Gautieb  d'Agüty 
ikr  dabei  hauptsächlich  anatomische  Präparate  Düyebnky's  als  Vorlage 
licnutzt'e. 

Akbikus  hinterliess  eine  ausführliche  Beschreibung  der  Herstellung 
an  lier  Zeichnungen  und  gal»  dabei  beachtenswerUie  Rathschlfige, 

wi  I    hier   EU   vermeiden    und    welche    Kegeln    zu    berücksichtigen 

»ind**  Er  verwendete,  wie  er  selbst  erzahlt,  die  Summe  von  24  000  Gul- 
den ans  seinem  eigenen  Vemingen  »luf  die  Anfertigung  anatomischer 
Tafeln.^  Als  Zeichner  stand  ilim  Jan  WANOKLiiKR  zur  Seite.  Auch 
Hallkb^  welcher  eine  Sammlung  anatumischer  Abbildungen  veranstal- 
tete, und  W.  HiTNTEii,  dem  mati  die  btjste  Darstellung  des  schwangeren 
Uterus  verdankte,  wurden  von  tüchtigeu  Künstlern  unterstützt  End- 
lich gab  PiKTKH  CAMeER,  welcher  den  Zeichenstift  ebenso  geschickt  zu 
^hren   verstand  als  das  Secirmessery  werthvnlle  Autschlüsse  über  die 

lematische  Couformation  des  Kopfes  und  machte  auf  die  Bedeutung 
■b  nach  ihm  gpnannten  Gesichtswinkels  für  die  Beurtheilung  der 
«rei^tigen  Begabung  der  Menschen  aufmerksam. 

Über   die    Art.   in    welcher    der   anatomische    Unterricht    eriheilt 

le,  erhalten  wir  durch  mehrere  Bilder  der  niederländischen  Schule, 
wif  denen  hervorragende  Arzte  jener  Zeit  dargestellt  werden,  wie  sie, 
umgeben  von  ihren  Schüleru  oder  befreundeten  Collegen»  über  ana- 
^mische  oder  chirurgische  Fragen  Vorträge  halten,  eine  klare  An- 
^uung. 

ItEM:BiLiNDT*ö  berühmtes  Gemälde:  „Die  anatomische  Vorlesung", 
wdche:;}  zu  den  bedeutendsten  Schöpfungen  dieses  grossen  Meist<:!rs  ge- 
hört, xeigt  den  Amsterdamer  Anatomen  Nie,  Tflp,  der  damals  zugleicli 


'  B.  S.  ALBtNCTB:  Aciwi.  annotat^  Lugd.  Bat*  1754,  lUi.  T,  Prnef,  p.  7  ii.  ff-, 
Via,  IK  30.  50. 
^  Ajjmnifl  s.  n.  O.  Hb.  tli.  p.  73. 


,M_ 


die  Würde  des  Bärgermeist^rs  bekleidete,  in  dem  Augenblick,  da] 
geineti  ärztlichen  Collegen  eine  Lfinh»^  demoustrirt;  das  Bild  beßn 
sich  gegenwärtig  in  der  kuniglichnn  Guilerie  im  Haag  und  Ist  dn^ 
(](m  Kupferstich  sehr  bekannt  (rewonlon.  Auf  *nnvm  anderen  HiWe 
l\i!:MitRANi>T  den  Dr,  Dkymann,  dfu\  Nachfol^'er  Ti'U'^h  im  U>hr 
dargestellt,  wie  er  mich  Kntternung  des  Schädeldaches  ein  iiehij 
pnlparirt. 

Ähnliche   Gemiiide   werden    in    Amstrerdam    und    and^^ren   Orft 
Hollands   aufbewahrt;    es    betinden   «ich   darunter   Werke   von  A 
1*ii:tkhskn,  Th,  pk  Keyskr,  Mit'iL  Mikkwki.i,,  AimrAK  Bakkb,  Coi 
TnutisT  uinl  T.  Hkgtkhs.    Sie  waren  grn^stentheils  für  die  C^hir 
Gilde  in  Amsterdam  bestimmt  ^    Sie  bilden  wichtige  Ducum<^nti*  sowa 
für  die  Geschichte  des  meditijiischen   Unterrichts   als    für  die 
Stellung,  welche  die  Ärzte  zu  jener  Zeit  in  den  Niederlanden  *'inna 

Der  anatomische  Unterricht  l>eschränkte  sich  nicht  mehr,  wie 
früheren  Zeiten^  auf  die  Demonstration  der  Organe  der  grossen  KorjK! 
hrdik^n,  s<mdem  unterzog  auch  die  Muskeln,  GetTisse  und  Nerven  lunaj 
eingehenden  Betrachtung. 

Auch  wurden  die  Studit^renden  veranlasst:,  selbst  an  den  iiuatoiai 
sehen  Arbeiten  Theil  zu  nehmen.  ÜAiiLEE  hatte  als  Student  in  U^dfli 
Gelegenheit,  unter  der  Leitung  seines  Lehrers  Albinü»  drei  Lßld 
zu  seciren*^  Am  College  de  St.  Conie  zu  Paris  wurden  i*  J.  175tl  an 
tomische  Secirübungen  für  die  Studierenden  emgerichteU^  In  Wii 
führte  der  geistreiche  JtJbBF  Baetii  die  Präparir-Chungeji  für  diu  SU 
diej'enden  ein.  Stoll  und  P.  Fkank  entwickelten  die  Nothwendigksii 
da&3  sich  die  kunttigen  Arzte  an  den  Zergliederungen  ^^lli^f  \u^\]\iä 
I  igten.* 

An    den    meisten  Universitäten    üel   dem  Anatomen    zuubM*"ii  iii 
Aufgabe  zu,  die  pathologischen  Veränderungen  an  der  Leiche  zu  demofl 
striren  und  zu  erklären.    VVkkIjUuf  forderte  dies  ausdrucklieh  in  seirioi 
Gutachten  über  die  Einrichtung  der  medicinischen  Faculttlt  in  Gottingpn. 
Es    geht   dies   auch  aus  der  Thatsache  hervor,    dttss  die  bedeutendöj 
Anatomen  jener  Periode,  wie  Imncisi,  Valsalva,  Mougaöni,  Likittau 
Portal,  SAKinFi>uT,  J.  IIuntee,  HajjLeb  u.  A.  zugleich  die  Gr 
lagen  der  pathologischen  Anatomie  gezeichnet  haben. 


'  J.  B.  TiLANüs:   Ji^schrijviiig  der  Sdiildcrijen   alTtcmietig  van  Uvi  Chimi 
gijnÄgUd  te  Auiött^rdam,  Amsterdam  löflö.  —   P.  TniAJHK:  L«ö  lev^ma  da 
ot  lüÄ  peintres  Hollmidaiin,  Vana  1887. 

'  VALENTrN  a.  a.  0,  S,  6S, 

■  P,  FuANK  a.  a.  CX  VI,  2.  Abtk,  S,  aai,  Anm. 

*  Frank  a.  a.  O.  VI,  2,  S.  87. 


Ditnudiem,  Unterricht  in  (kn  iheweL  Fächern^  soum  in  der  An 


Uan  be^Eüi  auch  8choii  Sammlungen  pathologisch -anatomischer 
Präparate  anzulegen.  Bereits  im  17*  Jahrhimdürt  bewahrte  G.  Kiva  in 
Born  eine  Anzahl  derselben  auf,  die  er  nh  llo^pitalarzt  gewonnen  hatte. 
Später  geschah  dies  häiiüger,  Sömmebing  be^ass  eine  reichhaltige 
pftlhologisch-anatomische  Sammlung,  welche  auf  Brambilla's  Veran- 
lassung um  den  Preis  von  400  Dukaten  für  das  JoseÜnum  in  Wien 
enrorhen  wurde.* 

Zum  Unterricht  in  der  Heilmittellehre  boten  die  botanischen  Gär- 
kUf  in  denen  die  Arzneipflanzen  gezogen  wurden,  und  die  Apotheken 
Gelegenheit  Der  Jardin  des  plantes  zu  Paris  wunle  i.  J.  1020  auf 
^^^illreilien  deü  konigl.  Leibarzte.s  Labhoshe  angelegt.  Gieichzoiüg  be- 
■  stimmte  ein  Dekret  de,s  Königs  Ludwig  XJÜ-,  dass  ,,in  Anbeü^acht, 
das»  an  den  medieinischen  iSchulen  die  pharmaceutischen  Operationen 
nicht  gelehrt  werden,  drei  Doktoren  aus  der  Pari.ser  Facultät  ausgewählt 
vorden,  welche  den  Schülern  das  Innere  der  Ptianzen  und  aller  Me<li- 
cament^  demonstriren  und  die  Bereitung  jeder  Art  von  Arzneien  auf 
einfiichem  und  chemischem  Wege  zeigen  sullteu,  und  das.s  in  einem 
Zimmer  Proben  sämmtlicher  Arzneien  und  allerlei  seltener  Naturgegea- 
^lande  '  -llt  würden."^  Für  die  Erhaltung  dieser  Anstalt  wurde 
«ane  j.n  Summe   von  21  OOU  Livres   ungewie^en.     Naturforscher 

wie  TouRKEFORT,  die  beiden  Jussieu^  Dufay,  Daubeijton  und  vur 
iUen  BüFFüN,  welche  hier  thätig  waren,  machten  den  botanischen 
Uairteu  zu  Paris  zu  einer  europäischen  Berühmtheit. 

Im  Verlauf  des  IT,  und  18.  Jahrhunderts  w^urdeu  ilic  meisten 
Universitäten  mit  V>otanischen  Gürten  ausgestattet>  Durch  seinen  Reich- 
thum  an  ofiücinellen  Plianzen  zeichnete  sich  besonders  derjenige  zu 
Cbebsea  (London)  aus,  welchen  Sir  Haks  Sloane  l  J.  I08t]  der  Lon- 
.|llkiier  Apotheker-Genossenschaft  schenkte. 

Botanische  Gärten  entstanden  femer  zu  ^Imsterdam,  Utrecht,  Kopen- 
hagen  und  Upsala  in  der  ersten  Hälfte  des  17,  Jahrhunderts,  in  Oxford 
(1632),  Edinburg  (1G80),  Cambridge  (1702),  Hsirderwyk  (17ü9)  und 
Petersburg  (1725).  In  Deutschland  wurdeu  die  Hochschulen  zu  Giessen 
(l«09),  Aitdorf  (1026),  Jena  (1629),  Helmstädt  (1034),  Kiel  (1069), 
Halle,  Tübingen  (1675),  Wurzburg  (10^15),  Wittenberg  (1711),  Ingol- 
Rladt  (1723),  GiitUngen  (1737,  Frankfurt  a.  0.  (1744),  Wien  (1740), 
Üreilswald  (1765),  Prag  (1776),  Salzburg,  Marburg  und  Kostuck  mit 
Wi&nischcn  Gärten  verbunden. 


I  i?„r.  WxojreB:  Soerainerings  Leben,  Leipzig  1844,  II,  09. 

iiwia  und  Weil:   Die  wisiaeiiöolmffliclH'ii  Institute  2U  Farig,  Stuttgart 


Auch  dienten  dem  botanischen  Unterricht   die  Sammlunginij 

trockneter  Pflanzen,  sowie  di»'  liotanischen  Bilder-Atlanten,   von 
manche  durch  itire  Naturtreue  übernuschen.  ^     Zu  dem  gleichen  Zi 
unternahmen  die  Studierenden  mit  ihrem  Lehrer  gemeinsame  bot 
Ausflüge,  welche  Herbationen  genannt  wurden. 

Ebenso  wie  beim  botanischen  Unterricht  wurden  auch  beim  cba 
sehen  vorzugsweise  die  Interessen   der  Phannakologie  und   Pha 
berücksichtigt    Es  gab  in  jener  Zeit  hereiti»  an  mehreren  rnivereitl 
Lehrkanzeln  der  Chemie  und  chemische  Laboratorien,  in  denen  die 
Stellung  phannaceutischer  Pniimnite  erlernt  werden  konnte.     Das 
halten  des  Senates  der  Universität  zu  Iimsbruck,  welcher  i,  J.  1740  i 
Errichtung  von  Professuren  für  Botanik  und  Chemie  ablehnte,  bil| 
siclierlich  eine  Ausnahme;  er  begründete  dies  damit,  dass  ein  gröndtiiji 
botanischer  Unterricht  lt>  Jahre  erfordere,  j,da  bei  diesem  neugierig 
mßmdo  immer  etwas  Neues  in  f>€getab%Hbujt  in  Vorschein  komme",  wähl) 
eine  Lehrkanzel  für  Oliemie  zu  viel  Geld  koste,*    Die  beste  tieleg 
zum  Uoterricbt  in  der  Chemi»*  bol^3n  die  Apotheken,  deren  iimexel 
richtungen  durch  H.  Peters,  welcher  in  seinem  Buche  Bilder  der  1 
apolheki»  zu  Ua^tadt  v.  J.  1700,  der  Sternaf)otheke   zu  Nürnberg:  f\ 
1710  und  der  Apotbeke  zu  lüattau  in  Böhmen  v.J.  1733  ve 
lichte^  allgemein  bekannt  geworden  sind.^ 

Die    Aui^biblung   der    Apotheker    gescbfib    handwerksmässie." 
naiurwissensebatl  lieben  Kenntnisse,  welche  von  ihnen  verlangt  wun 
waren  nicht  bedeutend,*    So  schrieb  Fr,  Huffmann:  ,,Dem  Äpotbdffit 
soll  bekannt  s(in,  diiss  ein  Acidum  mit  einem  Aleali  ebullieret; 
es  ist  sübon  genug,  wenn   er  nur  den  Meki,  weiss,   übschon  er 
Ursache  davon  nicht  sagen  kann.** 

Den  Apotbi^kern  liel  neben  der  Bereitung  der  Arzneien  auch  dif 
_2Aufgabe  zu,  Klystiere  zusammenzusetzen  und  beizubringen*  Diese  B^ 
ßhäftigung  war  sehr  einträglieb  zu  einer  Zeit,  da  Ludwig  XIIL^ 
einem  einzigen  Jahre  ausser  215  Purganlien  212  Kljstiere  zu  sich  nahm 
Ein  Kanonikus  zu  Troyes  brachte  es  binnen  zwei  Jahren  sogar  in  der 
ungltmblicht'n  Zahl  von  219(*,  welche  dem  Andenken  der  Nachwelt 
aufbewahrt  worden  ist,  weil  er  sieh  weigerte,  das  dafür  gefur 
Honorar  zu  bezahlen,  und  deshalb  verklagt  wurde.  Die  Kljstiere 
den  Modesache,  und  die  Pariser  Damen  raunten  sich   vertraulich 


'  H.  PErrKBS  a.  ft,  0.  S.  67. 

*  J.  Probst:  Geschichte  der  ÜniverHitÄt  ixi  Intiabruck,  Iniisbnick  1809.J 

*  H.  Peter»  a.  a,  0.  S.  7H  u.  ff. 

*  F».  IIopfmakn:  Medicus  politicus,  Lugd.  Batav.  174ß,  II,  2,  c  16« 


dasi  das  Geheimnii^  der  Ninon  de  TEnclos,  durch  welches  sie  sich  ihre 
rielbewunderte  Schönheit  bis  ins  htjhe  Alter  erhielt,  lediglich  auf  dem 
MereD  Gebrauche  dieses  Mittel  lioruht«,^ 


Der  klinische  Unterricht  im  17.  und  18.  Jahrhundert 

Die  groKsre  EiTunfren>ichaft,  welche  der  medicinisehe  Unterricht 
dieser  Periode  verdankte,  bestand  darin,  das«  die  khniscbe  Unterweisung 
iD  den  meisten  Uni\^ersitäten  eingeführt  und  in  den  Studienplan  der- 
selben anfi^enominen  wurd»%  Die  rrsten  Versuche,  welche  damit,  wie 
enmhnt  im  10.  Jahrhundert  zu  Padua  angestellt  worden,  hatten  keinen 
dauemde^i  Erfolg  und  übten  aoch  keinen  sichtbaren  Eiolhiss  aus  auf 
andere  HuchsehnleD. 

Der  Universit^lt  Leyden  gebührt  das  Verdienst,  den  klinischen 
Unterricht  zu  einer  bleibenden  Einrichtung  gemacht  und  durch  ihre 
Schuler  auch  nach  andern  Orten  verpflunzt  zu  haben.  Die  Professoren 
<)tto  vak  Heitkne  und  Ew.  ScfmEVELiuH  erdlfneten  denselben  um  das 
Jahr  1030  im  KrankenhaiLse  zu  Leyden. 

Dabei  wurde  die  Methode  eingeschlagen,  dass  die  Studierenden 
zanilcb^t.  den  Kranken  über  sein  Leiden  examinirten  und  untersuchten, 
iäSR  hierauf  ein  Jeder  derselljen  seine  Ansicht  über  das  We^en,  die  Ur- 
lieo,  Symptome,  Prognosis  und  Behandlung  der  Krankheit  äusserte, 
"Art  der  Professur  zuletz;t  die  richtige  bestätigte^  die  liilsche  widerlegte 
und  die  nothwendigen  ErkL-irungen  dazu  abgaK  Aber  dieses  Vertahren 
Bei  den  Studenten  nicht,  weil  sie  dabei  Getahr  liefen,  durch  Fragen, 
f  m  nicht  !)e4intworten  konnten,  blosgestellt  zu  werden,  und  0.  v.Heürne 
sb  «ich  daher  zu  seinem  Bedauoni  leranlasstj  da^sselbe  aufzugeben,  statt 
diesen  selbst  die  Krankenuntersuchung  vorzunehmen  und  daran  seine 
Anleitung  zur  Behandlung  zu  knüpfen. 

Die  Patient-en,  welche  im  Hospital  starben,  wurden  secirt,  um  über 
die  Ursache  und  den  Sitz  der  Krankheiten  Sicherheit  zu  gewinnen- 
Auch  gehörte  zu  diesem  Ho:^pital  eine  Apotheke,  in  w^elcher  die  Studieren- 
den die  Bereitung  der  Arzneien  sehen  und  lernen  konnten.^ 

Im  J.  1648  alKJmahm  Albert  Kypek  aus  Königsberg  in  Preussen, 
dem  wir  diese  Nachrichten  verdanken,  die  Leitung  der  Klinik  zu  Leyden. 


^  P^iLiv^vm  ti.  a.  0,  8.  131  u.  ff. 

*  Alb.  KtTx»  a.  a,  0.  p.  118  u.  ff.,  256  u^  f« 


Ihm  fül^  schon  nai^h  wenigen  Jahren  Fhanä  hb  lk  Boß  {^rv9 
welclien  sein  College  Lucas  Rchaoht  in  seiner  klinischen  Wirksau 
geschildert  hat.  ^  „Wenn  er  mit  t^einen  Schülern  zum  Kranken  kS 
unj  den  Unterricht  be^^ninn,  so  schien  er  über  die  Ursache  und 
seines  Leidens,  die  Kninkheitserscheinungen  nod  die  Beb;indlnrjg 
ständig  im  Unklaren  zn  sein  und  äusserte  sieh  Anfangs  trar  nicht! 
den  Knuikbeitslsdl;  er  fing  nun  an,  durch  Fnigen,  die  er  bald  an  dit 
bald  an  jenen  der  Zuhörer  richtete»  Alle«  herau^^^zufischen  (e. 
und  vereiniijrte  die  auf  liiese  Weise  ormittelten  ITiatsachon  m  eifl 
Krankheitsbibie,  so  dastt  die  Studierenden  den  Eindruck  eniplingen, 
ob  sie  die  Üiafjnose  nicht  von  ihm  erfahren,  snndem  seU»st  üub:efmid<Hk 
hatten.**  Vnt*'t  seiner  1/eittin^^  erlangte  die  Klinik  in  Levderi  cqfl 
Hidrhen  Huf,  d:iss  Studierende  und  Arzte  aus  Ungarn,  Hu>Lsbind,  PoWf 
Deut^t'bhuul,  Hiinemark,  Schweden,  aus  der  Schweiz,  Italien,  t'rankn^ict 
und  England,  also  fast  aus  allen  Ländern  Europas^  dorthin  kamenj 
SoHAOMT  erzfihlt. 

Die  Leydener  Klinik  behaupt^t^  hmge  Zeit  den  emUm  liang 
allen  derartigen  Anstalten.  Boebhaavk,  welcher  bi«  17S8  an  derSp 
denselben  stand»  war  in  der  ganzen  WcH  bekannt  und  zählte  m  täch 
Schülern  ÜAiiiiEir,  G.  van  Swieten,  A*  uk  Hakn,  Pkinule,  H.  IKtJuii, 
KrBEiKo  Sakchez  u.  A.,  welche  das  18.  Jahrhundert  mit  ihrem  Ruhm 
erfüllten. 

Auch  an  aiulern  Hochschulen  Hollands,  des8en  Krankenhiluaerj 
Augenzeugen  sehr  gelobt  wurden,*  wurde  klinischer  Unterricht  arth 
In  Utrecht  lehrte  Wtlh.  xas  dku  Straten,  dessen  Methode,  die  StudiofäS 
den  zur  Krkenutniss  der  Krankheiten  anzuleiteti,  den  uneingesch 
Beifall  Kypeks  fami'^ 

Im   Hospital  von   S.  Spirito  zu  lUnn  wurde  auf  Lancim's' 
lassung  im  J*  1715  eine  klinische  Lebranötalt  errichtet.    Die  Univet 
zu  Edinburg  erhielt  1738  ein  Spital,  welches  seit  1740  zum  klin 
Unterricht  benutzt  wurde.* 

In  l*ans  wurde  im  J,  1G44  die  polikliniHche  UnlerweiHung,  w| 
dort  seit   Jahrhunderten    bestund,   dem    Lehrplane  der   medicinij 
Facultät  einverleibt.    Den  Änhiss  dazu  gab,  wie  es  scheint^  Treovi 
Kenaudut. 

Dieser  geistvolle  und  onfcmehmende  Mann^  welcher  das  erste 
haus  und  das  erste  Adresshureau  in  l'aris  gründete  und  die  erste  Zeit 


*  Onitio  funebriB  in  obititm  F.  i>k  le  Bol  Bvlvii  in  Sri.VTt    upera  mt 
Amfltelod.  1680,  p.  9HI  uiiJ  Xkubert  a.  a.  0.  l8Sa,  II,  t62. 

*  VergL  Tmolulk  a.  a.  O.  I,  2,  8.  205,  ■  Erpsa  a.  a.  0.  p.  256. 

*  A,  Grant  a.  a.  0. 


Dtr  klmische  Unterricht  im  17.  wnd  18,  JahrfiufuferL 


343 


i'ldii'  III  iritnkreich  erschien,  nämlich  die  Oaxette  de  France,  redigrirte, 
-^rhüf  im  Verein  mit  andern  äntlichen  (Kollegen  auch  ein  ambulato- 
risch»n«  Institut,  in  welchnm  arnn'  Kninke  unentgeltlich  l>ehandelfc 
warrleö.  Von  der  mediciriischen  Facult^t,  mit  der  er  in  beständiger 
fVhde  lebte,  weil  er  sich  dem  Zunftgeist  derselben  nicht  fügen  wollte, 
erfuhr  er  doshfüb  viele  Anfeindungen,  Als  sein  Grmner,  der  mfjchtige 
f>r»linal  Riclielieu,  gest-orbon  war,  setzte  sie  es  sogar  durch,  dass  die 
Poliklinik  Kenaudot's^  welche  der  ärmeren  Bevölkerung  eine  Wohlthat 
gi*wes**n  war,  geschlo*?sen  wnnle.^ 

Dafür  übernahm  die  medicdnische  Facultät  nun  die  Pflicht,  selbst 
Hne  derartige  Anstalt  zu  erhalten.  Es  wurde  daher  angeoninet,  dass 
fi  Doktoren,  und  zwar  3  alte  und  ^^  junge,  damit  beauftragt  würden, 
zweimal  wöchentlich  in  der  Ecole  de  medecine  unentgeltlich  ambulante 
Kranke  zu  untersuchen  und  ihnen  Arzneimittel  zu  verabreichen.  Die 
chirurgischen  Operationen  sollten  sie  entweder  selbst  vornehmen  oder 
Jureh  einen  tüchtigen  Chirurgen  ausführen  lassen.  In  schwierigen 
Fällen  mujssten  sie  einander  zu  Rath  ziehen;  auch  wurde  dem  Dekan 
der  Facultät  befohlen,  dabei  oft  anwesend  zu  sein. 

Arme  Kranke,  welche  wegen  ihres  Zustandes  nicht  zur  Consul- 
Ution  kommen  konnten,  wurden  in  ihrf^n  Wohnungen  besucht  und 
iment^reltlich  behandelt.  Die  Haocalaureen,  also  die  ält^^^ren  Studierenden 
fjrr  Mc<Ucin,  wurden  verpHichtet,  den  poliklinischen  Consultationen  bei- 
zuwohnen; sie  wurden  dabei  zugleich  be^ichaftigt,  indem  sie  die  Becepte, 
welche  die  Doktoren  diktirten,  niederschrieben  und  andere  Dienst- 
lebtungen verrichteten.  Ebenso  sollten  siu  an  den  arztlicben  Besuchen 
im  Hütfl  Dieu  oder  einem  andern  Hospitale  Theil  nehmen,-  Diese 
|>oiikiimschen  Studien  dauerten  zwei  Jahre,  Erst  am  Ende  des  18.  Jahr- 
hunderts wurden  in  Paris  stationäre  Kliniken  eingerichtet. 

Auch  in  Deut.schland  entstanden  die  ersten  Kliniken  nicht  vor  der 
Mitk^  des  vorigen  Jahrhunderts.  Allerdings  beantragte  Weklhof  bei 
der  Gründung  di^r  Univci-sitat  Göttingen  die  Errichtung  eintr  damit 
verbumlenen  Klinik,  aber  vergeblich.  Ähnlieh  erging  es  der  medi- 
oiiiischon  Facultät  zu  Wien  im  J.  1718. 

Auch  F.  IliU'TMANN  in  Halle  betonte,  dass  durch  den  Besuch 
nietlicinischer  Vorlesungen  allein  Niemand  zum  Arzt  ausgebildet  werde, 
sntideni  daas  da^u  die  klinische  Unterweisung  gehöre.^  Die  Über- 
zeugung, dasts  die  Klinik  für  den  medicinischen  Unterricht  noth wendig 


*  ChLL»  M  LA  ToLTttETTK:  Theophraste  R<4naiidot,  Paiis  1884. 

•  fUieo«  a.  a.  ö,  —  Sabatte»  a,  a.  0. 

■  F.  Ha^rFKAivii:  Mediciw  pidiriciui,  Halle  1746,  I,  1,  6, 


344 


Dm-  medieiniseliß  Unierrichi  in  der  Neuzail. 


sei,  war  also  aUgemein;  aber  die  Ohmnaobt  der  Professoren  der  Heil, 
kimdc,  die  Gleichgultii,^koit  der  Behörden  und  vor  Allem  der  Mangd 
an  Geldmitteln  try^^^en  Schuld,  liass  die  Verwirklichung  der  rlafür 
forderlichen  Ans^tidten  stet^  auf  siiütert^  Zeiten  verschoben  wurde, 

Wien  war  die  erste  denUche  Universitätj  welche  eine  Klinik 
hitdL     Auf  Gkkhard  van  Swiktknjs  Veranliissung  wurde  im  J,  IT 
im  sogen,  liürgerspital  eine  klinische  Al>theilung  eingerichtet,  wel 
aus   6  Betten    für   Männer   und   6  Betten  filr  Weiber  bestand;  d( 
wurde  dem  Vni-stiinde  tlersellien  das  Recht  eingeräumt^  Enuike  m» 
übrigen   Abtbeilurigen   dieser    Anstalt,   sowie  auis  dem  Dreifaltigkeä 
Hospitale,  wenn  es  im  Interesse  des  Unterrichts  lag,  in  die  Klinik 
legen  zu  lassen. 

Zur  Leitung  dersellxm  wurde  der  Ninderlauder  A.  db  Haäm 
rufen,  welcher  sie  vollständig  nach  dem  Vorbilde  der  Lejdener 
orjranisirte.  „Tilglich  erschien  er  in  früher  Morgenstunde  im  Hjiital  um 
untersuchte  die  Kriiuken,  um  sich  von  den  etwaigen  Verändurunp 
in  ihrem  Zusümde  m  unterrichten.  Um  8  Uhr  begann  die  tOioik, 
welcher  die  Kranken  unter  seiner  Leitung  von  den  Studierenden  tinti 
sucht  und  behandelt  wurden.  Er  befolgte  dabei  eine  sehr  empteblei 
werthe  Lehrmethode;  jeder  seiner  Schüler  musste  ihm  das  Re^uli 
seiner  Untersuchung  leise  ins  Ohr  ihlstern,  und  de  ÜAßx  theilt^ 
Schluss  mit  lauter  Stimme  die  richtige  Diagnosis  mit,  sü  dass  mch  Ui 
jenigen,  welche  sich  geirrt  hatten^  davon  iiberzeugen  konnten,  ohne  i 
sie  einer  Beschämung  ausgesetzt  waren. 

Nach  der  Klinik  begann  die  ärztliche  Ordination  für  jene  Kran! 
welche  nicht  im  Spital  verpüegt  wurden.  Auch  die.ser  wohüteu 
Studierenden  bei.  Hier  sowohl,  wie  in  der  Klinik  wurde  über  je 
1^1  .niöY.  i\np]i  geführt  und  dessen  lA^idensges^chichte  neb?t  den 
(i  rdnungen  eingetragen.     Wenn   Patienten  in  der  Klii 

sluriien,   »o  wurde  von   de  Habn  in  Gegenwart  der  Studierenden 
c^b#^\.„   r,.,,,.,...K»     jjj^  Ergebniss  derselben  mit  der  währeud  «ies  Vi 
rt  gestellten  Diagnose  verglichen  und  der  Werth 
'blagenen  iiehandlung  besprochen/** 
■Tirlete  den  Kuhm  der  Wiener  Klinik.    Sein  Nac 
io!.t,   vermehrte   denselben   durch    seine  gn^fm 
erende  und  Ärzte  aus  allen  Landern 
.,ein6  Stufe  der  Vollkommenheit,  au 


u  Herrn  Grafen  von  V.,   Frankfurt  a/M. 
uscoifAKN:  Die  Mediän  in  Wien  währeud  | 
,  S.  17. 


lingt  ak  ein  Vorbild  iiUer  klinisclien  iSchulen  autgestellt  werden 

4^1 


Die  Akademie  der  Wisseni^chalten  zu  Paris  lejs'te  dem  Könige 
Iwig  XVI.  von  Frankreich  den  Plun  vor,  dort  eine  Klinik  nach  dem 
llMter  der  vun  Stull  geleiteten  Leliranstiilt  zu  errichten,*  Für  die 
vüniken,  welche  in  den  ührijifen  Provinzen  Österreichs,  .sowie  in  DeuUsch- 
^d  entstanden,  war  die  Einriclitong  der  Wiener  massgebend. 

Prag  erhielt  1769  eine  Klinik,  welche  unter  Plencicz  im  X  1778 
^  8  aaf  50  Betten  vermehrt  wurde  und  daneben  das  unbedingte 
Pmt  besass,  Kranke,  welche  für  den  Unterricht  erwünscht  waren,  aus 
den  übrigen  Abtheilungen  de.s  Krankenhauses  zu  fordern.^  In  Pavia 
führte  Boß.siEui  17 TU  den  klinischen  Untemcht  ein;  io  JModena  nahm 
er  1774  seinen  Anfang. 

kln  Wfirzburg  wurden  die  Studierenden  der  Medicin  «chon  seit 
fr  Zeit  angewiesen,  den  ärztlichen  Besuchen  im  Julius-Hospitab: 
wnhnt'u.  Auch  wurden  dort  scliun  172t*  unter  Bkhingehs  Leitung 
llimsche  Übungen  verunstaltet;  duch  scheinen  dieselben  später  nicht 
ft^rtgeKefcjEt  wurden  zu  sein  oder  nur  zeitweise  stattgefunden  zu  haben,* 

»in  der  Htudienordnnng  vun  1749  wiederum  darauf  hingewiesen 
den  musste,  wie  notliwendig  es  zur  Vollständigkeit  der  ärztlichen 
long  gehöre,  dass  die  Professoren  die  Studierenden  und  jungen  Ärzte 
die  Hospitäler  und  zu  den  Kranken  ihrer  Privat praxis  mitnehmen 
tmd  dort  mit  der  Krankenbehandlung  bekannt  machen. 

Ein  regelmässiger  systematischer   klinischer  Unterricht  wurde  in 
zburg  erst  1709  eingeführt.    Auch  in  Sirassburg  kanu'U  seit  1738 
«den   klinische  Demimstrationen  vor;    zu  den   Besuchern  derselben 
|Drte  bekanntlich  auch  Goethe,  als  er  1770  dort  studiertre,*    Aber 
.Becht  auf  die  Benutzung  des  Lehrmaterials  im  dortigen  Bürger- 
wurile  der  Strassburger  Klinik  erst  viel  später  eingeräumt,** 
Göttingen  wurde  1764  durch  E.  A.  Vogel  mit  einem  Cullegium 
^mun  ausgestattet,  an  dessen  Stelle  im  J.  1781  eine  statioufire  Klinik 
In  Halle  begann  Johann  Ji-nckkr  klinische  Übungen  abzuhalten; 
wurde  eine  zum  Universitäts-Unterricht  gehörige  st^ationäre  Klinik 


'  J.  F.  C.  HßCK£R:  Geschichte  der  neueren  Heilkunde,  Berlin  183^»  S.  bOi\. 

*  M.  Stoll;   CbiT  die  Emrifhtun^   rler   Ötli^nt Hellen  Krankenhäuser,   W^icn 
8.  28. 

•  Sebald:  Geschichte  der  medieinisch-praktiöchen  Schule  zu  Prag,  Prag  1796. 
^.  N.  Thouakw;  Auuales  institati  medieo-cliuici  Wirceb.,  Vol,  I,  p.  24, 

1799. 

*  Alis  meinem  Leben  in  Gokthe's  Werken,  Leipzig  1870,  IV,  167, 

•  F.  Wu»K&  a.  a,  0.  S.  113  u.  ff. 


346  Der  medichmche   UnterricM  in  der  Neuzeit, 


dort  erst  1810  errichtet.^  Erlangen  erhielt  1779,  Altdorf  1786,  Kiel  1788, 
Jena  1791,  Tübingen  1793,  Leipzig  1798  eine  Klinik.« 

An  den  meisten  übrigen  IFniversi täten  beschränkte  man  sich  auf 
poliklinische  Anstalten  oder  suchte  die  Studierenden  zum  Besuch  der 
Spitaler  anzuregen,  damit  sie  Gelegenheit  hatten.  Kranke  zu  beobachten. 
Auch  in  andern  Ländern  musste  man  sich  mit  dieser  Lehrmethode  be- 
gnügen, wenn  ein  eigentlicher,  mit  Vortragen  am  Krankenbett  ver- 
bundener klinischer  Unterricht  fehlte. 

Eine  wohlthätige  Ergänzung  erfuhr  die  praktische  Ausbildung  in 
der  Heilkunst  durch  die  sehr  verbreitete  Sitte,  dass  ältere  Studierende 
oder  junge  Ärzte  längere  Zeit  als  Praktikanten  in  einem  Krankenhause 
wirkten  und  dort  von  den  leitenden  Ärzten  mit  den  Anforderungen 
der  Praxis  vertraut  gemacht  wurden.  In  Frankreich  und  England,  wo 
diese  Einrichtung  noch  heut  besteht,  nahmen  viele  HospitÄl-Ärzte  Schüler 
an,  welche  für  die  praktische  Unterweisung,  die  ihnen  zu  Theil  wurde, 
ein  bestimmtes  Lehrgeld  entrichteten.  Wie  J.  Hunczovsky  berichtet, 
l)ot  sich  dazu  die  Gelegenheit  im  St.  Barfcholomews-Hospital  in  London, 
im  Matrosen-Spital  zu  Portsmouth,  sowie  im  Hotel  Dieu  in  Paris  und 
zu  Ronen.  ^ 

In  Italien  scheinen  ähnliche  Verhältnisse  bestanden  zu  haben. 
Lanoisi  trat,  nachdem  er  die  medicinischen  Studien  absolvirt  hatte,  in 
das  Hospital  S.  Spirito  in  Rom  ein,  um  sich  durch  mehrere  Jahre  für 
die  ärztliche  Praxis  vorzubereiten.*  Er  empfahl  den  Studierenden  der 
Heilkunde,  viele  Kranke  zu  beobachten  und  Hospitäler  zu  besuchen, 
und  rieth  ihnen,  mehrere  Jahre  auf  dieses  Studium  zu  verwenden.* 

Auch  im  Dreifaltigkeitsspitale  in  Wien  fanden  stets  eine  Anzahl 
von  Studierenden  der  Heilkunde  als  Praktikanten  Aufiiahme.®  Im 
städtischen  Krankenhause  zu  Bremen  gaben  die  dort  angestellten  Ärzte 
den  Studierenden,  welche  sich  an  den  Visiten  betheiligten,  ebenfells 
klinischen  Unterricht.^ 

Es   unterliegt   keinem   Zweifel,   dass   derartige   Einrichtungen    an 

*  P.  Frank  a.  a.  0.  VI,  2,  S.  221. 

'  G.  W.  A.  Fikentscheb:  Geschichte  der  Universität  Erlangen ,  Nürnberg 
1806,  II,  104. 

'  J.  Hunczovsky:  Medicinisch-chirurgische  Beobachtungen  auf  Reisen  durch 
England  und  Frankreich,  Wien  1783,  S.  7.  62.  84.  162. 

*  Eus.  Sguarius:  Vita  Laucisi  in  der  Vorrede  zu  Lancisii  opera  vera, 
Venet.  1739. 

*  Lanoisi:  De  recta  medicorum  studiorum  ratione  instituenda,  Komae  1715. 

*  Nachrichten  von  dem  Kranken-Spital  zur  allerheil.  Dreifaltigkeit,  Wien  1742. 
^  Külenkampff:  Die  Krankenanstalten  der  Stadt  Bremen,  ihre  Geschichte 

und  ihr  jetziger  Zustand,  Bremen  1884. 


pÄr 


Xtar  Unieniehi  in  der  Chirurgie^  Augcnlmükunth  u.  (Jßlfurtithiife,      Sil 

rieleu  Kmnkenbausem  bestanden.  Die  Archive  mancher  Anstalten 
lürft^n  darüber  wichtiofe  Aufschlüsse  enthaltt^ii;  eine  dankenswerthe 
i^ttfgahe  wilre  es,  das  in  dieser  Beziehung^  nameotlich  für  Deutschland, 
^...u  :,.\^j  unyolMündige  Material  herheiznschatlt'H  und  zu  vervollst4m- 
Al>er  die  angeführten  Thatsachen  werden  g:enügen,  um  zu  be- 
weisen, das«  die  in  den  medieinischen  <f**schichtswerken  his  zum  Über- 
rss  wiederholte  Ansieht,  dass  vor  derGnmdunpr  klinischer  Lehranstalten 
jungen  xVrzte  ihre  fachmannischen  lveiintTiis.se  lediglich  aus  Uüehern 
imd  durch  theoretische  Vorlesungen  erlanp^t  hätten,  in  dieser  Allgemein- 
heit jedenfiills  imrichti[?  ist. 

Zu  diesem  Irrthumt?  dürfte  der  Umstand  beigetragen  haben,  daas 
der  praktische  Unterricht  am  Krankenbett  im  Allgemeinen  ausserhullj 
|ta  Studienplanes  der  Universitäten  lai^  und  hfiutitf  erst  nach  Avt  Bc- 
■iigfung  der  Studien  und  der  Doktor- Prumotif/n  anlgesucht  wurde. 
Aöch  mag  es  wohl  t>iswcilen  vorgekommen  st^in,  dass  junge  Doktoren 
der  Meiiicin  im  Hochgefühl  ihrer  ni^uon  Würde  gewissenlos  und  ver- 
iBes8**n  genug  waren,  die  Praxis  zu  beginnen,  bevor  sie  sich  die  dazu 
erforderliche  praktische  Befähigung  erworben  hatten;  aber  die  Meisten 
erbnoten  di<^  Nothwendigkeit  der  praktischen  Ausbildung  nnd  l.M*9Ucbten 
Hospitäler  zu  diesem  Zweck,  wie  aus  zahlreichen  Le)»ensljeschrei- 
en  und  Schriften  hervorragender  Ärzte  jener  Zeit  deutlich  hervorgehU 


Der  Unterricht  in  der  Chirurgie,  Augenheilkunde 
und  Geburtshilfe. 

Nur  ein  spärlicher  IJaum  wurde  der  Chirurgie  in  dem  Lehrplane 
der  Universitäten  zugemessen.  Man  gJib  den  Studierenden  der  M<'dicin 
eine  allgemeine  Cbersicht  dieser  Disciplin  und  zeigte  ihnen  au  der 
Uiche  die  wichtigsten  Operationen. 

ÜAiiLER,  welcher  neben  seineu  übrigen  Obliegenheiten  auch  eine 
Zeitlang  die  Lehrkanzel  der  Chirurgie  in  Gnttingen  versah,  konnte  sich^ 
wie  er  erzählt,  niemals  entschliessen,  an  einem  lebenden  Menschen  zu 
u[>eriren,  obgleich  er  sich  an  Leichen  sehr  geübt  hatte.  Da  die  xirzte 
cfarnak  nicht  die  Aufgabe  hatten,  chirurgische  Operationen  auszuführen, 
io  konnte  dieser  theoretische  Unterriebt  vielleicht  genügen^  um  ihnen 
in  Verständniss  der  Bedeutung  der  Chirurgie  für  die  innere  Medicin 
\  Terschaffen;  aber  er  war  in  keiner  Weise  ausreichend,  um  ihnen  ein 
rtheil  über  chirurgische  Fragen  zu  gestatten.    Wenn  man  den  Ärzten 


I 


3 


348  Der  mediciniscJie  UnterricfU  in  der  Neuzeit, 

das  Recht  einräumte,  die  Chirurgen  in  ihrer  Thätigkeit  zu  beaufsich- 
tigen und  zu  belehren,  und  den  letzteren  die  Pflicht  auferlegte,  jene 
wegen  der  Nothwendigkeit  und  der  Art  der  chirurgischen  EingriflFe  zu 
Bath  zu  ziehen,  so  musste  dies  zu  Streitigkeiten  fuhren.  Der  Arzt 
wurde  dadurch  der  Gefahr  ausgesetzt,  sich  durch  Unwissenheit  blos  zu 
stellen,  und  der  Chirurg  sah  mit  Recht  in  der  Zumuthung,  sich  einem 
Manne  unterzuordnen,  der  wenig  oder  gar  nichts  von  der  Sache  ver- 
stand, eine  unverdiente  Kränkung. 

F.  Hoffmann  gab  den  Ärzten  im  „Politischen  Medicus"  den  ver- 
nünftigen Rath,  „sie  möchten  sich  mit  den  Chirurgen  gut  stellen,  sie 
in  Gegenwart  der  Kranken  nicht  scharf  anfahren,  sondern  modeste 
ermahnen,  auch  nicht  mit  ihnen  disputiren,  namentlich  nicht  über 
chirurgische  Dinge,  weil  die  Chirurgen  ihnen  darin  an  Erfahrung  über- 
legen seien."  Aber  bei  den  meisten  Doktoren,  besonders  denen,  welchen 
die  Erfahrung  mangelte,  war  der  Hochmuth  grösser  als  die  Klugheit, 
und  sie  sahen  mit  dünkelhafter  Verachtung  auf  die  Chirurgen  und  die 
Chirurgie  herab.  Der  Verfasser  des  Buches:  „Des  getreuen  Eckharts 
unwürdiger  Doctor  (Augsburg  und  Leipzig  1698)"  schildert  diese  Ver- 
hältnisse (S.  428  u.  ff.)  und  erklärt  dabei  voll  Ärger:  „Es  ist  wohl  ein 
stoltzes  Thier  umb  einen  jungen  Doctor,  bevoraus  wann  das  Gehirn 
mit  allerhand  Vanitäten  und  Phantastereien  angefüllt  ist  und  sich  gar 
auf  keine  Art  will  ändern  noch  regieren  lassen.  Er  meinet.  Jedermann 
müsse  ihm  weichen  und  ihm  an  der  Stime  ansehen,  dass  er  ein 
Doctor  sei." 

Allerdings  hatte  die  gedrückte  sociale  Stellung  der  Wundärzte 
zum  grossen  Theile  darin  ihren  Grund,  dass  ihre  Allgemeinbildung 
sehr  gering  war,  und  die  Trennung  zwischen  ihnen  und  den  Badern 
und  Barbierem  nicht  streng  durchgeführt  wurde.  In  Paris  kam 
i.  J.  1655  sogar  ihre  officielle  Vereinigung  mit  denselben  zu  Stande; 
doch  dauerte  sie  glücklicher  Weise  nur  bis  1699. 

Das  College  de  St.  Cöme  verlor  unter  diesen  Verhältnissen  an 
Bedeutung  und  Ansehen.  Bessere  Zustände  traten  erst  wieder  ein,  als 
es  i.  J.  1724  den  Bemühungen  der  königlichen  Leibchirurgen  Mar^- 
scHAL  und  La  Peybonte,  welche  am  Hofe  grossen  Einfluss  besassen, 
gelang,  die  Anstellung  von  fünf  Lehrern  für  Anatomie,  theoretische 
und  praktische  Chirurgie,  Operationskunst  und  Geburtshilfe  durchzusetzen. 

Noch  mehr  trug  zur  Hebung  des  Chirurgenstandes  die  Gründung 
der  Academie  de  Chirurgie  zu  Paris  bei,  welche  1743  die  königliche 
Bestätigung  erhielt.  Sie  bildete  fortan  den  Mittelpunkt  aller  bedeu- 
tenden Vertreter  der  Chirurgie,  und  zwar  nicht  blos  in  Frankreich, 
sondern  zählte  auch  viele  bervprragende  Wundarzte  des  Auslandes  zq 


ihren  Mltftiedem.  Durch  Preisanfjsraben  über  chirurgigchi>  Fra^eiu 
welch»*  alljährlich  gestellt  wurden,  durch  materielle  Unk^rstützuugen, 
die  (kn  Foischern  «u  Theil  wurden,  und  durch  die  Herausgabe  ihrer 
Memoiren,  in  denen  worthvoUe  Beobachtungen  und  Krfiihrun^fm  Ter- 
iWentücht  wurden,  förderte  i^ie  die  Entwickelnng  der  rhirurgie  und 
hefe.stigte  die  wis^enscbafllichen  Grundlagen  derselben.  Sie  wurde  der 
m    '  heu  FaculUit  im   Range    gl^i  V      '  Mt,   von  ihr   n;    '•    -iTJg 

^v\  lind  erhielt  das  Rechte  den  nki  inm  Grad  eint      .       u-rs 

der  Chirurgie  zu  verleihen;  doch  wurde  bestimmt^  dass  Niemand  den- 
i1>en  erlangen  solle,  der  nicht  die  Würde  eines  Magisters  der  Philo- 
phi«  hmtzk}.  Auch  trat  die  Akademie  de  Chirurgie  zum  t-ollege  de 
8t  C6me  in  Beziehungen^  indem  mehrere  hervorragende  Mitglieder  der 
efsteren  als  Lehrer  am  letzti'ren  wirkten. 

Im  J.  175U  wurde  angeordnet,  dass  der  I^hrcursus  tur  die  Chi- 
welche  im  College  de  Stv  C6me  studierten,  drei  Jahre  dauere; 
^nch  wurden  praktische  Übungen  in  der  Anat^omie  und  Operationskunst 
ageföhrt,*  Die  medicmische  Facultüt  verlor  ihren  EinÜu.^  auf  die 
Ziehung  der  Chirurgen  nahezu  vollständig  und  war  nur  noch  bei 
irer  Promotion  zum  Mai:ii>teriam  vertreten.  Sie  bekämpfte  zwar  die 
Kmancipation  dc»s  Chirurgenstande-S  mit  allen  Mitteln,  suchte  durch 
hi&ilori^>che  Aaseinander8et2ungen  und  durch  Gutachten  der  me^Jicinlschen 
Facultäten  zu  Grittingen  und  Halle  den  Beweis  zu  luhren,  dass  die 
Unterordnung  desselben  unter  die  Ärzte  sowohl  zu  allen  Zeiten  bestanden 
habe^  als  nolhwendig  und  in  der  Natur  der  Sache  begründet  sei,  und 
lereiieg  sich  sogar  zu  der  absurden  Bf^hauptiing,  daÄ?  der  Besitz  einer 
gr^^söeren  Allgemeinbildung  den  Wundärzten  Schaden  bringe;  aber  Allels 
war  vergeblich.  Die  Chirurgen  behaupteten  die  Selbstständigkeit,  um 
«eiche  sie  Jahrhunderte  hindurch  gerungen  hatten,  und  ihre  Leistungen 
^?igt^tii,  das«  sie  dersellien  würdig  waren. 

An  der  chirurgischen  Hochschule  zu  Paris  empting  nur  die  Elite 
der  Wnndärzt4!  ihre  fachwissenschaftliche  Ausbildung;  die  meisten 
lernten  die  Chirurgie  gleich  einem  Handwerk  bei  einem  Meister  und 
erwarben  sich  als  Gesellen  und  chirurgische  Praktikanten  in  den 
Krankenhäusern  die  erforderliche  Übung  und  Gewandtheit  Es  vrurde 
liadimmt,  dass  kein  Meister  mehr  als  einen  Lehrling  halte,  damit  er 
&ich  mit  dem  Untenicht  desselben  genügend  beschäftigen  konnte.  In 
Stallten,  in  denen  mehrere  ( 'hirurgen  ihre  Thätigkeit  ausübten,  bildeten 
sie  Vereinigungen,   versahen  abwinshselnd  den  Dienst  in  den  Spitälern 


'  V,  FuxsK  ft.  a.  0.  VI»  t,  &  831,  Anin.»  ou  les  elei?es  feront  «lAT-fnta«!  Um 


350 


Dm'  madiämMu^  Unterricht  in  d&t  Neuzeil. 


und  unterstützten  den  Unterricht  ihrer  Schüler  durch  Vorträge  m 

praktische  Demon^irfitionen  aus  der  Anatomie  und  Chirurgie,  l 
UQghiu  des  Jahres  scjii^^kte  je<li*  chinir^rische  Zunft  ein  Veneichni 
säiiimtlicher  Meister  derselben  an  den  knnitrlichen  Leibchinirjjen,  welchi 
an  der  Spitze  aller  Wundärzte  Frankreichs  stand,* 

In  En^dund  ond  Hullurnl  hij:  i\m  höhere  chiruri^dnche  Unterrichl 
wesen  volkstäiidig  in  den  Händen  der  Chirurgen -Gilden,  weh^lie  »lüi 
schon  sehr  früh  uls  geschlossene  Corpuratiünen  mit  bestimmten  Hecht 
auftraten.  Eine  Einrichtung  van  kurzer  Dauer  war  es,  aln  Croaiwel 
l  J.  1656  daü  Tollej^e  uf  Physicians  in  Eilinbnr^'  ermächtigte,  die  Cl 
nirgie  auszuüben,  weil  die  letztere  ja  ei^eutlich  einTheil  der  Mediciii  sei,^ 

Die   Chiriirt^^en-denossenschaften    zu   London,    Edinburgh   DuIjüi 
Arasterdani^  im  Haa^,'  u,  a,  0,  richteten  Unterrichtscui-se   für  die  Sil 
dierendeu  der  ('hirurt^ie  ein  und   sorgten  dalür»  dass  sie  Hjch  in  d 
Anatomie  und  ( ■hlriirgic  praktisch  ausbilden  konnten.   John  Kay  wuh 
schon  unter  Heinrich  VI  IL  nach  London  berufen,  um  die  Chirur^i 
in   der  Arisführung  von  Scktiunen  zu   unterrichtend     Welche  iSurgfal 
die  huUiuidiachen  Wundar/te  den  anatomischen  Zergliederungen  wi4-j 
meten,  zeigen  die  schon  erwähnten  Bilder  der  niederländischen  Mali 
In  clor  Privatpraxis  ihres  Lehrers  und   im  Spitablit^nste  erhielten 
Schüler  Öelegonheit,  Kranke  7m  lieobachttj-n  und  chirurgische  Operationen 
zu  sehen. 

Die  dcut.schen  ('hirurgen  befanden  sich  im  AUgemeinen  auf  im 
Standpunkte  des  Barbierers;  nur  Wenige  ragten  darüber  hervor  und 
waren  einer  wissenscbal'tlichen  Betnichtung  der  Wundarzneikunst  iTihig. 
Wer  diesen  Lebenslicruf  ergrilT,^  lernte  zunächst  bei  einem  ilcislt^r  dift 
Kunst,  zu  rasii'en  und  Haare  zu  schneiden,  Pflaster  zu  streidieo^ 
schröpfen  und  zur  Ader  zu  lassen.  Spater  wurde  ihm  gezeigt.,  m 
AVunden  und  (jeschwiirc  t»chandelt,  Verrenkungen  eingerichtet 
Knochenbrüche  geheilt  werden.  An  grossere  chirurgische  Operiitiüß«i< 
wagten  sich  nur  solche  t'hirurgen,  welche  in  di^r  Schule  der  Erfahrung 
gereift  waren,  oder  Specialis ten,  die  sich  auf  einem  streng  umgrenztei 
Gebiet«  eine  hervorragende  Geschicklichkeit  erworben  hatten. 

Dem  Stadrwundarzt  in   Zürich   wurde  LA,  1710   befohlen,  JUD] 
('hirurgen  zu  den  Operationen,  welche  er  unternahm,  beizuziehen^  „daniÄ 
sie  den  Anlass  halien  mögen,  in  solchen  Kuren  mehrere  Wissenscball 


*  ö.  FjÄCimii:  Chirurgie  vor  limadort  Jahren,  Loipzig  1876,  S.  254  u.  flf.     i 

•  Historiwü  aketech  of  the  K,  College  of  Pbysidani  of  Bklinbiirgh,  Ediu 


bargh  1882. 


A.  CoRiiAm  tt.  &.  O.  »er,  11,  vol.  VI^  p,  638. 

O.  BuciiNBic  Aus  Gica0eti0  Vorgaugenhcit,  Qteeaeii  1885,  8,  27 


Der  Unterricht  in  der  Chinirgi^,  Atigenh-eilkufide  u,  GehuHshüfe.      351 


zu  erlangen."  ^  In  Würzburg  wurde  der  Oberchirurg  am  Julius-Hospital 
ij.  1725  beauftragt,  Unterricht  in  seiner  Kunst  am  Krankenbett  zu 
ertheilen. 

In  der  Schrift:  „Des  getreuen  Eckharts  verwegener  Chirurgus 
(Augsburg  1698)"  wurde  den  Studierenden  der  Chirurgie  empfohlen, 
tüchtig  Anatomie  zu  treiben,  und  zwar,  falls  es  an  menschlichen  Leichen 
fehle,  an  thierischen  Cadavem;  denn  wenn  sich  gelehrte  Doktoren  nicht 
scheuen,  daran  zu  studieren,  so  „würde  es  einem  naseweisen  Barbier- 
oder Badergesellen  an  seiner  Ehre  auch  nicht  schaden."  Ferner  wurde 
ihnen  der  Rath  ertheilt,  nach  der  Lehrzeit  Hospitäler  zu  besuchen  und 
den  Operationen  beizuwohnen,  welche  berühmte  Chirurgen  vornahmen. 
Auf  ihre  gesellschaftliche  Bildung  werfen  die  übrigen  Ermahnungen, 
die  ihnen  ertheilt  werden,  ein  bezeichnendes  Licht.  So  heisst  es:  „Er 
soll  nicht  auf  den  Bierbänken  von  seinen  Kuren  plaudern,  den  Kranken 
nicht  wie  die  Sau  den  Bettelsack  anfahren  und  mit  ihm  tyrannisch  und 
nach  seiner  Wuth  umspringen.  Er  soll  nicht  12  Thaler  fordern,  wo 
er  nur  2  Thaler  verdient.  Nicht  blindlings  darf  er  darauf  losschneiden; 
denn  es  ist  Menschenileisch  und  kein  abgeschlachtetes  Rindfleisch  oder 
Schweinefleisch;  die  Haut  wird  gar  theuer  angeschrieben.  Auch  soll 
er  in  gefahrlichen  Umständen  die  Medicos  und  andere  Mit-Meister  zu 
Rath  ziehen."*  Auch  M.  G.  Pübmann  klagte  darüber,  dass  die  Chi- 
rurgen, um  sich  gegenseitig  ihre  Patienten  abzuschwatzen,  „Kiinke  und 
falsche  Tücke  mit  der  Scheererei"  verübten.^ 

Auf  eine  höhere  Stufe  gelangten  die  Chirurgen  in  Deutschland, 
als  man  anfing,  Lehranstalten  zu  ihrer  Ausbildung  zu  errichten.  Sie 
waren  zunächst  dazu  bestimmt,  das  für  das  Militär  erforderliche  Heil- 
personal  heranzubilden;  aber  das  Bedürfniss  nach  Ärzten  führte  bald 
dazu,  dass  auch  Zöglinge  aus  dem  Civilstande  aufgenommen  wurden. 

Im  J.  1716  wurde  eine  derartige  Anstalt  in  Hannover  gestiftt^t. 
Berlin  erhielt  1713  ein  Tlientrum  anatoniiaim,  welches  den  Anfang  der 
für  den  Unterricht  von  Militärärzten  und  Medico-Chirurgen  bestimmten 
Lehranstalt  bildete,  die  1724  eröflnet  wurde  und  mit  dem  Charite- 
Krankenhause,  dessen  Gründung  wenige  Jahre  später  erfolgte,  in  Ver- 
bindung trat.  Den  Unterricht  ertheilten  6  Professoren  und  ein  De- 
monstrator  der  chirurgischen  Operationen;  er  umfasste  nicht  blos 
Anatomie  und  Chirurgie,  sondern  auch  Pathologie,  ArzneimittiiUehre, 
Botanik,  Chemie  und  sogar  Mathematik.     „Nach   dem  Beispiele   von 


^  Mkieb-Ahrens:  Geschichte  des  Zürcherischen  Mcdicinalweseiis,  Basel  1840. 

»  G.  Fischer  a.  a.  O.  S.  33  u.  ff. 

*  G.  Purmann:  Lorbeerkrantz  oder  Wundartzney,  Frankfurt  u.  Leipzig  1722. 


352  Der  medicinische   Unterricht  in  der  Neuzeit, 

Paris,  London  und  Amsterdam  sollte  in  der  Charite  allen  Medicis  und 
Chirurgis  hinlänglich  Gelegenheit  gegeben  werden,  sowohl  die  inner- 
lichen als  die  äusserlichen  Kuren  zu  sehen  und  zu  begreifen."^ 

In  Dresden  wurde  1748  eine  militärärztliche  Schule  errichtet  Die 
Schüler  dieser  Anstalten  waren  befähigte  Barbierer,  welche  bereits  län- 
gere Zeit  als  Chirurgen  beim  Heere  Dienste  geleistet  hatten  oder  in 
Spitälern  und  in  der  Privatpraxis  thätig  gewesen  waren,  also  keineswegs 
Anfanger,  sondern  Leute,  welche  bereits  eine  Summe  von  Erfahrungen 
in  der  Heilkunst  besassen.  Sie  sollten  in  der  chirurgischen  Schule  eine 
wissenschaftliche  Fachbildung  erhalten,  damit  sie  später  hervorragende 
Stellungen  als  Operateure  und  Lehrer  der  Chirurgie  einnehmen  konnten. 

Auch  die  militärärztliche  Lehranstalt  in  Wien,  welche  1781  er- 
öffnet wurde,  hatte  Anfangs  diese  Einrichtung.  Diese  später  nach  ihrem 
Stifter,  dem  Kaiser  Josef,  genannte  Schule  erhielt  1785  ein  neues  Lehr- 
gebäude, welches  mit  einem  Kostenaufwande  von  einer  Million  Gulden 
hergestellt  wurde;  es  befanden  sich  darin  die  Hörsäle,  die  Bibliothek, 
die  wissenschaftlichen  Sammlungen  und  die  Wohnungen  der  Lehrer. 
Mit  dieser  Schule  wurde  das  Militärspital  verbunden,  welches  Raum 
für  1200  Personen  bot  und  auch  zwei  Krankensäle  für  schwangere 
Soldaten weiber,  also  eine  kleine  geburtshilfliche  Abtheilung  enthielt* 
Femer  wurde  in  der  Nähe  der  Anstalt  ein  botanischer  Garten  angelegt 
und  ein  kleines  chemisches  Laboratorium  eingerichtet 

Der  Unterrichtscursus  dauerte  zwei  Jahre;  zu  demselben  wurden 
30  der  geschicktesten  Feldärzte  commandirt,  welche  nach  der  Beendi- 
gung dieser  Studien  zu  Regimentschirurgen  befordert  wurden.  Daneben 
wurde  die  Anstalt  von  Studierenden  besucht,  welche  sich  für  den  chirur- 
gischen Beruf  erst  vorbereiteten. 

Den  Lehrkörper  bildeten  Anfangs  5  Professoren,  von  denen  einer 
die  Anatomie  und  Physiologie  nebst  den  zum  Verständniss  derselben 
erforderlichen  Elementen  der  Mathematik  und  Physik,  der  zweite  die 
allgemeine  Pathologie  und  Therapie  nebst  der  Hygiene  lehren,  der 
dritte  die  Instrumenten-  und  Bandagenlehre  vortragen,  die  chirurgische 
Klinik  und  die  Operationsubungen  leiten  und  Geburtshilfe  und  gericht- 
liche Medicin  vertreten,  der  vierte  Vorlesungen  über  innere  Medicin 
halten  und  die  Klinik  der  inneren  Krankheiten  leiten,  und  der  fünfte 
Botanik,  Chemie  und  Arzneimittellehre  vortragen  und  den  botanischen 
Garten  beaufsichtigen  sollte;  ausserdem  wurde  ein  Prosector  angestellt, 


^  A.   Guttstadt:   Die   naturwissenschaftlichen   und  medicinischen   Staats- 
anstalten Berlins,  Berlin  1886,  S.  344. 

'  deLuoa:  Wiens  gegenwärtiger  Zustand  unter  Josephs  Regierung,  Wien  1787. 


Dir  önierricfä  t»  «f-ßr  Vhimr^,  Aug^nfieükuttde  w.  Gehtirishilfe,      353 


'r^.|r>ier  die  für  den  Unterricht  erforderlichen  anatomischen  Präparate 
'•\i^n  ttnrt  die  Sektionen  der  Kranken,  welche  im  Militän^pital 
stUrhen,  roraebmen  musst-e.*  Zur  Richtschnur  beim  rnterricht  sollten 
jdt«  Worte  des  Kaisers  dienen:  ,,Meine  Ahsicht  geht  ki^itieswegs  dahin^ 
S55  den  Chinir^^n^  die  hier  formirt  werden  sulleii,  nur  die  Oberflfidie 
Ton  einer  jeden  der  angegebenen  Wissenschaften  beigebracht  und  sie 
Mos  mit  der  Kenntnis^  der  Kunstwörter  und  einer  übereilten  und 
seichlen  Lehre  von  hier  abgefertigt  werden,  loh  will  vielmehr,  dass 
m  ihre  Kenntnisse  grfiiKÜieh  fassen  und  mit  solchen  versehen  zu  den 
Regimentern  zurückkehren/*» 

Mit  der  Anstalt  wurde  eine  Akademie  verbunden,  welche  nach  dem 
Muster  der  Academie  <ie  Chirurgie  in  Paris  organisirt  war,  rreisauf- 
%hi*n  für  die  Losung  chirurgischer  Fragen  ausschrieb  und  tlie  Arbeiten 
Veröffentlichung  bnichte.*  8ie  erhielt  die  Hechte  und  Khren  einer 
Universität  und  durfte  fiw  Grade  eines  Magisters  und  Doktors  der  t^hi- 
io  v^'rbMhen.  Die  gebildeten  Chirurgen  wurden  dadurch  den  Ver- 
*ni  der  inneren  Medicin  in  der  socialen  Kangordnung  gleichgestellt. 
Vernünftige,  vorurtheiislose  Ärzte  begrüssten  die^e  Einrichtungen 
^it  Begoistertnig  als  den  ersten  S^chritt  zu  der  ersehnten  Wiederver- 
einigung d(^r  Chirurgie  mit  der  internen  Medicin.  Pnif.  Aun.  Richter 
in  Gdttingen  gab  den  Erwartungen,  die  mau  daran  knüpfte»  in  den 
Warfen  Ausdruek:  „Ganz  Deutschland  nimmt  gewiss  Aniheil  an  der 
re  dieser  Akailemie,  an  dem  glücklichen  Forfgange  ihrer  iJemühungen, 
der  Wahl  ihrer  Mitglieder;  denn  diese  sind  es,  von  denen  nun  die 
liinirgie  Deutschlands  Leitung,  liiehtung  und  Aufkirmintr  erwarten 
winl;  nach  dem  glücklichen  oder  unglückhchen  Erfolge  ihrer  Bemühun- 
£fen  wird  der  Aushinder  in  der  Folge  den  Werth  oder  Unwerth  der 
^nzen  deutseheu  i'hirurgie  beurtbeilen;  unter  ihnen  wird  man  immer 
i\K*  angesehensU-n  Wundär/.te  Deutsehlands,  in  iJiren  Akten  wird  man 
jeden  wichtige  deutsche  chirurgische  Produkt  suchen.***  Diese  Huff- 
üungen  erfüllten  sich  nur  in  gt^ringem  Ma^isse.  Der  frühe  Tod  des 
Kaisern  Josef  IL,  an  dem  die  Akademii'  einen  widilwrdlenden  und  frei- 
^♦•bigen  Gönner  verlor,  die  politischen  Kreignisse  und  bestiindigen  Krii^ge, 
welche  den  Militärärzten  die  Müsse  zu  wissenschaftlichen  Arbeiten  nah- 
Koaii  und  vor  Allem   die   geringe  Entwiekelung   und   unselbstständige 


■  G.  Vizztan^LLii  Accademia  medico-c  binir^ica  (iiusi*ppinii,  Viciina  1837. 

•  Albirh,  Entö^hlicas.  v.  3.  April  ITSl  im  Archiv  des  k.  k,  Krie^^r^uiiniHteximna. 

•  J.  A.  V.  Brambilla:   Verfasaung  und   StsUutcn  der  Jim,   ined.-cMr.  Aka- 
Wien  1786,  —  Ta.  Püschmann  a.  a.  O.  S.  96  u.  ff. 

•  A.  (l,  Richter:  Chirurgische  Bibliothek,  Göttiagen  1788,  Bd.  IX,  St.  2, 
S.  idi. 

fvm-MWKjnt^  Üülrnichl  23 


Rtollun^  der  rleut^hen  Chimrgie  trogen  Scbold,  daas  die  hochgestocktn 

Zido  iiiclit  i^rreirht  wurden. 

Niicb  dem  Vorliilde  des  AViener  Josc'ömims  entstanden  die  uiHi- 
(nniHt^h-rhirur^nKchen  Schulen  zu  Petersburg  (1783)  und  Kopenha^^en 
(1785).  hl  S|KHiii'n  wurde  1748  zu  Cadix  eine  SehriK'  zur  Ausbildung 
von  Muriueiirzteii  gegrüii(l(*t,  welche  von  einem  Direktor  und  10  U*lin?ni 
geleitet  wurdoJ 

Ausser<leni  wurden  im  18.  Jahrhundert  eine  Menj^e  von  Vt\kt- 
riiditsanstiilten  «Tricrhtntj  in  welchen  Rarbierer-  und  Badergt^t^ellen  io 
einem  zweijiiliritjen  (nier  «Ireijähriijren  Lehrcnirsus  zu  Landärzten  und 
Chirurgen  hcrungehildet  wurden.  In  Osterreicli  liihleten  diese  Schulen 
ihmh  Ahthoilungen  der  niedieiniselien  P'acultäten  oder  Lycüen,  theili 
hescuitlere  Anstulfeiu  wt*nn  sich  an  dem  gleichim  Ort  kein«»  Huchschnli 
hrüind.  In  di*n  übrigen  deubiehen  Ländern  entstanden  Kolebe  Aiij^talten 
in  Frankfurt  a/M,,  Hamburg,  Kegen^burg,  Braun^-hweig,  IJrucW, 
('elliS  Kassel,  (Totlui,  Dillingen,  Zürich  u,  a,  0. 

Um  die  gleirhe  Zeit  Itegann  man  auch  an  den  Umversitaten  dem - 
praktischen  Unterricht  in  der  Chinirgie  grössere  Beachtung  zu  schenken. I 
Dil»  Kliniken,  welche  damals  entstanden,  beschränkten  sich  frHlich  zu- " 
uM\s{  nur  auf  die  Behandlang  der  inneren  Krankheiten;  die  clurar- 
gim^hen  Verrichtungen,  welche  dabei  Tarkamen^  wnrden  gewrihnlich  m 
fdmnn  Wundani,  diT  drm  Yoi^tuide  der  Klinik  untergeordnpt  war, 
htmrgu 

Nur  in  HoIIjuhI  eriiieil«  die  Sliidiersitai  der  Hedictn  Gdes^iH 
heJt^  in  den  8|iililani  den  ghimgiauhai  Opentioiieii  beizuwohneiu 
J.  J«  iUr  in  UüMen  TMiitiH^ifi  ekfmpnht  Openlionsciixse  an  kt 
hekhK  flUr  mtMm  m  «ia  HiMnir  im  100  MlindiMdim  Thalem 

VMe  dtilBciK  Midiimw  %«rtiB  aeh  daftcr,  wmm  mt  pnt« 

Halland, 
mmmmWmMB.aonmäMMmmmmäjt9mimimmMMims^{l,l^ 


^Iiiiids  berühmtester  Lehrer  der  Chirurgie  A.  G.  Richteb  ertheilfce  hier 
klinischen  Unterricht, 

Auch  die  Äugenheilkiuide  und   die  Geburtshilfe,   welche  im  Zeit 
rBoERHAXVE's  mit  den  übrigen  Vorlesungen,  besonders  mit  der  Chirurgie, 
rereinigt  gelehrt  wurden,  fanden  allmälig  im  Studienplan  grössere  Be- 
rücksichtigung. 

Fninkreich,  England  und  Italien  brachten  einige  tüchtige  Augen- 
iirzfee  hem»r,  denen  sich  erst  am  Schluss  des5  1 8.  Jahrhunderts  mehrere 
?at«ch«?  ebenbürtig  zur  Seit^»  stellten.  Hervorragende  Augen-Operateure 
len  ähnlich,  wie  es  gegenwärtig  mit  berühmten  Tenoren  geschieht, 
weiter  Ferne  benifen,  um  Vorstellungen  in  ihrer  Kunst  zu  gehen. 
N,  X  Palücci  kam  auf  G.  vak  Swteten's  Veranlassung  nach  Wien 
und  führte  in  Gegenwart  dr^r  Studierenden  der  Meilicin  und  Chirurgie 
im  Dreital tigkeits- Hospitale  Sttmroperatiunen  aus.  Zu  dem  gleichen 
Zweck  kam  später  der  ältere  Wentzel  dorthin,  unter  dessen  Anleitung 
sich  Jos,  Babth  zum  Augenarzt  ausbildete. 

Die  PMolge  des  letzteren  auf  iliesera  Gebiete  bewogen  den  Kaiser 
Josef,  ihm  den  Autitrag  zu  ertheilen,  zwei  jimge  Arzte  in  der  Augen- 
]  "  1'*  zu  unterrichten.  Es  wurde  ihm  dafür  ein  aussenirdentlichcs 
[ii  1    von    1000  Gulden  ausgesetzt^    welches  ihm  jedocb  erst  aus- 

Bzalüt  werden  durfte,  nachdem  Jene»  durch  sechs  glückliche  Cataract- 
fOpcniHonen  den  Beweis  ihrer  Befähignng  geliefert  hatten.    Seine  ersten 
rhüler  waren  sein  Prosector  EiiKENiiiTTEri,  der  sebr  früh  starb,  und 
Aham  Schmidt,  denen  sich  später  noch  G,  J.  Bmeu  zugesellte,  welcher 
jürst  von  Barth  als  Zinchner   beschäfligt   wurde,     Sie    wurden    rtie 
egründer  der  Wiener  ophthalmologischen  Schule,   welcher  die   Welt 
Jcine  Reihe  tüchtiger  Augenarzt*^  verdankt 

Gleichzeitig  begann  man  auch  in  Göttingen,  Jena,  Leipzig  u.  a  0, 

rdie  Augenheilkunde  in  den  Bereich  des  khnischen  rnterrichts  zu  ziehen. 

Die   Geburtshilfe   wurde   noch   im    17.  Jahrhundert   nahezu   aus- 

chlie«slich  von  Hebamnieo  ausgeübt    Sie  erwarben  ihre  Kenntnisse  in 

em  Fach  durch  die  persfuihche  Unterweisung  einer  älteren  erfahrenen 

Btgenossiu  und  wurden  darin  von  angesehenen  Frauen  oder  von  den 

Anten  der  Stadt,  in  welcher  sie  sich  niederlassen  wollten,  geprüft.    In 

^Leipzig   leitete   die    Gemahlin    des   Bürgermeisters   die   Examina    der 

lehammen;  aber  an  den  meisten  Orten  unk^rzogen  sich  die  Ante  und 

Chirurgen,  besonders  diejenigen,  welche  im  Communaldienst«  angestellt 

waren,  dieser  Aufgabe. 

In   Folge   dessen   begannen    tlie    letzteren   auch,   den  Hebammen 
Unterriebt  zu   ertheilen.      Dies   war   treiüch    sehr  nothwendig;   denn 
[G  SET  AIS  DE  LA  ToüCHE  berichtet,  dass   durch  die  Unwissenheit  der 

23* 


_,^_ 


Uebammeo  alljährlich  eine  Anzahl  Ton  Frauen  und  Kindern  hei  i% 

Geburt  zu  Grunde  g'ingen;  und  Fabby  von  Hildkn  erzahlt,  Am 
linliammf-n   vom  Bau  der  weibliclien   Geschlechtsorgrane  und  von  <b 
Obliej^enhfilen*  der  Hebamme   keine  Ahnung  hatten,^     Kinzelne  hoch 
l»eL,^abte  Frauen,  wie  Lcjuisk  Bnirrmois,  welche  die  Mariü  von  iIo<ii( 
Gemahlin  des  Kouit^s  Heinrich  IV,,  entband  und  die  Oeburtshilfe  aiiol 
literarisch  ^"trdi^rle^  maeliten  davon  eine  Ausrnahme. 

In  Paris  erhielten  die   Hebammen  eine  systemaÜKche  Ausbildun 
Im  UfM  Dieu    befiind   sich   eine  Kntbindungsianstalt,   in   welcher 
Hebammen-Schülerinnen  von  der  Ober-Hebamme  unterrichtet  wurdeii;^ 
in  dieser  Stellung  wirkte  lan^e  Zeit  die  bekannte  MAUGUKun^R  de  u 
Mahchk,  deren  Lehrbndi  ffir  Helmnimen  zu  den   hegten  litemriscbisi 
Pividukten   jener   Z<»it    gehurt.      Der   Lehrcursus  währte  drei    Monaul 
wahrend  der  zweitem   Hiiltte  de^sselben   mus.st*»n  die  SchüIerinncT)  all 
Dienste,  die  bei  (jJeburten  erforderlich  sind,  selbst  verriehti^n.    Nnr  in 
aussenirdentlicln^n   Ffillen  wurde  der  rhirurs  der  Abtheilung,  welcher 
zuj^deicli  tiolHirtsbolfiT  war^  zu  Rath  gezogen. 

Im  Allgemeinen  weigerten  «ich  die  schwinge  reu  Frauen,  männ- 
liche Hilfe  anzunehmen,     Kine  Stut/e  gewann  die.^r  übel   angehruchti^ 
Sfthanibaftigkeit  in  der  Unwissenheit  der  meisten  Ärzt-e  und  i'birurjji^n, 
welche  ki'ini'  Gelegenheit  gidiabt  hatt/en,  l']rfsihrungen  in  der  Geburt»- 
liilfe  VM  iTwerben*     Dir-se  Verhältnisse  ändrrti'Ti  sich  *.*rst,  als  man  die 
übrrtnebene    Prinlrri«*  aufgab-  m\d  männliche*  Hilf«»  \m  den  GebiirtcL 
in  Ansjirtirh  nstlim.     Die  Herzoginnen  im  la  VAU^ifr:RE  und  ue  Mofl 
TKsi'AN  lind  aiidorf  Hamen  des  französischen  Hofes  machten  damit  den 
Anfang;  „ihr  Beispiel  fand  Imld  Nachainnung,  wie  P,  DiONi«  sclireilil, 
und  j^ogar  die  Frauen  aus  dem  Volke  f^'klarten,  dasn  sie  die  männbchpn 
(lebnrtshelier  df'U  Hebammrn  von^iehen  wünlen,  wenn  sie  nicht  durch 
tue  hidien  Hnficirarfmdernngen  dersrtben  abgebalten  wünlen**,' 

Im  J.  1720  wurde  im  Hut^l  Dien   zu   Paris  eine  Lehranstalt  für 
Geburt.sbelfer  errichtet.    Im  J*  1743  wurden  auch  an  der  chinirgJÄrhen 
Schule  gyna<'ki>logische  rnterrichts-t^unse  crölfTiet,  und  1754  fühlte  sich 
«ogar  die  UK^dicinische  Facultat  veranbksst^  eine  Lelrrkanzel  für  Geburta 
hilfe  zu  schaden. 

Holland  besass  schon  im  17*  Jahrhundert  ein  gi^^ordnete»  Hebammen 
wesen.    Die  Frauen,  welche  sich  diesem  Berufe  widmeten,  wurden  vl^ 


'  C.  J.  V.  SiEBOLP  a.  II.  ä  y,   132  IL  AT. 

*  Bei  anderen  ficlegunlioitcn  war  man  weit  entfernt  davon*  S.  Let 
sultatinn»  de  Mad.  de  S^vion^  ed.  p.  P,  MENifeRE,  PariÄ  t864|  p.  21  u.  ff. 

'  SrEöOLD  JL  a,  0.  TT,  189.  —  SrK  d.  Jüngorc:  Vcreueh  ebier  Ge»ehiclU© 
6ebnrtfllnlff%  Dmiterhe  Übcrj^.,  Altenburg  1786,  S.  99. 


Der  UnierriclU  in  der  Chirurgie,  Augenheilkunde  u.  Geburtshilfe,      357 


Chirurgen,  die  in  der  Geburtshilfe  geübt  und  erfahren  waren,  unter- 
richtet und  geprüft  Zu  ihren  Lehrern  gehörten  Männer,  wie  H.  van 
BooxHUYSEN,  Fb.  Ruysch  u.  A. 

In  England  entstanden  während  des  18.  Jahrhunderts  eine  Anzahl 
von  Entbindungsanstalten,  welche  zum  Theil  für  den  geburtshilflichen 
Unterricht  der  Hebammen  und  Studierenden  benutzt  wurden.  Das  auf 
J.  Leake's  Anregung  durch  Privatwohlthätigkeit  im  J.  1 765  gegründete 
Westminster  Lying-in-Hospital  zu  London  bot  den  jungen  Ärzten  und 
Chirurgen  die  Gelegenheit,  sich  in  der  Geburtshilfe  praktisch  aus- 
rabilden.  Ausserdem  nahmen  mehrere  Ärzte,  welche  Entbindungs- 
Institute  leiteten,  Schüler  auf,  die  sie  zu  Geburtshelfern  heranbildeten.^ 
An  der  Universität  Edinburg  wurde  1726  eine  Professur  der  Geburts- 
hilfe gestiftet.  In  Dublin  eröffnete  das  CoUegium  der  Ärzte  und  später 
auch  dasjenige  der  Wundärzte  Lehrcurse  in  diesem  Fache.  Die  im 
J.  1746  dort  errichtete  Gebär- Anstalt  erlangt«  einen  grossen  Ruf 

DeutschlaHd  hat  im  1 7.  Jahrhundert  keinen  einzigen  Geburtshelfer 
Ton  Bedeutung  hervorgebracht;  dagegen  machten  sich  einzelne  Hebam- 
men allgemein  bekannt  Die  „Chur-Brandenburgische  HoflF- Wehe-Mutter 
Justine  Siegemundin,  geb.  DirTRicHiN",  die  „Mutter  Grete",  welche 
der  Herzogin  Dorothea  Sibylla  zu  Brieg  gleichsam  als  „wahre  Geheim- 
rathin" zur  Seite  stand,  wie  Siebold  (a.  a.  0.  II,  207)  sagt,  und  die  Auf- 
sicht über  die  „HoQungfern"  führte,  und  die  Braunschweigische  Stadt- 
Hebamme  A.  Elk.  Horenburg  verschafften  ihrer  Kunst  durch  ihre 
Leistungen  verdientes  Ansehen  und  trugen  durch  ihre  Schriften  zur 
Verbreitung  und  Förderung  derselben  bei. 

Die  Geburtshelfer  wurden  selten  zu  Rath  gezogen.  Die  Auffassung, 
welche  manche  derselben  von  ihren  Aufgaben  hatten,  musste  die  Hilfe 
suchenden  Frauen  mit  Furcht  und  Schrecken  erfüllen.  Lorenz  Heister 
erzählt,  dass  sie  „in  Wendung  und  Herausziehung  sehr  schlecht  er- 
fahren waren;  wenn  sie  was  thun  sollten,  so  kamen  sie  mit  Hakens 
und  zerrissen  auf  eine  erbärmliche  und  erschreckliche  Weise  die  Kinder 
im  Mutterleibe  in  viele  Stücken,  die  sie,  wenn  sie  behörige  Wissen- 
schaft davon  gehabt  hätten,  noch  sehr  oft  mit  den  blossen  Händen 
wohl  hätten  bekommen  können  und  dadurch  verhin<lem,  dass  nicht  so 
oft,  wie  geschehen,  die  Gebärmuttor  der  unglücklichen  Frauen  mit 
ihren  Haken  nebst  den  Kindern  zugleich  wären  zerrissen  und  ums 
Üben  gebracht  worden".^ 


*  C.  6.  Baldinoeb^s  Medicin.  Journal,  Göttingen  1787,  St.  15. 
'  LoR.  Heister:  Mcdicinische,  clürurgiachc  und  anatomische  Wuhmelimungen, 
Rortock  1753,  Vorrede. 


358  Der  medicinische  Unterricht  in  der  Neuzeit, 


Der  Dr.  Deisch,  welcher  in  Augsburg  seinen  „Würgungskreis* 
hatte,  wurde  vom  Volk  der  „Kinder-  und  Weiber-Metzger*'  genannt 
„er  perforirte  und  zerstückelte  die  Kinder  ohne  Unterlass,  sie  mochtei 
noch  am  Leben  sein  oder  nicht,  und  schnitt  ihnen  die  Hälse  durch 
Hatte  er  die  Wendung  unternommen,  so  war  er  erstaunt,  wenn  das 
Kind  lebend  zur  Welt  kam".  Im  J.  1763  gebrauchte  er  unter  61  Ge- 
burten 29  Mal  scharfe  Instrumente,  wobei  10  Gebärende  zu  Grunde 
gingen.  Sein  College  Mittelhäüsbr,  welcher  als  Physicus  zu  Weissen- 
fels  in  Sachsen  eine  ähnliche  Thätigkeit  verübte,  betrachtete  es  ah 
einen  besonderen  Erfolg,  dass  ihm  von  zehn  Frauen,  die  er  entband 
nur  zwei  starben.^ 

An  anderen  Orten  scheint  es  zuweilen  nicht  viel  besser  gewesen 
zu  sein;  Niohols  köstliche  Satyre:  The  petition  of  the  unbom  babies 
(London  1751),  in  welcher  sich  dieselben  über  die  schlechte  Behandlung 
beklagten,  die  sie  von  Seiten  der  Geburtshelfer  erfuhren,  sowie  die 
Figur  des  Dr.  Slop,  des  mit  seinen  Instrumenten  kampfbereiten  Ge- 
burtshelfers in  L.  StEBNE's  Tristbam  Shandy,  waren  sicherlich  mehi 
als  blosse  Phantasien  des  Dichters. 

Es  war  begreiflich,  dass  sich  der  allgemeine  Unwille  gegen  diese 
Art  von  Geburtshilfe  erhob.  Die  Fortschritte,  welche  diese  Wissen- 
Schaft  im  18.  Jahrhundert  machte,  brachten  eine  richtigere  Erkenntnis^ 
des  Waltens  der  Natur  beim  Gebär-Akt  und  humanere  Anschauungen 
über  die  KoUe,  welche  dabei  der  Kunst  des  Geburtshelfers  zufällt,  zui 
Geltung. 

Einen  bemerkenswerthen  Antheil  an  diesem  wohlthätigen  Um- 
schwünge hatte  die  Einführung  eines  geordneten  geburtshilflichen  Unter- 
richts an  den  Universitäten  und  die  Vermehrung  der  Entbindungs- 
Anstalten.  Neben  den  theoretischen  Vorlesungen  über  Geburtshilfe-, 
welche  an  den  meisten  Hochschulen  in  Verbindung  mit  den  chirur- 
gischen gehalten  wurden,  begann  man  auch  mit  der  praktischen  Unter- 
weisung der  Studierenden. 

Strassburg  ging  darin  allen  übrigen  deutschen  Universitäten  voran; 
im  J.  1728  wurde  in  der  dortigen  P^ntbindungsanstalt,  welche  schon 
seit  langer  Zeit  zum  Hebammenunterricht  verwendet  wurde,  eine  Schule 
für  Geburtshelfer  eingerichtet*  Sie  stand  unter  Fbikd's  Leitung  und 
wurde,  wie  Osiakdeb  sagt,  die  Mutterschule  aller  andern  Institute 
dieser  Art  in  Deutschland.  Die  Schüler  übten  die  geburtshilflichen 
Griffe  zuerst  am  Phantom,  imtersuchten  femer  die  Schwangeren  und 
überwachten  die  Geburten.    Das  Honorar,  welches  sie  dem  Lehrer  fdi 


1  Siebold  a.  a.  0.  II,  426  u.  fF.  *  Wibqeb  a.  a.  0.  S.  100  u.  ff. 


I    wek 
ffteiti 


diesen  ünterricfat  zahlen  nmssten,  w&r  ziemlicli  hoch;  es  betrog  an- 
g«fahr  100  Thaler. 

Aus  dieser  Schule  gingen  mehrere  der  bedeutendsten  Gelmrts- 
belfer  dos  vorigen  Jahrhunderts  hervor,  unter  ihnen  J,  G.  Ruebekek, 
welcher  1751  als  Professor  der  Geburtshilfe  und  Direktor  der  neu  er- 
teten  Entbindungsanstalt  nach  Gottini^en  benifen  wurde,  Gleich- 
tig  wurde  in  der  Berliner  Charite  eine  geburtshilfliche  Schule  er- 
öffnet Im  J,  1786  gab  es  im  Köoigreiche  Preussen  ohne  die  Provinz 
Schlesien  bereit«  14  Lehrer  dieser  DiscipUn.  Ebenso  entstanden  in  den 
übrigen  deutscheu  Ländern  derartijje  Anstalten,  in  welchen  Hebammen 
und  Studierende  in  der  Geliurtshilfe  llnterriehi  emptingen,  2,  B.  in 
Wurzbarg (1 739),  Kopenhagen  (1 7tȟ),  Kassel  (170H),  Braunschweig  (17 G8), 
Karl!*rnhe,  Dresden  (1774),  Jena  (1781),  Marburg  (1792),  Detmold,  Mann- 
iieim,  Weimar,  Bern  (1782)  u.  a.  0.  In  Wien  wurde  174H  der  Hebammen- 
liDterriüht  eingeführt  und  1754  an  der  Universität  eine  Lelirkanzel  der 
<ieburtshilfe  gestiftet.  Eine  besondere  Klinik  dieses  Faches  wunle  1789 
pingericbtet,  nachdem  schon  seit  1774  geburtshilfliche  Lebrcurse  in 
einem  Spital  eingerichtet  worden  nvaren  und  Fälle  dieser  Art  auch  in 
der  chirurgischen  Klinik  Aufnahme  gefunden  hatten.  Aber  an  manchen 
Universitäten  blieb  der  Unterricht  in  der  Geburtshilfe  ebenso  wie  der 
üphthalmologische  bis  tief  hinein  ins  19,  Jahrhundert  mit  dem  chirur- 
gischen vereinigtv^ 


tp  medicinische  Unterricht  am  Schluss  des  18,  Jahr- 
hunderts und  der  ärztliche  Stand. 


Die  Veränderungen,  welche  tier  niHlicinische  Unterricht  an  den 
ihschnlen  in  der  Periode  vom  Beginn  des  17.  liis  zum  Ende  des 
18.  Jahrhunderts  erfuhr,  waren  sehr  iK'deutend.  An  die  Stelle  der  zwei 
öd  ^  V  s  ren,  deren  Lehrthritigkeit  sich  auf  einige  theon^isrhe 
V  I rankte  und  die  praktische  Ausbildung  in  der  Anatomie, 

Arzöeimittellehre  uuil  eigentlichen  Heilkunst  nur  gelegentlich  in  Betracht 
hr.  ri,  wenigsti^ns  an  den  grösseren  Univ'ersitateDj  Lebrer-t'ollegien 

gr  deren  Mitglieder  die  verschiedenen  Disciplinen  der  Heilkunde 

fertraten  and   anatomische  Lehranstalten,   Laboratorien   und  klinische 
luüditute  zu  ihrer  Verfügung  hatten. 


(jusseuow:  Zur  Geachichte   uinl    Metliode  tles  klimsehen   Llnterridits^ 


Nach  der  Studienordnun^  v.J.  1749  bestanden  an  der  medicinn 
Facultat  zu  Würzburg  5  ordentliche  Lehrkanzeln.    Von  ihren  Inl 
sollte   der   erste   den   Studierenden  eine  gedrängt«  Übersicht  der  (]§ 
schichte  der  Mediiün  geben,  die  Institutionen  (Physiologie)  auf  wiÄ>eiischaJl.J 
lidi-physikalischer  Grundluge  vortragen,  die  Ursachen  und  Wirkunpij 
von    Gesjjundheit   und    Krankheit  (allgemeine  Pathologie)   mit   BerüctJ 
sichtigung  der  Anatomie  erörtern   und  auf  die^e  Weise  den  \Ve|,'  zufi 
ärztlichen  Pnixis  ebnen,  der  zweite  Butunik  lehren  und  den  botaiii«clieii| 
Garten  leiten,   der  dritte   Chemie  vortragen  und   in  der  zum  Julius.] 
Spital  gehörigen  Apotheke  die  Zubereitung  der  Arzneien   zeigen,  da 
vierte  Vorlesungen  über  specielle  l*athologie  und  Therapie  der  innerei^ 
Krankheiten  halten,  die  Schüler  in  die  Hospitäler  führen  und  mit  dei 
Krankenbehandlung  vertraut   machen,  und  der  fünfte  den  rnterrichtl 
in  der  Anatomie  und  Chirurgie  ertheilen;    dem   letzteren  stand  d&beij 
ein  Prosector  zur  Seite,  welcher  zugleich  als  Oberehirurg  und  l^ht^ 
der  Geburtshilfe  thatig  war.  ^    Der  medicinische  Lehrkörper  zu  llpitJeU] 
berg  hatte  1763  vier  ordentliche   Professoren,  derjenige  zu  Göttin^i' 
1784  deren  sechs  und  zu  Pavia  iim  die  gleiche  Zeit  acht*   Der  Studien- 
plan, welchen  R  Fkakk  1X85/86  für  die  medicinische  FacuMt  in  Pavu 
entwarf,  zeigt,  weicht*  Anforderungen  ein  Fachmann  damals  st4?lJt<\^ 

Die  Naturwissenschaft*3n  nahmen  eine  angesehenere  Stellung 
als  früher;  es  zeigt  sich  dies  deutlich  m  einem  Frhtss  des  v* 
Fürstbischofs  von  Würzburg  v.  J.  ITS'J,  in  widcliem  es  hei^-  tij 

man   es  in  vnrigen  Zeiten  für  eine  ausgemachte  Wahrheit  hat  hulti 
dürfen,  dass  die  Physik  für  diejenigen,  welche  sieh  der  Arznevkuiist  iqI 
widmen  gciienken,  ein  nicht  nur  sehr  nützliches^  sondern  sogar  unen^J 
behrliches  Studium  sei,  so  wird  man   wohl  in  unseren  Tagen,  wo 
Physik    eine    vielverbesserte  tJestalt  angenommen   bat,  um  so  wm^ 
daran   zweifeln;  und  wenn  gleich  die   Physik   für  den  Theologen  \m 
Juristen  von  geringerem  Nutzen   als  für  den  Arzney-Beflissenen  m^i 
mag,  so  sind  auch  die  Vurtheile,  welche  künftige  Theologen  und  JurisU^n 
von  der  Mathematik  und  der  sogenannten  praktischen  Philosophie  iiid^ 
zu  versprechen  haben,  längsterLs  entschieden^'.*  ^M 

Die  raediriniscbe  Facultat  zu  Wien  besass  im  J,  178U  beriit« 
9  systemisirtc  Lrfirkanzcln,  welche  sich  auf  Anatomie»  Physiologie, 
Natui^^eschichte ,  Chemie  und  Botanik,  aUgomeine  Pathologie  und 
Therapie  nebst  Arzneimittellehre,   interne  Medicin   und    Klinik,  tha 

*  Wkmrle  ft,  a,  O,  —  Kni.uKKH  a»  a.  O.  8,  75. 
»  P.  FiiANE  Ä-  a.  (K  VI,  2,  S.  46. 
'  P.  Fr^nk  IL  a,  a  8uppL-B«nd  I,  S.  176  ii.  ff. 

*  Wkuelk  a,  a.  O.  [J,  428. 


Dermedicin.  Unterricht  am  Schluss  des  18,  JaJirh,  u,  der  ärztlicJie  Stafid.    361 


retische   Chirurgie,   chirurgische   Klinik   und  Geburtshilfe  vertheilten; 
ausserdem  betheiligten  sich  an  der  Lehrthätigkeit  noch  mehrere  Assi- 
stenten und  ein  Prosector,  da  dem  Professor  der  Anatomie  die  Pflicht 
oblag,  ,,ein  Subjectum,  welches  zu  seiner  Zeit  ihm  zu  succediren  fähig, 
auf  eigene  Unkosten  abzurichten".    Der  Kaiser  Josef  IL  widmete  dem 
medicinischen  Unterrichtswesen  eine  rege  Aufmerksamkeit     In  einem 
Eescript  vom  27.  April  1786  gab  er  den  Bedenken  gegen  die  Studien- 
pläne der  medicinischen  Facultaten,  welche  ihm  vorgelegt  worden  waren, 
mit  den  Worten  Ausdruck:  „Dass  die  Lehre  der  Chirurgie,  aller  Opera- 
tionen und  Bandagen  in  sechs  Monaten  soll  hinlänglich  gegeben  werden 
können,  scheint  mir  nicht  leicht  möglich,  und  überhaupt  theile  ich  das 
medicinische  Studium  auf  folgende  Art  ein.    Das  erste  Jahr  Anatomie 
mit  der   Physiologie  verbunden,  dergestalt,  dass,  wie  man  z.  B.  eine 
Lunge   in   der  Anatomie  vorgezeigt,   man  auch  zugleich  deren  Noth- 
wendigkeit  und  Wirkung  in  dem  gesunden  Körper  anführe  und  so  auch 
weiter  bis  auf  jeden  Muskel  im  Leibe,   wie  er  zur  Bewegung  dienet. 
Dieses  Schuljahr  müssten  medici  und  chirurgi  absolviren;  dem  Professor 
anatomiae  et  phjsiologiae  müsste   man   die  nöthigen  prosectores  und 
was  er  gebraucht,  zugeben,  um  sein  Lehramt  gut  zu  verwalten.     Zu- 
gleich würde  im  ersten  Jahr  für  die  Mediciner  Botanik  und  Chemie, 
und  für  die  chirurgos  Operazionen,  Bandagen  und  Geburtshilfe  gelehrt. 
Im  zweiten   Jahr  müssten   die  Wundärzte   die  chirurgische  und  me- 
dicinische Praxis  und  clinicam  im  Spital  erlernen  und  im  Spital  auch 
die  Geburtshilfe  praktiziren,  und  da  wären  sie  fertig;  die  medici  aber 
müssten  materiam  medicam,  Pathologie  und  alles  was  zum  gelehrten 
Fach  der  Medicin  gehört,  hören,  im  dritten  Jahr  aber  sich  ganz  mit 
der  praxis  und  clinica,  auch  Praktizirung  im  Spital  abgeben.    Und  auf 
diese  Art  würden  in  zwei  Jahren  für  das  Land  geschickte  chirurgi  und 
in   drei  Jahren  medici  für  die  Stadt  gebildet  werden.     Nach  diesem 
Sinne  erwarte  ich  die  weitere  Ausarl)eitung.     Josef."  ^ 

Die  Studienordnung,  welche  bald  darauf  erlassen  wurde,  wich  von 
diesen  Grundsätzen  zunächst  darin  ab,  dass  für  die  Studierenden  der 
Medicin  und  Chirurgie  eine  Studienzeit  von  vier  Jahren  bestimmt  und 
ein  gemeinsamer  Lehrplan  festgesetzt  wurde,  nach  welchem  der  Unter- 
richt in  den  meisten  Fächern  für  beide  Kategorien  vereinigt  war  und 
sich  nur  dadurch  unterschied,  dass  Jene  mehr  Zeit  auf  die  Arznei- 
mittellehre, Chemie  und  innere  Medicin  verwenden,  Diese  sich  ein- 
gehender mit  der  Chirurgie  und  den  damit  verbundenen  I^ehrgegen- 
ständen  beschäftigen  und  dies  in  den  Prüfungen  beweisen  müssten. 


'  Archiv  dea  k.  k.  Unterrichtsministeriuiiis  zu  Wien. 


362  Der  medidnische   Unterricht  in  der  Neuzeit, 


Damit  wurde  endlich  auch  in  Österreich  und  Deutschland  der 
Chirurgie  eine  würdigere  Stellung  eingeräumt,  wie  dies  in  andern 
Staaten  bereits  geschehen  war.  Die  internen  Mediciner  und  CJhirurgen 
wurden  als  gleichstehende  Klassen  von  Ärzten  anerkannt,  welche  eine 
gleichwerthige  Bildung  besitzen  und  sich  nur  durch  die  Form  ihrer 
Thätigkeit  unterscheiden. 

Daneben  entstand  eine  niedere  Art  von  Ärzten,  welche,  mit  ge- 
ringeren Kenntnissen  ausgestattet,  hauptsächlich  für  die  Landbevölkerung 
bestimmt  waren  und  sowohl  die  innere  als  die  äussere  Praxis  ausübten. 
Die  Gegensätze,  welche  bisher  zwischen  den  Ärzten  und  den  Chirurgen 
bestanden  hatten,  wurden  nun  auf  die  Beziehungen  zwischen  den  höher 
gebildeten  Ärzten  und  den  weniger  unterrichteten  Medice -Chirurgen 
übertragen.  Bei  der  Beurtheilung  der  Zustände,  welche  sich  daraus 
entwickelten,  darf  man  daher  nicht  vergessen,  dass  eine  Verschiebung 
der  in  Frage  kommenden  Faktoren  stattgefunden  hatte,  welche  später 
Manches  rechtfertigte,  was  vorher  unhaltbar  und  ungerecht  erschien. 

Es  ist  ja  zweifellos,  dass  die  Chirurgen  des  1 7.  Jahrhunderts  einen 
niedrigen  Bildungsstandpunkt  einnahmen;  aber  war  es  vielleicht  mit 
den  Ärzten  jener  Zeit  anders?  —  Der  todte  Wust  einer  unfruchtbaren 
Gelehrsamkeit  trübte  Vielen  den  Blick  für  das  frische  Leben  der  Gegen- 
wart „Sie  kannten  den  Galen,  aber  ihre  Kranken  gar  nicht",  wie 
Montaigne  sagte.  Die  Figur  des  Dr.  Diafoirus,  welche  MoLEfcRE  in 
seinem  „eingebildeten  Kranken"  gezeichnet  hat,  soll  der  AVirklichkeit 
abgelauscht  sein.^ 

Der  grosse  Haufe  der  Ärzte  suchte  dem  Publikum  durch  das  hohle 
AVortgetön  der  griechisch -lateinischen  Terminologie  zu  imponiren;  sie 
meinten  den  Kranken  einen  Dienst  erwiesen  zu  haben,  wenn  sie,  wie 
Kant  schreibt,  ihren  Leiden  einen  Namen  gegeben  hatten.*  Durch 
Pillen  und  Pflaster,  Arzneien,  Klystiere  und  oft  wiederholte  Blut- 
entziehungen bemühten  sie  sich,  die  Krankheit  zu  beseitigen,  so  dass 
zuweilen  eine  kräftige  Constitution  dazu  gehörte,  um  diesen,  häufig 
unzweckmässigen  oder  verkehrten  Massregeln  Widerstand  zu  leisten. 

Der  Titel  eines  Doktors  der  Medicin  bot  keineswegs  die  Garantie, 
dass  der  Träger  desselben  ärztliche  Kenntnisse  besass.  Ausser  den 
Universitäten  nahm  auch  der  Kaiser,  der  Pabst  und  seine  Bevollmäch- 
tigten und  die  Pfalzgrafen  da^  Recht  in  Anspruch,  diese  Würde  zu 
verleihen.    In  Neapel  genoss  die  Familie  d^Aveluno-Carraciolo  noch 


^  M.  Ratnaud:  Les  mödecins  au  temps  de  Moli^re,  Paris  1862. 
'  Im.  Kant:  Versuch  über  die  Krankheiten  des  Kopfes  in  der  Ausg.  sfimmtl. 
Werke  von  Rosenkran tz  u.  Schubert,  Leipzig  1838,  VII,  16. 


Der  msdim^  Untemaht  am  Scltlms  des  18.  Jcäirh.  u,  der  änälicke  Stand,    363 


im  TOrigfen  Jahrhundert  im  Privileginm,  Doktoren  der  Medicin  und 
ite  Rechts  zu  ernennen;  sie  machte  davon  reichlichen  Gebraucli  unti 
lies»  es  sich  entsprechend  bezahlen. 

AlM*r  auch  an  einzelnen  Hochschulen  wurde  niit  der  Doktor-Pro- 
motion ein  schändlicher  ilissbrauch  getrieben.  Manche  Prufessoren 
^hen  in  den  Taxen,  welche  dafür  entrichtet  wurden  ^  eine  erwünschte 
W'nnrhrung  ihrer  Kinnahmen  und  suchten  die  Bewerber  dadurch  an- 
zulocken, dai!vs  sie  mö^^lichst  gerin g:e  Anforderungen  an  deren  Wissen 
stellten.  Die  Prüfungen  wurden  entweder  erlassen  oder  sanken  zu 
nn^T  werthlosen  Formalitat  herab.  Die  Doktor-Dis-sertationen  konnten 
von  gelehrten  Lieferanten,  welche  die  Anfertigung  derartiger  Arbeilen 
gewerhsniässig  betrieben,  zu  bastimmten  Preisen  gekauft  werdend  In 
Greiü^wald  erwarb  i.  J,  1788  ein  Schustpr  das  niedicinische  Dukt^r- 
Diplom,  und  zwar  auf  Grund  einer  Dissertation  über  die  Heilwirkungen 
iics  Peclii!!.  Die  Universität  Erfurt  creirte  in  einem  einzigen  Jahre 
97  Doktoren  der  Meilicin,  während  sie  überhaupt  nicht  mehr  als 
80  Studenten  in  gammtliciien  Facultiiten  zählte. 

An  anderen  Hochschulen  waren  die  mit  der  Erlangung  der  Doktor- 

le  verbundenen  Unkosten  so  gross,  dass  unbemittelte  Candidaten 
auf  vtn*2ichten  mussten.  Sie  holten  sich  dieselbe  in  Folge  dessen 
rntweder  an  Orten,  wo  man  weniger  Geld  dafür  verlangte,  oder  be- 
engten sich  damit,  als  Licentiaten  der  Medicin  die  ärztliche  Praxis 
»4ML*«zuüben.  In  Wien  kostete  die  medicinische  Doktor -Promotion  bis 
J.  1749  ungefähr  1000  Gulden,  in  rfottingen  1765  etwa  130  Thaler, 
In  Paris  7000  Livres  und  in  Oxford  100  Pfund  Sterling. »  Dabei  ge- 
währte dieselb«»  keineswegs  überall  besondere  Yorrechte. 

Ausser  zahlreichen  anderen  Heilkünstlern,  welche  dureb  die  gesetz- 
lichen Einrichtungen  zur  ärztlichen  Praxis  berechtigt  waren,  erhielten 
ÄUeh  hernmziehende  fimpiriker,  Brnchschneider,  Steinoperateure  und 
Slaarst^echer  an  vielen  Orten  ohne  brsondere  Schwierigkeiten  die  Er- 
lanhniss,  ihre  Kunst  auszuüben.  In  auffallendem  Aufzuge,  behängt 
mit  allerlei  buntt>m  Flitterstaat  und  begleitet  von  einem  Harlekin,  wie 
*ler  tiu  Volksliede  verewigte  Dr.  Eisenbart,  zogen  sie  auf  den  Jahr- 
niärkten  und  Kircliweihen  umher  und  erzählten  dem  Publikum  von 
ilen  ^nmderbaren  Knron,  die  sie  angebhch  verrichtet  hatten.  Mit  un- 
venicbamten  Worten  priesen  sie  die  Heilkraft  ihrer  Methcamente  gegen 
Schwindsucht,  Taubheit  und  alle  möglichen  unheilbaren  Leiden.  Manche 
erklärten,  dass  «ie  im  Stande  seien,  das  Sehvermögen,  auch  wenn  es 

»  Kau»*  priv.  Beidisanzeigür,  Gotha  1802,  No.  169—110. 
•  P.  Praitk  a.  a.  CI.  Vf.  H,  S.  291. 


364  Der  medtcinische  UnterriM  in  der  Neuxeä. 


seit  vielen  Jahren  verloren  worden,  sofort  wieder  herzustellen;  Andei-e 
empfahlen  Pillen  gegen  Unfruchtbarkeit,  welche  nach  ihrer  Angabe 
sogar  ohne  Coitus  die  gewünschte  Wirkung  hervorbrachten. 

Die  Scharfrichter,  die  unter  den  Kurpfuschern  eine  hervorragende 
Stelle  behaupteten,  verkauften  Menschenblut,  welches  in  frischem  schäu- 
menden Zustande  als  Heilmittel  gegen  die  Epilepsie  betrachtet  wurde; 
sie  hatten  dafür  einen  bestimmten  Tarif,  je  nach  dem  Menschen,  von 
dem  es  stammte;  am  theuersten  war  das  Blut  einer  Jungfrau  oder 
eines  Jünglings,  am  billigsten  dasjenige  eines  Juden.  ^ 

Das  grösste  Unheil  richteten  jedoch  die  herumziehenden  Operateure 
an.  Wenn  sie  auf  öifentlichen  Plätzen  der  staunenden  Menge  unter 
dem  Schmettern  der  Trompeten  und  Wirbeln  der  Trommeln,  welche 
die  Schmerzensschreie  der  beklagenswerthen  Patienten  übertonen  mussten, 
Proben  ihrer  Kunst  zeigten,  so  dachte  Niemand  an  die  traurigen  Polgen, 
welche  diese  chirurgischen  Kingriffe  häufig  zurückliassen.  Aber  gilt 
denn  nicht  noch  heut  das  Wort  Bacon's,  dass  jeder  Charlatan  und 
jedes  alte  Weib  als  Nebenbuhler  des  tüchtigsten  Arztes  angesehen  wird 
und  mit  ihm  um  den  Vorzug  am  Krankenbett  ringen  darf?  — 

*  G.  Fischer  a.  a.  0.  S.  49  u.  ff,  —  Dos  getreuen  Eckkarts  mediciuischer 
Maulaffc  oder  der  entlarvte  Marktschreier,  Frankfurt  und  Leipzig  1719.  —  The 
tatler,  London  1723,  IV,  No.  243.  —  0.  Bucuneb  a.  a.  ().  S.  145  u.  ff. 


IV.  Der  medicinische  Unterricht  in  der 
neuesten  Zeit. 


Die  naturwissenschaftliche  Weltanschauung  des 
19.  Jahrhunderts. 

Mit  den  gewaltigen  Ereignissen  der  letzten  Decennien  des  18.  Jahr- 
hunderts begann  die  Geschichte  der  neuesten  Zeit.  Die  politischen  und 
culturhistorischen  Gestaltungen  der  Gegenwart  haben  mit  der  franzö- 
sisi'hen  Revolution  und  den  geistigen  Bewegungen  jener  Periode  ihren 
Anfang  genommen. 

Die  französische  Revolution  war  nicht  so  sehr  gegen  die  Monarchie 
als  gegen  den  Feudalismus  gerichtet,  dessen  Vertreter  ihre  bevorzugte 
Stellung  in  unerhörter  Weise  gemissbraucht  hatten.  Zum  ersten  Male 
wurde  das  schwere  Unrecht,  welches  darin  lag,  dass  ein  Theil  der  Be- 
völkerung alle  Lasten  des  öflFentlichen  Gemeinwesens  tragen  musste, 
während  der  andere  sammtliche  Vorrechte  und  Vortheile  davon  genoss, 
allgemein  anerkannt  und  der  Gnmdsatz  ausgesprochen,  dass  Diejenigen, 
welche  den  Staat  erhalten,  auch  auf  die  Verwaltung  desselben  einen 
massgebenden  Einüuss  auszuüben  berechtigt  sind. 

Dieser  Gedanke  bildete  gleichsam  den  festen  Rückstand  in  den 
mannigfachen  politischen  Zersetzungs-  und  Umwandelungs- Prozessen, 
welche  damals  stattfanden.  Er  führte  zum  Parlamentarismus,  der  im 
19.  Jahrhundert  fast  in  allen  civilisirten  Ländern  zur  gesetzlichen  In- 
stitution erhoben  wurde.  Mit  der  Beseitigung  der  historischen  Privi- 
legien und  der  standischen  Gliederung,  mit  der  Aufhebung  der  Leib- 
eigenschaft, mit  der  Eintührung  der  bürgerlichen  Selbstständigkeit  und 
Gleichberechtigung  der  einzelnen  Individuen  und  der  Theilnahme  der 
breiten  Schichten  des  Volkes  an  der  Regierung  vollzog  sich  eine  sociale 
Umwälzung  von  weittragender  Bedeutung. 

Gleichzeitig  mit  der  politischen  Emancipation  der  bürgerlichen  Ge- 
sellschaft begann  auch  der  Aufschwung  der  Tagespresse,  die  Entwickelung 


366  Der  medicinische  Unterricht  in  der  neuesten  Zeit, 


des  Journalismus  und  die  Popularisirung  von  Kunst  und  Wissenschaft 
Das  Interesse  für  die  Bestrebungen  auf  diesen  Gebieten  drang  in  Kreise 
der  Bevölkerung,  welche  früher  gänzlich  unberührt  davon  geblieben 
waren. 

An  der  Culturentwickelung  betheiligten  sich  alle  gebildeten  Na- 
tionen, namentlich  aber  die  Franzosen,  die  Englander  und  die  Deutschen. 
Die  letzteren,  welche  schon  im  18.  Jahrhundert  einen  Lessiko,  Hebdeb, 
(lOETHE,  SciniiiiEB,  MozABT,  BEETHOVEN,  Kant  uud  andere  erleuchtete 
Geister  hervorgebracht,  und  in  der  Dichtkunst  und  Literatur,  in  der 
Musik  und  Philosophie  eine  Achtung  gebietende  Stellung  errungen 
hatten,  übernahmen  allmälig  auch  in  der  Medicin  und  in  den  Natur- 
wissenschaften die  Führung.  Während  in  der  Geschichte  derselben 
Anfangs  neben  einzelnen  Engländern  hauptsächlich  Franzosen  genannt 
werden,  gewannen  seit  der  Mitte  des  19.  Jahrhunderts  die  deutschen 
Gelehrten  und  Forscher  einen  überwiegenden  Einfluss. 

Anders  gestaltete  sich  das  Verhältniss  in  der  Philosophie,  welche 
in  Deutschland  unter  dem  Banne  der  Schulgelehrsamkeit  leider  den 
Zusammenhang  mit  dem  praktischen  Leben  verlor  und  erst  in  neuester 
Zeit  wieder  gefunden  hat. 

Mit  kritischer  Schärfe  hatte  der  grosse  Denker  von  Königsberg 
die  Quellen,  den  Umfang  und  die  Grenzen  des  menschlichen  Denkens 
gezeichnet;  aber  die  auf  Kant  folgenden  Philosophen  haben  seiner 
Erkenntniss-l'heorie  nur  wenig  hinzuzufügen  vermocht  und  sich  darauf 
beschränkt,  diese  oder  jene  Richtung  seines  Systems  weiter  zu  ent- 
wickeln. Indem  sie  dabei  gerade  an  die  Frage  nach  dem  Wesen  und 
letztem  Grunde  der  Dinge,  welche  Kant  für  überflüssig  und  unlösbar 
erklärt  hatte,  als  er  die  Forschung  auf  die  Welt  der  Erscheinungen 
verwies,  anknüpften,  verlegten  sie  die  Aufgabe  der  Philosophie  wiederum 
in  das  mystisch-transcendente  Gebiet  der  Spekulation. 

Die  geistvollen  Hypothesen  eines  Fichte,  welcher  die  Lösung  des 
Räthsels  des  Daseins  in  dem  Ich-Begriflf  suchte  und  damit  zu  einem 
unbeschränkten  Idealismus  gelangte,  eines  Schelling,  der  die  Identität 
von  Natur  und  Geist  verkündete  und  damit  die  Naturphilosophie  be- 
gründete, eines  Hegel,  welcher  alles  Heil  in  der  absoluten  Idee  sah, 
und  eines  Schopenhauer,  der  die  Welt  als  Wille  und  Vorstellung 
erklärte,  konnten  wohl  eine  Zeitlang  fesseln,  keineswegs  jedoch  dauernd 
überzeugen.  Keines  dieser  Systeme  hat  auf  die  Naturwissenschaften 
grösseren  Einfluss  ausgeübt,  als  die  Naturphilosophie. 

Hervorragende  Ärzte  und  Naturforscher,  wie  Blumenbach,  Oken, 

KlELMEYEB,   J.   DÖLLINGEB,    OeBSTED,    BuBDACH,    NbB8  V.   EbENBEOK, 

KiESEB,  K.  G.  Cabus  u.  A.  schlössen  sich  ihr  an,  weil  sie  in  ihr  be- 


Dk  fuUunmssenschaftlwhe  Wtliannchatiung  des  19,  Jahrhunderts.     367 


stimmte  Gesichtspunkte  zur  Bearthcilung  der  empirisch  gesammelten 
Tlifttsscben  fanden.  Gleich  der  Romantik,  welche  damals  die  Knust  und 
liiterainr  beherRchte,  ein  echtes  Kind  dieser  nach  einem  hetneciip'nden 
Ahä^chlnss  der  gegensät^iichen  und  unfertigen  Bestrebungen  rini^enden 
Zeit,  verfolcrte  auch  die  Naturphilosophie  durchaus  edle  Ziele,  indem  sie 
uich  in  die  Tiefen  des  (jemütks  versenkte,  der  Medicin  ihre  erhabenen 
dien  Aufgaben  ins  Gedächtniss  rief  und  die  Einheit  der  verwhie- 
len  Naturwissenscliaften  zum  Ausdruck  brachte. 

Der  empirischen  Forschung  stellte  sie  ^^ich  erst  feindlich  gegenüber, 
äU  sie,  vom  religiösen  Mjstici.smus  angekrünkeU,  die  Met4iphysik  zu 
ihrem  Tummelplatz  wählte  und,  um  mit  Hamann'^^  Worten  m  rrden, 
^auK  einer  allgemeinen  Wissenschaft  des  Möglichen  7AI  einer  allgemeinen 
t'iv  -!^]pit  de«  Wirklichen"  wurde.  Wenn  die  Naturphilosophie  in 
gr  r*T  Sol))stübcrhehung  ihre  vagen  und  oft  veralteten  Begrilfe- 

hpstimmungen  der  tiiglich  fortschreitenden  Naturwissenschaft  entgegen- 
hielt, m  erreichte  sie  damit  nur^  dass  sich  die,se!be  giinzlich  von  ihr 
abwand  te. 

Nicht  wenig  trug  die  vorzugsweise  durch  Hegel  in  tue  Philosophie 
eingeführt»'  schwerfällige  F'orm  der  Darstellung,  welche  sich  in  einer 
isellij^t  fa)>ricirten  Sprache  abmilhte,  die  einfachsten  Dinge  möglichst 
snverstiandlich  zu  machen,  zu  der  Kntfremdung  bei,  welche  allmidig 
in  DeutiJchland  zwischen  <ler  Naturwissenschaft  und  der  Philosophie 
^atffand. 

In  andern  Ländern  war  es  damit  iu  mancher  Beziehung  besser 
Hier  behielt  die  Philosnjihie  enge  Fühlung  mit  den  Wissen- 
und  Künsten  des  realen  Lehens  und  stellte  b*^i  der  meihodi- 
leben  Bearbeitung  derself^en  ihre  Kräfte  in  deren  Dienst.  In  Prunk- 
rh  begründete  AiTfinsTE  Oomtr,  wtdcher  gleich  Kant,  an  den  er 
ltnü]ift*\  mathematisch  und  naturwissenschaftlich  geschult  war,  den 
Po«itivi^imuSf  welcher  im  Einklang  mit  dem  mächtigen  Autschwung, 
den  die  empirische  Forschung  in  jener  Zeit  dort  erlebte,  die  31etaphysik 
rmd  den  Teleologismus  ausschloss  und  alles  philosophische  Denken, 
alle  Wissenschaft,  auf  die  durch  die  Erfahrung  fest^gestellten  Thatsachen 
gfstötzt  wissen  wollte. 

Die-se  Richtung  musste  den  Naturforschern  genehm  erscheinen  und 
fand  daher  unter  ihnen  viele  Anhänger  und  Vertreter.  In  Deutschlund 
%-erkundeten  Fkchnek,  H.  Loi'zk,  H.  Czölbk  und  andere  hervorragende 
Manner  der  Naturwissenschaft  diese  Lehren  und  trugen  das  zu  ihrer 
Begründung  nothwendige  Material  herbei  Die  exakU»  Schule  der  Gegen- 
wart, begann  wieder  mit  der  Philosophie  zu  rechnen,  und  einer  der 
gFOflsten  Naturforscher,  Karl  Rokitansky,  wies  auf  den  Nutzen  und 


368 


Der  meämmHche  Dnienichi  in  der  neuesiän  ZdL 


die  Bedentnug  hin,  welche  dieselbe  für  dio  Naturwi&senschaflen 
dk^  Medicjii  bej^ilzt  Aber  auch  die  Philosophen  erkannten,  d 
positive  Ki'nnt.rii.ss  der  wissenschaftlichen  'ITiatsachen  die  8elbstverstllii4- 
liche  Vorausj^etzun^  ihrer  Thaitif^keit  j^ein  muss,  wenn  sich  die%cl)w 
fmchtlirin^a^nrl  j^ft8tJiUen  8ul!  und  ernsk^  Beachtnn^  lieanspruohcn  ffüj. 
An  eiiuelnen  llüchschiilen  wurden  die  philosophi-schen  Lehrkanzelu 
Naturforschern  übertragen,  welche  den  Werth  der  Heohachtung  unj 
de«  Exiieriments  erprc*l>t  hatten  und  damit  dtT  Bedeutung,  welche  djc* 
naturwissenschaftliche  Weltanschauung  für  die  Culturentwickclunjr  d«r 
(le^^^enwart  j:(ew*jnnen  hat,  ein  deutlicher  Ausdruck  gesehen.  \\\m\\^ 
erhielt  ihre  Begründung  in  rier  Fülle  von  neuen  That«achen,  m\ 
welchen  die  Terschiedenen  Naturwissenschaften  im  19,  Jahrhundert 
l>i*reiehert  wurden,  und  in  der  Krkenntniss  ihrer  l  .  ^\^m  Be- 
Ziehungen  und  genieinsamen  iie^^etze,  welche  eine  eini-  Betrach- 

tung des  Lebens  der  Natur  ermijglichte. 

Wenn  ich  hier  f»inige  That>achen  au-s  der  Geschichte  der  vpr- 
Bchiedenen  Naturwissenschaften  hervorhebe,  so  geschieht  es  nur,  um 
den  (lang  ihrer  Entwickelung  mit  wenigen  Worten   zu   kennieichiwj. 

Schon  im  IH.  Jahrhundert  versiiehte  man,  ilie  MineniUen  nach 
rationellen  tiesichtspuiikten  t\x  ordnen,  Linnk  und  Waij.kruth  legten 
ihrer  Einthrilung  derselben  die  Äusseren  Merkmale  und  Ähnlichi^eitefl 
t\\  (i runde.  Der  Schwede  Axel  von  ('hdnsteot  betrachti'le  dai^cgpii 
die  chemischen  BesUindtheile  als  massgebend;  der  sächsrs^die  B^r^th. 
Abkaham  (Juttlob  Wkrxeu  stellte  dann  ein  Schema  a«t|  wekhos  gick 
uul  die  chenjischen  und  physikalischen  Eigenschaften  sowohl  als  anf 
die  äusseren  Erscheinungsformen  stützte.  Ihm  gebührt  auch  dais  Ver- 
dienst, die  Orvktügnosie  und  Geognosie  von  einjinder  abgegrenzt  nni 
tlie  letztere  begründet  zu  haben. 

Die  wissenschaftliche  Bearbeitung  der  Krystallugraphie*  boirann 
mit  Ko>i^:  DK  i/LsLK  und  Hauv  und  wurde  von  Wkiss  und  Moa»  m 
erfolgreicher  Weise  fortgesetzL  Anilere  beschäftigten  sich  mit  den 
chemischen,  optischen  und  elektrischen  Eigenschaften,  mit  der  I'boisphör— 
escenz  und  dm  Pobinsaliens-Krscheinungen,  welche  liei  einigen  Mim*-' 
ralien  beobachtet  wurden.  Die  Verwerthung  der  (liemie  für  die  Ihiit»- 
riilügie  führte  zu  einer  innigen  Verbindung  dieser  beiden  WissenschAfteiUj 
^welche  nach  vielen  Richtungen  anregend  und  befruchtend  wirkt«. 

In  derGeognoüie  und  Geologie  wirkte  Leopold  vok  Buch  liaha- 
brechend,    (ileichzeitig  wurde  auch  die  Petrefacten-Kunde,  auf  welch 


*  Cr  VI  kr:  ftL*8cbicbte  der  FortÄrhritto  in  den  Naturwiasenschaften  leit  llftl 
Dputachf?  Üblere.,  Leipssig  1828,  4  Bde. 


Die  naturwissenschaßliche  Weltanschauung  des  19,  Jahrhunderts.     369 


Scheuchzer  zuerst  die  Aufmerksamkeit  gelenkt  hatte,  fleissig  getrieben 
and  bot  die  Materialien  zur  Lösung  mancher  Fragen  der  Geologie  und 
Anthropologie. 

In  der  Botanik  wurden  verschiedene  Versuche  unternommen,  ein 
natürliches  System  der  Pflanzen  aufzufinden.  Adanson  erklärte:  „Die 
Natur  stellt  uns  überall  natürliche  Ordnung  dar,**  und  meinte,  dass 
sich  dieselbe  sicherlich  nicht  auf  die  Ähnlichkeiten  oder  Unterschiede 
eines  einzelnen  Organs,  sondern  nur  auf  die  Gesammt- Erscheinung, 
auf  den  Total-Habitus  stützen  könne.  Um  dieses  System  zu  entdecken, 
verglich  er  die  einzelnen  Pflanzen  in  Bezug  auf  ihre  verschiedenen 
Organe  und  ordnete  sie  in  die  Klassen  der  Nächststehenden,  der  Nahe- 
stehenden u.  s.  w..  je  nachdem  sie  mehr  oder  weniger  mit  einander 
übereinstimmten.  Diese  Eintheilung  entbehrte  vor  Allem  der  Übersicht- 
lichkeit und  vermochte  sich  daher  keinen  Beifall  zu  erringen. 

Eine  richtigere  Methode  schlugen  A.  L.  de  Jüsseeu,  Pybame  de 
Candolle,  Robert  Bbown  u.  A.  ein,  indem  sie  zunächst  auf  eine 
genaue  Feststellung  und  Begrenzung  der  Pflanzen-Familien  drangen 
und  eine  Reihe  werthvoUer  Vorarbeiten  dazu  lieferten.  Dabei  begründete 
P.  DB  Candolle,  der  selbst  mehr  als  hundert  Familien  sorgföltig  be- 
schrieb, die  Lehre  von  der  Symmetrie  der  Pflanzengestalt. 

Von  fundamentaler  Bedeutung  für  die  Morphologie  waren  ferner 
die  Untersuchungen  Jos.  Gaebtners  über  die  Früchte  und  Samen  der 
Pflanzen  und  Rob.  Bbown's  monographische  Arbeiten.  Goethe's  Metamor- 
phosenlehre regte  mehr  die  Naturphilosophen,  als  die  Naturforscher  an. 
Sie  war  verschwommen  und  unbestimmt  und  erfuhr  erst  durch  Schimpeb 
und  AlexandbbBbaün,  welche  über  die  Blattstellung  und  dieEntwickelung 
der  Pflanzen  werth volle  Aufschlüsse  gaben,  eine  wissenschaftliche  Klärung.^ 

Die  Anatomie  der  Pflanzen  fand  fleissige  Bearbeiter  an  Bbisseau- 
MmuRT^  dem  jüngeren  Moldenhaweb,  Link,  Meyen,  Hugo  Mohl  u.  A., 
welche  die  Ansichten  über  den  Bau  der  Pflanzen  zu  einem  gewissen 
Abschluss  brachten.  Auch  die  mikroskopische  Struktur  derselben  wurde 
genauer  untersucht,  und  die  Entdeckung,  dass  die  Zelle  das  alleinige 
Grundelement  derselben  ist,  wies  der  morphologischen  Forschung  eine 
neue  Richtung.  Sie  drängte  zu  einer  grösseren  Berücksichtigung  der 
Histogenese.  Man  begann  diese  Verhältnisse  an  den  niederen  Krypto- 
gamen  zu  studieren,  weil  man  hier  mit  einfacheren,  leichter  zu  durch- 
schauenden Thatsachen  rechnen  durfte,  und  ging  dann  allmälig  zu  den 
höher  organisirten  Pflanzen  über. 


*  Wioakd:  Geschichte  und  Kritik  der  Lehre   von  der  Metamorphose  der 
Pflanzen,  Leipzig  1846. 

PuscBMAim,  ÜDt«nicht.  24 


3T0 


Der  medimniB^  Vnierrichi  in  dmr  neueaten  Zeit 


Die  dabei  gewonnenen  Ergebnisse  warfen  ein  mefkwtifdigvs  LichtJ 
auf  die  Entstehung  und  das  Wachsthuin  der  Organe,  Mohl  bcoV-l 
achtete  bi^reit.s  verschiedene  Arten  der  Sporenhildung  und  bcsehriebl 
1835  einen  Fall  von  vegetativer  Zelltheilung.  Schkeihen  st«^llle  1838 
eine  Theorie  der  Zellbildung  auf,  die  aber  an  so  vielen  Fehlem  li^| 
dass  sie  bald  nachlier  wieder  aufgegeben  wurde.  An  ihre  Stelle  tnll 
Nabokus  Theorie,  welche  umfassender  war,  die  ?enächiedenartigtii  1 
Fälle  ins  Auge  fasste  und  da»  ihnen  zu  Grande  liegende  GusetiJ 
,  feststellte. 

Im  Jahre  1839  sprach  Schwank  den  Satz  aus^  dass  die  thiembel 
Zelle  der  vegetablischen  analog  isi^  und  1865  machte  üngkb  aaf  dlf> 
Ähnlichkeit   de^  Protoplasma   der  Pflan2en2elle   mit    der  8arcode  der 
niedersten  Tlüere  aufmerksam,  welche  durch  die  Untpr>nrliTiTiL^rn  nWi 
die  Myxomyceten  eine  weitere  Bestätigung  erhielt 

Diese  That.sachen  führten   zu  einer  richtigeren   Ütu 
riithselhaften  Beziehungen  zwischen  dem  Ptianzen-  und  1f  luj 

trugen   ebenfalls   dazu   bei,   die   I^hre   von   der  Constanz   der  Arten^l 
welche  lange  Zeit  als  ein  unumstr^ssliches  Dogma  gegolten   hatt^,  m 
1>eseitigen. 

Die  Befruchtung  der  Pflanzen  wurde  von  Du  Hamki.  8tudi*»rt, 
welcher  die  Bestäubungseinrichtungen  der  Blüthen  und  die  Rolle,  welche  i 
manche  Insekten  dabei  spielen,  beschrieb.  Eine  grün<iliche  Bearbeitmif  j 
erfuhr  dieser  Gegenstand  seit  1830,  indem  die  Prozesse  im  Innern  derj 
Samenknospen  zum  Gegenstande  sorg^tiger  Untersuchungen  gemacht] 
und  tue  Sexualität  auch  bei  den  Kryptogamen  nachgewiesen  wurde. 

Auch  die  Vorgänge  der  Ernährung,  Stoff-Aufnahme  und  -Abgabe. 
und  des  Wachsthums  frinden  eine  ausführliche  Darstellung.     Die  SafWJ 
bewegung,  über  welche  schon  Stephax  Hai..£s  interessante  Experimenli 
'  angestellt  hatte,  wurde  hauptsächlich  durch  Dütbochkt,  der  die  di« 
motischen   Erscheinungen    zu    ihrer   Erklärung    beranxog,    aufgeklärt  1 
IN6KXUOÜS8  fandf  dass  die  grünen  PSanzentheile  unter  dem  Binflos 
des  Lichts  Kohlensäure  aufnehmen,  Sauerstoff  ausscheiden  und  auf  die»«' 
Weise  den  Kohlenstoff  erhalten,  den  die  Ptianzen   in    der  Form  orga- 
nischer Terbindungen   in   sich   aufhäufen,   und   begründete  somit  di«* 
Lehre  von  der  Athmung  und  Ernährung  der  PHanze.    Daran  schlössen 
sich  S£N£BQiBs  Untersuchungen  über  den  Einiluifö  des  Lichts  auf  iu 
Leben  der  Pflanze  an. 

Zahlreiche  Arbeiten  beschäAigten  sich  dann  mit  dem  Chemiümus 
^der  Ernährung  und  den  Bewegungaeraßheinungen  der  Pflanzen.^ 


8Aa»  A.  a.  O.  S.  27«  «.IL 


Die  naturwissenschaflliche  Weltanschauung  des  19,  Jahrhunderts.     371 


die  Pathologie  derselben  fand  Beachtung  und  wurde  namentlich  in 
neuester  Zeit  ausserordentlich  gefordert.  Endlich  trat  auch  die  Pflanzen- 
Geographie  ins  Leben,  welche  dadurch,  dass  sie  die  Abhängigkeit  der 
Pflanzenwelt  vom  Klima  und  Boden  nachwies  und  erklärte,  grosse  Be- 
deutung für  die  Heilkunde  und  besonders  für  die  medicinische  Geo- 
graphie erlangte. 

Die  SJoologie  erfuhr  durch  die  AuflBndung  neuer  Thierarten  und 
die  sorgfaltige  Erforschung  ihres  anatomischen  Baues  nicht  nur  eine 
bedeutende  Vermehrung  ihres  Wissens-Inhalts  und  gelangte  zu  einer 
besseren  Systematik,  sondern  vermochte  mit  Hilfe  der  Entwickelungs- 
geschichte,  vergleichenden  Anatomie  und  Palaeontologie  zu  einer  natur- 
geschichtlichen Gesammt-Anschauung  durchzudringen,  welche  das  ganze 
Gebiet  des  Werdens  und  Vergehens  in  der  Natur  zu  umfassen  schien. 

BiJFPON  ^  näherte  sich  bereits  diesem  Standpunkt,  indem  er  erklärte, 
dass  kein  wesentlicher  Unterschied  zwischen  Thieren  und  Pflanzen  be- 
stehe und  die  Reihenfolge  der  organischen  Wesen  einen  einheitlichen 
Plan  zeige.  Seine  populäre  und  geistvolle  Darstellungsweise,  welche 
den  Reichthum  der  Thatsachen  mit  kühnen  Hypothesen  zu  verweben 
verstand,  regte  die  Forscher  zu  neuen  Untersuchungen  an  und  erweckte 
und  verbreitete  beim  grossen  gebildeten  Publikum  das  Interesse  für 
naturwissenschaftliche  Gegenstände.  Buffon  ging  dabei  auch  auf  die 
geographische  Verbreitung  der  Thierwelt  ein  und  hob,  wie  schon  Linn*:, 
die  Verschiedenartigkeit  derselben  in  den  einzelnen  Continent^n  hervor. 
Wenn  die  arktischen  Thierformen  von  Amerika  und  Europa  überein- 
stimmen, so  schloss  er  daraus,  dass  einst  ein  Zusammenhang  der  beiden 
Welttheile  bestanden  habe  oder  wenigstens  Wanderungen  der  Thiere 
von  einem  zum  andern  möglich  gewesen  seien. 

Die  Bekanntschaft  mit  der  überseeischen  Fauna  wurde  hauptsäch- 
lich durch  die  wissenschaftlichen  Expeditionen,  denen  Naturforscher 
beigegeben  wurden,  herbeigeführt  So  beschrieb  Sonneeat  mehrere 
Thiere  der  südasiatischen  Inseln;  hauptsächlich  aber  erwarben  sich  der 
ältere  Foesteb,  Al.  von  Humboldt  und  Lichtenstein  in  dieser  Rich- 
tung Verdienste. 

Ebenso  wurde  die  Verbreitung  der  Thierwelt  in  den  einzelnen 
Ländern  Europas  genauer  studiert.  PAUiAS  beschrieb  verschiedene 
neue  Thierformen. 

Gleichzeitig  wurde  die  Kenntniss  der  bekannten  Thierarten  durch 
wichtige  Beobachtungen  bereichert.  Bonnet  bemerkte  zuerst  die  un- 
geschlechtliche Fortpflanzung  der  Blattläuse.    P.  Camper  und  J.  Hunter 


V.  Cabus  a.  a.  0.  S.  522  u.  ff. 


372  Der  mtdidniscJve  UfäerricfU  in  der  neuesten  Zeit. 

entdeckten  gleichzeitig  und  unabhängig  von  einander  die  Pneumacität 
der  Vogelknochen  und  den  Zusammenhang  ihrer  Lufträume  mit  den 
Lungen.  Fabbicius  und  später  Latbeille  beschäftigten  sich  vorzugs- 
weise mit  der  Entomologie,  während  Rudolphi  die  Helminthologie 
bearbeitete  und  Lamabck,  0.  F.  Mülleb  und  Ehbenbebg  in  der  Welt 
der  Infusorien  Umschau  hielten. 

Die  Zootomie  gab  über  den  Bau  der  verschiedenen  Thiere  werth- 
volle  Aufschlüsse,  und  die  Vergleichung  ihrer  Organisation  eröffnete 
beachtenswerthe  Gesichtspunkte  für  eine  einheitliche  Beurtheilung  der- 
selben. Die  vergleichende  Anatomie  und  Physiologie  erhielt  durch 
J.  HuNTEB,  F.  VicQ  d'Azyb,  Blumenbaoh,  Kielmeyeb,  Geoffboy 
St.  HiiiAiBE,  CuviEB,  TiEDEMANN,  C.  G.  Cabus,  J.  F.  Meckel  und 
JoH.  Mülleb  eine  Fülle  wissenschaftlichen  Materials  zugeführt  und 
wurde  als  das  eigentliche  Ziel  der  Zootomie  betrachtet  Ignaz  Döllingeb 
schrieb  1814:  „Die  Aufgabe  der  Zootomie  ist,  den  Bau  der  Thiere  zu 
entwickeln  und  in  demselben  die  Natur  des  Lebensprozesses  nach- 
zuweisen. Damit  wird  das  Vergleichen  des  Zootomen  Geschäft;  er  soll 
Thatsachen  zusammenstellen  und  untersuchen,  worin  sie  sich  ähnlich 
und  worin  sie  sich  unähnlich  sind;  er  soll  sie  mit  der  Idee  des  Lebens 
zusammenhalten  und  erforschen,  wie  sich  ein  und  dasselbe  durch  eine 
Reihe  von  Metamorphosen  durchbildet".^ 

Geoffboy  St.  Hilaibe  stellte  leitende  Grundsätze  auf,  welche  den 
Forschem  als  Eichtschnur  dienen  konnten.  Cüvieb  entdeckte  das  schon 
von  J.  Hebmann  geahnte  Gesetz  der  Correlation  der  Theile,  nach 
welchem  jeder  Organismus  ein  geschlossenes  Ganze  bildet,  dessen  ein- 
zelne Theile  nicht  abgeändert  werden  können,  ohne  dass  auch  an  allen 
übrigen  Organen  Aenderungen  stattfinden. 

Auf  Grund  dieser  neu  erschlossenen  Thatsachen  durfte  man  sich 
auch  an  die  Systematik  wagen.  Batsch  versuchte  zuerst,  die  Knochen- 
thiere  von  den  übrigen  zu  sondern;  aber  erst  Lamabck  brachte  die 
Eintheilung  in  Wirbelthiere  und  Wirbellose  zum  deutlichen  Ausdruck 
und  zur  allgemeinen  Anerkennung. 

Den  grössten  Fortschritt  in  dieser  Hinsicht  verdankte  man  Cuvieb, 
welcher  die  Typenlehre  begründete.  Er  erklärte,  dass  es  im  Thier- 
reiche  vier  neben  einander  stehende  Hauptzweige  oder  „allgemeine 
Pläne  gebe,  nach  denen  die  zugehörigen  Thiere  modellirt  zu  sein  scheinen 
und  deren  einzelne  ünterabtheilungen  nur  leichte,  auf  die  Entwickelung 
oder   das   Hinzutreten  einiger  Theile  gegründete  Modificationen   sind, 


^  J.  Döllinqer:  Über  den  Wertli  und  die  Bedeutung  der  vergleichenden 
Anatomie,  Würzburg  1814,  S.  17. 


Dis  aaiurudsstnscJiaftliche  Wdimisckm^img  des  19,  Jakrhundsris,     373 


hl  denen  aber  an  der  Wt*senheit  des  Flaues  nichts  geändert  wird", 
K.  £•  Y.  Bjlfm  bestimmt*^  den  Bo^ilf  des  Typus  genauer  und  berichtig 
di^  Tlieorie,  namentlieli  in  Bezu^  auf  die  Entwiekelunirsgeschichte, 
welche  Cctvier  gäuzlie.h  unberücksichtigt  gelassen  hatte. 

Die  wii3sen9chatY!iehe  Bearbeitung  der  letzteren  begann  damals 
mehr,  ala  bisher^  hervorzutreten  und  auf  die  verwandten  Diseiplinen 
inflnas  auszufiben.  Pam»er  verötfen fliehte  8eine  bahnbr<M^henden  Unter- 
phangen  über  die  Entwiekelung  des  Huhns,  in  welchen  er  den  Nach- 
weis lieferte^  dass  sich  der  Vogelkorper  aus  drei  Keimblättern  bildet, 
K*  H  V,  Baer  zog  auch  die  übrigen  Kbissen  der  WiHHdthiere  in  Be- 
tracht und  wies  auf  die  verschiedenen  Sonderungsvorgänge  am  Keime 
hin.  Auch  von  Anderen  wurden  die  Veränderungen  des  Eies  nach  der 
Befruchtung  beobachtet  und  die  Fur«*biingsprozesse  besehrieben.  Ferner 
wurde  die  Entwiekelung  einzelner  Örirane,  z.  B,  diejenige  di*s  Gebims, 
des  Augea,  der  Wi)LFF*scben  Kürjier  n.  a,  ni.  zum  Gegenstande  besonderer 
Untersuchungen  gemacht. 

Dabei  wurde  man  auf  die  Ähnliehki'it  in  (b'r  Entwiekelung  diT 
Embryonen  verschiedener  Thierlbrmen  aufmerksam.  Juhn  Hüntek, 
KiKUMKrKR  und  spater  Oken  begründeten  die  Theorie,  dass  die  Em- 
bryonen der  höber  organisirten  Thier««  di<"  Entwiekidungsstadien  der 
Wederen  Klassen  durchlaufen.  Die  entwiekelungsgeschichtlichen  That^ 
Sachen  in  Verbindung  mit  den  palaennt^dogisehen  Fun<len,  welche  die 
Verschiedenheiten  zwischen  d**n  fossibm  Pllanzen  und  Tbieren  und  fien 
heutigen  Kep  rasen  tauten  ihrer  Art  erkennen  liessen,  erschütterten  ain-h 
in  der  Zoi>[ngie  den  (Tlautten  an  die  ünveränderlichkeit  der  Form  und 
brrriteten  die  Uescendenztheorie  vor. 

Schon  i  J,  1804  erklärte  Lamarck  unter  Hinweis  auf  die  Bjtstardirung 
und  Varietätenbildnni,%  dass  der  Begriff  der  Art  nur  dem  an  ein  kurzes 
Zeitma^s  gewöhnten  L  rtheil  der  Mensehen  unveränderlich  erscheine,  in  der 
Wirklichkeit  al)er  wechsele  und  sich  den  äusseren  Lebensverhfdtnissen  au- 
pa.sse.  Im  J,  1830  verötfentlichte  Lyeuj  seine  Principles  of  Geology,  in 
denen  er  auseinander  setzte,  dass  es  zur  Erklärung  der  Verändeningen  der 
Erdrinde  durchaus  nicht  immer  der  Annahme  grosser  gewaltiger  Kat^t^tro- 
phen  bedürfe,  sondern  dass  dazu  die  langsam^  alier  stetig  wirkenden  Kräfte 
der  Natur  ausreichen.  Er  wies  auf  die  Wirkungen  der  Flüsse  und  Meere, 
der  Minerabiuellen  und  tfletscher  hin  und  verglich  die  Veränderungen  der 
unorganischen  Welt  mit  dem  Minutenzeiger  der  Uhr,  ,,dessen  Vorrücken 
man  sieht  und  hört,  während  die  Fluktuationen  der  lebenden  Schöpfung 
kaum  sichtbar  sind  und  der  Bewegung  des  Stundenzeigers  gleichen".* 


'  u,  ??ciimidt:  Dcsceudenzlehre  und  Darwinbrniiß,  Leipzig  1873,  S.  117. 


374 


Der  medmnUche  ünkniM  m  der  neuesten  Zeä, 


Das   Dogma   der   Constanz   der   Arten  wurde  allmiilig    von   den 

meisten  Naturfnrsi'hem  vorlassen.    Man  sah,  dass  die  Arten  sich  inner- 
hall)  gewisser  morphologischer  Grrnzen  veräntlcrn,  und  wurde  dadnrch 
zu  der  Vermuthnng  fj^edningt,    dass  sie  sich  auf  diese  Vivise  zu  ihr 
gegenwärtigen   Form  entwickelt  haben,     du  Darwin  hat  das  m\ 
ganglicho  A'^rtlienst,  diase  Hypothese  zur  wissensehafllichen  That 
erhohen    zu    hahen.      Gestützt  auf  ein   i"eichei>    Beobachtungi^-Mttti 
unternahm  t^r  es,   die  Ursachen  zu  ergründen,  welche  die  Entetehunpf 
d<T  ArUni  erklfiren,  und  kam  zu  dem  Resultat,  d-Ass  der  Kampf  xm 
DiLsein  und  tue  natürliche  Zuchtwahl  zu  einer  Auslese  des  Besseren  ua 
Passenderen  führen,  welche  den  Untergang  des  unterliegenden  Theili 
und  die  allmalige  Vervollkommnung  di^g  siegenden  im  Gefolge  hab 
IHe^e  Theorie,  welche  vüu  WAiiLAci:,  NAKciKLi  u,  A.  in  einzelnen  Punk 
berichtigt  uutl  ergänzt,  wurde,  bildete  den  Grundstein  einer  neuen  natu 
wisKensehiiftliehen  Weltanschauung. 

Als  liald  darauf  der  Versuch  gemacht  wurde,  darauf  eine  nati 
liehe  Schöpfungsgeschichte  aufzubauen,  und  dabei  auch  die  Stellun 
des  Menschen  gegenüber  den  übrigen  Bewohnern  der  Krde  m  den  Kr 
der  Erörterung  gezogen  wurde,  erregte  die  neue  Lehre  den  heftig« 
Unwillen  aUer  Derjenigen,  welche  darin  einen  Angrift*  auf  die  Religio! 
und  die  Menschenwürde  erblickten.  Die  Lückenhaftigkeit  der  IM* 
saidaen,  besonders  in  der  Palaeon tobigte,  und  die  mangelhufte  Kennt- 
niss  nninchcr  physjoloi^ischen  und  entwickeluugsgeschichtlichen  Vorgäiigc_ 
gestattete  allenlings  nicht  Schlussfolgerungen  von  solcher  Tragweih 
wie  sie  bisweilen  zu  Tage  traten;  aber  dieselben  bullten  sich  in 
anspruchslose  tiewand  der  Hy|K)these  und  forderten  nicht  beiiingung 
loso  Unterwerfung,  tsomiera  eine  freimüthige  Kritik,  Die  Religion  mi 
niemals  von  der  Wissenschaft  bedroht  werden,  wenn  sie  es  unterlä 
die  Freiheit  der  Forschung  anzufeinden,  und  in  der  ethischen  EaiehuDj 
des  Menschengeschlechts,  in  der  Veredelung  des  Gemüthslebens  ihre 
einzigen  Autgaben  erkennt. 


Physik  und  Chemie  in  den  letzten  hundert  Jahren. 


Wahrend   sich    die    Mineralogie,    Botanik    und    Zoologie    aus 
schreibenden  Naturwissenschaften  in  erklärende  umwandelten^  gewannfj 
auch   die    Pliysik   und  Chemie  durch  die  Verbesserungen  der   Untü 
suchungsmethoden    und   die   Fülle   neuer    Entdeckungen    eine   anda 


Physik  und  Chemie  in  den  letzten  hundert  Jahren. 


376 


In  der  Chemie  wurde  die«e  Periode  eiii|?eleitet  durch  die  Ent- 
i^kujig  dm  Sauersk»flf8  und  die  Beseitii^iiiM:  der  Phlogiston-Theorie  und 
"chaiukt^^risirt  durch  die  M^-thoiic  d*.'r  quantitativen  Untersuchungen, 
Im  X  1774  fand  Jos.  Piueötley  den  Sauerstollj  indem  er  rothe«  Queck- 
silbtTDxyd  zum  Erhitzen  brachte.  Zu  gleicher  Zeit  beobachtete  er,  das8 
das  dabei  gewonnene  Gas  die  Athmung  und  VtThr<'nnung  besi^er  unter- 
jj^lf^  als  die  gewöhnliche  Luft;  aber  er  vermochte  nichts  die  daraus  sich 
•yrebendeo  Schlüsse  zu  ziehen.  Er  war  ein  genialer  Dilettant,  der  die 
Wissenschaft  mehr  in  der  Breite  als  in  der  Tiefe  erforschte.  Er  hat 
die  (Tiemic  mit  einer  Menge  von  Entileckangen  bereichert,  und,  wie 
Kupp  sagt,  für  die  Kenntniss  der  Gase  mehr  geleistet,  als  die  berufs- 
mässigen Naturforscher.^ 

Erst  Lavüisieb  erkannte  die  vollf^  Bedeutung  der  Entdeckung  des 
Sauerstoffs»  Schon  zwei  Jahre  vor  derselben  lieferte  er  den  experi- 
menti^llen  Nachweis,  dass  sowohl  bei  der  Verkalkung  der  3Ietatle,  al'^ 
bei  der  Verbrennung  von  Phosphor  und  Schwefel  im  Widerspruch  mit 
der  ph logistischen  Theorie  eine  Gewichtszunahme  erfolgt,  welche  auf 
der  Absorption  von  Luft  beruht;  aber  er  wu&ste  nicht,  ob  dabei  die 
Laft  im  Ganzen  oder  nur  ein  Theil  derselben  wirksam  ist.  Als  er 
durch  Pbikstley  den  Sauei-stoff  kennen  lernte,  kam  er  auf  den  Ge- 
danken, in  ihm  die  Ursache  dieser  Erscheinungen  zu  suchen.  Durch 
'M'  Versuche  stellte  er  lest,  daas  sich  nur  ein  Fünftel  der 
ruf  ^  irischen  Luft  an  der  Verbrennung  betheiligt,  imd  d^iss  die  Luft 
aus  einem  Theilc  Sauerstoff  und  vier  Theilen  eines  Gases  besteht, 
welches  weder  zur  Verbrennimg  noch  zur  Athmung  geeignet  ist..  Seine 
AngaV)en  ril>er  die  Zusammensetzung  der  Luft,  des  Wassers  und  ver- 
«ehiedener  ^Säuren  wurden  von  Cavenbish  bestätigt  und  in  einzelnen 
Punkten  er^inzt,^ 

Mit  der  Widerlegung  der  ph  logistischen  Theorie  tauchten  ver- 
schiedene Fragen  auf,  welche  bis  dahin  auf  Grund  derselben  oder  nach 
ihrer  Analogie  gelost  worden  waren.  Da  Lavoisier  in  allen  Säuren, 
ilie  er  untersuchte,  Sauerstoff  fand,  so  erklarte  er  denselben  für  den 
die^n  Köqiern  gemeinsamen  Bestandtheil,  also  für  Das,  was  man  früher 
Als  Ursäure  bezeichnet  hatte;  er  wies  femer  auf  die  Rolle  hin,  welche 
der  Sauerstoff  bei  der  Oxydation  oder  sogenannten  Verkalkung  der 
Metalle  spielt  Von  dem  Wesen  der  Kausticität  hatte  Black  schim 
früher  eine  richtige  Darstellung  gegeben. 


*  Korr  a,  a.  O.  l,  239. 

'  Kopp:    IkitHtge  zur  Göachichte   der  Chemie,   BrauuBchweig  187Ö,   HI, 
ii.ii; 


376  Der  medidnisdie  Unteiricht  in  der  neuesten  Zeit, 


Lavoisier  entwickelte  ferner  die  Bedeutung,  welche  der  Sauerstoff 
für  die  Athmung  und  Blutbereitung  besitzt,  und  gab  dadurch  die  An- 
regung zu  einer  gründlichen  Umänderung  der  physiologischen  Lehren 
über  diese  Vorgänge.  Aber  auch  auf  die  Pathologie  und  Therapie  übte 
die  Entdeckung  des  Sauerstoffs  einen  grossen  Einfluss  aus.  Einzelne 
Ärzte  sahen  in  ihm  die  Lebensluft,  auf  welcher  die  Gesundheit  beruhe. 
Sie  glaubten,  dass  bestimmte  Krankheiten  in  dem  Überschuss  oder 
Mangel  von  Sauerstoff  ihren  Grund  hätten,  und  verwendeten  ihn  daher 
in  der  Therapie. 

Lavoisiers  Lehren  fanden  die  früheste  Aufnahme  in  seinem  Vater- 
lande Frankreich.  Zu  seinen  Anhängern  gehörten  Guyton  de  Mobveau, 
der  sich  um  die  Einführung  einer  rationellen  chemischen  Nomenklatur 
verdient  machte,  Fourcroy,  welcher  sich  mit  der  medicinischen 
Chemie  beschäftigte,  und  Berthollet,  der  die  Zusammensetzung  des 
Ammoniaks  ermittelte,  die  bleichende  Kraft  des  Chlors  zuerst  be- 
obachtete und  deren  Bedeutung  für  das  praktische  Ijeben  erkannte, 
das  chlorsaure  Kali  und  das  Knallsilber  entdeckte,  die  Blausäure  genau 
untersuchte  und  deren  Bestandtheile  feststellte,  den  Irrthum  Lavoi- 
siers berichtigte,  dass  in  allen  Säuren  Sauerstoff  enthalten  sei,  die 
Lehre  von  der  chemischen  Verwandtschaft  begründete  und  auf  die 
Wichtigkeit  der  quantitativen  Verhältnisse,  welche  dabei  in  Frage  kamen, 
hinwies  und  die  technische  Chemie,  namentlich  die  Stahl-  und  Salpeter- 
fabrikation förderte. 

In  Deutschland  war  Klaproth  der  Erste,  welcher  die  anti- 
phlogistische Theorie  vertheidigte.  Die  Chemie  verdankt  ihm  die  Ent- 
deckung mehrerer  Elemente  und  die  Richtigstellung  verschiedener  irriger 
Angaben,  welche  von  andern  Forschem  gemacht  worden  waren.  Seine 
analytischen  Arbeiten  zeichneten  sich  durch  ihre  Genauigkeit  aus  und 
übertrafen  in  dieser  Beziehung  sogar  diejenigen  Vauquelins,  welcher 
um  die  gleiche  Zeit  die  mineralogische  Chemie  bearbeitete,  und 
dabei  das  Chrom  und  die  Beryllerde  auffand.  Auch  der  organischen 
Chemie  widmete  er  seine  Aufmerksamkeit  und  entdeckte  z.  B.  die 
Chinasäure. 

Im  Beginn  unsers  Jahrhunderts  verkündigte  J.  L.  Proust  das 
Gesetz,  dass  die  chemischen  Verbindungen  stets  eine  bestimmte  Constanz 
ihrer  Zusammensetzung  zeigen.  Ausserdem  lieferte  er  wichtige  Beitrage 
zur  Chemie  einzelner  Metalle  und  entdeckte  den  Traubenzucker.  Der 
Engländer  Dalton  versuchte,  die  Constanz  der  chemischen  Verbindungen 
durch  die  atomistische  Theorie  zu  erklären,  indem  er  annahm,  dass 
sich  die  Atome  verschiedener  Elemente  in  einem  bestimmten,  von  ihrem 
Gewicht  abhängigen  Verhältniss  vereinigen;   dabei  &nd  er  das  Gesetz 


Physik  ufid  Chemie  in  den  letzten  hundert  Jahren.  377 


der  multiplen  Proportionen.^  Die  stöchiometrischen  Untersuchungen 
Daltons  wurden  Yon  Wollaston,  der  die  Bezeichnung  der  Äquivalente 
anstatt  der  Atomgewichte  einführte,  und  Berzeliüs  fortgesetzt  und 
ergänzt. 

Eine  Erweiterung  erfuhr  dieser  Gegenstand  durch  Gay-Lüssac, 
welcher  bei  der  Untersuchung  der  chemischen  Verlnndungen  auch  die 
Volumen -Verhältnisse  der  Körper,  wenn  sie  sich  im  gasformigen  Zu- 
stande befinden,  zu  berücksichtigen  empfahl.  Im  J.  1805  fand  er  in 
Gemeinschaft  mit  Alexander  von  Humboldt,  dass  sich  das  Wasser 
aas  1  Volumen  Sauerstoff  und  2  Volumen  Wasserstoff  zusammensetzt. 
Später  untersuchte  er  noch  andere  Verbindungen  von  diesem  Gesicht*;- 
pnnkt  aus  und  stellte  dabei  fest,  dass  ihre  Bestandtheile,  sobald  sie  im 
gasartigen  Zustande  sind,  auch  in  einem  bestimmten  Raumverhältniss 
zu  einander  stehen;  er  legte  somit  die  Grundlage  zu  der  Volumen- 
Theorie. 

Gay-Lu88ac  veröffentlichte  ferner  werthvolle  Arbeiten  über  die 
Ausdehnung  der  Gase  durch  die  Wärme,  über  die  Dichtigkeit  der 
Dämpfe,  zu  deren  Bestimmung  er  geeignete  üntersuchungsmethoden 
angab,  über  das  Jod,  welches  kurz  vorher  entdeckt  worden  war,  und 
seine  Verbindungen,  sowie  über  mehrere  Chlorverbindungen.  Er  gab 
die  erste  richtige  Darstellung  der  Zusammensetzung  der  Blausäure,  er- 
läuterte das  Wesen  des  Cyans,  entdeckte  den  Jodwasserstoff-Äther  und 
die  Unterschwefelsäure,  und  vereinfachte  die  Prüfung  verschiedener  im 
täglichen  Leben  gebrauchten  Stoffe. 

Die  Erforschung  der  quantitativen  Verhältnisse  zwischen  den  ein- 
zelnen Bestandtheilen  der  chemischen  Verbindungen  trat  in  ein  neues 
Stadium,  als  die  Thatsache  bekannt  wurde,  dass  der  elektrische  Strom 
die  letzteren  zerlegt  Nicholson,  Cablisle,  Crüikshank,  sowie  Ber- 
ZELTös  und  Hisingeb  machten  darüber  verschiedene  interessante  Be- 
obachtungen, und  HuMPHRY  Davy  gab  ihnen  eine  theoretische  Grund- 
lage. Er  zeigte,  dass  mittelst  des  elektrischen  Stromes  das  Wasser  in 
Sauerstoff  und  Wasserstoff  und  die  Salze  in  Säuren  und  Basen  zerlegt 
werden,  von  denen  sich  die  ersteren  am  positiven,  die  letzteren  am 
negativen  Pol  der  Volta'schen  Säule  niederschlagen,  wies  die  Zerlegbar- 
keit mehrerer  zusanmiengesetzter  Körper,  z.  B.  der  feuerbeständigen 
Alkalien,  der  alkalischen  Erden,  des  Baryt,  des  Strontian,  der  Bittererde, 
Kalkerde  u.  a.  m.  nach  und  sprach  die  Ansicht  aus,  dass  die  chemischen 
und  elektrischen  Wirkungen  Äusserungen  der  gleichen  Kraft  seien;  er 


*  A.  WüRTz:  Geschichte  der  chemischen  Theorien,  Deutsche  Obersetzung, 
Berlin  1879,  S.  29  o.  ff. 


ghiiitptct,   (Ifimi  dietmlben   bei   der  Berührung   grosserer  Ma^setn   iu  dtt 
l\mn   tWr   Klektricitötp   binm  Siuäammentrcffeo   kleintr  Tli*4l(:heu 
('liHmiHche  Verwandtschaft  ym  Tage  traten, 

1)avy*h  Arbeiten  piben  ii'u*  Anregung?  zu  einer  Reihe  von  eleklro. 
i^liMiniHuhon  Uritersui^huuger»,  welche  von  Th^naud,  dem  Entdecker  Ai^ 
\VusHerst(trtkii[>eraxydB,  wiid  Uay-Luöwac  angestellt  wurden  und  die 
KenntniHH  einzelner  IClementet  benunderi!!  des  Kaliums  und  Natri«iiui| 
ebensu  wie  die  Technik  der  Punsch  im gsnn4hoden  wesentlich  Rnieit4»ik 
Zu  gleicher  Zeit  gaben  HcHWKictOEU  und  ItKriZELiu«  neue  Aufsclilüssi 
ober  die  Theorie  des  ElektnichemismuB;  der  letztere  ging  von  der  Ai 
nähme  der  elektrischen  Fohiritiit  der  Atome  der  Kurper  aus  unrf  i^tJ 
klärte  demgi'nuiHS  die  Entstehung  chemischer  Yerbindimgen  als  m' 
Aneinanderkgem  der  ent^eg<*ngesetzUm  Pole  der  Atome  verschie^lwier 
K^rfier, 

Im  J.  1834  fmnd  Fahaday  die  wichtige  That^cbe,  dtiss  dieselbe 
Mfiii^  cirknlirvnder  Elektricität  auch  stets  denselben  chemkchen  Ilffekt 
kenurbringt.  Damit  gewann  er  ein  Maas8  für  die  vorhandene  £ki« 
ttiflilit  Indem  t»r  ferner  dii»  Wirkungen  derselkui  auf  die  verschiedeaeii 
Verbindungen  studierte,  machte  er  die  Beobachtung,  iass  die  Gewiclijfti 
nMiu  der  StnfTe,  welche  vom  elektrischeii  Strom  zerlegt  wer«' 
obiBiiMdien  Aiiuivaientgewicht   entspreehen.     Auf  (he.se  Wi  i  i 

die  liphn.^  von  der  chemischen  Verwandtschaft  eine  Beleuchtung,  welchi 
jiieh  iiuf  diis  ganze  Ueliiet  des  Elektrochemii?mus  erstreckte. 

Auch  die  übrigen  Theilc  der  Chemie  wurden  erfrdgreich  bearlnM 
II,  Üavy  beriebligte  die  irrigen  Ansichten  über  das  Chlor  und  führtt 
den  Hegrity  (h*r  WasserstolMuren  ein;  femer  machte  er  zuerst  auf  ik 
beriMischenile  \\  irkung  des  von  Peibstley  entdeckten  Stickoxyds  auf- 
merksanu  Erwähnung  verdienen  auch  seine  Unter^chungen  fiber  die 
MubMtarben  an  antiken  Kunstwerken  und  über  die  Mittel,  um  die  in 
Pompeji  getundenen  Handschriften  in  einen  lesbaren  Zustand  zu  briiiKt^n. 

Ukk/.hlu  s  wirkte'  nach  allen  Richtungen  der  Chemie  anregend 
uml  funternd  und  sehuf  eine  Schule,  aus  welcher  eise  Reihe  der  her- 
vorrage ndst-^'n  Chemiker  des  19.  Jahrhunderts,  wie  Ohb.  Gmeun^ 
mtiiKiiLti  II,  dit'  beiden  RiisB^  W6hleb,  Hagku^  A&rrsneoH  und  Aiuli 
beiv^rgin^t^n.  Er  arteidilerte  die  quantitatiTe  Analjae^  indem  er 
iMdbrobr-rntersuchungeu  mehr  in  Aufnahme  hmchte^  entdeckte 
boDi^bnel»  mehren>  \m  dahin  nicht  bekannte  Kiemente  und  lieferte  vor- 
in^iriiehe  lieitri^ge  nur  Zooehemifi^  Wamaju^x  besohiftigte  sich  mit  di^r 
Fhv  ^    ni^^  di^r  Ga»  und  mit  Teitoiefungm  der  Stahl*  und  der 

(ii  u  wihmid  OiHA^  Untecsnchimgen  aber  das  speoifiack 

Uv^wieht  mtahMtim  GtM  «Mldlta 


% 


ber- 


Phjfnik  und  Chemie  in  dm  hixtcft  hundm-t  Jahren. 


379 


MiTscHERLicH  Unternahm  die  künstliche  Nachbildung  anorganischer 
Körper  tmd  zeigte,  dass  sie  identisch  sind  mit  den  in  der  Natur  vor- 
koiiim»^nden  Mineralien,  veruffentlichf-e  wichtige  Arbeiten  über  die  \^er- 
bindung  des  Natrons  mit  Jod,  sowie  über  die  Oxydationsstufen  des 
Miingans,  und  bahnte  dureh  seineJEntdeckimg  des  Isomorphismus  und 
Dimorphismus  in  der  Chemie  eine  physikaKsche  Richtung  an,  die  auch 
für  die  Mineralogie  Yon  Bedeutuug  war.  Die  That^sache,  dass  Korper 
van  verachiedener  chemischer  ZiLsammensetzung  die  gleiche  Krystall- 
besiton  und  ihre  Beslandthcüe  durch  andere  Kiemente  ersetzt 
können,  ohne  dass  sich  ihre  Form  ändert,  während  au<lere 
Kuri>er,  wie  der  Schwefel,  bei  gleicher  chemischer  Zusammensetzung, 
unU»r  verschiedenen  Gestalten  erscheinen,  übte  auf  die  weitere  Ent- 
urickelung  der  CheiTiie  einen  grossen  Einilu^ss  aus. 

Mit  LiEBiG  und  Wöhleb  trat  die  organische  Chemie  in  lien 
Vordergrund.  Hier  erüffnete  sich  der  wissenschaftlichen  Forschung  ein 
ArbeitsfeM,  welches  liis  dahin  noch  wenig  otler  gar  nicht  bebaut  worden 
war.  Die  Untersuchung  der  organischen  Verbindungen,  ihrer  Zusammen- 
_^  lUBg  und  Eigenschaften  und  die  Versuche,  sie  künstlich  darzustellen, 
boten  eine  Fülle  von  Aufgtiben,  deren  Lösung  die  i*hemiker  des  19.  Jahr- 
hunderts vollauf  beschäftigte.  ^ 

Dazu  kam  die  Erkenntniss  der  vielfachen  und  tiefgreifenden  Bä- 
hungen, welche  die  Chemie  zum  praktischen  Leben  hat,  und  ihre 
"erwerthung  für  die  Landwirthschaft,  für  verKchiedene  Handwerke  und 
Gewerbe,  die  Malerei,  die  Kriegskunst,  die  Nahrungsmittellehre,  die 
Physiologie^  Pharmakologie  und  Pharmaceutik.  Die  Agricultur-Cheinie, 
die  technologische,  [»hysiubigische  und  |diarmaceu tische  Chemie  haben 
sich  allmälig  zu  besonderen  Disciplinen  entwickelt,  und  die  (.'hemio  ist 
lor  Wissenschaft  de^  täglichen  Lebens  geworden,  welche  die  Bedürfnisse 
des  Menschen  regelt  und  befriedigt,^ 

In  der  Physik  wurde  bliese  Periode  mit  der  Entdeckung  der  merk- 
digen  Erscheinungen  des  Galvanismus  eruffnet^  welchen  Al,  Volta 
richtige  Deutung  gab.  Sie  erregte  ausserordentliches  Aufsehen  imd 
verdnlasste  eine  Reihe  von  Arbeiten,  deren  Ergebniss  die  Verbesserung 
der  Volta'schen  Säule,  die  Feststellung  ihrer  Wirkungen  und  der  Be- 
gungen,  unter  denen  sie  zu  Stande  kommen,  und  die  Entdeckung 
erer  wichtiger  Thatsachen  bildete.     Man  erkannte  die  wesentliche 


*  A.  Laiienburo:  Vorträge  über  die  Eotwickelungsge^hichtc  df^r  Chemie 
ift  den  letzten  hundert  Jahren,  Braunschweig  1887,  S.  117  u.  ff,  —  H.  Kopp: 
Di«  Efitwickeiong  der  Chemie  in  der  neueren  Zeit,  MüDchen  1873,  8.  518  a  C 

'  Korr:  Oeschichtc  der  Chemie,  I,  270  u,  ftl 


der  ii . 
Von  1 

die  Makeln Kj^i 


lUlfT  Bedeacang  irmr  OBi@rrxi/s  BeolMK^hiung 
atirch  den  Strom  «lafdenV"       "*:    denn  man 


dadurch  auf  den  Zusiimiutfnhang  xwMkan  K  <i  und  Ma^eti^iaioi^ 

hiogffwieisen.    Aiugo  und  Gat-Lu^bac  xeiift«n  bald  duniuf.  da^  4| 
8tit»D  nicht  Mofi  aldenH  sondern  auch  magnetiiört    ScHWKt* 
glrnirti!  den  ersten  MulUplicator,   und  AjCFtBX  entdeckt«^  u 
peitigen  Eintlu^s  d«^r  eiekthisehen  Strumi*,  vei^uchte  eine  Erklüntng  ilea 
Vfmem  des  Ma^netbmuH  zu  get»en  und  entwickelte  zuerst  die  Idee  da 
elektromagnetischen  Telegraphen. 

Gleichzeitig  be4j|^chtete  man  *lie  Wechsel-Wirkungvn  zwischen  \V;irm€ 
und  Kl»'ktricitut.  inidS):r  ' m\  in  tler  ThermM-EleklneitÄt 

eine  neue  Quelle  <ler  I  i  tt,   Ohm  jh-  für  die  I/^itungs- 

ßhigkett  der  Melalldnihte  und  für  das  zwischen  Strom-Intenmtät,  ek*k. 
troraotorisdier  Knift  und  Widerstand  bestehende  Vt  -  ir»»lten(h 

Gesetze  und   l»ruchte  sie  in  eine  leichtfassiiche  rnatli l.    ho  Fi)riüd 

Fabai>at  V»emerkie  zuerst  die  elektrischen  Induktionsstrome  und  »tu- 
dierte  die  Wechsel -Beziehungen  zwischen  Klektricität  und  IJcht 
Verbesserungen  in  der  Technik  der  Untersuchungsmethoden,  dii» 
lindung  zwecken t'^prechender  Apparate*  und  Instrumente  und  die  diirauf 
folgenden  wissensehal'Mirhen  l^rgehnisse  bildeten  weitere  Bereicheningvn 
der  Kenninisse  auf  die^^sem  Gebiete 

Für  die  Physiologie  erlangen  hauptHäelilich  zwei  phjsikalisctn' 
Kntdeekimyen  eine  mm^htige  Be<leutung,  niimlieh  die  Fesr^Htellun^  <in 
Thatsat!he,  dass  im  thierischen  Kr»rper  elektrische  Ströme  kreisen  nml 
di(*  KntdeektJTig  des  Gesetzes  vun  der  Krlmltung  und  Umwandlung'  <k 
Kniff.  Dnrch  da.s  letztere  wurde  bewirken,  dassii  Kl^ktricität,  Warnif 
und  meehanische  Arbeit  oder  Ueweijrung  ineinander  üliergeffihrt  oicrmt 
AuHirisun*;  geliraeht  werden  knrnien  iin<i  a(|uivalentt^  KrHcheinnngsfomi^ii  , 
der  gleiehen  KnifY  sind.  Ihimit  war  d?is  einheitliche  Band  aufgefündeuJ 
welches  die  wichtigsten  Funktionen  des  organisrhf'U  Lebens  unisnhlinjTt,  H 

Die  Verwt'ndung  der  Kleklriciiat  zu  technischen  Zwecken,  z,  \l'mi  , 
Telegraphie,  zur  Heleiichtung,  zum  Treiben  von  Maschinen  u.  a.  mJ 
gehurt  ebenfalls  tier  nenosten  Zeit  an.'  ^ 

Die  enge  Verbindung,  welehe  die  Physik  mit  der  Mathematik 
sohlos8,  die  sie  iils  Pfad  (Inder  sowohl  wie  zur  Con trolle  gebrauchte,  und 
die  gewissen  bat  te  und  grundli«^be  Mi^thude  des  Experiment*?  sichertai 
der  Forsclirmg  auch   in   den   übrigen    Kichtungen    dieser   Wissenschatt 


»  E.  IIonT,;  (Yiwhiclik^  der  Elfiktncitilt,  Iwstpsig  1884,  8,  118  U.  £ 


■baft» 
Kimi 


liHeutende  Resultate,  Am  deutlichsten  musste  dies  in  der  Mechanik 
herTürtn'ten;  Laplack,  Youkg,  (javhh  u.  A*  unternahmen  es,  die  den 
TtTKchiedenen  Vor^^ingen,  z.  B*  der  Ciipillurität,  zu  Grunde  lit^gonden 
(iesetze  festzustellen.  Auch  füo  Astroniiuiie,  die  MeteorolojiriR  und  Kli- 
matolo^ie  verdankten  di<j«en  Bestrebungen  manche  Anregung  und  eine 
btMleutende  Verniehrung  des  wissenschuftMühen  JUaterials. 

Die  Entwickelmig  der  Wärmelehre  stand  ebenfalls  unter  diei^em 
Etniltisä.  RüÄiFoRD  machte  die  Beobachtung,  dass  durch  Reibung 
Wärme  tTzeugt  wird,  und  schuf  dadurch  die  erste  Grundlage  zur  me- 
eil  -  M  VVärmetheuriH.  1  Die  Mittheilungen  üher  die  ungleiche 
W  ipacifcjU  der  Kt»r|ier.  die  Untt^rsuchungen  über  den  Grad  der 

Ausdehnung,  welche  ^ie  durch  die  Wärme  erfahren,  über  die  Spann- 
de^  Wasserdampfes  und  deren  Verwerthung  für  die  Wärme-Oko- 
imie  der  Dampfmaschine,  die  calorimutrischen  Messungen,  besimders 
die  Verbuche  in  Betrefif  der  Heilkraft  der  Gombustibilien  u.  a.  m.  nahmen 
die  Phv>*iker  umsomehr  in  Anspruch,  als  sie  den  Bednrfnissrn  dt^s  prak- 
tischen I^bens  entisprachen.  Das  Gesetz  der  Äquivalenz  von  Wärme 
und  Arbeit  warf  auf  viele  dieser  Fragen  ei!i  klärendes  licht  und  zeigte 
den  Weg  zu  ihrer  Lösung, 

Die  Optik  wurde  durch  den  Sieg  der  L'ndulations-Theorie  des 
Lichts  und  durch  zahlreiche  Entdeckungen  gefurdert  Younci  benutzte 
da«  Priucip  der  Interferenz  dci?  Lichts  zur  Erklärung  verschiedener 
Erscheinungen,  und  Fki'^snkl  stUiliertc  die  Lichtheuj^ung.  Im  J.  18Ü9 
entdeckte  Malus  ȟe  Polarisation  des  Lichte  durch  KeHexion,  und  nicht 
nachher  machte  Bhewstkh^  auf  die  Existenz  zweiaxiger  KrystaÜe, 
auf  die  innigen  Beziehungen  zwii^chen  optischer  und  krystalÜni- 
ijcher  Struktur  aufmerksam.  Er  construirte  später  auch  das  erste  diop- 
trische  Stereoskup. 

Ebenso  wurden  die  chemischen  Wirkungen  des  LichLs  einer  ge- 
nauen Untersuchung  uut^^rzogt^n ;  dieselbe  führte  zur  Erhndung  der 
Photographie,  welche  sich  an  die  Namen  von  Dagöekbe,  Niepce  und 
Tai.but  knüpft 

Fraünuofeb  iM^obachtftte,  wie  schon  Wullabton  vor  ihm,  die 
dunkeln  Streifen  im  Sonnen-Spektrum;  aber  eine  Erklärung  derselben 
wurde  erst  von  Kirchhoff  gegeben.  Die  Entdeckung  der  Spektral- 
Anal  v«»e  gab  Au&cblüsse  über  die  ph^^sikahsche  Natur  und  die  chemi- 
sche Zttsammensetzung  der  Weltkürper  und  eröffnete  der  Forschung 
Arbeitsfeld. 


*  O,  Bebthold:  Ramforrl  u,  die  mecliaalsehe  Wörraetheorie,  Heidelberg  187ö* 

•  D.  BiuiwirrRTi  in  den  Fhiloa,  Transactions,  London  18 IH^  p.  lUft  «.  ftl 


382  Der  medieifmehe  ünierridU  in  der  neuesten  Zeit 

Die  Vorbesserunj^en  der  optischen  Hilfsmittel,  namentlich  die 
findun^^  der  achromatischen  Fernrohre,  sowi**  diejenige  der  achromi 
sehen  MikTo.skujie,  die  zuerst  von  Heümann  van  Dkyl  und  Fkaltnuomi/ 
in  der  Zeit  von  1807 — 1811  anjyreferti^  wurden,  und  die  VerTollkuinni 
ruin^^en,  w»vlche  dieselben  spiiter  <liirch  Pi/issl,  Sklligitk,  Chkv  ^ 
^„^ici,  Obehhaüseu^  Hartnack  u.  A.  erfuhren*  hatten  ftlr  nüp  h^i^^j^^^ 

Naturfurschung  eine  grosse  Bedeutung.  flll 

Die  Akustik  wurde  durch  CnLADin,  Ohm  u,  A*  mit  rini^cn  imi}^ 
vollen  Arbeiten  bereichert;  doch  ist  die  wissenschaftliche  BegrÜTulfing 
dieses  Theiles  der  Physik  eigentlich  erst  der  jüngsten  Zeit  gelunjjeti 
und  hauptsächlich  IIelmfioltz  zu  venlanken* 

Die  Physik  unti  ("hinnie  sind  die  eig<»ntliehen  HillWissenschaW 
der  Medicin  geworden,  welche  in  der  Physiologie  wie  In  der  Patliolugie, 
in  der  internen  Heilkunde  wie  in  der  Chirurgie  zu  Rath  gezogen  mnl 


i 


Dia  medicinißchen  Systeme  und  die  Fortschritte  in 
der  Anatomie  und  Physiologie» 

Die  durch  HAiJiEu  zur  allgemeinen  Anerkennung  gelangte  Lehn 
dass  Sensibilität  und  Irritabilitiit  die  (irundeigenschuften  des  unjmal 
sehen  Orgunismus  bilden,  ihe  darauf  folgenden  Entdeckungen  in  Jer" 
Chemie  und  vor  Allem  der  (lalvanisinus  riefen  eine  Anzahl  medicini- 
scher  Systeme  henn^r,  in  denen  der  Versuch  gemacht  wurde,  mit  llilfo 
dieser  Thatsaehen  die  Erscheinungen  des  menschlichen  Körpers  im  ge- 
sunden und  im  kranken  Zustande  zu  erklären  und  bestimmte  Gi^ichLs- 
[ainkte  für  die  Heilung  zu  gewinnen. 

Ein  Theil  der  Arzte  sah  gleich  den  Methodikern  des  Alterthums 
in  allen  physiologischen  und  pathulogiscljen  Äusserungen  Reizungen 
oder  Erschliitfungen,  deren  Ursachen  bald  in  das  Nervensystem  verlegt 
wurde,  wie  es  ('ullen  that,  babl  in  der  grösseren  oder  geringi^rvn 
Erregbarkeit  gesucht  wnnh^,  wie  es  durch  Jcihn  Broiä^  und  seir 
banger  geschah. 

Die  Erregungstheorie  wurde  von  Chr.  Girtankeh,  welche^ 
Sauers tütr  für  das  wirksame  Princip  der  Erregbarkeit  erklärte,  von 
RüSCHiiAüB,  der  auf  den  Einfluss  der  Anlage,  der  Organisation  hinwies, 
von  Bhmübsais,  der  an  die  Stelle  der  Reizung  die  Entzündung  setzte 
und  die  Theorie  durch  die  pathologische  Anatomie  stützen  wollte,  und 
von  Easori,  welcher  die  für  die  kalten  torpiden  Naturen  des  Nordens 


in^ffl^ 


Iterechnete  Tjehre  Browks  den  Verhältnissen  seiner  südländischen 
Heiinath  anpiisste^  erweitert  und  au.sgearl>eitct  Sie  erlangte  eine  grosse 
Verbreitung,  wurde  aber  ebenso  rasch  wie^ler  aufgegeben,  als  ihre  Halt- 
losigkeit nachgewiesen  worden  war. 

Der  wissensehaftlichen  Forschung  stand  sie  kalt  und  gleichgültig 
gegenölier,  die  praktische  Heilkunst  belastete  sie  mit  einer  vielgeschäf- 
tigen Poh^phannacieT  div  häulig  mehr  Schaden  als  Nutzen  stiftete. 

Einen  tieferen  Gehalt  hiitte  der  Vitalismus,  welcher  mit  der  Er- 
regungstheorie um  die  Herrechaft  in  der  Medicin  rang  and  schliesslich 
Sieg  davontnig.  Derselbe  nahm  van  Montpellieh  seinen  Ausgang 
;d  erinnerte  in  mancben  Beziehungen  an  den  Aninüsmus  Stahi^s; 
doch  unterschied  er  sich  Ton  dem  letzteren  in  vortheilhaft-er  Weise  da- 
durch, dass  er  über  dem  die  Ordnung  und  Harmonie  im  Organismus 
schaffenden  allgemeinen  Lebensprincip  keineswegs  das  Studium  der 
mzeluen  Verrichtungen  und  Theile  des  Korpers  vernachlässigte  und 
nicht,  wie  jener,  die  Seele  zur  Erklärung  aller,  auch  der  eintachsten 
Lebensvorgänge  benutzte,  sondern  nur  dann  darauf  zurückging,  wenn 
»•r  die  letzten  treibenden  Ursachen  im  thierischen  Organismus  bezeichnen 
wollte.  Er  verlangte  nicht,  iuif  dem  Gemrilde  der  Medicin  die  Haupt- 
figur zu  sein,  sondern  begnügte  sich  damit^  als  Grundton  verwendet 
zu  werden.  Seine  Vertreter,  zu  denen  in  Frankreich  Forscher  wie 
BoBDEir,  BartheZj  Grimavd,  Pixel,  Bichat,  Chaussier  u.  A..  in  Eng- 
land Ebasmits  Darwin,  in  Ueutecbland  Blümenbach,  J,  C»  Reu*  u.  A. 
gehorten,  stan^len  an  der  Spitze  der  wissenschat'tlicben  Bestrebungen 
imd  lieferten  durch  ihre  Leistungen  den  Beweis,  dass  der  Vitalismus 
den  Fortschritt  nicht  hemmte.  Dadurch  erklärt  es  sich  zum  grossen 
Theile,  dass  er  auch  fortdauerte,  ^h  in  Deutschland  die  Naturphilosophie 
und  in  Fmnkreich  die   physiologische  Schule  die  Medicin  beherrschte. 

Doch  hatte  er  auch  einzelne  Verirrungen  im  Gefolge,  namentlich 
auf  dem  Felde  der  Therapie*  Der  Mesmerismus  sowohl  wie  die  Ho- 
mMopalhie  liehaupteten,  dass  ilire  Behandlungs-Methode  unmittelbar  auf 
die  Ivi*benskraft  einwirke.  Wenn  sie  damit  Heilerfolge  erzielten,  so 
lieruhte  dies  in  dem  ersten  Falle  wohl  haupt.^richlich  auf  den  Ersehei- 
imn^en  des  Hjpnotismus,  der  Metallotheräpie  u.  a.,  welche  erst  in 
neuester  Zeit  einer  sorgtaltigen  Beobacbiung  unterzogen  wurden,  bei 
der  Homöopathie  auf  den  Wirkungen  iler  im  Kurper  vorhandenen  regu- 
lattiriÄchen  Vorrichtungen. 

Der  Vitalismus  verlor  den  Boden,  als  es  gelang,  die  cemplicirlen 
Lebensrprozesse  in  die  einzelnen  Faktoren  aufzulösen  und  nach  <len 
allgemeinen  Naturgesetzen  zu  erklären. 

Die  empirische  Forschung,   welche  alle  erleuchteten  Geister  seit 


AitisTüTELRs  als  die  einzige  Quelle  der  Erkenntni«6  gepriesen  hatten 
wurde  allinnlig  die  Losunp^  des  Ta^es,  und  man  sah  davon  ab.  meiJi- 
cinisclie  Systeme  zu  ersinnen,  an  denen  die  Thafesachen  gewöUnJich  uiir 
geringen,  die  Hypothesen  und  Spekulationen  den  grö&sten  Anthtil 
hatt»?n»  Wenn  in  der  Geschichte  i!er  lledicin  des  19.  Jahrlmr  ' 
zuweilen  eine  besondere  Kichtung  der  Forschung,  z.  B.  die  PhjM 
die  pathülogische  Anatomie  und  in  jüngster  Zeit  die  Hygiene,  in  den 
Vor<lergrund   trat  und  die  Entwickdyng  der  gerammten  W  '  n 

tHvinflysste,  so  lag  dies  nicbt.  an  einer  willkürlichen  i>y  i  ;;, 
sondern  ergab  sich  aus  der  Krfabrung,  dass  die  Bearbeitung  dieses 
einzelnen  Feldes  die  reichsten  Frurbte  für  das  Ganze  trug. 

Es  ist  hier  nicht  meine  Aufgahe^  alb*  Entdeckungen  und  Fort- 
schritte in  den  einzelnen  Disciplinen  der  Heilkunde,  welche  in  ummm 
Jahrhundert  stattgefuiulen  liaben,  aufzuzfiblen.  Ich  darf  mi^h  danuf 
beschränken,  die  grossen  Errungenschaften  der  Medicin  anzuführen^  und 
muas  es  mir  versagen,  jeden  der  Steine  zu  beschreiben,  welche  sich  m 
dem  Mosidk bilde  der  Gegenwart  zusamnieTisetzen. 

Der  anatomiiiche  Bau  des  menschlichen  Körpers  war  im  Allge. 
meinen  der  Wissenschaft  liereits  erschlossen,  als  diese  Periode  begann; 
es  handelte  sich  nur  noch  darum,  die  Lücken  in  der  Kenniniss  ein- 
zelner Gebiete^  nameuthch  in  Bezug  auf  das  Geias^-  und  Nervensvskm 
und  die  Sinnesorgane,  zu  ergänzen.  Ferner  galt  es^  über  die  feiiiert» 
Struktur  der  Organe,  welche  nach  der  Verbesserung  der  Mikroskope 
und  der  Einluhruug  neuer  tei-hniseher  Hilfsmittel  mit  grosserer  X^ 
sieht  auf  ErColg  untersucht  werden  konnte,  eine  klare  Einsicht  zu  ge- 
winnen» 

Ausserdem  versuchte  man,  die  Anatomie  von  einem  anderem  ak 
dem  reinen  descripüven  Gesichtspunkt  zu  betrachten.  Die  eimcln^^n 
Theile  und  Organe  des  Korpers  wurden  nach  den  vei^schiedenen  Ge- 
genden geordnet,  in  ihrer  gegenseitigen  Lagerung  studiert  und  die  Be- 
deutung dieser  Verhältnisse  für  die  Chirurgie  erörtert 

Neben  der  Bearbeitung  <ler  topographischen  und  chirurgiijclien 
Anatomie  wurde  ferner  der  Einfluss  der  Entwickelungsgeschicbte  auf 
die  Form  und  Gestaltung  der  Theile  des  Körpers  untersucht  und  auf 
diese  Weise  die  eigentlich -morphologische  Betrachtung  der  Anatomi« 
angebahnt.  Während  für  die  vergleichende  Anatomie  zwischen  dem 
Menschen  und  den  Thieren  bereits  ein  reiches  Wis^sens-llaterial  vorlag, 
welches  beständig  vermehrt  wurde,  begann  man  jetzt  auch,  den  Eigen- 
thümlichkeiten  und  Verschiedenheiten  der  menschlichen  Rassen  die 
Aufmerksamkeit  zuzuwenden  und  dadurch  den  Grund  zur  wisseasdiAft^ 
liehen  Behandlung  der  Anthropologie  zu  legen. 


Za  den  hervorragen rlsten  AnaUimeii,  ifelehp  am  Schhi8s  des  vorigen 
Jahrhunderte  leisten,  gehörte  Th,  Soummehing.  Seino  wissenschaftliehe 
Thiili^'b'it  tnnfjtsste  ȟe  verschii**leneo  Richttiiig:eD,  in  denen  sich  damals 
die  uiiiitomische  Forsehunj^^  howegtt^  Schon  seine  Inaug^nü-Dissertation 
über  die  Bfisis  de^  Gehirns  wiir  eine  Arbeit  van  bleil)endem  Werth. 
JBr  hat  die  Erwartun^^en,  <lie  er  darnach  erregte,  in  v(dlem  Maass  er- 
ffillt*  Seine  vortr»ifflichen  Abbildungen  des  Auges  und  der  übrigen 
Sinnesorgane,  ^eine  lichtvolle  Darstellung  des  anatomischen  Baues  des 
menschlichen  Körpers»  seine  Untersuchungen  über  die  krirperlichen 
Verschiedenheiten  des  Negers  und  de^  Europäers  und  seine  embryol«)* 
irisichen  Schritten  halien  die  Wissenschaft  in  verschiedener  Hinsicht  ge- 
fordert. Er  machte  auch  bereits  den  Versuch,  die  Entstehung  der 
>lisshildungen  aus  der  Entwickelungsgeschichte  zu  erkbiren. 

Üie  descriptive  Anatomie  erfuhr  im  Verlaut  der  letzten  hundert 
Jahre  werthvoUe  Bereicherungen  des  Inlmlts  und  dnrtdi  ihre  Verhimlung 
mit  der  Entwickelungsgeschichte  und  der  vergleichenden  Anatomie  eine 
<rn"Vssere  wissenschaftliche  Vertietunfr* 

Die  Osteologie  war  in  ihrem  makroskopischen  Theile  zu  einem 
i,^»^wjH^en  Abschluss  gelangt.  Sokmmkrinü  versuchte  die  Formen  eines 
idealen  weiblichen  Skeletts  festzustellen,  wie  es  S.  A^mNiTs  für  das 
mannliche  Skelett  gethan  hatte;  er  benutzte  dazu  die  Leiche  eines 
wi.  '  -II  schönen  Miulehens  von  2ü  Jahren  aus  ilaitiz,  welche  der 
aii  hen  Anstalt  übergeben   wurden  war,  und  verglich  diimit  die 

vollendeten  Verhältnisse  der  Antike,  ähnlich  wie  Albikus  die  Gestalt 
lies  Apoll  von  Belvedere  seiner  Zeichnung  zn  Grunde  gelegt  hatte,  ^ 
In  der  Alyologie  galt  es,  die  Ursprünge  uud  Ansätze  der  Muskeln^  ihre 
Lagening  und  Betheiliguiig  au  dem  Bau  einzelner  Organe  und  das  Vor- 
kommen etwaiger  Varietäten  zu  beobachten.  Die  meisten  Ergänzungen 
l»edurfte  die  Lehre  von  den  Gefassen  und  Nerven.  Die  erstere  wurde 
fon  Mascagni,  G.  Breschet,  J.  und  Ch.  Bell,  Tiedemaxn,  Bebbkh, 
V.  FijiniAXK  u.  A.  in  erfolgreichen*  Weise  bearbeitet  Die  letztere  ver- 
dankte ihre  bedeutendsten  Fortschritte  Axt.  Si*arpa,  welcher  den 
Bferrtuä  nasopalatinus  zuerst  beschrieli  und  neue  Autschlüsse  über  den 
Verlauf  iler  Gehimnerven  und  über  die  Struktur  der  Nerven  und  rler 
Sinnesürgatie  gab,  «Aiarlks  Bell,  der  eine  umfassende  Darstellung 
im  Gehirns  und  Nervensystems  lieferte^  Emil  Hi  8Chke  und  Beneiuct 
!ärtM.iKo,  deren  bewunderungswürdige  Arbeiten  über  die  Faserung  de^ 
Gtbirots  and  Kückenmarks  den  Ausgangspunkt,  der  späteren  Forschungen 
ftber  diesen  Gegenstand  bildeten. 

*  EcD*  Waoxer:  Sofsrnmcrings  Lebi^n  und  Verkehr  mit  seinen  Xeitgcnoä^een, 
PnkciiXAny,  Vn(*rricbl.  ^ 


Die  UntersiiGluiiigen  über  den   feineren  Bau  dei  ii\i?n  Theih 

des  Körpers  führten  zur  Beörründun^  eines  neuen  Wisseiisxwmgres, 
(»(nveliolehrt'j  dureh  Bichat.  Schon  in  seiner  Dis^si-rf^ition  mIwt  iij 
MfUiUranen,  welche  vielleielit  an  die  dasselbe  Thema  lieliüMdelii4 
Schritt  vuu  A.Bünn  anknöpfte,  hauptsachlich  aber  in  seiner  allgemeiow 
Aniitomiü  nrortrrto  er,  dass  der  Kniper  aus  verschiedenen  Arien  thh 
Oeweben  xusammengesetzt  ist,  und  sehilderle  deren  EiL'<'nttiümlirblir'ii»^B^ 
lind  Verlheihmy:. 

Die>^e  Heoliaebtün(4:en  waren  nicht  blas  filr  die  Anatouij^^  ^iinulini 
aucb  für  die  l*athob.>gie  von  grus.ser  Bedeutung;  denn  üe  beleuchM^a 
die  Entstehung  und  Verbreitung  der  Krankheiten  von  einer  Seite,  «i 
die  man  Ids  dahin  noch  j^ar  niehl  L^edaebt   hatte, 

Di(*  Verbesserungen    der  u[>ti.s<.dien  Hiltsmittel,  und   besonder*  dii'] 
Herstelluni?   achromatischer   Mikroskoi^e,   ermöglichten   die   gründlicht 
ErforschunjT   der   Textur   der   Gewebe,      Die   Ergebnisse  dieser  Unkr-^ 
suchuogen,   denen  Schwanns    Entdeckung  der  thierischen   üelle  m 
hislogenetiscbe  Kicbtung  gab,    betnjfen  alle  Organe  des   Körpen*  mi 
liolen  die  (irnndla^en  zu  einem  vollständigen  Lehrgebäude  der  mikro- 
^kopisehen  Anatomie,  an  de8i^en  Aufrichtung  und  weiterem  Ausbau  tiiut^^ 
natdi  Jun;MrLLKH,  EiiitENnEnG^  Pi  kkixje,  Hkni^k^  li  Wauxkr,  VALK>TdJ 
und  Max  Schiltzk  nahexu  alle  hervorragenden  Anatomen  dieses Juhr- 
liunderts  betheiligt  haben. 

Die  Lehre  von  der  Entjstehung  und  Entwickeliing  des  menschhcbeii 
Embrvo  erhielt  in  den  Tliatsaehen  der  allgemeinen  Entwickelung 
^scbichte  und  vergleichenden  Anatomie  und  Zoogenese  ein  werthvoll 
wisi»enscbaftlielies  Material.  Auf  die  Arbeiten  Panhems  und  Bakh 
welche  KuLLiKKK  „als  das  Beste  bezeichnet,  was  die  embrvülogi^iü 
Literatur  aller  Zeilen  und  Völker  aufzuweisen  hat",*  folgte  tlie  Eij 
deekuug  de^  Keimidasehens  durch  PiMiKJx.iK  und  des  Keimflecks  dnr 
Rrn.  Waonbik. 

Zahlreiche    Beobachtungen    hervi^rragender  ForHcher,   unter  urm 
hier  nur  Hkjnr.  Ratokk,  Rkicuekt.  Th.  Blschuff  und  Hon,  IfKMj 
genannt  werden  sollen,  beschäftigten  sich  dann  mit  den  Vorgänge« 
Zeugung  und  allmäligen  Bildung  der  menschlichen  Frucht  und  bracht 
eine   befriedigende  Lösung   der   meisten  dieser   ungemein    schwitjoü 
Fragen, 

Eine  tieissige  und  erfolgreiche  Bearbeitung  erfuhr  die  vergleio 
Anatomie*    J,  h\  Blimenbacw^  welcher  si< h  zuerst  der  Aufgabe 
20g,  die  anatomischen  Verschiedenheiten  zwisi^hen  den  einzelneu  menscj 


'  A.  Köllikcr:  Gruiidrisa  der  Entwickelüug«g^•^*•bH•1lb*.  Lfipzitr  LsS4,  p, 


Die  medimn.  Sififeme  «.  die  Fbrtsohriiic  in  der  Anatomie  u,  Phyüiol^i^it.     387 

Sehen  liasseii,  besoDders  den  Kuropäern,  Negern  und  Indianern  ui^d 
den  anthropoiden  Affen  reskustellen,  und   dabei  auch   die  Ergebnisse 

beröckr<icbtigto,  zu  Jenen  die  Betraehtuns:  der  Bildwerke  des  Altertliums 
und  die  Sektionen  mehrerer  ägyptischen  Mumien  führte,  sammtdte  alle 
Tliäisachen  der  verj^leiohenden  Anatomie,  welche  von  früheren  Forschern 
in  der  Iiit^mtur  niedergelegt  wurden  waren,  und  vermehrte  sie  durch 
eine  Menge  eigener  Erfahrungen,  So  fand  er  z.  B.  bei  der  Zer^^liederung 
eines  Seehund-Auges,  dass  sich  die  Axe  cJeäaelhen  leicht  verlängern 
Äier  verkürzen  lässt,  du  mit  das  Thier  in  Medien  von  so  verschiedener 
Dichtigkeit,  wie  die  Luft  und  das  Walser,  deutlich  sehen  kann.^ 
Seme  berühmte  Sammlung  von  Srhädeln  verschiedener  Nationen  gab 
Anregung   zum  Studium  dieses  wichtigen  Theile^  der  Kthnulogie. 

Die  vergleichende  .Anatomie  errang  dann  eine  Reihe  bedeutender 
Erfolge  und  bildete  biis  in  die  neueste  Zeit  eine  unerscbi>pf liehe  QuelJo 
der  Forschung,  Die  rasch  auf  einander  fidgenden  Entdeckungen  be- 
fruchteten die  Zoologie,  die  Anatomie  und  Entwickelungsgeschichte 
und  trugen  hauptsächlich  zur  Begründung  iler  tiefen  morphologischen 
Luffassung  de>^  organischen  Lebens  bei.  welche  gegenwärtig  diese  Dis- 
ciplinen  iK'hen^cht. 

Auch  die  Verwerthung  der  Anatomie  für  dir  bildende  Kunst  und 
die  Bearbeitung  dersellven  für  die  Zwecke  der  Chirurgie,  wie  sie  von 
MaIiACaknk  Fhcjbiep,  Velpeai.  Rüi^KNMi liiEb,  T.  Büyer  u,  A.  unter- 
nommen wurde,  erzielte  beachtenswerthe  Ergebnisse. 

Weit  mehr  in  die  Augen  fallend  waren  die  Fortschritte,  welche 
ji»lügie  in  unserm  Jahrhundert  gemidil  bat.  Aus  einem  noch 
1  tioils  auf  Spekulationen  und  Hvpüthesen  aiifgeliauten,  von 
mrgtischen,  teleologischen  und  vitaÜstischen  Ideen  beherrschten  Lehr- 
fstem  ist  «ie  eine  wirkliche  Naturwissenschaft,  geworden,  deren  Thal- 
neu  sich  auf  matbematiselie  tnnJ  physikalische  Gesetze,  chemische 
Vorgänge  und  anatomische  Beobachtungen  stützen  und  durch  das  Ex- 
perimetit  bewiesen  worden  sind. 

An  die  Stelle  der  vieldeutigen  Lebenskraft,  deren  Name  tnnst  die 
groase  Ijücke  m  der  Kenntniss  des  organischen  Lel>ens  verdecken 
mtttsto.  sind  die  einzelnen  physiologischen  Funktionen  de^  mensch- 
Lidien  Korpers  getreten,  deren  Bedeutung  für  den  Lebensprozess  durch 
die  Beobachtung  und  den  Versuch  festgestellt  und  controllirt  wurden, 
FjTeicht  wurde  dies  mit  Hilfe  der  verbesserten  Technik  der  Unter- 
MH*bungsmeth<'*b'n   vnlrliP  .Inridi  die  Krlindung  und  Anwendung  zweck- 


'  K.  F.  H.  MAasc  in  den  Sitjcung^ber.  d.  GSttingcr  Soc.  d,  Wiascnach.  vom 
*.  Ffbni&r  1840.  S,  22, 

25* 


386 


D&t  maehMfiMeihe  UnimridU  in  der  fmtsttim  Z&U, 


entsprechender  Apimrate  ermöglicht  und  diiruh  die  i?TO§j$ere  Exiiktlieit.  j 
in  der  StelhmjLr  und  Lösunjir  der  Fragen  oiid  die  ßerfjeksichtigniig  der] 
scheinbar  neVieiisachlichen  Din^^f*  l»e^üiisti(rt  wurde. 

Das  Experiment  kam  zur  vollen  Geltung,  undMAdKKDiK,  FLorRKx«^. 
Vh.  Bernard  und  die  grosse  Zahl  der  deutschen    For>;cher    würdig 
vollständig   die    Bedeutung    tlieses   wichtigen    Hilfsmittels   <ier   ITij 
michting. 

Die  Chemie  hut  Antst^hluss  über  die  chemi^^che  ZusammensHllft" 
des  Körpers  und  sr^iner  einzelnen  Hestundtheile,  Die  Unterisuchunj^  tk 
verschiedenen  Gewebe  und  Flüssigkeiten  de^^  Knrpers,  namenüich  «leg 
Biute^^  und  Harns,  führte  zu  »*iüer  neuen  Auftassiing  des  men^chliehfn 
t^rgiuiismus  und  seiner  Lebi^u.siiusserungen,  Dabei  irewann  man  tinpfl 
Einblick  in  den  Chemismus  der  Emähning  und  lernte  die  Hülle  ver- 
Stichen,  welche  ilir  Eiweisskörper,  die  Kohlehydrate  und  Fett«^  in  ^n 
r>köu<»mie  des  nu'nschiichen  Körpers  spielen. 

Die  Beziehungen  zwischen  den  Einnahmen  und  Abgaben  de«  Kör- 
pers, der  8toffwechst«l,  die  BlutUereituug»  di(^  Bildung  der  Sekrek*  uml 
Exkrete,  die  Entstehung  der  Korperwiirme  \h  a.  m,  erhielten  durch  \% 
Arbeiten  eines  Liebig,  Wöhlek,  Dümas^  Umklin  un*!  ihrer  HcUlit 
und  Nachfolger  eine  eigenthüniHehe  Beleuchtung.  Die  Lehre  voii  d^rl 
Verdauung  wurde  namentlich  vitn  MAtJENiuii,  (iMelln,  »f,  N.  Ererli^ 
Helm,  Bkaimönt,  Bi-unülut,  deren  Versuche  mit  Magi^nsiitt  zu  wich 
tigen  Ergebnissen  führten^  Vu  Bkrnakd,  welcher  die  Wirkung  da 
pankreatischeri  Saftes  auf  die  Fettt^  untersuchte  und  die  Zuckerbildtmg 
in  der  Leiter  entdeckte,  und  vielen  nnderen  ausgezeichneten  Forschen 
brarbeitet 

Dutu(kiu':t  verwendete  ilii*  vom  Abbe  Nullet  ent^leckte  Endm 
mose  zur  Erklärung  der  Vorgange  der  Resorption  and  Abscmderui] 
und  studierte  die  DilfusionsverhäUnisse  diT  verschiedenen  thierischfl 
tJewebe. 

Andral  und  Gavareet,  BEcgrEUEL,  Scherek,  Nashe,  I^kumaK 
u.  A.  beschäftigten  sich  mit  der  Physiologie  des  Blutes.  Die  Zusammed 
Setzung  und  die  Farbstotfe  desselben,  die  Blutkörperchen,  die  iverinniiil 
u*  a,  m.  wurde  untersucht  und  die  physikalischen  \'erhaltnisse  der  Binl 
bewegung  in  den  Gefassen,  der  Blutdruck»  die  Mechanik  der  Herxpump^* 
und  die  ganze  Einrichtung  des  Herzens  und  die  Erscheinungen  <\t 
Pulses  mit  Hilfe  zweckmässig  construirter  Appjir:ite  der  wissenscbaf 
liehen  Kenntnrss  erschlossen. 

NeVten  den  Arbeiten  von  E,  H.  Weokj^  Vulkmann,  Flimkkns  u., 
welche  sich  auf  diesem  Gebiet  bervurragende  Verdienste  erwarben^  miü 
hier  auch  der  wichtigen  Untersuchungen  über  den  Einfluss  deü  Nerveii 


Systems  anf  die  Herzthätigkeit  ond  das  Gefasssjstem  gedacht  werden. 
EßrARD  Weber  väes  iiiif  die  Rolle  Mn,  welche  der  Viigus  Vm  der 
KeguUmng  der  Herzbewegung  spielt;  später  erkannte  man,  dass  es  sich 
dabei  eigentlich  um  Fasern  des  Acoessorius  handelt.  Vu  Bernaicd 
entdeckte,  die  vasomotorischen  Eigeü-schaft^^n  des  Hals-iSympathicus  und 
^h  dadurch  vielleicht  Veranlassung  zn  Untersuchungen,  welche  zur 
Auffindung  des  vasomotori.sc^hen  «'entrums  in  der  Medulh  ohlo>}^aia 
fuiul4*n. 

Das  Centmm  der  Kespirationsbeweguugen,  der  PaitU  piial,  wurde 
1837  von  Ftjljurens  entdeckt ,  naclidoni  schon  Leqallots  auf  die  Be- 
deutung des  verlängi-rtcn  Marks  iiir  die  Athnuing  aufmerksam  gemacht 
hatte.  Andere  Forscher  erläuterten  den  Mechani.smus  der  Respiration 
und  die  Funktionen  der  dabei  betheiligtru  l^lu.skelru  sowie  den  Gas- 
austausrh  in  den  Lungen  und  die  Beziehungen  desselben  zur  Färbung 
des  Blutes,  und  suchten  die  Kraft,  welche  die  Lunge  bei  der  Inspiration 
nnd  FiXspiration  entfiiltet,  und  die  Menge  von  Luft,  die  daliei  verwendet 
wird,  zu  messen.  Üie  Begründung  der  Spirometrie  und  tb-r  Manonietrie 
der  Lunge,  welche  manche  Anhaltspunkte  für  die  Diagnostik  der  Er- 
l^:  '  -n  dieses  Organs  Inetet,  geschah  vorzugsweise  durch  John 
1  -ox  und  Walijenbuiiu. 

Die  Bewegungserscheinungen  regten  ebenfalls  zu  eingebenden  Stu- 
dii*n  an.  Die  Flimmerbewegung,  welche  man  fr  über  auf  niedere  Tliiere 
l>e.schränkt  glaubte,  wurde  von  Purkinje  aueb  ini  nn:nsrbliciien  Körper 
b€Kjibachtet,  wahrend  die  Vorgange  der  Moleknlarbewegung  erst  in 
iu»ue«ier  Zeit  in  den   Kreis  der  Betrachtung  gezogen  wurden. 

Die  Mechanik  der  menschlichen  fJehwerkzeuge  erhielt  durch  die 
Bruder  Eduard  und  Wilhelm  Weber  eine  nahezu  erschöpfende  Dar- 
^teUung, 

Die  Entdeckung  des  Muskelstronies  lenkte  die  Aufmerksamkeit  auf 
die  chemischen  und  physikalischen  Vorgänge,  welche  im  Innern  des 
MuHkek  statttinden.  Desgideben  stellte  auch  die  Xerven-F^lektricitat 
eine  Menge  von  Aufgaben,  ileren  Lösung  die  Denker  und  Forscher  bis 
heut  in  Anspruch  ninimtJ  Welche  Bedeutung  das  von  Jul.  Rob. 
Mavkb  entdeckte  Gesetz  der  Erhaltung  und  rmwandelung  der  Kraft 
für  die  Beurtheilung  der  Leistungen  des  Organisnins  hatte,  habe  ich 
^dion  früher  angedeutet. 

Ina  J,  1811  machte  I^harles  Bell  die  schon  von  (ialen  geahnte 
anatomische  Versehiedi^nlieit  der  motr*riscben  und  sensibeln  Nerven  zu 


'  K  ov  BoiS'RKYMOKfD;  L^ntereiiclrnngen  über  thieriscbe  Etektricitlit,  Berlin 


diitr  wm*rmehaKüehen  T1istiii4^1i«*^  indna  rr  dfn  Xachireis  befpji 
«JAiiM  fli*!  tn^ffTffTi  aiji4  dpti  funicr^n,  di^  letztemi  mm  ihn  hinter^ 
ItfKkfnmafkH-Wfirz#*lii  ♦*nr>^prin^'**fi.  Kr  kam  alif  diwe  för  die  KemnJ 
Pbynlol'igi**  ÄW.'**'r«mlciitJich  wichtig«*  Knt^lee kung  durcli  die  Vrrgleichunj^ 
mit  d*'m  nj}»U*mi^ii**n  nnd  phy^iiflogi^^h'^n  Verhalten  df*r  nidHmntrvn. 
lN»^ondiT^  f|*'r  »'in?»*lnen  A«^t**  d*>?<  TrijTPininnh,  li^ren  Analogie  niil  Ivu 
I(Ock<?rmiark>»-Nerfen  ni^hoii  ron  HoK^fMEHIKü  und  Pbochaska  bt^uitrlit. 
mird«*.  MAOKNfiiK,  namentüch  ahwr  Jouanxk»  Müller  bi^tiiti|?ttii 
IfKLiiV  (Jt'wetz  durch  ubprzeugend«»  \>r<uch**. 

Damii  Bchltm  rioh  di»*  lM?rrit«  ron  Cabthmc«  aufsTt^ti^Ute  und  »im 
PitoriiAHKA    au>ipr^N[>nH»ln*n<*  Ti*»hr**   tim   den  H»'f^  n.  wf^Mji 

Mahihhau^  Hau.  I88:i  durch  Berdtachtungen  wiR-r:.    i  .,  .,    .  begrüuddi 
tin<l  JoiL  MCllke  in  einzdnen  F^inkten  berichrigte  und  in  klam*,  m 
HtÄndlif")i>'r  Weifte'  dar^tidltf. 

Diu  f  unktionen  der  mnelm^n  Xerren  iind  dip  Bedeutung  der  v<tJ 
«chiHenfn   norvoüon  G«?bildt%  z.  B,  der  Ganglien,   wurden  dureh  V«t-| 
Milch»'  fnhtgi'Mffllt,    Auch  wagtt*  iimu  sirh  an  fli<*  Lnsim^  der  !«ehwi<>ri^»'nl 
Frofilenits    wt»Ichp    flin    PhyMioIngie    des  ^'entnil-NervenK}t*t4^DiH  \mwt, 
y.   J.    Gall   gläubtf%    bei    der    Untersiirhung    und    Vergleichung  in 
Mm\v\  voll  P»MN*jr»rrr,  welrlie  )>eshmirite  Eifrenf^ehafti'n  de«  Geistt»ii  iindi 
i'hanikters  heHitzen^  dl«*  Beobafhtunj^  geniarht  zu  haben,   da-ss  m^yfm 
Stellen  Htiirk*T  hfTVürni^^n'n»    lnd(*m  er  an  die  alte  Theorie  dvr  Lokali- 
mikm   der  hVeb»rn»*rnin^,'eu  afiknCipHe,   ffdgcrte  er,  dass    die  geistig 
(Vntn'u  im  Gr»hini  lokal  hen^reii'/t  *^eien  und  sieh  dureh  gro^^tere  W^i* 
liun^'en    de«  SehfidelM   \\n   einzelnen  Stellen    seiner  OlK^rlläche  erkemifn 
hiswen. 

Oliwtdil  **r  lieuiillit  \\i\\\  diese  Hypothese  ilurrh  atjatoöiisehe  Unl*T- 
siiehungeu  /Ji  stütxeu,  so  behauptete  doch  die  SiH'kulütion  dabei  einr» 
liberwiegenden  KintluHs.  Seine  Auffc^telhing  und  Vertheilung  der  SiM^li-n- 
v«*rni*^>gen  wnr  willktlrlieh,  mal  seine  Anrifilime.  dass  sieh  dii^Hrii 
dureh  Merkmale  un  der  MUerllSehe  des  Sehrnhds  äussern,  gän/liob  m- 
bereehtigt.  Trid/.dem  niu8s  ihm  da«  Verdienst  zugestanden  wenien,  die 
auatoniisehe  rntersuehinijr  des  itehirus  geffvrdert  und  zur  \vis.sensdmft- 
lieheu  IhnirUeiluug  der  Kraniv>sko]ne  angeregt  /u  haben,  welche  dann 
vnn  i\  (},  Cakith,  HrscHKK  n.  A,  mit  vielem  Krfolg  unternonimen  wiird^-. 

Krst  d<'n    v**rbesserteu   rnriTsuehungs- Methoden  der  neuesten  Zvit 
i«t  i*9t>  gelungen,   einiges  Lieht   in   das   tlunkel»»  Gebiet   drT  Physiolugi« 
diHi  Oe»hirn!<»  tm  bringen.     Mit  Hilfe  ilerselhen  konnte  der  Verhmf 
Xervenruseru  im  G*diirr^  und   Hfirkenmark  trernui  verfolgt»  ihre  Bdli^ 
ligung  an  den  eiuxelnen   Theilen   tlerselben  t'estgesl^Ut  und  der  feiiiei 
Bau  der  grauen  Suhst^ni  und  die  versehitHienartig©  Form  ihrer  Zellen 


igie 

ierfl 
llen 


erkannt  wenlon,  ^hrond  man  gleichzeitiisr  durch  Vernnohe  an  lebuTiden 
liieren,  welche  «lio  lokal  iK-grenzte  Nekrotisirung  und  die  dadun^h  er* 
iigtB  AafhidMing  iler  Lebensäasiierungen  gewisser  Partien  dei^  Central- 
lervt'nsysteniK  ,um  Zweck  hatt4?ii,  deren  Funktionen  zn  erfor?;nlieii 
acht«  und  mit  den  Ergt^lmisi^en  die  Beühachtinigen  am  Kranktnibett 
nd  die  pathologischen  Uetundt»  der  Sektionen  vergliclL 

Anch   lue  Physiolü^ne  der  Sinnesoriyrime   wurde   Eleissiu:   Ijearbeitek 
Die  Kntstehung  des  Sehakts,  ilie   Wahrnehniuni^  der  Fai'lien,   die  Be- 
d€atuü*jr  der  Lieht  empfindenden  Theile  des  Anges,  die  Wirkung:  der 
1  Medien,  die  Aoconiodations-Vorrii^htun^'<^n,  die  f^ntonimatischen 
^i'  uni^'en,  das  binuculjire  Sehen,  die  HoropteriVagt^  u,  a.  m.  wurden 

einffehend  unteri^ueht  und  diindi  zahlreiche  Thatsneiien  verstrmdlieh 
*marbt.  In  der  gleielien  WHsh  wurde  iiurh  das  Geher,  der  Geruch, 
t^TVKchniaek,  Ta.st.sinn  und  das  Genieinget'übl  in  ihren  Einzelnheiten 
studiert  und  der  wisÄ**nHchaitlieh*»n  Erkenntiiiss  en^ehbissen» 

nie  physiologische  Forschung  bat  abtT  nicht  blus  die  Aufgabe,  \\ie 

Funktionen   und  Gesetze  des  gesundi'O   meuseb liehen  Ürganisnuis  anl- 

zuänden  und  zu  erkhiren,  nahezu  voUständig  gelost;  sie  hat  auch  eine 

lenge  von  Beobacbtungen  zu  Tage  getTirilert,  welche  tlie  Deutung  der 

fieinunL'rn  dfs  kraiikm   Körj^ers  vnrliereitet  und  ennügliclit  haben» 


Diagnostik,  pathologische  Anatomie  und  experimentalle 
Pathologie,  Nosologie  und  Heilmittellehre, 

LMe  Lehre  von  der  Krankheit,  die  Pathologi«',  machte  ähnliche 
j_l:;ntwickelungsstadien  durch ,  wie  die  Plijsiologie.  Nachdem  man  die 
liisiHtichtsIosigkeit  der  Versuche,  das  Wesen  der  Krankheit  durch  kühne, 
iihvv  wenig  begrüntb^^^  Hvpoth<'sen  und  philosophische  »Spekulationen 
zn  erfassen,  erkannt  hatte,  schlug  man  auch  hier  (he  analytisch«'  31*^ 
thode  ein  nrul  begann  mit  der  FeststelUiny:  und  Firtbrschung  der  ein- 
zelnen Thatsaeheu,  welche  das  Krankheitsbild  zusammensetzen. 

Ilie  Vervollkommnung  der  diagnostischen  Hilfsmittel  ge^statt^t© 
ein  tif*fere8  und  gründlicheres  Studium  der  Krankheitserscheinungen^ 
und  «!er  mächtige  Aufsehwung  der  pathologischen  Anatomie  Tersprach 
Lufkrhtuiis  über  die  ihnen  zu  Grun*!e  liegenden  Veränderungen  dei? 
[or|>ers  zn  geben.  Uurch  die  Vergleichung  der  Beobachtungen  aui 
■ank»*n  mit  den  HektionsresultHten  gewann  man  alhnälig  mehr  KUir- 
n»K»r  die  Entwickelung  und  das  Wesen  di*r  mMist«?n  Krankheiten. 


mu 


Der  ntHlmmindte  iJnSerrielit  in  dtr  neuesten  Zeit. 


thc  iiM'hnii^ben  Fortitcbriite  in  der  Dia^no^tik  waren  biyptsdeUidi ' 
liiT  rhy«ik  un<l  Clii*mie  zu  verdanken.    Die  Percussion  wurde  im  vo-J 
rig<Mi  JahrhiinrltTt   rjur  von  WenitJ^n,   wie  i.  R  M.  Stoll,   g^^ubt;  ii(>j 
Küritjth  m\\xv/M  ^^anzlii-h  in  Vfr^i-ssL-nheit   und   erhielt  erst  dun^h  On.^ 
vi»AHT  ihn  ilir  gHnlhrendi*!!  Platz  iiiittT  den  am  Krankenbett  ^'ebnmd- 
lirlicn   diapiostisrlii^n    Hiltsmitteln,     Auf  ÄiTKN'WKriifii-:u*-s    ver^^hull^nv 
Schrift  auliiierksain  t?''iiijicht»  prüfte  rr  flurrh  20  Jahre  die  dort  nider- 
gr'leK'len    Hfolnicliiungeu,    licrichtigte    und    er^^'ünzte    sie    durch   ms^] 
eiirentm    Krfjdmini^en    und   veröffentlichte    dann    «ein   berühnit*^^  Wert 
üiM?r  die  Perciissiun,  in  welchem  er  dem  Verdienst  des  KiUdeckers  dtr- 
&elb<.'n  Vülle  tJeret^hti^keit  widerfahren  Hess. 

Die  PertUKsion  wurde  dann  von  PimuiY,  welcher  den  Pb^^isimetfr 
einfülirte,  Wintiucii.  der  die  Anwendung  eines  Hummers  empfeh), 
namentlich  \\\m*x  von  Skoi^a»  ^veleher  den  verschiedenen  Schal lenH'liei- 
nunj?en  eiru«  richtij?e  Deutung  gab  und  nach  allen  Richtungen  n*for- 
mirend  und  Italinbreehend  wirkte,  Tuauhk  u.  A*  vielfach  verbejwprt» 

<ilei<  h/eitig  erfuhr  auch  die  AuseuUation  eine  Umwandelun^^  uod 
wiHHcnschaft liehe  Bi^arheitunj?,  Während  sit*  früher  nur  gelegentlich 
und  durch  direktes  Anlegen  des  Ohr^  au  den  K5ri>er  ausgeübt  wimifii 
war,  enlAvickelte  sie  sich  seit  Laknnec,  der  den  Gebrauch  d<.*s  Stt*. 
thonkitp»  und  damit  die  Ausciiltation  uiediate  einführte,  Eur  synt^^mati. 
hchen  rntrrsuehungs-M**thode.  w^elche  bei  der  Diagnustik  der  Krank- 
heiten sehr  Inuilig  i^u  Halb  gezogen  wurde. 

V\\x   die    Erforschung   der    Erkrankungen   der   Lungen    und  d«s| 
Jter/eu8  vvunle  sie  gerade/ji  unentbehrlich,  da  sie  in  diesen  Fällen  die 
wu'btiK'NifMK  manehuial  sugur  die  einzigen  diagnostischen  Stützen  darW, 
Aber   auch   andere  iiebiete  der  Heilkunde  verdankten  ihr   werthvollff' 
Bereicherunirtm;   su  entdeckien   LEjrME.ii'  itE  KKUtiAUAni-x'  und  baUi 
imehher   Mavu«  durch  die  Auskultation  des  s<*hwangeren   LnterltriNj 
die  fötalen  Hent^ne  und  bieten   damit  ein  Mitt^^L  um  das  Lehen  d@ 
Frui  hl  t\\  erkennen* 

\usser  den  ph)  sUndisehrii  Cntei^iiebimg^Me4liodi%  zn  denen  ao 
die  Mi^isunitiiui  und  die  in  neuester  Zeit  namentlich  von  Wr^nEauc 
hearlieitete  Thernbmietrie   kam,   trug^en  auch  *lie  Chemie  und  die 
km}iko|ue  itir  Forxleruug  der  Diagnostik  sehr  viel  liel   Das  Vorhandec 
i^eln    mancher   Kninkhetten»    ihre  Sehweie«  Zunahme  oder   Almalui 
kontite  nur   thireh  ihm  tthtiiniffrhfn  Xaehweis  sicher  gestellt   werde 
d(iM  Ixv^timnite  SloHte  in  «Ngtn  AnssoheidttageJi,  z.  B*  Liweiss  ad^ 
yaioKer  im   Harn,   in  einer  g^wbsawi  Xei^  enlhalten  sind,   &ieh  v^_ 
lueliri^n  oder  vemiinderiL     Üe  chfwiiffhr  Analjae  der  pathologisch<fii 
erhiugti*  (Ur  das»  Sludtiun  der  Kxmnkhüttrn,  be^nder^. 


DiapH0stik,paÜiolog.  Anaionm  w.  expminmUeÜB  I^ältoloffie,  Nosoiogie  etc.  393 

(nr  die  Lehre  von  den  Intoxicationen^  eine  grosse  Bedeutung.  Nicht 
weüiger  Beacbtuno:  nahm  in  manchen  Fällen  dit«  mikroskopische  Untej^- 
suchung  in  Aitspruch,  wt*il  dadurch  anf  die  Anwesenheit  von  histolo- 
beii  Form-Iilementen,  welche  zu  gewisiien.  die  Art  de;^  Leidens  be- 

feoden  Schlü.^sen  l>ereehtigten,  hingewiesen  wnrdr. 
Die  Sfirgßltigf  Beubachtung  aller  Kninkbeits-Svmptump   und  die 

risBonhafte  Berücksichtigung  der  dabei  in  Fragt'  kommenden  Ter- 
nisse  war  die  .selbstverständliche  Voraui;iset7Aing  jeder  Diagnose. 
Auch  die  Sektions-Ergebnisse  und  deren  Beziehungen  zu  den  Kntnk- 
hcifserscheinungen  wurden  zu  diesem  Zweck  eifrig  studiert, 

I>ie  pathologische  Anatomie  erhielt  eine  ungeahnte  Bedeutung  für 
die  Lehre  von  der  Krankheit;  sie  üb^^nahm  gleich^iäm  die  Cuntrolle 
der  Diagnose.  Si**  entwickelte  sich  unter  dem  Ijnfluss  der  Arbeiten 
Bichat's  zunächst  in  Frankreich;  zahlreiche  Arbeiten  beschäftigten  sich 
mit  den  allgemeinen  Krankheitszu^ständen  und  mit  der  speciellen  Pa- 
thologie der  Krankheiten,  für  welche  eine  beauliteuswerthe  Summe  von 
Thttt^^achen  ermittelt  wurde.  Auch  in  IjigUmd,  wn  J.  Hlntkk's  An- 
legung fuitwirkte,  und  in  Deutsehhind  widmeten  hervorragende  Anatomen 
und  Kliniker,  wie  P.  Fkakk,  A.  ß.  YErrKfL  J.  F,  Mix  kkl,  Lobstkin* 
JoH*  Mt^KLEK  u.  A.  ihre  Aufmerksamkeit  der  pathologischen  Anatomie. 
Ihre  Glanzperiode  begann  aber  er>*t  mit  Kukitansky,  welcher  das  reiche 
Lei*^henmaterial  des  AViener  allgemfdnen  Krankenhauses  für  sie  ver- 
werthete*  Im  Besitz  einer  Erfahrung,  wie  sie  Keinem  seiner  Zeitgenossen 
«I  Gebot  stand,  vermochte  er  eine  Keihe  natürlicher,  leicht  aufßndlfarer 
Typen  tler  anatomischen  VerändiTungen  aufzustellen,  welche  fast  alb* 
wichtigen  Krankheiten  umfassen. 

Während  Rokitansky  das  Verstaiidniss  der  pathologischen  Ana- 
tomie forderte,  vermehrte  er  zui^leicb  deren  Inlialr  (hirch  einr  Menge 
von  Entdeckungen  und  vertiefte  sie  durch  die  L  ntersm^hung  der  patbo- 
genetisRdien  Beziehungen,  Kr  fragte  nicht  blos  naeh  dem  Was.  sondern 
auch  nach  dem  Wie  und  Warum  der  ]>atholonfischen  l'rozesse  und  ver- 
suchte, Einsicht  zu  gewinnen  in  ihre  Ursachen  und  Kntwickelung;  er 
war,  wie  Wundekijch  sagt,  bestrebt,  flie  pathologische  Anat4>mie  zu 
einer  anatomischen  Pathulogie  zu  machen. 

Die  CcUuIar-Patholügie,  welche  Vikohuw  auf  der  Zellunth^orie  auf- 

Bte,  drangti'  dann  mt^hr  und  mehr  ztir  Untersuchung  der  feineren 
pathologische! n  Veränderungen,  der  mikroskopischen  Fonnelemente,  und 
führte  zur  Begründung  der  pathologisrhen  Histologie.  Allerdings  wurden 
iJimter  durch  die  xVuftindung  mancher  neuen  Thatsachen  einzelne  morsch 
gewordene  Stützen  der  Cellular-Pathologie  beseitigt;  alter  die  Grundlagen 
blieben  erhalten  und  trigen  chis  Lehrgebäude  der  Pathologie  noch  heut. 


Cl.  Beb9akd 
der  tffdnlli 

FuMphlB' 

dw  Knochen- 


LiWiM,  Bon^  fiiQKB^  Biomi^r0^  flnem. 


—  - « -*^A. 

dfs  Hcncm 

iliB  Blut««  ilt  d^  Kn; 


drr  BetriKh&ngn 
•liadirt  Kruttaiio 

O.  L  Batut  ftfWMIIAlt  lifrAm  gfregf»de  rmer^nchimOT 
Ab«r  Ot«  Lai»gnM!iiinBdfiielii  imd  ihre  Bmäkmgm  mm  Anttmn 
fM  T^bcrkvti,  nf  derm  OfahAirtigtett  in  reraUedeora  Orr^r 
IfovfaK.  AmsAL^  ScBteumr^  TimuBKAr,  «tichtr  eine  Sebni 
dit  Urjni-llilliiBi  ktfEmgib  m,  1.  teiddfligleii  sidi  et^pnCalb  mit 
Mindt,  wckbiT  iitdiMM  m^  m  ■iwillMii  Z^it  «inrth  lu' 
»^  diu  fit  Tidwrtiilo^  ^m^  Tnfi^tffoiidrrAiilrhtMt  i^r  tin  ^ 
gi^irliira  AbteUim  frhallim  kar 

Bsnoimur  begrtndste  mit  -  v     >   :    r  ^ 

dir  SekMnthloto  dit  Uhf«  fOB  der  iHihtii^nu.,  .^t-'u  \  ■  .....i,:.:-  ...im 
KtUrrfa  riod  imn  r>oiip  Ton  §paten'ii  Foi^heni  erl^titerl  wurde.  Die 
Krtadniiir  im  KMkt^pbjit^^h  nf\*\  ^i*in<*  V*»nrerthuntf  fnr  die  äntlirh»^ 
fjnaÜM  braeht«  Bim  rtilhtÄndisn?  Imwaiztin^  in  »i**r  larjngologi^H^tteu 
[Tnt^ntjrlitinj^  hervor  und  «^nnui^Ui^hte  eine  LTDsiiere  <  r^naitkrkeit  in  tk 
B'  1-^'   rin<1   Bf*han»nüiij?  «Ut  Kr^  <ios  K  '  Cm 

*lu     .       All  fuhrt»'  lijp  schun   früher  \       .  .,;.    Kudifek  j  b     »f 

msdi'm  Oebletw  m  »lemurkeniiirertliHti  Krgi^bniÄS**n. 


CRrvEtLHiEH  und  Rokitansky  graben  Anfschluss  tibor  dio  Eiit- 
Htehtißg  und  diw  \Vt»8on  des  Ulcus  rotimdum  des  Magens;  Pimr  und 
Skiuu3^  P,  A.  Locis  u.  A.  begründeten  die  Diagnostik  des  Abdominal- 
Tjphn^i,  und  J.Bnn.  Bt^nH<»F  beobaclHete  die  typhösen  Dar^lg^'*^oh\\^ü^e. 
Die  Pathub^gie  der  Leber  wurde  vorzugsweise  von  G.  Bvim,  Annesley, 
FKEHinis  und  Anderen  iind  diejenige  der  Nieren  von  P.  Rayeb,  Brioht 
nnd  TiiATRE  gefr*rdert,  der  auf  den  Zusamm^^nhäng  zwiseben  den  Er- 
IcraDkungen  der  Nieren  und  des  Herzens  aufmerkscim  machte.  Addison 
l>es€hrieb  zuerst  die  Degeneration  der  Nebennieren,  und  Basedow  schil- 
derte den  nach  ihm  genannten  Symptomen-* 'omplex. 

Die  Dermatologie  fand  durch  Alibeht,  Bieit^  Willak,  Bateman, 
OL  H»  FuCH»,  Ehasmüs  Wilson  und  Ferd.  Hebba,  die  Lehre  von  den 
Tenerij^ehen  Kraut heiten  durch  Bakrknsi'ri  no,  K.W.Bheck.  Ricökp  u.  ä. 
eine  wnssenschaft liehe  Bearbeitung,  während  die  Pathologie  lier  Nerven- 
leiden durch  Vaij^i.\,  Dik^henne,  Abehcrojibie,  Rombebg,  Remak  u»  A. 
vri*8en.sehaftlich  begnindet  wurde. 

Auch  die  Psychiatrie,  welche  sich  schon  sehr  früh  zu  einer  selbst- 
standigen  Disciplin  entwickelte,  wurde  allmälig  von  dem  Wusfc  mystischer 
Träumereien,  die  in  den  Geisteskrankheiten  Folgen  der  Sfmde  oder 
Strafen  Gottes,  jedeufalls  aber  lediglich  psychische  Defekte  sahen,  be- 
freit und  gleich  der  übrigen  Pathologie  auf  eine  somatische  Grundlage 
ge^U'Ut.  Diese  schon  von  Pinkl,  Ksqiirod  und  rHiAitroi  vertretene 
Richtung  wurde  dann  namentlich  von  SriRZüEFM,  dem  Anhänger  Galls, 
Keil,  Fovruj-:,  Calmkil,  der  mit  seiner  Arbeit  über  die  allgemeine  Para- 
Irt»e  die  Beobachtungen  die.^es  Leidens  ernffnete,  durch  die  beiden  Falbet, 
MoRKL,  welcher  der  Atiidogie  der  Seelenstoruiigen  seine  Aufmerksam- 
kat  schenkte,  Schboj-^kr  van  dek  Kolk,  Gtislain,  Jacobi,  Chr.  F. 
Nasse  und  Gri?mxoer  weiter  verfolgt  und  drang  zunächst  auf  Fest- 
stellung und  strenge  Prüfung  der  Sektionsergebnisse.  Gleichwohl  brachte 
ne  es  nicht  dahin,  dass  die  auf  der  Symptomalologie  Iteruhenden 
DingTiusen  durch  anatomische  ersetzt  ^vurden ;  diesen  Versuch  darf  man 
erst  jetzt  wagen,  nachdem  die  Anatomie  und  Physiologie  des  Central- 
N^rvensystems  in  ein  helleres  licht  getreten  ist. 

Vüffallender  als  die  Fortschritte  in  der  Patholugie  der  Geistes- 
M-rnogen  waren  die  Verbesserungen  in  der  Behandlung  derselben. 
Welche  wohlthätige  Veränderung  ist  auf  diesem  Gebiet  erfolgt  seit  der 
!Wt,  du  man  in  Wien  auf  Befehl  des  menschenfreundlichen  Kaisers 
Jmef  IL  den  „Narrenthurm"  erbaute  und  die  Krankten  dort  ebenso  wie 
im  Sr,  Lukas-Hospital  zu  Txjudon  dem  uacb  einer  Interhaltung  lüsternen 
FnMikum  zeigte  oder  sie  mit  Verbrechern  zusammen  in  Gefängnissen 
eingperrte  und  mit  der  Peitsche  otler  durch  Fasten  lur  ibre  „Tollheiten** 


bestrafte!  Es  war  eine  der  grossten  Enrnngenschaften  ih't  Hiim^iiiftät 
als  es  PiNEL  bei  den  Mnehthabern  der  franzrtsischen  I{»*volution  durch- 
setzte, dass  die  unglücklichsten  aller  Menschen  von  tien  Ketten  tiefreit 
wurden,  welche  das  religi<lse  Vorurtheil  geschmiedet  und  der  ärztli 
Tn verstand  b«^festigt  hatte. 

Den  Irren  wurde  eine  liebevolle  Pflege  und  zwerkmäasige  äntliob' 
Behandlung  zu  Theil;  man  errichtete  besondere  Anstalt^^n,  in  denen 
Schutz  und  Aufsicht  fanden.  J(iiin  (  ün<»lly  verkündete  das  Nu-ressti 
System,   nach  welchem   die  mechariischen   Zwangsmittel   aas  der 
handlung   der    Geisteskniiiken    möglichst    verbannt    wurden,    und 
Gründung  von  Irreu-Iudifnien,   wo  die  Kranken  ähnlich  wie  in  Gh 
neben   einer  sorgsamen   Aufsicht   und  Pflege  ein  gewisses  Maas« 
Freiheit   geniessen   und   zu  einer  ihn*-n   zus^agenden  Beschäftigung 
gehalten  werden,   Idldete  einen  weiteren   Fortschritt  auf  diesem  \Vc 

Auf  keinem  (iebiet  der  Patholugie  waren  die  Veränderungen  jedu 
grösser  als  in   der   Lehre  vun  den   Infektionskrankheiten.     Man^ 
mehrere   neue   Krankheitsformen  kennen,  welche  früher  nicht 
worden  waren,  und  die  dem  nosologischen  Schema)  eingereiht^jn  Ijeid 
richtiger  und  genauer,   namentlich  in  Hezug  auf  die  Ätiologie, 
scheiden.     Die  Natur  de^   Krankheitijgifte.s,   die   Entstehung  Ammlk 
innerhalb  oder  ausserhalb  des  menschlichen  Korpers.  seine  Entwickelu 
in  verschiedenen  Medien,  sein  Verhältniss  zum  fClima,  Boden  u.  ;l  i 
seine  Dauer  und  Verschlei>pbarkeit  wurde  sorgfaltig  untersucht» 

Die  asiatische  Cholera  üWrschritt  im  19.  Jahrhundert  die  (ireu 
ihrer  Heimath  und  verbreitete  sich  über  den  ganzen  Krdball. 
schweren  \'erluste  an  ilenscheiileben,  welche  sie  herbeiführte,  forderl 
die  Ärzte  auf,  die  Ursachen  und  das  Wesen  dieser  Krankheit  m  er- 
foiBchen.  Dabei  beobachtete  man  die  merkwürdigen  Beziehungen,  welcte 
zwischen  ihrer  Entstehung  und  Ausbreitung  und  den  Üodenverhultniss^n 
bfr'stehen*  Mit  der  Entileckung  des  Komma-liacilltLs  welche  vor  Kurzis 
gemacht  wurde,  seheiut  man  denn  endlich  den  eigentlichen  Krankhei(| 
erreger  gefunden  zu  haben. 

D;is  Gdbjiuber,  welches  mehrere  Male  nach  Kuro[>ii  verschleppt 
wurde j  wurde  ebenso  wie  andere  exotische  Leiden,  z,  B.  ßeribi^ri,  ein- 
gtdiend  studiert.  Das  ejudemische  Auftreten  der  (-erebrospinal-Menin« 
lenkte  die  ofl'entliche  Aufmerksamkeit  auf  diese  früher  nnbekan 
Krankheit*  Gleichzeitig  machten  sich  auch  geläuterte  Anscbaming^n 
über  viele  andere  Krankheiten  geltend. 

Der  Begriff  des  Typhus,  welcher  früher  eine  hauptsächlich  s^mp 
matologische  Bedeutung  besass  und  zu  einer  den  vorwiegenden  Kr 
heitserscheinungen    entsprechenden     Eintheilung    in    die    Formen 


Dioffnmtik,  pcUiiölag,  Anutomk  w.  fü:fprrimenidle  PcUholoffie,  Nosologie  ßtc   3f>7 

Cnt^Tleibs^TvphuK,  Gehirn-Typhus,  Pnenmo-Typhns  und  Flecktyphus 
geführt  hatte,  wurde  vollstfindig  umgeändert,  als  die  ätiolog^ischen 
Momente  in  den  VorderisTund  traten.  Man  erkannte,  dass  sich  drei 
Krankhoih'n,  welche  bisher  unter  dem  Namen  Typhus  zusaeimengerasst 
«forden  wiU'en,  nämlich  der  exanthenuiti>?che  Typhus,  der  AlHlominal- 
Typhoß  tind  Recurrens-  o<ler  Rückfalls-Typhuji,  in  ihrer  Entstehung  und 
Verbreitung  sowohl  als  auch  streng  ontcdogisch  abgrenzen^  so  daas 
niemals  die  eine  aus  der  andern  entsteht, 

Elienso  kani  mehr  Klarheit  in  die  Lehre  von  den  Meberhaften 
nanthcmatischen  Krankh^^iten.  Die  Beziehungen  der  Mosern,  Hntheln, 
BlatttTn,  des  Scharlachs  u.  s.  w»  zu  einander  und  zu  andern  Leiden 
wmrrlen  genau  studiert.  Die  Knt^leckung,  dass  die  Kuhpocken  vor  der 
Erkrankung  an  Variola,  wenigstens  für  längere  Zeit,  schützen,  führte 
zu  einer  der  segensreichsten  Ertinduugen,  mit  denen  die  Menschheit 
jemals  beglückt  worden  ist  Sie  bildet  das  unvergängliche  Verdienst 
E.  Jt:xNKRs;  ihren  Nutzen  kann  nur  Der  leugnen,  welcher  die  Ge- 
2$duehte  der  Pocken  nicht  kennt. 

In  ein  neues  Stadium  trat  die  Pathologie  der  Infektionskrankheiten, 
ab  man  den  parasitären  Charakter  einer  Anzahl  ders*41\en  erkannte. 
Die  Beobachtungen  an  einigen  Ptlanzenkrankheiten,  sowie  an  der 
MQN!ardine,  einer  durch  Pilze  verursachten  P^rkrankung  der  Seiden- 
mupen«  die  Untersuchungen  übpr  die  Krätzmilbe,  über  die  dem  FavuSj 
der  PUt/riasis  i^crsitolor,  dem  Ilerjjes  hnsurans  unrl  andern  Hautleiden 
IQ  Oninde  liegenden  Pilze,  über  die  rersohiedenen  Enterozoen  des 
mensehüchen  Körpers  und  die  Entdeckung  der  Trij-ftina  j^piralis  und 
der  durch  sie  erzeugten  Krankheitszustande  gaben  die  Anregung,  das^^ 
ilen  Parasiten  und  nied^^ren  Organismen  überhaupt  mehr  Benchtung 
geschenkt  und  ihre  pathogene  Bedeutung  erforsf*ht  wurde.  Auch  die 
Rrfahrungen  an  der  Pellagra  und  ähnlichen  durch  den  Genuss  ver- 
dorbener Nahrung  entstandenen  Leiden,  sowie  die  Be(»bachtungen  der 
Krankheiten,  weiche  von  Thieren  ituf  Menschen  übertragen  werden, 
wirkti*n  in  dieser  Richtung. 

Als  man  dann  beim  Milzbmnd,  Recurrens,  bei  tier  Pjaemie,  iieim 
Puerperalfieber,  Erysipel,  iler  Osteomyelitis  u.  a.  m.  in  dem  Blut,  sowie  in 
Keinen  Sekreten  oder  Geweben  mikrfiskopisch  kleine  Lebewesen,  Pilz- 
tien  rerschiedener  Art^  antTand,  lag  der  <iedanke  nabe^  in  ihnen  die 
EntKt^hungsursache  des  Leidens  zu  sehen.  Aber  der  wissenschalYlicho 
Na  '  '   ^  diese  niederen  Organismen   wirklich  in  einem  ursäch- 

H<.1  I Hinhange  mit   bestimmten  Krankheiten  slehon,  war  erst 

m<»glichf  nachdem  m  gelungen  war,  diese  Lebewesen  durch  geeignet« 
rnti»r«uchQngsmethoden  zu  isoliren,  auf  gesunde  Thiere  zu  impfen  und 


dadurch  die  iHirpftende  Krankheit  liervorzurufeij*  Diese Bediiigwugen  ^is^ 
bisher  allenüii^'s  nur  beim  Milzlrniud,  Eecurreiis,  Efifmpflojs  mnUsmn^^ 
bt'i  der  Uiphtb^^rit*  uml  Cholera  ftsiaitra,  erfüllt  worden;  doch  !Nf>n^i:h<>o  ' 
eine  M*Mige  vuii  Thatsarhi^ii  mid  Wahr»cheinlichkeiLsj^ründi.'n  dafür,  d. 
unch  im  der  Knlstebung  und  Verbrt^iturijür  dor  Tuherkulosis  Uiiira. 
exanthematischen  und  Ahdominal-Typhus^  Scharlachs,  tler  septiejuiiscben 
Prozesi>i\  der  Malaria  iLa.m.  jiathogene  Bakterien  thätii?  sind*  Die  Schwierig 
keiten,  weicht*  sich  bei  diesen  Untersuchungen  dem  Experiment,  namenl 
lieh  in  liezug  auf  die  Wahl  eines  zur  Impfunj?  geeigneWn,  für  die  Krinbj 
heit  empfänglichen  Thieras,  entgegenstellen,  niindien  es  erklärlich,  «Ij 
die  Resultatp  laniJrHani  erreicbl  werden.  Die  bis  jetzt  fcütgciitdlt^ 
Thatsachcn  haben  der  Ätiulugie  einen  tieferen  Gehalt  gegeben,  iii<li 
sie  die  eigentlichen  Kranklieitserregcr  an.s  Licht  zogen  und  damit  ai 
der  Pathologie  und  Thcraiiie  die  Wege  vurgezeiclmct,  welche  siv  kunfn 
wandidn  sollen. 

Die  Heilniittcllrbre  ha!  sich  iu  den  letzten  Decennien  aun  Hin« 
pharniiiceutisi'hcn  W;uu'enkunfle  in  die  pharmokudynaiuische  Wi^^Äen* 
Schaft  umgewandelt,  welche  im  engen  Ansohluss  an  ilie  Pb>  siolugic  uud 
experimentelle  Fatlndugic  sbb  auf  die  Erfahrungen  am  Krankpahi:*ll 
und  ilie  Versuche  an  lebenden  Thieren  stützt.  Dadurch  konnte  die 
tiefe  Kluft  zwischen  ärztlicher  Theorie  und  Praxis  hier  und  dort  ober» 
brückt  werden. 

Zu  gleicher  Zeit  wurde  der  Arzneiöchatz  durch  eine  grüise  Anzahl 
von  Heilmitteln  vermehrt.    Die  Chemie  lehrte  die  Dar^stellung  der  wirl 
Samen   Extraktivstoffe    versehiedeiu^r  pllanzlicben   und   thieri.**chen  Sul 
stan2en,    m  dajjs  dieselben    tür    sich   allein   in   der  arztlitdicn  Tberapit, 
angewendet  werden  können,   ohne    ilass  zugleich   durch  Beimcnguni 
ni»ch  anclen-.  nieht   beab^^iehtigt^*  Wirkungen  herlndgefübrl   wenb^n.   s^ 
wurde  eine  Menge  von  Alkabatler»,  bejsunden*  der  narkotist^hen  Mnbu- 
mente  entdeckt,  z,  B.  das  Mtirphium  1804  von  Sehtürkkr  und  gleich- 
7.eitig  von  .S*':<u;in\  das  ( unibaridin  \H]2  von  Rubiquet,  da^  Strvrhnin 
181m  und  da^  ('binin  1820  vnn  Phllktikr  und  Cavextcin,  das  Veratriii 
1818  von  MEIH8NKK,  das  ('uffeTn  1820  von  Runge,  das  Solanin  1821  m 
Dksf(»s.seh,  das  Coniin   IHHU  von  (lEntEir,  da.s  Atropin  ISSl   von  Mrik. 
das  Aconitin   18S3  von  Hi-^tiK,  dns  ('ubducin  von  Geioeü  und  Hm*F, 
das  Cocain  1850,  das  Cumarin,  (urarin.  Haponin,  Sant^onin,  Pilocarpiti 
Pepsin.  Pancreatin  iL  a*  m.  und  in  die  Heilkunst  eingeführt. 

Mehrere  andere  HeilmitleL  wie  das  Jod,  welches  181 1  von  fJoixB" 
in  der  Soda  aufgefunden  wurde^  das  Brom,  das  1 82ti  Ton  Bal4HD 
deckt  wurde,  «las  Jodkalium.  Oromkalium,  das  rhloroform.  Jodofonn 
Chlorallndrat,  die  Salicvlsaure   und   die  farboUrnire,    waren  ebenf 


4 


Chintr^ie^  Au^etiJmlkufide,  UdiurtshHß  und  Sfnaimrzfmikuttde.     399 


d^u  Fortschritten  der  Chemie  zu  verdanken  oder  wurden,  wie  Kamala, 
Ktisso,  Cunduningo  u.  a.  m.  aus  fremden  Welttheilen  nach  Europa  ge- 
bmcbt.  Man  studierte  thmn  ihre  arzneilichen  Wirkungen  uul'  den  gv- 
mudvn  und  kranken  Organi.snius  und  suchte  die  jui^sendst-u  Art  ihrer 
Anwendung  auslindig  zu  machen. 

Aücli  in  die^tT  Beziehung  hat  ilie  lieilkunst  im  19.  Jahrhundert 
wichtige  Fortschritte  gemacht;  denn  die  Erlindung  der  subcutanen  In- 
jektionen durch  Phavaz  und  Au  Wood,  die  Einführung  der  Tnhalationi>- 
Kuren  unti  die  Pneumothempic  mit  ihren  vurtrefflichen  Heihipparaten. 
weU"-he  den  erkrankten  Bespii^utionsijrganen  die  Luft  in  verdichtetem 
<Mler  Terdünntian  Zustande  überniittelu,  8in<l  wesentliche  Bereicherungen 
der  therapeutischen  Technik.  Die  wissenschaftliche  B<'gründung  der 
Ba^-  V  To,  Klimatherapie,  Hvdrotherapie,  Elektrotherapie  und  der 
äl  M»-nHeilgvniniLstik  j^ind  ehcnfalls Errungenschaften  unserer  Zeit. 


Chirurgie,  Augenheilkunde,  Geburtshilfe  und 
Staatsarzneikunde, 

Der  Au(>chwung  der  putholngischi^n    Anahuuie   und   die  Klaruiig 

pathologischen  Theorien  nhlen  im  Verein  mit  den  Fortschritten  in 
der  Physik  und  (.■hemie  auch  auf  die  llhirurgie  einen  mächtigen  Ein- 
flas8  aus* 

Die  Vorgange  der  Eiterung,  Geschwiirsbildung,  Vernarbung,  He- 
generation  der  Gewebe  und  andere  in  das  Gebiet  der  chirurgischen 
if'  fallenden  Fragen  wurden  durch  Beobachtun£ren  und  Kxperi- 

-..ni  Verständniss  erschlossen»  Die  Entwickelung  und  Diagnostik 
der  pathologischen  Neubildungen  beschäftigte  die  Chirurgen  und  die 
piith(dogii?chen  Anatomen  im  gleichen  Onide. 

Die  operative  Chirurgie  machte  ebenfalls  bedeutende  Fortsehritte. 

DteHelben  bestanden  aber  nicht  so  sehr  in  der  Verbesserung  der  Ope- 

-Methoden  und  in  der  Erfindung  neuer  Operationen,  ab  haupt- 

i..,rh   darin,  da^s  man  zu  der  Einsicht  gelangte,  dass  die  Aufgabe 

des  4  thmirgen  nicht  darin  liegt^  erkrankte  Theih^  zu  entfernen,  sondern 
wenn  möglich  zu  erbalten.  Dieser  tiedanke  bahnte  die  conservative 
(Tiirurgie  unserer  Tage  an. 

Er  konnte  nur  verwirklicht  werden  mit  Hilfe  der  anästhesirenden 
Inhalationen«  welche  die  Schmerzen  der  Kranken  wahrend  der  Operation 
und   die  dadurch  herrurgerufene  Iveaktion  des  Organismus  beseitigten, 


ami  dtirdi  die  Erfodimf  md  EMUtfVif  der  aotbepÜMlien  Wimd* 
titMdluc  '""^  weteke  die  im  G«fi>igt  dir  Ofeaümm  nfittTf^^nd'ii 
llKMimllüiHii  visUlü  waA  der  HtOoM^  gwietet  irnnle.  Dim 
MdisB  graMB  BrmwoMtMkai  der  HeOkniKrl  des  19.  Jahrhaodi 
hsbeo  4m  UmnÜer  dtr  Chimifie  roUstiiidiK  mnemaHet  Si*^  hnhm 
lim  Opiiatffiir  m^  Mtitli  nd  Mtatv«rtiMai  taagerlatot;  denn  er 
w^m,  iMm  der  Erfolg  mlmr  Kmisl  nicht  ineiir  doreh  unbfifidieiAHl 
Znffitligkaiieii  in  Fnge  gestellt  wird  —  und  d^s  Herz  de«  17tsiilr«ii 
mit  Kolhimg  erfftUl^  so  dass  er  deo  Chtrargen  sieht  mit  bangi^r  Fii 
hetniebti^t,  sondern  in  ihm  dm  Heilong  ^p^ndenden  Arzt  erkenat 

^$cbon  im  Alt^rthiim  nnd  im  3üttelalter  hätte  num  tut  Um 
der  SchmirrzeQ  narkotisireode  Getrankf^  und  InhalatioDeii  ange^ 
wie  ich  früher  erwähnt  habe.  Die  unvollkommene  Wirkung  d 
Verfahrens  um]  vor  Allem  die  ühlen  Folgen  d^-selben  liissen  »'^  aWr 
begrt^jflich  ^»rHcheinen,  ilas^t  man  nur  seilen  davon  Gebrauch  nmk 
AU  HuMPHur  Davy  auf  tlie  V>erau8<:he«de  Wirkung  des  Stickstoff«^ 
duls  iuifmerksam  machte,  stellte  man  ilamit  Ven^iiche  an.  welche  später 
dazu  führten,  «las-s  es  bei  operativen  Hingriffen,  vorzugsweise  in  tl 
Zabnhr^ilktinJe,  verwendet  wurde 

Um  <lie  gleiche  Zeit  wunien  die  narkotiischen  Kigenschaften  4« 
Sehwefel-Alherfs  entdeckt,  welcher  namentlich  van  Jackson  unt^iiucht 
und  eniidnhlen  wunb«.  Im  J.  1B47  stellte  Floitrenh  durch  Eiiien* 
mente  an  7'hieren  fest,  dfiss  das  von  SttuBKiUAN  und  J.  LiKmci  gleich* 
zeitig  eiitdf'ekte  Chlopd'yrm  ein  vorzügliche!^  niirkotisches  Mittel  ^\ 
Der  Gvnukoluge  Sjmpsun  ttihrte  es  bald  darauf  in  die  ärztlichp  i'rEXU 
ein.  Die  Vorzüge,  welche  es  vor  den  übrigen  Mitteln  dieser  Art  b««itzt, 
erklfircn  es,  dass  es  iljesfdben  allmfiüg  vidlstiindi^f  zurückdrängte.* 

Mmii  lud  noch  ver:schiedene  nndere  Substanzen  zu  anästhesirenden 
l^inaÜimiiJii^en  hentitzt,  die  ("hloroform- Narkose  mit  der  Atheriiaition 
ixier  uiiL  Morjdiium-Injektionen  verbunden,  um  die  betäubende  WirkniiL» 
zu  erhriheii  oder  n\  verlilngern,  und  die  lokale  Anai^thesirnng  »W 
Ki"ir[)ertheile,  welche  operirt  werden  sollen,  durch  die  Kalte,  die  Ather- 
Duuehe  ir,  n.  m.  i'mpfolilen.  Auch  haben  J.  Clocquet,  J.  Bkaii»  imil 
Andere  versucht,  widireud  des  hypnotischeT»  Si^blafes  chirurgische  Öjm| 
äonen  auBzutühren.  •* 

Die  Anwen4lung  der  anästhcßirendeu  Inhalsitionen  gestattete 
Operateur  die   ungehinderle    und   vollständige   Lüsung  seiner   Autgi 
\I;ni  dnrft-e  sich  daher  auch  an  die  schwierigen,  viele  Zeit  in  Ansp] 


'  O,  KAPe»:KER  m  „Ucutsehe  Chirurgie*^  hen  v.  BtutitOTH  n.  LeiXKC,  3^0 
gart  ISSO.  —  Makion  Sinti:  The  dificovery  of  anaeefhe«!»,  Richmoml  1H7T. 


Chirurgie y  Aitgenheükunde ,   Gefmrtskilfe  uwl  Staatsarznei kt^nde.     401 


nehmenden  und  grosse  Schmerzen  verursachenden  Operationen  wagen, 
welche  in  früheren  Zeiten  nicht  ausgeführt  werden  konnten. 

Zur  Verhütung  gefahrdrohender  Blutungen  bei  oder  nach  Opera- 
tionen kam  neben  der  Unterbindung  und  den  anderen  früher  üblichen 
Methoden  auch  die  Torsion  wieder  in  Aufnahme.  Simpson  empfahl 
<lie  Acupressur,  während  andere  Chirurgen  der  forcirten  Beugung  der 
Glieder,  der  Anwendung  der  styptischen  Mittel,  wie  des  Liquor  ferri 
ftejfquichlorati ,  oder  der  Kälte  oder  Glühhitze  in  verschiedener  Form 
den  Vorzug  gaben.  BRüNNiNaHAUsEN  regte  den  Gedanken  an,  den 
Körpertheil,  welcher  operirt  werden  soll,  durch  eine  eng  anliegende 
Binde  vorher  blutleer  zu  machen;  doch  ist  es  erst  einem  genialen  Chi- 
rurgen der  Gegenwart  gelungen,  ein  Verfahren  aufzufinden;  durch 
welches  dieser  Zweck  erreicht  wird. 

Auch  die  Galvanokaustik,  welche  hauptsächlich  durch  Middkldokpf 
begründet  wurde, ^  und  die  von  Chassaignac  erfundene  Operations- 
Methode  des  Eorasement  lineaire  suchten  die  Entfernung  kranker  Theile 
auf  unblutigem  Wege  zu  bewerkstelligen.  Durch  die  erst^re  wurde 
zugleich  ein  die  Operationswunde  bedeckender  Schorf  erzeugt,  unter 
dem  der  Heilungsprozess  stattfinden  konnte;  auch  bietet  sie  den  Vor- 
theil,  dass  sie  selbst  bei  sehr  gefiissreichen  Weich gebilden,  sowie  bei 
Organen,  welche  dem  Messer  oder  dem  Glüheisen  schwer  zugänglich 
sind,  anwendbar  ist.  Die  Schwierigkeiten,  welche  sich  früher  der  Ent- 
fernung umfangreicher  pathologischer  Neubildungen  entgegenstellten, 
wurden  dadurch  wesentlich  verringert. 

Die  Technik  der  Amputation  machte,  wenn  man  von  der  Einführung 
des  Ovalarschnittes  durch  Scoutettp:n,  des  Schrägschnittes  durch  Bla- 
siüs,  der  dem  letzteren  ähnlichen  elliptischen  Methode  durch  Soupart 
mid  den  Verbesserungen  des  Lappenschnittes  absieht,  nur  geringe  Fort- 
schritte. Doch  wurde  auf  die  Nachbehandlung  grössere  Sorgfalt  ver- 
wendet^ als  früher. 

In  manchen  Fällen  wurde  die  Exartikulation  der  Amputation  vor- 
gezogen. Die  Operation  im  Hüftgelenk  wurde  durch  Larrey  zuerst 
unternommen.  Die  Exartikulation  im  Kniegelenk  erfuhr  eine  Erweite- 
rung durch  die  von  Syme  empfohlene  Absägung  der  Condylen,  womit 
Andere  die  Aufheilung  der  abgesägten  Patella  auf  dem  Ende  des 
Oberschenkels  zu  verbinden  suchten.  Mit  besonderem  Fleiss  wurde 
die  Exartikulation  in  den  Fusswurzelgelenken  und  im  Fussgelenk 
bearbeitet.  Neben  Chopart's  Methode  im  mittleren  Tarsus- Gelenk 
wurde    die  Operation   im  Mittelfussgelenk  von   Lisfranp,    unter  dem 


*  A.  Th.  Middeldorpf:  Die  Galvanokaustik,  Breslau   1854. 
PVMTBMAXjr,  Unterriebt.  2H 


402  Der  medhinisclie   Uiücnicht  in  der  neuesten  Zeit, 

Sprungbein  von  Tkxtor  und  im  Fussgelenk  von  Symk  und  Pibogoff 
empfohlen. 

Der  conservative  Charakter  der  Chirurgie,  welcher  dem  erkrankien 
Körper  soviel  als  möglich  zu  erhalten  bestrebt  war,  äusserte  sich  auch 
in  der  Zunahme  der  Resektionen.  Sie  l>ezweckten  entweder  die  gänz- 
liche oder  eine  theilweise  Fortnahme  der  Knochen  und  wurden  sowohl 
an  den  Extremitäten,  als  an  der  Wirbelsäule  durch  Entfernung  eines 
I*roce^su.'<  spinosidii'  oder  fransversuif  oder  des  hinteren  Umfanges  des 
Wirbelbogens,  an  den  Bippen,  z.  B.  beim  Empyem,  am  Becken,  Schulter- 
blatt, besonders  an  der  Scapula,  am  Schlüsselbein,  am  Oberkiefer  und 
l'nterkiefer  unternommen. 

Einen  hohen  Grad  der  Vollkommenheit  erreichte  die  Lehre  von 
den  Gelenk-Resektionen.  Nach  den  ersten  glücklichen  Versuchen,  die 
man  damit  im  18.  Jahrhundert  an  der  Schulter  und  am  Knie  gemacht 
hatte,  wurden  sie  auch  an  anderen  Gelenken  ausgeführt,  z.  B.  im  Ellen- 
bogen und  am  P'uss  zuerst  vom  älteren  MoREAr,  und  in  der  Hüft^ 
von  Ant.  White.  Die  vielen  Kriege  der  letzten  Jahrzehnte  boten 
reich«^  Gelegenheit,  diese  Operation  zu  üben  und  zu  verbessern.  Die 
Indicationen  zu  derselben  wurden  genau  bestimmt  und  in  einzelnen 
Beziehungen,  z.  B.  zu  orthopädischen  Zwecken,  sogar  erweitert.  Be- 
sondere Modifikationen  derselben,  wie  die  Keil-Resektionen  beim  Klump- 
fuss,  die  sogenannten  temporären  Resektionen,  bei  denen  keine  dauernde 
Entfernung  der  Knochentheile  beabsichtigt  wird,  die  subperiostalen  Re- 
sektionen und  die  Osteotomien  verschiedener  Art  wurden  dem  betreffen- 
den Fall  angepasst. 

Die  Behandlung  der  Frakturen  und  Luxationen  erfuhr  durch  die 
Einführung  der  erhärtenden  Verbände,  welche  das  Glied  während  der 
Heilung  unbeweglich  machen,  einen  wichtigen  Forti^chritt.  Iiakbey 
verwendete  dazu  eine  aus  Eiweiss,  Bleiweiss  und  Kampher-Spiritus  be- 
stehende Masse,  Seutin  erfand  (1834)  den  Kleisterverband,  und  VEiEii 
empfahl  den  Leimverband.  Die  meiste  Anerkennung  und  Verbreitung 
erlangte  der  Gipsverband,  welcher  schon  seit  langer  Zeit  im  Orient 
bekannt  war  und  im  Beginn  des  19.  Jahrhunderts  in  Europa  eingeführt 
wurde,  aber  erst  seit  der  Anwendung  der  von  Mathysen  erfundenen 
Oypsbinden  einen  grossen  Ruf  erwarb.  Ausserdem  wurden  auch  das 
lYipolith-Pulver,  die  Guttapercha,  der  plastische  Filz  und  die  plastische 
Pappe,  das  Wasserglas,  das  Paraffin  und  Stearin  zu  derartigen  Ver- 
bänden benutzt. 

Auch  wusst«  man  geeignete  Schwebe-,  Extensions-  und  Lagerungs- 
Apparate  zu  construiren,  durch  deren  Mitwirkung  der  Heilungsprozess 
Ivegünstigt  wurde.    Bei  schlecht  geheilten  Frakturen  trennte  man  den 


CMmr^e,  AtM/enfmlkunde,  Oeburtahilfe  und  Siaatjsarxneikufide.     40B 


Callas  durch  Zersägen  oder  ZerbreoheHj  damit  sich  der  Heilungsprozesä 
nochmals  vollziehe.  Bewegliche  Knochen  suchte  man  durch  die  Knochen- 
DJiht,  durch  die  künstlich  herYorgerufene  Entzündung  der  Enden  u.  u.  m. 
in  Vffeinigen, 

Die  Myutoniie  und  Tenotomie  zur  Beseitigung  vuu  Contractureu, 
&  B.  liejm  Lbpul  obstipNm  und  \mm  Klumpfuss,  wurde  wie  erwähnt, 
^lion  in  früheren  Zeiten  unteniommen;  aber  die  subcutane  Ausführung 
derselben  ist  eine  Krfintlung  des  19.  JahrhunderU.  Belpech  hat  diebe 
Operation  in  die  chirurgische  Praxb  eingeführt,  und  die  Erfolge,  welche 
DüPiTYTitKN,  Djkpfenbach,  Sthomeyek  ik  A.  damit  bei  verj;chiedenen 
Leiden  er^ielt<?ö,  vonschalften  ihr  einen  ^^tändigl>n  Platz  in  der  uperativen 
t'hinirgie. 

Die  Heilung  der  Aneurysmen  wurde  durch  Compression.  durch 
die  Ligatur,  Electropunctur  und  permanente  Flexion  versucht. 

Die  Lehre  von  den  Hernien  wurde  durch  werthvolle  Arbeiten  über 
die  anatomischen  Verhliltnisse  der.seU>en»  über  die  Ursachen  der  Ein- 
üejiunung  u,  a,  m.  gefördert.  Bei  der  Behandlung  uuch  der  Taxi^ 
kamen  hauptsächlich  die  Brucfihänder  in  Betracht,  welche  ausserordenf- 
lich  vervollkommnet  wurden;  bei  der  Radikal-Heilung  suchte  man  die 
Bruchpfort^  dnrch  plastische  Operritiouen,  z.  B.  durch  Hereinziehen 
der  Scrotal-Haut  oder  durch  künstlich  erzeugte  Verwachsimgen,  zu  ver- 
^hlie8.sen. 

Die  Methoden  de.s  Steinischuitt^  wurden  durch  die  von  U  J.  Sanhon 
angegebene  Operation  vom  3lastdarm  aus  und  die  vi>n  J.  Cl(ömi>t  em- 
pfohlene S€^4ift  va{fino-i>eskictJis  vermehrt.  Um  die  Lithüthrypsie  erwarben 
«ich  (Jkitithciöen\  Civialk,  Lkroy  d'Etiülleä,  N.  Hkchtkloüp  u,  A. 
daroh  die  Erfindung  und  Verbasserung  der  Instrumente  hervorragende 
Verdienste,  Die  Beseitigung  der  Harnröbren-Stribtnren  versuchte  man 
durch  ätzende  Bougies»  durch  alimrib^je  oder  gewaltsame  Erweiterung 
der  Harnröhre  oder  durch  die  Urethrotomie  herbeizuführen. 

Die  operative  Entferaung  einer  Niere  wurde  zuerst  v<m  O.  Simon 
ttu^efuhrtt  wahrend  die  Spleuectomiej  die  schon  im  IH.  Jahrhundert 
tttitemommen  wurde,  seit  QrrrTENHArM  in  einer  planmlssigeji,  den 
ein  der  Kunst  entsprechenden  Weise  vollzogen  wurde.  ^  Die  längst 
ionte  (rastrotomie  führte  mv  Gastrostomie,  zur  künstlichen  Anlegung 
aaer  Magenüstel,  welche  von  Egebkhg  und  SfcniLLOT  in  die  chirur- 
gmhe  Therapie  eingeführt  wurde.  An  die  Resektion  des  Magens  oder 
lies  Oe^opha^us,  sowie  an  die  Exstirpation  de*  Kehlkopfs  hat  man  sich 
ernt  in  unseren  Tagen  gewagt. 

ADtEin^wr«   im  Anltiv  f.  kliii,  Chirurgie   1BS7.  Hd.  3f>,  H.  2. 

Ä6' 


1 


Die  Rhinopla^tik  war  im  17.  nDfl  18.  Jahrhuiidort  vollijj  in  Ter- 
gessenheit  gerathen.  Im  J.  1742  erklärte  rlk  rti<^icini!«che  Fiicultft 
m  Paris  die  Mittheilting^n,  welche  Taöllvccizzi  daniher  liinterJaaien 
hatte,  für  Phantasiegebilde  und  da.^  von  ihm  angewendete  0(>eratjon«. 
verfahren  für  unrarij^'lich.  Da  brachten  i.  J.  1794  ensrlische  ZeitiiniTKf] 
jlie  Kaehricht,  dass  in  Indien  von  dortigen  Kingeliorenen  die  Kumt 
sgetVbt  werde/  den  Vertu«!  der  Nase  durch  plasHsohe  Oporadoncij 
~7M  ersetzen.  Die  enropäij?ch«'n  Arzt^  stndiertf^n  dii^  Operations-MHtii 
welche  dabei  angewendet  wurde,  ahmten  sie  nach,  prüften  dnnn 
alte  italienische  Verfahren  und  verallgemeine rt^en  die  Operation»  im 
?^ie  auch  den  Ersatz  der  l.ippen  und  Augenlider,  den  Versehlu« 
normer  Oönuugen  u,  a»  nL  in  Betracht  zogen.  Durch  r.  y,  (i%^ 
Delpkch,  Dikffenbach^  B.  Lanoknbkck  u*  A»  erlangten  die  plasM 
Operationen  «'in**  hohe  Volleudtm^'. 

Die   Transplantation   von    Hautstficken   /.uiu    Kniatz   von  Sufetai 
verlu8t.en,  z.  B.  nach  Verbrennungen,  von   Periost  und  Knr»chentheilrr), 
um  eine  feste  Stütze  zu  erzeugen,  sowie  die  Einheilungsversuche  fi 
(ieweb^theile  oder  Knrper  gehören  der  jüngst<*n  Zeit  an. 

Die  Transfusion  des   Blutes  nach  srrossen  Blutverluj*ten   kam  iiu 
Schhiss    des    \H,   Jahrhunderts    wieder    in    Aufnahme    und    wurde 
.1.  Blitnueli.  zum  Oegenstande  sorgfaltiger  Unter??uchungen  genii 
I'itEvosT,  Dumas  und  andere  Physiologen,  welche  sich  mit  diwer  Ynp^ 
beschäftigten,  empfahlen  zur  Transfusion  dclibrinirtes  Blut»  Pantm  ^nib 
den  Rath,  nur  Menschenhlut  zu  verwenden.     In  ein  andere^s  Licht  m 
die  I^ehre   von  der  Transtiision.   als  man   erkannte,   das^ji  die  Erfolf,»^ 
dieser  Operation  keineswegs  auf  der  Zufuhr  von  Bliif   heruhei),  sonderi] 
in  dem  <hirch  die  Vermehrung  des  Oetassinhalts  erhöhten    intrav»^6^J 
laren   Druck  iliren  (}nind  haben.*  ^M 

Die  giinstigen  Heilerfolge,  welche  die  openitive  Chirurgie  geg^n- 
wiirtig  erzielt,  sind  grösstentheils  d<'r  streu  g-m  etil  od  ischen  AnwPTnluri? 
der  Antisepsi^s  zu  verilanken,  welche  in  den  beiden  letzten  Decennu^D 
die  allgemeine  Anerkennung,^  gefunden  hat.  Mit  ihr  begann  ein«'  nm 
IVriode  fiir  die  tieschichte  der  f 'hirurgie,  deren  Tragweite  auf  die  wi 
schaftiiche  Gestaltung  derselben   sich   kaum  vollständig  ermessen 

Kinzelne  Zweigt*  der  Chirurgie  erfuhren  im  19.  Jahrlmndert  %m 
ersten  Male  eme  wissenschaftliche  Bearbeitung  und  entwickelten  w\\ 
zu  liesonderen  Unterricht^-Disciplinen.    So  tring  die  Zahnheilkundc  aub   , 


riiijvu 

neiic 


'  E.  Zei8  a.  R,  O.  S-  20a  u.  ff. 

*  E.  V.  Beromakh:   Die  Scbickaiile  der  l'raj]«fui»ioti   ini  letzten 
BtTÜn    I8dd. 


dun  UäDdeD  unwisis^nder  Barbitjrer  iiod  Empiriker  aUmälig  in  die- 
jeaigaa  vou  Ärzten  ülit^r,  welche  die  Bi^ziehungen  der  Erkrankungen 
der  Zähne  lu  ilen  übrigen  Krankheiten  des  Kurpers  erfonsohten  untl 
eine  mtiontdle  BehandUing  der  eräteren  begründeten. 

Die  DiagiM>stik  luul  Behandlung  der  Ohrenleiden  erhielt  in  dem 
von  \,  CuiLjLND  verbesserten  Katheterismus  der  Tulm  Eu^stiichii  ein 
sehr  würlhvolleü  HilisinitteL  Uie  künstliche  Beleuchtung  «les  Trommel- 
fells, die  Ausoultation  des  Mitteluhrs  und  die  Luft-Duuche  bildeten 
treitere  Fortschritte  in  diesem  Theile  der  Ueilkunst,  um  dessen  Aus- 
bildang^  nich  Itabi»,  LfcoN  Deleai',  \V.  R,  Wiia^K,  Jos.  Toynbkk, 
W.  KiiAMi:«  und  mehrere  andere  deut.sche  Ohrenärzte  hervorragende 
Vwrdieni»te  erworben  haben. 

GroHse  Triumphe  feierte  die  Ophlhalmolugie.  Man  gewann  eint* 
Einsicht  in  du^  Entstehungs-Ursachen  und  die  anatomischen  Ver- 
änderungen der  meisten  Erkrankungen  des  Auges,  erhielt  in  dem  Augen- 
spiegel ein  diagnosttjohes  Hilfsmittel,  welches  die  sehwiorigsten  Fragen 
der  Pathologie  des  Sehorgans  zur  Lnsuny  brachte,  und  lernte  mehrer« 
Qi»Qe  Hi*Umethoden  und  operative  Eingriffe  kennen.  Schon  Adam 
ScHMiHT  machte  auf  die  Beziehungen  aufmerksam,  welche  zwischen 
maochen  Augenleiden  und  den  Krankheitszusliinri^jn  tles  ülirigen  Kür- 
peis  bestehen  und  nannte  die  Augenkrankheiten  ,,die  zierlichen  Mi- 
niatarspiegel  der  Korperkninkheiten*^ 

Die  einzelnen  Formen  tkr  Conjunctivitis  wurden  genauer  unter- 
iK)liieden,  daliei  das  Wesen  der  durch  ihre  rasche  Verbreitung  und 
'  'it  djf  Bevölkerung  ui  Schrecken  venietzenden  OpfUhnlmvi 
X.  miUtaris  festgestellt,  die  Iritis  un<l  Chorioditis  studierl^  und 
auf  die  dem  Glaukom  zu  Grunde  liegende  Steigerung  des  intriumularen 
l^ruck >  '  1  welchen  A.  v.  <  I  hakfe  die  [riilectomie  empfahl,  hingewiej*t^n. 

i  lungpn  der  Hornhaut  machte  man  den  Versuch,  an  Stelle 

der  ausgeschnittenen  Narbe  tvin  Stück  Glas  oder  einen  Tbeil  der  Cornea 
eines  Thieres  einheib'n  zu  lassen,  um  auf  diese  Weise  den  Lichtstrabkn 
den  Uurcbtritt  zu  ermögliclien,  oder  srliritt  zur  Bildung  einer  künst- 
lieben  Pupille.  Die  Nachtheile  der  vou  Wentzel  angeget>enen  Methode 
der  Iridei'tomie,  durch  welche  häutig  Erkrankungen  der  Linse  und  ihrer 
Kapsel  herbeigeführt  wurden,  wusste  Bkej«  zu  vermeiden,  indem  er  den 
IriÄ-Lappen  nicht  mehr  iunerhalb  der  vorderen  Augenkammer  loslöite, 
wie  hifiher,  sondern  aus  der  Hornhautwunde  hinausdrängte  und  aussur- 
balb  des  Auges  al^schnitt.  Dieses  Verfahren  wurde  später  verl»essort 
und  erhielt  sich  bis  heut^  während  andere  zu  dem  gleichen  Zweck  er- 
sonneae  Operations-Methoden,  wie  die  fridodialvHe  hingst  aus  der  Praxüi 
Terich wunden  ^ind. 


Ckirwrffie,  Augenheilkunde,   Geburtshilfe  und  Staat^arzfieikunde.     407 

Die  Geburtshilfe  schlug  eine  naturgemässe  Richtung  em  und  er- 
weiterte sich,  indem  sie  alle  physiologischen  und  pathologischen  Vor- 
gange im  Weibe  und  deren  Behandlung  in  den  Kreis  der  Betrachtung 
zog,  zur  Gynaekolugie.  Man  gelangte  zu  der  Einsicht,  dass  Schwanger- 
schaft, Geburt  und  Wochenbett  physiologische  Zustande  sind,  deren 
Verlauf  dem  Walten  der  Natur  überlassen  werden  darf,  solange  nicht 
aussergewöhnliche  Verhältnisse  das  EiUvSchreiten  des  Arztes  erheischen. 

Lukas  BofiR,  welcher  diese  Grundsätze  vertrat,  verwarf  die  soge- 
nannten Vorbereitungskuren,  welche  in  den  meisten  Fällen  schädlich 
wirkten,  und  lieferte  den  Nachweis,  dass  selbst  die  Gesichts-,  Steiss-, 
Knie-  und  Fusslagen  nicht  immer  die  Kunst  des  Arztes  erfordern, 
sondern  durch  die  Kraft  der  Natur  häufig  noch  derartig  regulirt  wer- 
den, dass  die  Geburt  von  selbst  erfolgt.  Der  schwerfallige  complicirte 
Instrumenten-Apparat  früherer  Zeiten  wurde  vereinfacht  und  die  ope- 
rative Geburtshilfe  auf  diejenigen  Fälle  eingeschränkt,  in  denen  sie 
unumgänglich  war. 

Man  lernte  die  Verengerungen  des  Beckens  durch  methodische 
Messungen  diagnosticiren  und  den  Einfluss  der  Lageverändei-ungen  und 
Krankheiten  der  Gebärmutter  auf  die  Schwangerschaft  und  den  Ge- 
burtsakt beurthcilen.  Auch  die  Pathidogie  des  Wochenbetts,  besonders 
das  Puerperalfieber,  auf  dessen  Pathogenese  die  Beobachtungen  des  un- 
glücklichen SEMMEiiWEiss  ein  überraschendes  Licht  warfen,  wurde  sorg- 
fältig erforscht.  Die  Erkrankungen  der  (Te!)ärmutter,  der  Eierstöcke 
und  der  benachbarten  Theile  gaben  zu  operativen  Eingriffen  Anlass, 
deren  Methoden  erst  erfunden  werden  mussten. 

Die  Exstirpation  des  Utenis  bei  bösartigen  Entartungen  desselben 
wurde  bereits  von  Montkggia,  Oslander  u.  A.  ausgeführt  und  in 
jüngster  Zeit  in  Bezug  auf  die  Technik  s«'hr  vervollkommnet.  Ähnlich 
verhält  es  sich  mit  der  Ovariotomie,  welche  von  Mac  Do>\t:ll  i.  J.  1809 
zum  ersten  Male  unternommen  wurde  und  seitdem  viele  Aerbasserungc^n 
erfahren  hat.  Die  operative  Behandlung  des  Prolapsus  des  Uterus  und 
der  Vagina,  sowie  die  Operation  der  Blasenscheidenfisteln,  welche  früher 
als  unheilbar  galt^en,  gehören  ebenfalls  der  neuestc^n  Periode  an  und 
sind  hauptsachlich  das  Verdienst  von  Jobert  de  Lamballk,  Marion 
Sims,  G.Simon  und  anderen  hervorragenden  Gynäkologen  der  Gegenwart 

Der  Fortvschritt  der  Medicin  im  19.  Jahrhundert  beschränkte  sich 
aber  nicht  blos  auf  die  Bedeutung,  welche  sie  als  Heilkunst  für  das 
kranke  Individuum  besitzt,  sondern  brachte  auch  die  wichtigen  Be- 
ziehungen derselben  zum  Staat  zum  allgemeinen  Bewusstsein. 

Es  hing  dies  vielleicht  mit  der  politischen  Entwicklung  zusammen, 
welche  die  StÄatsregierung  an  ihre  Aufgabe  mahnte,  die  Gesellschaft 


zu  schutÄeö,  und  in  Jem  einzelnen  Bürger  das  (mIuIiI  »rwrckr**, '3ai 
er  ah  MitxÜ^'^  J^«*  <iempuiwi»«ens  Ptlichten  gegßn  dasj^t^lh**  im  erfiillenj 
habe  und  an  stnncT  Wohlfahrt  betheiU^t  m.  Su  traten  die  gvrichtliob 
MHlJoin,  welche  vou  A.  Hickkk,  Mk;m»k,  f'nitisirsoK,  CA^pKit,  OEriio,! 
Takiukc  u,  A.  begründet  and  l»eiirlK*itpt  wurde»  und  dt**  niedidiijj 
Pnli2eit  deren  Fundamente  Psmüt  Frank  legte,  in  die  Reihe  d«r  m« 
dieiniscbi*n  DiscipÜnen.  Was  die  i*rstere  für  die  *)nain  wurd<',  4jJ 
ftoUle  die  leutere  für  die  Verwaltung  sein:  der  Inbegrifl  der  Kenl)^J 
ni^e,  deren  der  jinttüche  Sachvenätandtge  l>edarf,  wenn  er  von  dei] 
Itehorden  zu  Ualh  gezoiren  wird* 

Dio  Sanität« -Polizei  erweitertn  sijcb  zur  {»ffentliohen  (Je^undheit^.  i 
pflflfe  oder  Hj^giene,  .ib  sich  der  Gedanke  Bahn  bmch^  das8  nicht  bU 
der  Staate  sondern  jeder  Einzelne  InTufen  ist,  Krankheiten  zu  verhiUn 
und  die  Knlwiekeluug  und  Erhaltung  der  SAlubritiit  /u  fr>rdent.  Dii^ 
lilentitat  der  IntcfwacPt  velehe  in  den  tVagen  der  Hygiene  die  ft^ 
vv'dkerung  mit  der  Staalapolittk  Ttrbuidet,  erklärt  i^s  sicherlich  zuiu 
UffOäaen  Thetle,  dü^  die  wineoMtefUiche  Losung  der^dlx'n  m  ihn 
lotsten  Jabnabnleii  mit  eineoi  bewmideningsirüfdigen  Eifer  k^heWti 
mutAtk  Der  Ebillaai  dier  Nahntng,  Kleidung,  Wühnung,  dei^  Baii% 
Klimas^  der  TempecBlur.  Lufl^  der  Be^^hifttgung,  de<  Altern  und  Gc«] 
•obkdils  wurde  soigAlltg  cmteftüiciil;  die  Erforschung  der  Lr^a^bei 
der  Kntfirtehang  iLod  Verbneitiny  dtr  SMuheo,  die  ge>iundheit8genii<i« 
AuUg9  nin  Kmnkenhittstni,  nMhfiftii.  Fiabriken  und  Bauu^n  alli!r^ 
Art,  die  übenracbttnir  der  Proüitliiw  n.  s.  nu  Hildett^n  wHtere  Aul* 
gaben  dt^r  uflNUlieben  iie^uiidheil$pflc*gt 

SumiM  die  G««cliickie  der  Medkan.  uie   über   den   \vrUn\  dei 
gmsMii  Valksfcni»kheite».  wekhe  in  ferfaagaiMi  Zeilen   die  Uinl« 
diiroltaofftt  aod  den  KibAg  ifer  daiecfeii  gelmlenea  Ihssregeln  Behcl 
MiMlele,  al^  die  aedieüüMlie  Uf<igii|iiii,  wideke  dtnnr  hinwm 
mBibe  KrankMieii  m  o4tr  wwifBtigm  fwioganise  in 
6<feHlen  TMikumiM«*  und  die  ErU^runir  dieeer  Tlialsache  ver^uchUs 

mit  Ililfe  dC| 
mgin    zu    vif* 

«irtbeii   bemälil   war»  ÜBJFrtea   vielilige  Beitzige  ntr  I>Wung  dieser 
riatük    Die  ChMie«  iImi  H^iwAep  n4  d«^  SifafiBaii 
MilM  n  UBiNwetaii«««,  «tioheikesMk  m  «trUinlln  Aii&flUfl 
difilker  Akneii«  it»d  die  Baktcmlosie  lenkte  den  Blkk  anf  die 
Crwitin  4er  Kiaalhailem. 

Ue  CirMge.  «ekhe  die  Ujpam  imlm^k  in  deft  letzten  Ja 
aiiteii  böt^  und  die  Kwiifugei^  die  aam  ru«  iki  i&r  die  Znkuo 
he«et.  Ubeo  ikr  in  knoer  Sau  eioe  feffteeiigHide  SMhng  uter  deö~ 


Der  medioiniscfie   Unterricht  in  der  Gegenwart,  409 


medicinischen  üisciplinen  verschafft.  Die  Aufgabe,  die  Krankheiten  zu 
verhüten,  erscheint  ebenso  gross  und  segensreich,  als  diejenige  sie  zu 
heilen,  und  die  öffentliche  Medicin  tritt  der  private^n  ebenbürtig  an 
die  Seite. 

Die  Staatsregierungen  tragen  dieser  in  immer  weiti^e  Kreise 
dringenden  Erkenn tniss  Bechnung,  indem  sie  die  Sanitatsverwaltung 
organisiren,  Gesundheitsamter  errichten  und  für  ärztliche  Beaufsichtigung 
gewisser  Einrichtungen  Sorge  tragen,  und  das  prophetische  Wort  des 
englischen  Staatsmannes  Gladstone:  „Die  Ärzte  werden  die  Führer  der 
Völker  sein",  geht  seiner  Erfüllung  entgegen. 


Der  medicinische  Unterricht  in  der  Gegenwart. 

Die  Umgestaltungen  und  Verbesserungen,  die  der  medicinische 
Unterricht  während  der  letzten  hundert  Jahre  erfahren  hat,  sind  nicht 
weniger  l)edeutend  als  die  Erfolge,  welche  die  wissenschaftliche  Be- 
arbeitung der  Heilkunde  errungen  hat.  Wenn  man  die  mit  Lehrmitt<'ln 
aller  Art  reichlich  ausgestatteten  Institute  unserer  heutigen  medicinischen 
Schulen,  ihre  vortrefflich  eingerichteten  Lehrgebäude  für  normale  und 
pathologische  Anatomie  und  Physiologie  mit  ihrem  Instrumenten- 
Apparat,  ihre  physikalischen,  chemischen  und  hygienischen  liabora- 
torien,  ihre  naturwissenschaftlichen  Sammlungen  und  ihre  grosse  Anzahl 
klinischer  Anstalten  betrachtet  und  sie  mit  den  dürftigen  Anfiingen 
vergleicht,  welche  in  dieser  Hinsicht  im  vorigen  Jahrhundert  cremacht 
wurden,  erkennt  man,  wie  viel  seitdem  erreicht  worden  ist.  Heut 
gelten  diese  Einrichtungen  als  unentbehrlich  für  den  Betrieb  des  ärzt- 
lichen Unterrichts,  während  sie  damals  an  den  meisten  Hochschulen 
ganzlich  fehlten  oder  doch  nur  zum  geringsten  Theile  vorhanden  waren 
und  in  solcher  Vollständigkeit  kaum  jemals  erhofft  werden  konnten. 

Die  Lehrmethode  hat  in  Folge  dessen  eine  andere  Form  an- 
genommen; die  praktischen  Demonstrationen  gewannen  mehr  und  mehr 
das  Übergewicht  im  medicinischen  Unterricht  und  füllten  mit  den  zu 
ihnen  gehörigen  Erklärungen  den  Inhalt  desselben  aus,  während  die 
theoretischen  Vorträge  zurückgedrängt  wurden  und  allmälig  fast  gänz- 
lich verschwanden.  Das  Verständniss  der  wissenschaftlichen  Thatsachen 
und  Theorien  ist  dadurch  ausserordentlich  erleichtert  worden ;  denn  was 
man  mit  den  Sinnen  erfasst,  das  prägt  sich  nicht  blos  dem  Gedächtniss, 
sondern  auch  dem  Verstände  ein. 


4111 


Ikar  msßii^rmmAt.  VnUrrieht  in  «br  i$m4eskH  Z$ä, 


IM/Ji  kam,  «iüMi«  fite  Tbeilnnt?  der  Arbeit  auch  im  mtKlIcIiiJi 
tJfit<'rrichl  4nr(h^f^ühTi  mini*!  and  fe^tüU^hende  Furmen  gewann,  welc 
m  Kii*tiilt*1«n,  da^H  il»/r  Lehrer  ?^ich  atij^schlifHslich  mit  d*^r  DisdpliB| 
welch«*  **f  if*rtritt,  liej^fhaftifeii  und  /Über  eine  virtuose*  (i»*wttiidtl8i 
und  Hicherlieit  darin  erlangen  konnte. 

Die    VenrolKtandig'ijng   diw    mpdicinlschfn    l'ntt'rrichU^   diirnh  iliil 
Efrichfiing   nenrr    Li^hrkansjeln,    welche   die    Entwickelun^    und  fMft 
«ehrf*it»»nde  Spenialiflninu  der  Heilkunde  forderte^  und  die  Kinfuhnini 
lind  VerbeKsenin^  di»r   PrüfungHordnunp»n,  welche  die  Oewiihr  i(*i«t* 
Hi>ll**ji,  diHH  dif  juiif^'i*n  Är/te  die  Inr  ihr^'n  Beruf  i>othwendi|üren  KViibUI 
ni.HHf  f"rw«*rb«'n  baben,  bibi^'ten  weitere  liereichenmjüren^  die  das  äntlich 
fbbliiii^HweKi'ji  in  dit^em  Zeilmom  erfuhr.    Allerdings  waren  die  F«i1 
»idinft»'  dul'  dioseiii  ^Jeltiet  in  den  einzebien  T>ändeni  sehr  vprschiedmd 
d«*r  Zusliirid  dw  all^^^'ineinen  ("iiltur  und   besonders  der  HeilkuD'le^  di] 
Miinrale  Stellung  der  Ärzte,  die  hwturischen  Tniditiüut*n  und  vor  Alta 
iliiK  Verhalter»   des  Staates   mm    r»iTentliclien   rnterricht    ilibten   (taraiif' 
einen  entseheidi^ndini  Kinlbiss  aun. 

n*'i  diMi  rohen  Naturvrdkern,  bei  den  Ivaflern.  Indianeni,  denßi 
^ebiireniMi  Bnisibens  n.  \,  \e!*^ne.hen  die  \v/Av  und  Zauberer  nachj 
die  KriinkbeMi»n  tbireh  «iebete  nnd  Bt^scliworunj^sformeln  zu  ver 
II hd    das    tnedirmisehe   Wissen    reicht    nur   s<dt<'n    öbiT   *üe  Kennlnü 
einiK»*r  lieilknitTi^^en  Knluter  und  Wnr/idn  hinaus' 

Aueli  bi*i  den  rultur\ölkern  herrj*ehen  In  Bezug  auf  die  Ui^Ukuod 
Mdu    verMthiedenttrligi»    Zu^tjlnde,      Die    einheimi8ohen   Ärale   in 
Lilndern  des  T^^lanis  handeln  tum  gnWten  Thei)»'  jetzt  noeh  narh  ^h 
»elbi'U   Unutilsit7j*n,   welche   die  Vertreter  der  arabischen    Me^linn  iq 
MiltehiUer  verkikndel  halien.  und  elienso  glauben  auch  die  ehin^^ii^chti 
hniv  :in  die  gU*iehen  halfln-     -       slationen.  die  dort  seit  .Tab 
U^ltung  VH\<ititen.*     lK>rh  i  .  .:     iie   Berübmng  mit  der  eiu  - 
Ihnlkunde  und  dii»  Krk^nnmiis  ihrer  Vortheile  m  Verbuchen,  d 
derthtu  tu  VirpfbliiaHl. 

In  Kaiiftanliiiopl  untl  Knim  grtiniliHe  man  me^licini^clie  Scbuk 
HU  dofH'ti  eiif\ipAi»rlif\  Tv>rtilgfweb«^  fTttniogjsehe  uml  deutsi^he  Arzte  i 
1.ehnr  Mgi«t<4)t  vnnlffw    Bn  mtiUm  grüiidlt«  h«  r  und,  wie  e«  ^h^ 
m\\   ^mmm  Krfelf  vimite  ^m  in  Japia    ins  Werk  c^^vux,  wo 
i\m  M«t^  JiknMi  meiii^fw  anOirlh*  l#linii.>valfen  enUtand^^n.  welcH 


n>    tu*     i\\  tu.   V,  i.  lOL  l!l».    VI.  $4  «.  C  JM  u.  C  «7,    *    Ä. 
*  l\  n\m%  :  L»  MiMiewhr  «4m  Im  iMmJ^  Pkrä  lS«3v  —  0.  X  Mt 


Der  medieinische   Unterru;ht  in  der  Gegenwart.  411 


vollständig  nach  europäischem  Muster  organisirt  und  hauptsächlich  mit 
deutschen  Lehrkräften  versehen  wurden.^  Die  niedere  Cultur  weicht 
vor  der  höheren  zurück,  welche  überall  siegreich  vordringt  und  die 
Menschheit  mit  ihren  Segnungen  beglückt. 

In  den  civilisirten  Ländern  hat  die  allgemeine  und  fachwissen- 
schaftliche Bildung  der  verschiedenen  Berufsklassen  eine  gewisse  Gleich- 
artigkeit angenommen,  welche  sich  aus  der  durch  die  Literatur  be- 
wirkten leichten  und  raschen  Vermittelung  der  geistigen  Fortschritte 
und  Errungenschaften  erklärt.  Auch  die  Heilkunde  zeigt  diese  Er- 
scheinung, und  der  unterrichtete  Arzt  in  Frankreich  bekennt  sich  zu 
denselben  Lehren,  wie  sein  College  in  Deutschland,  Osterreich,  Italien 
und  anderen  Ländern.  Die  medieinische  Wissenschaft  ist  überall  die- 
selbe; aber  die  Summe  des  Wissens,  welche  von  den  Vertretern  der- 
selben in  den  einzelnen  Staaten  verlangt  wird,  ist  verschieden,  und  die 
äusseren  Formen,  in  denen  si(»  den  Studierenden  gelehrt  wird,  sind 
mannigfaltig. 

An  einzelnen  Orten,  z.  B.  in  Amerika  und  England,  besteht  noch 
die  Einrichtung,  dass  Ärzte  Schüler  annehmen  und  gleich  den  Hand- 
werkern zu  Meistern  in  ihrer  Kunst  ausbilden;  aber  im  Allgemeinen 
werden  die  ärztlichen  Kenntnisse  an  Schulen  erworben,  welche  diesen 
Zweck  zu  ihrer  besonderen  Aufgabe  machen  und  entweder  als  medi- 
einische Facultäten  mit  anderen  Lehranstalt<?n  zu  Universitäten  ver- 
einigt sind,  oder  ausserhalb  derselben  eine  gesonderte  Existenz  führen. 

Diese  Schulen  werden  in  manchen  Ländern  vom  Staat  geleitet 
oder  wenigstens  beaufsichtigt,  während  sie  in  anderen  eine  unabhängige 
Stellung  einnehmen  und  sich  selbst  verwalten  oder  von  Privatpersonen 
beeinflusst  werden.  Diese  principiellen  Verschiedenheiten  in  der  Organi- 
sation des  medicinischen  Unterrichts  waren  für  die  Entwickelung  des- 
selben von  grosser  Bedeutung,  wie  die  Betrachtung  der  betreffenden 
Verhältnisse  in  den  verschiedenen  Staaten  lehrt. 

Die  ausführlichste  Darstellung  werden  dabei  die  Zustände  bean- 
iipruchen  dürfen,  welche  sich  in  dieser  Hinsicht  bei  den  Engländern, 
Franzosen  und  Deutschen  entwickelt  haben,  weil  sie  die  Typen  der 
verschiedenen  Gestaltungsformen  des  ärztlichen  Bildungswesens  dar- 
stellen und  auf  den  medicinischen  Unterricht  der  übrigen  Nationen 
einen  massgebenden  Einfluss  ausgeübt  haben. 

•  Ardouin:  Apercu  sur  l'histoire  de  la  m^decine  au  Japoii,  Paris  1884.  — 
Ad.  Hofmeister:  Die  Universität  Tokio,  ihre  Geschichte  und  Organisation,  Aus- 
land. Jahrg.  57,  No.  51.  —  H.  Gibrkk  in  der  Breslauor  ärztl.  Zeitschr.  IV,  S.  64  u.  ff. 


EngUuKL  —  Kord -Amerika. 

Ictt  httteft  äA  4i»  EuLiicbtitiig^n  de^.  Mitti^laltets  ii 
rstimehl  in  Bm^baä  ^AaltmL  ^    Dart  kouunt  i^  nod  j 
i  fMV  ««A  aoeh  bei  «eilen  crilmer  ib  £rälmv  <ia<^  ^^  Stiidier^den  1 

HtiliEiiiMie  ihre  Stadial  4mil  b^iooro^  dass  üe  mh  zu  emmj 
Are!  in  dk  lühi»  bcfehen;  4e  Ueiben  bei  Uim  (^tn  .Uhr  I 
m^   um  etoeti  aflywiiita  ÜberUiek  dttaeii  stu  gewinnen,  w^b 
te  Lelwi  «00  TW  ikMtt  fM«ni  «inL^    Bei  die^ipr  Methode  häD^n  I 
nililrlicli  wAi  ml   roo  der  Indindiiilftät  ie^  Setiulen»  und  tialiozii 
Allf«  foo  der  PemialiclLkftt  da»  Lihntf^  aK     bt  der  Schüler  tleisäi| 
ud  begabt«  und  beailit  der  Lehrer  Ginluldr  Kenntius^  und  Freude  g^ 
mimr  Thüigtect,  dann  iil  dieeea  Jalir  ßr  dm  en»ten>n  von  unscbaU-j 
baran  ?artbeil  fbr  eeioe  spUenn  SUidieo;  im  anderen  Falle  ist  ^  ver^J 
iomie  Zeit  nnd  dient  hoch4$tt*itg  daaii^  ihn  mit  einer  handwerk:%mäissigpi 
Routine  acuKUitalten,  die  manckmal  nhe  an  Charlatanerie  smnft. 

Abniirh  reilialt  *^  sich,  wenn  das  ecstt*  Jahr  der  oiedicinuichei) 
Btudienzeit  in  einem  Hceipital  ztigehracht  wird,  wie  es  auch  hiiufig  gp- 
«aUehl.     Dir  8todien*nden   gUnlien^  dik^  sie  dort  <"   '         '     '  ^  ^ 
viele  Kranke  zu  t»eol>achten.  und  hoffen  van  den  H  > 
wichtigsten    EreignUse    Belehrun;^   zu   erhallen.      Wenn  sie  in  duimi 
Fjirartun^en    niibt    pfäuj>cht   w**rden«   äo  kunnen   f^ie   ^ich    Hllrrdini^l 
eine   gewiKse    < h  wandthi^it    im    Verkehr    mit    den    IvRinken    an»*igneii,' 
welche  ihnen  in  ihrer  späteren  klinischen  und  rirxtUchen  Wirk^^unkvit 
eehr  nötzlich  i^t. 

Al»er  in  manchen  andern  B«*iiehungeu  musss  die^^e  Form  der  Ein« 
Tühning  in  die  medieinischen  Studien  grosse  Bedenken  erregen.  Si« 
verleitet  den  Schüler  zur  01>er(liichlielikeit.  indem  sie  ihn  ^^wAhni, 
diis  U^'sen  der  Üinge  nur  2U  yitrvif<*n,  weü  ihm  di<*  Kenntmjwe  üii4 
das  Ver^tandniss  fehlen^  um  ihnen  auf  den  Grund  zu  gehen.  Auili 
flQrften  di*'  Er^ebni^st»,  welche  uuf  diese  Weise  erzielt  werd«*n,  wohl 
ktium  den  Uptern  an  Zeit  und  Mühe  entsprechen,  die  si»'  d^n  XnWti 
die  dabei  die  Rolle  ab  Lehrer  t^pielen,  verunj^acben,  und  noch  ytm^r 
dia   Unbef|Uemlictik«*iT<'ü    ri*ebüerti!ü:en,    welche   sit«    für   die    Kraiik*»^ 


'  Th.  PottCHMANN:  Das  medtcutiflclie  Uoterriditawescu  Iti  England  in  der 
HtiiL  d.  Allg.  Zeitung,  München  18l^H.  No.  7-9,  Dieser  Aotetx,  den  tcb  «.  1. 
unter  cteui  frischen  Eiudmck  der  eigt*uen  Aitöclmuutig  geschrieben  habe,  hiM'b^ 
fiine  Vomrböit  des  vorliegenden  Buches. 

*  Ch   Dkli.  Kkrtlry:  The  Student«  Gnid«*  to  the  medical  profeaiiioo, ' 
1878,  p.  16  u,  ff. 


Ef^land,  —  Nord- Amtrikn,  413 


h*»liandhin^  mt  ircfnlgf»  haben.  JedenfiilLs  ist  <in'<fiii  HtTuinriivt^'Ti  auf 
unhekunnt^n  Gohrv'tcn  der  systematische  rnt»*rncht  an  niner  niedi- 
C'inischen  S<jthuli'  bei  weitem  vorzuziehen. 

Aus  dieeeni  Grunde  ist  »*s  mehr  und  mr^hr  iildieh  {4:Hwr^rdei],  da«^ 
die  Studiereiid^'n  sofurt  eint*  mediciiiiseht*  Fjirljscliule  oder  »^ine  Uurver- 
sität  be>*uchcTi.  Die  niediciniHcheu  S^^huleii  Englands  haben  sich  ans 
der  «d»HU  he^ehricbenen  Form  des  Unterrieht>i  f*ntwick<dt:  sie  lehnen 
üieh  an  Hospitaler  \m  und  sind  fladnrch  entstanden,  das^  di**  Ärztt'  <ier- 
Kidben  Schüler  annahmi^n  und  UntiTrieht  in  der  Ifeilkim^t  gaben.  Als 
die  Beflürfnisse  dns  Unt<^rrirhts  wuchsen,  v^rtheilten  sie  di«'  Vertretung 
der  einzelnen  Zweige  der  Heilkunde  m\U*x  sieh  und  trugen,  wenn  sie 
^--tdbst  in  einzelnen,  z»  B.  den  theoretisehen  Fnehern  sich  nicht  zu 
T/^hreru  befähigt  «'mchtetm,  dafür  Rorgn^  das,s  geeignetf  Lehrkraft«*  **r- 
worben  und  dii^  nothwpndigen  Lehrniitt«'!  und  Instilute  anirv'schaÖ't 
wunlen. 

Nur  Min  kleiner  Bruehtheil  der  Studierenden  der  M«*dicin  bezog 
die  irnirersität,  ila  dieselbe  bis  in  die  neut^te  Zeit  der  für  das  Studium 
«ier  Heilkunde  erforderlichen  Einrichtungen  entbehrte.  Die  engli^schen 
hschulen   waren  eigentlich  nichts  \reiter  als  verlängerte  <fynina«ien, 

sie  J.  DOmanger  bezeichn<*te,  welche  nicht  die  Aufgabe  haben, 
Beamte  zu  bilden  und  Juristen,  Ärzte  oder  Naturlbrncher  zu  liefern, 
Kindern  ,,durch  classische  und  mathematische  Studien  n*d)st  Logik  und 
Moral  Philosophie  und  durch  eine  f'ollegienerziehung  dem  Staat  und  der 
tTf.sidlschaft  den  gebildetnu  und  unabhängigen  (lentlt^man  und  dan»d)en 
der  Staatskirche  einen  weniger  theologitsch,  als  classisch  und  literarisch 
gebildeten  Klerus  zu  lietem**. 

Einen  ander<*n  ('harakt^T  zeigt^»n  clie  schottischfii  HuchHchulen, 
benonders  Edinburg,  wo  man  schon  in  früher  Zeit  anling,  di*^  prak- 
tt^he  Heilkunde  in  den  Bereich  des  medicinischen  rnterrichts  zu  ziehen. 

I>ie  verschiedenartigen  Wege,  auf  denen  die  medicinischen  Kennt- 
DTÄse  erworben  wMjrden,  Lt^sen  e«  begreiflich  erscheinen,  dass  unter  flen 
Ärzten  gro^:«^**  rnterschiede  in  Bezug  auf  ihr  Wissen  und  ihre  Geschick- 
liehkeit  bestanden.  Dazu  kam,  da-ss  sie  nicht  genöthiirt  waren,  darüber 
ernste  Rechenschaft  zu  geben.  Der  Staat  kümmerte  Nich  nicht  darum, 
ob  und  wo  der  küntYige  Arzt  die  Belahigung  l'ür  seinen  Beruf  erhingfce; 
w  gef^tAttete  Jedem,  die  arztliche  Praxis  auszuülieri,  und  überliess  eg 
dem  Pubbkum,  die  guten  Arzte  zu  sondern  von  den  schlechten. 

I>Hbei  war  natürlreb  nur  der  Erfolg  entschefdend.  Die  HeilkünstbT, 
welche  diesem  unsicheren  Urtheil  misstrauten,  suchten  durch  Zeugnisse, 
in  denen  ihre  mediciniHchen  Studien  und  ihre  iirztliche  Tüchtigkeit 
htismigt  wurden,  die  nflentliche  Meinung  zu  gewinnen.     VeiNehiedene 


414 


D&r  mediciniBohe  üntemchi  m  dar  nmest^n  Zmi. 


ürztliclio  (ienu!^84'ii»chaften  und  niedicinis^che  »Schulen  waren  d^^u  gegvn 
KntrioJitijntf  der  üblichen  Tiixon  bereit  und  nahmen  Prüfungen  ah,  lÜp 
uhiT  wedt*r  cinhiitli^h  nriranisirt,  noch  von  ein^.T  C^ntralstelle  üim- 
wacht  wurdrn,  und  ilaher  durchauK  nivUi  eine  G<.*w;ihr  für  dir  BiMiin^* 
des  ArKtt^s  boten. 

Maiiclu^  <*rwurh**n  (*in  Oiidum  im  Aushmde  utliT  j^^uchU^n  ,sidi 
hiAhv  auf  i!le!y:ale  Wvisi*  m  vcrscbaften;  auch  hattt»  der  Krzbischuf 
Cant^^rbtirv   das   Hecht.    Dukturen    der  Medicin   äu   ernennen.     Zulelxi 
kam  OB  soweit,   dass  es  genügte,  wenn  Jemand  vun  zwei  Mitgli<'ili 
eiiiei  ärztlichen  Genossen  schart  der  Behord*'  als  Arzt  vorgestellt  wöi 
damit  er  als  solcher  anerkannt  wurde, 

nenirtigc   Zustände    niussten    für  die  Kranken,  auf  welche  tiii 
lleilkimsth^r  losgelassen^*  wurden,  schwere  Xachtheile  im  Tieftd^o  hairf 
Der  «nersclnUterliche  (ileiehmuHi  des  enpflisebcn  Volkes  wurde  d;iAlurcli 
endlieh  :itjt|Li'rrtitTelt,  und  das  Parlament  veranlai^sts  Abhilfe  dagegen  m 
treöen.    Uas  Krgebniss  der  Herathungen  desselben  war  die  Medin'  \ 
v.J.  1858,    in    welcher  ^enuu   iM'stiirnnt  wurde,   w^elehe  Körper^  i  >, 
fortan  das  Recht  haben,  ärztliche  Prüfungen  ab?4jnehmen  und  j^iiltiÄf 
Zeugnisse  darüber  aiiszustidlen, 

Sie  wunb'n  <b'r  Anlsiclü  des  General  euuncil  of  medical  l^ducatill& 
and  regislration  of  the  united  kingdom  nnterstellt,  welcher  darauf 
achten  soll,  da.ss  die  Prüfung*'n  ihrem  Zweck  entsprechen.  Ist  fc 
nicht  der  KiilU  so  steht  dem  (leneral  Council  die  Betugniss  zu,  m 
Zurechtweisung  der  föaminat<<iren  zu  veranlatjsen,  oder  wenn  die  ÜW. 
stäntie  nicht  beseitigt  werden,  die  Auflu-bung  des  der  IjetrefTemb 
Gortmration  ertheilten   Prülnngs-Privilegiums  /u  l^ewirken, 

Ihc  Namen  der  Personen,  welche  vor  einer  zur  .\bnahme  d^| 
PriUungen  h^gitimirien  Kr»r|)erschaft  ihre  Befähigung  zur  Ausübun;<4^^ 
ärztlichen  Tbiitigkeit  nucdigewiesen  haben,  werden  in  ein  Verzeiehni>- 
aufgenommen,  welches  vom  fieneral  c^ouncil  geführt  und  dem  PubldaiiL 
bekannt  gennndit  wird,  nur  solch»*  durch  das  (iesetx  anerkannt*^  Arm 
konniii  beim  Gericht  die  Khigen  aut  rürkstandige  Hon<inir-FonJoriiiii?i^ 
geltoini  matdnn  tind  amtliche  Stellungen  erlangen. 

Der  (Mueral  counciL  welchem  übrigens  noch  andere  aut  da< 
dicinalwesen    bezügliche    Aytgal»en    übertrugen    wurden ,    beisteht 
24  Mitgliedern,  von  denen   17  durch  die  verschiedenen  Prüfung^kni 
schatten  gew^lhlt,  0  von  der  Krone  «ernannt  und   1,   nänilieh  der 
«ident»  vtun  ftrneral  Council  selbst  bestimmt  wird.     Mit  diesem  G 
wurde    für   die   weitere   Entwickelung   des   medicinischen   Unterri< 
Wesens    in   England   eine   b^ste  Grundlage  gegeben,    welche   weolj 
lie  gröbsten  Missbräuche  verhinderte. 


England,  —  Nord- Amerika,  415 

Die  Mängel,  welche  es  zeigte,  richten  Verbesserungsvorscliiäge  hervor, 
welche  aber  gar  nicht  oder  doch  nur  zum  Theil  ausgeführt  wurden. 
Im  J.  1881  wurde  eine  Commission  von  Fachmännern  berufen,  welche 
über  die  Fragen  des  medicinischen  Unterrichte  Berathungen  hielt.  Bei 
dieser  Gelegenheit  wurde  die  Nothwendigkeit  einer  allgemeinen  wissen- 
schaftlichen Vorbildung  für  den  Studenten  der  Medicin  hervorgehoben, 
die  Einführung  von  Staatsprüfungen  angeregt  und  verlangt,  dass  nur 
Diplome  der  Befähigung  zur  Ausübung  der  gesummten  Heilkunde,  nicht 
aber  einzelner  Theile  derselben  ausgestellt  werden.  Aber  die  Mehrheit 
verhielt  sich  ablehnend  dagegen  und  verwarf  mit  aller  Entschiedenheit 
die  absolute  Gleichförmigkeit  der  ärztlichen  Erziehung,  indem  sie  es  als 
einen  besonderen  Vorzug  des  englischen  Systems  betrachtete,  dass  es 
innerhalb  gewisser  Grenzen  die  Freiheit  der  Bewegung  gestattet  und 
eine  bei  der  Verschiedenheit  der  Lehranstalten  natürliche  Mannigfaltig- 
keit der  Bildung  hervorbringt.^ 

Gegenwärtig  erwerben  die  Studierenden  der  Heilkunde  die  fach- 
wissenschaftliche Bildung  hauptsächlich  an  den  medicinischen  Schulen 
und  den  Universitäten.  An  den  ersteren  ist  kein  Mangel;  in  London 
allein  existiren  zwölf.  Sie  sind  mit  Krankenhäusern  verbunden  und 
werden  gewöhnlich  darnach  genannt. 

Die  älteste  Schule  ist  diejenige  des  St.  Bartholomeus- Hospitals, 
dessen  ereignissreiche  Geschichte  mit  der  Entwickelung  der  Heilkunde 
in  England  eng  verknüpft  ist.  Diese  Krankenanstalt  besteht  seit  1164 
und  die  frühesten  Nachrichten,  dass  dort  medicinischer  Unterricht  er- 
theilt  wurde,  stammen  vom  Jahre  1662.  Zu  den  Ärzten  derselben 
gehörten  William  Habvey,  der  p]ntdecker  des  Blutkreislaufs,  und  später 
die  Chirurgen  Percival  Pott  und  Abernethy.^ 

Die  Gründung  des  St.  Thomas-Hospitals,  mit  welchem  ebenfalls 
eine  ärztliche  Lehranstalt  verbunden  ist,  wird  in  das  13.  Jahrhundert 
verlegt;  in  den  Akten  dieser  Anstalt  wird  schon  1551  ein  ärztlicher 
I^ehrling  erwähnt  Ihre  jetzigen  Gebäude  wurden  1871  der  Benutzung 
übergeben  und  erregen  durch  ihre  zweckmässigen  Einrichtungen  die 
Bewunderung  der  Fachmänner. 

'  Report  of  the  royal  commissiouers  appointed  to  inquire  into  the  medical 
acts,  presented  to  both  houses  of  Parliament  (Engl.  Blaubuch  1882,  Vol.  29) 
Abs.  37:  It  woold  be  a  mistake  to  introduce  absolute  uniformity  into  medical 
edocation.  One  great  merit  of  the  prescnt  system,  so  far  as  teaching  is  concerned, 
lies  in  the  elasticity  whlch  is  prodnced  by  the  varict^'  and  the  numbcrs  of 
edacating  bodies. 

»  N.  MooBE  in  St.  Bartholomews  Hospital  Rep.,  London  1882,  Will, 
p.  883 — 868.  —  W.  A.  DEiJkMOTTE:  The  royal  Hospital  of  St.  Bartholomews, 
LfOndon  1846. 


Audi  81  G«or«e9^Uai;fUl,  4a»  Ui: 


atal;  4m 


Huw/JM,  dm  WcüBiftMr'HoiVilal,  im  Ch»ii^-<  ><i«e»-BuiipJtal  8t  Müry  's 
,  HyipÜit  QBil  Oo/«  BmfM,  ventai   i^  rnt^^rricbi 

•li  instliebe  SehaicB.' 

II»  Ki«9i  Colteg«  nd  im  Untfcni^  Gollrer.   mlehe«  Uhn 
knwmwf!ii^  not  der  loodon  Ummaüy  ider  dckj 

zifsr  Mdi  aa  KmnlfihiMfr  «i;  mbtr  m  ul.  ,  .  u  d«ii 

Ohrigeii  mdJgJiiiKtwi  Scfcni^fi   dadurcb,  i^m  m  iiieht   ^olirt  siiiü 
fi^jfidimi  in  erneni  orfs^nktkeu  ZiMminwitoPi^e  mit  juiiNiij^chen,  philu-j 
«Kiphi«ctti*n  fmd  nwturwbBtiiKlMlIUehm  Fi^oltaU^n,  mit  t«cliiii«cben  In- 
iditotirfi  a.  A,  m.  fiifihf^n,  Ammaiiem  fSMtiTt  lo  London  eine  me<lidnb€lii| 
Hchrik*  fßr  FmoeOf  welche  sieb  dem  irzüichen  llfruf  widmtn  wollin. 

In  den  Al^rigen  Städten  England^»  b€i$teben  medicuti^^he  Unter* 
riebtHan^talten  zo  Birminje^ham,  Briütol,  t..eeditr  liverpool,  SkofBel^' 
huldin,  Belf;mt,  Oirk^  Gtiliraj,  Kdinl>ur|;rf  Olaifgaw  u.  a.  0.;  auch  ^ehi 
*•**  HchQU*n,  welche  keine  foMs^äiidige  niedjcini«(che  Aaslitldung,  «ondfiro  ^ 
nur  ('ntffiricht  in  einzelnen  fächern  gewähren^  wie  die  West  Ijondun] 
hfif4piki]  pn*|>»rsiturv  »efaoal  i*der  Cooki*^  iioAtomiisohe  Schule.  In  detj 
l»rittiNf;h»'n  r^donten«  in  i'anada  und  in  Brittisch- Indien  Vietinden  «iell 
gl^'ichfallH  eine  Mengt»  von  mediciniNchen  liehnm^talten,  welche  mskl 
(mglii4cheui  Mu?«ter  <'ingerii'htet  ^ind:  rnivh  m  Valetta  auf  der  IiM] 
Malta  ii\vUl  i'ri  ei«  derartigei^  luKtitnt.* 

Di«»  medicini8ch<*n  Schulen  Englands  sind  ebenno  wie  die  HojipitiJer,  ] 
zu  w*tlehj*n  sie  geh<irt*n,  in»  Allgi^rnr'inen  Privat-UntiTflehmungen,  lJfr| 
Htaai  suihll  wedt-r  ihn*  l'nii*rhaltuiigskotiten,  noch  lebt^H  er  einen  Zu- 
MchtifU)   tisizii;    L'ljfnsowt^nig    übt    er   irgend    welchen    l^^nÜUäs   aal  iiire 
()rgftnii*alion    und  Verwaltung  oder  auf  den   Unterricht  aus,  der  durt 
»•rtheili  wird.    Haftlr  giebt  der  Besuch  dieser  iSchiilen  aach  keinei^weg» 
iIhs    Keeht    zur  Auvtjljung  dfr  är/Jlich**n   Praxis,     lue  lA^hrkurpi»r  der- 
Helhen   hnhvii   nicht  die  Befugnis^*,   Prüfungen  ah^ailialten.  welche  mt 
♦  ifff'Titliehe  (Jclliin^   Ijesitzen,   sonderü  nind  genritbigt,  zu  diesem  Zw^^t 
ihre  Si'hiU*T  den  iir/llicben   Cürpurationen    und    Examinatiunsbebördcn 
JEU  überweisen,  deren  ZeugniKHe  und  Diplome  die  Lioens  tur  Praxi»  ^  I 
wiiliren, 

UtT  ptivaii'  (liurukler  d<»r  mediciniKcheu  Schulen  tritt  namnillich  i 


'   Hin. f.   CjouiiJtu:   An   hiMtckrit'ni   iü*«'t>Hut  of  St.  1  houia^^  HoJät>Ualt  Lüijdoaj 
1^1  VI.         KiuttMir«  WiLiiiiN:  'Uli'  hbtury  of  tlio  Mük[lt!«cx  llospitaJ,  Loudon  194ä^| 
-'  \V.  \'l  I'a«*i::  St.  liporK*'*-  Ilo^^pitiil,   Lonilim   18B0.   —   R  GoLi>uro;  Tbc 
(dikii  luiU  (»tM'nitiütip*  of  tili'  Clmrtiijj;  t.'rcxt«  !bj»|>iUb  rx>ndou  1867. 

*  jr   It  lUnnwuici::   Mt'dical   pdiioiitum  Aad  practise  in  all    parP*  of  thr 


der  ESnrichtQTig  derselben,  in  ihrer  Aosstattung  mit  Lehnmtteto, 
der  Auswahl  des  Lehrerperson^Us  u,  a^  m.  herror.  Das  entscheidende 
Wort  in  «liesen  Angelegenheiten  spriciht  das  Curatorium,  welchej^  die 
Aufsicht  über  das  Hospitiil  fiihrt;  ihm  fallt  die  Aufgabe  zu,  die  Ärzte 
desselben  und  die  Lehrer  der  Schule  anzustellen.  Da  diese  Curatorien 
nicht  oder  dooh  nur  zum  geringsten  Theile  aus  Fachmännern,  sondern 
haapU^ehlicIi  auö  Laien  bestehen,  so  liegt  die  Gefahr,  dass  Protektion 
und  Nepotismus  bei  der  Besetzung  der  Stellen  wirken,  nicht  gar  fem, 
tunsomehr  als  dieselbe  nicht,  wie  in  Deutschland  und  Österreich,  auf 
Grund  hervorragender  wissenschaffrhchor  Leistungen,  oder  wie  in  an- 
deren Landern,  durch  CoDCunri  erfolgt. 

Die  Bej;Joblungen  der  Lehrer  fliessen  aus  den  Erträgnissen,  welche 
^m  Schulgeld  liefert;  nur  in  besonderen  Fällen,  wenn  dasselbe  wegen 
^^^ngelB  an  Schülern  zu  geringfügig  ist  oder  wenn  es  gilt,  eine  be- 
I    rQlitnie  Lehrkraft  zu  gewinnen,  bewilligen  die  CurattDrien  ausserordent- 
f    liehe  Znschüsse.     Die  Schulgelder  sind  in  Folge  dessen  ziemlich    be- 
träebllich.     So  kostet  z,  ß.  am  St.  Barlholomeus  Hospital  zu  London 
der  Besuch   eines  Cursua  über  Physiologie  9  Guineen,   über  Materia 
medica  6^''^  Guineen,   Ober  Botanik  oder  gerichtliche  Medicin  4  Gui- 
neen. am  Thomas-Hospital  die  Theiinahme    an  den  Sekiionsübungen 
während  drei  Monaten  4  Guineen;  doch  geschieht  es  nur  ausnahms- 
weise, dass  der  Studierende  ein  einzelnes  CoDeg  belegt     GewCdmlich 
l^etheiügt  er  sich  an  sänimtlichen  Vorlesungen   und  Demonstrationen, 
welche  der  Studienplan  der  Schule  empüehlt,  und  zahlt  dafür  ein  be- 
M\>  Pauschale,  welche.s  grösser  oder  geringer  ist>  Je  nachdem  dii-s 

ii'  ^  rt  oder  in  verschiedenen  Terminen  erlegt  wird,  aber  niemals 

Wi^Diger  als   125  Pfund  Sterling,  also   2500  Mark,  für  die  gesammte 
dienzeit   beträgt.     Dazu   kommen  manchmal    noch    besondere   Aus- 
n    für   die    Benutzung    von   Instrumenten,    tiir   die    Leicheotheile, 
irdche  »um  Studium  dienen,  u.  a,  m. 

Die  Ausstattung  iler  einzxdnen  Schulen  mit  Lehrmitteln  ist  sehr 

verschieden-    Manche  haben  hohe  iuttige  Hürsäle,  zweckmässige  Räume 

fftr  anatomische  Secirübungen,   gut   eingerichtete   physiologische   und 

ebemisobe  Lalioratoripn.   naturwissenschaftliche  Sjimmluugen,  anatomi- 

,e  und  puthologLseho  Museen,  Bibliotheken    und  klinische  Institute 

Art;  Andere  leiden  daran  Mangel  und  bieten  in  dieser  Hinsicht 

^ihmtger  ak  die  kleinste  medicinische  Facultat  in  Deut.schland. 

Der  Lehrplau  der  medicinischen  Schulen  richtet  sich  nach  den 
Pnifungen,  welcben  sich  die  Studierenden  spater  unterzieben  wollen. 
Im  Allgemeinen  werden  die  vorbereitenden  und  propädeutischen  Fächer 
ntebt  in  dem  gleichen  Gmde  berücksichtigt,  wie  diejenigeu  Disciplinen, 

PV9cmMA»w,  UuUfrricbt  07 


J_J 


118 


Dm-  ifiaAbMMe  önimridU  in  der  muegtmi  Zeit 


wolclio  mit  der  Praxis  unmittt^lhar  zusammenhangen.    Der  Ütilitari?? 
welcher  das   englischi'  Volk  bpherr8<:rlit,   kommt  Welleicht  nii*ge 
un verhüllt    zum  Ausdruck,    als  in  diesen   Anstalten,    welche    le 
das  Ziel  verfolgen,   für  die   ärztlichen  Prüfungen  vorzubereiten, 
gleichen  darin  den  Instituten,  welche  rn  Deutschland  für  eine  mogUrj 
riU-^che  Ausstjittun^'    mit   der   für   die  Üfficiers- Aspiranten    gef^^J(♦^1 
AUgemeinbildunM:  Sorge  trugen  und  unter  dem  Namen  der  F^ahnrid 
pressen  bekannt  sind. 

Dagegen  sehen  »*8  <li^'  englischen  Universitäten  als  ihr«  vomehn 
Aufgabe  an,  den  Sinn  ffir  wissenschaftliehe  Bestrebungen  txL  hekh 
nad  zu  erhalten.  W<t  dorti  die  medizinischen  Studien  treibt,  hat 
Absicht,  eine  grinulliche  tiefe  Aushildiing  in  den  natiirwigj^enndiaftlichi 
und  vorbereitenden  Disciplinen  zu  erwerben  und  akademische  Gr 
SEU  erkmiLTen.  Doch  ist  df»r  Aufenthalt  an  der  Universität  kostspielig 
nU  an  den  mediciiuschen  Schulen,  weil  **r  die  Studienzeit  verlla^ 
und  durch  dm  Zusammenleben  mit  reichen  Jünglingen  und  dieTh«! 
nähme  an  den  gemeinsamen  Vergnüfirnngen  zu  manchen  Au!^|?a!i*ni 
verleitet,  zu  denen  an  den  Fachschulen  keine  Veranlassung  i»t.  Dil 
Arzte,  welche  die  Universität  besucht  und  dort  promovirt  haben, 
hören  durch  ihr  Wissen  und  ihre  gesellschaftliche  Stellung  zü  der  El 
ihres  Standes. 

Die  englischen  Universitäten  smd  ebensowenig  ah?  die  medinii 
sehen  Schulen  Staatsanstalten,  llire  rnt<Thalfungskosten  wenlen 
den  Schulgelilern,  welches  die  Studierenden  zahlen,  und  aus  den 
trügnissen  ihrer  reichen  Stiftungen  hestritten.  Die  Verwaltung  uH 
Leitung  fahren  SeniUt\  welche  sich  aus  Männern  von  hervorragt^inl 
Li*brnsstellung  und  Professoren  der  Hochschule  zusammensetzen. 

Im  iJegensatz  zu  den   Universitäten  des  übrigen  Eurupas  sind  die 
«'nglischen  nichr  lilos  Unterrichts-,  sondern  zugleich  Erzieh ung^instalN, 
Ihrem  Vi'rbande  gehören  eine   grosse  Anzahl   Vfm   Colleere^s  und  Rall^ 
an,  d.  s.  klosterahnliche  Pensionatc.  in  denen  die  Shidierenden  zusammen 
wohnen  und   lelien,  Kost  erhalten  und   in   ihren  Htudicn    imteRdftll 
werden.    Oxford  besitzt  25,  Canihridge  17  derartige  Institute.    Einjceli 
Vou  ihnen  reichen  bis  ins  Mittelalt(T  zurück.    Sie  verdanken  ihre  Hl 
stehung  frommen  Vermächtnissen  und  Schenk vm gen  und  sind  mit  (}« 
mittein  reich  lieh  ausgestattet. 

Leider  werden   dieselben  nicht  immer  in  zweckmässiger  und 
rechter  Weise  verwendet     AnstAtt  zur  Hebung  der  Wissenschaft 
zur  Unterstützung  armer  Studierender  dienen  sie  hauptÄacblich  zu 
träglicheii  Sinocuren  für  <ien  ilaster  und  die  Fellows,  \L  b.  den  Vorst« 
und  die  Beamten   der  Cidleges,      So   bezieht    der  iMask^r    de*s   Trinil 


Ekgiand.  —  Nord- -^nieti^a. 


419 


m  Cambridge  60  000  Mark  iiüd  die  60  Fellows  zwischen  5400 

Imd  15  000  Mark  jährlich,  ohne  dass  sie  dafür  entsprach  ende  Dienste 

leisten.     Würden  diese  Stellen  ausnahmslos   an   solche  Pei"sonen   ver- 

miehep,  welche  ihr  Leben  der  wissenschaftlichen  Forsehiinpr  geweiht  und 

^  dieser  Thätigkeit  bereits  Erfolge  errungen   haben,   so   könnte  man 

fdies  Tielleicht  rechtfertigen;  aber  von  den  Bewerbern  um  die  Fellow- 

ühip  wird  nur  verlangt,   dass   sie  einen   akademischen  Grad  hesitaen. 

l»ie  Protektion  giebt  bei  der  Besetzimg  den  Ausschlag;  dass  dabei  die 

j  Geistlichkeit  ilen  Löwenantheil  davon  trägt,   liegt  in   den  englischen 

Verhältnissen,  welche  dem  Klenis  der  Hochkirche  eine  sociale  Macht 

luifcstehen,   wie   sie  die  katholische  Geistlichkeit  in   Tyrol   vergeblich 

anstrebt 

Ein  Mitglied  des  Senats  der  Universitiit  f'ambridge  klagte  öffent- 
lich darüber,  dass  die  Stellen  der  Vorstünde  der  dortigen  Colleges  nur 
I  mit  Geiötlichen  besetzt  und  die  Fellowships  an  Leute  vergeben  werden, 
fdche  nicht  das  Geringste  für  die  Wissenschaffj  die  Universität  oder 

(p  College  thnn,  ^     E.  Kenan  sagt,  dass  eine  kleine  deutsche  Univer- 
|k  mit  ihren  linkischen  Professoren  und  hungernden  Privatdocenten 
r  die  Wissenschaft  mehr  leistet,   als    alle  piiinkenden  Reichthijmer 
Oifords. 

Die  meisten  der  Colleges  m  Oxford  und  Cambridge  behnden  sich 
in  alterthümlichen»  wegen  ihrer  Architektur  und  ihrer  Kunstdenkmäler 
«ehenswerthen  Gebäuden,  welche  mit  ihren  Thürmen  und  Bogen^  ihren 
Kapellen,  Säulengängen  und  Refektorien  an  längst  vergangene  Zeiten 
erinnern;  aber  auch  der  Geist,  der  in  diesen  Anstalten  herrscht,  ist 
derjenige  der  Scholnstik.  Obwohl  es  ein  britischer  Mönch  war,  welcher 
im  13.  Jahrhundert  die  ersten  mächtigen  Angriffe  dagegen  richtet<», 
hat  sich  docli  gerade  in  seiner  Heimath  jene  mittelalterlichi^  Welt- 
anschauung bis  heut  erhalten.  Das  theologische  Dogma  beherrscht  das 
Unterriohtswesen  und  das  gesamrate  geistige  Leben  des  englischen 
Volkes  und  hat  ihm  einen  pietistischen  Zug  aufgedruckt,  der  zu  sfinem 
politischen  Freisinn  und  seinem  rastlosen  Haschen  nach  irdiseben  Be- 
titiithümem  nicht  recht  passt, 

^L  Auch  in  der  äusseren  Erscheinung  der  Professoren  und  Studenten 
fm^  sich  tler  theulogischt*  Charakter  aus;  wenn  sie  in  ihren  langen 
schwfirzen  Taluren  und  barettidinlichen  Kopfbedeckungen  eiidierscbreitei), 
^  glaubt  man  sich  in  jene  Zeit  verst^tzt,  du  die  Mönche  die  Iilrziehung 
jer  Jugend  leiteten.  Die  Studierenden  stehen  unter  einer  strengen 
Sucht;  sie  werdrn  nicht  wie  junge  Mannen  die  für  eine  gewisse  Freiheit 


'*  A  few  brief  remark»  im  Cambridge  Univemty.  London  1870. 


und  Sel!>sti?tan(lr>keit  reif  sind,  soodern  wie  SctöIeT,  die  einer 
digen  Aufsicht  bedürfen^  behandelt, 

Unt^r  den  Studenten  befinden  sich   Personen   von  siebr  Te 
denem   Alter:  drvch  ßilt  im  AUgempinen  dm  If?.  Lebensjahr  aU  anti 
Alt<^rsgren7A\     Nicht  weniger  unterscheiden  j^iie  s?ich  in  Bezug  auf 
Kenntniftse;  während  Manche  kaum  die  Elementarstnfen  der  Allgemfli 
bildiing  fi}»*Twimden  hiilien.  giebt  es  Andere,  welche  durch  ihre  wis 
sclijjftlicbcn   Arh<'itcn   bereits   die  Auhnorksamkeit  der  faehrnannw« 
Kreise  erregen. 

ViThaltnissmftjisig  gering  ist  die  Zahl  der  Prof'R'^uren,  sie 
in  Oxford  48,  in  Cambridge  sogar  nur  37  in  sTinimllichen  ¥mt\ 
Doch  giebt  e$  ausserdem  noch  eine  grosse  Anzahl  Ton  Readen 
Lectnrers   und  Tutors,    welche   entweder  an  der  üniTereitat  oder 
einem  College  thätig  sind,  Vorträge  halten,   Kepetitiunen  veransfcaK 
und  Privat-Lektionen  geben.    An  manchen  Hochschulen  liegt*  wie] 
heimische  versichern,    der  Unterricht  hauptsächlich   in   ihren   Handi 
Wahrscheinlich   betriflft   dies  nur  die  zur  Allgeraeinbildang   geh5rig| 
Fächer;  bei  der  Medicin  and  den  Natnrwisgenschaften  dürfte  ex  sich« 
lieh  nicht  der  Fall  sein. 

Die  Heilkunde   findet   älirigem  an  den   englischen  UniTersiüln 
nur  eine  theilweise  TefIrcteDg.    Früher  gab  es  dafür  fast  nl)erali  a^ 
fdne  oder  zwei  Lehrinoi^;  ersi  in  neuester  Zeit   hat  man  dieselb 
T«niiAil    Dabei  witniai  jßAoA  vorzugsweise  die  theoretischen 
fVmmkf  boaoafos  dii  AMtoOM  imd  Pkyiiblogie,  berucki^ichtigt. 

Die  TeTToIl<tiuidigniig  der  irztUchen  Bildunp  durch  den  Unti 
riolil  in  der  pnklisclifii  Heilkmifl  erfolgt  ra  den  meiiicinischen  Schul«iF 
wMk^  M  den  g4ekben  Ort  «»der  m  der  Nähe  desselben  be.stehfn,  m\ 
der  UnJTenitit  einigrkifct  nd  «der  wmigsleiia  Beziehungen  zu  der. 
9ilbf«  htHmu     In  OmMdg«   hMfi  AsMBmooKx-s  Ho$pital-s  i  ' 
in  Osdfari  im  doitigT  Kraaliwliiaj^  m  Dartam  die  mi^dicinische 
n   Newts»p||e*«poii-TTiie   Cikfiiiheit  dazu.  vUmod  in   Manchei^r 
Om»  CMIi«e  ^kmm  TkeäL  4m  4m  L  3.  1890  gigmideten  UuifttAli 
tiMd    khOUbt  BmUUaigm  adfTkaHeii  die  wl  1M1 
VwtPtrOm  mitiBm  (Tatätw  OoDfipf)  od  di»  Roril  Unirersitr 
lul  w«Mi»  imifSi  a  die  Arib  dar  w^güinm  Qßmm  Vuif 
pGifviNi  Mb  n  dmtjgini  VMfiGnWbes  SiMhB  vid  Dd9|iilUem. 

Kli|M'  ist  ^  TifiMidwy  ■■inJhiB  doi  aiedicinachn  FWultäten 
mA  Vmvmm^  h  ffliliWlial  Ue  lllamui  dailigai  Uitiv«tasitileii 
m  ^  A»dwk  Olaif»!  «ad  Afcutoai  «UtoBioi  mar  dem  Etnflnss 
dei^  fcathaosciifs  IQ^ra^  vsd  wvdis  iwb  Ab  ^bb4i^  ein  mcdtcJmsBOfMi 


Die  ÜDiversitat  Edinburg  begann  als  College  und  entwickelte  sich 
ak  stadtische  Untemchtsanstalt  nach  dem  Master  der  Genter  Aka- 
demie.^ Da  die  dortijsre  ärztliche  Zunft  einen  liotunischt^n  Garten  an- 
legte and  medicinisohen  Unterricht  ertheilte,  so  lag  e^  nahe,  den  letz- 
tifTwo  in  den  Verband  der  Hüchschule  zu  ziehen.  In  Folge  dessen 
j^teilt*?  der  Stadtrath  von  Edinburg  i.  J.  1685  drei  Professoren  der 
Uedicin  an  der  Universität  an;  es  waren  Arztt*  der  Stadt^  denen  man 
iwur  keine  Besoldang  gab,  wohl  aber  Lehrsäle  zur  Verfügung  stellte. 
Zu  d«n  ersten  Lehrern»  die  dort  inrkten^  gehörte  Abchibalü  Pitcaihn. 
Im  J.  1770  bestanden  an  der  dortigen  medicini^schen  Facnltüt  bereits 
Lehrkanzeln  für  Anatomie,  Institutionenj  medicinijiehe  Praxis,  Geburts- 
hilfe, Chemie,  BoUmik,  Materia  medica  und  Naturgesehichte,  sowie  eine 
»tomische  Lehranstalt,  ein  botanischer  Garten,  ein  chemisches  liEbo- 
miun  und  eine  Klinik.  Im  J.  1802  wurde  eine  chirurgische  und 
1825  eine  geburtshilfliche  Klinik  eröffnet.  Im  J,  181(>  schlug  der 
Stadtrath  die  Errichtung  einer  Professur  für  vergleichende  Anatomie 
und  Veterinärchinirgie  vor;  aber  der  akademische  Senat  sprach  sich 
dagegen  aoH.  Im  Verlauf  des  19.  Jahrhunderts  wurden  diejenigen 
IiJ  '    "H,   welche  durch  die   Bedürfnisse   des  medicinischen 

[•rt  \^nirden.  Ebniso  war  es  in  tlhtsijow  und  den 
ieren  beiden  Hoelischiilen. 

Neben  den  medicinischen  FaeultätHn  gi<^bt  es  in  Edinburg  imd 
Glasgow  noch  ärztliehe  P\n^hschulen,  welche  unabhängig  von  der  Uni- 
fundtät  sind. 

Die  IJniverüJit}'  of  London  ist  keine  Universität,  sondern  ein  In- 
it,  an  welchem  Prüfungen  abgelegt  und  akademische  Grade  er- 
tt'orben  werden» 

Die  Hochschulen  in  den  überseeischen  Ländenj,  welche  unter  der 
bfittiscbeu  Herrschaft  stehen,  sind  nach  dem  Vorbild  der  englischen 
orguniairt. 

Wer  sich  dem  Studium  der  Heilkunde  widmet,  muss  sich  über 
den  Besitz  einer  gewissen  .illgemeinbildung  ausweisen.  Wenn  er  eine 
Univenüität  Ijezioht,  so  unterwirft  er  sich  zu  diesem  Zweck  dem  Malri- 
oalations-Examen;  l»esucht  er  eine  medicinische  Schule,  so  legt  er  die 
Prüfung  vor  einer  der  zahlreichen  Examinations-Commissionen  ab, 
welche  gültige  Zeugnisse  darüber  ausstellen  dürfen.  Die  wissenschaft- 
lichen Anfonierungen  derselben  sind  nicht  überall  die  gleichen;  doch 
liegt  ihnen  em  allgemeines  Schema  zu  Grande,  Jas  mehr  oder  weniger 
tum  Ausdruck  g<.'langt.     Cber  den  *trad  des  Wissens,    welcher  darin 


A,  Giumt:    J'Ke  ^k>rv   o(  tiie  university  of  Edinburgh,  Loudoii  1884, 


verlanift  wird,   geMtatten  die  Vorscliriften  der  Tx>ndün   UnivefsitT  ein 
Urfclioil;  sie  können  als  dtis  höchste  Maas^s  Ton  Kenntnissen  gelten,  dip 

ron  <ieii  Prüflingen  voransge-setzt  werden.^ 

AU  Prfifungsgegenstände  werden  angefiihrt:  1)  Latein,  2)  zwei  tler 
tol^'enden  Sprachen  je  naoh  der  Wahl  des  Examinanden^  nämlich  Cttk* 
chisch,  Französisch  oder  Deutsch  oder  auch  anst^itt  einer  dieser  <lm 
Sprachen  Arabisch  oder  Sanskrit,  3)  englische  Sprache  und  QescJuchif 
und  mfjdprnt'  Geon-raphie,  4)  Mathematik.  5)  Natural  Phil  '  1*' 
in  Eni^^land  die  Physik  genannt  wird,  und  «>)  Chemie.    Im  1  -n 

Examen  werden  Stellen  aus  Julius  Caesab's  de  hello  Gallico,  SAiOiW, 
den  leichteren  Reden  Cici'nin's,  aus  Livirs,  Ovid,  VikoHi  und  H»hiaz 
ins  Englische  übersetzt,  im   griechischen  Xknuphon,  IIumek  und  Fr. 
RipiuEs  vorgelegt  und  Fragen  nm  der  Grammatik  und  alten  Ge^chirbtt* 
daran  geknüpft.    Die  betretFenden  Auton^n  und  die  ' 
aus   ihren    Schriften,    welche   Gegenstände   der  jed-,  :::    ^       .         . 
bilden  y  werden  jedoch  schon  l^/j  Jahre  vorher  iWentlich  hekanot  sfi». 
macht,  so  da8s  das  „Einpauken"  der  Schüler  darauf  ermr.- 
Ähnlich  verhalt  es  sich   mit  der  Prüfung  aus  d**n   übrigm     ,...,, 
Da*5  mathematische  Examen  hefasst  sich  mit  den  Decimalhrüchen,  dem 
Ausziehen  von  tiiiad ratwurzeln  und  einfachen  nieichnngen,  und  in  »k 
Geometrie  mit  den  ersten  Büchern  Eukliü*s  und  ihrem  Inhalt.    An<-b 
die  physikalischen  Kenntnisse,  welche  gefordert  werden,   tragen  mnen 
durchaus  elementaren  ( 'harakter  und  beschränken  sich  auf  die  einfucken 
Gesetze  und  That.saehen  der  ^^leehanik,  Hydrostatik»  Pneumatik,  WArme 
und  r)ptik  nebst  den  dabei  gebräuchlichen  Apparat>en  und  Instrumenten, 
In  der  chemischen  Prüfung  wird  verlangt,  dass  der  (*ändidat  über  die 
wichtigsten  chemischen  Elemente  und  ihre  Eigenschaften,  die  hekanft- 
teren  chemischen  Prozesse  und  die  Zusammensetzung  des  Wassers^  der 
Luft  und  einzelner  häutig  vorkommender  Korper  Bescheid  wisse,   ttei 
ist  im  Wesentlichen   die  Summo  der  Kenntnisse,  welche  in   England 
die  Grundlage  der  fachwissenschaftiichen  Studien  bilden;  doch  ermaÄrigt 
sich  dieselljc   an   manchen   Orten   insofern,   als  dort  die  Prüfung  mi 
einigen  Fächern,  z.  B.  aus  den  Sprachen,  mit  Ausnahme  der  lat^^inisoheu 
und  englischen,  suwie  aus  der  Physik  und  Chemie,  nicht  obligatv  «on- 
dem   dem   freien   Belieben    des   Examinanden   anheimgestellt    ist  nmi 
daher  grösstentheils  wegfallt 

Wenn  die  Allgemeinbildung  iler  englischen  Studierenden  zurück- 
steht hinter  derjenigen  der  deutschen,  so  hat  die  englische  Erziehung 
doch  andererseits  den  grossen  Vorzug  vor  der  deutschen,  dass  sie  die 

*  CalendÄr  of  the  uiüvcrsity  of  London  1888,  p.  53  u.  ft. 


EnfflamL  —  Nord 'Amerika^ 


428 


Bedeutung  der  körperlichen  EntmekeluDg  in  vollem  Maagae  würdigt. 

Die  englischen  Schulen  sorgen  nicht  blos  fiii'  die  geistige  Ausbildung, 
»andern  auch  für  die  körperliche  Gesundheit  und  Tüchtigkeit  ihrer 
liiige.    In  den  Parkanlagen  und  Gärten,  niit  denen  viele  der  (.^ollege^ 

ben  sind^  verbringen  m  einen  grosj>en  Theil  des  Tages;  körperliche 
Bewegungen  verschiedener  Art,  Ballspiele,  Ringübungen,  Turnen,  Reiten, 
Sohiviuinien.  Rudern  u.  a.  m.  erhalten  ihre  Gesundheit  und  stiihlen  ihre 
Kräfte.  Die  engh-schen  Studierenden  erscheinen  daher  im  Allgemeinen 
frischer,  gesunder  und  kräftiger  al;^  die  deutschen,  welche,  nachdem  sie 
am  (f)'Uinasium  32  Stunden  in  der  Woche  auf  der  Schulbank  sitzen 
mus8ten  und  in  der  übrigen  Zeit  mit  S<^hukufguben  und  Frivatstunden 
gepla^  wurden,  müde  und  abgearbeitet  die  Universität  beziehen  und 
>fig  ül>er  Kurzsichtigkint,  Brustl)eschvverdrn  und  andere  Leiden  klagen. 

Der  medicinische  Studienplan,  welcher  der  fachlichen  Ausbildung 
der  meiat.en  englischen  Ärzte  zu  Grunde  liegt,  zeigt  an  den  einzelnen 
Lehranstalten  manche  Verschiedenheiten,  lässt  aber  überall  eine  merk- 
liche Hevorz-ugung  der  sogenannten  praktischen  Disciplinen  erkennen. 
Den  vorbereitenden  und  theoretischen  Wissenschaften,  die  zur  Heil- 
kii'  '  '  1,  wird,  wenn  man  von  einzelueu  rnivorsitüten  absieht, 
vt'i  >tg  wenig  Zeit  und  Arbeit  gewidnu^t.     Das  umfangreiche 

Gebiet  der  Physiologie,  deren  Unterricht  an  den  deutschen  L  niversitäten 
ganzes  Jahr  hindurch  w^Mchentlich  0  Stunden  in  Anspruch  nimmt, 

z.  B.  von  den  niedicinischen  Schulen  Englands  innerhalb  0  Mo- 
naten in  3 — 4  Vorlesungen  wochentheh  bewältigt;  ähnlich  ergeht  es 
den  Naturwissenschaften  und  der  Anak)mie. 

Die  praktische  Beschäftigung  mit  der  letzteren,  die  anatomiachen 
Zergliederungen,  finden  nur  in  beschränktem  Maasse  statt,  da  die  Leichen 
m  hoben  Preisen  gekauft  werden  müsisen.  Die  Händler,  welche  die 
Lieferung  derselben  besorgten,  griffen  früher  zuweilen  zu  dem  schon 
im  Hittt'lalter  beliebten  Mittel,  die  Leichen  von  den  Kirch h*den  zu 
siehlün;  einzelne  dieser  Resurrections-meu  begingen  sogar  Verbrechen^ 
wi^on  €58  an  dem  erforderlichen  Material  fehlte,  indem  sie  lebende  Men- 
jM^en  umbrachten  und  ihre  Leichname  au  die  Anatomie  verkauften. 
Der  Prozens  der  Mörder  Jiare  uml  Burke  in  Edinburg,  in  welchen  der 
Anulöm  Robert  Knox  verwickelt  wurde,  enthüllte  darüber  entsetzliche 
Einz^dheiten,  ^  Erst  i,  J,  1832  wurde  in  England  die  Vornahme  ana- 
tomischer Hecirübungen  gestattet  und  gesetzlich  fesigeötellt,  unter 
wisklüeo  Bedingungen  sie   geschehen  dürfen.     Neben  den   praktisehen 


'  U.  I^KaDAtc:  A  sketsch  of  the  life  and  writings  of  Rob,  Kdox,  tbe  tkUfk- 
n  18T0. 


PCd' 


f 


Tkr  fnedmnim^  ünkrnM  m  dw 


ZerpliederungL'n  dienon    hauptsächlich   Spiritus-Präpurutc   and   Wa 
Modelle  Zinn  Siiidiuiii  der  Anatomie» 

Der    Ihiterrirht   iii   den    tlieoretischen  Wissenschaftt'n    heschr 
sich  auf  die  Gruiidzuj^e  und  wichtiit^^sten  Thtit^acheii  derselben,  oäe 
lieb  soweit  dia^cllirii  Bodeutunt?  für  die  praktische  Ausübung  ihr  Hl| 
kuTist  liaben.     Diester  OeKichtspunkt,  nrimlieh  die  prakti^he  Ver«re| 
fmrki^it  der  erworl>enen  Kenntnisse,  ist  der  roüie  Fuden,  der  da» 
Unterricht-ssystem   der  mHdieinij^chen  Schulen  durchzieht     Dii'  I^h 
derHelben    füy:en    sich    ilieseiu   utilitjiriHchen   Bedürfnis.^    und   heben 
ihr«n  Vortragen  jederzeit  die  praktischen  Beziehungen  hervor;  dadtm*Jj 
iTreicheii  sie,  dass  das  Inti*resse  der  Schüler  geweckt  und  erhrdit  wia 

In  England  wird  di-r  Metüciner  vom  ersten  Tage  seiner  Studit*na 
an  daran  gewöhnt,  die  Heilkunst  ak  dms  Ziel  zu  betrachten,  dai*  llim 
gesteckt  ist.     Hfiuüg   hetJunligt   er   siel»  80hon   im  ersten  8eme*1eT 
den    Kninkenhesuchen,    welcbe    die  Ar/t4?    im   Ho,spital    niacheiu 
letzten  Seme^äter  werden  vollständig  den  klinischen  Studien  gewidmil 
indem    di**  tStndierendm   in  den  Kliniken  und   den  verschiedenen  Ab»" 
theihmgen  ites  Kninktmhuuses  nder  hei  der  ambulatorischen  Bebandlu 
in  den  poliklinischen  Instituten  Dienste  leisten,  die  Dilitzettel  und 
cepte  niederschreiben  y   die  Kranken-Juurnale  führen^  ehiiairgische  Vii 
liÄndr    anlegen»    bei   Operatiunen    assistiren    u.  dgL  m.     Wenn  hw 
rhirurgischen    Abtheilungen    beschäftigt   werden,   heissen  sie  Dresiieii 
wenn  sie  in  AbtheihiiiLjen  für  innere  Medicin  verwendet  werden,  CIltI] 
Wer  an  dem  zur  medicinischen  Schule  g-ehurigen  Huspital  keine  ddi 
artigi*  »Stelle  findet,  erhält  in  den  zahlreichen  grosseren  KrankenhäUhi 
des  I-andes  Gelegenheit  daziL     Die  Studierenden  sind  nur  verpilichti 
2^1^    Jahre    an    der    medicinischen    Schule    zu    bleiben;    während 
übrigen  8tudienz<*it  dürfen  sie  in  der  erwähnten  Weise  an  einem 
spitnl  arbeiten. 

Zur  Abnahme  der  ärztlichen  l'rüfungen   und  Ertheilung  der 
laubniss  zur  l'raxis  sind  ntich  der  Medical  Aot  von   1858  im  üao» 
19  ror[H>riitionen  und  Behörden  berechtigt.    Es  sind  dies  die  Genus 
schatten   der  Ärzte,    Chirurgen    und  Api^theker  in  London,    Kdinlu 
Glasgow  und  Dublin  und  die  medicinischen  Facultäten  dir  Universitak 

Die  wis>iHnschafr liehen  und  linanziellen  Bedingungen,  welche  da 
gestellt  werden,  sind  ebenso  verschieden  ab  die  Titel  und  Würden, 
erworben  werden.     In   welcher   Weise   dies   zur  Ausführung    gebr 
wird^   mehren   folgende  Beispieh^   erläutern-     Die   beiden   vcHmelm 
iirztlichen  Vereme  Lend^ns,   das  Ruval  ödlep»  of  Physicians  und 
Kojal  Odlege  of  Surgeons,  haben  sich  zu  gemeinsamen  Prüfungen  ver- 
einigt, nach  deren  glücklicher  Absoiviruug  die  Apprubations- Diplome 


England.  —  Nord- Amerika. 


425 


1er  Corporationeii  verliehi^n  werden.  Um  zu  dieser  PrüfuDg  mgt- 
Ben  zu  werden,  moss  der  Candidat  den  Nachwels  liefern,  dass  er 
l'nterricht  in  der  Botanik,  Chemi*»,  Arzneimittellehre  und  Fharmacie 
erhalten,  im  chemischen  Laboratorium  gearbeitet,  zwölf  Monate  lang 
»n  itnatumlsehen  Secirübun^^en  Theil  ^'enumraen,  einen  sechsuionatlichen 
Ttirsus  über  normale  jlniit/»mie  des  Menschen,  einen  ;>echjsmonatlichen 
(hinius  über  Physiologie  und  Histologie  und  einen  dreimonatlichen 
prakti»»ehen  Cursas  ober  die  beiden  letzteren  Gegeustitnde  besucht,  ferner 
«icchs  Monat*»  Vorlegungen  über  innere  Medicin  und  über  tlhirurgie> 
dred  Monate  über  Geburtshilfe  und  Gynäkologie  gehurt^  mindestens 
20  Geburten  gesehen,  sowie  »^ine  systematische  Anleitung  zur  Ausübung 
der  praktischen  Heilkunde  empfangen,  z,  B,  die  verschiedenen  diagno- 
•:-  ^iMu  Methoden,  tue  Untersuchung  der  erkrankten  Gewebe  und  aus- 

n. "denen  Frodtikte,  den  Gebrauch  der  dabei  verwendeten  Instru- 
uiente  u.  ä.  m.  erlernt,  ausserdem  einen  dreimonatlichen  l'ursu^j  über 
pivV'  'che  Anatomie  erhalten,  während  der  klinischen  Thätigkeit  den 
klii  .  Sektionen  beigewuhnl.  drei  Monate  hindurch  Vorträge  über 

pnchUiebe  Medicin  gehört,  je  neun  Monate  die  medicimsche  und  die 
di'  1i»*  Klinik,  drei  Monate  die  gynäkologische  Klinik   und  über- 

hol ^  ^  Jahre  da^  Krankenhaus  bei^ui^ht  hat,  je  sechs   Munate  als 

Clerk  und  als  Dresser  thätig  gewe^ien  iat  und  die  praktische  Belahigung 

Vornahme  der  Vaccination  erworben  hat, 

Üie  Prüfung  selbst  zertallt  in  mehrert:^  Abschnitte^  von  denen 
emige  schon  wahrnnd  der  8tudit*nzeit  erledigt  werden.  D^is  erste  Examen 
tetriffl  die  Chemie,  Physik,  Arzneimittellehre.  Pharmacie  und  medici- 
ni^he  Botanik  einerseits  und  die  elementare  Anatomie  und  Physiologie 
aodererseitÄ.  Es  kann  zur  Erleichterung  der  Prüflinge  in  zwei  Theile 
^v  '  M  werden^  w*dche  in  verschiedene  Zeiten  fallen;  doch  soU  das 
pL_.  I  amen,  wenn  muglich,  innerhalb  des  ersten  Studienjahres  ab- 
Kolnit  werden.  Sechs  Monate  nachher  darf  der  Candidat  das  zweite 
Eiftsiien  ablegen,  welches  nur  dif^  Anatomie  und  Physiologie  umfasst, 
diese  beiden  Wissenschaften  alier  weit  eingehender  behandelt  als  in  der 
i'iHten  Prüfung.  Beim  dritten  und  letzten  Examen  bilden  innere  Me- 
dicin, ITiempeutik,  pathologische  Anatumie  und  allgemeine  Pathologie, 
fctmer  ('hirurgie,  chirurgische  Anatomie  und  Pathologie,  GeburUshilfe 
und  Gvnäkolegie  die  Prüfungsgegenstande;  aujsserdem  sollen  einige 
Fr»geo  aus  der  geriehtlichen  3Iedi(jLn  und  öffrntliehen  GesundheitB- 
pSege  damit  verbunden  werden.  Auch  dieses  Examen  kann,  wie  das 
ec%rti\  in  mehrere  Abtheilungen  zerlegt  und  zu  verschiedenen  Zeiten 
alMM.dvirt  werden.  Ks  darf  jedoch  nicht  früher  begonnen  werden,  als 
'"^^'^  Jahre  nach  dem  zweiten  Examen.    Der  Candidat  mu^is  mindestens 


21  Jahr  alt  sein  und  eine  unbescholtene  Vergangenheit  haben.  Dtt 
Prüfungen  sind  theils  mündlich,  theüs  schriftlich,  tbeils  prikü^ch«^ 
Natur;  zur  letzteren  Klasse  gehören  z,  B*  die  l>emon8trationen  anotu- 
miseher  Präparate,  die  Untersuchung  einzelner  Kranken,  die  Ausfiibnijig 
dunirgi^cher  Operationen  an  der  Leiche  u.  a  m. 

Der  Candidat,   welcher  diese  drei  Prüfungen  besteht,   erhält  dii 
Lioenz  des  TL  College  of  Physicians  und  das  Diplom  eines  Memlier 
the   R.  College  of  Surgeons.*      Diunit   ausgerüstet   erscheint  er  dm^ 
Publikum  als  ein  in  jeder  Beziehung  tüchtiger,  in  allen  Theilen  de 
Heilkunst  gleiehmässig  unterrichteter  Arzt,    Tlbrigens  wird   auch  jwial 
dieser  lieiden  (jualitikationen  von  der  betreffenden  Corporation  für  sick 
verliehen;  es  erleichtert  sich  dann  die  Prüfung  insofern,  als  eatwed^] 
auf   die   Anatomie    und   die   chirurgische n    Faclier   iMler   auf  Chenue^ 
Physik,  Physiologie  und  innere  Me<licin  weniger  Gewicht  gelegt  wiri  i 

Nach   derselben   Methode    verfuhren   noch  andere   CurporatiooeiiiJ 
welche  entweder  in  Gemeingchaft  mit  anderen  Kiaminations-Conuai^ 
sionen  oder  für  sich  allein  ärztliL-he  Diplome  verleihen;  dcjch  begnögea 
sich  einzelne  Prüfungsbehörden    mit  geringeren  Leistungen.    So  winl  I 
z.  B,  vom  Royal  College  of  Physicians  in  Edinburg  nur  verlangt^,^ 
sich  der  Ciindidüt   t>  Monate   an    den  anatomischen  Secirübungen 
ibeiligt,  3  Monate  Physiologie  gebort  imd  (i  Monate  die  medicini^che  ] 
und    n   Monate    die   chirurgische   Klinik    besucht   habe.     Das   Eumea ' 
besteht  aus  zwei  Abtheilungen;   m  der  ersten  wird  Anatomie,  Pbyaio. 
logie   und  Chemie,   in  der  zweiten  Arzneimittellehre   und  Pharmacie, 
allgemeine    Pathologie   und    pathologische    Anatomie,    innere    Medicin, 
(Jhiruigie,   Ueburtshiltl%   gerichtliche   Medicin    ujid    kliJÜBche   Me 
geprfift. 

Die  Apotheker- Gesellschaften  ibrdern  von  ihren  Prüflingen ,  du 
sie  sich  neben  dem  Studium  der  Heilkunde  noch  besonders  ejngehen 
mit  den  NuturwissensehafteD ,  sowie  mit  Chemie  und  Pharmacie 
schäftigt  und  in  einer  Apotheke  oder  einem  pharniaceutischen  LalK>ni- 
ioritim  gearbeitet  haben«  Üass  die  Genossenschaften  der  Apotheker  m 
London  und  Dublin  zu  den  ärztlichen  Prüfungsbehörden  gehören, 
klart  sich  daraus,  dass  diesellien  in  England  den  gleichen  Stueiieoganj 
durchmachen,  wie  die  Arzte,  und  daher  auch  die  Licenz  zur  Pr 
besitzen.  Es  mag  sich  diese  Einrichtung  wohl  aus  der  von  jeher 
stehenden  Gewohnheit  des  Volkes,  in  der  Apotheke  die  erste  ärzthch^ 
Hilfe  zu  suchen,  entwickelt  haben. 


*  ExaniiniDg  Board  in  England  by  thc  R.  College  of  Phy».  of  London  and 
R.  C  of  Surg,  of  England,  London  1884. 


n  II 


Die  Wahl  der  Examinationsbehörde  steht  dem  t^ndidafen  frei; 
<ler«elb6  MTird  sich  wohl  vorzugsweise  für  diejenige  entscheiden,  welche 
er  Heimath  oder  dem  Ort,  an  dem  er  seine  medicinischen  Studien 
äbnolTiri  hat,  am  nachj^ten  gelegen  i^t,  die  bescheidensten  Ansprüche 
an  sein  Winsen  und  seinen  Geldbeutel  macht  und  beim  Publikum  in 
gutem  Ansehen  steht.  Der  Engländer  wird  daher  in  den  meisten  Fällen 
eogli&che  Diplome,  der  Schotte  schottische  und  der  Irländer  irische  zu 
erlangen  trachten:  je  mehr  er  deren  erwirbt,  desto  mehr  wächst  die 
Achtung,  die  seinen  Kenntnissen  gezollt  wird,  und  das  Vertrauen, 
irelche^  ihm  die  Kranken  enteregen  bringen. 

Noch  groitsere  Bedeutung  gewinnt  er,  wenn  er  in  den  Kreis  der 
Mitglieder  einer  der  privilegirten  ärztlichen  Corporationen  aufgenommen 
wird  und  den  Titel  eines  MemV»er  oder  Fellow  derselben  erhalt.  Diese 
Würden   werden  entwe<ier  durch   besondere  Prüfungen  erworben  oder 

Grund  einer  freien  Wahl  der  Genossenschaften  an  geeignete  Be- 
Irerber  verlieben.  So  mus8  sich  z.  B.  Derjenige^  welcher  das  Prädicat 
eines  Member  of  the  R.  rollege  of  Physicians  in  London  zu  erlangen 
wünscht,  einem  Examen  unterziehen,  welches  zwar  die  gleichen  Disci- 
pKnen  umfjivxt,  wie  die  Prüfung  pro  licentia,  aber  tiefer  in  den  Inhalt 
derselben  eindringt.  Aus  der  Zahl  der  Members  der  Gesellschaft 
werden  die  Fellows  gewählte  welche  die  Geschäfte  derselben  leiten  and 
sie  nach  aussen  vertreten, 

I^s  B.  College  of  Surgenns  in  London*  verleiht  die  Fellowship 
theiln  an  solche,  welche  sich  durch  eine  Prüfung,  in  der  die  praktischen 
Fächer,  bei?onders  die  Chirurgie^  in  den  Vonlergrund  treten,  ein  Recht 
darauf  erwerben,  theils  an  diejenigen  seiTier  Memliers,  weli^he  durch 
ihre  Leistungen  und  ihren  Charakter  dieser  Auszeichnung  würdig  er- 
scheinen. Die  meisten  fibrigen  ärztlichen  Corporationen  wählen  ilire 
Mitglieder^  ohne  daran  die  Bedingung  eines  Eiamens  zu  knüpfen;  doch 
t>ewahren  de  sich  auf  diese  Weise  immerhin  die  Möglichkeat,  nur 
die  tüchtigsten  und  ehrenwerthesten  Vertreter  ihre?»  Standes  an  sich 
m  riehen. 

Zar  Verleihung  akademischer  Grade  sind  nur  die  Univemtaten 
berechtigt.  Die  Bedingungen,  unter  welchen  dies  geschieht,  sind  an 
^en  einzelnen  Orten  veivchieden.  Doch  gilt  im  Allgemeinen  der  Grund- 
ilasH  die  akademii^ben  Prüfiing^behörden  der  wissenschaftUeben 
Vorbildung  des  Candidaten  eine  grossere  Beachtung  schenken,  als  dint 
\m  den  meisten  ärztlichen  (Korporationen  der  Fall  ist. 

Itimehe   Universitäten,  wie  Oxford  und  Dublin^  verlangen  sogar. 


^.aiti'fKiHr  ui   ttie  K.  College  of  8uf^f*oi]fi  of  England«  LomJcm  tvs^« 


diM  dlt  Btwerber  nm  ntedioiiiisebe  ÖTBde  bereits  in  der  philoeophiscli 
fkuvnlttl  eine  akademieebe  Würde  erwork-n  haben.  Wer  in  Üifon 
l)äch«ilor  of  mediclne  (Baoealaureus  riuHliciBae)  werden  will,  mmti  den 
<iracj  des  Bachelor«  of  art«  besitzen,  welcher  in  England  imgefihf 
dieselbe  liedfutun^  hat,  wie  in  DeuUehland  der  Titel  des  DokU»n$  der 
FhüuHophie.  Um  diese  Wurde  zu  erlangen,  ist  ein  dreijähriges  philo- 
?si»pbiHche-s  Studium  erforderlich.  Daran  sehlietiüt  sich  dann  das  medfcj 
ciniüche  Fachütudium,  welches  4  Jahre  dauert 

Die  Prüftin^,  welche  der  Bewerber  um  den  Gra<i  eineg  Bachekn 
of  niediciiie  ablegen  muss,  testcht  aus  zwei  Abtheilunpen.  vun  denö 
die  ernte  über  iiomiale  Anatomie  den  Menschen,  vergleichende  Anatomn 
I*hjf«ic*Iügie,  Physik,  Chemie  und  Botanik,  die  zweite  über  theoretisdiiJ 
und  [tniktisdie  Meilieiti,  die  Krankheiten  der  Weiber  und  ICintlerJ 
Arzneimittellehre,  (jhirurpe,  (iehurtshilte,  n^erichthche  Mediein  imil 
Hygiene  handelt;  dumit  wird  auch  die  Interpretation  einiger  Stiälleiij 
aus  tien  Sehr! (teil  der  Medieiner  des  Alferthums,  z.  B.  der  Hippokr 
doK  tiAiiKN,  Ah  KT  AK  US  oder  C  KUSUS  oder  eines  dieser  Autoren  und< 
ärztlichen  Hehrifbtellers  der  Neuzeit  verbunden. 

Der  Tfrad  des  Haeheh*r8  uf  medieine  hert»chtif^t  zur  Ausübung" 
iirjttlichen  PruxiH,    Aueh  kann  nur  Derjenige,  welcher  die4>en  tira<l  be-J 
HiUt,   zum   Utiktor   der  Medicin    promovirt  werden;   eä  geBchieht  (liei 
iiber  erst,  nachdem  er  3  Jahre   die  ärztliche  Berufsthätigkeit  attiigeuKi 
und  eine  medicinische  l>issertatiun  vorgele^^t  hat 

Ähnlich  ist  der  Prüfungsmodus  an  anderen  üöchüchulen.  Die 
London  rniverHity,  deren  Examinn  wegen  ihrer  Gründhchkeit  eioen 
gruttsen  Kut  geniesscn^  macht  den  Besitz  eines  philosuphisehen  Ciraiiftf 
nioht  xur  Bedingung  für  die  Erlangung  medicinischer  Würden,  sondern 
verliingt  nur,  das>i  sieh  der  Kandidat  eine  gewisse  8umrae  naturwisseo- 
schaltlieher  Kennlnisse  erworben  hat  Sie  ertheilt  das  Diplom  des 
liaoholors  of  miulioine.  wenn  der  Bewerber  folgende  Prüfungen  mit 
Krfolg  besteht:  I)  das  Preüminary  scientitic  examen,  in  welchem  aus 
der  Physik,  anorganischen  Chemie,  Botanik  und  Zoologie  geprüft  winl; 
2)  die  Intermeiliat^*  examination,  die  ein  Jahr  nach  der  vorher  erwähuten 
Prüfung  folgt  und  Anatomie,  Physiologie  nebst  Histulogie,  Arzneimittel- 
Udm%  i»harmaceutiscbe  und  organische  Chemie  umlasst;  3]  das  Schlu 
Kiamen  am  Kude  der  Studienzeit,  in  welchem  die  allgemeine  Patl 
lufit  und  Thera|ue,  Hygiene,  Chirurgie,  innere  Medicin,  GeburtHhill 
tind  gf»riehtliche  .Mt*<iicin  die  Prüfungsfächer  bilden. 

Diesie  Prüfun;ceu  smd  ebenso  wie  diejenigen  anderer  Examinatiofl 
l»**horden  Iheils  mündlich  oder  schriftlich,   theils  mit  praktischen  Do- 
mutistrationen,  Uuteniudiuug^  am  Krankeubett  Vu  dgL  hl  rerhanden; 


England.  —  Nard-Ammika, 


430 


desifleichen  wird,  wie  bei  den  privilegirton  ärztlichen  Corporationen, 
von  den  Candidaten  die  Vorlage  von  Zeu^issen  verlangt  in  denen  der 
Be.such  der  Vorlesungen  und  <  'urse  über  )[:ewisse  Unterrichtstacher,  der 
Kliniken  und  des  H<.spitals  bestätigt  wird. 

Der  Grad  des  Bachelors  nf  medicine  ist  die  Voraussetzung  für  die 
Einkerbung  der  übrigen  medicinipchen  Würden»  Der  Doktor-Titel  wird 
nach  einer  mehrjährigen  ärztlichen  Praxis  und  einem  nochmaligen 
Riamen  aus  den  verschiedotion  Disciplinen  der  Heilkunde  verliehen. 

Auch  die  chirurgischen  Grade  werden  nur  solchen  .Irzten  gegeben, 
welche  l>ereit8  Bachelors  der  Medicin  sind.  Der  Grad  des  Bachelors 
der  Chinirgie  wird  durch  eine  Prüfung  erworben^  die  sich  hauptsächlich 
öl^er  chirurgische  Anatomie  und  Pathologie.  Instrumentenlehre  und 
Openitionstechnik  erstreckt.  Zum  Master  in  Surgery  wird  derjenige 
Bachelor  der  Medicin  und  Chirurgie  promovirt,  welcher  2 — 5  Jahn* 
kindurch  in  den  chirurgischen  Kranken-Abtheilungen  beschäftigt  war 
"Oder  selKstständig  chirurgische  Praxis  ausübte  und  dann  abermals  eine 
Prüfung  auf  diesen  Gebieten  ablegt.  Desgleichen  steilen  die  meisten 
anderen  akademischen  Examinationsbehorden  bei  der  Ertheitung  chirnr- 
scher  Grade  die  Bedingung,  dass  der  Candidat  bereits  die  Berechti- 
3ng  zur  ärztlichen  Praxis  überhaupt  besitzt. 

Nicht  an  jeder  Universität  können  sämmtliche  medicinische  Grade 
erworl>en  werden,  Oxford  und  Cambridge  creiren  z,  B»  nur  Bachelors 
und  Doktoren  der  Medicin,  während  die  Universität  Dublin  alle  mög- 
hchen  Titel  und  Würden  zur  Auswahl  anbietet.  An  den  Hochschulen 
zu  Dnrham  und  St,  Andrews  besteht  die  Einrichtung,  dass  Ärzte,  welche 
15  Jahre  in  der  Praxis  ^thätig  sind  und  das  40.  Lebensjahr  überschritten 
haben,  nach  Ablegung  eines  verhältnissmäsisig  sehr  leichten  Examens 
jen  Zahlung  von  50  Guineen  zu  Doktoren  der  Medicin  promovirt 
irerden. 

Für  die  Bedeutung  und  Thätigkeit  der  verschiedenen  Examinations- 
l>ehorden  und  den  Studiengang  <ler  .f];:rossen  Mehrzahl  der  englischen 
Ärzte  bietet  die  Statistik  der  PrüfungvErgebnisse  einige  Anhaltspunkte. 
I^macfa  erhielten  in  den  Jahren  1876 — 1880  an  der  Universität  Ox- 
brd  0,  10,  5*  6,  7  den  Grad  eines  Bachelors  der  Medicin,  und  1,  1, 
■J|>,  2^  2  denjenigen  eines  Doktors  der  Medicin,  in  Cambridge  13,  7,  Ö. 
13,  lö  den  eines  Bachelors  und  5,  2,  6,  9.  7  eines  Doktors  der  Me- 
dicin, in  Durham  2,  7,  0,  19,  13  den  eines  Bachelors  und  2,  3,  1, 
U,  10  den  eines  Doktors  der  Medicin  und  U,  0,  2,  7,  4  den  eines 
stBTB  in  Sufgerjt  an  der  University  of  London  23,  22,  25,  34,  39 

ine^  ßachelf»r8,  11,  8,  6,  12,  18  den  eines  Doktcjrs  der  Medicin, 
*'    ^  den  eine«*  Bachelors  der  Chirurgie,  utid  KL  U,  0,  1   den 


430 


Der  medwimmfhe  ünierrichi  in  der  fmuegtmi  ZUt, 


eines  Masters  in  Surgrerv,  während  das  R,  CoHi^ge  of  Phjrsielii»  in 
Umdcm  9ü>  97,  68,  108,  79  ( ■antii<iatei)  die  Licenz  zur  Aasubting  dir 
Praxis  erfcheilte,  25,  23,  20,  14,  18  tu  Members  und  12,  9,  13,  12,12 
zu  Fellows  wählte ,  düs  \t  College  of  Surgeons  <jf  Kuglarid  40^'  '^'''' 
361,  420,  404  zu  Mjtgliedeni  und  29,  3«,  21,  18,  30  zu  1 
machte,  und  20,  27,  27,  17,  19  die  zahnärztliche  Praxis  ge^^tMer  und 
die  Society  üf  uiiotbecaries  of  London  257,  206,  223,  216,  228  \\k 
Licenz  verlieh.  Ao  der  üniversitiit  Kdinbur^  wurden  in  dicker  Zeit^ 
86,  108,  115,  98,  134  zu  Eachilor8,  20,  34,  80,  33,  29  zu  Doktoi 
der  Mediein  und  80,  100,  106,  98.  129  zu  Masters  in  Surgcry,  an 
Hi>clLscliule  zu  Gias^*iw  58,  62,  59,  57,  74  KU  aK'hdon*,  23,  20,  l] 
12,  16  2U  Doktoren  der  Hodicin  und  54,  56,  57,  54,  66  eu  MastÄR 
der  Chinirfrie,  in  Ahertloen  41,  34,  57,  51.  48  zu  Bachelor«,  32,  46, 
ao,  25,  35  zu  Doktoren  der  Medicin  und  41,  34,  55,  48,  48  zu  Masitm 
der  ('hirurgie,  in  St,  Andrew»  1,  2,  1,  0^  3  xu  Bachelors  der  Medi( 
und  Masters  der  Chirurgie  uml  10,  10,  10,  10,  11  zu  Dl' 
Medicin  promovirt.  Das  R.College  of  Physicians  in  Edinhui 
die  Lioenz  an  114,  99,  114,  145,  137  und  in  QenieiiiMchafl  imt 
dortigen  chirurgis(dien  Ge.seILschaft  an  85.  116,  160,  156,  162  und 
der  ärztlichen  G»»nossenschaft  zu  Glasgow  an  22,  13,  21,  27,  30  U) 
machte  23,  18,  23,  19,  20  zu  Members  und  9,  11,  8,  6,  9  zu  Fclluwa, 
d*is  R,  C<dh*g»^  uf  Surgenns  in  £dinbarg  wählt**  27,  31,  30,  41,  44  iw 
Fellows,  un<l  die  Faculty  uf  Physicians  and  Surgeun»  in  Gtaügow  ver- 
lieh die  Licwnz  an  63,  34,  55,  71,  73  und  die  Felluwöhip  an  15,  23, 
10,  3,  5.  Die  Universilat  Dublin  gab  di*-  Licenz  in  der  Medicin  an 
3,  2,  0,  2,  4,  in  der  Chirurgie  an  1,  2,  0,  0,  3,  schuf  36,  44,  '2%n, 
40  Bachelors  und  20,  17,  14,  15,  10  Doktoren  der  Mediciij,  20,  18, 
23,  23,  28  Bachelors  und  8,  5,  3,  3,  1  Masters  der  Chirurgie.  Die 
Queens  (j«*tzt  Uuyal)  Lniversity  in  Ireland  hatte  53,  44,  47,  55,  U 
Doktoren  der  Medicin  und  47,  35,  35,  34^  44  Mastt^rs  der  Chirurgie; 
da?  Kings  and  Queens  Collen  of  Physicians  in  Ireland  ertheilte  du 
liC'Cnz  in  der  Geburtshilfe  an  99,  89,  70,  76,  78  und  in  der  gesamiuieii 
Heilkunde  an  108,  86,  78,  88,  105  und  wählte  zu  Fellaw»  5,  %  0,  8, 
4;  Am  R,  ('oUege  of  Surgeons  in  Ireland  gab  die  Licenz  in  der  Ge- 
burtshilfe an  11.  8,  10,  9,  IQ  und  in  der  Medicin  überhaupt  uü  97^ 
•J9,  106,  122,  103  und  machte  zu  Fellows  13,  5,  6,  15,  14;  die  Aih> 
theearies  Hall  in  Ireland  iicentiirte  22,  24,  23,  34,  42,  km  dieser  Zu- 
sammenstellung ergiebt  sich,  dass  das  numehsc  fae  Verhaltniüs  der  inte, 
welche  an  den  Universitäten  die  Prüfungen  ablegen,  zu  jenen^  die  von 
den  arztlichen  Corporationen  di«*  Licenz  erwerben,  in  England  ungefibr 
1:8,  in  Schottland  4:3  und  in  Irland  1:2  beträgt 


c 


Ki 


Zxnr  B^xeicbnuTig  der  verschiedenen  ärztlichen  Grade  nnd  Berech- 
tigungeu  wt^rden  abgekürzte  Formen  gebraucht,  wie  dies  bei  Titeln  in 
England  allgemein  nhlich  ist.  So  bedeutet  F  R  C  P  Fellow  of  ihe 
Royal  College  of  Physicians,  M  R  C  S  Member  of  the  Royal  College 
of  Snrgeons,  L  S  A  Lieens<^d  by  the  Society  of  ApothecOTes,  M  B 
Bachelor  der  Medicin,  M  C  Master  der  Chirurgie,  M  D  Doktor  der 
Medicin;  dazu  wird  dann  gewöhnlich  der  Name  der  Universität  gesetzt» 
>ofi  web'her  dieser  Grad  erworben  wurde. 

Das  englische  Publikum  kennt  den  Werth  und  die  Bedeutung  der 
TBinobiedenen  Arten  von  ärztlichen  Diplomen,  welche  im  Laude  vor- 
fclktllSien,  und  wird  durch  ilie  Unten^chiede  in  der  Höbe  der  iirztlichen 
Honnmre,  die  das  Herkommen  bestimmt,  daran  erinnert. 

Wenn  England  in  Bezu^  auf  das  medirini.sche  UnterrirbtsweÄen 
den  Fortschritten y  welche  dasi^elbe  in  anderen  .Staaten  gemacht  hat, 
nicht  immer  gefolgt,  ist,  so  hat  es  daft'ir  ins  grosse  Verdienst,  die  erste 
eck*  ^(Ptide  8anitäts -Verwaltung  geschaffen  zu  haben.     Durch 

l'u  1  talth  Act  von   lrS75  wurde  das  ganze  Land  in  Sanitäts- 

durtrikie  eingetheilt,  denen  Lokalbehörden  vorstehen.  Sie  haben  dafür 
m  sorgen,  dass  die  Wasserleitungen,  C'analisation,  sanit^ire  Baupolizei, 
die  öffentlichen  und  privaten  Aborte,  die  Reinlichkeit  der  Strassen,  das 
Trinkwasser  und  die  Lebensmittel,  die  Kellerwohnimgen,  Gasthofe, 
Kmuli  »\  Priedhöfc.   Fabrik- Anlagen  u.  a.  m.    den    »irundsätzen 

der  <fii.. /.  -iun  Gesundheitspflege  Mnts|irechen  und  wählen  Sanitäts- 
hemtite,  welche  die  Aufflicht  darüber  führen  und  die  notliwendigen 
Vorkehmn i^^en  veran lassen. 

Wer  stell  um  eine  derartige  Stelle  bewirbt ^  nmss  zur  Ausübung 
iler  ärztlichen  Praxis  berechtigt  sein  und  sich  einer  Prüfung  unter- 
en liaben,  welche  über  Klinmtologie,  ( 'hemie,  Geologie,  Physik,  Ge- 
ichte  und  Geographie  der  Krankheiten,  Medicinal-St-atistik,  Hygiene 
und  Sanitätsgesetzgebung  bandtdt.  Di»'se  Organisation  stützt  sich  auf 
das  Princip  des  SeUgovernnient ,  welches  in  einem  Lande,  dessen  Be- 
völkerung seit  Jahrhnnderti'n  an  die  Selbstverwaltimg  gewöhnt  ist, 
eiDen  gössen  National-Keiclithum  besitzt,  und  für  die  Vortheile  einer 
rationellen  Gesundheitsjdlege  Verständnis«  bat,  auf  diesem  Gebiet  sicher- 
lirb  hervorragende  Erfolge  erzielen  wird. 


Das  medicinische  UnterricbtsweseTi  Englands  wurde  nicht  blos  In 
den  Qbergeeischen  I^andern,  widcbe  seinem  Scepter  unterworfen  sind, 
iondera  überall,  wo  die  englische  Sprache  und  Cultur  herrscht,  nach- 
geahmt    Auch  in  den  Vereinigten  Staaten  von  Nord-Amerika  ist  der 


mttlicinißche    Unterricht   Vijllstiindi^   Privatsache,      Mehrere    Ärzte  m 
e^inem  Ort  vereinigen  sich  zu  dem  Zweck^  ürztlichen  Unterricht  zu  er- 
theilen.  unrt  stellen  ihren  Sehfilern  Zeu£?nisse  iil>er  ihre  Kenntnisse  aui, 
Nach  der  Qualitication  der  Lehrer  und  den  Erfolgen  ihre^  Ünterriclii 
fragt  Niemand.     Der  Werth   dieser   Lehransliilten  i^t   daher  mig< 
verschieden. 

Nach  einer  Zusammenstellung  v,  J.  1882  gab  e**  in  den  Vereijii^ 
Staaten   114  medieinische  Schulen  mit  13  321  Studierenden. 

Einzelne  inedieinische  Schulen^  wie  das  Newjork  ('oUege  of  Hjy* 
sieians  and  Surgeons,  welches  1791  gegründet  wurde,  das  UniTeoij 
Medical-College,  das  seit  1841  besteht,  und  das  ßellevue  Hat^pitalO 
lege  in  Newyork,  sowie  das  Massuchusetts  Med,  (*ollege  in  Bo«U>n  out' 
Kush  Medical  College  in  Chicago  geniessen  mit  Recht  einen  guten  Hui 
Neben  ihnen  leiebt  es  aber  auch  Erscheinungen,  welche  in  wiasaiiBchift- 
lieber  und  moralischer  Hirwicht  eine  tiefe  Stufe  einnehmen. 

Bekannt  ist  der  »kandaluse  Handelt  den  manche  FacultaUm 
ärztlichen  Diplomen  treiben.  Eine  Zeitung  in  Phil  i'  *  '  \,  wo  tniai 
die  Missbräuehe  an  der  Quelle  studieren  konnte,  lu  i  i  irukr  vor 
einigen  Jahren  unglaubliche  Mittheilungen,  *  Es  ißt  daher  kein  Wooddr, 
wenn  das  amerikanische  Doktor-Diplom  in  Europa  mit  Misslnofln  be- 
trachtet unti  zuweilen  mit  jenen  liebenswürdigen^  wenn  auch  bedtiHtmig»' 
losen  Aiii»2eichnangen  gleichgestelU  wird,  die  man  beim  CotiUon  erliiii. 

Die    Bildung    der    amerikauBchen    Arzte    steht    im  Allgemeine» 
unter   derjenig^^n    ihrer    eoropäischen    BerufegeDus&^n*      Der    Präiiidait 
Eliot  erklärte  in  einem  Bericht  y.  J.  1871/72;  „Ea  ist  eatsetslieh,  wei 
man  'die  Unwissenheit   und  Unfähigkeit   der   meisten    amf'rikanjscbi 
Arzte  betrachtet,  welche  von  amenkanisehen  Schulen  graduirt  sind; 
▼ergißen,  machen  znm  Krüppel,  tödten  auf  jede  Weiiie  und  sind  nicht 
im  Staude^  die  Gesnndheit  nnd  das  Leben  zu  erhalten/*^ 

Die  tüchtigen  Ärzte^  welche  man  in  Amerika  lindetr  HtammeD  zum 
Theil  aos  Europa  oder  haben  wenigsleiis  dort  ihre  Studien  gemacht. 
Dodli  werden  einzdne  Fächer  der  praktischen  }^  '  .  wie  die  Gv- 

nakolo^  und  die  ZahnbeiUniDdey  an  den  medicu.. . »  :.  Schulen  Xord- 
Amerikas  mit  grosBem  Erfolg  betnehaL  Aoch  madti  sieh  jeUt  obemil 
das  erfreuliche  Bestieben  geltend,  die  Torhandeoen  (Tbektände  2U  be- 
seitigen und  eine  Besserong  des  mediciniscben  Unterrichtewesens  t^Mh 
enropaiBehem  Jf  asler  herbeiziil&limL 


i 


m  d»  liitlMlelphia  B«cMl  yooi  SSu  Pafanw  ISSa 

'  Beme  istetMl.  de  rotfeigncmeiit,  Paria  ISiS,  [T,  pu  W>. 


ibr  mrw^niy  Uwe  DoWm 


JF^atUiTewk, 


433 


Prankreich. 

Währemi  man  in  Englaiul   und  Amerika  den  Grundsatz  befolgt, 
daas  mch  der  Staat  nicht  um  Dinge  kümmern  soll,  welche  auch  ohne 
in  gtjmacht  werdiin  können,  huldigt  man  in  Frankreich  dem  entgegen- 
etzten  Prinv^ip, 

Hier  fühlten   sich  die   regierenden  Gewalten  stetes  henifeii,  Alle», 

[geschieht^  streng  zu  überwachen.     Auch  das  medicinisehe  Unter- 

tswesen  und  die  ärztliche  Praxis   wurde  von  den  Behörden  durch 

minutiMge  Verordnungen  geregelt  und  geleitet,.    Nur  in  den  Tagen  der 

Miasen  Revolution  wich  niwn  von  diesem  firundsatz  ab  und  netzte  an 

'die  StttUe  äner  bisweilen  in   kleinhche  Pedanterie  ausartenden   Bevur- 

muudutig  eine  schrankenh^ae  Freiheit,  die  zur  Anarchie  führt-e. 

Die  Ärzte  nahnv^n  an  den  mächtigen  pohtischen  Bewegungen 
j^ner  Zeit  lebhaften  Antheil.  *  Der  constituirenden  National -Versamm- 
lung gehörten  17  Ärzte  an,  unter  ihnen  Güilm^tin,  der  Erfinder  der 
nach  ihm  genannten  Guillotine,  übrigens  ein  Politiker  von  sehr  ge- 
mäfijiigten  Ansichten,  fenier  J,  G.  Gallot,  P,  Blin,  SaLjUSS,  Bkauvaih 
DE  PicRAüx  U.A.  Im  gesetzgebenden  Körper  von  1791  befanden  sich 
22  Ärzte,  darunter  der  berühmte  Chirurg  Xenon;  im  Convent  von  1792 
gassen  39  Ärzte,  von  denen  Bakaillc^n,  Panvilllehs,  R,  Escha8s£bl^ux^ 
AuTp  FoDRCROY,  M»  A.  Baudüt,  iler  Geburtjshelfer  Levasseüb,  E.  La- 
coste und  ÄIarat  am  meisten  l>ekannt  wurden. 

Alss  die  Männer  des  Schreckens  ihre  unheimliche  Thatigkeit  be- 
gannen und  grauenhafte  Orgien  der  Mordlust  feierten,  da  hatte  auch 
der  ärztliche  Stand  zahlreiche  Opfer  zu  beklapjen;  104  seiner  Mitglieder 
wurden  hingerichtt^t  und  328  Arzte  und  540  Ctiirurgen  aus  Frankreich 
^Verbannt,  Piebre  Desaült  wurde,  während  er  die  Klinik  im  Hotel 
Dien  abhielt,  aus  der  Mitte  seiner  Schüler  herausgeholt  und  ins  Ge- 
r-  --'  geworfen.  Doch  gelang  es  den  Bemühungen  seines  Freundes 
i  oY,  welche  in  der  Presse  eine  wirksame  Unterstützung  fanden, 

ÜE8AULT  bald  wieiler  in  Freiheit  zu  setzen.     Nicht  m  glücklich  war 
ui^f  grosse  Chemiker  Lavoisieh,     Er  starb  auf  dem  »Scliaffot,  ohwohl 
IBaj^lE  mit  ergreifenden  Worten  an   seine   unvergänglichen  Verdienste 
um  die  Wissensi3haft  erinnert,  hatte.     Nouji  n'avons  pws  besoin  des  aa- 
in,  antwortete  der  Gerich t.spräsident  und  liess  das  Todesurtheil  voll- 
Iftieben,  welches  Frankreich  einen  seiner  grössten  Bürger  raubte. 

Man  wollte  keine  Gelehrten  und  brauchte  die  Wissenschaft  nichts 


»  C.  SAiTüKÄorrre:  Les  m^decine  ptindaut  la  revolution,  Pari«  1887. 


434  Der  medicinische  Unterricht  in  der  neuesten  Zeit. 

Der  politische  Fanatismus  erstickte  die  edleren  Regungen  der  Mensch- 
lichkeit und  tödtet^  mit  seiner  sengenden  Gluth  alle  höheren  geistigen 
Bestrebungen. 

Das  medicinische  Unterrichtswesen  war  der  Reformen  dringend 
bedürftig.^  Von  den  18  medicinischen  Schulen,  welche  Frankreich 
beim  Ausbrach  der  Revolution  besass,  war  kaum  die  Hälfte  ausserhalb 
der  Stadt  bekannt,  wo  sie  ihren  Sitz  hatte,  und  nur  diejenigen  zu  Paris 
imd  Montpellier  genossen  einen  bedeutenden  Ruf.  Die  Einrichtungen 
der  medicinischen  Facultäten  Frankreichs  standen  hinter  denjenigen 
anderer  liänder  zurück,  und  die  französischen  Hospitäler  waren  wegen 
ihrer  schlechten  hygienischen  Zustande  geradezu  berüchtigt. 

Das  Parlament  beschäftigte  sich  mit  diesen  Fragen.  Ein  Gesetz- 
entwurf, welcher  demselben  i.  J.  1790  vorgelegt  wurde,  enthielt  manche 
beachtenswerthe  Vorschläge  zur  Reorganisation  des  medicinischen  Unter- 
richts; so  wurde  der  ausschliessliche  Gebrauch  der  französischen  Sprache 
beim  Unterricht  und  bei  den  Prüfungen,  die  Freiheit  der  Lehre,  die 
Unentgeltlichkeit  der  Vorlesungen,  die  Beseitigung  der  Fixirung  einer 
bestimmten  Studienzeit,  die  Besetzung  der  Professuren  durch  Concurs 
u.  a.  m.  verlangt..  Anstatt  der  18  medicinischen  Schulen  sollten  nur 
4  medicinische  Facultäten  in  Paris,  Montpellier,  Bordeaux  und  Strass- 
burg  bestehen,  jede  derselben  jedoch  mit  wenigstens  12  Lehrkanzeln 
ausgestattet  und  daneben  in  jedem  Departement  eine  niedere  ärztliche 
Schule  errichtet  werden,  die  mit  einem  Hospital  verbunden  sein  musste.* 
Leider  kamen  diese  Anträge  nicht  zur  Berathung. 

Als  der  Radikalismus  zur  Herrschaft  gelangte,  begnügte  man  sieh 
nicht  mehr  mit  der  Verbesserung  der  bestehenden  Einrichtungen,  son- 
dern forderte  ihre  gänzliche  Beseitigung.  An  die  Stelle  der  Reform- 
bewegung war  die  Revolution  getreten,  qui  vint  tout  rent^erser  depuis  le 
tröne  du  rot  de  France  jusqtiW  Vhinribk  ehaire  du  professeur  et  la  han- 
qtiette  de  Vetudianty  wie  Sabatier  (a.  a.  0.)  schreibt  Durch  das  Gesetz 
vom  18.  August  1792  wurden  alle  Universitäten,  Facultäten  und  me- 
dicinischen Schulen  aufgehoben;  ein  Ersatz  dafür  wurde  zunächst  gar 
nicht  geschaffen. 

Wie  in  der  Theologie,  Moral  und  anderen  Dingen  wollte  man  auch 
in  der  Heilkunde  zum  Naturzustande  der  Menschheit  zurückkehren. 
Man  hoffte  dadurch  Verhältnisse  herbeizuführen,  wie  zu  den  Zeiten  der 


*  L.  Li  ARD  in  der  Rt'^vue  Internat,  de  Tenseignenieut,  Paris  1887,  T.  XIV, 
p.  409  u.  ff. 

•  Dreifüs-Brisai'  in  der  R6vue  internationale  de  renseignement,  Paris  1881, 
II,  555  u.  ff. 


jiilten  griechischen  Philosophen;  aber  toäd  öffnete  nnr  dem  Aberglauben 
m(\  dt*f  schamlosen  ('harlatanerio  die  Thore, 

Die  Fehler  und  Mangel  der  wissenschaftlichen  Medicin  wurden  in 

on^inni^er  Weise  übertrieben  und  zu  schweren  Anklagten  gegen  ihre 

r^rtreter  benutzt    Im  CimTent  verstieg  sich  ein  Redner  zu  der  Äusse- 

ang,  dass  man  mit  den  Ärzten  ebenso  verfahren  müsse,  wie  mit  den 

^Geistlichen;  denn  sie  seien  sämmtlirh  nur  tTauklen^ 

Die  Kriege,  welche  die  Republik   führte ,    lehrten  aber  Imld,   wie 
iwendig  und  nützlich  die  Ärzte  sind.    Als  dem  Convent  mitgetheilt 
rde,   das«  die  Armee  binnen  18  Monaten   ungefähr  600  Ärzte  ver- 
loren hübe,  und  dass  die  Truppen  in  den  östlichen  Pyrenäen  der  ärzt- 
ßhen  Hilfe  fast  gänzlich  entbehrten,  besc bloss  man  die  Wiedereröffnung 
Itiniger  mediciniseher  Schalen*     Durch   das  Gesetz  vom    14.  Frimaire 
pd.  J,  111  (4.  December  1794)  wurden  in  Paris,  Montpellier  und  Strass- 
burg  drei  medicinische  UuteiTichtÄanstalten  errichtet,   die  man  Kcoles 
»de  santt^  nannte.    8ie  waren  zunächst  nnr  bestimmt,  fi  ftmner  les  offi- 
fm/^nt   ik   sanft    pour  k  servil   d4\s  hnptlaux   ei  »ptf^taletuent  des  hdpitaux 
tnüitaire^  ei  de  manne.    Jeder  Distrikt  des  Landes  schickte  einen  Zög- 
ling in  diese  militiirärztlichen  Schulen,  der  dort>  auf  Kosten  des  Skates 
Jahre   hindurch   Medicin   studierte.     Paris  erhirlt  3(M>,    Montpelber 
150  und  StTcfcssburg  100  Schüler. 

Das  Bedfirfuiss  nach  unterricht^'teu  Heilkünstlern  führt^^  aber  bald 

dahin,  dass  hier  auch  Studierende  aus  dem  ('ivilstande,   welche  nicht 

vom  Staat  unterstützt  wurden,  zum  üntemcht  zugelassen  wurden.    Im 

J.  1796  nnirde  die  medicinische  Schule  zu  Paris  neu  organisirt  und 

mit  folgenden  12  Lehrkanzeln  ausgestattet:  1)  für  Anatomie  und  rhv- 

siologie,  2)  medicinische  Chemie  und  Pharmacie,  3)  medicinische  Physik 

[und  Hygiene,    4)  chirurgische  Pathtdogie,    5)  Pathologie  der   inneren 

Krankheiten,  6)  medicinische  Natm-geschichte,  7)  chirurgische  Operations- 

kunfit,    8)   chirurgische    Klinik,    9)    Klinik    der   inneren    Krankheiten, 

^10)  Clinique  de  perfectionnement^  1 1)  GeburtshiHK  12)  (beschichte  der 

'Medicin  and  gerichtlich«»  lledicin.     Ausserdem  hielt   der  Direktor  der 

Anstalt  Vorlesungen  „über  die  Uippokmtische  Behandlungsmethode  der 

^ftkuten    Krankheiten**   und   „über  seltene   Krankbeitstalks  aus   der  Ge- 

chichtc  und  der  Praxis  zusammengestellt*',   wahrend  der  Bibliothekar 

fmien   bibliographischen   Cnrsus  gab  und  eine  kritische  Übersicht  der 

medicinischen  Literatur  lieferte.^ 


'  F.  Fäawk  a,  o.  0.  VI  l.  Abüu,  S.  22 L 

*  Ä*  DE  BsAüCHAMP;  K^ctieil  de«  lois  et  reglementd  sur  renseignemeDt  sa- 

r,  Pwia  1880—85. 

28* 


Ow  Uatcnidit 
2%  TcBlte  d.  J.  X 


Die 

■■  dtr  ^itw  des  V 
7.  OtfBiiMl  4.  J.  XI  mü 

qm  Im 


mA  SAJATiiaiy  CuopAJrr.  Pnfv, 

md  P.  A.  0.  Mahoh^  welcher  die 

Uädile.    Im  J.  1799  wurd^ 

bcnttigt^  \  an  denen  die  m 

dit  andere  fQr  Philosophie  mMirale 

%"«EBeUft^  ojehi  TerwirlcHcht 

pratique  verhunclen,  ui 

•ZaiS^Meningen  <^rhieltei 

die  imkliißhe  Aushüdnti^  am 

&.  fiL  fbr  die  geacbleehtUcheti 

Awiatepa  gegrötidet 

dem  Gesetz  vom 

man  den  Besiacli 

gof  die  Ktudierciiden  de; 

m  Pariji  hob  8ich  unter 

HhMe  L  J.  17M  beeeäU  1500  Z^gUnge. 

den  wichti^teu 

t  wp»   M.»   — i.fyp^    «i«»ietwefi   obligii 

«fkhi  M  da  Sehatai  n  Fens,  MoDtpeUier  lud 

hatten,  gab  es  eiae 

dittfie  die  aolliebe  Pmii 

oder  eines  Diplonk. 

hal  FüURCBor,  d^r 

in  eeinem  Behebt 

Wmtn  gegeisMlt.    Ja  w 

~  aiämi 

^   h  tkariaimmmm  k  pku 

9i  Almhmmm  firi. 

Lm  mmfogmm  et  iea 

ks  poigmm  €i  ta  morl 
pk§9  riprimm',    hu 


Im  ftm  pwemfitoii  «üI  pris  la  jfdam  dss  pHmmpm  dt  Fmi  d$t 

Dm  fwbotOemrm  ar  diis  «s^pet  mpttdenis  abumHt  du  ätrr 

dt  «mli  pmtr  marir  kmr  igtwrmmm  d  Imm-  wmüMt"^ 

Dai  Gesell  rem  19.  VenHae  d.  J.  XI  (10.  lUn  1808)  beseitigt» 

Cbatelftiidey  iadem  es  die  firlaobniBis  zur  inilichen  Pmxtä  voo 

erfblgiaMieii  AUagtmg  der  Fröfnngen,  wdehe  zu  diesem  Zweck 


«c  ratiiir«mli^ 


la  InwCTi*' 


*  Rni  Eouiri»:  Ijm  wMmim  et  k  lol  da  V»  rentö«  ui  XI,  Puv  JS^S 


F¥imhrekh. 


437 


einpeiTihrt  wurden,  abhän)^^  machte.  Die  letzteren  umfessten  die 
Atialumie  and  Physiologie,  Pathulogie  und  Noscdügie,  Materia  medica^ 
Pharmade  und  Chemie,  Hyg^iene  und  gerichtliche  Medizin,  Geburtshilfe, 
CTiinirgie  und  innere  Medicin.  In  der  Anatomie  wurde  die  Anfertigung 
eines  Präparat  verlangt;  die  Prüfung  in  der  praktisrh*^ii  Heilkunde 
geschah  am  Krankenbett 

Gleichzeitig  wurd»*n  zw<i  Klassen  von  Ärzten  ^^t'si  iiadeii,  n:iiiilich 
Düktorc*n  der  Medicin  und  Chirurgie  imd  Ofliciers  de  sant**.  Wi^r  <las 
Uoktor-Diplom  anstrebte,  musste  das  Lycfe  absolrirt  haben,  bevor  er 
sich  dem  Studium  der  Medicin  widmete,  und  auf  das  letztere  4  Jahre 
verwenden. 

Die  Ofliders  de  sant»»  bildeten  eine  Kategorie  von  niederen  Ärzten; 
KiP  waren  nicht  verpflichtet,  einen  Nachweis  über  ihre  Allgemeinbildung 
zu  bringen,  und  erhielten  die  Eriaubniss  zur  ärztlichen  Praxis  schon 
nach  einem  dreijährigen  Studium  an  der  medieinischen  Schule.  Doch 
wurde  ihnen  daj?  let-zter^  aurb  gänzlich  erlassen,  und  es  genügte,  wenn 
liie  5  Jahre  in  einem  Hospital  bes<'h!iftigt  gewesen  waren,  oder  6  Jahre 
bei  einem  Doktor  gedient  hatteu.  Das  Examen,  welches  sie  ablegten, 
betraf  die  Anatomie  und  die  Elemente  der  Medicin,  Arzneiniiitellehre 
imd  Chirorgie  und  fand  aussehljesslich   in  französischer  Sprache  statte 

Die  Doktoren  durften  sich  überall  niederlassen;  die  Officiers  de 
santi»  nur  auf  dem  Lande  imd  in  dem  Departement,  für  welches  sie 
die  Licenz  erhalten  hatten,  und  wurden  genöthigfe,  in  schwierigen  Krank- 
heitsfiUlen  und  bei  grösseren  Operationen  einen  D*>ktnr  zu  Kath  zu 
ziehen.  Das  Parbuuents- Mitglied  Cauret  vertheidigte  die  Einführung 
dieser  Landärzte  mit  den  Worten:  ,J^es  hdiitants  tk^  rampaff ne^i  at/ant 
d(»  fnoeurs  plus  pures  qne  ceux  des  mües,  ani  des  maladie»  plus  simplrs 
qm  ejigefit  par  ce  motif  moins  d^insh-uction  et  moin-s  d'apj)n'ts'\ 

Die  Ofüciers  ile  sante  wurden  hauptsächlich  an  den  Hospitalschulen 
grebildet,  welche  in  verschiedenen  Städten  Frankreichs  entstanden  und 
notier  dem  Namen  Ecoles  secondaires  eine  teste  Organisation  erhielten* 
Auch  die  niedere  Kategorie  der  Apotheker  empÜTig  hier  den  nothwen- 
digen  Unl^^rricht,  während  für  ilie  Ausbildung  der  Pharmaceuteo  erster 
Klaiise  drei  besondere  Lehranstalten  in  Paris,  Montpellier  und  Stras^- 
burg  errichtet  wurden,  die  sich  in  mancher  Hinsicht  an  die  dortigen 
medicinischen  Schulen  aiischluss^'U. 

Die  letzteren  wurden  i*  J,  180b  wieder  zu  medicinischen  Facul- 
taten  erhoben  und  der  Universite  ile  France  einverleibt.  Diese  Schöpfung 
Napoleons  war  keine  Universitüt  in  «nsenTO  Sinnf%  sondern  der  In- 
begriff aller  Unterrichfcs-Anstalten  und  Un terrichts-Behörden  des  Landen. 
Sie  bedeutete  ungetahr  Das,  was  man  jetzt  als  Unterrichts-Verwaltung 


« 


h(!2üiobn§t  An  der  Spibse  der  TJniTerRii;^  de  F^mnce  itimd  m  Qmir] 
nieister,  dessen  Würde*  später  in  diejenige  des  rnterricht*^-Minttlm 
ütiertrintr  «»der  verwandelt  irurde.  Ibm  wurde  ein  Studiennith  ab  h^ 
rutliendr  Behörde  an  die  Seite  gestellt,  wahrend  eine  E^(i»t«*re  Antahl 
von  (Jeneral-In^pektoren  die  einzelnen  Lehninstulten  überwacht*»  und 
conirallirte. 

Djis  ganze  Land  wurde  in  26  rniversitäts-Bezirke  eingetheilt;  ^ 
derselben  bildete  den  Sitz  einer  Akademie  (höheren  l'nt4^rrirhi 
mit  einem  Reotor,  8tudienrath  und  Inspektoren,  Diese  strenge  ffleicl* 
mamige  üiiedeninp?  dos  Unterrit^htswesens  hatte  den  >m>s8en  Vi>rtheii 
dass  8ie  innf  Aus^'h^iehnng  iler  VerschieihMiheiten  in  dem  Bildunq^iveau 
der  einzelnen  Theile  Frankreichs  anstrebte  und  die  Orundjiatze  der 
Ordnung?  und  Oeroehtip^keit  überall  zur  Heltnn^  brachte,  fsie  erhielt' 
sieh  auch  UMch  dem  Sturz  <bs  Kaiserthunis  und  erfuhr  im  VerlÄrf' 
der  Zeit  nur  die  durch  die  Bedürfnisse  der  Cultur  und  dm  Staates  e*v 
botenen  Verbesserungen. 

Jede  Facultät  verlieh   fortan  drei  akademische  Würden,  näißbclij 
du«  Bacealaun*at,  die  Licenz  und  da«  Doktorat   Nur  die  beiden  le 
Urade  paben,    wenn  sie  in  d^^r  Me^liein  en^'       i  N^n,   dm  Kwh 

zur  Ausübung  di^r  ärztlichen  Praxis.     Die  H    ,  f»  durften  mt 

den  Titul  eiiieis  Offioier  de  santt«  irerieihen. 

Die  Lehrkanzeln  wunlrn  durch  Ton  h  wurde  i.  J- 

1810   angwrdnet,   dass   bei  Bewerbern  i   literari^h«?!i 

und  wisi^nschafklichea  Verdieiuilen  daron  tVgcisdien  werdev  sie  der  vor* 
gei^hrifbenen  I^ftmg  iq  noternehen  oder  mr  Vorlage  einer  Thm^ 
lU  remnlassen. 

I>ie  feindlMi«  Haltuni?.  veldie  die  medidn»olM  Faraltal  in  Paris 
ifiler  geg«  Imimig  XYItL  beotaeklele^  und  die  limiaidaii  Seinen, 
m  imm  m  in  FUge  imem  km,  fUntai  dara^  daaa  sie  L  J.  1822 
eil  wurzle.  Bei  ikivr  WiedererfiAMmg,  die  im  folgenden  Ja 
echWI  m  eine  nene  Omiiliini     Dir  Lehiii^ 

SS  <fffcwCBchw  PtafisBHVB  ■■4  W  A^iügifs,  von  «Mira  24 
«ise  u«  12  «  sa^v  «am.    !■  J.  1834  wwie  das  UntmicbU 

midi 


4(T 


50 


1SS3( 


^^=1 


I*y<mkreich. 


439 


StPciÄibnrg  mit  dem  Elsass  an  Deutschland  abgetreten  worden  war,  in 
Lüle,  Bordeaux  und  Lyon  (seit  1877),  wo  früher  niedere  ärztliche 
Schulen  »inatirten.  Nobr^n  ihnen  gieU  ej^s  18  Ecoles  pivpanitoires  der 
Medicin,  wie  die  früheren  Ecoles  secondaires  jt^tzt  heissen,  Sie  befinden 
«ich  in  Marseille,  Nantes,  Touloucie,  .Vniiens,  Angers,  Arras,  Besannen, 
Cato.  Clemiont,  Dijon.  Greüoble^  Limo^es,  Poitiers,  Beims,  Rennen, 
fionen,  Tours  und  Alger  und  sind  theils  de  plein  exercise,  d,  h.  m 
hieten  (lelegenheit  zur  vüHstiindigea  x-Vbsohirung  des  medicinischen 
Studiums,  theils  nur  «eigentliche  VorbereiUmgs>!;chuIen.  Sie  unt*Tscheidi;n 
mh  durch  ihre  AuMattung  mit  Lehrmitteln  und  Lehrkanzeln.  Die 
Ee43les  de  plein  exerci^e  haben  wenigstens  17,  die  übrigen  12  ordent- 
ii' ti  l*r  it  -iiren.  Zwischen  den  ersteren  und  den  medidnisehcn  Fn- 
lilLiti/fii  lititii'ht  der  einzig«*  ruterschie»!.  ila.sj^  jene  nicht  Aius  Herht 
Iniben,  da*  Doktorat  der  Heilkunde  zu  verleihen.  Ausserdem  sind  die 
aeultäten  StaatsinstiiUen,  wahrend  die  übrigen  medicinischen  Schulen 
munieipaien  Charakter  trugen.  — 
Die  Studierentlen  der  Heilkunde,  welche  promoviren  wollen,  be- 
leben die  Faeultäten  oder  die  Ecoles  de  plein  exercise,  dürfen  aber 
ch  einen  7'heil  ihrer  Studienzeit  an  den  Eeoles  pr<*paratoires  zubringen; 
shenso  werd^^n  auch  die  Candidaten  für  das  UOicint  thi  sunte  sowohl 
au  den  Facultüten  als  an  den  übrigen  medicinisehen  Unterrichtsanstalten 
zugelassen.  Das  medicinische  Doktor- Dipb>m  kann  nur  an  den  Fa- 
cultttten.  da,s  Ofliciat  de  sante  dagegen  an  jed'T  medizinischen  Schule 
erworben  werden. 

Die   Ecoles  pn'paratoires  werden   verhältnissmas^sig  weiu^  tMisucht. 

VoD  den  21   Anstalten  dieser  Art,  welche  i.  .1.  1845  bestanden,  hatten 

diiotaU  IH  weniger  als  40  Schüler,  6  nieht  einmal  25  und  die  Schule 

'*     !is   si^gar   nur  15  Studierende.      Dasselbe   S*:hicköal  haben   die 

-eben    Facultitten    in    den    Provinzen;    denn    Puri^   centralisiirt 

nalit^u    da^  gerammte  höhere   Unterricht^wesen,     Im  J,  1877  gab  es 

in    F      '        li  4447  Studenten   der   Medidn,    von  denen  sich  3835  in 

Pan-         !   I  "n,  wiihrend  die  übrigen  nietüeinischen  FaeulUlten  zusammen 

nicht  mehr  als  612  Studierende  ziihlten.    Durch  die  Erhebung  mehrerer 

-'Schulen  zu  medicinisehen  Faciil täten,  welche  in  den  letzten 

1  _  -jte,   wurde  dtii^  Verhültnii*»  einigerma.^.<en  verändert.     Im 

J,  1881/82  hatte  Paris  2413,  Bordeaux  155,  Lyon  Di5,  Montpellier  154, 

"     '  y  s:\  und  Lille  54  Studterenile  der  Medicin.    Ausserdem  besuchten 

.  j'    t'andidaten    für   das   Ofliciat  de  isank-    die  Vorlesungen    der   ver- 

Mshiedenen  medieini^chen  FacuUäten.    An  den  übrigen  18  medicinjschen 

'  :<talten  hatte  man  im  Ganzen  632  Schük^r,  von  <lenen  sieh 

Doktorat  und  326  für  da^  Ofticiat  de  sant«'  vurlHTriifffn 


Die  Gesammtzahl  Af^r  Studierenden  der  Heilkunde  beider  KategroriÄ 
betrug  also  damals  4412,  vun  deni*u  'SSW  \h\s  noktordijd*>m  prrini?«B, 
1082  Officiers  de  sante  werden  wollten* 

8chon  1826  mird»:*  im  Parlam<'nt  die  Aulhebunjjj  der  meden^n 
Klasise  von  Ärzten  l*eantragt;  aber  ohne  Erfolg.  Im  J.  1h47  p».ttitio- 
nirt^n  die  Doktoren  der  Heilkunde  uJjermals  um  Baseitigung  der  Ofticiers 
de  Hunti?,  während  di*^  letzteren  eine  ErweiteninK  ihri:*r  Rechte  Vf^r- 
langt^m.  Wiederum  wurde  im  .1.  1864  ein  Versuch  grmacht^  da»  In* 
stitiit  der  Officiers  de  saute  ahznschatl'en;  doch  fand  es  einen  Vertheiiliji?iT 
an  BoN.fEAN,  welcher  erkhlrte:  ,.J  des  malades  simples  et  pümTtu  ü 
faul  un  mrdimn  ^muvrc  et  simpk  omnmc  eujr  r/wj  pnisse  conqfra^drt  k 
imigff^ü,  (e  ysoin  de  sts  m^Miesfcs  eiirjtis,  qui  nt-  datts  une  cipndiiinn  ptu 
rlevce^  hMttU'  d^s  son  enfamr  n  la  tm  sof/re  des  rJuiufni^res,  nt/mU  tmiquü 
sott  fffode  fi  peu  d€  frads,  puiftse  sf  conUtUer  d*une  injodiffue  retrUmlm, 
L'offmer  de  santf'  est  dans  Ir^  tneüleuttes  eotiäitions  ponr  remplir  cttk 
mission  de  modeate  dtlvouemeni :  U  sf  fera  d'attimU  plus  aist^ment  k  ivn' 
fidmit,  k  o(/fiseüier,  k  ronsaiateur  du  jmnrre  qtiü  mi  est  presque  U  com- 
fpagnon/*  Übrigens  vermindert  sich  <iie  Zahl  der  Officiers  de  sanU»  in 
Frankr^nrh  von  Jahr  zu  Jahr.  Im  J.  1847  gab  bh  deren  7456,  im 
J,  1872  nur  iwvh  46I>::J,  während  die  Menpe  der  lJokt<>n*n  in  der 
l^leiehen  Zeit  von   l(>64:i  auf  lil76<J  gestie^teu  ist 

Die  Aufhebung  de.s  Instituts  der  Officiers  de  ttante  erscheint  somit 
nur  als  eine  Frage  der  Zeit.    An  der  Spitze  aller  medicinischen  Schufen 
stidit   die   mi'tüeinische    Faoiiltät   zu  Paris;   sie   hat  die  reich haltigpstim 
Lehrmittel  und  die  besten  Studien-Einrichtungen.    Ihr  I^hrkorijer 
steht  gegen wärtij^^  suis  S3  ordentlichen  Professoren  (Titulaires)  und  einer 
grossen  Anzahl  von  Agivges,  welche  ungefähr  unsem  äussern rdenthehm 
Professoren  ent*?prechen.    Von  den  ordentlichen  Professoren  vertritt  1  ilil 
Anatomie,  1  die  Histolo^ne,  1  die  Physiologie,  1  die  medicinische  ( 'hpinie,J 
1  die  niedicinischi*  Naturgeschichte,   l  die  niedicinische  Physik.   1  th 
Pharmakologie,  1  die  allgemeine  Pathologie  und  Therapie,  1  die  Aixnei 
mitteUehre,    1   die  intiTne  und  2  die  ^^\terne  Pathologie,  1   die  patk« 
logische  Anatomie,  1   die  vergleichende  und   experimentelle  Patholggi 
1  die  Geburtshilfe  unil  Gynäkologie,  1  die  chirurgische  Oporation^ule; 
1  die  Hygiene.    1  die  gerichtliche   Medicin  und  1  die  Geschichte  d 
Modicin,  während  4  die  chirurgischen,  4  die  internen  Kliniken,  1 
gynäkologische  Klinik,  1  die  Klinik  der  Kinderkrankheiten^  1  diejtiaii 
für  Geschlechtskrankheiten,  1  die  ophthalmiatrische,  1  die  psychiatrischi 
Klinik  und  l  diejenigi^  für  Nervenleiden  leitet.  Sie  hesdehen  je  15  000  i) 
jährliche  Besoldung  und  werden  auf  Yorschlag  der  Facultüt  m^  A 
Zahl  der  Agrege^  ernannt. 


{ 

I 


F^ankrmch. 


441 


Die  letzteren  unterstützen  und  vertr«ten  die  Ordinarien  beim  Unter- 
richt und  bei  den  Prüfungen  und  erhalk^n,  wenn  sie  einen  Lehranftra^ 
f*a,  ßOO*)  !•>.  jährlichen  Gehalt.  Sie  werden  in  ^{  Klassen  geschieden, 
tiUch  in  die  Agreges  gtagiaires,  en  exereise  und  libres.  In  den  ersten 
drei  Jahren  nach  ihrer  Ern<"nnunjj:  fiaben  sie  weder  Rechte  noch 
Pfiicht-en  und  werden  stagiaires  genannt  Hierauf  rücken  sie  in  lüe 
Uidhe  der  activen  Agreges^  vor,  deren  Zahl  derjenigen  der  Ordinarien 
l^leich  Ist;  ab^  Airregi'-js  en  exereise  ?üind  sie  zu  Yorlesungen  verpflichtet, 
irirken  als  Examinatoren  und  werden  besoldet,.  Nachdem  sie  in  dieser 
Eigenschaft  6  Jahre  oder  auch  langer  thätig  gewesen  sind,  treten  sie 
zu  den  Agreges  libres  über,  welche  weder  zum  Unterricht  noch  zu 
dunstigen  Dienstleistungen  genöthigt  werden,  keinen  Gehalt  beziehen 
und  nur  den  Vortheil  haben,  dass  sie  gleich  den  übrigen  Agreges  zu 
Ordinarien  vorgeschlagen  werden  können. 

Die  Beorderung  zu  Agreg«.^  erfolgt  auf  Grund  eines  Concurses 
?r  Bewerber,  der  aber  nur  in  Paris  statttindet.  Früher  war  der- 
Itich  hei  der  Besetzung  der  Ordinariate  üblich;  seit  1852  ist  er 
jedoch  auf  die  Wahl  der  Agreges  und  undere  derartige  Stellen  be- 
^hmukt  Am  Concurs  darf  sich  jeder  prumovirte  Arzt  betheiligen, 
jelcher  der  französischen  Nation  angehört  und  das  25.  Lebensjahr 
ickgelegt  hat.  Zu  diesem  Zweck  üljerreicht  er  einer  aus  Professoren 
^d  andern  Gelehrten  zusammengesetzten  Commission  seine  wissen- 
tschnftüchen  Arbeiten,  liefert  unter  Gkiusur  und  ohne  Benutzung 
liti^rarischer  Hilfsmittel  eine  schriftliche  Arbeit  ülier  eine  Frage,  die 
ihm  vorgelegt  wird,  un(i  halt  einen  Yortrag,  dessen  Thema  er  drei 
Stunden  vorher  erhält,  Diet'ommission  trifft  hierauf  nach  den  Leistungen 
4er  Candidaten  eine  Auswahl  unter  denselben,  sodass  die  Zahl  der  Be- 
rber um  jede  freie  Stelb*  nicht  mehr  als  drei  beträgt.  Dieselben 
rden  nun  nochmals  einer  Prüfung  unterworfen,  die  inis  praktischen 
üaten^uchungen,  aus  einer  Vorlesung  und  einer  Abhandlung  über  ein 
oes  Thema  besteht,  welches  binnen  einer  bestimmten  Zeit  fertig 
werden  muss. 

Die  Bewerbung  um  das  Agregat  geschieht  nicht  für  ein  einzelnes 
Fach,  sondern  für  eine  bestimmte  Summe  von  Disciplinen.  Die  Agregeu 
sdieiden  sich  demgemiijss  in  4  Abtheilungen;  die  erste  umfasst  die 
Auatomie  und  Physiologie,  die  zweite  die  Nafurwissenschaften^  Physik, 
<.*henne  und  Pharmakologie^  die  dritte  die  Pathologie  und  Therapie, 
mteme  Medicin  und  St^atsarzneikunde^  und  die  vierte  die  chirurgischen 
Fächer  nel>st  der  Geburtshilfe.  Im  J»  1884  bestand  der  Lt^hrkorper 
der  medicinischen  Facultät  zu  Paris  ans  12il,  zu  Lyon  aus  64,  zu 
Bordeaux  ans  50,  zu  Douai-Lille  aus  45,  zu  Montpellier  aus  43  und  zu 


Nancy  aus  41  Profe8fiK>reii.    Die  Facoltat  zu  L?on  haUe  nidil  wi 
%h  25  Ortlinanen. 

Km  ergiebt  sieb  daraos,  das^  die  medicinischen  Schulen  FranJ 
mit  lA^hrkräften  reichlich  ause^attet  sind,  und  das»  die  R- 
dUm*j\    Zwt'*ik    kein»/  AiisgalMfU    scheut      In   Paris   zahlt   n 
mldung^n  der  Profos^Koren  der  iiiediciüi.'R'hen  Fai^ultat  nahezu  700 
jabrlich,    einn  Summp,   hint»?r  welcin^r  die  Budj^ets  d*'r  medid 
Fiicultiilen  in  iminchen  anden^n  Landern  weit  zurück bleilieu* 
vortrefflich  ist  für  die  lA^hrmittel  *ler  medicini^hen  Facultaten  g** 
Die    medicini.-iflK^T»   Leliranstitlten  zu   I'aris  und   Lvcm^  welche  ich 
tM^^'ener  Ansehauung  kenne,  sind  musterliaft  eingerichtet 

Der  Unterrieht  in  Paris  wird  theil»  aa  der  Ecole  de  mrii 
wo  die  thi'on'tisclien  Vorlc'^nn^'en  der  Professoren  stattfindt-n,  theil 
der  Kcole  prati<[Ue,  in  welcher  die  Institute  für  praktisehe  Arl 
vereinigt  8ind,  theils  in  den  verschiedenen  Hospitiilern,  in  denen  sick 
Kliniken  lielind«'».  erOreilt.  Die  ^^ro.ssen  luftigen,  mit  Licht,  tiiessendem 
Wa^iMT  und  and^i'en  Hinrichtungen  versehenen,  den  hygienischen  An* 
forderungen  der  heiitii^'en  Zeit  ent^iprwkenden  Secir-Säle  enthiilt#ii 
BH*J  ArUHt<pl;Uz«\  Nel>en  »lein  Direktor  der  Anstalt,  welcher  / 
eine  anatomische  Professur  verlieht,  wirken  hier  8  Prusect4JiM .. 
24  A^^sUtenten,  welche  den  Studierenden  die  Anleitung  zu  den 
tomischrn  Zergliederun^n^n  geben  und  sie  dabei  überwachen,  Aoi 
di*rn  halt  jed(T  der  IVosi^i^toren  wöchentlich  H,  jeder  der  Asüistiaii 
woch<mLlich  eine  A'orlesunt,%  deren  Th4ana  sich  nach  einem  vom  Uin?k* 
tar  entworfenen  I'kiie  richtet.  Diese  Vorlriii^'e  der  I*ro.s«*cU»reii  iiütl 
Assistanten  schliessen  sich  an  einander  an  und  bieten  in  ihrem  Z«. 
nanmienhange  eine  volLständijre  Übersicht  der  anatomiischen  Wisneii- 
«ohaft;  sie  bilden  den  Schwerpunkt  des  anatomischen  rnterricbts.  Die 
8telb*n  der  Proscctoren  und  Assistenten  w**rderi  durch  T'oncurs  bebtet 
Wer  sich  um  das  Prosectorat  bewirlit,  muss  promovirter  Arzt  sein  und 
»ich  dann  einer  schriftlichen  und  miindlichen  Prüfung  über  ADatoniir, 
Hislnloi^ne,  Phv?^i<doj.q<'  und  uperative  (')iinirgie  unterziehen,  ein 
tomisclies  und  ein  histologisches  Prslparat  anfertigen  und  zwei  chi 
gische  Operationen  an  der  Leiche  uiLsführen;  tlie  SteUen  der  A&iiste&ten 
wt^nlen  (dienfalls  im  Wetiho\verl>  Vi-rliehen  und  zwar  an  ältere  tücl 
Studenten.  

Die  Studierenden  sind  verjdlicbtet,  in  den  anatomischen  Voi 
der    Prosecloreu     und    Assistenl^ii    und    l»ei    den    Secir-Übungi^ 
weicht^    islglicli    dn^i    Stinideji    v*Twendet    werden,   regelmässig   m 
scheinen,  und  setzen  sich  manchen  Fnannehmlichkeiten  aus,  wenn 
es  iinterhissen. 


ßronkfcit^. 


443 


Die  |>r;ihiisriic  Besehäfti^ng  in  der  anatomischen  Schule  nimmt 
dn?i  Winter  in  Anspruch:  in  den  beiden  ersti^u  wird  die  normak* 
AnaUiioi^'  des  Menschen,  im  letzten  die  chirurgische  Üperation&kunHt 
der  T>*ichc  stmli*^rt.  Die  Studierenden  zahlen  dafür  ein  Honumr 
1(K)  Frani>.  Das  reiche  Lehrmaterial  die  strenge  <  VmtroUe  d»^s 
Besuche»  und  Fleisse«  der  Schüler,  die  (mge  Verbindung  zwischen 
Tl'^  ihI  Praxis,  die  A^erwerthunfr  der  anatomischen  Thatsachen  für 

dl*  ,  -che  Heilkunde,  besonders  für  die  Thirurgie,  und  die  fort- 
währende persönliche  Unterweisung  durch  den  Lehrer  führen  zu  aus- 
gezeichneten Resultaten.  Die  Pariser  Studenten  der  Medicin  erwerben 
im  Al%emejnen  recht  gute  Kenntnii^se  in  der  Anatomiej  welche  für 
ihre  wdtere  fachmännische  Ausbildung  wie  für  ihre  spätere  ärztliche 
Pmiis  nnj^chätzl)are  Vortheile  haben. 

Für  die  Professoren,  die  Huspitalarzte  und  ihre  Assistenten  besteht 
fn  Pari^  noch  ein  besonderes  anatomisches  Institut,  welches  mit  der 
für  Sludenten  bestimmten  Ecole  pratiqiie  in  keiner  Verbindung  steht, 
at>er  von  einem  Professor  der  Anatomie  und  seinen  Assistenten  geleitet 
und  zu  Sektionen,  chirurgischen  Operations-Übungen  und  wissenschaft- 
lichen Untjersuchungen  benutzt  wird» 

Fxu  den  Unterricht  in  der  Physiologie,  Histologie,  Physik,  Chemie 
den  Naturwissenschaften  sind  Laboratorien,  Sammlungen  und 
Arbeitsräuine  vorbanden;  auch  das  Museum  d'histoire  naturelle  und  der 
liotanische  Garten  flienen  diesem  Zweck. 

Am  College  de  France,  sowie  an  der  Ecole  nonnale,  einer  Bildungs- 
anstalt für  t-andidaten  des  höheren  Lehramts,  l)estehen  ebenfalls  Lehr- 
axeln  tiir  die  Physirdogie  und  die  Naturwissenschaften.  Ihre  Inhaber 
PH  Vorlesungen,  deren  Besuch  den  Studierenden  der  medicinl^chen 
Fiicultät  leicht  ermöglicht  wird. 

Die  14  Kliniken,  welche  unter  der  Leitung  der  Ordinarien  stehen 
aml  «omit  dem  oföciellen  Unterricht  eioverleibt  sind,  sind  nicht  in 
t*beoi  Krankcnhause  vereinigt,  sondern  auf  das  Hotel  Dieu,  die  t'harite, 
Piti»%  die  Cliniriuo  d'aecouchements,  das  Hopital  des  enfants  malades, 
Kapital  Neckar,  Cochin  und  du  Midi  und  die  Salptitriere  vertheilt.  Jeder 
Studierende  der  Medicin  ist  verpthchtet,  wälirend  der  beiden  letzten 
Ire  seiner  Studienzeit  regelmässig  an  den  arztlichen  Besuchen  in 
?m  Krankenhause  Theü  zu  nehmen  und  kleine  Dienste  zu  verrichten, 
welche  ihm  dort  übertragen  werden.  Die  Leitung  der  Assistance 
blique  überweist  die  Mediciner,  die  sich  zu  diesem  Zweck  bei  ihr 
iden,  an  die  versidiii*denen  Pariser  Hospitäler. 

Ähnlich  wie  in  Paris  gestalten  sich  die  Verhältnisse  an  den  übrigen 
tichiiecheu  FacultÄten  und  Schulen  Frankreichs. 


444 


Ikr  m^ioinmhe  Dinimrioki  m  der  neuestmi  Zm4, 


Der  SkuliereiKlfi  iler  Modicin  muss  sicli  beim  Beginn  seiner  fach- 
mimnischeii  iStinlieii  dariiUer  ausweisen ^  <1aas  er  eine  genugende  «Qh 
^'eineine  Vorbildung  erworben  hat.  Es  wird  aas  diesem  Grunde  rerlajigl; 
dass  er  das  DiploTn  Mines  Ba4?h»Hier  i*^  lettre«  fjesiüt^  welches  ungefsir 
dem  A)iiturienteii-Zeu|3^niss  der  deutschen  Oymnasien  entspricht,  und 
ausserdem  dm  Baccalaureat  t^s  seiences  in  Bezu^  auf  die  MathemiA 
und  die  Natur  Wissenschaften  erlaubt  hat.  ^ 

Die  Studienzeit  der  Mediciuer  dauert  4  Jahre;  sie  zerfallt  iiidt 
in  Semester,  sondern  in  t  'urse  von  2  oder  3  Monaten^  welche  in  mm 
Vürpeschrieljeneu  Reibenfoltre  besucht  werden.  Ebenso  !<ind  die  prak- 
tischen Arbeiten  in  der  Physik,  Chemie  und  den  Naturwissenschaften 
im  ersten  Jahre,  in  der  Anatonne,  ]{i.stolog'ie  und  Physiologie  im  zweiten 
und  dritten  Jahre  und  in  der  pntholugischen  Anatomie  nebst  den 
chirurgischen  OperationsübuniBren  und  dem  IJesuch  d»-r  Kliniken  nnii 
der  HoEpitaler  (Stage)  im  vierten  Jahre  obligat 

Die  PrüfuriKcn  aus  den  einzelnen  PYichern  fanden  froher  am 
Snhluss  jedes  Jahres  statt  Im  J.  1B78  wurde  dies  jedoch  aufffeh^ben 
und  dafür  die  Einrichtuntr  ^etroften,  dass  5  Examina  abjjelesrt  weni^n^ 
von  denen  das  erste  über  Physik,  fhemie  und  Naturge.schichte  handelt 
und  am  Schluss  des  ersten  Jahrc^s,  das  zweite  die  Anatomie,  Hi«l<.iiügie 
und  Physiologie  unifasst  und  theils  im  Verlauf,  theils  am  Endt^  im 
dritten  Jahres  erfülgt  Das  dritte  Examen  betrifft  <lie  chimrinsche 
Patb^ilogie,  Geluirtsbilfe  und  Operationskunst,  ^owie  die  allgemeine 
l'athologie  tmd  <lie  l*athologie  der  inneren  Krankheiten,  das  vierte  die 
Hygiene,  gerichtliche  Medicin^  Thera]>eutik,  Materia  medica  und  Pbanoft- 
kologie  und  das  fünfte  best-eht  in  der  Untersuchung  und  P  ^:  "  **MTiif 
vuu  Krankheitstallen  in  der  chirurgischen,  internen  und  gebui  u.« 

Klinik  und  in  der  Auisführung  einer  pathologisch-anatomischen  8ektiim 
Desgleichen  muss  der  r*andi<lat  seine  Kenntnis.se  in  der  nommlei 
Anatuuiie  durch  die  Anfertigung  eines  Präparats  und  seine  chirurgi^cb« 
Gewandtheit  durch  die  Ausführung  einer  Operation  an  der  I^eidie  be- 
weisen. Endlich  ist  er  yerptlichtet,  eine  Dissertation  über  ein  \*'-  ' 
gewähltes  Thema  auszuarbeiten  und  der  Pacultat  vorzule^'err,  f 
wird  er  zum  Doktor  der  Mediein  promovirt.. 

Wer  das  Ofticiat  de  santi^  anstrebt  bedarf  eine  gennger**   ■  " 
bildung;    es    wird   verbingt,   dass   er  eineu   franzrtsischeu  An 
orthographische    Fehler  anfertigt  und  über  die  wichtigsten  Thatsachen 
der  NaturwissenschafteTu  Physik  und  f 'hemie  Auskunft  zu  geben  vermair. 
Die  Studienzeit  für  die  i^föciersde  simtr  befragt  ebenfalls  4  Jahre.   Ik: 


Programme  de  rexamen  baccalaurtnit  vb  tieieiiees,  PaHs  lbS5. 


Ifriirplan  ist  un^efihr  derselbe  wie  für  die  künftigen  Doktoren  der 
Meiircin,  nur  treten  die  tiieoreti^^h-wisäeiii^e.haftlichen  Studien,  besonders 
in  (ier  HiÄtolugie,  Physiologie  und  pathologischen  Anatomie  mehr  zurück. 
Den  gleichen  ('harakter  zei??ett  auch  die  Prüfungen,  welche  sich  auf 
die  Hauptfiioher  beschranken.^ 

Die  französischen  Militärärzte  wurden  früher  in  Strassburg  aus- 
trebildet,  wo  sie  die  Yorle^ungen  an  der  dortigen  medicinischen  Facultät 
i^e^chten.  Im  J.  1872  wurde  bestimmt,  dass  die  militararztlichen  EleTen 
an  11  medicinische  Schulen  vertheilt  und  dort  mit  den  üfjrigen 
Slndierenden  zusammen  unterrichtet  würden;  aber  1883  hat  man  statt 
deiMQ  für  die  Militärärzte  2  Ecoles  preparatoires  du  Service  de  sant^ 
zü  Bordeaux  and  Nancy  errichtet:  ihre  Zöglinge  nehmen  an  dem  Unter- 
richt der  dortigen  medicinischen  Facultat^n  Theil»  müssen  5  Jahre 
gtadiereD  und  werden  von  älteren  Militärärzten,  welche  ak  Repetitoren 
für  die  einzelnen  Lehrgegenstande  wirken,  beaufsichtigt  und  in  ihren 
Stodien  unterstützt,  AVenn  sie  die  letzteren  absolvirt  und  d**n  Doktor- 
Grad  erlangt  haben,  werden  sie  zur  Vervollständigung  ihntr  fachwissen- 
neihaltliehen  Bildung  der  mit  dem  grossen  Militär-Kran  kenhause  zu 
Tai  de  Gr&ce  verbundenen  Ecide  d'application  überwiesen^  wo  sie  dtirch 
8  Monate  Dienste  im  Spital  leisten  und  in  der  praktischen  Heilkunst 
Ei&hrungen  sammeln. 

Das  medicinische  ünterrichtswesen  Frankreichs  hat  nahen  manchen 
Vorzügen,  unter  denen  die  vortrefFliche  anatomische  und  klinische  Aus- 
bildung der  Studierenden  hervorgehoben  werden  muss,  auch  einige  be- 

inswerthc  Mängel   So  erscheint  es  seltsam^  dass  nach  dem  Lehrplan 

enste  Studienjahr  vollständig  den  HiUswissenschatten  der  Medicin 
gewidmet  und  mit  dem  B<'such  der  Vorlesungen  über  Anatomie  erst 
im  zweiten  Jahre  begonnen  wird.  Dadurch  wird  das  Studium  der  Heil- 
kande  seilest  auf  3  Jahre  zusammengedrängt,  innerhalb  deren  die  Auf- 
iiibllie  des  reichen  ünterrichtsstüHes  nicht  mäglich  erscheint. 

Da  die  zweite  Prüfung,  welche  über  Anatomie  und  Physiologie 
handült,  in  das  Ende  des  dritten  Jahres  tallt.  und  die  Vorbereitung 
flifür  die  Studierenden  bis  dahin  hauptsächlich  beschäftigt,  so  bleibt 
fSr  die  Ausbildung  in  der  praktischen  Heilkunde  nicht  viel  mehr  als 
«in  Jahr  üVirig.  Die  Verlängerung  der  gesetzlieben  Studienzeit,  welche 
öbrigtJELs  auch  durch  die  drei  letzten  Prüfungen  herbeigeführt  wird, 
«rgiebt  mch  daraus  von  selbst. 

Ein  weiterer    Übelstand    des  medicinischen    Unterriohtswesens   in 


rudientions  sotnmairea  dca  coDditions  A  n?mpUr  pour  robtention  des  grade» 
:  «ioctear  co  mMeuiDe,  dofficier  de  suntr  etc.,  Parie  1884. 


Fninlrracli  li^pt  in  der  Art.  wie  der  Lelirknrjier  d«*r  inediriMT  ' 
Schulen  ausgewjihlt  und  zusammengeaetzt  wird.  Dor  (.'oncuri;;, 'ii  ., 
bewörbung,  schützt  allerdings  mehr,  als  andere  Formen  der  BtMetzung 
erledigtfT  Stellen  vor  ungerechten  Bevorzugunjür«'n,  Prot^ektion  und  Vetter- 
Schäften;  auch  ist  er  in  Fällenj  wo  es  sich  um  das  Agregat^  dai*  Amt 
eines  Proseetors  oder  A&ü:^tenten,  also  um  die  Zulassung  zur  akademificbeii 
I^^hrthatigkeit  handelt^  im  Allgemeinen  gewiss  l>erechtigt  und  *'»«  vor- 
treffliches Mittel,  die  Fähigkeiten  und  Kenntnisse  der  einzelnen  <.'äii- 
(iidaten  kennen  zu  lernen  und  abzuwägen.  Aber  die  BeschTfmkung  *ißr 
Auswiihl  dt-rsf^lh^^n  auf  eine  bestimmte  Zahl  erscheint  un/wt»ckinRÄUfj 
da  es  nicht  möglich  ist,  unter  mehreren  y>iemljch  gleichmiii^ig  qoiili* 
licirten  Bewerbern  eine  Entscheidung  zu  treflen,  welche  den  Farderuni,ieii 
der  tterechtigkeit  und  Billigkeit  vullkummen  enti^pricht,  und  der  wi^wo- 
sehatYliche  tiehalt  der  rnndidaten  in  den  einzelnen  Jahren  bedeutende 
Verschiedenh<iten  aufweist. 

Ebenso  wenig  lasat  sich  die  Eintheilung  der  Bewerber  um  i\^ 
Agregat  in  die  4  Orufipen  nach  den  verschiedenen  Fächern,  wie  sie 
p^genwärtig  besteht,  rechtfertigen;  denn  manche  Disciplin,  wie  z.  B. 
die  Geschichte  der  Medicin^  die  Hygiene  und  die  8tiifttsariueikun<k> 
kann  mit  demselben  Becht  in  die  eine  viit'  in  die  andere  Kla^tse  ^«^ 
zugen  werden.  Dureh  die  Jetzige  Einrichtung  wird  vielhncht  ein  Ge- 
lehrter, der  auf  seinem  Specialgebiet  Hervorragendes  geleistet  hat,  dCT 
akademischen  Lebrtliätigkeit  femgehjilteiK 

Geradezu  schfidlich  ist  die  gesetzliche  Anordnung,  duÄS  die  CVm* 
curse  für  die  Stellen  der  Professeurs  agregiVs  an  sümmtUchen  modiciniseh«!» 
Facultiiten  und  Schulen  Frankreichs  in  Paris  statttinden.  Dadureli 
werden  die  ('andidaten^  welche  ein  Leliramt  in  den  i'rovinzen  anstreben, 
zu  längerem  Aufenthalt  in  Paris  und  unnnthig«n  Ausgaben  genöthirt 
die  medicinischen  Facultäten  und  SchnVn  mit  Ausnahme  der  Panier 
in  ibrem  Ansehen  und  ibren  Interessen  gcsrhadigt,  indem  die  l^au 
Scheidung  übt^r  wichtige  Besetzungsfragen  Personen  übertragen  mni, 
welehe  die  lokalen  Bedurfnisse  nicht  kennen,  und  endlich  der  Pariser 
l'acultät  mit  den  iJoncursprüfungen  eine  grosse  Last  aufgt^bflrdet,  lift 
um  80  schwerer  wiegt,  als  rfe  durch  die  [Prüfungen  der  Menge  Ton 
Stuilierenden  in  Paris  ohnehin  schon  allzusehr  in  Anspruch  genommen 
wird.  Aus  diesen  Gründen  wurde  schon  vor  längerer  Zeit  verlangt, 
dass  die  Ooncursprüfungen  nicht  blos  in  Paris,  sondern  an  jedmr 
medicinischen  Fa<*ulfcät  abgelegt  werden,  der  Lehrkörper  jeder  nifr 
dicinischen  Schule  das  Recht  erhalte,  die  Vorschläge  für  die  Besetzung 
der  Stellen,  welche  an  derselben  erledigt  sind,  zu  erstatten,  und  die 
Ca/?djdaten,   welche   im  Cotic*\tt%  Aw   K.w'i>TV^\iw\\?ö%  dsx  fA&mioaUiteii 


r¥ü/l%kf€Wh, 


447 


,  nicht  Wos  an  flner  Facultät,  sondern  an  sämmHicben  mo- 
'ü  Schulen  zimi  Lehramt  zugehi8s<jn  werden,  ohnf  diiss  sie 
Dothigt  werden,  sich  in  jedem  Falle  wieder  einer  neuen  Prüfiingf  zu 
ftnteraehen.* 

Bei  der  Besetzunir  d*T  Ordinariate  hat  man  mit  Recht  den  noncurs 
Ijgeschafflt.;  denn  hier  handelt  es  sich  nicht  um  Leute,  deren  Tüchtig- 
keit als  Lehrer  und  Forscher  »^rst  erprobt  werden  mnss,  sondern  um 
Gelehrte,  deren  wissenschaftliche  Leistuni^en  in  den  Kreisen  der  Fach- 
männer allgemein  bekannt  sind.  Jede  medicinische  Schule  muss  dar- 
nach trachten,  für  diese  Stellen  die  btNten  Kräfte  zu  trewinnen,  welche 
m  erlangen  kann. 

Es  ist  daher  keineswegs  zu  billigen,  dass  die  Lehrkörper  bei  den 
VoTHchlägen,  die  sie  zu  diesem  Zweck  dem  ^linister  unterbreiten,  auf 
die  Professeurs  agreges,  welche  an  der  betr<*ftenden  Facultfit  angest4?llt 
sind,  beschrankt  werden»  Dies«»  Massregol  führt  zu  einer  lokalen  Ab- 
geschlossenheit der  medicioisehen  Schulen,  bei  welcher  die  Getahr  einer 
p»ist!c:en  Erstarrung  nahe  liegt»  Gerade  der  Austausch  der  Theorien 
udJ  Lehrmethoden,  welcher  durch  den  Wechsel  der  Lehi'kräfte  hervor- 
gerufen und  V>egünstigt  wird,  erhält  das  geistige  Lehen  frisch  und  für 
jede  fruchtbringende  Anregung  eraptanglich.  Dagegen  mag  es  bei  der 
jetzigen  Einrichtung  nicht  selten  vorkommen,  dass  ein  henrorragender 
Tiflehrter,  der  an  einer  kleinen  Hochschule  in  Frankreich  thatig  ist, 
einem  grosseren  Wirkungsk'reise  entzogen  wird^  in  welchem  er  für  die 
Ittssenschuft  und  den  Staat  rie!  «lutes  schaffrn  wrirdr\  —  Es  erscheint 
m^  nothwendig,  da^ss  die  Facultäten  in  dieser  Beziehimg  von  jeder 
Mchrünkung  befreit  werden  und  bei  ihren  Vorschlägen  für  die  Besetzung 
erledigter  Ordinariate  die  Ordinarien  und  Agregcs  sammtlicher  mediei- 
liischen  Facultäten  und  Schulen  ins  Auge  fassen  dürfen.  Sollte  ein 
Hann,  der  bisher  der  akademischen  Lehrthätigkeit  fern  stand,  in  einem 
»e^oöderen  Falle  als  der  geeignetste  Candidat  für  <iie  Professur  erscheinen, 
»  wird  man  auch  diese  Wahl  billigen.  Ausnahmsweise  geschah  dies 
L  B,.  als  die  i.  J.  1870  zu  Paris  gegründete  Protessur  für  Geschichte 
ler  Medicin  dem  ausgezeichneten  Kenner  der  griechisch^^n  Heilkunde, 

Dakembebg,  übertragen  wurde.  Man  sollte  in  Frankreich  die 
erhältnisse  und  Zust^inde,  welche  in  dieser  Beziehung  in  Deutschland 
d  Osterreich  bestehen,  studieren  und  Da.s,  wa^  an  ihnen  nachahmungs- 
erth  er»cheint>  auch  dort  einführen. 

*  Revue  international«  de  renöeignemeiit,  Paris  1882,  T*  HL  p,  126,  533.  — 
lEEiFiTs-BfusAAc:  Rev.  int.,  Parie  ]8öT,  T.  XIV,  p,  469  «,  W. 


Österreich  -  Ungarn, 


Das  medicinische  Unterricht^^wesen  in  Österreich  wurde  eist 
18.  Jahrhundert  von  den  mittolaiterlichen  Farmen  befreit,  wclchp 
in  seiner  Kniwiclcelong  beengt  und  is'eheinmt  hatten.  Das^lbe  lag 
duhin  gi'mzlich  in  den  Händen  der  ärztlichen  Zunft,  der  Vereinij 
.'iller  pruniovirten  Ärzte,  welche  als  Facult^t  bezeichnet  wurde;  fon 
wurden  mehrere  Mitglieder  zum  Lehramt  gewählt,  die  vom  Univemi 
Cunsistiiriuni  die  Bestätigung^  empfingen. 

In  dein  letzteren,  welche.^  ungelTihr  unserem  heutigen  Univemt 
Senat  entjäprach,  hatte  der  klerikale  Kinlluss  das  Übergewicht^  nachi 
der  Jesuiten -Orden  in  der  Sanetio  pragmatica  v,  J.   1623  einen 
scheidenden  Eintlusy  auf  das  ge;5ammte  Krziebungswesen  erlangt  hi 

Die  Professoren  der  Medicin  bezogen  karge  Besoldungen  und  w, 
daher  genütbigt,  sich  durch  ^lie  är/ilicbe  IVaxis  den  nothwendi 
Leliensiinterh;ill  zu  erwerben.  I)<irb  waren  auch  ihre  wissenselmfUii 
Leintungen,  von  wenigen  Ausnahmen  abgesehen,  unbedeuteud. 
cinr*m  Bericht  über  die  Universität  Wien,  welcher  i.  J.  If588  an  die^ 
Regierung  erstrittet  wurde,  heisafc  es,  „dass  in  dieser  Wienerischen  Unt 
versität  so  viel  Jahre  hero  von  denen  Prufessoribus  in  Jure  et  McdioM 
gar  wenig  gehört  wnrden,  dasa  selbige  ihre  Scienz  am  Tag  g'^.g^\m 
und  in  Druck  hatten  ausgehen  lassen,  als  wann  die  WienerLscht'  Uni* 
versitÄi  in  Schlaf  liegete  oder  gar  kein  solches  Studium  mehr  zu  Wien 
wäre.  Da  herentgegen  kundbar,  wie  vigilant  und  embsig  die  Professor» 
bei  anderen  hohen  Schulen  in  Teutschland  waren,  was  für  schone  Böcher 
selbige  beschreibet^n  und  was  für  nutzimre  opera  sie  in  Druck  auCietzcD 
und  publiciren  lasseten,"' 

An  den  für  das  Studium  der  Medicin  erforderlichen  Ijehnnitt«!» 
und  Instituten  fehlte  es  gänzlich,  und  sell>st  die  Vorlesungen  wurden 
so  unregelmassig  gehalten,  dass  die  Nachlässigkeit  der  Lehrer  der  M»** 
dicin  DJHiJ  und  1727  von  der  Regierung  eine  Hüge  erfuhr.  Verscliiedcoe 
Versuche,  welche  H>21*,  UiH7  und  1726  zur  Beseitigung  der  vorhan- 
denen Übelstände  unternommen  wurden,  blieben  erfolglos.  Im  J*  1718 
schlug  die  niediciniscbe  Faciiität  zu  Wien  vor,  die  praktische  Unter 
Weisung  am  Krankenbett,  pathologisch-anatomische  Sektionen  und  rey:cl 
massige  Secir-Übungen  in  den  Unterricht  aufzunehmen,  ein  Collegiuiü 
ch>micum,  sowie  einen  botanischen  Garten  einzurichten,  Assistanten  und 
Ililfsärzte    an    den   Ivranktnhäusern  anzustellen,    die  Besoldungen  der 


^  Kmit:  GcÄchichte  der  üniveraitiit  ««  Wien,  Wien  1854,  I^  StS» 


ÖfftorroftoA- C^arn. 


449 


QfesBor^n  tu  erhriheti  nnd  bcrvorragrende  Lehrkräfte  von  auswarte  zu 
bcnilen,  * 

Ab«r  die  *SciheUy  weicht*  die  regienrndf^n  Kreise  vor  dem  Wech8t4 
dfc*  Hystems  he^en,  und  der  Mangel  an  den  für  die  erforderlichen 
Einrichtungen  nottwondigeu  (ieldmittdn  verhinderten  die  Aui^führun*? 
diesf^r  VoTSchläge.  Die  grosse  Kaiserin  Maria  Theresia,  die  in  den 
schweren  Bedrängnissen  und  Kriegen,  welche  ihren  Thron  erschütterten, 
die  Kühe  und  Kraft  des  (feistes  land,  um  un  VerlieHserunk^en  der  Ge- 
>^etzgehung  nnd  der  Verwaltung  zu  denken/  wandte  auch  diesem  Gegen- 
tand»^  ihre  Aufmerksamkeit  zu.  8ie  hr-auft-ragte  ihren  Leiharxt  (fRRHAnu 
rAN  KwiETKN%  wtdcher  ihr  volles  Vertrauen  genciss^  n^it  der  Unter- 
suchung der  Gebrechen  des  medicinischen  Unterrichts  an  der  Wiener 
Hmrhschule,  In  d«^m  Bericht,  den  derselbe  darüber  verftisste,  wies  er 
auf  die  Ursache  der  Missstande  hin,  dii^  er  in  der  Abhängigkeit  der 
UniTersität  von  der  Kirche  und  der  Zunft  fand.  Er  verlangte  vor 
lern,  dass  der  Staat  der  unumschränkte  Gebieter  in  seinem  Hause 
ad  das  ärztliche  Erziehungswesen  leite  und  überwache.  Die  Au- 
welche  er  zu  diesem  Zweck  der  Kaiserin  unterbreitete,  erhielten 
55?  Zustimmung,  obwohl  sie  dabei  vielleicht  Überzeugungen,  die  ihr 
durch  Tradition  und  Erziehung  tbeuer  geworden  waren,  zum  Opfer 
bringen  musste. 

In  dem  Reform-Edikt  vom  7.  Februar  1749  wurd«^  bestimmt,  dass 
die  Eniennung  der  Professoren  der  M<'dicin  fortan  nicht  mehr  vom 
Uuiversitiit^-Consistorium,  sondern  von  der  Kaiserin  vollzogen,  die  6e- 
UteT  derselben  in  angemessener  Weise  erhöht  und  aus  den  landes- 
Irstlichen  Kassen  bezahlt  und  ihre  Dienstleistungen  und  der  gesammte 
fntirricht  von  einem  Direktor,  der  die  Regierung  vertrat,  IxMiufsichtigt 
erden.  In  Wien  übernahm  G,  van  Swjete^'  selbst  dieses  wichtige  Amt; 
anderen  Facultäten  wurde  es  hohen  Hanitntsbeamten  übertragen. 
Sie  führf-en  auch  den  Vorsitz  in  den  Versammlungen  der  Zunft-CoUegien 
und  bei  den  Prüfungen  der  Ärzte,  Chirurgen,  Apotheker  und  anderer 
Klflssen  des  Heilpersonals. 

Gleichzeitig  wurden  die  medicinischen  Facultäten  mit  den  erforder- 
lichen I/chrmitteln  ausgestattet.  In  Wien  wurden  ein  botanischer  Garten 
und  ein  chemisches  Laboratorium  gt^schaffen,  und  die  regelmässigen 
Becir*Übungen  und  der  klinische  Unterricht  eingeführt.  Die  Promotions- 
Feierlichkeiten,  welche  wegen  der  damit  verbundenen  kirchliehen  Cere- 
nionien  den  beträchtlichen  Aufwand  von  lOUü  Gulden  verursacht  und 


'  EosAJi:  Geschichte  der  Wiener  Hochflchule,  Wien  1843,  11,  232. 
•  V.  Arkktii:  Maria  Theresia«  erete  Regier« tig^ahre,  Wien  1863*-T9,  10  Bde. 
r^tcUMAlTK,   Üntrrrlchl.  29 


in  Folge  dessen  viele  Studierende  genÖtluiBrt.  hatt-en,  sich  die 
Würde  im  Aiishinde  zu  crwerbeUj  wurden  vereinfacht  und  auf 
ordentliche  Fälle  b«.*schränkt^  und  das  ganze  Prüfonpwesen  durch  geniue 
Vorschriften  geregelt 

Nach  dem  Muster  lier  niedicinischen  Facultat  in  Wie»  wurden 
Iniltl  darauf  auch  die  übrigen  medicünschen  Facultaten  des  Bmhm 
reorgani^irt  und  mit  T.ebrkanzrln  und  AnstaUen  versehen,  G,  x\% 
SwiETKN  trat  an  die  8[)itzi*  des  ganzen  Medicinalwesens  und  erlangte 
einen  Einlhiss^  der  sich  auf  alle  Zweige  der  Ünt4:»rrichts-Verwaltiini^ 
erstreckte. 

Mit  der  Thronbesteigung  des  Kaisers  Josef  II.  begann  eine  R^riudf 
rasch  aufeinander  folgender  und  sieh  manchmal  überstürzender  Neoe^ 
rungen  auf  (liesf-m  Gelviet.  Alle  Beschrankungen,  welche  die  VerleiliUüij 
akademischer  Grade  an  Nicht-Katholiken  erschwert  hatten,  wurden  auf- 
gehoben und  derselben  jeder  religiöse  Charakter  genommen,  die  Bosol- 
dungs-  und  Pensionsverhaltiiisse  der  Professoren  im  Einklang  mit  d«*n' 
jenigen  der  übrigen  Beamten  geordnet,  die  akademische  (ierichtsbarkeil 
aufgehoben,  die  Angehörigen  der  Universität  unter  das  allgemeine  Recht 
gestellt,  und  anstatt  der  ('oOegien-Honorare,  welche  abgeschafft  wurdtii, 
ein  bestimmtes  monatliches  Schulgeld  an  den  Hochschulen  eingeflihrt. 

Alle  rniversitfiten  der  Monarchie  wurden  eimuider  im  Rautre 
gleichgestellt  und  ihren  Difdomen  und  Zeugnissen  die  gleichen  i 
und  Privilegien  gewahrt;  doch  erhielt  dieses  Gesetz  schon  nach  vv*,..^. ,, 
Jahren  eine  Änderung,  indem  bestimmt  wurde,  dass  in  Wien  nur 
diejenigen  Ärzte  und  Advokaten  die  l'raiüs  ausüben  durften,  welche  an 
der  Wiener  Hochschult^  die  Prüfungen  aljgelegt  hatten, 

>!tt  grossem  Eifer  bi'schaftigie  sich  der  Kaiser  mit  der  Verbesse- 
rung des  medicinischnn  Unterrichts  und  der  dafür  vorhandenen  Iji?hr- 
anstalten.  Er  beklagte  die  Yeniachlassigung,  welche  die  chiniriri^' •^"" 
Studien  von  den  Ärzten  erfuhren,  und  die  ungenügende  Fach). 
der  Wundärzte  und  erkannte  den  schwerwiegenden  Fehler,  der  m  d«r 
Trennung  der  Chirurgie  von  der  inneren  Medicin  lag.  In  der  Wiedei- 
vereinigung  dieser  beiden  Zweige  der  gemeiut*amen  Wissenschaft,  in  der 
Verschmelzung  der  Ärzte  mit  den  Chirurgen  sah  er  das  beste  Mittel 
zur  Beseitigung  der  Gebrechen  des  medicinischen  Unterrichlsweseßs 
Zu  diesem  Zweck  Hess  er  einen  Stutlienplan  für  diese  beiden  Klassen 
von  .Studierenden  der  Heilkunde  ausarbeiten,  welcher  eine  Studienzeit 
von  4  Jahren  festsetzte  und  bei  geringen  Verschiedenheiten  von  Beiden 
die  Kenntniss  aller  Theile  der  Heilkunde  verlangte. 

Sehr  viel  trug  die  Erhebung  der  militrinirztlichen  Schule,  des  Jo- 
geännms,  zu  einer  chiruTgisdi-meAkm\^c\iiö\i  Y^v^xsI^ää*  tml^  d»'^  Es/^^hüi 


Österrmok  -  Ungarn, 


and  dem  Range  einer  Universität  und  ihre  Verbindnng  mit  einer  chi- 
rurgistchen  Akademie  dazu  \m,  dass  der  Ohirui'geiistand  in  wLssenscbaftr 
lieber  und  socialer  Hinsicht  geholjen  wiu^de,  Drineben  entstand  eine 
Klasse  von  niederen  Lfindänien,  welehe  zu  einer  Studienzeit  von  zwei 
Jahren  verptlichtet  waren,  und  m^it  dem  Namen  der  Chirurgen  auch 
die  gesellschaftliche  Stellung  erhielten,  welche  dieselben  bis  dahin  ein- 
genommen  hatten.  Auf  diese  Weise  wurde  eine  vollständige  Umgestal- 
tung devS  medicinLschen  Unterrichtswesens  und  der  socialen  Verhältnisse 
d68  ärztlichen  Standes  herbeigeführt,  die  sich  in  ihren  Grundlinien  biß 
die  neuente  Zeit  erhalten  hat. 

Auch  mehrere  andere  Mtissregeln,  wie  die  Abschafl'mig  des  Buccä- 
laureats  tind  die  Aufhebimg  der  Inaugural- Dissertationen,  an  deren 
Stelle  die  praktisrhe  Prüfung  am  Krankenbett  trat,  bildeten  sehr  z^*eck- 
maasige  Verbesserungen  des  ärztlichen  Bildungswosens. 

Die  Errichtung  des  allgemeinen  Krankenhauses  zu  Wien,  dessen 
ches  Lehnnaterial  zum  Theil  dem   klinischen   Unterricht  gewidmet 

ie,  und  die  Grründung  des  Militarspitals,  das  zu  dem  gleichen 
Zweck  dem  Joseßnum  übergeben  wurde,  ermöglichten  die  grossartigen 
Triumphe,  welche  die  Wiener  medicinische  Schule  später  feierte.  Josef  II. 
schuf  femer  das  Taubstummen-Institut,  das  Findelhaus  und  die  Thier- 
arzneischule  in  Wien,  und  Hess  in  Prag,  Graz  und  anderen  grossen 
Städten  der  Monarchie  Krankenhäuser,  welche  zum  Unterricht  der 
Irzte  verwendet  wurden,  errichten  und  in  Mailand,  Mantua,  Prag, 
Brunn,  Olmütz,  Pest  liöniggrätz,  Lomlierg,  Hennannstadt  und  anderen 
Orten  ständige  Militärspitäler  erbauen.  „Was  immer  zur  Heilung  der 
erkrankten  und  verwundeten  Mannschaft,  zu  ihrer  Erleichtwung  und 
Erhaltung  ersonnen  werden  konnte,  das  habe  ich  nie  ausser  Acht  ge- 
lassen, und  jeder  einzelnt»  Mann  ist  mir  schätzbar  gewesen",  erklärte 
er,  als  er  wenige  Tage  vor  seinem  Ti^de  Abschied  von  der  Armee  nahm. 

Die  humanitären  Schöpfungen  des  Kaisers,  der,  auch  wenn  er  irrte, 
stet«  von  dem  aufrichtigen  Bestreben  erfüllt  war,  sein  Volk  glücklich 
zu  machen,  geben  ihm  ein  Anrecht  auf  die  Dankbarkeit  der  Menschen. 
Sie  haben  seine  politischen  Pläne  und  Thaten  überdauert  und  erzählen 
heut  noch  von  der  Güt^  und  Liebe  des  edlen  Fürsten,  der  seinem 
Volk  non  diu.  sed  totus  lebte,  wie  es  auf  dem  Denkmal  heisst^  das  ihm 
in  seiner  Residenz  errichtet  werden  istJ 

Die  Reaktion,  welche  seine  politische  Tendenz  bekämpfte,  wandte 
sieh  gegen  seine  Massnahmen  in  der  Unterrichtsverwaltung,    Es  wurde 


*  T».  Pü»cioiA3«jr:  Die  Medicm  vn  Wien  während  der  letzten  hundert  Jalure, 
1884,  B.  53  u.  ^. 

2S* 


eiiu*  „8tuUien-EinricbtiiTigs*Commksion",  wie  >ir  c^^nannt  wurde, 
rufen,  welche  den  Auftrag  erhielt,  das  Eraehunijswesen  wieder  in 
(Joleise  des  alten  Herkfiinmens  zu  leiten. 

In  der  Medicin  erholt  der  ZuntY^'f*ist  sein  Ilaupt  und  rei 
den  Einiiuss,  den  er  früher  auf  den  Unterricht,  der  Ärzte  besc^seir^ 
2Urüuk  zu  erobern.  Man  verlangte,  dass  das  frühere  Verhältniss  snri. 
sehen  den  Är/ien  und  den  ChirurjC^en  wie<ler  her^eHt<?Iltsp  die  Chiruj 
in  eine  ahbängige  yntergeordnete  Stellung  versetzt  und  die  Vereijjii 
der  Chirurgie  und  der  inneren  Mediein,  welche  durch  den  Studienpl 
V.  J-  1780  berbeigefiihrt  wvirden  war,  wieder  aufgelöst  werde,  und 
haiiiitete,  tlass  diese  beiden  Gebiete  der  Heilkunde  zu  heterogen  m 
umfaogr^/irh  seien,  als  dass  ein  Einzelner  beide  in  gleicher  Weise  he» 
herrschen  könne.  Otogen  dits  JoseHnum  wnrde  der  Vorwurf  erhobec, 
dass  es  zu  viele  Kt)sten  verursache  und  durchaus  nicht  den  medicint- 
sehen  Facultäten  der  Universität-en  ebenbürtig  sei.  Doch  gelang  es  nichi 
die  Aufhebung  desselbi^n  durclizuset7.en;  denn  der  Staat  konnte  in  den 
lange  andauernden  Kriegen,  in  welche  Österreich  damals  verwickelt 
wurde»  die  einzige  Anstalt,  welche  für  den  Bedarf  an  Militärärzten 
sorgte,  nicht  entbehren.  Auch  zeigte  die  tägliche  Erfahrung,  wie  nulli» 
wendi":  und  wichtig  die  chirurgischen  Kenntnisse  waren,  und  mp 
Herabsetzung  derselben  erschien  keineswegs  zeitgemäijs.  Grössere  B*^- 
recbtigung  hatten  die  Anklagen,  welche  sich  gegen  das  Wiener  allg^ 
meine  Krankenhaus  richteten;  die  Verbesserungen,  die  dadurch  hervor- 
gerufen wurden,  gereichten  der  Anstalt  zum  V^rtheil 

Am  medicinischen  Htmlienpian  wurde  nieht>s  geändert*  uhwohi 
derselbe  in  manchen  Beziehungen  reformbedfullig  war,*  D»geg^i\ 
wurden  den  Pndes.soren  genaue  Instruktionen  für  ihr  Verhalten  erthi»ill 
und  die  T/chrbücher  vorgeschrieben,  welche  sie  ihren  Vorlesungen  zo 
Grunde  legen  sollten.  Die  Studien-Direktonit»^  wurden  aufgehoben,  al»tf 
schon  nach  wenigen  Jahren  wieder  eingeführt,  bildeten,  wie  vorher,  die 
Aufsichtsbehurden  für  die  Angelegenheiten  der  Facultäten  und  leiteten 
das  Unterrichtswesen, 

Im  J,  1804  wurde  die  Studienzeit  für  die  Studierenden  der  1^ 
dicin  und  höheren  Chirurgie  von  4  auf  5  Jahre  erhöht  und  angeoi 
dass  die  3  ersten  Jahre  der  theoretischen  Ausl»ildung,  die  beiden  le 
Jahre  jedoch  hauptsachlich  dem  Besuch  der  Kliniken  gewidmet  wün 
Gleichzeitig   wurde   daran   erinnert,   daas  Niemand   zum  Studium 
Heilkunde  zugelassen  werden  sollte,  der  nicht  vorher  durch  3  J\ 


^  FreimÜthige  Betrachtungeu  über   den   medicifiiBchexi  Unterricht  an  da 
hohen  Schule  »u  Wien,  1795, 


Ösiefräch'Uiiffam,  453 


m  der  Uniref^itÄt  phiiosophißche  Vorlesungen  gehört  und  sieh  eine 
jjeüögencle  Ällgemeinbildting  erworben  habe.  Jeder  Lehrer  musate 
wüchentlieh  minde^lcns  eine  halbe  Stunde  daraaf  v«^rwenden.  um  sich 
durch  Fragen  zu  überzeugen,  daSsS  i<eiue  Schuler  den  Inhalt  seiner  Vor- 
träge Terstiinden  und  in  sich  aufgenommen  hatten.  Am  Schluss  eines 
jeden  Seme.H»«rs  fanden  öffentliche  Prüfungen  der  Studierenden  statt, 
TOD  fleren  Erfolg  es*  abhiog,  ob  «'S  ihnen  gestiftet  wurde,  die  für  das 
folgende  Sempsti^r  bestimmten  Collegien  zu  besuchen.  Ausserdem  wurden 
die  Vorschriften  für  die  Äpprobations-Prüfung,  welche  am  Schlu^^  der 
Studienzeit  aiigelegt  wurde,  verschärft  und  die  Examinatoren  ermahnt, 
dabei  .streng  und  gewissenhaft  zu  verfahren. 

Im  J.  1810  wurde  ein  neuer  medicinischer  Studienplan  vorge- 
schrieben,  in  welchem  diejenii^^en  Fächer,  welche  inzwischen  in  den 
Unterncht  aufgenommen  worden  waren,  Berücksichtigung  fanden.  Dar- 
nach sollten  die  Studierenden  der  Heilkunde  während  des  ersten  Jahres 
di'  "'  '  tiing  in  das  medicinisch-ehirurgische  Studium^  specielle  Natur- 
ir^  j  Botanik  und  systematisch*'  Anatomie,   während  de^  zweiten 

höhere  Anatomie  und  Physiologie,  allgemeine  Chemie,  Pharmacie  und 
Thiercheraie,  während  des  dritten  allgemeine  Pathologie  und  Therapie, 
Atiob»gie,  Seraiotik^  Materia  mediea  et  <'hirurgica,  Diätetik,  Receiitirkunst, 
UeburtÄihilfe,  allgemeine  und  specielle  Chirurgie,  die  Lehre  von  den 
ein  iien  Instrumenten  und  Verbänden  und  Ophthalmologie  hören, 

w.-  lies  vierten  und  fünften  Jahres  die  Vorlesungen  über  specielle 

Pathologie  und  Therapie  der  inneren  Krankheiten  und  die  Kliniken 
besuchen  und  den  Vortnigen  über  Veterinärkunde,  gerichtliche  Medicin 
and  Medicinalpolizei  beiwohnen.  Diejenigen,  welche  sich  zu  Landärzten 
cuiibildet^^n,  wurden  angehalteD,  im  ersten  Jahre  die  Einleitung  in  das 
nt  h- chirurgische    Studium,    theoretische    Chirurgie,    Anatomie, 

Pl.  ,ii\   allgemeine  Pathologie  und  Therapie,    Materia   mediea  et 

chirurgiciL.  Diätetik^  KeiH^ptirkunst  und  Bandagenlehre  und  im  zweiten 
Jabre  chirurgische  Operationslehre,  gerichtliche  Medicin,  (leburt^hilfe 
and  Thienirzneikunde  zu  hören  und  die  medicinische  und  chirurgische 
Klinik  zu  besuchen.  Die  Studienzeit  derselben  wurde  später  um  ein 
Jahr  verlängert.  Die  Thi4lnahme  an  der  geburtsliilflinben  Klinik  blieb 
ebenso  wie  der  Besuch  der  Vorlesungen  über  mehrere  andere  Unter- 
nchtögegenstiinde  dem  freien  P>messen  der  Studierenden  überlassen. 
Über  jedes  Hauptfach  masüte  an  5  Tagen  der  Woche  jedesmal  eine 
Stunde  vorgetragen  werden;  dem  Unterricht  in  der  medicinisehen  und 
der  chirurgischen  Klinik  wurde  die  doppelte  Zeit  gewidmet. 

Gleichzi'itig  wurde  dafür  gesorgt,  dass  der  Lidirstoff  durch  prak- 
^^|K)fae  Dennmstrationeu  und  Arbeiten  dem  Verständniss  näher  gebracht 


wurde.    Zu  diesem  Zweck  unlernnhmeii   die  Stadierenden  unter 
Leitung  ihrer  Lehrer  botanische  Exciirsirmen,  arbeiteten  im  chemii 
littboratüriuui.    übt«'n    sich    im    Zergliedern    der   menschlichen   Kui 
wohntrn  den  klinischen  Sektionen  bei  und  führten  chiriiri^ischt'  0]w\ 
tioncn  an  der  Leiche  aiis.     Wo  noch   keine  Secir-An  st  alten  bestanden, 
wurden  dieselben  iTrichtet;  doch   mussten  die  Kosten^   welche  die 
Schaffung   des    erforderlichen   Leichrn -Materials   verursachte^    von  il( 
Schülern  ^'etragen  werden. 

Wer  sich  um  die  medicinische  Doktor-Wilrde  bewarb,  war  \i 
ptlichtel,  zunächst  zwei  Krankengeschichten  vorzulegen,  welche  Fäll 
brtrafrn.  die  er  selbst  in  der  Klinik  behandelt  hatte,  sich  hierauf  eioer 
Priifung  zu  unterziehen,  welche  sich  über  die  im  Studienplan  genaniiten 
Unterrichtsgegenstilnde  erstreckte,  und  endlich  eine  Dissertation  zu  vpr. 
fassen  und  Thenen  zu  vertheidigen.  Das  Examen  für  dm  Doktorat  der 
Chirurgie  unterschied  sich  davon  dadurch,  dass  anstatt  der  ionervn 
Merlicin  die  Chinirgie  in  den  Vorderirnind  trat,  und  die  Candidat«! 
zwei  chirurgische  Operationen  an  der  Leiche  ausführen  mu.s8tcn,  WVnn 
ein  Doktor  der  Medicin  auch  zum  Doktor  der  Chirurgie  promovirwi 
wollte  oder  umgekehrt,  so  brauchte  er  nur  eine  Erq^änzungsprüfiiue 
abzulegen,  welche  jene  Fächer  Itetraf,  die  in  der  früheren  zu  vrcnig 
beachtet  worden  waren.  Geringere  Anforderungen  wunlen  an  Diejenigen 
gestellt,  welche  8ich  mit  dem  Titel  eines  Magisters  der  Ohirurn 
guügten.  Ähnlich  verhielt  es  sich  mit  den  Landärzten.  Aus- 
wurde das  Diplom  als  Augenaot  verliehen^  während  die  KlaÄ*e 
sogenannten  Hruchiirzte  autgeh ol>en  wurde. 

Am  Joseliuum  wurde  die  Studienzeit  1822  ebenfalls  für  den  hi'»hcr«n 
Cursus  auf  5  Jahre  und  für  den  niederen  auf  S  Jahre  erhöht  util 
dem  Unterricht  derselbe  Studienplan  zu  Grunde  gelegt,  welcher  an  d^u 
medicinischen  Facultäten  eingeführt  worden  war.  Die  Anstalt  erlui 
in  Folge  dessen  das  Recht,  sammtliche  akademische  Grade  zu  verleil 

Die  Studien-Ordnung  v.  J.  1833  bracht«  keine  we;*entliche  And" 
rung  im  Unterricht  und  in  den  Prüfungen;  nur  fand  die  Aritr*>nbtik 
ktinde  eine  grrissere  Benicksichtigung  ala  bifihear. 

Im  J.  1845  wurde  eine  Commission  ron  Sachverständigen  beml 
welche  über  die  Gebrechen  des  mediciniscben  Unt^?rrichts  Berathont 
hielt  und  VorR^hläge  zur  Verl^esserung  desaelben  machte.  Aber  Itetor 
darüber  eine  endgültige  Entscheidung  getn>ffen  ^rurde,  kam  d;is  Jahr 
1848,  welches  eine  vollständige  Umwälzung  der  bestehenden  Verl 
ni<se  herlieiführte.  Der  Lehrkörper  der  Wiener  mefücinisehen  Facul 
legte  dem  neu  geschaffenen  Unterrieht^-Mtnistertam  einen  Reformi»] 
der  medidiuachen  Studien  vor.  in  weldieni  zunächst  auf  den  C 


hbgewiftäezi  iranle,  Awss  al^  medicinische  Fakultät  sowohl  das  Lehrer- 
CoUegiam  als  die  Vereiuijjung  siimmtlicher  Ärztt»  von  Wien  tM?zeichn€t 

wurde  und  dieProlVssuren  von  den  wichtigsten  akademischen  Ämtern,  wie 
von  denjenigen  des  KectorsDekany,  ebonsu  wie  von  dem  de^  Direktors  der 
medicinischen  Studien  ausgeschlossen  und  im  Universitäts-CunBistorium 
fast  gar  nicht  vertreten  waren.  Man  verlangte,  dass  die  ordentlichen 
Pn>fes8«iren»  ähnlich  wie  an  den  Universitäten  Deutschlands^  ein  l'ölJe- 
gitun  büden^  welche-s  dem  Ministerium  unmittelbar  unterstehe,  die 
Fragen  des  Unterricht^i  und  andere  Anfrelegenheiten  selbststumlit;:  be- 
mthe  und  erledige,  die  Fnlt'ungen  abnehme  und  akademische  Würden 
ertheile,  dass  die  Lelirkanzeln  nicht  durch  Concui^,  sondern  durch  Be- 
nifung  besetzt  werden,  dass  die  Anstellnng  der  Frofe8soren  eine  stabile 
m  and  ihre  Absetzung:  nur  bei  ehrenrührigen  Vergehen  oder  fortge- 
setzter Ptüchtversäiimniös  erfolgen  dürfe,  dass  die  ordentlichen  und 
ausserordentlichen  Frofessuren,  welche  einen  im  Stutiienplan  vorgeschrie- 
benen Unterrichtsgegenstund  vertreten,  vom  Staat  anständi*;  besoldet 
werden,  ,jSO  dass  sie  von  Nubiiingssorgen  befreit  der  Wissenschaft  und 
namentlich  der  Forderung  ihres  Faches  obliegen  können'*,  das«  die 
wissenschaftlichen  Institute  in  einer  den  Bedürfnissen  ent.sprechenden 
Weise  ausgestattet  und  doürt  werden,  dass  Lehr-  und  Lerntreiheit  be- 
willigt^ die  I/ehrer  weder  an  bestimmte  Lehrbücher  gebunden^  noch  die 
St    '  '      jerintb igt  werden,  gewLsse  Vorlesungen  zu  h<ireu  uml  ihre 

1j'  ittliche  Bildung ansscbliesslich  an  inländischen  HoclLHchnlen 

zu  erwerben,  dass  die  Bemestral-Prüfuugen  aufgehoben  und  die  medi- 
cit     -         r  .ri    unter  dem  A'orsitz  des  Dekans  der  FacuMt,   die 

1';  1  r  demjenigen  des  Rectors  der  Uinver>ität  stattlinden, 

dju»  der  Rector,  sowie  der  Dekan  aus  der  Zahl  der  ordentlichen  Pro- 
tMoren  und  von  diesen  gewählt,  tlie  Verl»iiidung  zwischen  der  Frii- 
T^fsitat  Unit  den  Doktoren-Corporationen  aufgeiri,4  uud  der  Einlluss  der 
äxxtlichen  Zunft  auf  den  medicinischen  ünterrioht  ganzlich  beseitigt 
werde* 

Der  Freiherr  E,  von  FEucirrEJtsLEiiEN,  der  Verfa^^ser  der  bekannten 
^Diätetik  lier  Seele**,  welcher  als  Docent  der  Psychiatrie  an  der  Wiener 
f!  i!e  thätig  w^ar,  wurde  aufgefonlert.  <lie  Leitung  des  Untcrriehts- 

iL...  .  ,;ums  zu  übernehmen;  er  lehnte  jedoch  ab,  Minister  zu  werden, 
weil  er,  wie  er  in  seiner  8elbstV»iographic  schreibt,  „von  der  Ül>erzeugiing 
rieitet  wurde,  dass  bei  dem  aus  dem  Repräsentativ -System  hervor- 
übenden  Ministenveclisel  überhaupt  und  i»ei  unseren  damaligen  Zu- 
ioden  insl*esondere  für  den  Minister  an  keine  folgerichtige  Thätigkeit 
zu  denken  sei,  di«*  uerade  in  dem  BiTeich  des  UnterrichtÄ  für  das  t.Je- 
hngen  und  Gedeihen  einer  im  Sinne  eines  grossen  (ianzen  gedachten 


Reform  imerlässlicho  Bediiij^ung  ist",  und  tiejürnügt^  sicli  mit  der  SU 
hing  als  Untersümteekretar  im  Untt'rrichts-Miniüterium.  in  welctor  i 
währeüd  der  kurzen  Zeit  seiner  jimtli(:h(*n  Wirksamkeit  eine  Mengf' 
wichtiger  Reformen  im  Leben  rief,  Sn  führte  er  den  naturwiÄienschaft- 
liehen  Unterricht  an  den  Gymnasien  ein,  verlängtrti*  die  8tttdiei32«tt 
der  letzteren  um  zwei  Juhre,  indpm  er  die  Anordnunj^r  traf,  da^^  der 
philosophiscbe  <Jiirsu>*,  den  die  Studierenden  bis  dahin  an  der  Universiü 
absolviren  mausten,  mit  dem  Gymnasium  verschmolzen  wurde,  erwirk 
für  die  rniversitHtou  L<'br-  und  L^rnfpriheit,  sehafttc  die  Besetzung 
der  Profei^siiren  durch  fVineurs  ab  und  norgte  dafür,  dass  die  Lehrim(t( 
und  Sammlungen  des  Jusefinnms,  als  dass^dbe  aufi^ehoVten  wurde,  ild 
Wiener  medieiniseheu  Faciiltät  überlasi^en  wurden. 

Im  J.  1849  wurde  dasGe!?et/  über  dieürjeauisation  der  akademisch« 
Behörden*  erlassen»  nach  welchem  die  ^tiidienanireleLfenheiten  an  dm 
Universitäten  vun  den  l'r<>ressoren-(!ullej^^ien  der  einzelnen  FacuUates 
geleitet  werden.  IJieselben  setzen  sich  zusammen  aus  stimmtliclie» 
urdentlichen  und  so  vielen  ausserordentlichen  Professoren,  dass  die  Zahl 
der  letzteren  die  Hälfte  der  ersteren  nicht  übersteijrt,  und  zwei  Va 
tretern  der  Pnvatdweuten,  welche  aber  nur  eine  berathende  Stimmt 
erhielten.  Den  Vorsitz  in  diesen  Gdleiü:ien  führt  <ler  aus  der  Reihe 
der  ordentlichen  Professoren  j^ewählte  Dekan,  welcher  in  manohenB^ 
Ziehungen  an  die  Stelle  des  früheren  Studien- Direktors  trat,  dmem  Amt 
aufgehoben  wurde. 

In  Wien  und  Prag  wurde  den  ärztlichen  Zünften,  ilen  Vokiov 
f  Korporationen,  ein  Rest  von  Einfluss  auf  das  medicinische  UnkrrichJi 
we8en  gewahrt,  indem  sie  auch  fernerhin  als  Theile  der  Universiti 
betrachtet^  als  Facultaton  bezeichnet  wurden  und  im  Recht  erhielten, 
Nioh  einen  Dekan  zu  wählen,  der  im  Professoren-Cullecrium  Sitz  und 
Stimme  hatti*  un<l  bei  den  firztlichen  Prüfungen  mitwirkte.  Erst  18T8 
wurde  die  vollständige  Trennung'  der  Dokt^oren-Corporationen  von  de» 
medicinischen  Facultaten  und  der  Universität  vollzogen. ^  Die  Doktors 
Collefrien  bildeten  fortan  nur  ärztliche  Vereine,  welche  sich  mit 
Verwaltung  ihres  Vermögens,  der  Verleihung  einzelner  Stipendien  u,  sl\ 
befassen,  aber  keine  amtlichen  Obliegenheiten  haben. 

Schon  in  einem  Ministerial-Krlass  v.  J,  184H  wurd*»  die  Aufhebunp 
des  niederen  Studiums  der  Landärzte  Im  Princip  ausgesprochen.^  \}m 
der  praktischen  Ausführung  derselben  stellten  sich  manche  Schwie 


^  ir.  Thaa:   S;imiidimg  d«r  für  die  österreicbiechen  Uli ivereii tüten  ^ülti^ 
Geeetī  und  VerordnungoD,  Wkn  1871.  I,  69  u,  E 

«  Thai  jl  a.  0.  8.  615  u.  ff.  ^  Thaa  a.  ä.  O.  8.  4ö7. 


Öifterreiefi'  Uwtgani. 


keiten  €nt^(»gen.  Man  musste  befürchten,  dass  durch  eine  plötzliche 
SchliosNung  der  für  die  Ausbildung  »lerLandiir^te  und  niederen  rhiruriL,'en 
f  orhandenen  Lehranstalten  ein  emplindlicher  Mangel  an  Ärzten  herbei- 
gduhrt  werden  würde,  und  suchte  daher  vorher  den  nuth wendigen 
ErKitz  dafür  zu  sehaft'en. 

Zumlchst  wurden  die  Lehr-Curi4e,  welche  bis  dahin  für  die  Land- 
irzte  an  den  Universitäten  zu  Wien  und  Prag  bestanden,  aufgebest, 
während  die  medicinisch-chirurgisi^hen  UnterriühtÄnn.stalten  zu  Graz 
and  Innsbruck  später  zu  wirklichen  medicinischen  Facult^ten  erhoben 
wurden,  die  den  dortigen  Universitäten  einverleibt  wurden*  Die  übrigen 
Institute  dieser  Art,  welche  m  Salzburg,  Üimütz,  Laibach,  l^emberg  u.  a.  ü. 
existirten^  wurden  ailmillig  geschlossen.  Damit  harte  die  Ausbildung 
TOD  Ärzten  der  niederen  Kategurie  auf. 

Von  nun  an  boten  nur  noch  die  Universitäten  die  Gelegenheit 
mm  Studium  der  Heükuude,  Gegenwartig  besitzen  die  Hochschulen 
m  Wien,  Prag,  Graz  und  Innsbruck,  an  welchen  die  deutsche  Unter- 
richts-Sprache herrscht,  die  neu  errichtete  czechische  Universität  zu 
Prag,  die  polnische  Hochschule  zu  Krakau  und  die  beiden  ungarischen 
Universitäten  zu  Budapest  und  Klausenijurg  medicinische  Faeultiiten; 
den  Hochschulen  zu  Lemberg,  Agram  und  Czernowitz  fehlen  dieselben. 
Das  Josetinum  wurde,  nachdem  es  1848  aufgehoben  und  1854 
wieder  erütfnet  worden  war,  nach  isTO  abermals  geschlossen,  weil  man 
der  Meinung  war,  dass  es  nucb  der  Einführung  der  allgemeinen  Wehr- 
ptUebt  nicht  an  iDütaränten  fehlen  werde.  Diese  Voraussetzung  er- 
füllte sich  nicht,  und  die  Wiedererrichtung  einer  militarärztlichen  Schule 
wird  eines  Tages  vielleicht  ein  Gebot  der  Nothwendigkeit  sein.  Eine 
Militärmacht  von  dem  Range  des  österreichischen  Kaiserstaates  bedarf 
einer  ßildungsansUilt  für  Militärarzte,  wie  das  Beispiel  von  FrankTeich, 
Preussen  und  Russland  lehrt.  Ihre  Form  und  Organisation  mag  von 
derjenigen  des  ehemaligen  Joselinums  abweichen;  aber  ihre  Existenz 
^■bgt,  im  Interesse  des  Staates  und  der  Armee, 

^K  Die  Zahl  der  vorhandenen  mediclnischen  Facultäten  steht  zu  der 
1  Grosise  and  Bevölkerung  der  österreichisch -ungarischen  Monarchie  in 
I  keinem  entsprechenden  Verhältniss,  Die  Frequenz  derselben  ist  in 
!■  Folge  de^ssen  ausserordentlich  gross;  in  Wien  l>etrug  die  Zahl  der 
Studierenden  der  Medicin  in  den  letzten  Jahren  durchschnittlich  weit 
dher  2(>00<  Die  Ursachen  dieser  Erscheinung  liegen  theils  in  dem 
gumtigen  Ruf,  den  die  dortigen  Lehrkräfte  und  Lehrmittel  gemessen, 
iheÜs  in  dem  Umstände,  dass  viele  arme  Studenten  in  der  Grossst-adt 
finanzielle  Untt^rstntzungen  oder  die  Gelegenheit  zum  Erwerb  durch 
Krtbeilung  von  TiClctionen  oder  dgl.  zu  linden  glauben.     Schon  Petek 


458 


Der  m6dMm9ch$  Dni&rrieht  tfi 


Zeü. 


I^AKK^  beklaj^6  diese  namentlich  in  Wien  sehr  rerbreitete  Stt«, 
weil  die  Studierenden  der  Medicin  dadurch  ihren  eigentlichen  Auf. 
gaben  entzogen  und  zu  einer  Thfitigkeit  gedrängt  werden,  die  fftr  te 
fachmännische  Ausbildung  gänzlich  wertblos  ist.  Wenn  sie  dabei  njcbt 
eine  hervorni^^enrle  Hegal)un^  besitzen,  so  scheitern  sie  an  diesen  HiDder- 
nissen  und  erreichen  das  Ziel  ihrer  Studien  niemals. 

Es  ist  begreiflich,  dnss  die  Überfüllung  der  Hörsäle  und  Kliuib 
für  dan  Studium  der  Heilkunde  keineswegs  iorderlich  ist;  denn  liier 
gilt  es,  jedes  Objekt,  jeden  Kranken  zu  sehen  un<l  genau  zu  beobachten 
jedes  Experiment  mit  Verständniss  zu  verfolgen.  Mau  hat  daher  tlaiui 
gedacht,  wie  dem  Cbelstantb\  dass  die  V(*rhandenen  Räumlichkeiten  (ier 
Zahl  der  Studierenden  nicht  genügen,  abzuhelfen  sei.  und  zu  dieson 
Zweck  den  Numerus  clausus  vorgeschlagen ;2  aber  die  Schwierigkeit,  bei 
der  Aufnahme  der  Studierenden  eine  Grenze  zu  linden,  welche  Jei 
Bedingungen  der  Gerechtigkeit  und  Zweckmässigkeit  entspricht,  mi 
noch  mehr  die  Scheu  vur  der  gewaltsamen  Herabdrückung  der  Wiener 
Hochschule  müssen  vor  einem  solchen  Experiment  warnen.  Die  me- 
dicinische  Facultat  zu  Wien  darf  nicht  mit  dem  Maassstabe  einer  Landet^, 
hochschule  gemessen  werden.  Ihre  Geschichte,  ihre  Einrichtungen,  ihr 
reiches  Lehrmaterial  haben  ihr  einen  Weltruf  verschafll>.  Sie  )\Mh 
änen  der  wenigen  Vereinigungspunkte,  welche  die  Angehörigen  der 
verschiedenen  Volker  der  Monarchie  zusammenführen,  und  scheint  durch 
ihre  geographische  Lagr  zu  der  grossen  culturhistorischen  Aufgabe  luv 
rufen  zu  »ein,  dem  Orient  die  wissenschaftliche  Medicin  Europas  m 
übermitteln.  Die  Herabsetzung  der  Wiener  mediciriischen  Schule  wäre 
ein  Verbrecheu  gegen  den  Staat,  gegen  die  \\'issensi'b:ifl.  geeen  di# 
Menschheit, 

Wenn  es  ihr  an  den  erforderlichen  Räumlichkeiten  für  die  Lehr- 
institute fehlt,  so  müssen  diesolliea  erweitert,  oder  durch  die  Errichtung 
neuer  Anstalten  vermehrt  werdeu.  Allerdings  werden  auch  Vorkehrangen 
noth wendig  sein^  um  uiigeeipuHe  Elemente  vom  Studium  fern  zu  halten, 
damit  die  fruchtbringende  Saat  nicht  vom  Unkraut  unterdrückt  \vinl 
Die  Erhöhung  der  Collegieu-Honorare,  welche  in  Österreich  geringer 
sind  als  in  irgend  welchem  andern  I>ande,  keineswegs  aber  Idos  zur 
Vermehrung  der  Pjnnalimen  der  Professoren,  sondern  haupt.sächhch  zur 
Vergrösseruug  und  \'erbesserung  der  Unterrichts-Anstalten  verwendet 
werden  sollten,  die  Strenge  der  Prüfungen  und  andere  Mittel  werden 
diesem  Zweck  dienen. 


»  R  FuAXK  a.  iv,  0.  VI,  l,  8.  33H. 

*  Tri.   Bii.liioth:  Aiiliurismen,   Wien   1886. 


Daneben  ist  es  sicherlich  wünschenswerth,  dii^s  zur  Enlhistung-  dex 

ul>erföllten  medicinischen  Faeultäten  einige  neue  ärztliche  Scholeii  er- 
richtet werden,  z.  B*  in  Salzburg,  wo  bereits  trüber  einmal  eine  Uni- 
Töntitat  bestanden  biit,^  die  erforderlichen  Gebiiude  und  Lehrmittel  zum 
Theil  noch  vorhanden  oder  wenif^rstens  leicht  zu  beschaffen  sind,  und 
die  entzückende  Anmuth  und  Grossartigkeit  der  landschaftlichen  Um- 
gebung die  Studierenden  uns  weit^^r  Feme^  seilest  aus  dem  Auslände^ 
anziehen  wurde,  ferner  in  Brunn  oder  Olmütz,  in  Lemherg  oder 
t^niowifcK,  in  Agrain  und  in  einem  oder  zwei  Orten  Ungarns.  Einzelne 
dieser  Städte  besitzen  bereits  mehrere  Fiieultäten.  so  dass  sie  durch  die 
Hinzuffigung  einer  medicinischen  zu  einer  Universität  vervollständigt 
den. 
Im  J.  1872  wurden  neue  Prüfungsvurschriften  für  das  Studium 
der  Medicin  gegelien,  nach  denen  die  gesonderten  Diplome  für  die  ein- 
zelnen Zweige  der  Heilkunde  aufhörten.  Bis  dahin  gab  es  Doktoren 
der  Medicin,  Doktoren  und  Magister  der  ('hirurgie,  Geburtshelfer  und 
Augenärzte:  doch  wurde  schon  1843  b*^stimmt,  das,s  du'  Diplome  in 
der  Chirurgie,  Geburtshilfe  und  Augenheilkunde  nur  an  solche  Be- 
X  verliehen  werden  durtten,  welche  bereits  Doktoren  der  Medicin 
en  oder,  wenn  sie  der  niederen  Kategorie  der  Ärzte  angehrirten, 
Magisterium  der  Chirurgie  erworben  hatten,     Mit  der  Aufhebung 

fe«  Standes  der  niederen  Ärzte  wurde  beschlossen,  künftig  nur  noch 
eine  einzige  Klasse  von  Ärzten  auszubilden,  welche  summtiich  die 
gleiche  Vorbildung  besitzen,  denselben  Studiengang  durchmachen,  nach 
den  gleichen  Vorsieh rifteo  gepnift  und  hierauf  zu  Doktoren  der  ge- 
flammten Heilkunde  promovirt  werden,  womit  das  Eecht  zur  Ausübung 
der  Praxis  aller  Theile  der  Meilicin  verbunden  ist. 

Wer  zum  Studium  der  Medicin  zugelassen  werden  will^  muss  das 

fjiunasium  vuUständig  absolvirt  und  das  Maturitäts-Examen  bestanden 
n.  Die  Studienzeit  an  der  Universität  dauert  5  Juhre.  Die  Prüfungen 
finden  theils  während,  theils  nach  derselbi'u  statt.  Sie  beginnen  mit 
tien  naturhistorischen  Prüfungen  über  Mineralogie,  Botanik  und  Zoologie, 
welche  bereits  im  Verlauf  des  ersten  Stmlienjahres  abgelegt  werden 
können*  Nur  Derjenige,  welch<'r  dieselben  mit  Erfolg  bestanden  hat^ 
darf  sich  den  eigentlichen  ärztlichen  Prüfungeu  unterziehen.  Die  erste 
umfasst  die  Physik,  Chemie,  Anatomie  und  Physiologie  und  besteht 
aitö  einer  theoretischen  <Tcsammtprüfung  über  diese  Fächer  und  der 
Anfertigung  oder  Demonstration  eiu(^s  anatumischen  und  eines  mikro- 


J.  Müvb:  Die  ehemalige  Umversität  Salzburg,  1S59.  —  L.  Spatzekbooeb: 

In*    >aixburger  UuiverBitat,  Sahburg  1872. 


«kofmAm  Pripomts,  der  AmMhmng  einer  ehenuschfn  AmBifm 
der  Eriüanmg  pbjiikaliMlier  und  phjiiolQgischer   Appnoila 
Baumim  darf  nielit  frührr  ab  nedi  Abtef  des  swäten  Studien 
gceebebeiir  während  das  srciie  mtd  dritte  RigonKtnm  erst  nacli 
fieendij^ng  d^r  Htodieiixeil  ab»olvin  werden  kann. 

Üffr  Candidzit,  welcher  sich  zu  den  letzteren  meldet  b»t  verpfticbti 
dmeb  Zeugnis^  nacbzu weisen,  daas  er  durch  je  4  Semei^ter  die 
dlciniiM^he  und  die  tlürargi^he  KUnik,  und  zwar  durch  je  zwei 
als  Praktikant^  sowie  mindestens  je  1  Semesi^  die  geburUhilfliche 
die   uphtlialmiatriitche   Klinik   als    Praktikant   besucht    und   daaj 
Kigoro^ini   erfolgreich   bestanden  hat     I>aK   zweite  handelt  uli 
gemeine  Pathologie  und  Therapie,  pathologische  Anatumie  und  Histolog 
Pharmakologie  und  innere  Medicin.  und  lie^teht  aus  einer  praktiÄcheiT 
Prfifung  iibrr  jmthologiüchp  Anatumie  (am  Präparat  und  an  der  Leiche^ 
der  Untersuchung  mehrerer  Kranken  und  einer  theoretischen  Gc 
prüfiin^'  libtT  all«'  4  Dinciplinen.     Das  •Iritte  Rigorusum  en*treckl  M 
Üb*T  <Jhixurgii\  Aug**nUeilkund»»,  Gynäkologie  und  gerichtliche  Mrücib 
und   zerfallt  in    praktische   Prüfungen   am   Krankenbett   und  an  der 
Leiche,    z,  B.  rnti:r*^ijchungei)  diT  Kranken,   Anlegen  von  Yerl>;'i'  ^ 
Operationen  an  der  Leich*%  Cbun^ren  am  Phaot<>m  it  a,  m,  und 
theoretinches  Examen  über  ^äuimlUche  4  Pacher,    An  diese  Prufunrt 
schliesst  hich   dw   Doktor- Promotion  und  die  Erlaubniss   zur  ärztlici 
Praxi*  un, 

AU  Examinatoren  wirken  bei  den  drei  arztlichen  Prüfungen 
Proft^Bsorcn  der  bctreflenden  Unlnrrichtstretrenstände;  ein  von  der 
Hegierung  eniannt«*r  Commissar,  welcher  Doktor  der  Medicin  un<l  gt»- 
wöhnlich  ein  höherer  Beamter  des  8ani!at^(iienstt*s4  i.st,  hat  die  Aufgable, 
«he  Prntuiii^en  im  öfl'i'ntlichen  Int^Tesse  zu  überwachen,  Übri^'eus 
wurde  das  Maass  des  Wissens .  welches  dabei  verlangt  wird,  un<i  <li'' 
hauer  und  Form  drr  Prüfungen  durch  genaue  Instruktiv men  ausführlich 
i^rliiutcrL  * 

AriU\  welclir  isirh  tlem  (»ffendiehHU  Sanitätjjdienst  widmen  wull 
mÜHKen  ilen  Narliwi^is  liefern,  dass  sie  nach  der  Promotion  noch 
de«ti»n«    zwei    Jjihre    hindurch    in    einem    öffentlichen     Krankenli 
angestellt    wanni,    odt-r   durch    drei   Jahre   die    Praxis  ausgeübt, 
pätychiatnsche  Kenntnij^e  envorben  und  eine  uewiss^i  Fertigkeit  in 
AllsfBlirung   der  Vaccination    angeeignet   haben  ^  und  sich   dann  ei] 
Prüfung  ül»er   Hygieni*  und  Sanitätsgesetzkunde,  gerichtliche  Mediti 
PbjinuiikHuniosie   nm\   Toxikologie,   rbemie   und  Vetf^nnärpolizei  unl 


riiAA    U.  H,  <  ».    >nj.p!rlit..Höft   S,  647   U.  ff.,   ti90   u.  tf. 


Östermek  -  üfi§ani§. 


461 


werfen,   welche  theils  schriftlich,  theils   iniiiidlich,   theils   praktischer 
Natur  ist* 

Eine  vortrefifliche  Eiiirichtiing  zur  Heran liildung  tüchtiger  cbirur- 
gisi'her  Operateure  besteht  an  der  Wiener  Hochschule.  Im  J,  180T 
irorde  nämlich  die  Anordnung  getroffen,  dms  6  Studiereode  der  Ueil- 
kundej  welche  ihre  Studien  mit  ausgezeichnetem  Erfolg  absolvirfc  hatttin, 
«iurch  zwei  Jahre  an  der  chirurgischen  Klinik  heschaftigt  und  in  der 
Att^fuhrung  chirurgischer  Operationen  am  todten  und  am  lebenden 
Korper  unterrichtet  wurden.  Sie  bezogen  während  dieser  Zeit  \m  freier 
Wohnung  ein  Jahres-Stipendium  von  800  Gulden  und  übernahmen  (biför 
die  Verjdlichtuog.  ihre  Kunst  im  Inlande  auszuüben.  Die  Stünde  mehrerer 
Kronlander  gründeten  ähnliche  Stellen  für  Studierende,  welche  aus  den- 
selben stammten  und  sich  dort  niederlassen  wollten.  Man  hoffti'  da- 
^  itorch  eine  Khinse  geschickter  und  erfahrener  Chirurgen  heranzubilden, 
HStiche  später  als  akademische  Lehrer,  als  Direktoren  und  Vorstände 
W  Von  Hospitalern  nnd  chirurgischen  Kranken-xilvtheilungen,  als  Sanitats- 
I  be^mt^  oder  in  der  Privutpraxis  in  den  verschiedenen  Theilea  der 
I  Monarchie  eine  segensreiche  Wirksamkeit  entfalten  konnten.  Gleich* 
I  zeitig  wurde  am  Joselinum  ein  solches  Institut  errichtetj  damit  auch 
Ldas  Heer  mit  geübten  0]>erateuren  versehen  werde,  Als  an  der  Wiener 
^ttedicinischen  Facultät  eine  zweite  chirurgische  Klinik  gegründet  wurde, 
wurden  auch  dieser  eine  Anzahl  Studierender  zur  Ausbildung  zu 
Openiteuren  zugewiesen.  Seit  1870  werden  diese  Stellen  nur  auf  ein 
Jahr  verliehen;  doch  kann  eine  Verlängerung  um  ein  zweites  und 
drittes  Jahr  auf  Antrag  des  Professors  der  chirurgischen  Klinik  ge- 
währt werden. 

Die  Bewerb*T  müssen  I)<>ktoren  der  gesammten  Heilkunde  sein 
und  in  einer  Prüfung  über  Anatomie  und  Chirurgie  ihre  Begabung  für 
den  Beruf  eines  Operateurs  darthun.  Nur  ein  Th^il  derselben  bezieht 
Stii>endiini:  die  übrigen  studieren  auf  eigene  Kosten.  An  keiner  der 
iden  chirurgischen  Kliniken  darf  ihre  Zahl  grösser  als  acht  sein. 
Ähnliche  Einrichtungen  wurden  1882  an  den  geburtshilflichen 
Kliniken  der  Wiener  Hochschule  getroffen,  um  die  Heranbikluntr  ge- 
.schickter  geburtshilfJicher  Operateure  zu  erzielen. 

Einige  Bedenken,  zu  welchen  das  medicinische  Unterrichtswesen 
Österreichs  Veranlassung  giebt^  wurden  in  der  Presse  schon  oft  er- 
örtert. Zunächst  nehmen  die  Vorlesungen  und  Prüfungen  über  die  für 
das  Studium  der  Heilkunde  vorbereitenden  Wissenschaften  mehr  Zeit 
in  Anspruch,  als  es  nach  ilem  Lehrpbvn  der  Gvmnasien  gerechtfertigt 


•  Rcicb^eaetubUtt  18T3,  29.  März,  Stück  12. 


efsdieiiit;  deisdbe  widmet  nimlidi  den  Nstonriaseiisefaaften  90 
UiLlenichtsstimdeD»  Abss  man  Mmehmen  darf,  dass  die  StudierviH^^ 
wenn  sie  die  rniTer^tät  bedehen^  Tom  Gymnasiiim  eine  aUgemeb« 
patnrwiBWMnhaftliche  Vorbildung  mitbringen,  die  wenigstens  in  B^ 
aof  die  IDnenlogie»  Botanit  uml  Zojlo^e  so  weit  reicht^  dass  es  fibop^ 
Ütemg  wird^  das  erste  Studienjahr  nahezu  Tallständig  auf  diese  Dil 
eiplinen  zu  verwenden,  wie  es  jetzt  häutig  geschieht^ 

Auch  die  {jnhchtuug,  da<^  diese  Prüfungen  ebenso  wie  auch 
ersle  Rigoro^um  in  die  Studienzeit  verlegt  werden,  hat  einige  Xich 
tbeile  im  Gefolge:  denn  sie  veranlasst  manche  Studierende,  H' 
die  Vorbereitung  dazu  den  CuUegien,  die  sie  huren  sollen,  fort.i 
Noch  weit  schädlicher  wirkte  in  dieser  Hinsicht  die  bisherige  Gewoll 
heit  der  Studierenden,  ihrer  Militärpflicht  während  der  Studieiuät  ii| 
genügen.  Allerdings  wurden  sie  als  militärärztliche  Eleven  den  Ganusoa 
Spitälern   mgetheilt,   damit  sie   im  Sanitäti^enst   verwendiH   wurden 
aber  dazu  fehlten  ihnen  die  erforderlichen  medicinischen   Kennt 
Sie  wurden  somit  dem  svstematisehen  Gange  ihrer  Studien  entriaaa^ 
ohne  dass  sie  oder  die  Armee  irgend  welchen  Nutzen   davon  hatteiL    , 
Nach   dem   neuen    Wehrgesetz   sind   die   Studenten  der  Medicin  reofl 
pflichtete  ein  halbes  Jahr  mit  der  Waffe  und  ein  halbes  Jahr  als  Anl^" 
in  dienen.     Das  ei^e  kann  wahrend  der  Studienzeit  nnd  zwar  inner- 
halb eines  Sommersemt?steKs  das  letxte  selbstverstuidlich  erst  nach  der 
JBeeniligung  der  Studien  absolvirt  werden.     Um  deren  l  nterbrechuntr 
durch  den  Militärdienst  mit  der  Waffe  zu  vermeiden,  ist  es  wünschens* 
werth,  dass  derselbe  entweder  vor  dem  Beginn  oder  nach  der  Beendigung 
des  Universitdts-Studiums  abgemacht  wird. 

Wenn  in  Wien  darüber  geklagt  wird,  dass  der  fiesnch  der  CoUegi« 
von  Seiten   der  Studierenden   unregelmassig  ist,  so  sollte  man  Vo 
kehmngen    treffen,   am   die   Ursachen^  welche  dieser  Erscheinung 
Grunde   liegen ^  zu  beseitigen.     Dass  an  klinischen  Instituten,  welc 
von  Hunderten  von  Schülern  besucht  werden,   die  Form  der  Prakti- 
kanten-Thätigkeit,   wie  sie  jetzt   üblich  ist,   für  die  ärztliche  Bildung 
nicht    genügt,    ist    begreif  lieh;    hier    könnte    man    an   Einrieb  tunß«^ 
denken,  ahnlich  der  Stage  an  den  medicinisehen  Schulen  in  Frankrei^H 
und  England.*    Ob  bei  dem   Mangel  derselben  die  gegenwärtige  A^^ 
der   Prüfung   in   der   prak-tisehen   Heilkunde»    bei   welcher   von   einer 
längeren    Beotmchtung   und    Behandlung    der    TOVgiealeUten   Kranken 


*  Botnichtuugeu  über  uu^r  medidiiiechee  ünterricht^wt^^rD.  Wiea  1880» 
>  Schon  W  Frank  (VI.  Abtfa.  2,  S,  204)  wöiiachce.   dms  alle  PnmarÄrtte 
I  Wkoer  allgiemeineu  KmiiketihAttses  klinischen  Unterridil  «etlMÜtta. 


Die  deutschen  Mittel-  u.  Kleinataaten  vor  d,  Gründg.  des  Deutschen  Reic^ies,  463 


abgesehen  wird,  genügt,  mn  die  Befähigung  zur  Ausübung  der  ärzt- 
Uchen  Praxis  zu  erkennen,  darf  wohl  mit  Recht  bezweifelt  werden.  — 

Würde  nach  der  Beendigung  der  Rigorosen  noch  eine  die  wich- 
tigsten UnterrichtBgegenstände  umfassende  Schlussprüfung  stattfinden, 
so  würde  dadurch  nicht  blos  eine  ControUe  der  einzelnen  Prüfungen 
herbeigeführt,  sondern  zugleich  die  Möglichkeit  geschaffen,  einen  Total- 
Eindruck  über  das  Wissen  des  Candidaten  zu  gewinnen. 

Die  österreichische  Unterrichts -Verwaltung,  welche  eifrig  bemüht 
ist,  das  ärztliche  BUdungswesen  zu  verbessern  und  durch  die  Errichtung 
neuer  Lehr-Institute  und  Lehrkanzeln  zu  vervollständigen,  wird  diese 
Bemerkungen  mit  wohlwollender  Nachsicht  aufnehmen  uud  mit  dem 
Interesse  fiir  die  Sache,  durch  welches  sie  hervorgerufen  wurden,  ent- 
schuldigen. 


Die  deutschen  Mittel-  und  Kleinstaaten  vor  der 
Oründung  des  Deutschen  Reiches. 

Die  politische  Zerrissenheit  des  deutschen  Reiches  und  die  Auto- 
nomie der  einzelnen  Länder  desselben  führte  zur  Gründung  zahlreicher 
üochschulen,  von  denen  manche  ein  kümmerliches  Dasein  fristeten. 
Es  mangelte  ihnen  an  Lehrern  und  an  Schülern,  und  sie  besassen 
weder  Lehrmittel  noch  gesicherte  Einnahmen  zur  Bestreitung  der  noth- 
wendigen  Bedürfiiisse.  Sie  wurden  daher  auch  nicht  sehr  vermisst,  als 
sie  „theils  in  Folge  eines  langen  Siechthums,  theils  durch  gewaltsame, 
mitunter  als  Vereinigung  mit  einer  anderen  Hochschule  beschönigte 
Unterdrückung**  aufhörten  zu  existiren.^ 

Dieses  Schicksal  hatten  die  Universitäten  zu  Bützow,  welche  1789 
mit  der  Hochschule  zu  Eostock  vereinigt  wurde,  zu  Stuttgart,  die  1794 
mit  der  Tübinger  Universität  verschmolz,  zu  Bonn,  welche  in  demselben 
Jahre  aufgelöst  wurde,  zu  Köln,  Trier  und  Mainz,  denen  1798  ein 
Ende  bereitet  wurde,  zu  Bamberg,  welche  1803,  und  zu  Dillingen, 
Fulda  und  Duisburg,  die  1804  aufgehoben  wurden.  Helmstädt,  Rinteln 
und  Altdorf  verloren  1809,  Frankfurt  a/O.  1811,  Paderborn  1815, 
Erfurt  1816,  Wittenberg  und  Ellwangen  1817  und  Herbom  und 
Münster,  wo  jedoch  eine  theologische  und  philosophische  Facultät  zurück- 
bUeb,  1818  ihre  Hochschule. 

^  J.  y.  DOlukoeb:  Die  Universitäten  sonst  und  jetzt,  München  1867. 


Die  politisßhon  Umwalztingen  j^ner  Periode,  welche  die  Ijöndt 
Dinitelihinils   hmüg  viTüfidert   und  manche  Liintlcb-theili*  bald  (hcN-m 
bald  jenem  Staat  zugewiesen  hatten,  übt-en  aucli  auf  das  mediciniücli 
UTiterrichtswGstm   einen   f^rossen   EiiifliiMs   aus.     Einzelne    ünivemtaU»i 
wie   Salzb^l^^^    Inn'^briick,    \Vfirzl>urpr    imd    Freibur^^  wurden   dadurni 
einem   bestiindiffeu   Wechsel  in  ihren   or^anisatiirischen   Einrichtung 
unterworfen,  dnr  für  fli(^  Kntwickehm^  des  Unterrichts  keineswegs  i 
derlich  war. 

Be.Hsere  Zustande  trat<M»  erst  ein,  HaehdeiD  der  Friede  ennflg 
worden  war  und  die  durch  denselben  begründeten  Sr  '  '  \\i 
Deutsehland  eine  dauernde  Form  angenommen  hatten 
beiden  deutschen  Grossmächten  Österreich  und  Preussen  bestand 
fortan  die  Königreiche  Bayern  mit  den  Universitäten  zu  I^ndshut  welcl 
bis  18Ü2  in  Ingolstadt  war  und  1820  nach  München  verlegt  wurd 
XU  Würzburg  und  Erlangen,  Würtemberg  mit  der  Hochschule  zii  Tfi- 
hingen,  Sachsen  rnit  derjenigen  zu  I^eipzig  und  Hannover  mit  der  Uni- 
versität Gottingen,  die  Grosi^herzogthümer  Baden  mit  den  UockHChules 
in  Heidelbei^  und  Freiburg,  Mecklenburg  mit  der  Universität  Bosi 
Hessen  mit  derjenigen  zu  Giessen,  das  Kurfürstenthum  Hessen  mit 
Hochschule  zu  Marburg,  und  die  sächsischen  Herzogt hümer  mit 
Universität  Jena,  das  mit  Dänemark  vereinigte  Herzogthum  Schleswig. 
Holstein  mit  der  Hochschule  zu  Kiel,  und  eine  groi^se  Anzahl  vi^ 
Staaten,  welche  keine  Universitäten  besassen. 

Das  medicinische  Unterrichtswesen  gestaltete  ach  in  den  versch 
dmen  Ländern  bei  manchen  Eigenthüm^  n  im  Allg»imeinen  zii*il 

lieh  gleichartig.  Die  Einrichtungen  in  O^,^:. ,,  ii  und  Preussen  diente 
nachdem  die  Erinnertingen  an  die  Fnaaiommmi  verklungen  waren,  dei 
MüHten  alii  Vorbild,  wenn  ancb  bisweikii  das  Rtreben  nach  Originalität 
keiTtnirat  and  beachtenswerthe  Besaltale  erzielt«* 

Über  die  Bildnng  der  Ärzte  in  Bajem  am  SeblQ9  des  Torigpn 
Jahrhnnderls  geben  die  medkinisehen  Stndieiiplaiie,  welche  1774^  1776. 
1784  and  1799  ßr  die  Hoehachnle  in  Ing^Iftedl  fnrgesebrieben  wurden. 
giaiaiie  AnbdilOss«.^  Darnach  wurde  Tan  den  Studierenden ,  welche 
die  medietBbelie  Doktor- Würde  aBatnebiai,  eine  philusciphis^be  Vor- 
bihhRif  WQd  ein  dretjihrige^  FtedMoAm  ferkiigt  Alle  drei  Monat»- 
wnrden  sie  g«prnft;  das  der  Prwniliiii  funmgehende  Examen  dauert« 
6  StattdeiL  Seil  1 78ä  wurde  nanr  4em  nedkiniiGlicii  Dnktorat  auch 
dir  CUmiipe  f«iiAn.  Aber  em  L  J.  1807,  naehdem  Bajem 
KMfreMi  erboben  vot^en  waiv  wmde  angmirebiel,  daa  ik 


l^mkMTV   ft.  ft.  O.    L,   #1«    «.  C 


\  des  Dmitsckm  RMie»,  465 


otionen  nicht  mehr,  wie  bisher  impenaii  et  ponHfma  üMustoritaU^ 
iiifiern  r9^  aiuetaritaie  vorgenommen  wurden. 

Unter  dem  Ministerium  Moutgehis  wunle  tlen  Hochscliulen  Bayerns 
eine  neue  Organisation  ge^^ehen,  welche  die  Denkweise  das  Nüpoleoni- 
«dien  Zeitalters!  wiederspiegelt  Mit  einem  Fedenitrieh  wurde  darin  die 
alle  historische  Eintheihing  nach  den  vier  Facultiiten  beseitigt  und  statt 
da^tsen  alle  Lehrgegenständ**  in  zwei  Klassen  geschierien,  von  denen  tue 
eine  diejenigen  Wissenschai'ten  umtasste,  welche  zum  Begriil  der  Allge- 
meinbildung gezogen  werden  können^  lüe  andere  die  für  einen  beslimnit^n 
Leben^iberuf  vorbereitenden  üisoiplinen  enthielt.  Jede  dieser  beiden 
Gruppen  zerhel  in  4  Abtheilungen.  Die  erste  bildeten  1)  die  Pbilo- 
saphie  mit  ihren  Nebenzweigen,  2)  die  Mathematik  und  die  Natur- 
issenschaften ,  3)  die  Geschichtt^  (Culturgeschicbte),  4)  die  alten  und 
nen  Sprachen:  die  zweite  Klasse  bestand  l)  aus  den  für  die  Bildung 
de«  reUgiöseo  Volkslehrers  erforderlichen  Kenntnissen  (Theologie),  2)  der 
Rechtekunde,  S)  den  staatÄwirthschaftlichen  und  Cameral-Wissensi^haften 
und  4)  der  Heilkunde. 

Die  Lehrkörper  setzten  sich  zusammen  aus  ordentlichen  und  au8s«r- 
ordentlichen  Profesj^oren  und  Privatdooenti'n,  „zur  Aushilfe,  um  sie  zu 
Lehrern  nachzubilden*^  Jede  Abtheilung  wählte  ein  Mitglied  in  den 
Senat,  welcher  die  Angelegenheiten  der  Universität  leitete.  Diese  Kin- 
theilnng  deckte  sich  mit  der  früheren  insofern,  als  die  ei'ste  Klasse  die 
von  der  philosophischen  Facultat  vertretenen  Fächer  enthielt,  die  zweite 
ans  den  übrigen  Facultaten  gebildet  wurde.  Sie  erhielt  sich  einige 
Jahre  und  ging  dann  allmälig  wieder  in  die  frühere  Form  über. 

Das  ärztliche  Bildungswesen  wurde  durch  das  organische  Edikt 
vom  8*  September  1808  geregelte.  In  demselben  wurde  angeordnet, 
„dass  nur  Derjenige  zur  ärztlichen  Praxis  zugelassen  werde ^  der  die 
Prüfungen  über  den  Theil  der  Heilkunst,  den  er  ausüben  will,  bestanden 
hat'*.  Gleichzeitig  wurde  aber  bestimmt,  „dass  die  Wundar/neikunst 
in  Zukunft  nur  von  jenen  Individuen  ausgeübt  werdt^,  welche  die  Arznei- 
wissenschaften erlernt  haben*',  und  den  Universitäten  befohlen,  „Nie- 
mandem einen  akademischen  Grad  aus  der  Chirurgie  zu  ertheilen,  der 
nicht  liereits  denselben  in  der  Medicin  erworben  hat**. 

Die  Studienzeit  an  der  Univi^rsitut  dauerte  dna  Jahre.  Am  Schlu8s 
eines  jeilen  SemesteiN  fanden  Prüfungen  über  die  im  Studienplan  vor- 
ge»chrie1)€nen  Disciplinen  statt.  Fielen  dieselben  ungünstig  aus,  so 
mussti'n  sie  wiederholt  werden.  Nach  der  Beendigung  der  Studien  er- 
folgte ein  Examen,  Wi  welclieni  m*dirt^n«  Fragen  unter  Clausur,  wenn 
Diöglicb  in  lattnni^cher  S|»rache,  beantwortet,  ein  Kranker  in  der  Klinik 
unt^'fHUcht  und  behandelt  und  eine  lh«^uretische  GeHammtprufung  ülmr 


I    I 


466 


Der  medicimsche  Uhterrieht 


lesten  Zmi, 


alle  üntjerrichtsgpgenstande  abgelegt  mirde.  Wenn  der  Candidat  nid 
blos  die  mHÜcinische,  sondern  zu^^leich  die  chinirginche  Doktor-Wfird 
erlanjjen  wollt**,  so  mussti^  er  ausserdem  ein«^  chinirgiwhe  Ofierati« 
an  d<*r  Leiche  ausfubn^n  und  ein^^n  Verband  anlegen*  Mit  ' 
arbeitun|L(  eim^r   Dissertatiuii   und   der   Verthei<ii^ung  der  au  y 

Thesen  waren  dann  alle  wissenBchaftlichen  Forderungen  <*rfriIJt,  wdci 
der  Promotion  vorausgingen, 

Aht  T  damit  war  kt^ineswejtp«  die  Benxrhti^tjn^  zur  finUieben  ?ni 
verbunden,  sondern  der  junge  Doktor  mUMs^te  8ich  zu  die^i^c^m  Zw« 
noch  zwei  Jahre  in  einem  Krankenhause  oder  unter  der  AnJeittani 
eines  viellreschaftigten  Arztes  in  der  praktischen  Heilkuoi^t  veni» 
kommnen  und  hierauf  einer  Prüfung  unterzi*»heri,  welche  aus  der  Prok 
Kelation,  Uei  der  Hl  Fratren  aus  der  int<?rnen  Mediein,  Chirurt^ie,  Gi 
hurtshilfe,  ThierarzuHikunfie  und  gt^rir'htlichen  Me<jicin  schritUieh  unk 
(Klausur  l)eantwortet^  ein  Krankheit.sfall  iNdiandelt  und  eine  mundlicli 
Prüfung  abgelegt  wurde,  und  di*r  r'oncur^- Prüfung  bestand,  w»d«;b»'  dd 
Zweck  hatte,  die  tüchtigsten  (Kandidaten  biTduszuünden,  um  hI»^  für  dei 
8taat.sdienst  in  Aof^iclit  zn  nehmen^  und  »ich  haufd^achiich  auf  mi§ 
^hriftliche  tlausnr-Arbeiten  über  Gegenstände  der  (iraktisi-hen  MhIü 
bi^schninkte.  Die  praktische  Be^higung  zur  Äo^ütiung  der  fM.iirishill 
erwarben  die  Ärzt^  in  einer  Entbindung>^in8talt. 

Neli*?n  den  Doktoren  der  Heilkunde  gab  c;^  nocJi  Uindäriie  m 
i'hinirgen,  welche  in  besonderen  Ijebrani<italten  unt4*rriüht«t  wurden. 

Eine  neue  Studien-  und  Pnifungi^ordnung  für  die  Ktudierendei 
ih*T  Heilkunde  wurde  am  SO.  Mai  IH43  erlassen.  In  derselben  wnn 
U^immt,  da««  sie  nach  einem  zweijährigen  Btudium  an  der  liuivewiti 
die  AdmLse^ions- Prüfung  ablegten,  welche  Hieb  über  Zoologi€,  Botariil 
MinenilMk^i«',  rh»*mie  und  Phjsik  en^titickte.  Hierauf  tw^gann  dus  eigFn(j 
liehe  medicinische  Fachstudium,  welches  nach  einer  dn'ijährigirn  Dau 
abo  nach  fünQährigffm  Univcräitätsstadium  mit  einer  Prüfung  ab 
üehlossen  wiirde^  welche  in  der  Anatomie  die  Eröffnung  einer  tii{ 
grilaseren  Höhlen  des  Korpieis  and  die  Ilemom^tration  der  diirin  befind 
lielieB  Eingeweide,  sowie  die  B^iSchrtHbnng  eines  selb^^efeiiigten  ua 
einiger  anderer  osteologischer,  angiolMgiseher  mier  ntmrologiücher  Vt 
parate  teriangte,  in  den  übrigen  Fächeni  ^ich  ji^och  auf  ! 
ürlie  Baaatiriifla»g  der  Fragen,  lüc  dariib^T  gi«U>Ut  wurden^  b* 
Uanuit  folgte  das  BienniuBi  pmcticitm,  w^^chrs  zur  AuifbUdung  in  Kp 
^  ridficbem  t^M^nntxl  ttml  ImipIncUifcli  an  klmiivAcn  Li^hnin^ftalten 
MMD  Krajikenhiaami  xoi^nelil  wisdun  «ollle. 

Nach  <ler  Baend^inig  das  Bteuiiiiin  ptvdicum  i^i^chah  die  Hrlik 
fjgMwgf  ilie  M  die  äteUr  d«r  PruW-aflatimi  und  der  C4im:ai5-Prtllu 


DU  dmäschefi  Mittd-  u.  Kldfistaai&n  vor  d.  Oründff.  des  Deutschen  Beiekea,  487 


trat  welche  aufgehoben  wurden.    Der  Candidat,  welcher  sich  derselben 
xmX^TKi^,   musi^ite  durch  Zeugnisse  nachweisen,   dass  er  in  der  Klinik 
3  interne  und    3  chirurgische  Falle    behsindelt   und    bei    3   Geburteu 
ägsistirt  habe,  und  die  darüber  vertk^sten  Krankengeschichten  vorlegen, 
kvar  er  zu  der  Prütimg  zugelassen  wurde.     Die  letztere  bestand  aus 
a)  einem  praktischen  Theile,  urmilich  der  Ausführung  von  3  chirurgi- 
schen Operationen  an  der  Leiche,  der  Anlegung  von  3  Verliändeu  und 
ih»r   Vornahme    vt»n    3    geh urLshilf liehen    Operationen    am    Phantum^ 
h)  ftineii!    mündlichen    Kxumen    ül)**r    1)    Anat^imie    und    l*hjsitilogie, 
2)  Phaniiakologie  und  Pharmacie,  3)  Allgemeine  Pathologie  und  Tlie- 
rapie,  4)  »Specielle  Pathologie  und  Therapie  der  inneren   Krankheiten, 
5)  t^hirur^de,   6)   OeburtJ^hilfH,   7)  Yeterini\rkundf^  und   8)   OfTitditliche 
iledicin  und  Sanitrit.spolizri^   uinl   ünllieh  e)  aus  schriftlichen  tlausur- 
Arbeiten  über  Fragen  au8  denselben  8  PrüfungsgegenstÄnden.     Dcinm 
«bloss    sich    die    Vorlage    einer    Dissertatiijn,  die    Vertheidigung   th'r 
Thesen  und  der  Promotions-AkL    Der  Studierenfle  w-ir  sfimit  genothigt, 
7  Jahre  an  der   Universität  zu  studieren,    l>evor  er  die  medicinische 
Doktor- Wurde  erhielt,    mit  welcher  zugleich  die  Krlauhuiss  zur  Aus- 
übung der  ar/ilichen  Praxis  ertheilt  wurde.    Auch  genügte  sie  ffir  eine 
Anst4^11ung  im  Sanitätsflienst;  ein   besondi^vs  Examen  war  dafür  nicht 
nothwendig.     Uas  PrüfungsgeschriTt  lag  vulistandig  in  den  Händen  der 
Facultüten. 

Die  Prüfungsordnung  vom  22»  Juni  1858  führte  anstiitt  der  Ad- 
issions-Prüfung  die  nalurwissenscbaftliehe  ein,  welche  schon  nach  dem 
erst*»n  Stadien  jähre  aVtgelegt  wurde  und  wie  jene  über  Zoologie,  Botanik, 
Miüemlogie,  (' hemie  und  Phvsik  liamlelte.  Da^  zweite  Kxanienj  welches 
nach  einem  vierjährigen  Fachstudium,  also  nach  einem  füntjahrigen 
Aufenthalt  an  der  Universitilt  folgte,  unterschied  sieh  von  dem  früheren 
dadurch,  dass  neben  der  Anatomie  auch  die  innere  Me<iicin,  Chirurgie^ 
Augenheilkunde  und  (leburtsbilfe  [iraktisch  geprüft  wurde,  indem  der 
Candidat  genöthigt  wurde,  zwei  interne,  zwei  ehinirgische  und  einen 
ophthalmiatTischoii  Krankheit.sfail  dnrdi  8  Tage  zu  liehaudein,  zwei 
chirurgische  und  eine  Augen-Operation  an  der  lj?iche  auszuführen,  zwei 
Verbäntle  anzulegen,  zwei  Scliwangere  zu  untersuchen,  zwei  geburts- 
hilfliche  Diagnuson  und  Oj>enitiouen  am  Phantom  vorzunehmen  un<I 
l>ei  zwei  Geburten  zu  assistiren.  Im  mündlichen  Examen  bildet/en  die 
Anatomie  und  Physiologie  selfisfstandige  Prüfungslueber;  die  patholo- 
gische Anatumit'  wurde  mit  der  allgemeiueo  Pathologie,  die  Geschichte 
der  Medicin  mit  der  allgemeinen  Therapie  verbunden,  während  die 
Veterinärkunde,  gerichtliche  Me^licin  und  Sanitütspolizei  wegblieben. 
Da^  Biennium  jjracticum  wurde  auf  eiu  Jalir  eingeschränkt,  w<dches 


tnm  Besnoh  der  Vcrrlesimgen  OKmr  gerichtliche  Medicin,  M<^ic4nal-Poliietr 
pKVßhiutrie  and  ThierHrzneikuude,  zur  AiLs1>il<iiing  in  einzelnen  Special- 
fichem   und   zur  Ausübung  der  poliklinischen  Praktikanten -Thätii^kä 
vi^rwendet  wurde.     Manche   dienten   während   d'wi^er  Zeil   zugleich 
Hilfsiirzte  in  «'inein  Hospital  oder  bei  einem  Siinitatsbe<imten. 

Am  HchlasH  des  „praktiBchen  Jahres"  fand  die  Staatspnlhing  staU, 
welche  aber  nur  in  München  und  zwar  einmal  im  Jahre  ^lon  mtt 
am  Professoren,  Medicinalbeamten  und  praktischen  Ärzten  zusammen* 
gesetzten  und  vom  Mioiisterium  ernannten  Commission  abgenommen 
wurde,  sich  über  1)  Speinelle  Pathrdogit*  und  Th*^rapie,  2)  Chirurrie, 
3)  (teburtshiire,  4)  Psychiatrie,  .^)  Staatsarzneiknnde  und  ti)  Thierheil- 
kuude  erstreckte  und  sowohl  mündlich  als  Hohrifllich  freschah.  Hierauf 
errolgU'  die  ar/tliohe  Aj^|irolu^ti(>nJ 

iNacij  der  Grünciuug  des  deutschen  Reiches  wurde  in  den  ver- 
schiedenen Stajiien,  welche  dazu  gehören,  das  medicinische  Studium 
und  Prüfungswesen  «nnheitlich  geregelt*  8ie  behielten  sich  jedoch  die 
gesetzlichen  Be,stiininurigen  über  die  Ausbildung  der  Änete  vor,  welche 
sich  dem  uffentlichen  Sanitiltsdiensi  widmen.  In  Bayern  wurde  zu  imm 
Zweck  i.  J,  1 87ti  eine  V^erordnong  erlassen,  mich  w<dcher  die  liewerber 
um  eine  ür/tliche  Stelle  im  Stiüitsdienst  ihn^  Kenntni^e  in  der  gericht- 
lichen Metiiicin ,  ürtentlichen  Gesuntlheilj^pliege,  MedicinalpoUzei  aud 
Psychiatrie  sowuhl  mündlich  als  schriftlich  und  durch  praktische  Ar* 
[leiten  zeigen  mü^^en. 

Irn  Ktini^'reich  Würtemberg  legten  die  Studierenden  der  Mediotn 
früher  die  erste  Prüfung  am  8chluss  der  Studien  ab.  Sie  war  raündlidi 
und  sehriftlieh,  fand  \w  der  med icin lachen  Kacultiit  zu  Tübingen  sUtt 
und  zerliel  in  eine  uaturwinsen^elisiftlichi»  Abtheilung»  welche  die  Zuule^^n^ 
Botanik,  Mineralugiej  Physik,  Chemie,  Anatomie  und  Physiologie 
fasyU»,  m  t?inen  medicinisehen  Abschnitt,  der  über  aügemeine  und 
olelle  Palholugie.  paüiologische  Anatumie  und  Heil  mit  telkhre  handtjlt<\ 
und  t'inen  ehirurgist-heri  Theil,  welcher  die  specielle  chirurgiische  I'atho- 
lugie,  Operationslehre  und  topogniphische  Anatomie  betraf.* 

Hierauf  folgte  ein  Jahr  der  weiteren  praktii^chen  Ausbildung.  da> 
zum  Ht^Kpitaldieui^t  und  zu  wiasenschnftlichen  Reisen  verwendet  wunle, 
und  dann  das  Staatsexamen,  welches  von  tleui  Medicinal-CoUegiuui  in 
Stuttgart  abgt^mimmeii  wurde,  aus  einer  medicinischeu,  chirurgwtüiei^ 
imd   gl*burt^shiif liehen    Abtheilung    bestand    und   nicht    blü8   scfarif 


'  Hf^gUmm^Mm  t  <l.  Künlgreich  Biiycni  \ms,  H,  218«  u.  ff.,   IH43,  S.  < 

'  V.  A.  RiKcitK:    Ui4ii  MtHÜduiilw L-Ätm  di<«  K^Jiügrt'iehB  Würtemberg, 
gart  !H6e, 


nnd  mflnfllich,  f?OTidem  auch  praktiseher  Natur  war,  indem  Kranke 

iintersucbt  und  liehanitelt,  Openitioncii  an  <ier  Liinbe  uiLs^^eführt  und 
Phantoni-Übung(?n  vemnstaltet  wurden. 

Auch  im  Grossherjsogthum  Baden  wurde  die  Erlaui)niss  zur  iir/A- 
liehen  Praxis  durch  die  Staatsprüfung^  orworhen,  welche  grösstentheils 
theoretisch  war  und  von  einer  Commission  aligenommen  wurde ,  die 
»ich  vorzugsweise  aus  Mitß^liedeni  des  Medicinal-Collegium.s  zusammen- 
!*etzte.  Die  Doktor-Promotion  war  davon  ganz  unabhängig,  geschah  an 
den  medicinischen  Facultnlteii,  hot  nichts  weiter  als  einen  leeren  Titel 
and  wurde  daher  von  manchen  Ärzten  gar  nicht  gesucht. 

im  Königreich  Sachsen  gah  as  irüher  ausser  den  promovirt^n 
Ärzten,  welche  an  der  Universität  zu  Leipzig  ihre  Ausbildung  erhielten, 
noch  medicinae  practici,  Wundärzte  und  (TelMirishelferj  die  au  der  me- 
dicinisch-chinirgischen  Akademie  zu  Dresden  unterrichtet  wurden.  Die 
letztere  ging  1815  aus  dem  Ooilegium  medico-chirurgicum  hervor  und 
bestand  bis  1864, 

Die  medicinae  practici  waren  eine  niedere  Klasse  von  Ärzten  für 
innere  Krankheiten  und  hatten  nur  ein  sehr  beschränktes  Niederlassungs^ 
recht.  Die  Wundärzte  durften  überall  die  chirurgische  Praxis  treiben,  die 
<Jeburt*shilfe  jedoch  nur  dann,  wenn  sie  sich  der  dafür  vorgescbriebenen 
Pröfnng  unterzogen  hatt-en.  Auch  konnten  sich  die  medicinae  practici 
die  liegitimation  zur  Ausübung  der  chirurgiscbi^n  und  geburNhil fliehen 
Praxis  erwerben,  wenn  sie  sich  in  diesen  Theilen  der  Heilkunde  exar 
mini  reo  Hessen, 

Wer  das  Gymnasium  absolviri  hatte  und  die  Universität  bezog, 
um  sich  dem  »Studium  der  Medicin  zu  widmen^  legte  nach  dem  zweiten 
Studrenjahre  das  Baccalaurt^ats-Examen,  welches  ungolahr  dem  JHtzigen 
Tentiimeri  physicum  entsprach,  und  am  Schhiss  der  Studien  vor  der 
meciicinischen  Facultat  die  mit  der  Doktor-Promotion  verbundene  Appro- 
Kations-l'rüfung  ab,  dio  jiich  auf  alle  wichtigen  UnterTichtsg«^gen«tande 
eftlreckte  und  ziemlich  hohe  Anforderungen  stellte. 

In  den  sächsischen  HerÄOgthümern  beistanden  früher  Stuatspridungen, 
welche  von  den  Examinations-Conimis.sionen  in  Aen  Hauptstiidten  der 
«einzelnen  Länder  abgenommen  wurden.  Erst  1862  trafen  Weimar^ 
Coburg* fiotha  und  Altenburg  ein  Übereinkommen,  wornach  das  Prü- 
fUDgsgeschäft  der  medicitüschen  Facultat  zu  Jena  üherlragen  wurde. 
Das  Examen  umfasste  die  wichtigsten  Theile  der  Heilkunde,  war  mit 
praktischen  Arbeiten,  klinischen  Demonstrationen  u.  dgl.  verimnden  uud 
endete  mit  der  Verleihung  des  Doktor-Diploms,  auf  Grund  dessen  die 
verschiedenen  Staat^regiemngen  die  ärztliche  Approbation  ertheilten. 

Im  Königreich  Hannover  wurden  die  Arzt^  an  der  Universität  zu 


470 


Der  niedicinische  ürUerruAi  m  dtr  nrntesien  Zeit 


Göttinjäfen,  die  auf  einer  nie^irigeren  BQdnngsstnfe  steh^?nden  Chirurgtso 

fin  ilor  (*hirurgefi-Schule  zu  HannoTer  erzogen.  Die  ersteren  machten 
nach  etwa  7  S<'mest«.*rn  dit^  Iloktorat.s-Prüfunik%  welche  sTiiümtliche 
HiMipÜacher  der  Jluiiicin  umfiisste,  nlif^r  keine^woj^s  zur  ärztlichen  Praxis 
Uerechtigte.  Die  Apprubution  wurde  leiliglich  durch  das  Staatsriaaiea 
erworben,  welches  von  der  von  der  Regierung  ernannten  Kxaminatiom^ 
l'ommission  ab^n'rininmen  wurde. 

Auch  in  MeekleTihurg'  exiistirteo  früher  neigen  den  Ä^^ten,  die  an 
der  Universitrit  zu  Rostock  ausgebildet  und  promuvirt  wurden,  Chirurgiu, 
welehe  durch  eiue  Prüfung  vor  dem  Medidnal-t'ollegium  di*?  milir 
uder  weniger  eingeselirilnkle  Krhiubniss  zur  Ausübung  ihrer  Kumt 
erlangt  hatten.  Den  Doktüren  der  Htdlkunde  wurde  auf  Örund  ihrar 
Zeugnisse  von  der  Kegiemng  die  firztUehe  Approbation  ertheilt  Um 
Früfungsordnung  wurde  aiaT  noch  vor  der  Einführung  «ler  deut«ch«ii 
Beichsgesetze  nach  dem  Must45r  der  preussischen  PnifungHonliiung 
umgefmdert 

Im  GrossherzogUium  Hessen  gab  es  nur  eine  Klasise  von  Ärzleri. 
Zum  Studium  der  Medicin  wurde  nur  Derjenige  zugelassen,  welcher  ibs 
rivninasium  altsidvirt  hiitle.  Die  ärztlichen  Prüfungen  )»e8t4mdeii  nxa 
folgendi'U  Theib^n:  1)  ilem  imturwisäenschattlicben  Mxanuni,  welche??  die 
Mineralogie,  Botanik,  Zoologie,  Physik  und  Chemie  umfassto,  2)  An 
anat<»mrschen  l*rütung^  widcbe  theoretisch  und  praktisch  und  sehr  ein- 
gi'hend  war,  3)  der  Schlusyprnfung,  dir  .sieb  au.s  schritllicben  Arküten, 
dem  Examen  am  Krankenbett  und  der  mündlichen  HehluHSprufung  lu- 
sammensrtzte^  die  mit  Ausnahme  der  Anatomie  alle  Zweige  der  Heit 
künde  in  Betracht  zog.  Jlieraiif  folgte  die  Anfertigung  einer  Dimr* 
tation,  Vertheidigung  der  Thesen  und  Doktc^r-Promotion,  mit  welcher 
das  Recht  zur  Aui^üljung  tler  Praxis  verbunden  war. 

In  den  deuischeu  Stmid^n,  welche  keine  medicinischen  LehransLato 
be8a.söen,  wie  in  (Jblenhurg,  Bniunsehwoig.  Hamburix,  Lübeck  u*  ü,  w. 
liestanden  ebentiills  Prürungslndiörden.  wekh*^  sich  aUM  SaniUiisiieaniUu 
und  angeseheneri  ArzUii  zusammrnset/.len  und  die  iirztliche  Approbation 
ertheilteo. 


1834. 


Dobkblüth:  DarstpUiint'  t\or  inodichiiarhcn  roli«oigii8«!it]efi^*btm|;,  Schwvnnj 


IVeuasen  und  das  jetzige  Detäsche  Reidi.  471 


Preussen  und  das  jetzige  Deutsche  Reich. 

Die  brandenburgisch-preussische  Monarchie  erlangte  im  18.  Jahr- 
hundert eine  hervorragende  politische  und  militärische  Machtstellung. 
Die  Idee  einer  kräftigen  Staatsgewalt,  welche  alle  Theile  der  Verwaltung 
beherrscht  und  zum  Wohl  der  Gesammtheit  leitet,  brach  sich  hier  bald 
Bahn  und  erfüllte  alle  Kreise  der  Bevölkerung.  Auch  das  medicinische 
ünt^rrichtswesen  blieb  von  dieser  Tendenz  nicht  unberührt. 

Schon  1725  wurde  ein  Staatsexamen  eingeführt,  welches  bei  der 
Leichtfertigkeit,  mit  der  damals  an  manchen  Orten  ärztliche  Diplome 
verliehen  wurden,  nothwendig  sein  mochte.^  Es  beschränkte  sich 
übrigens  auf  die  Anatomie  und  die  Beschreibung  eines  Krankheitsfalles, 
den  der  Candidat  beobachtet  hatte.  Dazu  kam  später  ein  mündliches 
Examen  über  die  wichtigsten  Theile  der  Heilkunde.  Im  J.  1798  wurde 
bestimmt,  dass  anstatt  der  schriftlichen  Bearbeitung  eines  Krankheits- 
falles zwei  Kranke  in  Gegenwart  des  Examinators  untersucht  und  durch 
4  Wochen  behandelt  wurden.  Die  Studienzeit  wurde  auf  mindestens 
3  Jahre  festgesetzt. 

Eine  vollständige  Organisation  des  mediciniKchen  Studien-  und 
Prüfungswesens  erfolgte  i.  J.  1825.  Darnach  unterschied  man  mehrere 
Kategorien  von  Heilkundigen,  nämlich  promovirte  Ärzte,  welche  nur 
zur  inneren  Praxis  oder  zugleich  auch  zur  Ausübung  der  (Chirurgie 
berechtigt  waren,  und  Wundärzte  erster  und  zweiter  Klasse.  Dieselben 
waren  ausserdem  zur  Ausübung  der  Geburtshilfe  und  der  Augenheil- 
kunde legitimirt,  wenn  sie  die  dafür  erforderlichen  Prüfungen  abgelegt 
hatten. 

Die  promovirten  Ärzte  wurden  an  den  Universitäten  ausgebildet. 
Sie  mussten  bei  der  Immatriculation  den  Nachweis  liefern,  dass  sie  diis 
Gymnasium  absolvirt  und  das  Abiturienten -Examen  bestanden  hatten, 
sich  hierauf  durch  4  Jahre  dem  medicinischen  Studium  widmen  un<i 
das  letzte  derselben  zum  Besuch  der  klinischen  Lehranstalten  benutzen. 
Es  gab  folgende  Prüfungen:  1)  das  Ten  tarnen  philosophicum,  welches 
1826  eingeführt  wurde,  sich  über  Logik  und  Psychologie,  Physik, 
Chemie,  Mineralogie,  Botanik  und  Zoologie  erstreckte  und  von  den 
Professoren  der  philosophischen  Eacultät  in  Gegenwart  d(\s  Dekans  der 
medicinischen  Facultät  abgenommen  wurde,  2)  das  Tentamen  medicum 
und  Examen  rigorosum,  welche  in  einer  schriftlichen  Clausur- Arbeit 
und   einem   mündlichen  Examen   bestanden,   über   alle   medicinischen 

^  L.  y.  BömrE  und  H.  Simon:  Das  Medicinalwesen  des  Preussischen  Staates, 
Breslau  18  U,  I,  344  u.  fS. 


472 


Ikr  m&dicimsrhf  thiitrrkhi  t»  der 


rnterrinhtj^^r'genHtjinde  handelten  und  zur  Promotion  b^rpchtigten^ 
t\)  dk  StuiiLsprüfun^',  dk'  nur  in  Berlin  st*itt!aiid  und  dtts  Re«"hl  rat 
rintlir^hun  Tnixls  ^^ah. 

Wiihn*r»d  dii^j  Tentsiratm  medicum  vor  dem  Deknn,  und  dits  Rigo* 
nmum  v<>r  den  Proli^uren  der  nüHlicinischen  Facultiit  abprokgt  wiirdc^ 
^wirkU?n  Imi  dt^r  Süuil^iirüfiin^'  .»tln'oretisi'h  und  pniktisrh  Wissenschaft»' 
lit'h  gt'bildfk'  Manner  aus  allen  Zweigen  des  lieilknndix^en  Wis^ons**  ik 
Kxaminatoron.  ProfeÄSfjren  unrl  andere  UniverHitaLslrhrer  sollten  xm 
l'rüfun[;st,'es(diärt  jirincipiell  ausjifescbk^sKt^n  und  höt.disU'ns  nur  als  PrufiT 
Über  solche  Füoher  zngrla8.sen  werden,  welche  sie  nicht  lehnni,  Kwn 
Mitglied  dk8**r  Kxuminsitions-(\imniisi^ion,  welche  alljährlich  vom  Jhni. 
sk'rium  iTnaiint  wurde»  durlte  HingiT  als  2  Jahre  soirjf  Fnnktionm 
HUsulicn. 

Dil*  StaatHprfjfuii^'  setzte'  sieh  aus  mehreren  Ahsehnitten  /.osimnu'n, 
Viru  denen  tier  vrsiv  dk  Anatumie  [>i'trar,  di<'  Üenimisiraliun  des  Sitih 
viswrmu,  die  Anferli^nm^  eines  anakunisehen  Präpanits  und  die  Er- 
klärung antlerrr  Pmj/iirak,  webdie  dem  Prülünji?  v<»ri?«*le^t  wurden, 
st^rlan^He,  der  /.weite  über  die  innere  Medii^in  handell^  und  in  ilor 
l'nti'r«uehunfj  nnd  Htdiandluni?  von  zwei  Kranken  durch  2-^3  Wochen, 
an  vvelc;b(*  sirb  KnijUen  über  tinderr  Krankhi'itsfjillo  ansebloss<»n,  utül 
iiner  priiktistduMi  Priit'uujyf  ober  Krceidirkunst  beshuid,  der  dritk  ^iih 
iu  iihnheher  Weise  mit  zwei  chirurgischen  Krankheit^fiilleu  beschäftigt*' 
nod  der  vierte,  die  miindliehr  *Srhlnssj>rüfung,  noehnials  sammüirhi" 
LehrgOKonsliiutb'  nnita-^iste  und  gleich.sani  als  runirollc  d^r  vonin- 
gepuif^enen  Prüfungen  diente.  Hierauf  wurde  die  Berechtigung  zur 
Hchar^dlmiy  der  inneren  kninkheikn  verliehen.  Wer  auch  chirurgischi- 
Praxis  treiben  wuUie,  war  verpllichtet,  sich  noch  einer  chirurgisch-tert 
ni^ehen  Prüfung  zu  »inter/iehen,  wtdche  zwit^chrn  drni  zweiten  miil 
dritten  Ahsdinitt  eingeschaltet  wurde  und  darin  hestanil,  dass  der  ('an 
(lidat  ein  ehirurgiselies  Thema  schritt  heb  bearbeitete,  seine  Kenntnis 
in  der  ()|>eiiitionskunst  und  Instriinietitenlrhre  zeigte,  einen  Verbn 
iuib»i?ie  und  zwei  Operatiiuien  an  der  I^dcbe  ausführte.  Wenn  die 
Kxiimen  vorzüglich  ausliel,  so  erluelt  er  das  Diplom  als  (Operateur»  in 
iindeieii  Falli*  dasjenige  als  praktischer  Arzt  und  Wun<iar/L  Dm 
wiirdr  der  Tiltd  „0|»erateur"  1855  aufgehoben* 

Dir  \S  undar/te  der  ersten  Klasse  beihirften  einn  ^riini:<'rrn  Vllgs 
meinbildiüig  uiel  stmlierten  durch  3  Jahre  an  einer  niedicinisidu'n  KacuHj 
oder  einer  medicinisch-chinirgischen  LehransUilt;  doch  wurde  ihnen  ei^ 
Jahr  der  Studienzeit  nachgesehen,  wenn  sie  vorher  zwei  Jahre  bindor 
als  Chirurgen  niederer  Kategorie  thiitig  gewesen  waren.  Sie  erhieltcii 
die  Krlaubuiss  zur  Ausübung  der  internen  und  chirurgisüheii  Fnix 


J^'msam  und  das  jdxvje  Deitt^teke  Hßkh, 


473 


nachtlem  sie  die  Staatsprüfung  liestanden  liatten.  Dieselbe  wurde  nach 
den  gleichen  Gruinisätzen  geregelt  wie  tliejentge  für  die  prumovirten 
jU7te  und  unterschied  sich  vun  ihr  nur  dtidureh,  dass  sie  keine  uatur- 
fris.seiischaftUuhen  Kenntnisse  vnnuissetzti*  und  ^tTirig<'re  Anfonlerungeii 
itn  4ic  ärztliche  Bildunj^  stellte,  8ie  fand  in  deutscher  Sprache  statt, 
jirihrend  die  Doktoren  einen  Theil  der  Prüfung  in  lateinischer  Sprache 
legten. 

Die  Wundilrztjt*  zweiter  Klasse  erwiirlien  die  ffir  ihren  Beruf  er- 
fonlerlichen  Ki^nntnisse  theils  durch  die  Unlerweisun^^  eines  Meislers 
ihrer  Kunst«  bei  dem  sie  in  die  Lehre  traten,  theils  dureh  den  Dienst 
in  den  Militärlawirethen  und  Krankenhäusern  oder  durch  den  Besuch 
einzelner  Vorlesuntren  an  einer  medicinischen  Facultat  *ider  chirnrgisch- 
mi-dicinischen  Leliranstall,  In  der  Pnltung,  welche  von  den  Aledu;inaU 
OiUegien  der  Provinzen  abgenommen  wurde,  wurde  verlanj^H,  da.ss  der 
('iinfli<lat  ilrei  Fragen  iifuT  allgemeine  tiegenstilnde  der  Physiologie, 
MaWria  medica  ei  chirurgica  und  Keeeptirkunde,  über  WiederlKdebungs- 
v»>r8uche  bei  Scheintodten^  Hilfeleistungen  hei  plötzlicher  Lebensgefahr, 
vorläufige  Aiu>rdnungen  beim  Ausbruch  vnu  Lpidemien  u.  a.  m,  unt^r 
Ctousur  schriftlicb  beairtw ortete ,  den  Situs  viscerum  demonstrirte^  ein 
inat^^mische«  Präparat  anfertigte  uu<l  andere  Praparatt^  die  ihm  vor- 
gelebt wurden^  erklärte,  eine  kleine  t>perafion  an  der  Leiche  ausführte, 
mm  Verband  anlegte  und  am  Krank^^n  büulig  vurkommende  chirur- 
gische KrankheitszAistünde,  wie  l^nt/aindungen,  Kiterungen,  Hernien, 
Beinbrüche^  Verrenkurjgen,  Brand  u.  a.  m.  diaguosticirte. 

Die  Berechtigung  zur  Ausübung  der  Geburtshilfe  wurde  nur  an 
promuvirte  Ärzte  und  Wundtirzte  erster  imd  zweiter  Klasse,  also  an 
Personen  verliehen,  welche  bereits  zur  arztli(;hen  Praxis  in  gewissen 
Beziehungen  legitimirt  waren.  Vor  der  Prüfung,  der  sie  sich  zu  diesem 
Zweck  unterzogen,  miLssten  sie  den  Nachweis  liefern,  dass  sie  eim^n 
vollständigen  Cursus  der  <ieburt*>hilfe  absohirt  und  zwei  Geburten  ge- 
hoben hatten:  hierauf  wurden  sie  veranlasst,  drei  Fragen  aus  diesem 
Gebiet  schriftlich  zu  beantworten,  ihre  Fertigkeit  im  Touchiren  am 
Phantom  und  an  der  Schwangeren  zu  zeigen,  die  Weudung  und  die 
ExtTBktion  mit  der  Zange  am  Phantom  auszuführen  und  eine  münd- 
liche Prüfung  über  Gtiburtshilfe  abzulegen. 

Zur  Ausübung  der  Augenheilkunde  wiu"  jeder  Arzt  und  Wundarzt 
vi'htigt,  welcher  die  chirurgische  Praxis  >)etreil>en  durfte.  Ein  be- 
deres  Examen  über  Augeoheilkimde  war  daher  nur  für  diejenigen 
irzte  Torgeschrieben,  denen  ein  chirurgisches  Diplom  fehlte.  Es  bestand 
darin,  dass  2  oder  8  Fragen  über  die  Anatomie  und  Physiologie  des 
Auges  schriftlich  beantwortet,   einige  Augeuoperationen  an   der  Leiche 


W 


(rciTiiirlM,  iUv  Ki'iintnfsg  d<ür  erforrierlichcn  Instrumente  dargelegt 
•firi  ninrMlIichi^s  Kxfuiii^n  \)\m  Xx^^mheükuntlv  abgelegt  wunle. 

Im  nUV'nilitjht^n  SunitalHdiiinst  wurden   nur  promovirt^  Änli^  unj 
\\  iirMljirztc  itsUt  Klasse  ufiRe^tdlr,  welche  zur  Aanühung  aller  Tbeilp' 
t\vr  ar/lliohf'ii   I*nixi.s  hefu^:»  waren.     Dir'  ersteren  wurden  Phvsicj^  the 
Inijiteren    fornn^isohp   Wuudar/tc   genannt     Die  Bewerber   uiu  Stellfl 
dit'jier  Art  luujwicn  4  Aiifp-i'^en  aus  der  jj^erichtliehen  Medicin  *ehr 
liearbeiten,  wozu   ihuvn   rin  Zeitraum  von  mehreren  Monaten  geirilitj 
wurde»  eine  p^rirfitÄilr/tliehe  OlMiuktinri  vornehmen,  eine  Apoüieke  Ti| 
Mrt»n,  ihre  diuijnusti^rlien  und  therapeutischen  Kennii 
hoilkundr  praklisrh   bekunden  und  eine  Prüfuni^'  ubn 
lUdep'n.    Im  Jahre  !H5(»  wurde  anj?eMnlnet,  dass  nur  diejenijEren  Ar 
Wekhe  in  der  Staat  däi^  Tradieat  ..v  h"  erhalten 

«üfurl  nneh  der  \\^  n  zum  Physikat^-i  zugdassGü  wn 

wUimnd  die  iVbrigvn  damit  einige  Jahre  warten  mussten. 

IHiMtt  diirob  mw%  tissmkMmm  OoailiiiifttiiMien  «dir  was^h 
Vnmntmplitm  InOte  mmdkt  t^Vebttnde  im  Gcfidge.  Ks  mMei 
Am»  in  «b^  Mmp«'  tu  Gmppeo,  zwisdiin  deBM  GMipotanz-iWUiktc 


UMVWsililtrielirfr  durch  «äi 
Aiurtlhw  Kmnnfalttlidh 


dfo  IkMltitm  henb,   kränkte 
Miartianien^  indem 
beim  Slulsexamen 
wekhe  dabei  thitig 
diesem  Amt  nur  ^teo 


wii|st  vhm  j^Pfifwt  nivn^ 


vmi  «dtlQgtp  die  Prüfu894)uididateBm 
m  Bmttft«  4er  mit  fidiea  Unkc^ton 


lliM^  Git«4r  m  %V 


1^4$ 


ii^<i 


Iimk  4s  aaok  GMataeUniif 

In  «kn 

Uhr. 

iler  Wmii^ 


Ante 


^  a 


■r  int* 


Preussen  tmd  das  jetzige  Deutsche  Beick.  475 


philosophicDm,  das  Tentamon  medicum  und  Examen  ri^orosum  und 
endlich  die  Staatsprüfung  ablegen.  Die  letztere  setzte  sich  zusammen 
aus  den  einzelnen  Abtheilungen  derselben,  welche  bisher  für  die  pro- 
movirten  Ärzte  und  Wundarzt«  vorgeschrieben  waren;  doch  wurde  der 
chirurgisch-klinische  Abschnitt  mit  der  chirurgisch-technischen  Prüfung 
verschmolzen,  und  das  geburtshilfliche  Examen  als  besondere  Abtheilung 
in  die  Staatsprüfung  aufgenommen.  Dieselbe  bestand  also  aus  dem 
anatomischen,  medicinischen,  chirurgischen  und  geburtshilflichen  Examen 
und  der  Schluss-Prüfung,  zu  welcher  nur  Derjenige  zugelassen  wurde, 
der  die  vorhergehenden  mit  Erfolg  bestanden  hatte. 

An  dieser  Prüfungsordnung  wurden  später  einige  durch  die  wissen- 
schaftlichen Bedürfnisse  geforderte  Veränderungen  vorgenommen.  So 
erhielt  die  anatomische  Prüfung  i.  J.  1856  durch  die  Aufnahme  der 
Physiologie  eine  andere  Gestalt  und  bestand  aus  einem  anatomischen 
Theile,  nämlich  einem  osteologischen  und  einem  splanchnologischen 
Extemporale  (Situs  viscerum)  und  der  Anfertigung  eines  Nervenpräparats, 
und  einem  physiologischen  Abschnitt,  welcher  zugleich  die  Histologie 
umfasste. 

Im  Jahre  1861  trat  an  die  Stelle  des  Tentamen  philosophicum,  wel- 
ches aufgehoben  wurde,  das  Tentamen  physicum,  bei  welchem  die  Ana- 
tomie, Physiologie,  Physik,  Chemie  und  die  beschreibenden  Natunvissen- 
schaften,  also  die  Mineralogie,  Zoologie  und  Botanik,  die  5  Prüfungsfächer 
bildeten.  Es  sollte  unter  der  Leitung  des  Dekans  der  medicinischen 
Facultät  stattfinden  und  nach  dem  zweiten  Studienjahre  abgelegt  werden. 

Im  Jahre  1860  wurde  angeordnet,  dass  jeder  Candidat  bei  der  Mel- 
dung zum  Staatsexamen  den  Nachweis  liefere,  dass  er  die  chirurgische 
und  die  medicinische  Klinik  durch  je  zwei  Semc^ster  als  Praktikant 
besucht  hat. 

Das  Examen  rigorosum  blieb  als  Facultäts-Akt  neben  der  Staats- 
prüfung in  unveränderter  Form  bestehen. 

Von  den  Universitäten,  welche  Preussen  im  Anfang  unseres  Jahr- 
hunderts besass,  schienen  einige  wegen  ihres  spärlichen  Besuches  und 
der  Nähe  anderer,  günstiger  gelegener  Hochschulen  überflüssig  zu  sein. 
So  zählte  i.  J.  1805  die  Universität  zu  Erfurt  bei  41  Lehrern  nur 
21  Studenten  und  diejenige  zu  Duisburg  bei  12  Lehrern  gleichfalls 
21  Studenten;  stärker  besucht  waren  die  Hochschulen  zu  lYankfurt  a/0., 
welche  1797  bei  21  Lehrern  174  Studierende  hatte,  Erlangen,  wo 
40  Lehrer  und  202  Studenten  waren,  Königsberg  mit  26  Lehrern  und 
3M)  Studenten  und  Halle  mit  48  Lehrern  und  762  Studenten. 

Nachdem  die  Universitäten  zu  Duisburg  und  I]rfurt  aull-^eli  •'•♦•?!, 
Erlangen   au  Bauern    abgetreten    unJ  Wittenberg   mit  Halle,   fra.k- 


ftirt  a/0.  mit  Breslau  verschmofeen  worden  wftr,  blieben  Ton  den  # 

Hochschulen  nur  Kfniigsberg,  Halle  und  Bmslmi  übri^,   wo  aW  m\ 
1811    eine   mediciniHche  Facaltat   errichtet   wurde.     Dazu    kBmen 
Universität  zu  Greifswald,  welche  mit  S^hwediäoh-Pnmmern  untt^r 
preussische  Herrschaft  gelangk%  un<I  »lie  zu  Berhn   und  B^nn,  weld 
neu  gegründet  wurden. 

Die  Berliner  HocLschule  trat  i*  J,  1810  ins  liehen,  währei 
Staat  in  Folge  der  Niederlagen  von  Jena  und  Auer^tädt  um  die 
seine«  frilheren  Umfiinges  verkleinert  und  zum  Theil  vnn  feindlich«»« 
'l'njpiien  henotzt  war  Ks  war  sicherlich  eine  )w?wtinderangBw6niige 
Kr.Hchemung,  dans  man  in  einer  nolchen  Zeit  ailgemfiner  Niederg^selltagen* 
heit  daran  denken  konnte,  der  Wis^ensc^haft  Tempel  zu  erricht«ii;  üie 
zeigte  welchen  Mnth,  weleh**  moralische  und  Intel lektnelle  Kraft  man 
bestall,  und  wie  fest  und  sichiT  man  auf  «iie  Wiedererhebung  dci 
Staaten  holTte  und  baute.  ^  Die  medieiDische  Facultat  der  Umvermtü 
Berlin  entwickelte  sii^h  aus  dem  Kollegium  medim-chinirgicum,  an 
welchem  i.  J.  IHOH  vor  dem  Ausbruch  des  Kriege«  bereits  18  ordt^ai 
liehe  und  2  ausserordentliche  Professoren  lehrten*  Sie  übernahm  ei 
Theil  ihrer  liebrkrdfte  und  Lehranstalten  und  sorgte  dafür,  das« 
selben  durch  die  Berufung  hervorragender  <i<dehrter,  wie  B^etl,  Hi 
LAND,  RuDobPKi  u,  A.  uiid  dwrch  die  Vermehrung  der  wmsenadiaftUrJtpn 
Infäfitute  ergünxt  nnd  vervollstiindigt  wurden. 

Die  militärär/J liehe  BibitingHanstalt  zu  Berlin,  welche  1795  ai 
Görcke's  Veranlassung  eine  vortreffliche  Orgamsation  erhaltc^n  hatti^' 
wurde  mit  der  Universität  in  der  Weise  verbunden,  das«  ihre  iiöglinge 
an  dem  Unterricht,  der  dort  ertheilt  wurde,  Theil  nahmen.  Dieselben 
schieden  sich  in  solche,  welche  m  pnjmovirt**n  Ärzt-en  ausgeliiWel 
wurden,  und  in  solche,  welche  den  Lebrcuryus  für  die  Wundärzte  erster 
Klmni*  abHohiri.en,  Nach  der  Aufhebung  der  letzteren  Kategorie  des 
Heilpersonals  horte  HUf*h  die  Ausbildung  derselben  ffir  die  Armee  »iit 
Die  AnstjiU  besteht  heut  als  Conviki  unter  militÄrärztlicher  lieitiing. 
Die  Studierenden  erhalten  vom  Staat  freie  Wohnung,  unentgeUhch<»n 
Unterricht  unfl  zum  Theil  sogar  ünanzielle  Unterstützungen  während 
ihrer  Studien  und  übeniehmen  dafür  die  Verptlichtung,  später  eine 
wisse  Anzahl  von  Jahren  in  der  Armee  zu  dienen.  Die  Übenvacbui 
der   Studierenden    wird    Militärärzten    übertragen,    welche    sich   dartih 


'  Rü*>.  KijviHK,i  Die  Gründung  diff  Friedrich- Wilhclms-Uüivcjiiitat  xu  Ii«ri 
Berlin  1860. 

*  J,  D.  E.  Pekubk:  Dab  K,  Freuis.  medidniflchchirurgiache  Friedrich *WU' 
hdoid  Institut  zu  Berlin,  BorUn  181»,  8.  28  a  C 


I 


Be^btmg  und  Geschioklichkeit  auszeichnen;  sie  begleiten  die  Zöglinge 
in  die  Vorlesungen,  wiederholen  mit  ihnen  den  Inhalt  derselben  und 
erhalten  anf  diese  Weise  die  ^Gelegenheit,  ihre  eigenen  medicinisohen 
Kenntnisse  zu  befestitren  und  zu  erweitern.  Unsere  Wisseasehaft  ver- 
tknkt  dieser  Einrichtung  niiinchen  hervorragenden  Forseher  und  Uni- 
verätati^lehren 

Die  jüngste  der  preussischen  Universitäten  ist  diejenige  7A\  Bonn, 
welch©  i.  J.  1818  gegründet  wurde.  Sie  war  ein  Bedürfniss  für  die 
westlichen  Provinzen,  welche  von  den  östlichen  raumüch  getrennt 
waren  und  ausser  der  theologisch-philosophischen  Lehranstalt  zu  Münster 
keine  Hochschule  besa^sen. 

Die  politischen  Ereignisse  von  18tU>  hatten  die  Vermehrung  der 
preussischen  Universitäten  um  diejenigen  zu  (lottingen,  Kiel  und  Mar- 
"bUTg  zur  Folge,  welche  mit  Hannover,  Schleswig-Holstein  und  Kür- 
bissen anter  die  preussiscbe  Staatsverwaltung  kamen.  Als  nach  den 
glorreichen  Siegen  von  1870  das  Elsass  wieder  mit  Deutschland  ver- 
einigt wurde,  wurde  die  Universität  Strassburg  nach  dem  Muster  der 
deutschen  Hochschiden  reorgankirt  und  in  die  Zahl  derselben  auf- 
genommen, üire  Ausstattung  mit  reichen  Lehmiitteln  und  hervor- 
ragenden Lehrkräften  haben  ihr  bald  einen  bevorzugten  Platz  unter 
Urnen  verschafift 

Mit  der  Errichtung  des  Norddeutschen  Bundes,  welcher  durch  den 
Eintritt  der  süddeutschen  Staaten  i.  J.  1871  zum  Deutschen  Reiche  er- 
weitert wurde,  erfolgte  eine  einheitliche  Organisation  des  medicinischen 
Studien-  und  Prüfungsweaens.  Auf  Grund  <les  §.  29  der  Gewerbeordnung 
?om  21.  Juni  1869  wurde  der  Beschluss  gefa^st,  dass  fortan  nur  die 
Central  beb  Orden  derjenigen  Bundesstaaten,  welche  eine  oder  mehrere 
Universitäten  haben,  befugt  sind,  tlte  Approbation  zur  Ausübung  der 
ärztlichen  Praxis  zu  ertheilen,  und  zwar  nur  solchen  Personen,  welche 
die  ärztliche  StaaLsprüfung  besüindeu  haben.' 

Dieselbe  kann  an  jeder  zum  Deutschen  Keieh  gehörigen  Universität 
yi  werden»  Die  Prüfungs-Commissionen  werden  von  di*m  vor- 
en  Ministerium  alljährlich  ernannt;  sie  bestehen  aus  Fachmännern 
aller  Zweige  der  HeilkTinde,  vorzugsweise  den  Professoren  und  Docenten 
der  betrefTenden  medicinischen  Facultaten  und  einem  Vorsitzenden,  der 
die  Verhandlungen  leitet  und  ul^erwaeht.  Di(*  Medi^-inal-f  'öUegien  uinl 
Examinations-Commissionen,  welche  tusher  in  den  Hauptstädten  der 
verschiedenen  Bundesstaaten  die  arztüi-lie  Sta<itsprüfung  abgenommen 
hntten,  stellten  diese  Thatigkeit  ein,  uo<i  das  nipdieinisehe  Staatsexamen 


H.  EuLUKUcitu:  Dttö  Metlieimilweaeii  in  Pn'ii^.sen,  ilcrlm  1874^  S.  309  u.  i\\ 


476 


Der  medidmaehB  IMimrriM  in  der  nmisaien  Zeit, 


mirde  eij^entlich  m  eim  Ton  den  Staatebehdrden  beau&icfatigte  Faeoltil». 
prufiing  umgewandelt. 

Wer  sich  derselben   unterziehen  will,  muss  den  Kachweit^  fahn 
diiss  er  di\s  Gymnashim  alisohirt,  dus  Tentamen  jdiysicnm  bet^iaiiileo;' 
die   klinische  Pmktiknnk'n-Thiitigkeit  <iiirch^'emiit!ht   und   hei  vier  G^_ 
hurten  assistirt  hat    Da^^egen  ist  er  nicht  mehr,  wie  Irflher,  verptliehla 
(la^  Examen   ritjoruKuni  ahzulc^'cn  und  die  Doktor- Wfmle  zu  ♦»rwiTlm" 
Ali*^nüngti  Idieh  den   FaimUäten  das  Heidit,  dit*8el)ie  nach  «Mn^r  vorai».^ 
gegangenen    Prüfung   zu    verleihen;   aber  ditns  kann  ebensowohl  n» 
<lem  Staatseramen  ge^ehehen  als  vor  (h'nisf*lt*en  und  ist  nur  nuch 
altes    Herkommen,    nicht    melir   eine    gesetzlich    vori:e.s(^hriid)fnr»   V.m 
riohtung. 

Die  Staatsprüfung  wurde  in  fünf  Ahnchnitte  eingettn-ilu  Der  ei 
umfasste  die  Anatomie,  l*hy?5ioh*gie  und  [mtjiob^gischc  Anatomie 
bestand  in  der  Demonstnition  eines  osk^ologii^chen  und  aine^  ^plancha^ 
logischen  uml  der  Anfertigung  eines  Nerven-Pnlparats,  in  der  Im 
einer  histologischen  und  einer  |ib>siologischen  Aufgabe  und  dt^r 
Fertigung  und  Erklärung  eines  hi^^tologischf^n  PnipanitH,  in  der  Hekti 
einer  Leiche  mit  Angai»**  iler  patlinlogisch-anatorniHchen  Krgehniv*e  im 
dej*  Herstellung  eines  pathulogisch-biüt4dogischf»n  Pra|»araUi;  die  zw<^tt 
Abtheilung  l>etmf  die  Chirurgie  und  Augenheilkunde  und  verUag 
ditös  der  ("andidüt  zwei  Kranke  rlun:h  8  Tatje  »»ehandehe,  die 
schriftlich  liearl>eit<*t4»,  eine  akiurgiscüe,  mit  der  Ausführung  mi 
Operation  au  der  Ijeiche  verbundene  Aufgaii**,  nowie  eine  Aufgatie  üln 
Frakturen  und  Luiationen  leiste,  einen  Verband  anleimte  und  oinei 
Augeuleidenden  uüter>;uchte  und  Ijehandelt^v;  der  dritte  Abschnitt 
.Huhäftigte  mh  in  der  gleichen  Weisi«  mit  der  inneren  McMJiiün  ufl 
lofderte  neben  der  Behandlung  zweier  Krankheit^tTtUe  die  Beantwoit 
mehrariT  Krägim  nuä  tier  JtUlena  medjca.  Toxikologie  und  liecepti 
kunsl;  der  vierle  Absehnitl  toinf  die  Gilmrtshilfe  und  (.rvnakolog 
und  Terbokgto  die  Leilmg  euMur  Gebort,  die  B^^handlung  df- r  WM 
nerjn  and  die  Aosftthnmg  njagehmtehilflichen  Operatiunen  am  Pliant^ 


die  mundliehe  Sei] 

bildet4V  efsUwklt  iiok  ober  illgeme 


di^  vdebe  den  füntlen  Absein) 
I  töid  ßfemik  Patbologfe,(;hirur 


^k    Ot^burtohUK  Untern  «edki. 

StMlmmipanmie  oder  Hy  giene.    Die  AiM 

^^^    ti»ben  wanke  na  Tlwfl  imA  im  Loos  IwsttBunt    Wvr 

die  StajdJ 

V^     \m\t\ins  mit  JMtig  alileete. 

cfUeU  ifa»  Ui^hi.  äch  Am 

»1  neundH 

■         »iMT  iik<tit  den  IMm^TUL 

9 

■                Will  «r  4m  leblBnB  m 

ingn^  m  mmm  er  deiiflelben 

von  iTKflifl 

^^       «inrr  m<><liciui«clmi  FlMoltit  < 

MweibM,   Uk'  Bedin^ungim,  unter  weleli^l 

iiucteeii  Üfi<n  YemAieden. 

I>ie  wis«4eiH 

I^eussen  und  das  jetzige  Deutsche  Reich,  479 


schaftlichen  Anforderungen  bestehen  im  Allgemeinen  in  einer  münd- 
lichen Prüfung  über  die  wichtigsten  Fächer  der  Heilkunde,  in  der 
Ausarbeitung  einer  Dissertation  in  deutscher  Sprache  anstatt  in  latei- 
nischer, wie  dies  früher  üblich  war,  und  in  der  Vertheidignn^r  der 
aufgestellten  Thesen. 

Mehrere  wichtige  Änderungen  in  diesem  Prüfungssysteui  brachten 
die  Verordnungen  vom  2.  Juni  1883.  Zunächst  wurde  bestimmt,  dass 
die  Mineralogie  als  Prüfungsgegenstand  aus  dem  Tentamen  physicum 
fortgelassen  werde,  weil  alle  Regierungen  und  Facultiiten  darin  überein- 
stimmten, „dass  die  Mineralogie  von  allen  Zweigen  der  Naturkunde 
dem  künftigen  Arzt  am  fernsten  liegt  und  derselbe  das  Wenige,  was 
er  aus  dieser  Disciplin  wissen  muss,  in  den  Vorlesungen  über  Chemie 
und  Arzneimittellehre  erfahrt"  Auch  die  Prüfung  in  der  Zoologie  und 
Botanik  wurde  eingeschränkt  und  angeordnet,  dass  sie  zusammen  nur 
als  ein  Prüfungsgegenstand  betrachtet  und  nur  eine  Note  über  beide 
Fächer  ertheilt  werden  soll.  Man  ging  dabei  von  der  Überzeugung 
aus,  dass  der  Botanik  und  Zoologie  ein  gleiches  Gewicht  für  das 
medicinische  Studium  und  eine  gleiche  Berechtigung  für  den  me- 
dicinischen  Jjehrplan  wie  der  Physik  und  Chemie,  ganz  abgesehen  von 
der  Anatomie  und  Physiologie,  in  keiner  Weise  zugestanden  werden 
könne,  dass  es  ungerechtfertigt  erscheint,  von  einem  Studierenden  der 
Medicin  im  vierten  Semester  neben  genügenden  Kenntnissen  in  der  Ana- 
tomie, Physiologie,  Physik  und  Chemie  auch  noch  befriedigende  Leistungen 
auf  den  ganz  ungemein  ausgedehnten  Gebieten  der  Botiinik  und  Zoologie 
zu  verlangen,  und  geradezu  unmöglich  ist,  dass  dcTselbe  in  diesen  beiden 
Wissenschaften  den  Anforderungen  eines  Fachprofessurs  ohne  Vernach- 
lässigung der  für  seine  Zukunft  viel  wichtigeren  übrigen  Fächer  Genüge 
leistet  Aus  diesen  Gründen  wurde  sogar  der  Antrag  gestellt,  die  Prüfung 
über  Zoologie  und  Botanik  den  Studierenden  der  Heilkunde  überhaupt 
zu  erlassen,  jedenfalls  aber  nicht  von  den  Vertretern  dieser  Fächer, 
sondern  von  einem  Mitgliede  der  medicinischen  Facultät  vornehmen  zu 
lassen.  Diese  Erwägungen  führten  zu  (hau  Beschluss,  dass  der  Prüfling 
in  der  Zoologie  hauptsächlich  die  Kenntniss  der  Grundzüge  der  ver- 
gleichenden Anatomie  und  Physiologie,  und  in  der  Botanik  eine  Über- 
sicht über  die  systematische  Pflanzenkunde,  namentlich  mit  liücksicht 
auf  die  ofücinellen  Pflanzen,  und  eine  Kenntniss  der  Grundzüge  der 
Anatomie  und  Physiologie  der  Pflanzen  ])esitzen  soll. 

Selbstverständlich  werden  Personen,  welche  an  einer  deutschen  l'ni- 
versitat  das  Doktor-Diplom  in  den  Naturwissenschaften  erworben  haben, 
von  der  Prüfung  in  diesc^n  Fächern  im  Tentamen  pli}sicuni^(lispensirt 
Dasselbe  ist  mündlich  und  mit  keinen  praktischen  Arbeiten  verbunden. 


0Melixeltig  wmd«  4te  fiedmgniigcii  fftr  die  Zula^simg  mr  Staati.^ 
prAfkmg  Tenioliiift  und  eine  ssidere  Eintbeilung  derselben  ebgefOhil 
Der  Ciadidel  mum  gegeiiwirltgr  iri*im  er  «ich  dazu  meldet»  naehwaigen, 
itm  i>r  mindeitaii  9  Seme»!^  anglaiU,  wie  früher,  nur  8  den  mic 
dksiiiisehen  Stadien  gewidmet  und  je  zwei  Semester  au  der  cbirttrgii$chp&, 
medicüiiftcboii  und  ^eburUhilfUchen  und  ein  Semetiter  an  der  uphthal- 
nyitneeben  Klinik  als  Pral^tikant  thatig  gewesen  ist,  und  dass  min* 
deiten»  4  Semester  Terflossen  sind«  seitdem  er  da$  Tentamen  physicum 
abgelegt  hat  Im  Jahre  1887  kam  hierzu  noch  die  Forderung,  da^  er 
aieb  div  zur  Ausübang  der  Impfung  erforderliche  Fertigkeit  erwor- 
ben habe. 

Die  StfiaiBprüfung  zerfaUt  in  folgende  Theile:  I)  Normale  Anatomie, 
2}  Physiologie,  3)  Pathologische  Anatomie  und  allgemeine  Patholügi«, 
4)  Chirurgie  und  Augenheilkunde,  5)  Innere  Medioin  und  Heilnuttellehre, 
6)  Oel>urtsliilte  und  Gynäkologie  und  7)  Hygiene,  In  der  Anatomie, 
PhjsiolojL,'ie  und  ptithologisehen  Anatomie  prüft  nur  ein  Exuminat<>r, 
In  den  übrigen  Fächern  dagegen  zwei.  Der  Inhalt  der  Prüfuni^?  th 
acheint  nur  in  einzelnen  Absclinitten,  z.  R  in  der  Anatomie,  Chirurgie 
und  tleliurtshilfe,  gegen  früher  ein  wenig  vermehrt  Wenn  der 
Examinund  in  einem  Fach  durchfallt,  so  muüs  er  sich  darin  nacli 
einem  liest immten  Zeitraum  nochniak  prüfen  lassen;  versäumt  er  di^ 
ao  verlieren  auch  die  ül)rigen^  liereite  erfolgreich  be-standenen  Tl 
der  Prüfung  ihre  Geltung, 

Hinzeine  Bestimmungen  dieser  Prüfungsordnung  müssen  Bedenl 
iTregen.  Hierher  gehttrl  zunächst  die  Fixirung  der  Studienzeit 
\^  Seinester,  walireiid  sehon  vur  Jahmehnten  dieser  Zeitraum  in  mehrei 
Huridesstiiaieii  auf  lU  Semester  bemessen  war.  Die  medieinische  Wissen-* 
Hchufl  hat  seitdem  an  Umfang  und  Tiefe  sehr  bedeutend  gewonnen, 
und  die  Anftirderun^'en,  die  an  das  Wissen  der  Ärzte  gestellt  wenioiu 
!<ind  daher  nieht  viTmiiidertr,  sondeni  im  Gegentheil  ausi»erurdentM 
vermehrt,  worden.  Will  man  überhaupt  eine  Iwstimmte  Studienzeit 
lesit^etzen,  su  sind  1(>  Semester  das  Mindeste,  was  gefordert  wenlen  kftna 

Dazu  kommt^»  dass  das  Semester,  welches  gegenwärtig  zum  Waffi*n- 
diennt  verwendet  wird,  gewuhiilich  in  die  gesetzliche  Studienzeit  Mt 
und  in  dieselbe  eingeret^hnet  wird.     Dit*ses  Zugeständniss  ist  kein- 
genH^blfertigt,  da  die  Studierenden  während  der  Erfüllung  ilirer  }\ 
Pflicht  durch  Aufgal»en,  welche  sie  körperlich  und  geistig  voll^i    i  i 
in  Ansprurli  nehmen,  vom  Studieren  abgehalten  werden, 

Befreuulen  ern^gle  die  Verordnung,  dass  die  me<licinifichen  Studien 
lediglich  an  den  lluiversit4ten  dt^  Deutschen  Reiches  abtsolvirt  werden 
mü^en.      FiXt  Juristen,   welche   s|iäter  ab  Stu;it^lieamt4!t  thatig  )«iid, 


^ 


I^eussen  und  das  jetzige  Deutsche  Reich,  481 


würde  eine  derartige  Bestimmung  begreiflich  erscheinen;  den  künftigen 
Ärzten y  deren  Beruf  einen  internationalen  Charakter  hat,  sollte  es  ge- 
stattet werden,  auch  ausländische  Hoclischulen  zu  besuchen,  wenn  sie 
dadurch  ihre  Bildung  vervollständigen  und  ihren  Gesichtskreis  er- 
weitern.^ Gerade  das  deutsche  Volk  hat  sich  bisher  dadurch  aus- 
gezeichnet, dass  es  sich  gegen  die  geistigen  Bewegungen  der  übrigen 
Völker  nicht  verschloss,  sondern  deren  Errungenschaften  in  sich 
aufnahm. 

Eine  eigenthümliche  Stellung  nimmt  das  Doktorat  zum  me- 
dicinischen  Prüfungssystem  in  Deutschland  ein.  Da  es  weder  zur 
ärztlichen  Praxis  berechtigt,  noch  eine  Bedingung  für  die  Zulassung 
zur  ärztlichen  Staatsprüfung  Lst,  so  erscheint  es  eigentlich  überflüssig. 
Will  man  mit  der  Aufrechthaltung  des  Doktor-Titels  den  Gewohnheiten 
des  Volkes  entgegenkommen,  so  muss  man  denselben  Jedem  verleihen, 
der  das  ärztliche  Staatsexamen  bestanden  hat.  Soll  er  aber  eine  Aus- 
zeichnung far  hervorragende  wissenschaftüche  Leistungen  sein,  so  ist  es 
nothwendig,  dass  die  Anforderungen  an  das  Wissen  Derjenigen,  welche 
sich  darum  bewerben,  wesentlich  erhöht  werden. 

Eine  ausserordentlich  glückliche  und  zweckmässige  Einrichtung  ist 
es,  dass  das  Prüfungsgeschäft  hauptsächlich  den  Facultäten,  deren  Mit- 
glieder durch  ihre  Sach-  und  Personalkenntniss  ohne  Zweifel  dazu  am 
meisten  berufen  sind,  anvertraut  und  dabei  doch  der  Staatsbehörde  der 
berechtigte  Einfluss  gewahrt  wird,  den  sie  im  Interesse  der  Bevölkerung 
ausüben  kann  und  soll 

Manche  Einzelheiten  der  Prüfungsordnung  könnten  vielleicht  ver- 
bessert werden.  So  mag  es  zweifelhaft  sein,  warum  in  den  Prüfongs- 
gegenständen  der  praktischen  Heilkunde  zwei  Examinatoren  erforderlich 
sind,  während  für  die  übrigen  je  einer  genügt,  da  dadurch  das  an 
manchen  Orten  nur  spärlich  vorhandene  klinische  Material  über  Gebühr 
in  Anspruch  genommen  wird,  zwei  gleichwerthige  Examinatoren  kaum 
irgendwo  zu  finden  sind,  und  die  Überwachung  oder  ControUe  des  einen 
Prüfers  durch  den  andern  hier  ebenso  wenig  als  in  den  Disciplinen  der 
theoretischen  Medicin  nothwendig  erscheint 

Auch  die  jetzige  Form  des  letzten  Abschnitts  der  Staatsprüfung 
befriedigt  nicht  Mit  dem  gleichen  Recht,  wie  die  Hygiene,  könnten 
auch  die  Psychiatrie,  die  gerichtliche  Medicin,  die  Thierheilkunde  und 
andere  Fächer  den  Anspruch  erheben,  unter  die  Prüfungsgegenstände 
aufgenommen  zu  werden. 

Gegenüber   diesen   kleinen    Mängeln,    deren   Richtigkeit   übrigens 


*  K.  K0E8TEB:  Die  Freizügigkeit  der  Studierenden  der  Medicin,  Bonn  1884. 
PrflciiUANN,  ÜDierricht.  Hl 


Tielleicht  noch  zu  erproben  ist,  besitzt  das  medicmiHcbe  ünterriclite. 
wmim  Di3üLstliliind8  so  viele  Vorzüg^e,  diiss  es  in  andern  Iiiml**ni  imt 
Ut^cht  als  niu^torhuft  gilt  unil  ntU'hgt^ahnit  winL 


Italien. 

In  der  Lombardei  und  Yenotien  war  das  medicinische  riit^^nü  tjt> 
Ren  fniher  vollständig  nach  usterreichisohem  Mu-^ter  or^'anisiri. 
ttii^dii^inisi^hen  FacuMten  zu  Paduu  und  Pavia  standen  in  regem  Yer«! 
kehr  mit  den  Universitäten  der  nhri^^»*n  Kronlfinder  des  n^terreichisrheii 
KrtiserstaatoH  und  verdaukt^*n  ihnen  manche  wissenschaftliche  Anrt?gun§ 
und  Forderung'.    Die  Fürsten  aus  dem  österreichisoben  HernicherhÄU 
riehtoten.   wie   Ludek^   bemerkt^   ,ähr  Augenmerk   auf  eine  gute  Gin 
richtunj;  und  Hrliultun^'  der  öffentlichen  medicinischen  Anstalten". 

Im  Kirehenstaat  dauerte  das  medicinische  Studium  niieh  ein« 
Ven>rdnung  des  Pabst^^s  Leo  XII.  v.  J.  1824  vier  Jahre;  hieniuf  ki\^ 
die  Pruraoüiin  zum  Di)kt<>r  der  Medicin.  Wer  sich  mit  dem  Doktor 
der  Chirurgie  l^egnügte,  studierte  ein  Jahr  weniger  und  beschäftiijl 
sich  haupt^lchlich  mit  den  für  seinen  künftigen  Beruf  erf« 
Unter rieht^gegeiii^äuilen.  Mit  der  Promotion  irar  nicht  die  Bei\  c.  .k-üK 
xur  äntlicben  Prauds  verbunden ,  sondern  m  «mrd«*  dazwischen  nm 
Am  Bieuoium  pt^otiomii  (9iQgweluülel|  wdoll«  xum  fiöiiifih  der  Klinikni 
und  mm  H€«pitaMi«ist  benutet  wurde; 

In  Tiie»i]ii  bestesd  dir  (anrichtiuig,  4$m  die  Hedidner  4  Jah 
m  der  HodMli«li  n  Simui^  odiff  Fm  ^Mktim  und  sieh  Umiif 
fVatM^liiiti;  Hofft  f^mdien  msk  Fhirmi  begak«,  wn  m  in  dm 
d«ai  Ospedale   di  S.  Maria  nooia  verbnadeiiai  InsliliileQ  Qi 
efhtelt^üi«  skli  in  der  HtdltaMl  wdHa  uumVOim  itod  n 
Die  CollegMi,  vfMie  m  dtr  UBtracstlü  h^mtkt 
um  ?«iK«BhrKken.    Frtfttngw«  «dobe  aoi  SeUnai 
j^im  Jilufs  alalttuiAMi,  m^sAimim  dnn&ber,  «b  der  StvdifiMM 
düM  V^rtMyitia  dei  fnlgiaim  Jüit^mg^  mgiliinpn  innde.     Ni 

mtß  er  io   Ftorenx  d^ 


ab. 


HiFCnif  Mittet  dk  All 


t-  ir. 


CW 


^  OtttoiTiefc«  m  ItaÜea  t 


1>M* 


1411 


nrbeitung  und  Vertheidififting  von  Thesen,  die  Doktor-Promotion  und 

dif  Erlaulmiss  zur  äatli<'hen  Praxis. 

Ahnlich  war  es  in  andern  Staaten  Italiens.  Der  Einflu^s  fteter- 
rt*ichs  und  Frankreichs,  welcher  sich  auf  vielen  Gebieten  der  Verwaltung 
geltend  machte,  zeiirtt'  sich  auch  in  den  EinricJitungen  des  medicinistlH'n 
Stadienwesens. 

Als  sich  die  natiaiuUen  Hoffnun*2fon  Italiens  erfüllten  und  ilie 
einzelnen  Theile  desselben  zu  einem  p^olitisehen  Gemeinwesen  vereinigten, 
vrarde  eine  einheitliche  Organisation  der  medicinischen  Unterricht^i- 
vemraltung  ermuglicht.  Dieselbe  ertblgte  bereits  am  UK  November  1859 
imd  war  der  erste  Spatenstich  einer  ^russen  Ciiltiir-Arbril,  rlrreii  Früchte 
mehr  und  mehr  an  das  Tag:eslicht  treten. 

Gex"  besitzt  Italien  17  vom  Staat  und  4  von  den  Städten 

oder  Lau  -  :..:  Ji  erhaltene  Universitäten.  Die  Staat^universitaten 
werden  in  diejenigen  erster  und  zweiter  Ordnung  geschieden.  Zu  der 
f^rstten  Klasse  gehören  die  HeclLSchulun  zu  Rttm,  Neapel^  Turin,  Bologna, 
Padua,  Pavia,  Pisa  und  Palermo,  zur  zweiten  diejenigen  zu  Oenua, 
Modena,  Parma,  Macerata^  Siena.  Cagliari,  Sassari,  Catania  und  Messina, 
Die  letzteren  sin«!  zum  Theil  nnvidlständig,  d.  h.  nieht  mit  sümmtlithen 
Facultaten  versehen  und  besitzen  weniger  Lehrkanzeln  und  eine  ge- 
ringere &ibl  von  Studierenden,  als  die  ersteren.  Die  sogenannten  freien 
Universitäten  btdindrn  sich  zu  Perugia,  Urbino,  Camerino  und  Ferrara. 
Ausserdem  kumnit  noch  das  Instituto  superiore  zu  Florenz  in  Betracht, 
welche.**  ebenfalls  mit  klinischen  und  anderen  medidnischen  Anstalten 
vtTbnnden  ist  und  Gelegenheit  zum  Studium  der  Heilkunde  bietet. 

Überall  fehlen  die  theulogischen  Facultaten^  da  dit*  Äasbildung  des 

Klerus  L  J.  1873  den  Universitäten  genoninicu  und  den  bischöflichen 

Seminarien    übertragen   wurde.      Man    unterscheidet   vier    Faoultäteny 

■r;  iHch   die  juristische,  medicinische,   matliematisch-naturwisaenschaft- 

und  linguistisch-historische. 

Üas  Studium  der  Medicin  dauert  U  Jahre.  Die  Studierenden 
iXBSim  sich  b«M  der  Immatriculation  über  ihre  Vorbildung  ausweisen. 
Wenn  sie  das  Gymnasinni  und  das  Lyceimi,  welches  «Hwa  den  drei 
obf^ren  Khi^en  des  deutschen  0}  runasiums  entsp riebt,  nicht  absolvirt 
tjotl  auch  keine  gleich  wert  hige  Bibliing  iTWorl^en  haln-n,  st>  werden  sim 
nur  zum  Bedach  der  Vorlpsiingcn^  nYwv  nicht  zu  den  Prüfungen  und 
zur  Promotion  zugelassen.  Den  Studierenden  wird  ein  Studienplau 
♦  r  "n,  knneswegs  jedoch  vorgeschrieben.     Sie  werden  nur  in  den 

u  irn    Fächern    der   Heilkunde  geprüft,   und  zwar  geschieht  dies 

unmittelbar,  nachdem  sie  den  < Kursus  darüber  absolvirt  haben.  Das 
Examen  wird  von  dem  Professor,  weicher  den  Gegenstand  lehrt,  und 

31' 


484 


Der  medicirmche  ühterrichi  in  der  numsttn  Zeit 


zwei  ihm  beigeordneten  Fachmännern  abgenomineii*    Nachdem  sie  di^ 
einzelnen  Special-Prüfungen   iiber  die   verschiedenen  ITuterrichtstachitJ 
die  sowohl  theoretii^ch^  als  auch^  wie  z.  B*  in  der  descriptiTen  tind  d« 
pathologischen  Anatomie,  Chirurgie,  internen  Medicin  und  Gebni 
praküsclier  Natur  sind,  im  Verlauf  ihrer  Studienzeit  besUnden 
erhalten  sie  das  Recht,  die  ärztliche  Praxis  auszuüben.    Um  das  Düktanu 
zu   erlangen,   muss   der  Arzt  eine   Dissertation   verfassen   und  mehme 
Thesen  vertheidigen. 

Die  Lehrkörper  der  medicinischen  Facultaten  bestehen  aus  oTdeaW 
lichen  und  au5serc*rd entlichen  Professoren,  welche  sich   nur  diu'ch  dk 
Höhe  der  Besoldung,  die  sie  beziehen,  unterscheiden,  aus  Incaricati, 
einen  Lehrauftrag  für  ein  bestimmtes  Specialgebiet  haben,  und  Privi 
docenten.     Die  Besetzung  der  Professuren  ge^üchieht  gewohnlich  dun 
Concurs,  der  entweder  in  schriftlichen  und  mündlichen  Prüfungen 
steht  oder  sich  nur  auf  die  Vorlage  der   wissenschaftlichen  Arbeit« 
beschrankt.     In  Fällen,  in  denen  ein  Gelehrter  von  anerkanntem  Knf' 
in  Frage  kommt,   sieht  man  vun  der  Bewerbung  ganzlirii  :ib  lirnj  \)^^ 
setzt  die  Lehrkanzel  auf  dem  Wege  der  Benitung.  ^ 


Spanien  und  Portugal. 

Auch  in  Spanien  hat  man  aufgehört,  die  Bei^htigung  tm  Au 
Übung   der   Praxis    für   einzelne   Theile    der   Heilkunde   zu   ertheil 
Gegenwärtig  giebt  es  dort  nur  eine  Klasse  von  Ärzten,  die  Lioendada 
en  medicina  v  chirurgia«  neben  welchen  nur  noch  ein  niederes  chir 
gisches  Hilfspersonal  existirt,  zu  welchem  die  Practicantes  (Heildieni 
und  die  Dentistas  gezahlt  werden. 

Wer  das  Studium  der  Medioin  beginnt,  muss  sich  über  eine  all- 
gemeine wissenschaftliche  Vorbildung  ausweisen  und  den  akademischen 
Grad  eines  Bachiller  en  artes  besitj,en.  Die  ärztlichen  Studien  werdia 
an  den  Universitäten  absoivirt,  sind  aber  nicht  obligat  Mediciniaohe 
Facultälen  bestehen  an  den  Hochschulen  zu  Madrid,  Barcelona,  Gl 
nada^  Salamanca,  San^ago  de  Comp08tela.  Sevilla,  CaiUx,  Valenc 
Talladolid  und  Sang^ossa^  Die  Studierenden  widmen  das  ei^te  Ja 
•ler  »^tndienieit  den  KalunraHnaahaften.  der  Phrnik  und  rbetnie, 


*  TointAAi-C^nniiQu  in  tirf  Riv.  rUn.  di 
N^  teSl«  Hi»iBa  IS94, 


Bokfm  lim.  •  Hcgio 


Spanisn  fmd  Pürif4{;al 


485 


die  folgenden  6  Jahre  den  medicinischen  Fächern.  Hierauf  nnterzifhen 
sie  sich  einer  aas  drei  Abschnitten  bestehenden  Prüfung,  von  denen 
der  erstp  theoretisch  ist  und  mh  über  alh^  Disciplinen  der  Heilkunde 
eT^treckt,  die  beiden  anderen  praktischer  Natur  i^ind  nn<l  theils  am 
Krankenbett,  theils  an  der  Leiche  statttinden. 

Der  Candidat  erwirlit  damit  die  Liceiiz  zur  ärztlichen  Praxis,  nicht 
aber  die  Doktfir-Würde.  Wenn  er  die  letztere  anstTel4,  m  ist  er  ver- 
pflicht-et,  seine  Studien  um  ein  Jahr  zu  verlängern,  welches  znr  Ver- 
vollständigTinßT  der  ärztlichen  Bildunir  und  znui  Besuch  von  Vorlesungen 
über  Geschichte  d*T  Mediciu^  raedicinische  Geo^aphie,  Hygiene,  Bio- 
logie \h  a.  m,  verwendet  wird^  und  dann  eine  Dissertation  zu  verfassen  und 
Thesen  zu  vertheidipfen.  Dor  Doktor-Titel  wird  nur  an  Arzte  verliehen, 
welche  ein  reges  wissonschaftlicbes  Streben  zeigen,  gewährt  jedoch  keine 
Vorrechte  für  die  Praxis  und  wird  nur  von  Denjenigen  verlangt,  welche 
sich  um  die  Professuren  oder  höheren  Stellungen  im  öffentlichen  Sa- 
nitätsdienst bewerben. 

^B  Portugal  hat  eine  medicinische  Facultat  zu  Coifmbni  und  zwei 
f  medicinisch-chinirgische  Lehranst-alten  zu  Lissabon  und  Porto.  Sie 
I  unterscheid*»n  sich  darin  von  einander^  dass  die  erstere  mit  Lehrmitteln 
und  Lehrkanzeln  reicher  ausgestattet  ist^  als  die  letzteren,  und  allein 
das  Recht  besitzt,  den  Doktor-Titel  zu  verleihen.  Die  Schule  zu  Lis- 
sabon geniesst  wegen  des  grossen  Hospitals,  welches  ihr  zu  Lehrzwecken 
eingeräumt  ist,  den  Ruf,  dass  sie  eine  vorzügliche  Ausbildung  in  der 
praktischen  Heilkunst,  besonders  in  der  Chinirgie,  gewährt. 

Es  giebt  gegenwärtig  nur  noch  eine  Klasse  von  Ärzten,  nachdem 
die  Kategorie  der  Licenciati  minores,  welche  ein  sehr  beschränktes 
Recht  zur  Praxis  besassen,  aufgehoben  worden  ist. 

Zum  Studium  der  Heilkunde  wird  nur  Derjenige  zugelassen,  welcher 
in  einer  Prüfung  gezeigt  hat^  dass  er  eine  gewisse  Allgemeinbildung 
besitzt..     Der  Besuch  der  CoUegien  ist  obligat.     Der  Lehrplan   nimmt 

^ö  Jahre  in  Anspruch.  Am  Schluss  pines  jeden  Jahres  ünden  Prüfungen 
statt,  von  deren  Ausfall  die  Versetzung  in  die  höhere  Klasse  abhängig 
ist^  Die  Prüfungen  sind  sowohl  theoretisch  als  praktisch  und  zum  Theil 
8ehr  genau;  so  wird  z.  B.  verlangt,  dass  der  Candidat  10  Kranke  durch 
20  Tage  selbstständig  behandelt.  Nach  der  erfolgreichen  Beendigung 
derselben  wird  die  Liceoz  zur  ärztlichen  Praxis  ertheilt 

Der  Doktor-Titel  ist  der  Ausdruck  einer  tieferen  wissenschaftlichen 
Bildung;  er  wird  z.  B,  von  Denjenigen  gefordert^  welche  an  der  medi- 


oini^heii  Facultät  m  Colmhra  die  liehrthätigkdt  ausüben  wollen.  Xm 
denseU»en  zu  erlangen,  muss  der  Bewerl)er  noch  ein  Examen  alilegßD 
und  eine  Dis^ertaät»n  vorlegen.  Ak  Eiaminatur^n  wirken  die  Profeworeo. 
Die  Lehrkiinzeln  werden  durch  OonGurs  beseUt,* 


Holland  and  Belgien« 

In  HitlUnd  wurden  fniber  versi-hiedene  Art^^n  x*m  Äntten  m^- 
gebildet«  welche  theils  zur  innei^n^  theils  zur  chimnnsc^hen  PraxB  \\^ 
reiebtigt  waren  und  mh  entweder  nur  auf  dem  Liinde  oder  überall 
nwderlasseii  dtirtteD.  Sie  erwarben  ihre  faebmünnischen  Kenntnbc 
sowohl  an  den  rniTerHitäten  al<:  an  den  ärztlichen  Faehschulen,  welche  ^ 
mit  einigen  Hi«s|>italem  \erbunden  waren. 

Im  Jiüire  1865  wunle  das  Geseu  erlH:!^*n,  dasN  dieÄRt**  fortan  mhi] 
m»hr  fitr  eiujtelne  Zweigi*  der  Heilktinst  legitiniirt  wenien,  sondern  alk] 
Tlüile  der^lben  beirabeu  mid  ein  unbedingtes  Niederlassung^«  Ri^lit 
UleioliBeitig  wodeo    dir  Hospitabdliüeii    aufgehnben   and 
die  Bniebuni!  der  Ante  den  medieimschen  »icultälen  übeitmgen* 

Gegenwiirttg   beätit    Holland    neben    den    drei    rniversitäten 
lifiden,   Ttracbt  und  ttnmini^n.   welehe  xom  Staat  erhalten  werden 
noGh  die  städtische  H«ieksthale  m  Ank^tenlam,  die  anc»  dem  Athenaiiu 
einer   heberen   Lehranstalt,  deren   Geschidite   bis    1032   inrüokreirht; 
enMndiii  und  IHT?  m  einer  rnirefsilal  erhoben  wortoi  kO 

Wer  ;^b  d«in  Studium  der  Median  widmet,   mtn»   die  höherf« 
^ttle  iider  da^  Uvmnasunm  ab6i>lTirt  haben  «.hJ       *      Ir  hu 
den  Nachweis  tiefenu  da^  er  eine  genoar^nde  \ 
i<itii    Die  Studienieit  danert  gewuhnlkh  ^  Jahn*. 

nie  Bvnelitignng  mr  iniüehm  Ptnsis  wird  nur  dnich  diß : 
prlkfaitg  ervorben«  welcAie  vim  Examtnatioü^i^ommiaaionen  ahgen 
wild,  in  defen   MitArUetiem  die  Lehrer  der  ter^eluedenen    medioiii 
stoben  Faenttilen  enuumi  werd«.  Difsef  Pröflttig  gehen  ilns  erste  untl 
zweite  n^limrissenst^aMiiAie  Ksamen  vnrnasw  enn  dene«!  isich  jenes 
der  Phj>äk,  Chemie  und  Eh)lanikt  dme^  mit  der  Anatunue,  Pbviaolu 
nnd  liewebelehre,  Fkmmikngniiew  nnd  aBipameinen  Palhulugie  1 


&  A.  l^feaa4  M 


dar  NlwiMtbnUi^  lla^  tan«. 


Die  Staatsprüfnng  selbst  zerßllt  in  einen  theoretischen  Theil,  der  über 
pathologische  Anatomie,  Pluirnicikodynamik,  speciellp  Patholugie  und 
Therapie.  Rvpene,  theoretische  Chirurgie  und  (Jehurtshilfe  handelt,  und 
in  ein  praktiHches  P^xamen  am  Krankenbett,  an  der  Leichi^  u,  s.  w. 
Vor  demsellien  mnss  der  CandidaL  den  Nachweis  liefern,  dass  er  durch 
zwei  Jahre  klinischen  Unterricht  gfenossen  und  mindestens  12  (leburten, 
von  denen  2  mit  Hilfe  der  ärztlichen  Kunst  vollzogen  worden  sind, 
beigewohnt  hat.* 

Unahhängip:  davim  wird  das  Dokt^irat  der  Heilkumle  von  den  me- 
dicinischen  Facultiiten  verliehen;  von  den  Bewerbern  wird  verlanipjt, 
dass  sie  das  humanistische  Gymnasium  absolvirt  haben.  Die  üoktoratH- 
Prüfiingren  berücksichtigen  nicht  blos  die  ärztliche  Tüchti;[rkeit,  sondern 
aur^h  die  medicinisohe  Gelehrsamkeit;  sie  haben  eirie  ^Tilndlichere  All- 
g^emeinbildung  zur  Voraussetzung  und  gehen  spwohl  auf  die  Natur- 
wissenschaften als  auf  die  eigentlichen  medicinischen  Disciplinen  tiefer 
ein,  als  dies  im  Staatsexamen  der  Fall  ist.  Das  Doktorat  der  Heil- 
kunde gewährt  daher  el>enfalls  das  Recht  zur  Ausübung  deo*  ärztlit^hen 
Praxis.^ 


Wesentlich  verschieden  von  dem  medicinischen  Unterrieh tswesen 
Hollands  ist  dasjenige  Helgiens,  welches  manche  Ähnlichkeiten  mit  dem 
französischen  zeigt.  Doch  giebt  es  in  Belgien  keine  Officiei-s  de  sante, 
keine  Ärzte  niederen  Grades,  sondern  nur  eine  Klasse  von  Ärzten,  welche 
jm  den  Universitäten  ausgebildet  werden* 

Von  den  vier  Hochschulen  des  Landers  werden  zwei,  nämlich  zn 
Crent  und  Lüttich,  ^  vom  Staat  erhalten,  die  anderen  beiden  jedoch  nicht 
Die  Umversiiät  zu  Lfiwen  trägt  einen  cnutessiunelien  t'hanikter  und 
wird  vom  Klerus  geleitet  nnd  unterstützt;  die  Hochschule  zu  Brüssel, 
welche  i.  J.  1834  von  der  liberalen  Partei  ins  Leben  gerufen  wurde, 
verdankt  der  Stadt  und  einigen  reiehen  Gönnern  die  Mittel  zu  ihrem 
Unterhalt 

Dem  ärztlichen  Studium  geht  in  den  meisten  Fallen  der  Besu«>h 
des  Gymniisiums  voraus,  welche^s  Idnneu  7  Jahren  vollständig  absolvirt 
wirri.  Die  medicinischen  Studien  beginnen  mit  den  Naturwissenschaften, 
der  Physik,  Chemie  und  Philosofihie.  Der  Studienplan  wird  im  All- 
gemeinen durch  die  Prüfungen  bestimmt,  indem  die  zu  einem  Examen 


'  Gcneeitkiitjdigi?  Wetten,  Zwolle  1882,  Gesetz  vom  2S,  Dez.  lH7ft. 
•  Wet   van    d,   28.  April    tS76,    tot    regeling    van    het    liooger    ouderwyB, 
Zwolle  18B4. 

^  A.  LS  Rot:  L'iini veralte  de  Lidgc,  1869. 


geböronden  PifitiingsgegenstHnde  zusanmi^n  lielegt  wrfMPVsr  Ünt^. 
rieht  erhiiü  dadurch  die  Form  einer  handwerksmässigen  Vorbereitung 
für  die  Prüfung,  rihnlich  wie  in  den  medicinischen  8c^hulen  Enghnd.<i, 

Diis  or8te  niedicinischo  FiXameii  handelt  über  desi^riptive  und  m- 
gleichondü  Anatnmie,  IMiyHiolügie,  Embrvolope,  Histologie  und  Phanna- 
k(j!*jgie,  ist  iriit.  pniktisehun  iJeniönstrationen  verbunden  und  wirrt  dl** 
('andidaten-Priifun^^  gonivnnt.  Für  da.s  die  Berechtigung  zur  arztlich<*ii 
Praxi«  gewahrende  iJt^kiorat  der  Heilkunde  werden  drei  Prüfimgeii 
verlantrt,  von  denen  iVw  erste  rlie  allgemeine  Pathologie  und  Therapie, 
Kpeeielle  Pathnlogie  der  inneren  Krankheiten  und  imthologiwhe  Ana- 
tomie, die  zweite  die  ehirurginehu  Pathologie,  < ? ehiirtishilfe,  Hygiene  und 
gerichtliche  Medicin  betritt,  und  die  dritte  iiieh  über  die  Klinik  der 
internen  und  chirurpi^cheu  Leiden,  der  Augenkrankheiten,  (teschleeht«- 1 
Organe  nnd  Hautleitlen»  auf  die  praktische  fiebiirtshilfe  und  ehinjrt^iseli« 
Operationsknnst  erstreckt  und  theils  theüretisch,  theils  praktis^jh  iil 
Als  Examinakircn  wirken  jetzt  ausschliesslich  die  Professoren  der  Im»- 
treffenden  Facult/it,  wahrend  früher  Prülungs-iiimmisüionen  gRbdd<»t 
wurden,  die  sich  zur  Hülft^t^  aus  Professoren  derselben  und  zur  Ualft<» 
aus  denjenigen  einer  amlerrn  Focultat  Eusammen.set/t4?n,  Man  h*Mi^*' 
dabei  den  flnmdsat/,  tiasn  die  Lehrer  der  Htaats- Universitäten  mit  dein'ii 
der  freien  Hochschulen  zu  KxaminationsbehÖrden  verbunden  wundpnJ 
um  auf  diese  Weise  eine  wunschenswerthe  ffleichartigkeit  der  arztlioheD  i 
Hilduni?  zu  erzielen. 

In  Brössei  existirfc  außerdem  noch  eine  Central-Prüftings-Oommi^- 
sioiu  welcher  sich  diejenitr^n  Fxaminanden  vorstellen,  denen  die  wisjen- 
Mhaftliche  Vi»rbildung  mangelt;  denn  der  Zutritt  zu  den  Fachstudien 
find  rar  Universität  steht  Jedem  frei,  der  lesen  und  sohreihon  kaniij 
Bei  der  Meldtmg  xu  den  ärztlichen  Priifiingen  wird  nur  der  Xachwni« 
gefordert.  «lass  der  Candidat  zwei  Jahre  hindurch  die  chirurgii^'he  m 
interne  Klinik  nnd  ein  Jahr  die  gieburtrfiüfliche  BUinik  bekocht  hat 

Die  Lehn>r-CoIlegien  bestehen  auü  ordentlichen   und  ausserordenlt 
liehen  Professoren  und  Agregi'*  spH^iiiux^  welche  für  drei  Jahre  eruanti 
werden,  eine  kleine  B664>Miiiig  erhalten  und  an  die  Stelle  der  früher 
Charge  de  euunf  getreten  sind* 


Seh  weis. 


tYülier  kille  Jeder  Omton   ^eiiie  tn's^iiKleren  gvs^etzUchen 

^\^r   .fi..  ZttUs^img   lor   IrzUich^ii  I'tai^     Einige   Ciittoii 


Schweiz,  489 

forderten  ein  Staatsexamen,  welches  vor  einer  aus  dortigen  Ärzten  ge- 
bildeten Prüfungs-Commission  abgelegt  wurde;  in  anderen  genügte  das 
Zeugniss,  dass  es  bereits  in  einem  anderen  Cantone  oder  Lande  be- 
standen worden  war,  oder  ein  medicinisches  Doktor-Diplom;  in  einzelnen 
verzichtete  man  auch  darauf  und  gestattete  Jedem  die  Praxis,  welcher 
die  Befähigung  dazu  zu  besitzen  vorgab.  Erst  1867  kam  ein  vom 
Bundesrath  genehmigtes  Übereinkommen  der  meisten  Cantone  zu  Stande, 
nach  welchem  die  an  den  Schweizer  Universitäten  bestandenen  ärzt- 
lichen Prüfungen  überall  anerkannt  werden  und  zur  Praxis  berechtigen. 

In  keinem  Lande  existiren  im  Verhältniss  zu  seiner  Bevölkerung 
80  viele  Hochschulen  und  höhere  Lehranstalten,  als  in  der  Schweiz. 
Neben  den  Universitäten  zu  Basel,  Zürich  und  Bem,^  an  welchen  in 
deutscher  Sprache  gelehrt  wird,  bestehen  die  Hochschule  zu  Genf  und 
die  Akademien  zu  Lausanne  und  Neufchatel,  an  denen  die  französische 
Unterrichtssprache  herrscht. 

Medicinische  Facultäten  haben  die  vier  Universitäten  und  seit 
kurzer  Zeit  auch  die  Akademie  zu  Lausanne.  Die  Universitäten  zu 
Zürich,  Bern  und  Genf  sind  erst  im  Verlauf  des  19.  Jahrhunderts  ge- 
stiftet worden,  und  ihre  medicinischen  Facultäten  haben  sich  aus  me- 
dicinisch- chirurgischen  Lehranstalten  entwickelt.  In  Bezug  auf  ihre 
Lehrkräfte  und  Lehrmittel  stehen  sie  jetzt  ihren  deutschen  Schwester- 
Anstalten  ebenbürtig  zur  Seite. 

Die  ärztlichen  Prüfungen  sind  nach  deutschem  Vorbild  eingerichtet 
und  werden  in  Basel,  Bern,  Zürich,  Genf  und  Lausanne  abgelegt.  Die 
Prüfungs-Commissionen  werden  aus  Lehrern  der  medicinischen  Facul- 
täten und  geprüften  Praktikern  zusammenjresetzt  und  vom  Bundesrath 
für  die  Dauer  von  4  Jahren  ernannt.  Die  Prüfungen  zerfallen  in  die 
naturwissenschaftliche,  welche  sich  über  Physik,  Chemie,  Botanik  und 
Zoologie  nebst  vergleichender  Anatomie  erstreckt,  die  anatomisch-phy- 
siologische, die  mindestens  ebenso  schwierig  ist  als  in  Deutschland,  und 
in  die  eigentliche  ärztliche  Fachprüfung,  die  gleich  der  vorhergehenden 
theils  praktisch,  theils  mündlich  oder  schriftlich  ist  und  die  patholo- 
gische Anatomie,  innere  Medicin,  Chirurgie,  Geburtshilfe  und  Gynäko- 
logie, Augenheilkunde,  gerichtliche  Medicin  und  Hygiene,  Arzneimittel- 
lehre und  Psychiatrie  umfasst.^ 

Bemerkenswerth  ist,  dass  die  Bedingungen  für  die  Zulassung  zu 
den  ärztlichen  Prüfungen  strenger  sind  als  in  anderen  Ländern,  indem 
vom  Bewerber  der  Nachweis  verlangt  wird,  dass  er  Vorlesungen  über 


*  Ed.  Müllbb;  Die  Hochschule  Bern  von  1834—1884,  Bern  1884. 
'  Verordnung  der  eidgenöss.  Medicüialprüfungen  vom  19.  Mftrz  1888. 


400 


DfT  ntedmniMche  Untfrrirhi  in  ff  fr  naiesfm  Zeif, 


*iw  wicht Jt,'iren  Fächer  der  Heilkunde  g^ihort,  un   drn  [»raKiiM  ijni  ArJ 
lM/ik*n  Thful  *(i*nummeri   und  nicht   hlas  je  2  S**iüe«t4t*r  in  der  metlici 
riiHrhen,   chinirgi^heo   and  gc4>urtshilf liehen  und   l  Semester  in  ii 
«^phlhiilmiafriHcheni,   Nondem   auch    1    Semester   in  der  psvchlj 
Klinik  und  in  der  Poliklinik  aU  Fraktikant  gewirkt  hat 

Die  Doktor-Promotion  ist  von  der  ärztlichen  Prüfung  getrennt  un 
wird  von  den  niedicinischen  Fncult4it#?n  auf  Onind  eines  Kxamenii  ni 
ßiner  DiaKertiiÜoii  vollzogen. 


Danemark,  Norwegen  und  Schweden. 

hi  Itiuiemiirk  ist  drr  medicinische  UnU^rrioht  ähnlich  wie  in 
iJeutohlarid  und  Osterreich  organii<irL  Die  Studierenden  iler  HeilkunJtf 
müssen,  wenn  sie  die  ITiiiversitat  /u  Kupenhjigen  f>eziehen,  das  Matn- 
iitiit8-ZeiigniHs  eines  danischi^^'n  (t}nnuisiums  vorleßfen;  sie  beschäftigen 
sich  dann  zunibhst  mit  dem  Studium  der  Philosophie,  den  Naturwisseii- 
sohttften,  der  Physik  ujid  ('hemii^  und  werden  in  diesen  GegenständH« 
geprüfte  Krsl  thirnsich  l»o^annen  die  eitrent liehen  medicinj.s<"hen  Fm^k^ 
Studien. 

Die  IVüriinRcn,  welche  ihis  [{echt  zur  Ausübung  der  arztllcbl 
Praxis  verleihen,  tiiidea  vor  der  medicinischen  Pacultiit  im  Beisein  vod 
(VnHoren  statt,  die  von  der  Re^'ierim^'  ernannt  wenien  und  ihr  ürfeheÜ 
ühtT  die  Henihicrurii:  des  c'audidaten  ahgelnMi.  Sir  bestehen  ans  einsn 
«chrifliiclien  Theil,  iianiliidi  firei  riaiisur- Arbeiten  über  Gegeostsilde 
der  praktischen  Heilkunde,  einem  praktischen  Abschnitt,  der  sich  »as 
einer  anatdunschen  Arln'it,  der  Untersuchung  und  Behandlung  mehrerrr 
Kranken  und  der  Ausfiihrung  einer  chirurgischen  Operatian  an  fH 
Leiche  zusammensetzt,  und  einer  mündlichen  Prüfung  über  die  wich- 
tigsten  Fächer  vier  Heilkunde, 

Den  Doktor^Titel,  welcher  nach  der  Anfertigung  emer  Dlsserta 
\uu  Wissenschaft Itchem  Werth  verliehen  wird,  streben  im  AUgemeinen 
nur  iliejenigi'n  AriÄte  an,  welche  den  akademischen  Ijehrberuf  ergr 
mler  in  vlen  öttcullichen  Sttnität^dienst  eintreten  wollen»    Jeder  Doli 
der  MtHÜein  darf  an  der  L  niversitat  Vorträge  halten.    Üit»  Professil 
wer\lcn  dureh  (Vnours  besetit. 


Dänsniark,  Nonvegen  ufut  Sökwßden^ 


491 


Nahezu  vollständig  gleich    liegen    di«^   Verhältnisse  in  Norwegen, 
^lich  hier  ist  es  üblich,  dass  die  Ärzto  sich  mit  der  Licenz  zur  Praxis  i 
lügen  und  nur  seilen  um  die  Doktor-Würde  bewerben. 
Das  Laud  besitzt  eine  Universit4it  in  r'hristiaiiia,  welche  1811  ge- 
rundet und   1815  TervoUständigt   wurde.     Die  Immatnoulation  setzt 
^die  erfolgreiche  Äbsolvinmg  des  Gymncüsiums  vuraui?.    Dm  Universitäts- 
Studiiun  beginnt  für  simmtliche  Facultiiten  mit  der  VervolLstandigung 
der  allgemeinen  wissenschattlichen  Vorbildung;  es  werden  darauf  2  bis 
3  Semester  verwendet,  während  welcher  der  Studierende  Zeit  hat,  sich 
Jfir  einen  l^estimmten  Beruf  zu  entscheiden.    Die  medicinii^che  Studien- 
Bit  dauert  gewöhnlich  7  Jahre  und  wird  durch  die  Prüfungen  in  drei 
Absehiiitte  eingelheilt.    Der  erste  unifasst  die  Zunbigie,  Botanik,  Physik, 
Chemie,  Anatomie  und  Physiolugie;    die  zweite  Abtheihmg  betrilft  die 
jPharmakologie  und  Toxikologie,  allgemeine  und  specielle  Pathologie  und 
ithologische  Anatomie,   chirurgische    Pathob>gie,  Ophthalmologie  und 
ermatologie,  und  die  dritte  beschäftigt  sich  mit  der  klinischen  Praxis, 
gerichtlichen  Medicin  und  Hygiene;  die  Pröfungen  sind  snwohl  münd- 
lich und  schriftlich,  als  praktischer  Natur. 

Wer  dieselben  mit  Erfolg  besteht,  ist  zur  ärztlichen  l*raxis  be- 
rechtigt. Die  Doktor- Wfirde  wird  nur  für  ausserge wohn  liehe  wissen- 
schaftliche Leistungen  verliehen  und  ist  mit  dem  Recht,  an  der 
rniTersität  zu  lehren^  verbunden.  Im  J.  1888  gab  es  in  Norwegen 
nicht  mehr  als  14  Doktoren  der  Medicin. 


In  Schwülen  wird  der  medicinische  UnifM  riebt  au  den  medicinijsche 
FacuHäten  der  Fniversi tüten  zu  l^psala  und  Lund  imd  am  medicinisch-^ 
chirurgisch**n  (iirolinischen  Institut  zu  Stoeklüdm  erthidlt,  welches  175t> 
gestiftet  wurde  und  jetzt  hau|dsachlich  zur  Ausbildung  in  den  klinischen 
Fächern  dient. 

Von  den  Studieremlen  wird  fias  MaturitätÄ-Zeugniss  des  humanisti- 
schen Gymnasiums  verlangt.  Der  Studiengaug  der  Mediciner  ist  un- 
gefähr der  gleiche  wie  an  den  deutschen  Hochsehiden;  nur  wird  wegen 
der  langen  Daner  der  IWn^n  mehr  Zeit  auf  dit:  verschiedenen  l  nter- 
richtsgegenstände  verwendet,  tiewnhnlich  vergehen  9  bis  10  Jahre  vom 
Austritt  aus  dem  Gynmasium   bis  zum   Begiun  der  firztlichen  Praxis. 

her  Stmlierende  beschilfligt  sich  zunächst  durch  8  Semester  mit 
der  Physik,  Chemie,  Botanik  und  Z^jologie  und  lei^t  darüber  eine  Prüfung 
ab.  Hierauf  tritt  er  aus  der  philosophischeri  in  dii-  mcdicinische  FHcultär 
über   ntui    niflmet    uni^vtlhr    4    Jahre    dem  bVuAinm    4^ii    Sxi^\fö'Cö\Ss 


402 


D&r  m&Mcimm^e  UnierrirM  in  4&r  nmtesien  Zeit 


Vh\^utUt;^if\  m&Ammmhm  rhemi»\  Hisst^logie,  PharmaVologie  tmA 
Utnimnvn  Piithölugic,    Zur  llieilnahme  an  ilen  Secir-tTlmngen,  an  dei 
(»niktiHchcr»  Arbeittiu  in  den  phj'siologischon,  chemischen,  hintolugii 
uihI   |uithr*ln^rijirhon  l,uboratorien  isi   er  vprpflicht*»t,  wahrend  tler 
iter  ilieiiretist^hcn  Vorlp<iin^;en,   wt^ch^  uneiit;^eUlieli  shittfinflen^ 
Helit'licn    UTib*Hin^'i*stolÜ  winl      ]>\p  Prnfung,  welche  rtiej^n  TheU 
Stiiilienzeit  zum  AUschluss  hrnipjt,  umfa^st  die  j^enannten  Kcher  neh 
Apt  (iesrhiniite   iler   Mediciti  und  i8i  theils  mündlich,   theils  prakt 

Ihv  tol^'i*niK^n  SemesWr  verwendet  der  Candidat  der  Medicin, 
er  UiTUm  pfemuHit  wird,  zum  H«^sueh  der  klinii^chen  Institute  und  ütjfr' 
haupf   xur   Ausbildung  in  d(T  praktischen   Heilkunst.     Er  muns  dab 
iiiich   venichiedenen  SpeiMalfachern»  wie  der  F'svehiatrie,  der  Pädiaij 
und  Sj'philidolujrie  seine  Aufinerksiinikelt  zuwenden   und   den  luith^ili 
glichen  und  fort^usis<*hen  Sektionen,  8owie  ilen  hvjpenisi-hen  Vhxm^ 
beiwohnen.     Das  ExaEien  über  dieise  Wissen8geffen8tände,  welcbee  ge- 
wäh&lieh  er^t  3 — 4  Jahre  nach  der  t'andidulen-Prfifung  iibgi*le^  wird, 
0<»l>t  dit  Beradttaguiig  sur  intlicben  Praii^ 

Die  nediemiHli«  Dokior-Wftrde  ist  nur  für  diejenigen  Arzte  xorgt^ 
sthmhtü,  w^lelne  «k  akademisrlie  Lehrer  oder  im  höheren  Sanilat^difT 
Ikfttif  i«ia  «oUen:  ^   virl  auf  Grund  eir<^^  ^«^'^  '^'^-^^hafUichen  A| 
liamllms  mwA  mA  Vettkadfrasf  der  imm  n  Thesen  va 

MlMi  jidoeh  nur  im  am  hääim  Vmersltitim,  nicht  vom  CaroUnischd 

Mkv  IwAigt,  ^*    <  .,.  I.  i..t,,„.  „nd 
mi  üi  inilkb  n  zu  er 


Buttlmnd. 


0MMiJ.I1Mia 


Di»  mm 
17U  «JNmMK  im 


XvAMmig  TOD  (lururf^'n 
wtmie  und 
«lUdt 

te  ttü  der  Alndiiniie 


m» 


wiHii,  ll««luui  1911 
m.1.  tato,  aLFM» 


der  Wissenschaften  m  St  Petersburg  verbundene  Universität  diesen 
^Namen  niehf,  yoiidern  war  eigentlich  nur  ein  Uyninasium  mit  einigen 
juristischen  Cursen;  sie  wurde  übrjgen.s  wenig  fteöucht  und  zählte  unter 
der  Leitung  der  Fürstin  Dawchkow  i.  J.  1783  nur  2  Stuilenteii,^  Im 
19.  Jahrhundert  wui'den  die  niedicinischen  Fatnilüiten  der  Universitäten 
tu  Kiew,  Charkow  und  Kasan  errichtet,  an  welchen  in  russischer  Sprache 
unterrichtet  wird;  die  polnisi'he  Universität  zu  Warschau  wurde  eben- 
falls russiticirt.  Die  jüngste  Hochschule  wurde  im  September  1888  zu 
Tomsk  in  Sibirien  und  zwar  zunächst  nur  als  medicinische  Facultät 
enjffnet  Ausserdem  i.^ehören  zum  russischen  Reiche  die  Universitäten 
zu  Helsingfors  in  Finnland,  an  welcher  die  schwedLache,  und  diejenige 
EU  Dorpat,  an  der  die  deutsche  Unterrichtssprache  herrscht*  Dazu 
kommt  noch  die  medicinisch-chirurgische  Akademie  in  Petersburg,  an 
welcher  die  Militärärzte  erzogen  werden* 

Jeder,  der  sich  dem  ärztlichen  Beruf  widmet^  muss  das  Gymnasium 
hg^lTirt  haben,   bevor  er  zu  den   Fachstudien  zugelassen   wird.     Die 
Htdienzeit  dauert  5  Jahre,    xlusser  den  Controllprüfungen,  welche  über 
die  Vorlesungen,  welche  besucht  werden,  handeln,  wird  ein  dem  deutschen 
Tentamen  physicum  entsprechendes  Examen  in  der  Mitte  der  Studien- 
zeit abgelegt;  am  Schluss  der  Studien  folgt  das  ärztliche  Approbations- 
^amen,   das  sich  über  alle  wichtigen  Fächer  der  Heilkunde  erstreckt 
d  nicht  blos  mündlich  j  sondern  auch  praktischer  Art  ist.     Höhere 
teuschaft liehe  Anforderungen    werden  an  diejenigen  Ärzte   gestellt, 
eiche  nach  der  Approbation  den  Doktor-Grad  erwerben»* 


Griechenland  und  die  christlichen  Länder  der 
Balkan  -  HalbinseL 

Die  Universität  zu  Athen  wurde  1837  unter  dem  Könige  Otto 
errichtet  und  nach  deutschem  Muster  organisirt,  Bei  der  Immatriculation 
wird  das  Maturitäts-Zeugniss  eines  griechischen  Gymnasiums  verlangt. 
Die  medicinischen  Studien  nehmen  gewöhnlich  o  Jahre  in  Anspruch, 
Vfui  denen  das  erste  auf  die  Hilfswissenschaften  verwendet  w^ird.     Am 

*  Graf  D.  A,  Tolstoi  iu  den  Beitrilgeii  zur  Keiintnisö  dea  rusa.  ReicUea, 
Petersburg  1886,  a  217. 

•  Die  deutache  üniveraität  Dorpat,  Leipzig  18Ö2. 
^  Allgem.  Statut  der  K.  riLss.  Um vcrsi täten  vam  23.  August  1884,  Peters- 

harg  1884. 


Schluss  desselben  findet  die  Vorprüfung  statt^  welcbe  sich  ober  Phjs 
Chemie  und  Naiurgosehichte  erstreckt  Das  Doktor-Examen  hand^ 
über  nurmale  Anatomie,  Phy^iülogie,  allgemeine  Pathologie»  Materj^ 
medica,  innere  Medicin^  Chirurg-iej  Oeburtshilfe,  geriehtUche  Medici 
und  Hygiene,  ist  aber  nicht  mit,  praktiischen  Demünstratiouen  verbumiefl 
Nach  der  Promolion  folgt  noch  ein  Jahr  der  praktischen  Aushiltbing 
und  dann  das  praktische  Examen ,  welche«  hauptsäk!hlich  in  der  Btv 
handlang  von  Kranken,  in  der  Aurführung  von  Operationen  m  der 
Leiche  u,  a.  m.  besteht  und  die  Berechtigung  zur  Ausübung  der  mi- 
liehen  Praxis  verleiht. 


In  Rumänien  beistand  früher  nur  eine  railitiinirztliche  lichrauj^ü 
deren  begabteste  Schüler  zur  VollerKlunf,^  ihrer  Studien  an  ait^landis^i 
Hochschulen  geschickt  wunien.  Gegenwärtig  besitzt  da.s  I^and 
Universitäten  zu  Bukarest  und  Jassy,  von  denen  jede  mit  einer  mt»- 
dioiniscben  Fucultüt  ausgesUtt^^t  ist.^  Mit  der  tTst^ren  ist  eine  phama- 
ceuttsche  Lphnmstalt  verbunden;  auch  besteht  in  BukareM  eine  Thier- 
arzneischuie.  Von  den  StudierendeTi  der  Mediein  wird  vüniusgr.setzt» 
dass  sie  das  Gymnasium  absulvirt  haben.  Die  *Studienzeit  un  der  ütti- 
versitJit  dauert  5  Jahre.  Die  Prüfungen  erstrecken  sich  auf  srimmtbck 
Fiicher,  sind  sowohl  ther>ri'tiscli  ula  praktiscli  und  werden  von  den  Vn*- 
fessoren  abgenommen.  Sie  linden  ihren  Abschlu88  mit  der  Verleihung  ü»^ 
Düktoratjs,  welches  zur  Ausübung  aller  Tb<»il(^  iWr  ärztlichen  Thätigkeit 
l>erechtigtu 

Die  serbiische  Hochschule  z«i  Bc!^n-ud  besitzt  bis  jetzt  noeb  k^ 
medicinische  Facullät, 


^  Revuo  inti^ruat.  dv  l'enseiguLHnuut,  Parb,  IV,  p*  2&1   it,  ü\ 


Schlnssbetrachtungen. 


Es  liegt  nahe,  auf  Grund  des  reichen  Materials  von  Thatsachen, 
welche  das  medicinische  Unterrichtswesen  in  den  verschiedenen  Zeiten 
und  Landern  beleuchten,  die  Frage  aufzuwerfen,  wo  dasselbe  am  zweck- 
mässigsten  eingerichtet  ist  Aber  beantworten  lässt  sie  sich  ebenso 
wenig,  als  diejenige  nach  der  besten  Staatsverfassung  oder  Eeligion. 
Während  für  das  eine  Volk  die  republikanische  Form  am  meisten  ge- 
eignet erscheint  und  sich  durch  Jahrhunderte  bewährt  hat,  bedürfen 
andere  Nationen  der  Monarchie,  vielleicht  sogar  der  Despotie. 

Ähnlich  ist  es  mit  den  Einrichtungen  des  medicinischen  Studien- 
wesens. Die  allgemeinen  Culturzustände,  die  historischen  Traditionen, 
die  geographische  Lage  des  Staates,  die  finanziellen  Verhältnisse  und 
der  Charakter  seiner  Bevölkerung  sind  dabei  von   grosser  Bedeutung. 

Aber  es  wird  gestattet  sein,  hier  einige  allgemeine  Gesichtspunkte 
zu  erörtern,  welche,  wenn  auch  nicht  überall  durchführbar,  doch  jeden- 
falls beachtenswerth  und  anzustreben  sind. 

Was  zunächst  die  allgemeine  wissenschaftliche  Vorbildung  des 
Jüngers  der  Heilkunst  betrifft,  so  muss  unter  allen  Umständen  daran 
festgehalten  werden,  dass  sie  nicht  hinter  derjenigen  der  übrigen  i^:e- 
lehrten  Stande,  der  Theologen,  Juristen,  Philologen  u.  a.  m.  zurücksteht. 

Der  Arzt  soll  jenes  Maass  von  allgemeinem  W^issen  besitzen, 
welches  in  dem  Lande,  in  dem  er  lebt,  den  höchsten  Anforderungen 
entspricht  Welcher  Art  aber  dieselben  sind  und  welche  Wissenschaften 
sie  umfassen,  richtet  sich  nach  dem  Begriff  der  Allgemeinbildung,  der 
nach  Zeit  und  Ort  verschieden  ist 

Da  er  sich  in  den  meisten  heutigen  Culturstaaten  unter  dem  Ein- 
fluss  des  Humanismus  entwickelt  hat,  so  bilden  das  Studium  des  Alter- 
thums  und  der  dazu  führenden  lateinischen  und  griechischen  Sprache 
seine  wesentliche  Grundlage.  Allerdings  erfuhr  dieses  Bildungssystem, 
welches  im  16.  Jahrhundert  volle  Berechtigung  hatte,  schon  im  17.  und 
18.  Jahrhundert  wesentliche  Einschränkungen.  Der  Aufschwung  der 
Naturwissenschaften  und  die  Entwickelung  einer  nationalen  Literatur 
drängten  andere  Bildungs-Elemente  in  den  Vordergrund.    Wo  dieselben 


nicht  mit  dem  Msh«rigen  System  verschmolzen  wurden,  da  begann  ein 
ZwioMjialt  zwiwhen  dem  antiken  und  dem  modernen  Bildungs-Idfvil»  <lBr 
im  Verlaul'  der  Zeit  an  Sohrüffheit  zujarenommen  hat. 

Die  AnhangfT  des  ersU*reii  erklären»  dass  der  pildaifojjischc  \\>rtii 
der  Lit^mLur  des  AUerthums  büuptsächlieh  in  ihren  spriKdilicheii  Funuen 
zu  suchen  «ei,  deren  Erlernung  den  Verstand  scharfe  und  die  Denk- 
kraft  übe.  Wenn  dies«*  Annahme  riehtig  JNt,  so  muss  eji  dueh  Bedeake« 
erregen,  dass  man  darauf  8  mU*v  9  Jahre  des  Lehens  verwendet  Det 
Zweck^  der  damit  angentrebt  wird,  steht  in  keinem  vernünftigen  T( 
häUniss  zu  der  Zeil,  die  man  ihm  widmet.  Jedenfalls  ai>er  ■ 
fragen,  ob  der  niühi^ame  langwierige  Weg  durch  die  liiii: 
KUppen  der  lateinischen  und  griechischen  Literatur  der  ein^ig^  ist,  te 
zu  diesf^m  Ziel  führt.  Es  gnh  zu  allen  Zeiten  und  ^♦»ht  noch  h 
eine  Menge  vcm  Leuten,  die  sich  durch  Klugheit  auszeichnen,  ubwi 
sie  niemals  die  lateinische  oder  griechische  Sprache  erlernt  hal>eü»aoii 
umgekehrt.  AVarum  soÜti^n  nicht  auch  andere  W^issenschaften,  W^m- 
ders  die  Mathematik^  geeignet  «ein,  den  Vers;tand  zu  imtwir-k^ln  nn 
^l^  schärfen?  — 

Ein  gutes  UnterrichLsöystem  mu^^s  trachten,  die  Zucht  de.s  ijm 
zu  bewerkstelligen ,  ohne  ditös  dabei  die  Bedürfnisse  des*  Lehens 
wtändig  vemaohlissigt  werden.  Das^  die  humanistischen  (lymna^iiea  mit 
ihren  Studienplänen  diese  Aufgabe  nur  zum  Theil  erfäUeo.  ist  be* 
kannt.^  Darauii  enti^pringen  die  meisten  Vorwürfe,  welclie  gegen  sie 
erhoben  werden. 

Man  verlangt  vor  Allem  eine  gröesere  Benlckb-ichtiiEfung  der  Bdalieo 
beim  Unterricht,  weil  dies  nicht  hlo^  im  Inieret»s!;e  der  künftigen  knk 
und  Naturforscher,  sondern  auch  der  Theologen,  Juristen  und  über- 
haupt aller  FerM>nen  liegt|  deren  Bernftthätigkeit  dem  praktischen  LeWn 
angehört.  In  den  meieHim  Umlifn  Int  man  diet^en  Fordern?  -t  ^'  i 
nung  gtHragttii,  indMi  aiti  eotveder  die  hujnanistischen  ' 
durch  die  Aufnahme  neuer  Lebgogosüiide  nach  dieser  Bichtung  am- 
gt«t«ltete  oder  doreh  4ie  Hinnfilgaaif  fon  parallel  laufenden  Uml 
khts^n  tu  Interrkiklttnaliha  mH  gwiiwilitem  Charakter  erweitert^'. 
In  t>eata(dihuifl  wunfen  so  fieism  Zveck  die  Beokehulen  errichtet,  ton 

krer  Lriimele  allmäü 


tUk 


fkwn  bunt 


IL  lUvoLn  *  Kc«%7WiMBi«Mi  «mI 


das0  in 


Jer  Unterricht  in  der  grieehisohen  Sprache  wegfillt  und  die  dadoich 
gewonnene  Zeit  den  Naturwissensehaften  u.  a.  m.  gewidmet  wird. 

E&  unterliegt  keinem  Zweifel,  dü^s  das  deutsche  Heal^n  mnasium 
In  seiner  jetzigen  Gestalt  eine  bessere  Vorbildung'  für  das  Studium  der 
Mediein  gewährt,  als  das  humanistische  Oymnasiimi;  gleirhwohl  blieb 
den  Schülern  des  ersteren  die  Zulassunj?  zu  demselben  bisher  versa^^ 
tind  ausschliesslich  den  Abiturienten  des  humanistischen  Gymnasiums 
Torbehalteti.  An  Vei*süehen,  auch  denjenigen  des  Heal-Gyninasiums  die 
Znliissimg  zu  den  medicinischen  Studien  zu  erwirken,  hat  es  nicht  ge- 
fehlt». Die  prf^nssische  Staatsregierung  zog  in  dieser  Angelegenheit 
ßowuhl  die  medicinischen  Fatmltiiten  als  die  praktischen  Ärzte  m  Kath; 
aber  die  Antworten,  welche  sie  von  ihnen  erhielt,  lauteten  in  ihrer 
überwiegenden  Mehrzahl  für  die  Realschulen  nicht  giinstig.  Von  den 
■9  medicinischen  Facnltätea  Preussens,  welche  1869  ihre  Gutachten  über 
die  Zulassung  der  Realschul-Abiturieoten  zum  Studium  der  Mediein 
abgaben,  sprachen  sich  nur  4  (Gidtingen,  Greiiswald,  Kiel  und  Künigs- 
herg)  dafür  aus,  während  4  (B«'rliiK  Breslau,  Halle  und  Marburg)  da- 
igegen  auftraten  und  1  (Bonn)  gar  keine  Meinung  äusserte.  Von  den 
163  arztlichen  Vereinen  Deutschlands,  die  1879  um  ihr  ürtheil  befragt 
wurden,  erklärten  sich  nicht  mehr  als  3  unbedingt  und  3  mit  gewissen 
Be^schränkimgen  dafür,  7  andere  gleichfalls,  aber  nur  unter  der  Be- 
I  dingung,  dass  den  Abiturienten  der  Realsidiulen  auch  der  Zutritt  zu 
den  übrigen  Facultaten  errdl'net  wird,  während  die  übrigen  150  dagegen 
stimmten,  98  davon  allerdings  unter  der  Voraussetzung ^  das»  die 
humanistischen  Gymnasien  einer  Reform  unterzogen  würden. 

Die  Gründe,  welche  dabei  miissgebend  waren,  lagen  aber  keirn^-s- 
iregs  darin,  dass  man  der  alt^classischen  Bildung  den  Vorzug  gab,  sondern 
lediglich  in  den  Rücksichten  auf  die  gesellschaftliche  Stellung  des  ärzt^ 
liehen  Standes.  Man  durfte  mit  Recht  befürchten,  dass  dieselbe  beein- 
trächtigt wird,  wenn  für  die  Arzte  eine  wissenschaftliche  Vorbildung 
für  ausreichend  er  klart  wurde,  die  nach  einer  sehr  Terbreiteten  Ansicht 
einen  geringeren  Werth  besitzt  als  diejenige,  welche  finr  die  üiirtgen 
gelehrten  Stande  für  nothwendig  befunden  wnrde.  Leider  beging  man 
dabei  an  einzelnen  Orten  den  Fehler,  dass  nmn  sich  nicht  auf  die 
Anführung  dieses  einzigen  Grundes  bes<;'hi*änkte,  sondern  zu  gleicher 
Zeit  die  Realschulen  f Beschuldigte,  dass  sie  kein  ideales  Streben  hatten 
und  Oberflächlichkeit  und  Einseitigkeit  erzeugten:  Anklagen,  welche  von 
betheiligter  Seite  natürlich  eine  scharfe  Zurückweisung  erfuhren.^ 

*  P,  WosfiiBLo  im  PädagogiJB^^hen  Archiv,  Stettin  1880,  H.  2.  —  E.  Speck: 
Die  Berech tigang  der  Realechid -Abiturienten  zum  Studium  der  Mediein  im  Pä- 
dägogidchen  Archiv  18S3,  H,  9.  10. 

Pvscttxjijts,    VoterricbU  ^^ 


498 


gmh 


Die  Pmi?e  der  Znlasstinj?  dpr  Ahiturienten  Aer  R«*alsrymnas|<»ii  m 

d(m  UniviTsitättj^stndien  kann  allfTdin^y  nur  in  der  Art  greUjst  werd**u, 
Ams  man  ihnen  allf*  Fncultät<*n  iToffnet  nn<l  damit  ihre  Allgemein- 
bildiing  ab  erlpichwerthi^  mit  derjenigen  der  humaniHtischpn  ^tjmnasifn 
anerkrnnt.  Dies  fordert  die  Gerechütrkpjt»  da  drr  Lohrplan  de.^  Heai- 
gymnasiumK  demjenigen  des  humanistischen  ebenbürtig  ii<t;  es  ist  m* 
gleich  eme  Pflicht  pejirenül>er  den  Jünglingen»  welche  nicht  zum  Sttidiam 
diT  ulten  Spnii'ljen  veranlagt  sind.  (Jder  ist  es  zn  rechtfertigen,  im, 
man  Jemj*ndem,  der  bei  einer  ausgezeichneten  Begabung  für  die  Natur- 
wissenschaften  vielleicht  ein  vortrefflicher  Arzt  werdtni  würde,  dies*'« 
Wog  versperrt,  weil  er  niehl  m  viele  griechische  oder  lateinisch**  Sprach» 
kenntnia^e  besitzt,  als  die  Philologen  für  «einen  kfmftigen  Beraffür^ 
erforderlich  erafht<*n?  — 

Die  Unilurniität  der  x\llgemeinbildung  isfe  allerdings  für  die  scheotaFi 
ÜKir«nde  Schulgelehrsamkeit  sehr  bequem,  imlem  sie  ihr  gleicbmm  ah 
geistiger  flradmesser  dient;   aber  nothwendig  und  naturgemaÄS  Lst  si»- 
gewiss  nit'ht.     Hie  V'ersehiedHnh»-*it  der   Neigungen  und  Anlagen  wi'i>t 
darauf  hin,  dass  es  nicht  blos  eine  einzige  Art  der  Greisteshildung  giebl 

In  mehreren  Ländern  hat  man  das  Bifurcal-Systc^m  an  den  Gyoi- 
nji«ieu  eingefülirt  urul  den  HchfihTr»  beider  Kategarien  den  Zulritt  iwt 
llniverBitat  gewahrt.  In  Deut^eidand  sträubt  man  sich  noch  dagegen, 
obwohl  num  sich  in  den  einsichtigen  und  unparteiisch  urtheilend«n 
Kreisen  der  Erkenntniss  nicht  verschlie&st.  d;iss  i!it>  Kinheit  der  V<>r4 
schule  auf  die  Dauer  unhaltbar  ist 

Schon  seit  langer  Zeit  hat  das  humanistischi'  ifymniisium  autgehr» 
die  einheitliche  Vorschule  für  die  gebildeten  Kreise  ülierhaupt  zu  sein? 
denn  die  poh  technischen  Hoch.Hchulen  und  einzelne  Klassen  des  haheren 
Beamtenthums  wurden    den   Abiturienten    der   Realschulen   /  ' 

gemacht,    und    die    für   die    Erziehung  des  Ofticierstandes  br  :- n 

Kadetten -Anstalten    verzichteten    auf  die   humanistische    Bildung  und 
nahmen  d»'n  lichrplan  der  Healgymnasien  an.     Die  Gleichstellung  JfH 
Healgvmnasien   mit   den    humanistischen    und   die  (rleichberechtigui^ 
ihrer  Abituriimten  wird  daher  nicht  zu  einer  Trennung  der  Studierenden 
führen,  wie  von  mancher  Seiti»  behauptet  wird,  sondern  im  Gegentheit 
die  Annäherung  aller  Gebildeten  auf  der  Grundlage  einer  wenn  and^ 
nicht  gemeinsamen,  so  doch  gleichwerthigen  Vorbildung  anbahnen,  f 

E»  ist  klar,  dass  die  günstigen  pädagogischen  Erfolge,  welche  die 
lateinische  Schule  und  das  humanistische  Oymnasitun  ehemals  erzielten, 
nicht  auf  dem  Inhalt  des  Lf^hrstoffes,  sondern  auf  der  gründlichen  Ver- 
arbeitung dej^elben  beruhten.  Jemehr  ihr  Studienplan  durch  die  Auf- 
nahme neuer  Unterricht^gegen^tande  Ton  dieaem  Grundnatz  abweicha 


pinsste,  desto  hjinfiofer  wurrlen  auch  d]o  Klagen  über  die  mangelhafte 
lind  Terfehlte  Ausbildung  der  Schüler,  Heut  erstrecken  sie  sich  aul' 
bammtljche  Uuterriehtsgegenstande,  und  selbst  die  alten  Sprachen  sind 
pavon   nicht  iinsgenommen.     Am   deutlichsten   tritt  dies  an  den  Tister- 

f eichischen  Gymnasien  hervor,  welche,  um  die  Einheit  der  Vorschule 
ü  retten,  die  Lehrziele  des  humanistischen  mit  denjenigen  des  Real- 
gymnasiums zu  vereinigen  suchen  und  dabf^  noch  ndt  den  ans 
der  Vielsprachigkeit  des  Landes  entspringenden  Schwierigkeiten  zu 
Icämpten  halien. 

Die  eingehende  Beschiiftigting  mit  einem  abgegrenzten  Wissens- 
gebiet erzeugt  Gründlichkeit:  eine  Charakter-Eigenschaft  die  der  Jugend 
anerzogen  werden  muss.  Ob  man  aber  die  alten  oder  die  neuen  Sprachen, 
die  Mathematik  oder  eine  andere  Wissensehaft  zn  diesem  Zweck  benatit-, 
dürfte  in  Bezug  auf  den  Erfolg,  welcher  angestrebt  wird^  vielleicht 
gleichgültig  sein  und  sollte  sich  allein  nach  den  Bedürfnissen  der  Zeit 
und  nach  den  Neigungen  nnd  Talenten  des  Individnoms  richten. 

An  dieser  Stelle  mögen  noch  einige  Bemerkungen  erwähnt  werden, 
welche  sich  el>enso  sehr  gegen  die  Keal*Gymnasien  als  gegen  die  humanisti- 
Bchen  Gymnasien  richten.  Zunächst  ist  die  Überladung  ihrer  Lehrplüne 
mit  Unterrichtsstunden  vom  sanitären  Staudpnnkt  durchaus  nicht  zu 
billigen.  Wenn  Knaben  imd  Jünglinge  genöthigt  werden,  wöchentlich 
32  Stunden  auf  der  Schulbank  zn  sitzen  und  ausserdem  vielleicht  noch 
mehrere  Stunden  täglich  für  die  Anfertigung  der  häuslichen  Schul- 
aufgaben zu  verwenden,  so  muss  dies  auf  die  Entwickelnng  ihres 
Körpers  schädlich  wirken.  Die  zunehmende  Kurzsiehtigkeit  der  Schüler, 
ihre  bleichen  Wangen  und  engbrüstigen  Gestalten  liefern  dafür  über- 
zeugende Beweise.  An  keiner  Klasse  des  Gvmniisiums  darf  die  Zahl 
der  wöchentlichen  Unterrichtsstunden  höher  als  24  bis  26  sein,  wenn 
man  den  Körper  gesund  und  den  Geist  frisch  erhalten  will  Dem 
Knaben  muss  die  Zeit  zu  seiner  Erholung  gewährt  und  zugleich  die 
Möglichkeit  geboten  werden,  seine  individuellen  Anlagen  zu  entfalten.^ 
Daran  schliesst  sich  der  W^nnseh  an.  dass  dem  Turnen  und  über- 
haupt den  körperlichen  Übungen  an  den  Schiden  mehr  Zeit  gewidmet 
werden  möge,  als  dies  bisher  der  Fall  war.  Es  muss  freilich  anerkannt 
werden,  dass  gerade  in  dieser  Hinsicht  in  den  letzten  Jahren  viel  ge- 
schehen ist;  aber  es  bleil>t  noch  Manches  zu  thun  übrig,  bevor  die 
Forderungen  der  Hygiene  erfüllt  sind. 


'  Zeitung  f,  d.  höhere  Untern chtsweeen  Deutschlands,  Leipsig  1883,  No.  48. 
—  Haskxann:  Die  ÜberbÜrdung  der  Schüler,  Strassburg  1884.  —  CentralbL  f. 
allgeni,  Ge8undheit«ptlege,  her.  v,  FiNKELNBUftu,  Jahrg.  lU,  H.  7.  s.  —  VergL  a. 
P,  Fravx  a.  a.  O.  VI  Th,  3,  S.  260. 


Kin  (jroHSpr  Fehler  der  Gymnasien  Deutschlands  ond  rieler  anderer 
Ljm<lt*r  besteht  m  der  Verniuiitns:?iguji^^  des  AnschauuDLrs-Ur)ternrhK 
Sie  füllen  da*»  Gedüchtniss,  fib^n  doii  Verstand  and  entwickeln  die 
Dmknihii^keit;  aber  sie  unterhissen  es,  die  Beobachtnn^'sgabe  zu  wecken 
und  die  Sinnesthätigkeit  zu  srhärlen.  Sie  verzichten  damit  auf  m 
wirksinnes  Mittel  der  Geisti'sbihlnng,  welches  für  manche  Benifskieiüe, 
wie  f*k  drnjeni;:en  des  Insrenieurs,  des  Arztes  oder  Naturforscher*,  «ine 
hohe  IJedeuUmg  hat.  Ks  erseheint  ilaher  wünsehenfsvrerthy  dn^  dur 
Unterricht  in  der  Geo|rrap!ne,  der  Mathematik  und  den  Naturwbsscn^ 
Schäften  mit  praktischen  Demonstrationen  verbunden  und  die  vor- 
getra^fenen  That^^aehen  sinnlich  veranschauliehl  werden-  Auch  der 
Zeichnen-Unterricht  Inssi  sich  daiu  verwerthen.  Die  Ijehrmittel-Samm^ 
hingen  müssen  durch  Ahbililungen,  Mudelle  u,  dgl  m,  vermehrt  un^ 
jede  Weise  dafür  gesorgt  werden,  dass  neben  dem  Verstände  auc 
Sinne  heschiltYigt  werden** 

In  vielen  enghsehen  <  olleges,  ebenso  wie  in  manchen  Schulen* 
Schweiz  und  Schwcilens  limlet  man  Werkslatten  für  mechautsche  Hand-I 
arbeiten»  in  denen  die  Schüler  die  Gelegenheit  erhalten^  sich  im  G^ 
brauch  der  I lande  und  Werkieuge  lu  üben.  Wenn  diese  Einriehttmgpn 
richtig  geleilet  werden,  so  bereitea  sie  den  Zughngen  grossem  Ver- 
gnügen  und  noch  grtksseren  Nulzen,  indem  sie  ihnen  die  für  im  prak- 
tische Leben  unenlhebrUche  Gesohicktichkeit  verschaffen,  Welebn 
jjmunervuUen  Anblick  bieU^  Mtaneber  Gidehrte,  Richter  o<ler  Geisthchv» 
der  kaum  im  Stande  isl,  einen  Bleistift  zu  spitzen,  ohne  da^  er  äch 
in  die  Finger  sjchneidet!  Fi  ist  bemerkenswerth,  dass  solche  Figumi 
fast  nur  in  Deotsehhuid  und  jenea  Landern  vurkommen,  in  dtrim 
1'beil  der  Jogenderoehmif  gtetUoli  übersehen  wirtL 

Endlich  regt  die  Ov^gnnisalion  der  Gymnasien  zu  d  r  I  rau^e  »^ 
ob  e$i  vom  p&dagoftsohen  Standpunkt  richtig  und  zweckmassig  er^<  heinil 
Knaben   von  10  Jahren  mit  Jünglingen  von  19  Jahren  in  <!  r>  H>i 
Schule  au  vemnign  und  sie  der  gtoidieii  Oboiplin,  den  gleichen  üe-~ 
pelzen  zu  nnlinrerfeB.    In  Saddenisciihnd  und  Üät€rn*ich  wurde  d« 
Qjmuiaaial-CiirsiKa  früher  in  zw«!  HUftfla  getheilt  und  för  jede  de 
aelben  eine  beeeodare  SchoWAiislall  enkhleliS  in  Italien  ist  die^  no 
jelil  d«r  nOL*    Die  Kintlüilng  in  etai  Ote^  ond  Inter-Onnmiäia 
hal  inr  VomiMMug.  4»m  ift  jeiw  dieeeff  teiden  Anstalten  ein 


«  T.  Uvmmk  Im  ML  Aitk  IST»«  U.  a  —  W,  Fuoimxm  im  P«d.  Ai«lt. 
Ne^  1«  --  J.  RfMEXiaaz^  Oit  VmbShUmt^  Mum  ITintiiiitimiludiwin  im  Piii 
li<ta^  EL  4.  ->  LiaMa  la  dar  laltihr  ^m  Vansua  4müMdMm  lag«Diaiiia, 

«  Äacli  4«r  iHriiirini  Bmmmmrat.  ail<fcg  4m  TfrfcjwJImwa  aber 


geschlo^enes  Lohrziel  yerfol^t  und  erreicht  wird.  Sie  bietet  den  Vor- 
theil,  dass  sie  für  d'u^jenigen  Scliüler,  welche  das  üvmnii.^iuni  verlassen. 
bevor  sie  dasselbe  absolvirt  halven,  ainen  natürlichen  harmonischen 
Abschluss  schafft;  sie  werden  auf  die^e  Weise  davor  bewahrt,  dass  sie 
mit  einer  abgehackten  unbefriedii^enden  Bildung  ins  Lehen  treten.  Zu 
gleicher  Zeit  wird  damit  ein  vernünftiger  Anhaltspunkt  für  die  All- 
gemeinbildung Derer  gegeben,  welche  sich  dem  niederen  Beamten-Dienst 
widmen,  eine  Fachst^hule  besuchen  wollen  u.  a,  m. 

Wenn  dem  Unter-Gymnasium  die  x\ufgabe  ertheilt  wird,  in  einem 
fünfjahrit»:en  Oursus  den  Schüler  im  Gebnmch  der  Muttersprache  zu 
üben  und  auszubilden,  wobei  das  Stadium  einer  zweiten  Sprache»  z,  B.  der 
lateinischen,  unentbehrlich  erscheint,  mit  den  Element-en  der  Ilathematik 
und  den  wichtigsten  Thatsaehen  und  Lehren  der  Reliirion,  Geschichte, 
Geographie  und  der  beschreibenden  Naturwissenschaften  bekannt  zu 
machen  und  durch  den  Zeichnen -Unterricht  in  der  sinnlichen  Be- 
obachtung zu  festigen ,  also  mit  einer  formalen  und  sachlichen 
Allgemeinluldung  auszustatten,  sollte  in  dem  Ober-Gjmnasium  der 
humanistische  öd<'r  realistische  Charakter  der  Geistesbildung  einen  deut^ 
liehen  Ausdruck  erhalten. 

Dasselbe  konnte  derartig  organisirt  werden,  da&s  diese  beiden 
BJchtungen  in  Parallel-Klassen  vertreten  werden,  deren  Schüler  in  deu 
meisten  Lehrgegenständen,  z,  B.  in  der  Muttersprache,  in  der  Religion^ 
Geschichte  und  Geographie,  den  modernen  Spraohen  und  Zeichnen,  ver- 
einigt und  nur  getrennt  werden,  damit  die  eine  Abtheilung  in  der 
griechischen  und  lat^einisehen  Sprache,  die  andere  in  der  Mathematik 
nnd  den  Naturwissenschaften  unterrichtet  wirdJ  Ähnliche  Einrichtungen 
bestehen,  z.  B.  an  den  dünischen,  schwedischen  und  norwegischen 
Gymnasien,  Doch  müssen  den  Abiturienten  dieser  l>eiden  Abtheilnngen 
des  Oher-Gymnasiunis  selbstverständlich  die  gleichen  Rechte  gewährt 
und  der  Zutritt  zu  siimmthchen  Facultäten  gestattet  werden. 

Wahrend  in  den  meisten  Culturst^aaten  durch  gesetzliche  An- 
ordnungen dafür  Sorge  getragen  wird,  dass  die  Ärzte  eine  allgemeine 
wissenschaftliche  Vorbildung  besitzen,  denkt  man  nirgends  daran,  wie 
wichtig  es  ist,  dass  nur  gesunde  Menschen  sich  diesem  Beruf  widmen. 
Es  erklärt  sich  dies  aus  der  Vemachla.ssigung,  welche  die  körperliche 
Erziehung  in  unserem  modernen  Cult urleben  überhaupt  erfahrt. 

In  der  bayerischen  Medicinal-Ordnung  v.  J,  1808  wurde  befohlen, 

die  Eeorganbatioo  der  liöhereu  Schulen  zu  Grande  gelegt  wurde,  welche  vom  j 
Ifi.  April  bis  14.  Mai  1849  in  Berlin  stattfundcii,  verlangte  eine  solche  Eiiinchtimg, 
■  Th.   PüscHinANN   IM  düT  DeutsL'lii'ii    raedicimi<ch«n  Wochent*clint'tj    Berlin 
1888,  No.  49,  —  E,  KiNDFLEiscn  in  der  TÄgl  Rundschau  1887,  No,  209. 


da  Kif]pai  tnd  der  SuM*' 


MmBbI  äa4  oder  ikr  eine  nvoUluiiiuiieiK  iider  Mikr* 

[ktftii  »iiiMitilUgtiil  UegeB,  ioOlai  fom  £todim  der  BaOnud«  ilw 

Verden;  dcwi  m  wniat  \m  der  Untcssiidiiuig  und  Beliandluiii? 

lUmkfm  imd  Aberluiiid  tn  ilii«r  genainlam  meükbeo  Tkalagto 

li,  unuMkgm  den  tggrtiiedia«  «MdüdiaB  finfitoea  nti 

\äMA  Hiebt  im  HUnde^  den  erbollbüi  Segen  m  itiften.    Zum  Smdiiim 

Uedidn  und  der  TUtigkeü  des  Aiztei  gehM  ein  geennder  naj 

'  kiiftiger  KiOipftr.    IK«  KimkMI  rerbiitcrt  dw  Gemitli  nnd  nabt  iliso 

Lebemomtli;  wie  nathwifndig  bmnriit  diaüen  der  Arzt  Ar  mh  and  für 

Andere!   8etne  Seelengtimmtuig  spiegeU  aeh  oft  in  dem  Befinden  wmf 

rKnuiken  wieder« 

Ihff  Sindieogang  *yf  Medieio^  Int  sieb  duioh   die  Of^woiinlieit 

Lttnd  die  wueenschiftljeben  BedArfnisie  in  den  einsegnen  liindern 

^lieb  s^dcbnrtig  gcetnltel.    Er  beginnt  mit  den  Naturwieeeoiduiftei]^  dea  ^ 

HOK^nannten  HilbCachem  und  der  Analamic  und   Pfaj^iiologiey  nohtet 

.lieb  ftleo  zonäeh^t  auf  4cn  Bau  und  die  I      '       ^^q  des  3!        '      und 

'neine  SIettiing  in   <lir   N^iMir     Der  Sin  itoilt«    •  .  (Ift 

Vomchiile  HO  dele   naturwtä^n<ichafUich(!  KenotiiL^äe  mitbring^D,  Am 

**r    ni<:ht   g*'nr»tlii^t  mr*\,  an   «1<t  Univemtät  mit   den   Elfmenkn  d^iJ 

ilmcrnlu^if,    Botnaik    uihI  ZfKvlifine  zu  InF^^nnen^  Kondem  sich  »laraufj 

lieHehränkim  darf^  diBHi*  Wi«ipnschaft<^n  m  ihren  Bezii*himgen  xur  M«*<licii 

zu  btftrai^htirrL 

Da  i\ii*  I'hjüik  und  ChtruH-  am  Oymna^um  nur  oberflächlich  be 
rührt  werden  können,  die  Kenntniü^*  auf  <li43sen  Gebieten  für  AätH  Vefi 
«iliindntHM  dtT  oinzelncn  Theilo  der  Hf^ilkund»*  unentbehrlich  t^ind,  \mi 
dif  r<Mi^h<*n  L<*hrini!l*'l  der  Huchnchule  die  best**  Gelegenheit  zua 
Htudiiim  dprM**ll»f*ij  bif?t<?n,  »o  muHs  .sich  der  Studierende  der  Medic 
damit  Hi'hr  untr^'hBnd  heHnhüftigon, 

liie  Aiiiiti^rnie  üjkI  i^hy^iolo^ie  mni  gl<ichsam  die  Grund8ila1e 
der  ärxtlioheii  Bildung,  Sie  müssen  mit  erschöpfender  GründJichke 
lM'hjiinli*ll  und  Küwohl  durch  di<'  mit  iJemon^traliunen  und  Experiment 
vurbuudeiK'u  Vt»rtrttgo  al«  durcli  die  Betheilij^iig  an  pmktiji^GhoQ 
heiteri  zum  dauernden  geintigen  Kigenthum  des  Schülers  gema 
werden*  Die  Betrarhiung  der  anutoniisi^hen  Verhältnis««  Vom  ve 
gleiebenden,  (.»»iMigiupliiHchen  mui  ehmirpsdu-n  SUindpunkt  controUijj 
und  tiefet  Igt  (lii>i  in  den  Vr»rleKnn|(en  über  syntcrnjitische  Anati*mie  uc 
durch  die  iSfcir-Übiingen  erwurbne  Wissen,  und  die  Histologie  Te 
vollHtj'indigt  oü  in   Bezug  auf  d<*n  feineren,   nur  mit  dem  bewaflneti 


Auge  erkennbaren  Bau  der  einzelnen  Theile  des  Körpers.  Wenn  die 
Phjsiiologie  im  Hinblick  auf  ihiv  hohe  Bedeutung  für  die  praktische 
Heilkunde  gelehrt  wird,  so  wird  dadurch  das  Interesse  des  Studien^ndeu 
für  die  Thatsacheu  tlieser  Wissenschaft  we^entlieh  erhöht  Mit  der 
Eiubn ülogie  schhes&t  drr  i  rsie  Theil  des  mediriDischeD  Studiums,  der 
sich  mit  den  normalen  Verhältnissen  und  Zuständen  des  Körpers  hefasst, 
Bt^im  Studium  der  i^igentJichen  Heilkunde  gilt  es  zunächst,  eine 
Einsicht  in  das  Wt'S^^n  d<'r  Krankheiten  und  KrankbeitszustTnide  zu 
^gewinnen.  Die  Vorlesungen  über  allgemeine  und  speciidle  Pathologie 
geben  Aufschluss  darüher.  Die  pathrdogische  Anatomie  zeigt  die  für 
die  Krankheiten  charakteristischen  Veränderungen  an  der  Leiche,  und 
die  experimenteüe  Pathologie  lehrt  ihre  Entstehung  und  ihre  gegen- 
Lijeitigen  Beziehungen. 
W^  Leider  ist  es  an  manchen  Hochschulen  dahin  gekommen,  dass  die 
[  theoretischen  Vorlesungen  über  die  inneren  Krankheiten,  die  Chirurgie, 
Ljkugenhcilkundf»  Geburtshilfe  und  andere  TheOe  der  praktischen  Heil- 
^^unde  !ur  unnöthig  gehalten  werden.  Allerdings  mögen  breil  aus- 
gesponnene, ins  Einzelne  gehende  Vortnige  darüber  auf  Anfanger  einen 
verwirrenden  und  ermüdenden  Eindruck  machen;  für  sie  ist  eine  kurze 
gedrängte  Übersicht  der  wicbtjgsien  That>sachen  ausreichend.  Aber 
diese  i«t  unerlässlich,  bevor  der  klinische  Unterricht  beginnt,  dem  die 
weitere  Ausführung  des  Lehrstoffs  überlassen  wird. 

Auch  müssen  demselben  die  Collegien  über  Arzneimittellehre  und 
Pharmakodynamik,  allgemeine  Therapie,  Diätetik  und  Balneologie  voran- 
gehen. Sehr  zweckmä^ssig  ist  es,  wenn  die  Studierenden  die  Herstellung 
der  Bei*epte  in  einer  Apotheke  oder  einem  pharmaeeulischen  kibora- 
t4:»rium  praktisch  erlernen,  wie  dies  in  dem  Keisingerianum  in  München 
der  Fall  ist. 

Der  diagnostische  Cursus  und  die  propädeutische  Klinik  machen 
den  Studierenden  mit  den  gebrauchiichen  Untersuchungs-Methoden  be- 
kannt und  lehren  an  einfachen,  leicht  zu  durchschauenden  Fällen,  wie 
die  Krankheit  erkannt  und  behandelt  wird.  Die  propädeutische  Ivlinik 
füllt  eine  Lücke  aus  im  medicuiischen  Studienplan,  ist  aber  wohl  nur 
an  grossen  ärztlichen  Schulen  ein  unumgängliches  Bedürtniss  und  lässt 
sich  auch  nur  dort  einrichten,  wo  man  ül>er  ein  grosses  Kranken- 
material verfügt  und  die  Menge  der  Schüler  eine  Trennung  derselben 
in  mehrere  Abtheilun^en  wünschenswerth  macht. 

Die  chirurgische  Klinik  setzt  ausser  Anderem  die  Kenntniss  der 
chirurgischen  Instrumente  und  die  Ferhigkeit.  in  der  Anlegung  von 
Verbänden  voraas  und  verlangt,  dass  der  Studierende  die  Ausfuhrung 
der  Operationen  an  der  Leiche  lernt  und  selbst  übt.    Für  ilie  Ophthal- 


604 


SoMi»9&hetraßhifmff0n, 


niiatrische  Klinik  ist  die  Bekanntschaft  mit  der  Anwendung  d^^  Ausn*ii- 
spiei^els  und  die  Betheilif^nj^  an  rinem  Opemtions-Corsirs  nnthwt'n%. 
Die  geburtslnlfUilien  Kenntnit^se  werd«:^n  in  der  di^^sem  Zweck  ^mi^ 
meten  Klinik  und  durch  die  Operation.s-ÜVmngren,  welche  am  Plianl^nu 
veranstaltet  werden^  erwork*n,  Di*r  Besuch  der  Special -Klinikern  % 
Psychiatrie  and  Nervenleiden,  Huntkrankheiten  und  Oeschlecht^ikidpn^ 
Erkninkungen  des  Kehlkopfes  und  des  (lehörofju^ans,  ffir  KinderkT;ink. 
heilen  u.  iL  m.  müssen  den  letzten  Semestern  der  Studienzeit  vorlH/haltfii 
bleiben. 

Die  Studierenden  der  Kliniken  scheiden  sich  in  AuscultÄnten  iijiA 
Prakiikant^'n,  d.  i.  in  Anfanget,  welche  am  Unterricht  nur  einen  reoe|»* 
tiven  Äntheil  nehmen,  und  in  Vorgeschrittenere,  die  bei  der  Unter* 
suchung  und  Behandlung  der  Kranken  nutwirken.  Die  letzteren  er^. 
halten  Geletjenheit  zur  fortdauernden  Beobachtung  der  Krankheitslülli 
und  werden  dadurch  mit  den  kleinen  Verrichtungen  bekannt  gemjicht 
welche  zur  KraukenpHeye  ir^dioren. 

An  den  klinischen  Unterricht  schliesst  sich  die  poliklinische  Thiiti! 
keit  an»  welche  den  Üt>ert3:an[r  zur  arztlichen  Praxis  bildet»     Wo 
poliklinischen  Instituten  ein  Theil  der  Armenpraxis  ül»ert ragen  ist,  ) 
der  Praktikant  dadurch  die  Ansprüche  kennen,  welche  an  den  bebandelnta 
Arzt  gestellt  werden,  und  gewinnt  jene  Sicherheit  in  der  Bt*ürtheilai 
der  Sachlage,  ilie  für  seine  selbststrmdig*?  Wirksamkeit  nothwendig 

In  das  Ende  der  Studienzeit  gehören  femer  die  Vorlegungen  ül 
gerichtliche  Metlicin.  Hygiene,  Sanität^polizei  und  Medicinnlgesr' 
Medicinalstatistik,  Thierheilkunde  und  vergleichende  Medicin. 
Bühe  Geographie  und  Geschichte  der  Medicin. 

Bie   Iieiden    letzten   Unterricht^gegenstände  werden    nur   noch 
wenigen  Hochschulen  gelehrte     Wahrt^nd  die  Juristen,  Thajlogen,  PI 
lotogen,  die  Architekten,  Künstler,  Officiere,  kurz  alle  höheren  Berul 
klassen  sich  eifrig  mit  der  Geschichte  ihrer  Wissenschaft  oder  Kum 
beschäftigen,    glauben  die  Arzte*  in  ihrer  Mehrzahl»   dass  sie  aus 
Geschichte  der  Heilkunde  nichts  lernen  können.    Sie  wissen  nicht, 
viele  Entdeckungen  utul  ErHndungen  nnchnnils  gemacht  werden  miu^ 
weil  sie   im  Verlauf  der  Zeit  vergessen  worden  waren;  die  Geschic 
der  plastischen  Opemtionen  bietet  ein  drastisches  Beispiel  dafür. 

Aber  das  Studium  der  Geschichte  der  Medicin  ist  nicht  Mos 
die  ärztliche  Forschung  nützlich  und  nothwendig;   es  hat  auch  ein 


*  Die  Thierärzte  in  Deutschland  mOsseii  seit  1883  ihre  Kenntniflse  in 
Geschichte  ihrer  Wiadeaschafr  im  Examen  zetgeu;  aber  von  ihren  hoher  atehtfod 
Collegen,  welche  dem  Menecheti  ihrtr  ärztliche  Fürsorge  widmen,   vcrUngt 
keine  derartige  historische  Bildung, 


boben  ethischen  Werth  för  die  Erziehnng  des  Stadierenden,  indem  es 
ihn  Achtung  und  Bewunderung  vor  den  Bestrebunt^en  und  Leii^tungen 
untrer  Vorfahren  lehrt,  und  es  vervollständigt,  endlich  seine  AUgemein- 
'  '  tnng^  so  dass  er  die3  Dins:fe  gleichsam  von  einer  höheren  Warte  zu 
schauen  vermag.  Es  ist  daher  eine  Pflicht  der  UnterrichtsV»ehorden, 
diesem  Fach  eine  wohlwollendere  Außnerksamkeit  zu  widmen,  als  dies 
hisher  geschehen  ist. 

Noch  vor  wenigen  Decennien  wurde  Geschichte  der  Medicin  an 
den  Universitäten  zu  Berlin,  Breslau,  Halle,  Königsberg,  Grcifswald, 
Marburg,  Göttingen,  Heidelherg.  Wftrxlmrg,  Erlangen,  München,  Strass- 
bai*g,  Bern,  Prag  und  Wien  gelehrt,  und  heut  sind  es  höchstens  zwei 
oder  drei  derselben,  an  denen  noch  Vorlesungen  darüber  gehalten  oder 
vielleicht  auch  nur  angekömiigt  werden.  Gbwohl  Männer,  wie  Brücke, 
j>r  Bois-Reymont:i,  ( -harcut,  Helmholtz^  HviiTi.,  Virchow,  Wonder- 
ucH,  ZiEMssEN  u.  A.  auf  den  Werth  und  die  Bedeutung  der  Geschichte 
der  Medicin  hinweisen,  unt<Tlasst  man  es  doch,  die  Schüler  darauf  auf- 
merksam zu  machen,  und  erachtet  es  für  iiberflüsisig,  Lehrer  dafür  zu 
«erziehen  und  anzustellen.  Selbst  Billroth,  der  es  einst  ^,frir  eine 
Din^nsache  der  grössoren  mediciniscben  Facultaton  f^rkMrte,  dass  sie 
dafür  sorgen,  dass  Vorlesungen  über  Geschichte  der  Medicin  in  ihren 
Katalogen  nicht  fehlen"/  sieht  jetzt  darin  nur  eine  fiberflüssige  Deko- 
!  ithin  und  tritt  dagegen  auf,  dass  der  Lehrer  dieses  Faches  ein  voll* 
Iftrechtigtes  Mitglied  des  medicinischen  Professoren-Collegiums  ist,  weil 
er  die  Arbeitsleistung  desselben  nicht  für  ebenso  gross  als  diejenige 
der  Vertreter  anderer  Fächer  hält.  Aber  die  Aufgabe  des  deutschen 
Professors  besteht  nicht  allein  in  der  Lehrthätigkeit;  er  muss  auch  als 
Forsoher  an  der  Erweiterung  und  Vertiefung  seiner  Wissenschaft  ar- 
beiten. Hier  erwartet  den  Historiker  der  Medicin  ein  weites,  noch 
wenig  bebautes  Feld  der  Thätigkeit. 

Auch  die  medicinische  Geographie,  welche  als  ünterrichtsgegenstand 
mit  der  Ge.schichte  <ler  Medicin  verbunden  werden  kann,  stellt  dem 
Lehrer  und  Forscher  eine  Menge  von  Aufgaben,  welche  bei  dem  zu- 
nehmenden Verkehr  mit  fremden  Welttheilen  zur  Lösung  dningen. 

Es  ist  schwer,  zu  bestimmen,  in  welcher  Zeit  die  ärztliche  Fach- 
bildung en^orben  wird.  Dies  hängt  von  der  Begabung  und  dem  Fleiss 
des  Studierenden,  den  Lehi^kräften  und  Lehrmitteln  und  manchen  an- 
deren Umständen  al). 

Wenn  dem  studierenden  bei  der  Auswahl  der  (Vdb^gien  kein  Zwang 


*  Th.   Billrotii:    Lebren  und   I-,enM»ti   der   metlielniiscbeii  WiAseiiAchaftcn, 
Wien  IÖ7«,  Ö.  80.  —  Wietier  KUniachc  Wochenschrift,  1888,  No,  8«,  e.  Dec. 


506 


aiilt^rk'jrt  xmA  die»  Freiheit  gelaa^ien  wird^  seine  Kenntnisse  zu  erwerb 
wie  uiiil  wo  LT  will,  KU  wird  dabei  vorausgesetzt,  dass  durselbe  als  tui 
n(iiifri;;i:er  und  besunnener  Mann  den  Ratlischlägen,  die   ihm  in 
JlinmLdiL  von  SachvenstätHlip^^n  ertheilt  werden,  Folge  leistet    Wmn 
i\\m  aber   aus  llriverstand   oder   Leichtsinn   unterlÜHSt.    so  hindert 
nichts  daran.     Die  Folgen  zeigen  sich   in  den  Lücken  »einer  ßildtu 
zu  deren  Ausfüllung   ihm   vielleicht  in   seiner  späteren  Studienzeit 
(irle^^^enheit  felill.    (jcsibitht  r^  erst  in  der  ärztlichen  Praxis,  so  mm 
die  Kranken,  welche  ihm  in  die  Hände  fallen,  dafür  büssen. 

Nir^'ends   wirkl    die   ununischninkte  Lernfreiheit  so  schiUlIiQ 
in  dem  StutÜnm   der  Me<liein:    denn   hier  werden   dadurch  Ge 
und  Leben   der  Menöcheo   aufs  Spiel  gesetzte     In  einzelnen  Londei 
und  zwar  gerade   in   solchen,    welche   sich    freiheitlicher   Iit 
rühmen,  hat  man  deshalb  auf  die  Lernfreiheit  verzichtet  un  :  ;uj 

djerenden  der  Metlicin  einen  Stndienplan  vorgeschrieben^  welcher  goniti 
eingehalten  wird*  Auch  in  Deutschlaml  und  Ost^^rreich  ist  dieselbe 
wenigstens  .soweit  eingeschränkt  worden,  dass  von  den  Studierenden  ki 
der  MeWung  zur  Prüfung  der  Nachweis  verlangt  wird,  dass  er  durrli 
mehrere  Semester  die  wichtigsten  Kliniken  besucht  hat.  Es  wsire  zw**cl- 
massig,  derartige  Bestimmungen  auch  für  andere  Theile  des  medicini- 
Hohen  l  nterrichtj*.  welche  für  die  äntliche  Bildung  unentlH^hrlich  mi 
lu  erhiÄsen.  Oder  ist  es  denkbar,  dass  Jemand  di»^*  Anatomie  und 
Ph>}4iologie  auf  andere  Weise,  als  durch  tue  persönliche  ünterweuMing 
eines  Lehrers,  erlernen  kann? 

Dringend  geboten  ist  es,  da<s  die  Studierenden  regelmä^dg  tmd 
aafiuorksam  am  Cnterncht  Theil  nehmen  und  den  Lehrstoff  in  dch 
•nfnehmen,*  An  kleinen  Hochschulen,  wo  Lehrer  und  Schüler  «idk 
peirtnlich  näher  treten,  en^iebl  äch  die^  von  sidbst;  die  Gefahr,  Ja-s 
dii  Sludteruadisa  dem  ruterrieht  fem  bleiben,  ist  vorzugsweise  nur  ob 
gnMMi  üniwvsititen  vorbanden.  Doch  ist  eine  lontroUe  der  StudeiUi u 
hier  n\  r  Srhimcigkeileii  veriwiideii, daai  man  davon  abstehen  raosA.^ 

Uiv  i,it^fi^  J^XJnUmfkU  wtrden  fesiehert,  wenn  die  Studimn- 
den  durth  gikgitttlMie  Vngm  mt  iikti?en  Theilnahme  daran  hvmu- 
ffim|M  WQftdteiii  wi^  cltee%  jetti  in  «le»  mit  praktischen  Dennmstmtiout^n 
t^rtondann  Vkc^eni  gdniMsUieh  ist  Nii«h  mehr  wird  dazu  beitrat 
wf»nu  im  utimiltillriitHi  AmeUiw  m  4ie  Voriesnngen  am  S<^hhiss  jd 


^  IHo  Kl«gc<B  ^^  ^B*  «BregelBiMigai  Bestidi  der  Varicsnagen 
MhtfT  ^b^^am^mnig  «k  hmM.     SAtm  Vio^.   »Ai:tB  «rklijte:    .«Die  Stud« 
•r!>r  '         M-H  in  für  CM^^m  mt^  9Am  mt  kmmmKm  tachi  htDcin.^'    8.  Orük 
AI  Arm»  JiM  lt»l,  a  lO. 


Woche  ein  Disputatorium  veranstaltet  wird,  bei  dem  die  Stnitierenden 
Gegenwart  ihres  Lehrers  oder  meines  Assistenten  den  Lehrstoffy  der 
Bten  vorgetragen  wurde,  bei<prechen  und  über  Irrthümer  und  Dine^e, 
ie  ihnen  unverständlich  gelilieben  sind,  aufgeklärt  werden.  Diese  mehr 
ach  der  iSchule  als  naeh  der  Akademie  geart-ete  P'orm  des  Unterrichts 
at  sich  an  den  militiinirztlichen  BiMungsanst*^lten  bewährt  und  ist 
ii  an  den  Universitäten  eingeführt  worden,  wo  sie  in  den  philolo- 
ihen,  historischen  und  Juristischen  Seminarien,  in  den  Wissenschaft- 
ichen  Kranzi^hen  und  Vereinigungen  geübt  wird. 

Dem  gleichf*n  Zweck  wird  es  auch  dienen*  wenn  es  dem  Studie- 
renden ge^stattet  wird,  mich  der  Beendigung  des  Lehr-Cursus  über  jeden 
I7nterricht«gegenstand,  al^so  unter  dem  frischen  Eindruck  deaselben,  vor 
(dem  Lehrer  oder  seinem  Vertreter  eine  Prüfung  abzulegen.  Die  Zeug- 
nisse, die  ihm  darüber  ausgestellt  werden^  würden  ein  werthvoller 
iBechenschaftshericht  über  seine  Studienzeit  sein  und  den  Examinatoren, 
welche  über  seim^  B+'tTihigung  zur  arztlichen  Praxis  entscheiden  sollen, 
ein  vorlauhges  Urtheil  über  seine  fachmännische  Bildung  gestatten. 

Die  ärztliche  Approbations-Prüfung  mus9  sich  über  alle  Theile  der 
Heilkunde  erstrecken  und  jene  Summe  von  Kenntnissen  verlangen, 
welche  für  den  Arzt  unentbehrlich  sind.  Wenn  nach  dem  Abschluss 
des  ersten,  die  naturwissenschaftliche  Yortjildung  umfassenden  Abschnitts 
der  medicinischen  Studienzeit  ein  Examtii  über  Naturgeschichte,  Physik, 
Chemie,  Anatomie  und  Physiologie  abgenommen  wird,  so  sollte  auch 
die  Bestimmung  getroffen  werden,  dass  Niemand  zu  den  Vorlesungen 
über  die  eigentliche  Heilkunst  zugelassen  wird,  bevor  er  jene^s  Examen 
bestanden  hat  Versäumt  er  dies,  so  raubt  ihm  die  Vorbereitung  dazu 
später  die  Zeit,  die  er  für  seine  ärztliche  Bildung  bedarf. 

Bei  den  Prüfungen,  welche  der  ärztlichen  Apprubation  vorausgehen 
und  nach  der  Beendigung  der  Studienzeit  stattiinden,  wird  auf  die 
praktischen  Beweise  der  Tüchtigkeit  mit  Hecht  ein  grosses  Gewicht 
gelegt;  denn  die  Erklärung  anatomischer  Priiparate,  die  Vornahme  von 
Leichen-Sektionen,  die  Untersuchung  und  Behandlung  der  Kranken,  die 
Ausführung  chirurgischer  und  gebnrtshilfhcher  Operationen  u.  a.  hl 
bieten  dem  Candidaten  tfelegenheit^  zu  zeigen,  da^  er  von  dem  ärzt- 
lichen Wissen,  das  er  sich  erw^orben  hat,  den  erforderüchen  praktischen 
Gebrauch  zu  machen  versteht* 

Die  Fragen,  welche  dabei  gestellt  werden^  streifen  vielleicht  auch 
die  übrigen  Kenntnisse  das  Prüflings;  aber  sie  sind  zu  sehr  von  zu- 
tälligen  Umstanden  abhangig.  als  dass  sie  zu  einem  sicheren  Urtheil 
über  seine  ärztliche  Gesammtbildung  genügen.  Dazu  ist  ein  mündliches 
Schluss-Examen  nothwendig,  welches  die  Ergebnisse  der  vorangegangenen 


praktischen  Prüftingen  ergänzt  und  berichtigt  und  alle  Fächer  in 
tracht  zieht. 

Zu    Examinatoren    in    den    einzelnen    Prüfun ^gegenständen   sin 

ohne  Zweifd  Per^^jnen,  weicht-  darin  als  I^hrer  wirken,  mehr 
als  8olcb<*y  die  di*ni  betrertendc^n  Wi^.sensg»d>iet  femer  stehen.  Nur 
diLssell^  vollständig  beherrscht,  weisis  passende  Fragen  zu  st*»UeJi  uml 
den  WiTth  der  Antwurten  richtig  zu  heurtheilen,  *  Es  ist  daher  am 
beist.en,  den  Ijelirer-rullegien  der  medieinisehen  Facultüten  und  Schulen 
das  Prüfungsgeschaft  zn  fiberlasjsciL  Doch  verlangt  es  die  Aulfihtat 
des  Staates,  das,s  er  als  Mandatar  der  Uesellsehaft  auch  diesen  Zweig 
der  Unt^rrichtsverwaltung  iUxTwachfc  und  dafür  Sorge  trägt>  dasfs  Ante 
gebildet  werden^  welclie  den  Aufgaben  ihr^s  Berufs  gewachsen  mi 
Damit  erli^digt  sich  zugleich  die  Frage,  üb  die  Ärzte  in  Bildungv 
anstalt^*n»  welche  vom  Stallt  gduitet  werden,  oder  in  .solchen,  die  Ton 
ihm  unabhängig  sind,  erzogen  werden  sollen.  Dem  Staat  inuas  in  J64«ii 
Falle  diT  Kintluss  auf  das  Studien-  und  Priiriin«:8wesen  zugesJtanctai 
werib^n,  d*  n  it  im  Interesse  dur  Bevr4k(/rung  ausul)en  mam. 

Wenn  es  sich  bei  der  iirztlicht^n  Approl>ations-Prfifung  hauptsäclüioh 
darum  hjiudtdt,  festzustellen,  oh  der  Prüfling  die  für  die  ärztliche  Praxi« 
nitthweudigo  Hefiibigung  Iwsitzt,  so  solUe  man  bei  der  Verleihung  des 
Doktorats  hüber«!  wissenschaftliche  Anforderungen  stellen  und  verlAugen, 
da.ss  der  Bowerber  um  diese  akadi'inische  Würde  seine  äntlichen  (Kol- 
legen an  Kenntnissen  übermgt.  Die  Prüfung,  in  welchtT  er  diea^B 
Nachweis  führt,  wird  dahor  in  die  einzelnen  Disziplinen  der  Heilkunilt' 
tiefer  idn^rehi-n  und  auch  manche  Fächer  (»erühren,  welche,  wie  x.  B. 
die  Ge«;rhichtc  der  Medicin  und  die  medirinische  Geogmphie,  in  der 
A^iproluitions-Prüfung  nicht  berücksichtigt  werden,  weil  sie  für  die  ar^ 
liehe  Bildung  stwar  wünschenswerth,  aber  nicht  unentbehrlich  siiiAj 

I>esgleich<*n  muss  darauf  gesehen  werden^  dass  als  Dukt4»r-Dis 
tittionen  nur  Arbeiten  angi^nommen  werden^  welche  einen  wis.^ngoha&^ 
liehen  Werth  besitzen.     Mit  Recht  hat  man  fast  überall  aufgehört,« 
verlangen,  da<*s  sie  in  lateinisc^her  Sprache  geÄchriebon  werdt*n;  dfl 
„in  dem  ausgetn^tenen  Geleise  dieses  m  «einer  modenien  Gestalt 
armten  Idioms  verbirgt  sich  trefflich  die  eigene  Unklarheit  der 
und  die   Dürftigkeit  der  Gedanken;    G^raeinpUtze^   die  im    deut 
Gewände    unertriiglich   waren,    klingen  doch  etwas  Tornelimer  in 
Int^init^chen  l  inhüllung%  wie  J.  t,  Dr>LLiKaBR  schreibt- 

Wenn  <ler  medicinische  Doktor-Titel  eine  Ausxeiehnung  für 
SobafUiehe  Verdienste*  ist  und  die  geiistigi^  Elite  de«  Ärztlichen  St 

'  PaimKLLi:  Discours  d«m  ^Ukäm  ^  m^decine«  Paris  1916»  p.  :il.  

*  J.  V.  IX^u43i«iic:  Dte  UotrcrsHftteii  mimI  nod  jefest  Mtiischaii  1007,  ü  H. 


bezeichnet^  so  darf  man  verlangen,  dass  die  Erwerbung  desselben  eine 
uneriässliche  Yarbedingung  für  Jeden  ist,  der  eint^  hervorragende 
Stellung  im  ötl'entlichen  Sanittitsdienst,  im  militrirärztüchi'ii  Corps  oder 
in  der  J^eitung  eines  Krank(^iihauses  anstrübfc  oder  die  Lehrliiäli|yrkejt 
an  einer  medicinisohen  Facultäfc  oder  Schule  ausüben  wilL 

Im  Übrigen  sollte  die  letztere  Jedem  freistehen,  der  auf  irgend 

einem    Wissensgebiet    verdienstvolle    Leistungen    aufweisen    kann    und 

dadurch  sowohl  wie  durch  seinen  Charakter  die  Gewähr  bietet,  dass 

er  der  Anstalt,  au  welcher  er  wirken  will,  zum  Nutzen  und  zur  Elire 

gereichen  wird.    Wenn  durch  die  Anstellung  und  Bef>oldung  der  Lehr- 

kräfte^  welche  die  Vollständigkeit  iler  rirztlichen  Bildung  erheischt^  für 

die  nothwendiij^eu  Bedürfnis^st^  einer  uiediciDischen  Schule  gesorgt  worden 

ist,   kann  es  ihr  nur  wünschenswt^rth   iin<l   vortbeilhaft  sein,  dass  der 

Vnt^rricht  durch  Gelehrte,  welche  sich  freiwillig  und  ohne  Anspruch 

auf  Entgelt  der  Lehrthätigkeif.  widmen,   bereichert  wird.     Der  Privat- 

Docent  erhält  nur  das  Recht.,  zu  leiiren,  darf  aber  nicht  dazu  verptlichtet 

werden,   so  lange  er  nicht  einen   bestimmten    Lehr- Auftrag    hat   und 

damit   eine  Lücke  im   Lehrplan  ausfüllt     Seine  Thatigkeit  bildet  die 

Vurbereituug  für  das  Lehramt,  zu  welchem  er,  wenn  er  sich  als  Lehrer 

und  Forscher  auszeichnet,  später  berufen  wird.     Aber  dieses  Ziel  wird 

nur  von  Einzelnen  erreicht;  denn  dazu  gehört  Geist^  Geduld  und  Gehl 

Wer  über  diese  drei  Dinge  nicht  verfügt,  sollte  darauf  verzichten,  einen 

Beruf  zu   ergreifen,  der  ihm  nur  trügerische  Hoffnungen  vorgaukelt, 

deren  Erfüllung  er  vergeblich  erwartet. 

Mit  Recht  werden  bei  der  Besetzung  der  erledigten  Professuren 
vorzugsweise  die  Privat-Docenten  berücksichtigt;  denn  dadurch  sichert 
man  sich  vor  der  Gefahr,  dass  Derjemge,  w^elchem  das  Lehramt  über- 
tragen wird,  dazu  nicht  geeignet  und  betahigt  ist.  Es  ist  ein  Wagniss, 
Jemanden  damit  zu  betrauen,  der  in  der  Lehrthätigkeit  noch  keine 
Übung  und  Erfahrung  besitzt 

Geringe  Berechtigung  hat  ilie  Scheidung  der  Professoren  in  ordent- 
liche und  ausserordentliche j  wie  sie  an  tien  Hochschulen  Deutschlands 
und  anderer  Länder  übhch  ist  Die  ausserordentlichen  Professoren 
stehen  den  ordenthehen  im  Range  und  in  der  Besoldung  nach  und 
haben  ausser  dem  Titel  oft  kaum  irgend  welche  Vorrechte  vor  den 
Privat-Docent*?n.  In  diese  Kategorie  werden  die  Vertreter  der  sogenannten 
S'ebeniächer,  fem  er  einzelne  Lehrkräfte,  welchen  die  Ergänzung  und 
Vervollständigung  eines  Haupthiches  obliegt,  und  jene  Privat-Docenten 
eingereiht,  die  den  Professor-Titel  ak  Beb)hnung  für  ihre  Verdienste 
erhalten  haben. 

Ohne  Zweifel   liegt  eine  Ungerechtigkeit  darin,  dass  man  einen 


ÖIO 


iiöhhiäßbeiradliungen. 


Lt^hrer  dafür  be^^traft,  dnm  er  seine  Kr^ft^e  einem  rnterrichtsgegeogland«« 
widni<4,  welcher  nicht  zu  d*'m  täglichen  Butt  des  Berufs  gehurt.  Wtnnl 
68  sich  dabei  um  Aläinier  hiindelt,  die  zu  den  Zierden  der  Wijftsonschaft  ^ 
zählen,   so  ist  ejü  nicht  blos  hart,  sondf'm   auch   unverniinftiisr, 
Hollt«  ihre  selbstlos^^n  Bestrebungen  anerkennen  und  fordern,  niclif 
durch  un^erechtL'  Knuikun^en  herabsetzen  und  h"ihmen. 

Gegen  die  Gleichsteliung  der  Vertreter  der  NebenfTieber  mit  iku-, 
jenigen  der  Hauptlacher  wird  geltend  gemacht,  dass  ihre  Lehrt  hat  i^teil) 
nicht  in  demselben  Grade  in  Anspruch  genommen  wird;  aber  die^lh^J 
kann  doch  nicht  gleich  der  Arbeitsleistung  eine>  Tagelehners  nach  i^ 
Zahl  der  darauf  verwendeten  Stunden  abgeschätzt  werden.  — 

Vor  Allem  ist  eg  sehr  schwer,  zu  bestimmen,  welche  Discipline«  1 
fier   Heilkunde  als   Nebenfächer  im  medieiniscben   l^nterricht^plan  vi 
betrachten  sind.     Früher  wurde  sogar  die  Gelturtshilfe,  die  Augenheil-j 
künde  und  die  pathologii^che  Anatomie  dahin  gerechnet    Die  Meinanga 
sind  getheilt^  ob  manche  Zweige  der'  Medicin,  wie  z.  B.  di*"  Histelogi«,^ 
die  gerichtliche  Medicin,   die  Dermatologie^  die  Larvngologie  u.  a.  nt* 
als  Haupt-  oder  Nebentacher  gelten  müssen.     Es  wird  dabei  auch  auf 
die  Verhältnisse  der  Schule  ankommen;  denn  es  ist  selbstverstiinilliö 
dass  medicinische  Facultäten,  wie  diejenigen  zu  Pari§,  Wien  oder  li«rli| 
nicht   mit   dem   gleichen   Maass   gemessen  werden  dürfen,   als  kleiB 
ärztliche  Schulen.     Hier  muss  auf  manche  Einrichtung,  auf  mancji 
Lehrkanzel   verzichtet   werdi^n,    die   dort    nothwendig   und    unenttrehi! 
lieh  ist. 

Schon   der   Frankfurter   Congres^s   und   der  JenjKT   Beformvere 
verwarfen   die  Eintheilung  der  Professoren  in   Ordinarien  lind  Exla 
Ordinarien  und  erklärten.  das3  es  vemunftgemäas  nur  zwei  Ivlassen 
akademischen    Lehrer  geben    soll,    nämlich    Professoren   und    Priv 
Doc^nten.    Die  ersteren  üben  die  Lehrt hätigkeit  im  Auftrage  der  Schd 
aus   und   werden    dafür  besoldet;    die  letzteren  bet heiligen  sich  dan 
aus  freiem  Willen  und   erhalten  für  ihre  Dienstleistungen  keine 
Schädigung.    Damit  ist  keineswegs  ausgeschlossen,  dass  einzelnen  Fm 
Docenten  als  Anerkennung  ihrer  Leistungen  der  Professur-Titel  verliel 
wird;   doch   dürfen    sie  dabei  nur  dem  Namen  nach,    nicht  aber 
Bange  und  in  den  Rechten  zu  Professoren  vorrücken. 

Die    Professoren    bilden   im    Lehrer-Collegium,    welche«   die 
gelegeoheiten  der  Facultät  oder  Schule  leitet  und  besorgt    Jedes  Mit- 
glied desselben  hat  bei  den  Berathungen  und  Abstimmungen  die  gleichem 
Becbte,  mag   es   der    Vertreter   eines   sogenannten    Hauptfaches  odifl 
einer  engbegrenzt^n  Specialität  sein ;  denn  über  allgemeine  Unterrichte-^ 
Angelegenheiten  kann  sich  Jeder  von  ihnen   ein  ürtheil   bilden, 


iSchlussbetrachtungen.  511 


in  Fragen,  welche  ein  einzelnes  Fach  angehen,  wird  die  Meinung  des 
Sachverstandigen  den  gebührenden  Einfluss  ausüben. 

Durchaus  unbegründet  ist  die  Befürchtung,  dass  durch  die  grosse 
Zahl  der  Mitglieder  des  Lehrer-CoUegiums  „das  Interesse  an  dem  6e- 
sammtwohl  der  Facultat  abgestumpft  wird".  Die  Verhandlungen  der 
Parlamente,  in  denen  Hunderte  von  Volksvertretern  aus  allen  Theilen 
des  Landes  zusammenwirken,  zeigen,  dass  dies  möglich  ist,  ohne  dass 
dadurch  „die  Einheit  des  Handelns  aufgelöst  wird".  Viel  näher  liegt 
die  Gefahr,  dass  bei  einer  kleinen  Mitgliederzahl  des  Lehrer-CoUegiums 
die  Verhandlungen  einen  familiären  Charakter  annehmen,  und  persön- 
liche Rücksichten  mehr,  als  es  dem  Interesse  der  Gesammtheit  ent- 
ijpricht,  ins  Gewicht  fallen. 

Die  Überlegenheit  des  Geistes,  die  Eigenschaften  des  Charakters  und 
die  wissenschaftlichen  Leistungen  rufen  zwischen  den  Mitgliedern  eines 
Collegiums  Unterschiede  hervor,  welche  eine  wohlthätige  Wirkung  äussern. 

Ebenso  natürlich  und  berechtigt  sind  die  Verschiedenheiten  in  der 
Besoldung  der  Lehrer;  die  Verdienste  um  die  Wissenschaft,  die  Erfolge 
und  die  Dauer  der  Lehrthätigkeit  kommen  dabei  in  Betracht  Dagegen 
sind  die  übermässigen  Ungleichheiten  im  Einkommen  der  Professoren, 
welche  durch  die  Collegien-Gelder  geschaffen  werden,  nicht  zu  ver- 
theidigen;  denn  die  Zahl  der  Hörer  hängt  hauptsächlich  davon  ab,  ob 
der  Unterrichtsgegenstand  für  die  Prüfung  gebraucht  wird,  und  ist 
nur  selten  das  Verdienst  des  Lehrers.  Trägt  er  eine  Wissenschaft  vor, 
welche  geringe  Verbreitung  findet,  so  wird  er,  selbst  wenn  er  eine 
glänzende  Rednergabe,  eine  machtvolle  Persönlichkeit  und  einen  Welt- 
ruf besitzt,  nur  einen  kleinen  Kreis  von  Schülern  um  sich  sammeln. 
Die  Studenten  sind  genöthigt,  in  erster  Linie  diejenigen  Studien  zu 
treiben,  von  denen  sie  die  Begründung  ihrer  Lebens-Existenz  erwarten. 
Sie  deshalb  eines  verflachenden  Materialismus  anzuklagen,  ist  thöricht; 
denn  sie  erfüllen  damit  eine  Pflicht  gegen  sich  selbst  und  gegen  ihre 
Familie.  Aber  nicht  weniger  sinnlos  ist  es,  wenn  man  die  Lehrer, 
welche  auf  diese  Verhältnisse  keinen  Einfluss  besitzen,  dafür  belohnt 
oder  bestraft,  indem  man  ihnen  grössere  oder  geringere  CoUegien- 
Honorare  zuweist. 

Diese  Ungleichheiten  lassen  sich  auch  kaum  durch  eine  etwaige 
Vermehrung  der  Arbeitsleistung  rechtfertigen,  wie  C.  Hasse  gezeigt 
hat;^  denn  sie  verändert  sich  nicht  wesentlich,  ob  2  oder  200  Zuhörer 
anwesend  sind. 

Die  Einrichtung,  die  Collegien-Gelder  den  Lehrern  zu  überweisen, 

^  C.  Habse:  Die  Mängel  deutscher  Universitätseinrichtungen  und  ihre  Besse- 
rung, Jena  1887,  S.  28  u.  ff. 


int  auch  vom  «ethischen  Standpunkt  verwerflich.  Der  ideale  Beruf  in 
Lnhrers  wir4  hiraUgesetzt ,  wenn  iVw  geschsirtliche  Seite  desHeü^eu  der- 
artig  in  den  VMrdergrund  tritt  ,,Man  spiegelt  sie  uns  zwar  aU  dii«. 
jeuige  Belohnung  vor,  Jiuf  die  da^  jLrlückliche  Talent  de?*  iha^u 
Mannes  übenill  In  der  Gej^iellsehaft  einen  unluvstritteneu  Anspruch  bt 
Allein  es  Lst  dies  keine  würdige,  sondern  eine  herabwurdiy:ende  B«*- 
lohnunfj<:  des  Lehrers.^*  ^ 

iH^r  Stuiil.  hitt  die  Pflicht,  diesen  ZuvStanden  ein  Ende  zu  machen. 
Er  darf  verlan§:en,  dass  die  Schalgelder,  welche  die  Besucher  der  von  ihw 
unterhaltenen  Unterneht.sanstaltun  zahlen,  zum  Besten  derselbt^j  ver- 
wendet werden.  Wit'vit-I  künnte  zur  Yermehrnng  dfT  Lehrmittel,  zur 
Unterstützung  wissensehaftlicher  Arbeiten,  zur  Erhöhung  der  B<v 
soldunieen  und  überhaupt  zur  Heilung  des  i^ro^sen  Fehlers  _  '  '  n. 
an  welehem,  wie  Waltkk  I^kkky  im  englij^chen  Unt^rhau-  i  i -^ 
die  deutschen  Univert<itäteu  leiden,  nfimlich  des  Mangels  an  «Jeld,  Wänii 
diu  Kinnnbmen  aus  den  Collegien-Gfldern  zu  solchen  Zwecken  m- 
wendet  würden?  — 

Eine  weise   ünttwehtspolitik  wird  die  Ldsung  dieser  Frage  an- 
balinen,   mit  Sehüriung  der  tTW(>rl>enen   Rechte  des   Einzelnen    ' 
führen   und   sich   diidurch   den    Ihuik   fies   deutlichen  Volkes  Vfni 
welches  seine  Universitäten  liebt  und  jeden  Schatten,  der  ihr  rwine* 
Bild  trQbt,  schmerzlich  emptindet. 

Keine  Hienschlichc  Einrichtuiig  ist  frei  von  Mängeln.  Im  ßingeii 
nach  Verbciiserung  und  Vervollkommnung  des  Bestehenden  liegen  did 
AufKuben  des  LelH*ns»  Auf  welchem  Gebiet  ist  dieses  Streben 
mehr  berechtiget  und  geliuten,  als  dort,  wu  es  sich  um  die  Erzieh' 
der  Arzte  handelt^  von  deren  Wissen  und  Können  die  Gesundheit 
das  Lehen  der  Menschen  tibhiinjt^t? 

„Da*^  kostbarste  Kii[Htai  der  Staat4?n  un«!  der  GeseUschaft  ist 
Mensch*     Jedes  einzelne  Leben  repnisentirt  einen  bestimmten  W 
Diesen   zu  erhallen   und  bis  an  die  unabänderliche  Grenze  mogU 
intact  zu  bcwabren,  dies  ist  nicht  blos  em  Gebot  d^^r  Humanität; 
igt  auch  in  ihrem  eigensten  Interesse  die  Aufgabe  aller  Gemeinwe^eiL'^ 
Mit  diesen  Wurten  verkündete  der  früh  verstHrbene.  unglückliche  K: 
prinz  Rudolf  von  Österreich  eine  Staatspohtik,  »lie  wie  das  Evangelil 
der  Zukunft  klingt. 


'  H.  J.  V,  Wes^enbkko:  Die  Reform  der  deutscheE  Universitäten,  2. 
Wünburg  18H6,  S,  89.  -  Aticli  P.  Piukk  (ä.  a.  O.  VI,  Th,  1,  8.  290  u,  Cl  ^n 
Blch  gegen  die  Collegien-Honorare  aus.     Die  Gründe,  welche  der  Minister 
UnuKo.  in  dor  Sitzuog  des  Öeterr.  Afageordn.-HäUBes  vom  28.  J&nner  1376  dAfdt  ] 
brachte,  konnteii  mich  von  der  Zweckmässigkeit  dieser  Einriotilung  nicbt  Ul 


AbÄiio.  Pietro  v„  171*.  237 
Abdatia  Sürneeiinü  108. 
Abdd'Lfftif  137.  147.  1 

Abderrliamau  135» 
AbrlU  169.  ! 

Ahercrombie  395.  1 

Aberuethy  415. 
Abulfora^  13  U   137. 
Abulknäem  138.  189.  140,  | 

HL 
Achilleiis  31.  I 

Acbilliiri  247.  j 

Ackcrmaim  317.  | 

Adalberoii  167.  | 

Adala  168. 

Adalbert  v.  Mainz  179. 
Adaiisou  3H9.  I 

Addison  395, 
Adelmu-s  171. 
Adlwid  ed  Daula  14Ö. 
AegiJiiiB  V.  Corbeii   170. 

177.  180, 
Aeuea-H  S^-lviiu  242, 
Aei*ehririii  79.  84. 
A^tiu*  VIS. 
Afflttdius  172.  177, 
Agathias  133, 
Agenio.  O.  206. 
Abrate,  M,  271, 
Ap-icola,  G*?org  246. 
Agricola,  Riid,  243. 
Aliron  133. 
AichholtÄ  275, 
Aicrel,  Job,  210. 
Alberti  249.  271. 
Alberllm  30S.  333, 
Albertus  Magnus  237. 
Albiüiis  79. 
Albinus,   B.  S.  337.  338. 

385. 
Albrecht  V.  von  Bayern 

261. 
Alcain  161.  163.  164. 
PvacH^tJkKif ,   I7at«rricbt 


Alexander  von  Macedo- 
nieu  15.  *>l.  62. 

Alexander  { von  Damas- 
kus) HO, 

Alexamler8everu8  83. 1 10, 
Ul. 

Alexander  Tralliauu!*  128. 

Alexander  III,,  P:ib.-.t  235, 

Alexander  VI,,  Fubüt  lb9, 

Alexippoä  5S, 

Alfuns  VIII.  V.  Spanien 
194, 

Algizar  143. 

Alhazeu  136. 

AU  Abb&s  133.  151. 

Ali  Ben  lasa  146, 

Alibert  395, 

Alkibiades  43. 

Alkinaui   132. 

Alkmaeon  38, 

Alkon  106. 

Alphanu3  167,  177, 

Alpini,  P,  254. 

Ainici  382. 

Ätnmann  304. 

Ammianuä  63,  96. 

Ammoniod  68.  96.  98. 

Amontona  293. 

Ampere  380. 

Auaxagoras  39. 

Andral  388,  394. 

Andreas  von  Karystna  67. 

Andromacbaä  89.  111. 

An^licust  Cardinal  187. 

Anjüu,  Carl  v.  219. 

Annesley  395. 

Anflelmus  von  Hivelberg 
179. 

Anthimus  156. 

AutonintiÄ  Piuä  95,  109, 

Autyllua  97,  99, 

Apollon  29.  73, 

Apollonius  ^6. 


Apnlejui  128. 
Aqmtpendeiite ,     Fabrizio 

ab  249. 
Arago  291.  380. 
Aranzio  249.  258, 
Arcbagatbos  75.   110, 
Arcbelaos  43. 
Arcbimattbaeus  171.  177, 
AreulanutJ  201. 
Ardeni,  J.  226.  229. 
Arotaeu^  93,  94,  128,  428. 
ArfvediäOD  37 -S. 
Ar^'elata.  Peter  v.  2  LO.  225. 
Ariätopbanea  33,  43, 
Ariäjtüteleö  39,  44.  45,  48, 

49.  61.  65.  88.  133.  134. 

245.  280.  38  L 
Arktinoä  30. 
Aselli,  G.  299.  337, 
Asklepiadea  75—77.  88. 
Aaklepba  29—37.  42,  44. 

73, 
Asoka  14. 
Afitruc  214,  317. 
Athenaeus  79. 
Attalud  III,  69, 
Anenbrugger  308.  392. 
Augustia,  Quirieuä  de  212, 
Au^titiiä  109, 
Anatriffildis  160. 
d'AvelTino-Caraceiolo  362, 
Avempace  151, 
Avenzoar  138.  140,  153. 
Averroe«  138.  151.  152, 
Aviceuna    138.    140.    151. 

152.  201.  279. 


i^ 


Baccbios  von  Tanagra  67, 
ßachtiseUua  i;i4.  145,  153, 
Bacon,  Roger  237, 
Baeon  von  Verulam  284 

318.  319.  364. 
Badia  300. 


Ä^ter. 

515           B 

OM  lU  72.   74.  U.  8S. 

Constantia  AfHcannd  166« 

Devmanti  838.                       ^^^^ 

123.  157. 

177. 

Dhanvantari  11.                   ^^^M 

Cavendish  288.  375. 

Copho  170.  177. 

Diadu9  106.                          ^^H 

CavoiirMU  398. 

Corra  146.  153. 

Dieffenbacli  403.  404.                ^1 

Cellini,  Benvenuto  2*1 1. 

Corradi,  A.  207. 

Diogenes  39.  ^H 
Diokles  von  Karyätus  66.           ^^1 

Cekws  68.  78.  S5.  »6.  98. 

Cortona.  PiiHro  da  33«. 

100,   103.  173.  229.  253. 

Conifiruä  Diom.   283. 

Dionis  314.  356.                           ■ 

428. 

Cortesi  256. 

Dionysios  43.                                 ^M 

Gelte»»  Conr.  243. 

Corvi,  (x.  237. 

Dioskondea  90.  128.  16  L          H 

CeftÄljiiiii  24fi.  26^*. 

Con-iÄart  392.  394.  436. 

^^M 

Cw,  Ferl<-ricro  82l>. 

Cotiigno  298. 

Dodonaeua  26  t.                    ^^H 

Ce«io,  C.  3H6. 

Cowper,  W,  297. 

Dodart,  D.  301.  304.            ^^M 

CKabsw  16, 

Crftsi*a8  75. 

DdlUnger  366,  372.               ^^H 

Cbalid  Beil  Jmhi  132. 

Craiiac-h,  Luea.^  243. 

Döllinger,  J.  v.  413,  508.     ^^M 

Cbaniberli'ji  315. 

Crato  von  Craffthf^im  283. 

Dolaeus  311.                                ^M 

Cbaiiak  135. 

Croiistedt.  A.  v.   368. 

de  Dondi  237.                               H 

Cbaraka  6-13.   135. 

Cmikshüiik  377. 

Donatus  160.                                 ^1 

Cbarcot  505. 

Cruveilhier  395. 

Dorothea  Sibylla  v.  Brieg          ^M 

Cbnrmi*  105. 

Cullen  382. 

357.                                            H 

Cbaroiifias  56. 

Ctunano.  M.  225. 

Douglas,  J.  296.                    ^^M 

Cbassaiprna»'  4Öl. 

Curio  279. 

Drakon   43.                             ^^H 

CbauUac,  Guv  v.  203. 20«. 

Ciirrie  311. 

Drebbel  289.                         ^^H 

2Uh  224.  228.  229.  230. 

Ciisanus,  Nieol  246. 

DrüliDCOiirt  298.                      ^^H 

231.  238. 

Cnvier  372.  373, 

Ibn  DäehoM^ichol  141.          ^^M 

Chaiisder  383. 

CrniÄ  16. 

du  Boid'Keymond  505.         ^^^H 

Cbeirou  29.  31. 

Czolbe  367. 

Duuhonne  395,                       ^^^H 

Chesel.lfii   314.  315.  836. 

Dürer,  Albreeht  243.  271.      ^^B 

Cbevalier  382. 

Da{?ueiTC  881. 

Dufay  292.  339.                            ^ 

Cbianigi  395. 

Dakon  376.  377. 

Duma«  378.  388.  404.           ^^M 

Cbildebert  125. 

Damokratea  89. 

Dupuytren  403.                    ^^H 

Chirac  m)0. 

Dante  237. 

Durand  98.                             ^^H 

Cbladiii  382. 

Daran  314. 

Du^e  316.                              ^^M 

Cbopart  313.  401.  436. 

Darember;?  244.  447. 

Dutrocbet  370.  388.              ^^M 

Christisoll  408. 

Danuä?  16.  38.  56. 

Duttbagamini  14.                       ^M 

Clirysippo^  ^4.  65. 
ObfWjlaras  241. 

Darwin,  E.  383. 

Duveruey   298.  304.  305.     ^^M 

Darwin,  Ch.  374. 

^^M 

ChrvsostoiDUä  123. 

Daschkow  493. 

^^^^1 

Cicero  l.  75.  240,  422. 

Danbenton  339, 

Eberle  388.                           ^^M 

Cium  314. 

Da  viel  315. 

Ebers  17.  18.  21.                  ^^M 

Ciriale  314.  403. 

Davv.  IL  377.  378.  400. 

Echter,  Jul  v.  Wörtburg          H 

ClauiUus  112,  123. 

Dciscb  358. 

263.                                     ^^M 

Ch'lan.l  405. 

Deleau,  L.  405. 

Egeberg  403.  ^^H 
Ehrenberg  372.  886.            ^^H 

Chvmeufl  V.,  Pabst  183. 

Delpecb  403.  404. 

Cletntnis  VI.,  Pabet  216. 

Deuietriug   111. 

Ebretirttter   335.                   ^^H 

Clemot  403. 

1  Demc;triiisvonApame*67. 

£ir  157.                                 ^^H 

Cbcciuet  400. 
Cockbani  308. 

Demetrius    Pepa^omenus 

Elinus  168.                             ^^H 

129. 

Eliot  432.                               ^^H 

Cole.  W.  299. 

Demokedea  3S.  56. 

Elisa  25.                                ^^H 

Colombo,  R.  250.  270.  274. 

Demokrit  40.  76.  318. 

Elolathea  38.                         ^^M 

298. 

Demosthenes  100. 

Else  312.                               ^^M 

Fr^re  Cöme  314. 

Demours  298. 

Empedoklea  39.                    ^^^H 

Com  modus  8U 

Deroldns  167. 

Ennana  16.                            ^^^H 

Conitt%  A.  367. 

Desault  433. 

Eurictts  de  Padua  168.        ^^H 

de  Condillac  318. 

De^cartes  291.   818.   390. 

Epikur  88.                              ^^M 

CoMolJy,  J.  396. 

De^fossee  398. 

Epimarch  38.                               ^H 

Conrad  von  Schiverstadt 

Deaideriue  167. 

Epione  30.                                    ^M 

198. 

Despars.  J.  237. 

Epiphantus  63.                             ^M 

Coming  330. 

Deventer,  H.  v.  314, 

Erasi^tratos  64—67.  78.             fl 

Constautin  83, 

van  Deyl  382. 

Erasmiia  v.  Rotterdam  243.          ^M 

51Ü 


Ertetufi  279.  | 

Ermcriii»  4ö. 
Eros   103. 
Ernirds,  Ch,  336. 
EBchaM^riaux  4Sd. 
EMmrot  Mb, 
Eetiettne,  Cb.  27L 
dEBtootevUle,     Catdiiifll  { 

230. 
Endefnoe  07,  i 

Endemiis  (der  Phil««o|»b)  , 

SO. 
Eaelptstus  90. 
Eaeoor  Sd. 
Euklia  134.  422. 
Eoler,  Leank  291, 
EmiapMs  <0* 
Empodcft  48.  44.  4iS. 
finr^kMi  42. 

¥M6U  lU,  125. 
Falffkti«  S12. 
Ptbrf  ▼.  HOden  SIS.  S50L 
FalocttlMit  293. 
fklcoeei  X'kc.  ^7. 
F^Ofpim  24dw  274. 
riÜKt  S»5u 
FkBSii»  lOS. 
fteimi  S14. 
fkradbj  278.  2S0L 
FMwrSiT. 

194. 
FMincftd,    der    Kaik^ 
Ibd«  207. 

f^R&MBd  IL  VW  IMid 

291. 
Fem»  2M. 
Ft>di9CMkle%  T.  434. 
FMteiM. 

FlMPcr  SU. 


ff^HMM  «NL  29«. 

nim  2tai 

P^MlBtmSdiiiiitlilSgL 
Fcntrr  S71. 
FviImsi^  30«. 
Fottcrur  t7C  42S.  49C 
F^villeS^ 


FrftnkUn  293. 

Franz  I.    voa  Frankreich 

262.  277.  2m. 
Fraunhofer  38  L  382, 
Freif!aiik  26^?. 
Freind  128.  160,  317. 
Frerichs  395. 
Fn^A  291.  3$L 
Fried  358. 
Friedrich  L,  Kaiier  lft5. 

205. 
Friedxkh  IL,  Kaimt  174. 

170.  162.  185.  200.  204. 

219.  224,  25«. 
Friedrich^  der  WdM^  !«• 

Sochfen  202. 
Froriep  5^7. 
Fockt,  C.  H.  395. 

Baiatmap  8>09. 

Gakii  18.  25.  45.  65.  tf<. 

09.    79^99.    19«.    104. 

105.  111.112.121.1». 

12S.  122. 137. 10L  103. 

170.  174.  201.  298L  204. 

210L  247.  250.  258;.  279. 

S29.  80&  899.  429. 
Galild2».29iL 
Gma  8991990. 
Galfid,  Jok  t9€L 
6«IIqC  488. 
G«H  VItm  dl  198. 201. 

287. 

10«.  171. 
290.  8181 
GMKr297, 
0^^842. 

^Affity  887. 


24U 


TM  Te 

d-i 


^n.  87«.  880. 
Tk.  241. 


107. 


179. 


GiMlf  100. 

14. 
GbdflQM  409. 
GkolM  207. 
GhuMM  101« 
OfankiM  Sa  00. 
GliMom  200.  aO«L  SQL  Ht " 
GiBCÜB  070.890. 
G0Uis  191. 
66iwdbi«ir  187, 
GM»  470W 
G^>cA«  180.  84&  800.1 
GonkB  287. 
Gcffpai  90. 
Grsai:  B.  de  287. 
d^  GnMlibii*  210.  237. 
Gr»efe,  C.  F.  44M. 
Grade.  iL  T.  I 
Grapfattti  t      B 

230.  287. 
Gtmf ,  Sc  292. 
Gtegotn  310. 
Gregor  t.  Naiiaiit  11 
Gra^or  T.  Toms  120. 
Grc^iH^f  Jf.  291. 
Gtew  205w 
Gfieitii^g^  890. 
GfÜbo  250. 
Giiouldi  291. 
Gfinund  883. 
Gfwdnbea  408. 
GfWMT  817. 
GoAbieil  A.  237. 
Gumntt,  B«bMca  149. 
Gumcke,  O.  v.,  289. 292. 
Gii|;ik!]fliim  2S5. 
QvgMriBai    de  Bonornt 

108. 
GogUau»  de   BaTq;» 

108. 
Gnidi  271. 
GvtlletticM,  J.  257. 
Guilloiin  433. 
G  walvr  v,  Aadenmch  2% 
Gmmaid  107. 
Gttkbin  395. 
Gittsoc  157. 

100. 
?  Adftif  TOD  1 

den  322. 
Gonciiberf  244^ 
GuroC  313. 


109. 

A.  de  300.  842  344. 

129.  J 

311.  ■ 

Ehalfii  134.  151." 


Register. 


517 


Hakim  136. 

Hakim  Bümrillah  144. 

Haies,  St.   299.  310.  370. 

Halevy,  Juda  178. 

More  Hall  291. 

Halle  433. 

Haller  166.  295.  302.  305. 
310.  314.  317.  332.  337. 
338.  342.  347.  382. 

Ham  305. 

Hamann  367. 

du  Hamel  288.  295.  370. 

Hammer-Purgstall  143. 

Härder  301. 

Hare  423. 

Harting  290. 

Hartmann  v.  d.  Aue  167. 
180. 

Hartnack  382. 

Hartsoeker  305. 

Harun  al  Raschid  134. 

Harvey  298.  299.  305.  309. 
415. 

Hasse,  C.  511. 

Hauy  368. 

Havers,  Cl.  295.  336. 

Hazon  334. 

Hebra,  F.  395. 

Hedschadsch  132. 

Hegel  366.  367. 

Heinrich  I.  163. 

Heinrich  VI.,  Kaiser  227. 

Heinrich  IV.  von  Frank- 
reich 184. 

Heinrich  VIII.  von  Eng- 
land 350. 

Heister,  Lor.  357. 

Heliodor  97.  98.  99. 

Helios  29. 

Helm  388. 

Helmholtz  382.  406.  505. 

Helmont  287.  306. 

Henke,  A.  408. 

Henle  386. 

Henshaw  300. 

Hensler  317. 

Heraklides  68.  76. 

Heraklit  39. 

Herder  366. 

Heribrand  163. 

Hermann,  J.  372. 

Hermanus  Contractus  179. 

Hermann  v.  Treysa  19H. 

Hermes  103. 

Hero  96. 

Herodikos  54. 

Herodot  29. 

Herophilos  64.  65.  66.  68. 

Hesiod  29. 


I  Hesse  398. 

I  Heurne,  0.  v.  341. 

Heurteloup  408. 
I  Hewson  300. 
I  Hieronymus  124. 
Hiffhmore  295. 
Hikesios  67. 
i  St.  Hilaire,  G.  372. 
Hildegard,  hl.  165. 
Hildegard,  Kaiserin  160. 
Himly  406. 
Hippokrates  1.  29.  37.  39. 

40—61.    96.    128.    133. 

134.  161.  162.  163.  174. 

201.  203.  222.  279.  329. 

428. 
Hisinger  377. 
Hodgson  394. 
Hoffmann    F.,    288.    306. 

311.  324.340.  343.  348. 

354. 
Holbein,  Hans  243. 
Homberg,  W.  288. 
Homer  29.  58.  71.  422. 
Hon^in  135.  158. 
Honestis,    Christoph    de 

212. 
Honorius  III.,  Pabst  235. 
Hooke,    Rob.    286.    291. 

292.  295.  296. 
Hope  394. 
Horaz  72.  422. 
Horekowicz,  Dudith  von 

258. 
Horenburg,  E.  357. 
Hrabanus    Maurus     164. 

165. 
HrafhSweinbiömsson  158. 
Hufeland  476. 
Hugo  189. 
Humboldt,  Alex.  v.  371. 

377. 
Humc,  D.  318. 
Hunczovsky  346. 
Hundt,  Magnus  210. 
Hunter,  J.  310.  315.  335. 

371.  372.  373.  393. 
Hunter,  W.  297.  337.  338. 
Huschke  385.  390. 
Hutschinson,  J.  389. 
Hütten,  Ulrich  von  242. 

259. 
Huvgens  285.  291.  292. 
Hygieia  30.  36,  73. 
Hyginus  103. 
Hyrtl  274.  505. 

Jackson  400. 
Jacobi  395. 


Jacobus  Evang.  126. 

Jacobus  Foroliviensis  201. 

Jäger,  F.  406. 

Janssen  290. 

Jaso  30. 

Jenner  397. 

Jesensky  275. 

Ikkos  54. 

Ingenhouss  370. 

Ingigerd  158. 

Ingvar  158. 

Innocenz  III.,  Pabst  191. 

217. 
Johann  163. 
Johannes  Actuarius   129. 

279. 
Johann  v.  Böhmen  184. 
Joh.  Friedrich  v.  Sachsen 

263. 
Jon  43. 
Josef  IL,  Kaiser  336.  352. 

353.  355.  361.  395.  450. 

451. 
Josef  166. 
Josua  166. 
Isa  ben  Ali  140. 
Isidor  V.  Sevilla  129. 
de  risle,  R.  368. 
Ismael  bcn  Elisa  25. 
Israeli  154. 
Itard  405. 
Julian  125.  128. 
JuUus  III.,  Pabst  265. 
Julius  von  Braunschweig 

263. 
Juncker,  Joh.  845. 
Jussieu  339.  369. 
Justinian  119. 

Kafur  148. 
Kallisthenes  58. 
Kant  362.  366.  367. 
Karl  der  Grosse  134.  160. 

161.  163. 
Karistadt  283. 
Kameades  67. 
Kasimir  von  Polen  198. 
Kay,  J.  350. 
Kempelen  304. 
Kepler  245.  246.  303. 
Kergaradec,  Lejumeau  de 

392. 
Kerckring  295.  296.  305. 

310. 
KesraNuschirvan  120. 133. 
Ketham  211. 
de  Keyser  338. 
Kielmeyer  366.  372.  873. 
Kieser  866. 


^^H^l 

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Jiag%9ter. 

5^^^^^_ 

^B           Kirt^kboff  39  L                     | 

Lelli,  E,  38«.                      1 

Ludwig  XVm  T.  PrtwlP^ 

^M           Klttprotli  876, 

LeraniiL-!  278. 

reich  438, 

^m           Kl«-ii..  J,  TIl  tnn. 

Uo  XIU  Pab«t  4ftt. 

Lrjrrz,  IL   198.  286,        ^ 

^H            Kloinr  21»H. 

Leo  Africanus  134*  150. 

Luther  239,  2^7.  288.    ^M 

^H            KUtikonch  295. 

Leopold,  Kaisrr  320, 

Lyell  373.                       ^M 

^H            Klop^tock  32S. 

Leopold  V,  V,  Östenvkb 

Lykuri^  58.                    ^H 

^H            Kiiox  423, 

227. 

Lykua  94.                      ^M 

^B            Köhler  32. 

L^psius  17. 

^^H 

^H            K«:$Hikor  8H6. 

Leijuifi,  Nie.  314. 

Hac  Dowell  407.          ^1 

^^H            Konr  15T. 

Lerov  d'Etiolled  403, 

Macer  Floriduä  165.      ^M 

^M            Koiirailp  König  17t, 

Lessing  328.  366, 

Machaou  30,  31.             ^M 

^m           KotiradfCiirdiiml  1^0,181. 

Lenkippos  40, 

Macmi  145,  147,  148,  ll^H 

^H            Kopemikus  2ih. 

Levas«eiir  438, 

Magiri  2!^sr.                   H 

^m            Kopp  375, 

Levret  316. 

Mag:etiiUe  388,  890.       ^M 

^m           Koyter  249.  271. 

Leyer,  G,  329. 

Mapiuu  111.                   ^H 

^H            Krämer,  \V.  405* 

Loy8*3rt  A.  28U. 

Ma^u^  378.                   ^M 
Mfthan  1S4,                      ^M 

^H            KnUevaj^  09. 

Libanivis  117. 

^^H            Kriit;!iMiHtcin  304. 

Libüvitij*  287, 

Mahon.  P.  A.  0.  48$.  ^H 

^H             KrinaK  106, 

Lirbteti^toiii  371, 

Maimunidcs  189.  140.  li^l 

^H             Kti'^iu.^  42. 

Lirb.TkObii  335. 

178.                     ^M 

^H            Kn}iknv4?)n  46. 

Lit^bi^^  379.  388.  400, 

Malaeanie  387.                ^H 

^H            Kimkul  2iiH. 

Lioutaud  332.  838. 

Malj^ighi    285,   «86.  SI^H 

^H           Ryper,  A.  84  L  84^. 

Link  369, 

296.  297.  299.  800.  84^H 

^^H 

Linn6  286,  810.  868,871. 

305.                               ^H 

^H             Liibro.'kso  33d. 

l^ionurdo    da    Viiioi    242. 

Malus  38  K                              1 

^H             Ljieojjte  433. 

246.  270.  271.  293, 

AI  Mamun  134.   185,            j 

^H             Lur  taiiHuH  245. 

Listrauc  401, 

Manfred   177.                   ^H 

^H            Laihill ral,  J,  HH7, 

Littr*'*  46. 

Maiikah  135.                  ^M 

^H            Laeniirc  392, 

Li  vi  113  Etitvcbu»  111, 

Müidiub  Cornumd  105.^H 

^^M            Lii^nna  255. 

Lnbsteiii  393. 

AI  MauHur  133.             ^M 

^^M            Ltiii'oHHe^  Grrard  de  336« 

Locktr,  J.  318. 

Mantiji«  67.                     ^H 

^m             Liiiimrck  372.  373. 

Lou|fiiui8  128, 

Marat  433,                       ^H 

^H            Lainbiill*\  Jobrrt  de  407, 

Lonieonift,  Adam  285. 

Marbod  165.                   ^M 

^H             Latnrffn<*  m\h 

Lornun,  Claude  317, 

MarceUu»  Eiiipiricua  l^H 

^H              Lrtiiri^i  297\  :i()8,  309,  810. 

LoficbiUÄ  326. 

Marehc,  Marg,  de  1«  8^^ 

^H                  :t;iH.  342.  346. 

Lotzo  307. 

Marcbcttis  302. 

^H             J^iiiiiVatidii  224.  225.  228. 

Loui^  312, 

Marcus  Mnrci  v,  RromlflO^J 

^H             Lati|;i\  R  A.  319. 

LouiH,  P.  A,  895. 

^M 

^H            LuiiLM'iiberk  404. 
^H             Laplaco  290.  3H1. 

Lüwer  296. 

Marcus  Atitouius  75.    ^^^ 

I^uriati  98. 

Marcus  Aureliiid  80.     ^H 

^H              Lnnx^  401,  402. 

Lnoiu8  80. 

MHr^'schal  348.              ^M 

^H            Lji^kam.  K.  241, 

Luerez  76.   107. 

Mari^-jUTaf  288.                 ^M 

^H              La^ttfi  436, 

Lnder,  P.  242, 

Maria  Thrrefta,  KiÜ9«^^| 

^H              Lathuin  394. 

Linlwi^-,  Ch.  G,  308, 

]H 

^m            Latiui,  Br.  237. 

Ludwi;,'  der  Fromme  160. 

MariauuB  133.          ^^^^| 

^H             l^titreillo  372, 

Ludwi«'     dor     Eiiifi«ltii^ 

Marileif  160.            ^^^1 

^H             Lavoiaicr  27^9.375, 878,488. 

167. 

Mariuu^                    ^^^^1 

^M             Leftke  357, 

Ludwig  IX.  V,  Frankreich 

Mariotte  2h9.   290.  WH^H 

^H             Lc  Blou  337, 

205, 

Manstauia,  Ibn  el   I47^^| 

^H            Lodere.  DiHi.  317. 

Ludwig  XL  V.  Frankreich 

Mai^hall  Hall  390,       ^M 

^H            Li*derc%  L.  U9. 

268. 

Martial  95.   103.   10«.    ^M 

^H             Le  Drau  313. 

Ludwi^^XIL  V.  Frankreich 

MardanQs  205.               ^H 

^H              L«*riiwonbook     2H6.    29Ä, 

277. 

1  MArtiii  Vm  Pabttf  195.  ^H 

^H                  29tj.  297.  299.  3lH),  305, 

Ludwij^r  XIIL  V.  Frank- 

1 Martin  v    \V.I7..,>  19|^H 

^H 

reich  339,  340, 

1   Marti  uez                          ^^M 

^H              Li^i^Hliois  3^9. 
^H             LeFimanu  38$. 

Ludwig   XIV.   V.   Frank- 

1   Mascapu                         ^^M 

1       reich   182.  314.  32L 

Mtv^ua   124.                    ^H 

^^^     Uibnitf   305.    318,    819. 

Ludwig  XVL  V,  Frank* 

1   ^larthvseu  402«            j^M 

reich  345, 

Mauuclerille,  Joli.  r.  W^M 

Reffüter, 

519         ■ 

'     Maimis  ni 

Monte,  G.  da  278. 

OberbäuBer  S82.                    ^^| 

Maximiiian  T.,  Kaiser  262. 

Monteggia  4»>7. 

fkldo,  M.  278.                       ^^^1 

Maver,  J,  R.  Hfci9. 

de  Möirtespai)  356. 

0<)bin                                     ^^^1 

Mavor  392. 

MoTitgelas  463. 

C^ernted  366.  380.                        ^^H 

Mavow  302. 

Morand  313. 

Ohm  380.  382.                         ^^^B 

Mazaa  168.  ITO. 

Moreaii  402. 

(»ken  366,  373*                      ^^^H 

Merkel  372.  303. 

Morel  312.  395. 

OIvmpios  98.                         ^^^H 

Medici,  Coeimo  v.  274. 

Moreland  292. 

^^^1 

Medici,  LoreojEO  de  190, 

Morgagni  310.  336.  388. 

Ona.^ilo.s  58.                          ^^H 

Medici,  Maria  v.  356. 

Morley,  David  179. 

OHila  408.                              ^^^1 

Megenberg,  Kuiirat  v,  237* 

Morveau ,     Guytou     de 

Onba^ius  128.   156.               ^^^1 

■     Mefbctn  297,  330. 

376. 

Origine»                                 ^^^H 

Moses  22. 

OrlamluB  188.                        ^^^H 

Mottawakl  146. 

Orosius  118.                           ^^^B 

Mein  398. 

Mouliij,  A,  299. 

Ortolf  V,  Buyerland  238.          ^M 

MeisÄiier  30  H. 

Mozart  366. 

Ogeibia,     Ibn    Abu    134.            ^H 

Melanehthon  239. 263. 283. 

Miiawija  132. 

138.   141,   146.   148.                   ^H 

MelancbtlioD,  Siegm,  279. 

Müller,  0.  F.  372. 

Omander  .358.  407.                ^^^1 

283, 

Miiller,  Job.  372.  3$6.  390. 

Otbrnan  130.                          ^^^H 

Melefiug  129. 

393. 

Orbmar  126.                           ^^^1 

Mcnde  4t>s. 

Mulder  141. 

Otto  V.  Griechenland  493.           ^H 

Menrlelesohn  152. 

Munk   152. 

Ovid  281,  422.                         ^^M 

Menekrates  89. 

Miirillo  317, 

^^^^1 

MenghiDi  300. 

Mupa  109.  112. 

Paaw,  P.  249.                     ^^H 

Menokritos  59- 

MuBaiidinuB  177. 

Palfyii  315.                          ^^^H 

Merctiriftde  109. 

MuK-io  88. 

Pallas  371.                            ^^H 

Merido,  Fmhis  v.  231. 

Mnseubiä  267. 

F'allavieiiii  205.                     ^^^H 

Mer&enne  290. 

Mu?sebeijbroek  293. 

Palucci  355.                            ^^^H 

Meeue  134.  146, 

Myrepsrtä,   Nicolaui    129, 

Paiiakeia  30.  36.                   ^^^H 

Metrodoros  38.  59.  «5. 

*212. 

Pander  373.  386.                   ^^H 

Meyen  3G9. 

Fandnkabbayo  14.                 ^^^^| 

Meyer,   E.    90.   143.  153. 

Pannni  404.                              ^^^^| 

160.  1B.5.  166. 

Nacbmanidea  178. 

Pmivilliers  433.                       ^^M 

Mezler  317. 

Naegcli  370. 

Papiu  292.                                      ^H 

Michelangelo  242.  270. 

Napoleon  I.  437. 

Paraeebns  258.  259.  283.           ^B 

Michelet  314. 

Nasse,  Cbr.  F,  395. 

286.  306.  307.                             ^M 

Middeldorpf  401. 

Nebsecht  21. 

Pare,  A.  251 ,  252.  253.  254.           H 

Mirevelt,  Midi.  338. 

Nees  V.  Esw'ubeck  366, 

255.  257.  281.  312.  313.           ^M 

Mtstichelli  301, 

Neckam,  Alexander  165. 

Park  313.                                ^^M 

Mithridntes  68.  60. 

Nero  111. 

Parrbasios  270.                      ^^^M 

Mitseherlifh  378.  379. 

Newton  290.291.  293,303. 

E'aHcal                                     ^^^1 

MittellHiiiBer  358. 

NieepboniB  134, 

Passarotti,  ß.  271.                ^^^H 

MoeL-^en  317. 

Nicbol  358. 

Patroklos  31.                         ^^H 

Mohammed  130.   152. 

Nicbob^ui  377, 

Paula  124.                              ^^M 

Mohama^ed  Ben  Ali  Ben 

Nicolatis  160. 

Pauben  328.                                 ^H 

Farak  15J. 

Nicolaus  Praepositus  177. 

Paulus  Aegiueta  129.  173.          ^H 

Mohl,  H.  369.  370. 

212,  230. 

253.                                           ^M 

Mobs  368, 

NicolauB  IV,,   PabÄt  182. 

Pecquet  289.  299,                 ^^^H 

Moldeidiawer  369. 

NieolauB  V.,  Pabet  242. 

PeOetier  398.                         ^^^1 

Moli^re  362. 

Niepce  381. 

Pelops  79.  84.                        ^^H 

Molyneax  299. 

Nikander  68, 

Pen  kies  43.  242.                   ^^H 

Mommsen   102, 

Niketas  129. 

Perranlt  304.                         ^^^1 

Monde\dlle,  Henri  de  203. 

Nikon  79. 

Perry,  W.  512.                    ^^H 

224,  238. 

Ninon  de  IXndoä  341. 

Peter  der  Grosse  335.  49i.    ^^^H 

MomUuo  206.  210.  247, 

NolU't  388. 

Peters,  H.  340.                      ^^H 

Le  Monnier  293, 

Nufer,  J.  257. 

Petit  312.  315.                      ^^H 

Monro  325. 

Numa  72,  101. 

Petrarca  178.  240,  281.              ^H 

Montana,  Ben.  211. 
Monfaigne  362, 

Numesianus  80. 

PetronceUus  177.                        ^H 

Nureddin  147. 

Petrofi  160.  166.                         ^H 

520 


Register, 


Petrus  Lemonensis  193. 

Peucer,  C.  283. 

Peyer  296.  301. 

La  Peyronie  348. 

Pfolapeundt,  H.  227.  230. 

Phaenarete  54. 

Phidias  43. 

Philinos  68. 

Philipp  (v.  Akarnanien)  58. 

Philipp   der  Schöne   von 
Frankreich  203.  225. 

Philipp  August  V.  Frank- 
reich 170. 

Philipp  der  Kühne  205. 

Philipp  Wilhelm  v.  Ora- 
nien  313. 

Philiskus  95. 

Philolaos  38. 

Philon  89. 

Philostratos  54.  95. 

Philoxenos  67.  96. 

Photius  129.  134. 

Piedimonte,  Franc,  de  237. 

Pindar  29. 

Pinel  383.  395.  396.  436. 

Piorry  392. 

Pirchpach,  C.  283. 

Pirkheimer,  W.  243. 

Pirogoff  402. 

Pitcaim  300.  306.  421. 

Placilla  Augusta  125. 

Platearius  177. 

Piaton  43.  45.  46.  52.  54. 
59.  60.  61.  88.  318.        , 

Platter211.218.  261.  267.  | 
271.  273.  274.  275.  280.  ! 

Plencicz  310.  345.  1 

Plinius  67.  72.  78.  82.  99.  I 
101.  104.  106.  128. 

Plössl  382. 

Plutarch  72.  103.  107. 

Podalirios  30.  31. 

PoggendorflF  289. 

Pois,  Jean  de  236. 

Polybos  43.  44. 

Polykleitos  44. 

Polykrates  57. 

Pontus  168. 

Porta,  G.  246. 

Portal  317.  338. 

Pott  314.  315.  415. 

Pourfour  du  Petit  298. 

Poussin,  Nicol.  317. 

Pravaz  399. 

Praxagoras  64. 

Prevost  404. 

Priestley  375.  378. 

Pringle  311.  342. 

Prochaska  390. 


Profatiua  181. 
Proust  376. 
Prudentius  118. 
Psellus  129. 
Puccinotti  166. 
Purkinje  295. 386. 389. 406. 
Purmann,  M.  G.  351. 
Pyrrhon  67. 
Pythagoras  38.  245. 

Quatrem^re  143. 
Qucsnay  300. 
Quintus  79.  84. 
Quittenbaum  403. 

Rachid  Eddin  Ibn  Aszuri 

151. 
Rafael  Sanzio  242.  270. 
Ragenifrid  166. 
Ramus,  P.  278. 
Rauuccius  188. 
di  Rapallo,  B.  253. 
Rasori  382. 
Ratlike  386. 
Rau,  J.  J.  354. 
Ray,  J.  286. 
Rayer  395. 
Redi,  F.  286.  305. 
Regters,  T.  338. 
Reichert  386. 
Reiff,  W.  256. 
R^jü,  J.  C.  383.  395.  476. 
R«mak  386.  395. 
Rembrandt  317.  337.  338. 
Remelin,  Joh.  336. 
R(^uan,  £.  419. 
Renaudot,  Th.  343. 
Reni,  G.  269.  317. 
Renzi,  S.  de  166. 168.169. 

219. 
Reoval  160. 
Reuchlin  243. 
Reussner  307. 
Rhazes  99.  138.  140.  146. 

154.  201.  268. 
Richardus  207. 
Richelieu  343. 
Richer  163.  167. 
Richter,  A.  G.  353.   355. 
Ricord  395. 
Ridley,  H.  297.  309. 
Ristorio  d'Arezzo  237. 
Riva,  G.  339. 
Rivinus,  Q.  296. 
Robiquet  398. 
Rochlitz,  Dedo  v.  227. 
Rodolfus  167. 
Roederer  359. 
Röschlaub  882. 


Röslin,  E.  256. 

Roger  174. 

Rokitansky  367.  393.  395. 

Rolando  173. 

Rolfink,  W.  332. 
i  Romberg  395. 
I  Rondelet  246.  273. 
j  Roonhuyse,  H.  von  315. 
I       357. 

:  Rosa,  Salvator  317. 
I  Rose  378. 
i  Rosenmüller  387. 

Rossi  de  271. 

Rousseau  319. 

Rousset  254. 

Rubens  317. 

Rudbeck  299. 

Rudolf,    Kronprinz    von 
Oestcrreich  512. 

Rudolphi  372.  476. 

Rueff,  J.  256. 

Rufiis  42.  84.  86.  93.  170. 

Ruggiero  173. 

Rumford  381. 

Runge  398. 

Ruysch,  F.  295.  296.  297. 
335.  337.  357. 

Sabatier  434.  436. 
Sabinus  263. 
Sabur  Ben  Sahl  146. 
Saladin  v.  Asculo  212. 
Saleh  ben  Baleh  135. 
Saliceto,  Wilhelm  v.  205. 

224. 
Salimbeni  205. 
Salisbury,   Joh.    de    180. 

191.  203. 
Salles  433. 
Salomon  24. 

Salomonus  Ebraeus  168. 
Salvianus  118. 
Samachschari  142. 
Sanchez,  R.  342. 
Sanctorius  289.  301.  308. 
Sandifort  338. 
Sanson  403. 
Santo,  Mariano  253. 
Santorini  297.  298.  336. 
Sarto,  Andrea  del  271. 
Satyrus  79.  84. 
Savary  292. 
Saviard  312. 
Savigny  314. 
Savonarola  237. 
Scarpa  385.  406. 
Schacht,  L.  342. 
Schaprout,  Chasdai  178. 
Scheele  288. 


Ifefjistef% 


521 


Scheiner  3Ü3. 
Scbclling  366. 
Seberer  3öö, 
Scheuehaer  369. 
Sobiller  366. 
Schimpcr  369. 
Sohleiden  370. 
Schmid,  K.  165. 
Schmidt,  Ad.  355.  405. 
Schmucker  312.  313. 
Schneider,  C.  V.  295. 
Schönlcin  394. 
Schopenhauer  366. 
Schrevelius,  E.  341. 
Schröder  v.  d.  Kolk  395. 
Scliultze,  M.  386. 
Sfhuke,  J    H.  317.  330. 
Schwann  370.  386. 
Schwtigger  378.  380. 
Scipio  Africanua  101. 
Scottua,  Michael  168. 
Scoutetten  401 
Seriboniut^  Ijargus  89. 
Seckendorff  323. 
Ic  Socq,  Rob.  282. 
Sedillot  403. 
Seebeck  380. 
Seguin  398. 
Seleucus  95. 
Seleukos,  Nikator  65. 
Sclligne  "M'L 
St'ramelweiss  407. 
Senac  296.  309. 
Senebier  370. 
Seneca  71.  107. 
Scnfft  325. 
Serapion  68. 
Screnus    Samonicus    Qu. 

128. 
Sergius  80.  133. 
Serrcs  395. 
Sertürner  398. 
Servct  248.  250.  258.  264. 

281.  298. 
Servm  282. 
Scth,  Simon  129. 
Seuün  402. 
Severus  80. 
Soxtius  Niger  89. 
Sextus  Placitua  Papyren- 

sis  128. 
Siebold  357. 
Siebold  C.  C.  325.  354. 
Siegemund,  Justine   857. 
Siegmund,  Kaiser  234. 
Sigrdrifa  157. 
Sigurdr  157. 

Simon  v.  Genua  100.  237. 
Simon,  G.  407. 


Simon,  O.  403. 

Srmpeon  400.  401. 

Sims,  Marion  407. 

Sinclair  289. 

Sivert  334. 

Sixtus  IV.,  Pabst  208. 

Skoda  392.  394. 

Slevogt  316. 

Sloane,  H.  339. 

Snell  291. 

Snorri  Sturluson  158. 

Sobieski,  Joh.  335. 
I  Sobki  153. 

I  Sömmering  339.  385.  390. 
I  Sofia,  S.  di  209.  237. 
I  Sokrates  43.  54.  61. 
■  Solano  de  Luques  308. 

Solingen,  Com.  313. 

Sonncrat  371. 

Sojitiokkj^  43 

Soranus  44.  100.  101.  118. 
128.  163. 

Sostratus  96. 

Soubeyrau  400. 

Soupart  401. 

Spallanzani  301.  305.  810. 

V.  d.  Spigel  249.  271. 

Spinoza  152.  318. 

Sprenffel  32.  166. 

Spurzheim  395. 

Stahl  288.  307.  824.  383. 

Stainpeis,    M.    201.    202. 
211.  214. 

Stalpert  v.  d.  Wiel  811. 

Stengel  329. 

Steno,  N.  285.   295.  296. 
j       297.  298.  301.  302. 
I  Stephanus  132. 

Sterne,  L.  358. 
!  Stertinius   106.    111.  112. 

Steubiiig  327. 

Stevinus  289. 

Stilling,  B.  385. 

Stobaeus  65. 

Stobbe  330. 
I  Störck,  A.  311. 
I  Stokes  394. 

Stoll,  M.  334.    338.   844. 
345.  392. 

Strabo  110. 

Straten»  W.  v.  d.  842. 

Stratokies  95. 

Stratonicus  79. 

Stroraeyer  403. 

Str>'k  328. 

Suidas  81. 

Susruta  7—12. 

Swammerdam    286.    296. 
300.  305. 


Swieten,  G.  van  342.  344. 

355.  449.  450. 
Swift  319. 
Sydenham  307. 
Sy  Ivaticus ,    Matth.    211. 

237. 
Sylvius  248.  281. 
Svlvius  (de  le  Boe)  306. 

'307.  342. 
Syme  401.  402. 
Symmachus  95. 
Symmachus,  Pabst  217. 

Tacitus  156. 

Ta^liacozzi  255.  256.  404. 

Talbot  381. 

Taranta  237. 

Tardieu  408. 

Fartaglia  246. 

Tcnon  433. 

Tertulliau  76. 

Tcta  21. 

Tetulus  Graecus  168. 

Tcxtor  402. 

Thaddaeus ,    Florentinus 

185.  237.  268. 
Thaün,  Philipp  von  165. 
Theden  312. 
Themison  77. 
Thenard  378. 
Theodocus  132. 
Theodorich  120. 
Theodorich  II.  160. 
Tlivodorus  Priicbinus  102. 

OB.  128. 
Tlieokrit  64. 
Theophanes  98. 
Theophanes  Nonnua  129. 
Theophilus    Protospatha- 

rius  170. 
TlieophraatOä  90. 
Tbt;opompoä  41, 
Thoa^alüs  43.  58.  84.  104* 
Thibault  281. 
Thilenius  315. 
Thomasius  324.  328. 
Thrita  28. 
Thukydides  43. 
Tiedemann  372.  885. 
Timon  69. 
Tizian  271. 

Touche,  G.  de  la  855. 
Toumefort  339. 
Tornamira  237. 
della  Torre  237.  270. 
Torricelli  289. 
Torrigiano  237. 
Toth  17. 
Toyubee  405. 


522 


Ilefjister, 


Traube  392.  304.  395. 
Tribumis  121. 
Triller  317. 
Tritheir.ius  243. 
Trost,  Com.  338. 
Trotula  169.  174. 
Trousseau  394. 
Truchsess,  0.  v.  2C3. 
Trusianus  201. 
Tryphon  s\^. 
Tudcla,    Benjamin    von 

170.  179. 
Tulp  315.  337.  338. 
Ihn  Tulun  147. 
Turquct  tlo  Mayeme  287. 

Uarda  21. 

Ulrich  von  Wörtemberg 

275. 
Unger  370. 

Valens  111. 
Valentin  386. 
Valentinian  111.  117.12«. 
Valleix  395. 
Valleriola  261. 
de  la  Vailiere  356. 
Vallisneri  305. 
Valsalva   298.    804.    309. 

338. 
Valverde  deHamusco271. 
Varipnana,  B.  237. 
Varolio  249.  271. 
Varro  Terentiiis  78. 
Vasco  de  Gama  260. 
Vaiiciuelin  376. 
Veiel  402. 
Velasquez  317. 
Velpeau  387. 
Venel  314. 
Vesalius    247.    248.    249. 

250.  259.  271.  272.  273. 

274.  275.  278.  281. 
Vespasian  109. 


Vetter  393. 
Vicq  d*Azyr  372. 
Vieussena  296.  297.  298. 

300.  309.  332. 
Villanova,  Amald  v.  179. 

230.  235.  237. 
Vindicianus  128. 
Virchow    122.    215.    217. 

393.  505. 
Visconti,  G.  189. 
Vitalis  Ordericu«  167. 
Vitolf  158. 
Vogel,  R.  A.  345. 
Volkmann  388. 
Volta  377.  379. 
Voltaire  318.  319. 

Wagner,  R.  386. 
Waimar  166. 
Walafridus    Strabo    163. 

165. 
Waidenburg  389. 
Wall  292. 
Wallace  374. 
Wallerius  368. 
Walter,  J.  G.  335. 
Walter  211. 
Walther  197. 
Wandelaer,  J.  337. 
Warner  312. 
Weber,  Ed.  389. 
Weber,  E.  H.  388. 
Weber,  W.  380. 
Weikard  325. 
Weiss  368. 
Weitbrecht  295. 
Welcker  87. 
El    Welid    Ben    Abd-cl- 

Malik  145. 
Wentzel  315.  355.  405. 
Wepfer,  J.  J.   297.  309. 

311. 
Werlhof    807.    824.    338. 

343. 


1  Werner,  A.  G.  368, 

Wescher  59. 

Wharton  296. 

Whistler  307. 

White  313.  402. 

Whytt  303. 

Wilhelm  von  Bayern  266. 
!  Wilhelm  d.  Eroberer  167. 
I  Wilhelm  von  Montpellier 
I       179. 

Winklcr,  J.  H.  292. 
I  Wilde,  W.  R.  405. 
I  Willan  395. 
'  Willis  297.  302.  303.  306. 

307.  311. 
I  Wilson,  E.  395. 
I  Winslow  296.  334. 
I  Wintarus  160. 
I  Wintrioh  392. 

Wirsung  296. 
I  Wöhler  378.  379.  388. 
;  Wolff,  C.  F.  306. 
'  Wolff,  Christian  319. 
!  Wollaston  377.  881. 
'  Wood,  A.  399. 

Woolhouse  315. 

Worcester  292. 

Worm,  0.  295. 

Wriöberg  298. 

Wunderlich  302.  393.  505. 

Würtz,  F.  282. 

Wüstcnfeld  143.  144.153. 

Xenoki-ates  92. 
Xenophon  58.  422. 

Yonng  381. 
Yperman,  J.   226.  229. 

Zcrbi,  G.  247. 
Zcuxis  «7. 
Ziemsj<cii  505. 
Zinn  21»8.